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Full text of "Über das Spruchbuch des falschen Phokylides"

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Verzeichnis 


clor  auf  der 


Königliehen  Albertus-Universität 


zu   Königsberg, 


im 


Sommev-Halfojahi^e 

vom    15.   April   1904   an 

zu  haltenden 

Vorlesungen 

und  der  öffentlichen  akademischen   Anstalten. 


Über  das  Spruchbuch  des  falschen  Phokylides. 
Von  Arthur  Ludwich. 


Königsberg. 

Hartungsche  Buchdruckerei. 
1904. 


Rektor 


Dr.  Adolf  A-rndl 


ö.  o.  Prof. 


80621 


Über  das  Spruchbuch  des  falschen  Phokylides. 


1.  Wenngleich  die  Sibyllinischen  Weissagungen,  die  in  einer  ganzen  Reihe 
epischer  Gesänge  die  Wechselfälle  mancher  Jahrhunderte  überdauert  haben,  wahrlich  keine 
künstlerisch  hervorragenden  Schöpfungen  sind,  mit  denen  der  heutige  Dichterfreund  sich 
rein  zum  Vergnügen  abgiebt.  so  entbehren  sie  doch  durchaus  nicht  eines  besonderen 
Reizes,  mag  man  sie  nun  wegen  ihres  geheimnissvollen  weltgeschichtlichen  Inhaltes  oder 
wegen  ihrer  culturhistorisch  bedeutsamen  Verquickung  hellenisch-orientalischer  Elemente 
oder  wegen  ihrer  ungewöhnlichen  Sprachform  und  Metrik  einer  genaueren  Prüfung  unter- 
ziehen. Wer  sich  aber  erst  einmal  näher  mit  ihnen  und  ihrem  litterarischen  Nährboden 
vertraut  gemacht  hat,  der  wird  ihren  Banden  nicht  so  leicht  mehr  entrinnen  können:  ihn 
wird  alsbald  das  Verlangen  erfassen,  nun  auch  noch  auf  die  Nachbargebiete,  zu  denen  sie 
in  engerer  oder  weiterer  Beziehung  stehen,  hinüberzuschweifen,  um  von  diesen  gleichfalls 
ein  anschauliches  Bild  zu  gewinnen.  Vor  Allem  wird  ihn  dann  das  kleine  Spruchbuch 
fesseln,  das  den  Namen  des  milesischen  Gnomikers  Phokylides  trägt;  denn  bekanntlich 
ist  davon  ein  grosser  Theil  (Vs.  5 — 79)  fast  wörtlich  in  jene  Sibyllenorakel  übernommen 
worden  (II  56  —  148),  bemerkenswertherweise  jedoch  nur  in  die  eine  der  zwei  in  Frage 
kommenden  Handschriftenfamilien  (<F  d.  i.  die  von  A.  Rzach  eingeführte  Collectivnote  für 
die  Codices  F  =  Laurentianus  XI  17,  R  =  Parisinus  2851,  L  =  Parisinus  2850),  während 
die  andere  Handschriftenfamilie  (©)  von  diesem  Einschub  vollkommen  frei  ist.  Schon 
diese  Thatsache  steht  nicht  recht  im  Einklänge  mit  der  Angabe  des  (?  Milesiers  Hesychios 
bei)  Suidas:  OioxvXldrig  Millfiiog,  <pilöoo<pog,  avyxQOvog  Qeöynöog  .  .  .  e-ygailiev  eurj  xai 
elsyeiag'  Hagaivtaeig  riroi  rvwfxag,  ag  xiveg  KeyaXaia  eTriygarpoiaiv  elai  de  £■/.  rtäv 
StßrlXiaxvjv  xaxXeftftiva.  Wohl  allgemein  ist  gegenwärtig  die  Überzeugung  durchge- 
drungen, dass  die  hier  zum  Schlüsse  berührte  Angelegenheit  sich  vielmehr  gerade  umge- 
kehrt verhält,  der  'Diebstahl'  also  von  einem  Sibyllinendichter  begangen  wurde.  So  wenig 
wie  dem  alten  Milesier  Phokylides  von  dem  gesamten  jetzigen  Spruchbuche  eine  einzige 
Zeile  angehört,  so  wenig  hat  der  falsche  'Phokylides'  ein  Plagiat  an  der  falschen  'Sibylle' 
verübt.  Er  ist  der  wahre  Schöpfer  gewesen,  sie  lediglich  die  scrupellose  Nutzniesserin. 
Es  wird  sich  Gelegenheit  bieten,  dieses  Verhältniss  in  helleres  Licht  zu  stellen  und  so 
über  jeden  etwaigen  Zweifel  zu  erheben.  Einstweilen  möge  man  im  Auge  behalten,  dass 
die  Bücher,  um  die  es  sich  handelt,  beide  ipeiderciygacpa  und  beide  in  Zeiten  abgefasst 
sind,  in  denen  der  Monotheismus  mit  dem  Polytheismus  in  ernstlichem  Kampfe  lag  und 
die  Versuche  der  Synkretisten,  den  entbrannten  Glaubensstreit  möglichst  friedlich,  theils 

1 


2 

durch  allgemein  giltige  Morallehren,  theils  mit  Hilfe  der  unüberwindlichen  Macht  mensch- 
lichen Aberglaubens,  zu  schlichten,  im  Orient  wie  im  Occident  sich  damals  einer  fort- 
gesetzt steigenden  Beliebtheit  erfreuten. 

2.  Auf  dem  im  Eingange  angedeuteten  Wege  bin  ich  selbst  frühzeitig  von  den 
Sibyllenorakeln  auf  das  Phokylideische  Spruchgedicht  gerathen.  Zunächst  ging 
meine  Absicht  nicht  weiter,  als  mein  persönliches  Bedürfniss  es  erforderte.  Nach  und 
nach  aber  gewannen  die  gesammelten  Beobachtungen  unwillkürlich  ein  erhöhtes  Interesse 
für  mich  und  führten  im  Laufe  der  Jahre  zu  Ergebnissen,  die  mir  jetzt  einer  erneueten1) 
Mittheilung  nicht  unwerth  erscheinen.  Gleich  von  vorn  herein  hielt  es  nicht  schwer,  zu 
erkennen,  dass  die  beiden  hervorragendsten  und  verdienstvollsten  Forscher  auf  diesem 
Gebiete,  Theodor  Bergk  und  Jacob  Bernays2),  in  ihrer  Beurtheilung  der  handschrift- 
lichen Grundlage  vielfach  auseinandergehen.  Eine  methodisch  durchgeführte  Sichtung 
der  zahlreichen  Quellen  hat  keiner  von  beiden  vorzunehmen  versucht,  und  so  ist  ihre 
"Wahl  der  Lesarten  und  ihre  Gestaltung  des  Textes  ohne  feste  und  vertrauenerweckende 
Grundsätze  erfolgt.  In  erster  Linie  musste  demnach  mein  Augenmerk  auf  die  Be- 
schaffenheit der  Überlieferung  gerichtet  sein.  Dank  dem  freundlichen  Entgegen- 
kommen der  Bibliotheksverwalter  zu  Königsberg,  "Wien  und  Paris  sowie  der  opferwilligen 
Unterstützung  meiner  werthen  Fachgenossen  Girolamo  Vitelli,  Julius  Jüthner  und  Hugo 
Rabe,  denen  allen  auch  an  diesem  Orte  herzlicher  Dank  ausgesprochen  sei,  steht  mir 
gegenwärtig  ausser  dem  kritischen  Apparate  Bergk's  noch  ein  ziemlich  reichhaltiges, 
wenngleich  allerdings  lange  nicht  erschöpfendes,  handschriftliches  Material  zu  Gebote,  auf 
das  ich  mich  —  wenigstens  für  meinen  vorläufigen  Zweck  —  um  so  vertrauensvoller 
stützen  zu  dürfen  glaube,  seitdem  auch  W.  Kroll's3)  unlängst  angestellte  Nachforschungen 
eine  mir  verschlossen  gebliebene  Quelle  von  Bedeutung  nicht  zu  Tage  gefördert  haben. 
Es  erscheint  mir  zweckmässig,  die  bisher  zu  meiner  näheren  Kenntniss  gelangten  Codices 
zuerst  nach  ihrem  muthmaasslichen  Alter  aufzuführen.  Ins  zehnte  Jahrhundert  gehört 
M  =  Mutinensis4),  jetzt  Parisinus  suppl.  gr.  388,  dessen  genauere  Collation  ich  in  meinen 
'Lectiones'  veröffentlicht  habe  (M1  bezeichnet  einen  wenig  jüngeren,  übrigens  spärlich 
vertretenen,  M'2  einen  späteren,  weit  energischer  durchgreifenden,  lateinischen  Corrector 
und  Glossographen);  —  ins  elfte  Jahrh.  B  =  Baroccianus  50,  aus  welchem  Gaisford 
in  seinen  'Poetae  minores  graeci'  Mittheilungen  gemacht  hat  (ich  benutze  die  Leipziger 
Ausgabe  vom  J.  1823,  Bd.  III  p.  248  ff.);  —  ins  elfte  bis  zwölfte  Jahrh.  0  =  Parisinus 
suppl.  gr.  690,  von  H.  Rabe  für  mich  verglichen;  —  ins  dreizehnte  Jahrh.  L  =  Lau- 
rentianus  XXXll  1(5  fol.  319r  bis  320r,  mit  Vs.  211  schliessend,  und  1  =  derselbe  Codex 
fol.  320v  bis  32 lv,  aber  von  anderer  Hand  als  L,  beide  von  G.  Vitelli  für  mich  verglichen; 

1)  In  dem  zweiten  Jahresprogramm  der  hiesigen  Universität  verööentlichte  ich  1892  'Lectiones 
Pseudophocylideae'. 

2)  Meine  Citate  und  Zahlen  beziehen  sich  bei  dem  einen  auf  die  vierte  Auflage,  seiner  'Poetae 
lyrici'  '1882),  bei  dem  anderen  auf  den  ersten  Band  seiner  'Gesammelten  Abhandlungen'  (1885)  S.  192—261. 
Für  kleine  Abweichungen  trage  ich  natürlich  allein  die  Verantwortung. 

3)  Man  sehe  seinen  Aufsatz  im  Rhein.  Mus.  XLVII  457  ff. 

4)  Er  stammt  bekanntlich  ans  Verona,  nicht  aus  Modena:  s.  W.  Studemund,  Commentatio  de 
Theognideorum  memoria  libris  manu  scriptis  servata  (Breslauer  Vorlesungsverzeichniss  1889—90  B.  5, 
auf  dessen  gewichtiger  Autorität  auch  meine  Altersangabe  über  Y  beruht. 


3 

—  ins  dreizehnte  bis  vierzehnte  Jahrh.  Y  =  Vaticanus  gr.  915,  von  Hugo  Hinck  für 
Bergk  (der  ihn  Va  nennt)  verglichen;  desgleichen1)  F  und  f  (V3  und  V4  bei  Bergk) 
=  Vindobonensis  phil.  gr.  165  fol.  88v  89r  (Vs.  1—86,  nachher  durchstrichen)  und 
fol.  102r  102y  (Vs.  1  —  132),  beide  von  J.  Jüthner  für  mich  verglichen;  —  in  den  Anfang 
des  vierzehnten  Jahrh.  V  (VI  bei  Bergk)  =  Vindobonensis  phil.  gr.  321  und  ver- 
muthlich  auch  P  =  Parisinus  gr.  1630  (von  P2.  einer  etwas  jüngeren  Hand,  vollständig 
durchcorrigirt),  beide  von  mir  in  Königsberg  verglichen;  —  ins  vierzehnte  Jahrh. 
H  =  Heidelbergensis  Palat.  gr.  43,  über  den  meine  'Lectiones'  Bericht  erstatten,  und 
X  =  Vindobonensis  phil.  gr.  169,  eine  alphabetisch  geordnete  Gnomensamrnlung2),  in  die 
ausser  anderen  Dichterstellen  79  Phokylideische  Verse  eingestreut  sind,  ebenso  wie  der 
folgende  Codex  von  mir  in  Königsberg  verglichen;  —  ins  fünfzehnte  Jahrh.  W  (V2  bei 
Bergk)  =  Vindobonensis3)  phil.  gr.  331;  A1  =  Ambrosianus  p.  sup.  H  22  und  A2  =  Am- 
brosianus p.  sup.  D  15,  beide  nebst  den  drei  folgenden  von  W.  Studemund  für  Bergk  ver- 
glichen oder  excerpirt;  —  ins  fünfzehnte  bis  sechzehnte  Jahrh.  Ma  =  Mutinensis  II 
D  15  und  Mb  =  Mutinensis  II  B  7;  —  ins  sechzehnte  Jahrh.  A3  =  Ambrosianus  p.  sup. 
B  52;  —  ins  Ende  des  sechzehnten  Jahrh.  J  =  Jannianus  (aus  Joannina  in  Epirus), 
von  seinem  Besitzer,  N.  G.  Dossios  in  Jassy,  oeschrieben  (Philol.  LVI  616  ff).  In  welche 
Zeit  T  =  Taurinensis  B  VI  15  (s.  Peyron,  Notitia  libr.  Valperg.  Cal.  p.  83)  zu  setzen  ist, 
weiss  ich  nicht.  Mancherlei  Lesarten  'e  Regiis  codicibus'  (=  R)  erwähnt  Brunck  in  seinen 
'Gnomici  poetae  graeci'  (Strassburg  1784),  ohne  diese  Codices  näher  zu  bezeichnen  oder 
gehörig  auseinanderzuhalten:  es  ist  daher  auch  nicht  gut  möglich,  rechten  Gebrauch  davon 
zu  machen.  Weiterhin  werde  ich,  wo  eine  strengere  Scheidung  unnöthig  ist,  alle  die  ge- 
nannten Handschriften  oder  die  wichtigeren  unter  ihnen  mit  der  Note  Q  zusammenfassen 
im  Gegensatze  zu  lF,  der  Sibyllinenquelle  unseres  Lehrgedichtes. 

3.  Werthvollen  Aufschluss  über  die  Verwandtschaftsverhältnisse  unter  den 
älteren  Exemplaren  dieser  Handschriften  hat  bereits  W.  Kroll  (a.  a.  0.)  gegeben.  M  und 
B  gehen  zwar  recht  oft  getrennte  Wege  (z.  B.  1  boirpi  M,  öaioiai  B.  5  oaiwv  M, 
ooipcov  B.  9  VE/.IEIV  M,  vs^tiüv  B.  13  iv  icaoi  qivläaaeiv  M,  eni  uäai  (ptlaooe  B.  36  aAe- 
yslvai  M,  a)Jeive  B.  51  xaxejg  M,  v.a/.oig  B.  54  öcvarog  M,  öwctTog  d'  B.  69"  i/cSQßaaiai 
akeyeivai  M,  vueqßaaiiqv  d'  aXieive  B.  89  a/iourj  M,  av.olaai  B.  107  yaq  M,  f.dv  B.  134  xaxott; 
M,  aicoig  B),    müssen    aber    nichts    desto   weniger    wohl    beide    der    nämlichen  Quelle  ent- 


1)  Die  Zeitangabe  verdanke  ich  der  Gefälligkeit  0.  Wessely's;  er  versichert  mich,  dass  F  von 
derselben  Hand  wie  f  herrühre.    Ihre  Archetypa  müssen  verschieden  gewesen  sein. 

2)  Sie  beginnt  mit  fol.  157r  und  führt  den  Titel  itafsxßoXal  ix  iüiv  tiou^ixüv  ßißk'cov  tig  Y(!'"l'ir 
'-,i  i  n'/.ovaat,  xara  tsioiytlov  naQsxßXri&slaai,  Excerpirt  sind  folgende  Dichter:  Phokylides  (der  stets  den  Reigen 
beginnt),  Pythagoras,  Euripides,  Sophokles,  Aristophanes,  Aeschylos,  Hesiodos,  Theokrit,  Oppian,  Pindar 
und  Homer  (Odyssee,  Ilias):  es  fehlt  also,  um  nur  das  auffälligste-Beispiel  zu  erwähnen,  Theognis.  Jene 
Dichterfolge  wird,  soviel  ich  aus  den  von  mir  entnommenen  Proben  ersehe,  häufiger  gestört  als  die  ur- 
sprüngliche Versfolge,  so  dass  z.  B.  unter  A  aus  Phokylides  die  Verse  24.  71.  131.  136.  138,  unter  M  die 
Verse  3.  10.  12.  19.  21.  53.  55.  57.  77.  79.  83.  86.  100.  175.  180.  211  richtig  nach  einander  stehen.  Über 
den  interessanten  Codex  s.  A.  Nauck's  Vorrede  zum   Lex.  Vindob.'  p.  VIII  f. 

3)  In  einem  anderen  Wiener  Codex,  phil.  gr.  153,  folgen  nach  der  Überschrift  (PancvUISov  noitjfta 
nur  die  zwei  ersten  Verse  (1  Sixi,*  öaü;ai,  2  yxuxviülufys);  sonst  ist  das  Blatt  leer.  Darnach  kommen  die 
Orphischen  Argonautika.     Vgl.  Bergk  p.  80  über  Ma. 

I* 


Sprüngen  sein,  weil  sie  in  vielen  wichtigen  Stücken  einstimmig  sind;  aus  der  Beschaffen- 
heit gewisser  von  M2  vorgenommener  Correcturen1)  lässt  sich  sogar  der  Scillase  ziehen, 
dass  diese  Einigkeit  ehemals  grösser  war  als  heute  (94  bliyoig  M,  doch  Xlyo  ir.  M2; 
by/.otg  B.  107  /.aueiTa  ******  ?tqhg  aitijv  pc.  M2;  xörtew«  de  v.ui  rtvqog  ctvyfjv  13;  sicher 
hatte  M  ursprünglich  ebenfalls  avyrjv,  sehr  wahrscheinlich  auch  de  Aal  nv.  119  lv  ir.  M2; 
elg  B.  136  fpojgiov  M,  das  zweite  w  ir.  M2;  cpwqov  B.  141  oiuox'  akvtrf,  ir.  M2;  oiVroi' 
f.Myiijg  B.  150  /iöi//>]  M,  p  schaltete  M2  ein;  /.taiprjt  B).  Ein  noch  viel  enger  verbundenes 
Paar  für  sich  bilden  zweifellos  0  und  P  (vgl.  die  gemeinsamen  Fehler  102  avalvepev  iatlv 
dvd-Qütrtots  st.  üvaXiHier  aviloonroio,  111  öw/.iäiiov  st.  döfuav,  158  dedärjTo  st.  dedarpxe  und  die 
von  Kroll  angeführten  Beweisstellen):  indessen  ob  P  direct  aus  0  abgeschrieben  ist,  kann 
nicht  mehr  sicher  entschieden  werden,  weil  P2  (d.  h.  nach  meinem  Dafürhalten  fast  immer 
eine  spätere,  nicht  die  erste  Hand)  die  ganze  Niederschrift  nach  einer  anderen  Vorlage 
durchcorrigirt  hat2),  und  zwar  so  geschickt  und  gründlich,  dass  häufig  nur  ein  scharfes 
Auge  von  der  behutsam  ausgeführten  nachträglichen  Veränderung  überhaupt  noch  etwas 
merkt,  von  der  ersten  Lesart  jedoch  oft  genug  nicht  die  leiseste  Spur  mehr  wahrnimmt. 
Dass  der  Corrector  P2  vielfach  mit  MB  gehe,  soll  nicht  bestritten  werden:  noch  näher 
berührt  er  sich  jedoch  mit  H  (beide  geben  52  ev&vvat,  57  oqytjv,  69  das  seltsame  ae  msiv, 
78  das  gute  bveiaq,  88  xiyyrpi,  107  das  unmögliche  v.ai  7cävveg  7iqbg  alvrtv,  132  utitov, 
133  arcOTQOrtäaö&ai,  142  syßqov  Tvytuv,  157  ßiönov  <peiyoig,  161  i&elotg,  168  alel  v.ai, 
185  firtdi  oder  /xij  de  xig  r\,  192  axä^ezTov,  201  diteoilai.  /.ttv  xaxa  or/.or,  208  ia/.qivizio, 
212  £v£or/.e  y.6/.iai,  226  nqog,  228  ayvelai  und  Anderes),  so  dass  P2H  eine  Art  Bindeglied 
zwischen  den  Gruppen  MB  und  OP  darstellen.  Zu  der  letzteren  gesellt  sich  ausserdem 
noch  das  lückenhafte  Fragment  F  (mit  der  von  Bergk  zu  Vs.  3  erwähnten  Umstellung, 
ferner  24  ol'xovg,  21  bfibg  st.  b  ßiog,  50  cmXocg,  51  \]v,  55  rqvxe,  60  irkeoi'e^),  während  f 
mehr  zu  der  ersteren  hinneigt  (mit  51  all\  111  f.isv  aqüqa  st.  (.ttlaSqa,  132  avdqa  aöey.xov), 
hin  und  wieder  jedoch  (besonders  87)  Eigenthümlichkeiten  aufweist,  die  ausserhalb  der 
sonstigen  mir  bekannten  Tradition  stehen.  In  eine  neue  Phase  tritt  das  Textbild  durch 
den  Codex  L.  Leider  ist  hier  wiederum  der  ursprüngliche  Wortlaut  arg  verdunkelt,  theils 
durch  die  von  dem  ersten  Schreiber  selbst  nachträglich  vorgenommenen  Änderungen  (L1), 
theils  durch  die  Menge  späterer,  von  anderer  Hand  (L2)  eingesetzter.  Die  uncorrigirteu 
Stellen  der  Abschrift  (L)  tragen  mancherlei  Sonderbares  zur  Schau  (8  Öeolg,  17  anyki 
Ueqonwv  üeig,  28.  29  zwischen  25.  26  gestellt,  31  äfKpißaXetg  ov,  41  eyoi,  42  cptloyqrjiiaiiij, 
65  ia&Xiüf  ayaltuf  <pallov  d'  b  novrjqt'n*,  69  fthqw  7Cielv  (.itxqio  de  cpayeir,  176  uq'  heylrtjg 
u.  s.  w.):  dennoch  dürfte  Kroll  richtig  als  ihre  Grundlage  eine  der  Recension  O  nahe 
verwandte  Urkunde  ermittelt  habeu  (vgl.  z.  B.  9  Uxwv,  16  äyvoia  /</,')'.  24  ol'xovg, 
48  xei&iov,  51  jjV,  61  el/.ei,  66  fiey  b(pt?2ei,  7S  iüfilog,  namentlich  90  Oi'.Vtoie  yaq  v.)Joia\ 
100  ytxiuv  st.  (p&titevu»).  Die  Correcturen  L1  und  L2  scheinen  aus  verschiedenen 
Kxemplaren  zusammengeflossen    zu    sein;    mitunter    entsprangen    sie    sogar    einer  und  der 

1)  Meine  Abkürzungen  sind  dieselben  wie  in  meiner  Homerausgabe  und  sonst:  ae.  =  ante 
correcturam,  pc.  es  post  correcturam,  im.  =  in  margine,  it.  =  in  textu,  ir.  es  in  rasura,  ss.  =  supra  scrip- 
tum,';'»' =  yi/äiff-ifii,   *  =  una  littera  erasa,  u.  8.  \v. 

2)  Die  Angaben,  dass  Vs.  139  in  O  fehle,  in  P  von  P2  am  Rande  nachgetragen  sei,  beruhen 
beide  auf  Irrthum;  ebenso  wenig  ist  es  zutreffend,  dass  O  in  Vs.  LS  ßtim*  hat. 


anderen  eigenen  Vermnthung  irgend  Jemandes,  wie  die  zu  157  all'  tx7co  twv  lölcov  öiäyoig 
ßiöxiov  avußgiazwg  gehörige  Randnotiz  ol^iai  „ßiörcov  cpareig  [cfüyetg  1,  tpevyeig  H]  ävißgtarog 
sicher  beweist.  Mit  L1  und  L2  hängt  1  eng  zusammen  (122  zgvcpcov  L,  cfiov  ss.  L1;  ifqvtjtmv 
so  1.  126  zeXeoioi  L1  im.,  1.  133  LJcoTguvtüo&ai  L,  7täaoliov  ss.  L2;  a7toTg07taao&ov  1.  152  "g^rjg 
L,  qs  ss.  L1;  gi^rjgl.  108  om.  Lit.,  add.  L1  im. ;  y.oigr)  (.iiyeti]  L'l.  202  7cavaygiovg  L;  xavaygaiovg 
L1  ss.,  1  it.!  203  ye  avvaif.ioaovl^;  -atv  L1  pc,  1).  Unter  dem  nicht  ungefährlichen  Einflüsse 
dieses  Doppelgängers  im  Laurentianus  ist  J  zu  Stande  gebracht  worden  (63  i7isgxs6/.t£rog  L, 
-%Lf.tevog  1  J.  67  orpelXei  1J.  68  ayavöcpgwv  LI;  aggevUpgiov  L2  ss .  J.  132  avöga  und  Lücke 
L,  ätiTov  add.  L2;  avöga  azixov  1  it.,  J).  Aus  Y  hat  Bergk  den  Text  um  zwei  Verse 
(31.  37)  bereichert,  die  bisher  in  keinem  anderen  Exemplare  von  £2  gefunden  wurden; 
auch  sonst  wimmelt  Y  von  eigenthümlichen  Lesarten  (52  e'i'övrov,  56  yg'  axz/izov,  57  yg 
7cgorcaTrjarig,  61  zgyet' ,  66  yg  noitcaag,  80  Vgdovia,  82  ßgadcvoboaig  dovleiaig,  85  aviovgös, 
86  tpioxag,  111  /.oiw  jusY  /,t£Xa$gä  re  ölfiiov  öi]  u  s.  w.):  das  Ganze  trägt  jedoch  deutlich 
den  Charakter  eines  Gemisches  von  alten  und  jungen  Elementen  mit  zahlreichen  individu- 
ellen Einfällen  ohne  zuverlässige  urkundliche  Gewähr.  Ähnliches  gilt  mehr  oder  weniger 
von  allen  Handschriften,  die  noch  übrig  sind,  mit  einziger  Ausnahme  von  V.  Schroffer  als 
zwischen  L1L21Y  nebst  ihrem  sonstigen  Anhange  einerseits  und  diesem  Vindobonensis  V 
anderseits  ist  glücklicherweise  der  Contrast  nicht  mehr  zum  Ausdruck  gekommen:  dort, 
wie  sich  zeigen  wird,  tiefes  Versinken  ins  Abenteuerliche  durch  uferlos  überströmende 
subjective  "Willkür,  hier  sichtbarlicher  Aufschwung  zum  Ursprünglicheren  durch  glück- 
liches Zurückgreifen  auf  die  relativ  unverdorbenste  Überlieferung.  Leider  wollte  es 
das  Schicksal,  dass  V  bis  ins  neunzehnte  Jahrh.  hinein  im  Verborgenen  blieb,  bis  dahin 
also  auch  die  Herrschaft  der  viel  breiter  entwickelten  anderen  Tradition  sich  ungeschwächt 
behauptete.  Erst  Bergk  schaffte  hierin  Wandel,  doch  auch  er  nicht  mit  der  nöthigen 
Energie  und  Ausdauer. 

4.  Da  die  Vertreter  von  £2,  d.  h.  die  der  geschriebenen  Vulgata,  vielfach  weit 
auseinandergehen,  also  ein  recht  schwankendes  Bild  ergeben,  so  habe  ich  ihnen  den  festeren 
Complex  co  an  die  Seite  gestellt,  worunter  ich  die  gedruckte  Vulgata  ungefähr  bis  zum 
Beginne  des  neunzehnten  Jahrh.  verstehe.  Verglichen  oder  wenigstens  durchgesehen  habe  ich 
namentlich  folgende  Ausgaben1):  a  =  Aldi  Manucii  1495;  b  =  Aldi  Manutii  1497  (mit  lateini- 
scher Interlinearversion);  d  =  Ioannis  Frobenii  1521;  v  =  Viti  Amerbachii  1539;  c  =  Io- 
achimi  Camerarii  1555;  n  =  Michaelis  Neandri  1559;  j  =  Iacobi  Hertelii  cum  interpre- 
tatione  et  scholiis  Eliae  Vineti  1561;  i  =  Hieronymi  Osii  1562;  s  =  Henrici  Stephani 
1566;  y  =  Friderici  Sylburgii  1597;  k  =  Henrici  Bonick  1710;  t  —  Johann  Adam  Schier 
1751;  h  =  Rieh.  Franc.  Phil.  Brunck  1784;  g  =  Thomae  Gaisford  1823.  Ausnahmslos 
lassen  sie  alle  das  eigentliche  Lehrgedicht  erst  mit  dem  dritten  Verse  beginnen;  doch 
schickt  die  Mehrzahl  (abdvnjkt)  jene  sechs  iambischen  aziyoi  sig  zov  OiovLilidrp  voraus, 
die  Bergk  p.  79  mitgetheilt  hat  und  die  handschriftlich  bisher  nur  aus  A1  und  A2  nach- 
gewiesen worden  sind.  So  machen  die  Ambrosiani  AXA2  den  Übergang  zur  gedruckten 
Vulgata  u),  und  alle  Wahrscheinlichkeit    spricht    dafür,    dass    die   sechs  Trimeter    aus    der 


1)  Ein  sehr  reichhaltiges  Verzeichniss  der  Ausgaben  von  1494  bis  1733  mit  biographischen  Nach- 
richten über  die  Herausgeber  bietet  Schier  (t)  p.  13—32.     Vennisst  habe  ich  bei  ihm  beisy. 


6 

Officin  oder  nächsten  Umgebung  des  ersten  italienischen  Herausgebers  hervorgingen.  Nach 
ihnen  folgen  unter  dem  neuen  Titel1)  elg  cöv  aizbv  i'vsQot.  (ebenfalls  wie  in  A1  A2)  die  zwei 
Hexameter*2),  mit  denen  jetzt  das  Spruchbuch  zu  beginnen  pflegt  (in  o>  übrigens  mit  der 
ständigen  Variante  öixgg  oolyoi,  'iustitiis  sanctis',  wie  b  übersetzt,  'veneranda  iusticia'  j), 
und  sodann  über  den  Versen  3ff.  die  dritte  Aufschrift  <Dioy.vliöou  noit\^a  vovöetiY.i  > 
Ausser  dem  Namen  des  angeblichen  Dichters  und  den  beiden  Hexametern  geht  meines 
Wissens  nichts  von  alledem  auf  ältere  handschriftliche  Tradition  zurück,  auch  nicht  die 
beliebte  (übrigens  keinesweges  ganz  unpassende)  Bezeichnung  als  'Mahngedicht',  die  ich 
nirgends,  Bergk  nur  in  seinen  jüngsten  Hss.  fand  (;colrtua  vovd-eTi-Mv  A'A3,  bloss  7colriua 
Mn  und  Vind.  153).  Sie  ist  dieselbe  geblieben  in  cisyhg,  wo  der  Text  ohne  die  zwei 
Hexameter  beginnt.  Natürlich  begegnen,  auch  abgesehen  von  den  Einleitungsversen,  noch 
mancherlei  Verschiedenheiten  in  co.  Die  einschneidendsten  entsprangen  offenbar  pädago- 
gischen Bedenken,  als  der  falsche  Phokylides  nebst  anderen  Gnoniikern,  die  im  Jugend- 
unterrichte zugelassen  wurden,  sich  der  modernen  Schulmoral  anbequemen  musste3).  Da 
erregte  denn  gleich  das  erste  Gebot  /.tr'jie  yccftoxlonieiv  /j^t'  aqaeva  Kv/cqiv  öglveiv  be- 
greifliches Ärgerniss,  und  cnjikt  beeilten  sieb,  das  schlimmste  Wort  in  iaelyea  Kvrcgtv 
abzuschwächen.  Solche  puristische  Hausmittel  brachten  sie  gegen  ähnliche  Anstössigkeiten 
wiederholt  zur  Anwenduug  (die  Verbote  naturwidriger  Unzucht  187.  190.  191.  214  wurden 
einfach  weggestrichen,  in  cjik  auch  das  Verbot  der  Castration  186).  Im  Ganzen  jedoch 
halten  die  genannten  Vertreter  von  w  bedeutend  enger  zusammen  als  die  von  Q;  und  da 
trotz  alledem  ß  und  w  in  der  Regel  mit  einander  harmoniren,  so  werden  sie  vereint 
sicherlich  keinen  ungeeigneten  Maassstab  abgeben,  um  mit  seiner  Hilfe  den  Werth  von  U1 
zu  bestimmen.  Ich  schicke  voraus,  dass  o>  keinesfalls  aus  einer  bestimmten  einzelnen  Hs. 
herstammt:  am  deutlichsten  tritt  die  Verwandtschaft  mit  L(L1L2)1HTW  hervor4);  doch 
mangelt  es  nicht  an  ganz  eigentümlichen  Lesarten,  die  sich  allerdings  meist  als  moderne 
Besserungsversuche,  bei  denen  zuweilen  *P  mitgewirkt  hat,  leicht  zu  erkennen  geben.  Auf 
Einzelnes  noch  besonders  aufmerksam  zu  machen,  werde  ich  später  Gelegenheit  finden. 

5.  Es  sollte  wohl  eigentlich  längst  als  selbstverständlich  betrachtet  werden,  muss 
aber  doch  ausdrücklich  zur  Sprache  kommen,  dass  von  dem  Vorwurfe  der  Interpolation 
kein  einziges  Exemplar  weder  von  ß  noch  von  w  frei  gesprochen  werden  kann.  Eben 
deswegen  eignet  sich  auch  die  beliebte  zusammenfassende  Formel  'Codices  interpolati'  hier 
absolut  nicht  zum  Theiltitel,  weil  ihnen  gar  keine  gegenüberstehen,  die  auch  nur  an- 
nähernd des  Titels  'Codices  non  interpolati'  würdig  wären^).     Die  Grade  der  lnterpolatoren- 

1)  Beide  Titel  hat  A1,  während  A2  abweicht:   s.  Bergk. 

2)  Wie  eine  Art  vnöfrsou  sind  sie  auch  in  der  Hs.  f  von  dem  Texte  abgesondert  (die  Überschrift 
[<I>u»tv]Mt3ovs  yrm/uu  steht  tiefer  am  Runde),  desgleichen  in  den  Drucken  dvjkt.  In  FWA'Jcisyhg  fehlen 
sie  ganz  im  Texte. 

3)  Als  Schulbuch  bezeichnet  Joachim  Camerarius  (vermuthlich  der  intellectuelle  Urheber  dieser 
pädagogischen  Maassregel)  seine  Sammlung  ausdrücklich  schon  auf  dem  Titelblatte:  Xibellns  scolasticus 
utilis  et  valde  bonus'.    Ihm  folgten  andere  Pädagogen,  zum  Theil  sclavisch. 

4)  Das  seltsame,  durch  schlechte  Aussprache  bewirkte  aviißaSw  190  st.  owtvaSn  kenne  ich  nur 
aus  Tabds.     Es  ist  für  T  charakteristisch. 

5)  Bei  meiner  Besprechung  der  'Oracula  Sibyllina  bearbeitet  von  Joh.  Geffcken'  in  der  Berl.  philol. 
\\  ochenschrift  1903  S.  359  habe  ich  dies  bereits  kurz  angedeutet,  weil  es  dem  Herausgeber  entgangen  war. 


7       __ 

thätigkeit  sind  freilich  sehr  verschieden:  mit  einzelnen  Buchstaben  anhebend,  steigen  die 
von  fremder  "Willkür  verschuldeten  Änderungen  und  Einschaltungen  nicht  selten  bis  zu 
ganzen  Wörtern,  ja  sogar  bis  zu  vollständigen  Versen  an.  Als  weitaus  am  ärgsten 
verunstaltet  erscheint  zur  Zeit  jedenfalls  die  schon  erwähnte  Sibyllinengruppe  lF  (S  bei 
Bergk),  welche  die  aus  unserer  Gnomendichtung  (5—79)  ziemlich  wortgetreu  in  das  zweite 
Sibyllinenbuch  (56— 148)  verpflanzte  Verspartie  hauptsächlich  um  folgende  zweiundzwanzig 
neue1)  Hexameter  vermehrt  hat:  7a  (59  in  lF)  /.iijde  juartp  udioka  aißov  zbv  c5'  aq&ixov 
ortet  — .  17*  (70)  e£  ädi/jov  k'gycov  dwgov  ysigl  [%egi  Opsopoeus,  Alexandre,  Rzach,  Geffcken] 
firjrcOTe  dety  — .  18"  (72)  elg  [ig  Ezach]  ysvsag  ysveav,  [dia  add.  Alexandre,  ig  Rzach,  slg 
Geffcken]  07.og7c10-1.1dv  ßioroio.  18b  (73)  /.u'jt  [/.iij  Alexandre,  Rzach,  Geffcken]  agosvo/.oiTEiv, 
1-tij  ouxorpavzeiv  fitjTS  rpovei'eiv  — .  20a  (76)  OQCpavixolg,  yrjgaig  [r'  a^-  Rzach]  iniÖeofib/Oig 
\_-dsvofievoig  Alexandre,  Rzach,  Geffcken]  de  \xe  Alexandre,  Rzach]  7iagäoyov  — .  23a  (80) 
og  d'  tXsrj/.to(Tivr}v  7cageysi,  9eui  olde  daveiCeiv.  23''  (81)  g'vSTai  ex  Savüiov  eXsog,  v.gioig  onnox 
av  eX9y.  23c  (82)  ob  »voi^v,  'eXsog  de  »üet  &edg  avii  »vai-qg.  23d  (83)  evdvoov  oiv  [ovv  del. 
Alexandre,  Rzach,  Geffcken]  yvftvov,  /.lerädog  neirwvx1  agriov  d&v  — .  30"  (91)  fit}  ttote  [d' 
add.  RzachJ  artige*  nivrpa  tddiv  oxäxftgs  ineeaaiv,  30b  (92)  (.nqde  x«xwg  ye  7cgoaegjtrjg  [-eirtgg 
Alexandre,  Rzach,  stillschweigend  auch  Geffcken]  iuüutjtÖv  tivcc  cpüra.  30°  (93)  tb  C-rjv  iv 
&avaicp  do/uftäteictf  eX  rig  ijcgn'iev  30'1  (94)  exrouov  ij  tiixawv,  diay.glverai  elg  [ig  Rzach] 
Agiaiv  eXdior.  30°  (95)  /.i^ds  cpgivag  ßlänteiv  oXrq>  urtde  niveiv  auexga  [/<>)(?'  auerga  n. 
Alexandre,  Geffcken;  ,ujjd"  e/.uerga  7t.  Jacobs,  Boissonade,  Rzach].  30f  (96)  alua  de  urj 
rpayesu;  eldioXoO-i-Tcov  d'  ani/ead-ai  — .  40a  (106)  (ig  ieroi  äXXrjliov  ^Eivog  de  ye  [toi  Rzach, 
%e  Geffcken]  ovzig  iv  f)/.ilv  [v[üv  Alexandre,  Rzach,  Geffcken]  40b  (107)  Zöget',  i/cei  naviEg 
ßgozoi  a'if.iaTog  r£  evlg  iois  — .  41a  (109)  urjtie  &elrjQ  [&eXiqg  L,  &eXeig  FR,  9tXoig  Alexandre  und 
Rzach]  nXovieiv  firjti'  svyov  [so  LR;  Eiiyso  F,  Rzach,  Geffcken],  äXXä  Toti'  evyov  41b  (110)  tjjv 
änb  tvjv  oXlycov  [irßiv  te  eyovTa  atirtov  [atiiy.ov  de  te  itrjtiiv  eyorTu  Alexandre,  atii/.cv  7reg 
urjtiiv  e.  Rzach]  — .  42a  (112)  /u)  Ttöd-og  slg  [ig  Rzach]  ygvabv  fj  elg  [ig  Rzach]  agyvgov  iv 
d'  aga  tuxi  tolg  42b  (113)  eogetcu  a^yijxijg  9vuo(p96gog  er9a  [eiro?  Rzach]  oitirjgog  — . 
47a  (119)  fiiqdi  tioXovg  fiämEir,  /.irj  7tgog  cplXov  foog  bnXi'QEiv.  Die  einzelnen  Hss.  der  Gruppe 
V  weichen  innerhalb  dieses  Versgebietes  nur  wenig  von  einander  ab  is.  109):  um  so  eifriger 
sind,  wie  man  aus  meinen  Einschaltungen  ersieht,  die  Sibyllinenkritiker  unserer  Zeit 
bemüht  gewesen,  diese  vollendete  Stümperei  etwas  aufzubessern.  Niemand  wird  leugnen, 
dass  eine  und  die  andere  der  vorgeschlagenen  Verbesserungen  in  der  That  Überzeugungs- 
kraft genug  besitzt,  um  sich  jedem  Stilkundigen  ohne  weiteres  von  selbst  aufzudrängen: 
hieraus  folgt  aber  noch  lange  nicht,  dass  wir  überhaupt  ein  Recht  haben,  derartige  Mach- 
werke in  die  üblichen  Regeln  kunstmässiger  Epik  einzuzwängen  und  sie  auch  mit  solchen 
Correcturen  zu  behelligen,  die,  sollen  sie  nicht  vollends  in  grobe  Willkür  ausarten,  not- 
wendigerweise immer  auf  halbem  Wege  stehen  bleiben  müssen.  Wer  das  Endergebniss 
dieser  Bemühungen  unbefangen  betrachtet,  der  kann  sich  unmöglich  verhehlen,  dass  es 
ein  recht  trübseliges  ist  und  dass  alle  Schönheitspflästerchen  in  diesem  Falle  so  gut  wie 
nichts  genützt  haben,  offenbar  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  die  schlimmsten  Schäden 
sicherlich  nicht  von  der  Nachlässigkeit  der  Abschreiber   herrühren,    sondern  von  der  Un- 


1)  Nur  der  letzte  stimmt  zur  Hälfte  mit  Phok.  1  fn]zi  Sohn*  imnxtiv  inj/)-'  cä/unt  /t'ifta  fualvtiv  überein. 


8 

wissenheit  des  Verfassers  selbst,  dem  es  an  gesundem,  durch  gehörige  Kenntnisse  ge- 
schärftem Gefühle  für  correcte  Verstechnik  in  hohem  Maasse  gebrach.  Seine  Sünden  zu 
versohleiern  steht  der  moderneu  Textkritik  schwerlich  zu;  denn  ihre  Aufgabe  ist  es  nicht, 
aus  einem  schlechten  Poeten  einen  guten  zu  machen.  Man  versuche  nur  einmal,  z.  B. 
diu  Zeilen  72.  73.  82.  83.  92.  95.  110.  112  metrisch  und  sprachlich  so  zurechtzustutzen,  dam 
sie  leidliche  Hexameter  Phokylideischer  Art  abgeben  und  zugleich  den  Eindruck  ur- 
sprünglicher Echtheit  hinterlassen,  und  man  wird  sich  bald  von  der  völligen  Aussichts- 
losigkeit seiner  Liebesmühe  überzeugen.  Einem  Autor,  der  solche  Ungethüme,  wie  die 
citirten,  für  richtige  Verse  ausgiebt,  ist  unsererseits  nicht  zu  helfen,  wenigstens  nicht  mit 
den  bescheidenen  Mitteln,  welche  die  allernothwendigste  Besonnenheit  dem  gewissenhaften 
Textkritiker  zugesteht. 

6.  Ist  aber  die  Einsicht  erst  so  weit  gediehen,  dann  treten  auch  die  Unterschiede 
zwischen  der  gewöhnlichen  Phokylides-Überlieferung  fiw  und  jener  Sibyl- 
linentr adition  *P  in  das  wünschenswerthe  klare  Licht,  um  alle  oben  ausgeschriebenen 
zweiundzwanzig  Verse  als  grobe  Interpolationen  des  Phokylideischen  Eigenthums  zu 
brandmarken,  mit  denen  das  echte  Spruchgedicht  niemals  etwas  zu  schaffen  gehabt  hat. 
Darauf  scheinen  freilich  schon  einige  äussere  Umstände  mit  bezeichnender  Schärfe  hinzu- 
deuten. Die  handschriftliche  Tradition  des  zweiten  Sibyllinenbuches  spaltet  sich  in  O  und 
7':  nur  '•[''  hat  die  grosse  Reihe  Phokylideischer  Sprüche  nahezu  wörtlich  übernommen  und 
mit  einer  Anzahl  neuer  durchsetzt;  <D  bringt  von  alledem  nicht  das  Geringste.  Kein  ein- 
ziges Mitglied  von  'F  ist  älter  als  das  fünfzehnte  Jahrh.1),  während  die  Phokylides-Hand- 
schriften  Q  Ins  ins  zehnte  Jahrh.  hinaufreichen:  nicht  hier,  sondern  dort  allein,  also  spät 
erst  tauchen  die  entwendeten  Verse  in  ihrer  Gesamtheit  auf.  Immerhin  erhöbt  es  den 
Wertk  dieser  gewöhnlich  vorgebrachten  (nicht  ganz  untrüglichen)  äusseren  Gründe  be- 
deutend, dass  die  inneren  vollkommen  dasselbe,  nämlich  ein  dem  Ansehen  der  Sibyllinen- 
quelle  fP  nicht  eben  günstiges  Resultat  ergeben.  Wenn  unser  sogenanntes  Phokylideisches 
Mahngedicht  auch  gewiss  kein  sonderliches  Muster  von  poetischer  Schöpfungskraft  und 
technischer  Geschicklichkeit  darstellt,  so  steht  es  doch  immer  noch  so  hoch2)  über  jener  ge- 
samten Stümperei  von  '['',  dass  selbst  das  ungeübteste  Auge  den  gewaltigen  Abstand  leicht 
zu  bemerken  vermag.  Eine  Kürze  als  Länge  (76.  82.  110.  112)  oder  eine  Länge  als  Kürze 
zu  gebrauchen  (70.  73.  83.  94.  95),  hat  der  Sibyllinische  Interpolator  sichtlich  ebenso  wenig 
für  unerlaubt  gehalten  wie  die  gröblichste  Vernachlässigung  der  strengeren  epischen 
Kunstregeln  in  Rücksicht  auf  Cäsuren  (72.  92)  und  Diäresen  (83.  110),  auf  Vocalver- 
sdileifungen  (73.  112)  und  Hiaten  (91.  10G.  110).  Er  merkte  schwerlich,  dnss  er  andere 
Wege  ging  als  seine  wohlgeschulten  Vorbilder;  er  merkte  auch  nicht,  wie  sehr  er  durch 
seine  rohe  Zügellosigkeit  in  der  Formgebung  die  Kluft  zwischen  seinen  eigenen  Producten 


li  Bei  diesem  Argumente  pflegt  die  in  §  1  mitgetheilte  Notiz  des  Suidas  übersehen  zu  werden. 
die  doch  unter  allen  Umstanden  eine  viel  iriihere  Entstchungszeit  der  Interpolation  bezeugt. 

2)  Uberschwängliches  Lob  sogar  ist  dein  Spruchgodicbte  gespendet  worden.  Kein  Geringerer 
als  Joseph  Justus  Scaliger  (Animadvers.  ad  Euseb.  MCCCCLXXX  p.  89  der  Leidener  Aasgabe  des 
'Thesaurus  temporum'  vom  J.  1G06)  hat  sich  zu  folgender  Äusserung  verstiegen:  'Neque  vero  puto  ullius 
Veteran  Carmen  extare,  quod  cum  poesi  huius  Phocylidis  (si  modo  ei  id  noinen  fuit)  aut  elegant ia  aut 
nitore  aut  eultu  verborum  conferri  possit.'    Vgl.  indessen  Bernays  S.  19b  £ 


9 

und  den  von  ihm  ausgebeuteten  Dichtungen  vergrößerte.  Nirgend  tritt  diese  naive,  mit  crasser 
Unbildung  gepaarte  Sorglosigkeit  schlagender  zu  Tage  als  da,  wo  er  in  seiner  grob  zu- 
greifenden Manier  einmal  den  Theognis  geplündert  hat.  Hier  nämlich  sah  er  sich  plötz- 
lich genöthigt,  einen  Pentameter  zu  einem  Hexameter  umzuformen.  Auf  welche  Weise  er 
dieses  nicht  gerade  schwierige  Kunststück  fertig  brachte,  ist  ebenso  ergötzlich  als  belehrend. 
Er  fand  bei  dem  Elegiker  (1155  f.)  das  Bekenntniss:  ohv.  ega^tai  nXovzslv  ovd'  Ev%Ofxai,  älXä 
fxoi  ei'rj  |  Ujv  ctrco  tiov  oXiycuv,  f.ti}div  e%ovii  xcmov  und  verfertigte  hieraus  flugs  den  Mahn- 
spruch (109  f.):  jurjd«  d'ilrjg  nXovxelv  f<?j<}'  ev%ov,  aXla  rod'  ev%ov  \  tr\v  mio  tiov  oXlywv  nrjötv 
zb  exovia  adi/iovl  Kann  es  ein  drastischeres  Zeugniss  geben  für  das  klägliche  Unver- 
mögen dieses  Interpolators,  der  in  sich  den  Drang  verspürte,  den  'Sibyllen'  ins  Handwerk 
zu  pfuschen,  dabei  aber  sich  nicht  mit  fremden  Federn  allein  schmücken,  sondern  auch 
sein  eigenes  Licht  leuchten  lassen  wollte?  "Wie  er  ahnungslos  die  Sibyllinischen  Weis- 
sagungen schädigte  durch  Einlage  der  fremdartigen  Sentenzenreihe,  genau  so  unüberlegt 
verdarb  er  diese  Sentenzenreihe  durch  allerlei  fremde  und  eigene  Zuthaten.  Weder  durch 
die  künstlerische  oder  sprachliche  Form  fühlte  er  sich  in  seinen  Fälschungen  beschränkt 
noch  durch  den  Inhalt  oder  Charakter  des  Phokylideischen  Sprachbuches.  Dass  dieses 
z.  B.  das  Verbot  des  Opferns  vor  Götzenbildern  und  des  Geniessens  der  eldioXö&via  nicht 
ausspricht,  auch  nicht  wohl  aussprechen  konnte,  bemerkt  Bernays  S.  224  sehr  richtig: 
nichts  desto  weniger  brachte  W  den  Zusatzvers  30f  (96)  hinein:  alfta  de  /.irj  (payesiv, 
üdiüXoitvTiov  d'  ct7cexeo&ai  (sicher  in  Erinnerung  an  Apostelgeschichte  XV  29  cwcixeoüat 
siö colo&vz wr  Kai  ai/.iazog).  Gegen  den  ähnlichen  Zusatz  von  7a  (59),  durch  den  die  Ver- 
bindung fxrjde  /.iÜt^v  el'dcoXa  oißov,  tov  d'  aq>3ito>'  alei  |  TtQÜta  üeov  xlfxa  entstanden  ist, 
erhebt  Bernays  S.  225  den  berechtigten  Vorwurf,  dass  'die  stilistisch  nun  unerträgliche 
Stellung  von  rcQiova  allzu  ungeschickt  das  Anhängsel  verräth'.  Ausdrücke  wie  el'dtoXa, 
eldioXööiTa  u.  s.  w.  kommen  selbstverständlich  in  der  echteren  Fassung  unseres  Mahn- 
gedichtes überhaupt  nicht  vor,  ebenso  wenig  das  in  der  Versnoth  gedankenlos  eingestreute 
Füllsel  ye  (30b.  40".  66  =  92.  106.  138),  der  distrahirte1)  Infinitiv  cpayesiv  (30f.  31)  und 
noch  Anderes  der  Art. 

7.  Nicht  minder  willkürlich  und  gewaltsam  wie  bei  seinen  Einlagen  eigener  Verse 
verfuhr  der  Interpolator  !F  im  Übrigen  mit  dem  geplünderten  Texte  des  Phokylideischen 
Gedichtes.  Eine  besonders  charakteristische  Probe  legte  er  143  f.  ab,  wo  er  sechs  Verse 
seiner  Vorlage  (70—75)  auf  zwei  reducirte.  Die  wahrscheinliche  Veranlassung,  warum  er 
dies  that,  deckt  Bernays  S.  224  auf:  den  Fälscher  störten  die  Olqavldai  (71)  und  /.idxaQEg 
(75)  seines  Originals,  weil  er  ein  Christ  war  und  allzu  heidnisch  schmeckende  Kost 
seinem  Kreise  nicht  gern  vorsetzen  mochte2).  Von  der  Richtigkeit  dieser  Erklärung  bin 
ich  meinerseits  vollständig  überzeugt;  denn  das  bewusste  Sibyllinenstück  trägt  in  der 
That,  trotz  seinen  meist  auf  anderem  Boden  erwachsenen  Mahnsprüchen,  durchweg  einen 
christlichen  Charakter3);    alles  dem  Widersprechende  wenigstens  verstand  sein  unredlicher 

1)  Phokylides  braucht  nur  Ttielv  69,  ivyelv  142,  tXfrtlv  103.  187,  neben  cLtifiev  22.  182 :  er  hätte 
also  auch  nur  zwischen  ipceytty  und  tpayipm  gewählt.  —  Die  Formen  ih'/.ti  23c  und  d-ih^  41"  sind  ihm 
fremd;  bei  ihm  lautet  das  Verbum  immer  i&iho  (21.  159.  160,  vgl.  16). 

2)  Aus  dem  Homerischen  «V  <tiyh\ivxoi  "OJkv/mov  N  243  machte  er  <hiu  ovgarov  aiybjfno-;  II  36. 

3)  II  45  uyrüi    ■/('<(>   Aoiotiis    tovtou  t«  St'xcua  ßQnßevei    xai  Soxlfiove    tttixfiBi.     Vgl.  noch  Bergk  p.  76. 

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Verfasser  mit  beinerkenswerthem  Geschick  fern  zu  halten.  Dies  hat  die  Mehrzahl  der 
neueren  Sibyllinenforscher  längst  anerkannt;  nur  über  die  Abgrenzung  des  fraglichen 
Stückes  gehen  die  Ansichten  noch  weit  auseinander.  Ich  schliesse  mich  denjenigen  Kritikern 
an,  welche  sich  für  IJ  15  —  153  entscheiden  zu  müssen  glaubten,  und  dehne  daher  denBegriff,  den 
ich  in  der  vorliegenden  Untersuchung  mit  der  problematischen  Grösse  ;/'  verbinde,  ani 
diese  ganze  Partie  aus,  in  einigen  wesentlichen  Punkten  hauptsächlich  den  verständigen 
Ausführungen  C.  Alexandre's  (hinter  seiner  Ausgabe  vom  J.  1869  8.  348)  folgend.  Sehr 
passend  erinnert  er  vor  Allem  an  die  dem  zweiten  Sibyllineubuche  vorausgehenden  pro- 
saischen Inhaltsangaben.  Summarisch  heisst  es  in  O  nur:  vieql  'EXXtjvcjv  xai  nun  freoi  neu 
iiegl  ayiwv  zat  7cegi  -/.giaecog,  doch  ausführlicher  in  f:  viaaviiog  xai  toi'i;  icolvi) tl av 
voaovvzag  iktyxei  [II  15 — 20,  vgl.  17  elödhov  CrtXov  ögavoei]  zovg  ze  ädi/.oig  v.ai  auag- 
ztolovg  [21 — 24,  vgl.  24  uiegtte  dixrjs  xgivovai  Ötfiioiag],  xai  avußovkevu  wg  avyyevijg1),  tot 
"vic  xai  uövov  aeßeiv  #eöv  [25 — 33,  vgl.  28  avöqwv  eraeßnov  aioiijQ,  31  o$ö"  eiatzi  ?.a- 
zgivoraa]'  etra  7cagoif.tid££i  %ifV  diHrioiv'*)  zuv  ayiwv  [34 — 148,  vgl.  39  i-iiyag  ydg  dyviv 
eiaeXaaztxog  eßtai,  42  nag  Xaög  hei  aitavüioiaiv  üiiyXoi*;  äi)/.i,ati  vltuqS)  46  'Jffia  fitigcvai 
öoiaei  ...  ziv  ayoiva  7eoioioiv\,  "Kai  zeXeuzalov  7cegi  zov  qigixzov  ßrtuazog  zov  oioz^gog 
ijucZv  (frtat  [149 — 155,  vgl.  152  o'i  ÖS  laßövieg  zö  aztqog),  Xtyoioa  zaöe,  d.  i.  'ebenso  weist 
sie  (die  Sibylle)  die  an  Vielgötterei  Krankenden  zurecht,  desgleichen  die  Ungerechten  und 
Sünder,  und  räth  wie  eine  ihm  Verwandte,  den  einen  und  alleinigen  Gott  zu  verehren; 
dann  stellt  sie  in  Sprüchen3)  das  Preisriugen  der  Heiligen  dar,  und  schliesslich  redet  sie 
von  dem  ehrfurchterweckenden  Richterstuhle  unseres  Erlösers,  indem  sie  Folgendes  spricht'. 
Dass  die  eingeschobene  Dichtung  II  15  — 153  wenigstens  in  den  drei  zu  H1  gehörigen  Hss. 
wirklich  nach  diesem  ausführlicheren  Programme  verläuft,  lehren  die  von  mir  in  Klammern 
beigefügten  Nachweise.     Nichts  Wesentliches    lässt    sich    von    der   bezeichneten  Versreilie 


H.  Dechent,  Über  das  1.,  2  und  11.  Buch  der  Sibyll.  Weiss.  S.  16  f.  Eine  evidente  Entlehnung  aus  dar 
Apostelgeschichte  ist  schon  oben  (,§  6  Ende)  erwähnt  worden.  Ebenso  ungenirt  schöpfte  der  christliche 
Sibyllist  aus  anderen  Büchern  des  Neuen  Testaments:  "Vs.  21  ff.  Matth.  XXIV  7;  Vs.  37  ff.  I  Kor.  IX  24; 
Vs.  39  Hebr.  XII  1;  Vs.  45  ff.  II  Tim.  IV  7  f.;  Vs.  47  Joh.  Apok.  II  10;  Vs.  48  I  Kor.  IX  25;  Vs.  73 
I  Kor.  VI  8,  I  Tim.  I  1U,  Luk.  III  14;  Vs.  81  Jak.  II  13;  Vs.  82  Matth.  IX  13  und  XII  7;  Vs.  150  Matth. 
VII  13.  Selbst  die  JiHn/t]  i<üv  Siädsxa  artoaxöXcov  scheint  er  benutzt  zu  haben:  Vs.  79f.  äiS.  I  6;  Vs.  96 
Jiä,  VI  .",.  Ich  entnehme  diese  Stellen  den  jüngsten  Sibyliinenaus-gaben.  Jeder,  der  die  betreffenden 
Stücke  nachliest,  wird  die  Überzeugung  gewinnen,  dass  sie  allein  schon  hinreichen  würden,  den  Verfasser 
von  II 15—153  als  Christ  zu  kennzeichnen.     Seine  Sprache  ist  überall  voll  von  neutestamentlichen  Anklängen. 

I)  svußaodsva  tut  avyyevtU  Hss.,  Alexandre  besserte. 

^)  "gh  II  37  roxi  y<tn  aiiifoi  ävftouiTimot  üti'iu  tot'  ovpavöfrey,  iväytivun>  äfrXtvovat  x»i  aräd,uinai , 
'den  Preis  des  Wetlkampfes  für  die  Kämpfenden  und  ihre  Ziele'.  Vielleicht  käme  hiermit  die  verdorbene 
Überlieferung  xai  to&ftai  wieder  zurecht.  Das  Leben  des  Frommen  ist  ein  steter  Kampf  mit  den  An« 
fechtungen  der  Sünde  und  fleischlichen  Begier:  lässt  er  sich  durch  sie  nicht  von  der  geraden  Richtschnur, 
die  einzig  und  allein  zum  Ziele  führt,  abwendig  machen,  dann  winkt  ihm  die  ewige  Himmelskrone  als 
Siegespreis.  Diesen  zum  Eintritt  in  das  Reich  Gottes  notwendigen  Wettkampf  [äyu*  foktotaAe  .-,,-  ,.;>.,., 
oifiviov  39f.)  hat  der  Verfasser  im  Sinne;  auf  ihn  deutet  er  wiederholt  so  nachdrücklich  hin,  als  wolle  er 
damit  auf  den  eigentlichen  Kernpunkt  seiner  Gesamtleistung  aufmerksam  machen;  eben  ihn  specialisiren 
die  eingeflochtenen  napHulm  (Sprüche),  um  in  der  Seele  des  Lesers  das  richtige  Bild  von  dem  Kampfe 
um  die  Seligkeit  zu  erwecken:  daher  denn  auch  schliesslich  das  emphatische  «It<k  äytif. 

3)  Aristot.  Rhet.  II  p.  1395*17  h>uu   ttör  itafoiutüp  xni  yvüual  tioir.     Eth    Xikom.   VI   p.   1113*  19 

"'".    ;""'",    •    .    ■    i,     toi        MMJMtfC    l'lu    KfftOH    Bpfrlf, 


11 

abdingen,  am  allerwenigsten  die  Phokylideisehe  Einlage  samt  ihren  Zutliaten.  Das  sehr 
beliebt  gewordene  Verfahren,  sie  allein  (II  56 — 148)  fortzustreichen,  ist  ein  Unding,  weil 
sich  dann  zwischen  55  y.oj'  0-e/.tig  avÖQconoig  ttjv  aXyeai  [I.  uiayeoi  mit  Herwerden,  vgl. 
139)  7cüoi  fiiairctv  und  149  oizog  äyo'iv,  T«iV  eatlv  äeitXia,  taira  ßgaßsla  eine  gähnende 
Kluft  aufthut,  die  durch  keinerlei  Interpretationskünste  überbrückt  werden  kann.  Dem 
demonstrativen  oviog  ayviv  muss  nothwendig  eine  nähere  Unterweisung  über  das 
Wesen  und  die  Natur  dieses  lebenslänglichen  Wettkampfes  vorangegangen  sein. 
Gerade  das  ist  der  Zweck,  den  das  Stück  II  56 — 148  erfüllt  mit  seinen  präcisen  Ver- 
haltungsmaassregeln,  die  zugleich  ein  ausgeführtes  Bild  des  unablässigen  Kampfes  ent- 
rollen, in  den  der  Fromme  auf  Weg  und  Steg  mit  den  sündlichen  Lockungen  des  irdischen 
Daseins  verstrickt  wird.  Der  Verfasser  mochte  fühlen,  dass  der  allgemeine  Theil  II  34 — 55 
zwar  den  winkenden  Siegespreis  genügend  zum  Ausdruck  brachte,  keinesweges  aber  die 
besondere  Natur  des  erforderlichen  ayi'iv,  wie  er  sie  im  Sinne  hatte,  der  dieses  den 
Griechen  so  geläufige  Wort  wählte1):  eben  deswegen  entschloss  er  sich  dazu,  den  speciali- 
sirenden  Theil  II  56 — 148  hinzuzufügen,  auf  den  allein  das  ovrog  äyc'iv  in  Wirklichkeit 
passt,  während  das  Tatr'  eötIv  äidXia,  ravta  ßgaßsla  sich  auf  die  Sieges verheissungen  in 
II  34  —  55  zurückbezieht.  Daher  ist  es  ganz  gewiss  kein  blinder  Zufall,  dass  unmittelbar 
nach  47  itägtvai  tiv  äytäva  noiocoi,  wo  zunächst  nur  im  Allgemeinen  einem  tugendhaften 
Lebenswandel  Lob  und  Preis  gesungen  wird,  und  nicht  erst  da,  wo  die  ethischen  Special- 
gebote beginnen  (56),  directer  Anschluss  an  den  Phokylideischen  Moralcodex 
nachweisbar  ist.  Auf  diesen  wichtigen  Punkt  ist  bisher  noch  viel  zu  wenig2)  geachtet  worden. 
Die  groben  Plagiate  freilich,  die  in  II  56 — 148  offen  vorliegen,  erkannte  jeder  leicht,  nicht  aber 
die  wörtlichen  Entlehnungen,  mit  denen  die  unmittelbar  vorhergehende  Partie  II  48 — 55  er- 
füllt ist,  also  derjenige  Theil,  der  allmählich  von  den  kleineren  zu  den  grösseren  Plagiaten 
überleitet  und  den  organischen  Zusammenhang  mit  ihnen  deutlich  documentirt.  Ich 
will  diese  nicht  genügend  berücksichtigten  Parallelen  hier  zusammenstellen.  Sib.  II  49 
io7g  icc  div.aia  v&fiovoiv;  Phok.  9  navra  dixaia  vffjstv,  14  /.tirga  vifteiv  xa  dlxaia.  Sib.  51- 
loig  vatiog  'O'iovai;  Phok.  I  (J/xijg  öaloiai,  5  ?'£  oohov  ßtoieleiv  (dies  kehrt  Sib.  II  56 
wieder),  219  avyyereaiv  (piXotrjza  vspoig  üair\v  &  ö/xävoiar.  Sib.  51  &e6v  &  Vva;  Phok.  54 
elg  9s6g  sau  aoepög  (in  anderem  Sinne:  hier  "Gott  allein',  dort  'den  einen  Gott').  Sib.  52 
ya/.ioxXo/ciojv  r'  änfyeoüai;  Phok.  3  (.il^e  ya^w/iXorrieiv  (6.  76.  145.  149  ajitysaii-ai  stets  wie 
dort  im  Versschluss).  Sib.  53  7tXovoia  öojqcc;  Phok.  2  uXßiu  diZga.  Sib.  53  ah'iviov  eXrcida; 
Phok.  1 1 1  /.teXaöga  öouiov  alwvia  (hier  vom  Hades,  dort  mit  Bezug  auf  die  himmlischo 
Seligkeit).  Sib.  54  uaaa  te  yctg  t/'ij(>}  (.ieqÖ7cwv  #eov  htti  yägiofta;  Phok.  105  f.  i]>v%ai  yäg 
fttfivovaiv  cattjiQiot  e,v  (p'huivoiat'  rcveüfia  yäq  ean  l)eov  "/gr}<Jig  ['Darlehen',  von  xquw  =  z/^ijitu] 
üvr]z(H<Ji  y.al  elw'iv.  Mit  der  Sentenz  'es  ist  nicht  recht,  seine  Seele  zu  beflecken' 
(fiialreiv)  beendigt  der  Sibyllist  II  55  diesen  generellen  Abschnitt,  und  mit  demselben 
Verbum    schliesst    unser    Phokylides    den    vierten  Vers:    uijts   döXocg    quntetv  (tyP  a'if.taTi 

1)  Nahe  gelegt  wurde  ihm  die  Metapher  durch  den  Hebräerbrief  XII  1  rnv  nqmäfievov  fj/üif 
dymva  und  durcli  analoge  neutestamentliche  Vorstellungen.  Paulus  rühmt  sich  II  Tim.  IV7:  röi/  nymr« 
im-  /.nhir  ijyüvKJina,  inr  öpoftov  Ttiihy.it,  n]r  niatir  trtqfnpta,  und  er  erwartet  dafür  die  Krone  der  Gerechtig- 
keit am  Tage  des  Gerichtes.     In  diesem  Gedankenkreise  bewegt  sich  unser  Sibyllist. 

2)  Doch  s.  Bergk  p.  7(5.    Rzach,  Orac.  Sib.  p.  252. 

2* 


12 

yÜQn  [tntt'veir,  dessen  erste  Hälfte  der  Sibyllist  später  in  II  119  herübernahm,  wählend 
er  mit  dem  nächsten  (fünften)  Phokylideischen  Verse  sein  umfangreicheres  Plagiat  und 
damit  zugleich  seine  specielleren  Lebensregeln  begann  —  ein  lehrreiches  Beispiel  für 
'disiecti  membra  poetae'.  Ich  denke,  das  Beweismaterial  für  meine  Behauptung,  dass  die 
Stücke  II  48—  55  und  56 — 148  von  einem  und  demselben  Geiste  eingegeben  und  untrennbar 
mit  einander  verbunden  seien,  ist  ein  erdrückendes.  Man  wird  also  wohl  endlich  aufhören 
müssen,  gestützt  auf  die  auch  sonst  recht  trügerische  Autorität  von  <Z>,  nur  das  erste  Stück 
anzuerkennen,  das  zweite  aber  nicht;  denn  in  beiden  herrscht  der  Einfluss  des  falschen 
Phokylides  und  beide  gehören  nothwendigerweise  zu  dem  schon  besprochenen  Plane 
dieses  Sibyllinischen  Sonderlings.  Sein  Programm  gelangt  in  II  15 — 153  vorschriftsmässig 
zur  Ausführung.  In  Sprache  und  Metrik1)  zeigt  sich  der  Verfasser  von  Anfang  bis  zu 
Ende  als  ein  und  derselbe  unfähige  Stümper:  mit  welchem  Rechte  dürfen  wir  ihn  trotzdem 
von  dem  Vorwurfe  des  Plagiates  rein  zu  waschen  suchen?  Ohne  alle  Frage  werden  wil- 
der Wahrheit  näher  kommen,  wenn  wir  annehmen,  dass  die  ganze  äusserlich  wie  innerlich 
zusammengehörige  Stilübung  II  15  — 153  weiter  nichts  als  ein  Cento  und  dass  das  Beste 
darin  fremdes  Eigenthum  ist2).  Man  betrachte  sich  nur  einmal  die  von  Rzach  und 
Anderen  beigebrachten  (leicht  zu  vermehrenden)  Parallelstellen  etwas  gründlicher  und  man 
wird,  diesen  Faden  weiter  verfolgend,  bald  die  richtige  Vorstellung  von  der  sogar  in  den 
Sibyllinenkreisen3)  beispiellosen  Unselbständigkeit  und  Ungeschicklichkeit  des  Autors  be- 
kommen. Was  nach  Abzug  der  Plagiate  noch  übrig  bleibt,  ist  nichts  als  ein  ebenso  bei- 
spiellos klägliches  Armuthszeugniss.  Wie  gesagt,  sogar  die  Sibyllinenbücher  haben  sonst 
nichts  Ähnliches  an  Unfähigkeit  und  Unredlichkeit  aufzuweisen.  So  und  nicht  anders 
sieht  die  Quelle  "F  aus,  die  unrühmliche  Trägerin  eines  Theiles  der  Phokylides-Überlieferung. 
Berührt  es  nicht  jeden  Leser  fast  wie  bitterer  Hohn,  wenn  der  Plagiator  mit  seiner  Quelle 
übereinstimmend  die  Mahnung  predigt,  aQxelo&ai  7caq£oi'ai  /.ai  allo%qio)v  aTtixsa&at 
(6  =  57),  die  er  selbst  fortwährend  mit  Füssen  tritt? 

8.  Hoffentlich  habe  ich  das  Bild  des  Fälschers  'F  richtig  gezeichnet,  dieses  doppelt 
belasteten  Interpolators,  der  sich  ebenso  an  den  Sibyllinischen  Orakeln  wie  an  den 
Phokylideischen  Sprüchen  verging  und  dessen  Unwissenheit  nur  noch  von  seiner  Unred- 
lichkeit überboten  wird.  Wenn  dem  aber  so  ist,  dann  müssen  daraus  erheblich  schärfere 
Consequenzen  gezogen  werden,  als  die  Phokylides-Kritiker  bis  jetzt  für  nöthig  gehalten 
haben.  Unmöglich  darf  die  Quelle  V  auf  gleiche  Stufe  mit  den  Phokylides-Handschriften 
LI  gestellt  werden;  denn  an  die  offenkundig  ausschweifenden  Interpolationen  jener  reichen 
diese  allesamt  nicht  entfernt  heran.  Mithin  muss  'F  unbedingt  als  die  unzuverlässigste 
und  schlechteste  aller  Phokylides -Quellen  angesehen  und  behandelt  werdeD,  deren 

1)  II  17  „<>'„;;.„„•  :,;w,  s.  §  6  Ende.  21  Hiatus  (wie  36.  42.  53.  68.  77).  29  Kürze  als  Länpe 
(ebenso  40.  41.  42.  47.  61.  140.  150).  34  Länge  als  Kürze  (desgleichen  39.  42.  53.  100.  121.  146).  63  i'ehler- 
hatte  Diärese  im  vierten  Fusse.  69  schlechte  Cäsur.  89  mi  avtos  verschlifl'en  (55  xov).  53  und  55  Miss- 
brauch des  Artikels.   69  ntv  h>  nicht  Phokylideisch  (ebenso  wenig  137  und  \V&8iyt).    151  yt  sinnlos,  u.s.w. 

2)  Von  poetischer  Litteratur  benutzte  der  Sibyllist  aasser  Phokylides  noch  Homer,  Hesiod, 
Theognis  und  namentlich  mehrere  der  vorhandenen  Sibyllinenbücher,  oft  wörtlich. 

8)  Die  übrigen  Verfertiger  Sibyllinischer  Weissagungen  bedienen  sich  der  Phokylideischen 
Sprach«  nur  iu  höchst  bescheidenem  Maasse:  vgl.  die  treffliche  Sammlung  der  'loci  similes'  bei  Rzach, 
die  auch  das  in  der  vorigen  Anmerkung  Behauptete  durch  zahlreiche  Belegstellen  unterstützt. 


13 

zahlreiche  Abweichungen  von  der  gewöhnlichen  Tradition  jedesmal  mit  verdoppelter  Vor- 
sicht und  Schärfe  zu  prüfen  sind.  Gegen  diesen  Grundsatz  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  gefehlt 
worden,  von  Bergk  nicht  minder  wie  von  Bernays  und  Anderen.  Man  hat  nicht  genügend 
bedacht,  dass  augenfällige  Übereinstimmungen  einer  und  der  anderen  Phokylides-Hs.  mit 
¥  unter  den  obwaltenden  Umständen  ganz  naturgemäss  nicht  Vertrauen,  sondern  Verdacht 
erwecken  müssen  und  dass  dieser  Verdacht  gegen  die  Echtheit  sich  zur  festen  Gewissheit 
steigern  wird,  wenn  die  älteren  und  zuverlässigeren  Vertreter  von  £2  frei  sind  von  solchen 
Übereinstimmungen.  Zum  Glück  ist  ja  der  Einfluss  von  'P  auf  die  noch  erhaltenen  Hss. 
£1  kein  üb  er  grosser  gewesen,  doch  fehlt  er  nicht  gänzlich  und  auch  mancher  neuere 
Kritiker  ist  ihm  erlegen.  Je  nach  den  Graden  dieses  verderblichen  Einflusses  gewinnen 
wir  einen  schätzbaren  Maassstab  für  den  Werth  der  Phokylides-Handschriften. 
Ich  beginne  meine  Prüfung  wiederum  mit  den  Zusatzversen.  Ganze  Verse  aus  der 
Recension  "P  haben,  abweichend  von  allen  übrigen  mir  bekannten  Hss.  der  Recension  £2, 
nur  LlYMa  aufgenommen:  der  Laurentianus  1  (ebenso  M"  und  zu  Vs.  3  L1  im.)  18b  (73) 
juijv'  uoaevo/.oizeiv  jujjts1)  ainaxpaneiv  jUjjre  cpoveiiEu; dev\a,ücnmxs  Y  hingegen.'?!  (96,  s.  oben  30f  in 
§  5)  ai^ia  ös  [tij  qiayktv,  eldwXoöizwv  ß/cf^£(r^«t2).  Gewiss3)  ist  es  eine  durch  nichts  zu 
entschuldigende  Inconsequenz,  dass  Bergk  nur  den  ersten  Vers  unter  den  Text  verwies, 
nicht  aber  den  zweiten,  obgleich  er  auch  diesen  als  unecht  wohl  erkannt  hatte.  Erklären 
lässt  sieh  das  vielleicht  aus  der  recht  hohen  Meinung,  die  er  von  Y  hegte,  die  jedoch  jedes 
haltbaren  Grundes  ermangelt.  Wie  sehr  wir  vor  L1YM:1  auf  der  Hut  sein  müssen,  lehren 
die  beiden  aus  V  eingeschwärzten  (in  £2co  fehlenden)  Verse  mit  deutlichem  Nachdruck 
den  der  erste  durch  seine  Formlosigkeit,  der  zweite  durch  seine  neutestamentliche  Färbung 
noch  verschärft.  Dazu  gesellt  sich  ein  dritter,  den  hinwiederum  Bernays  (zeitweise  aller- 
dings auch  Bergk)  viel  zu  günstig  beurtheilte:  37  (102)  XQ*iatS  ov^otftig  toxi,  (flkov  d' 
ddiKuv  dvörjTog  Y;  in  l¥  lautet  er:  Krijatg  övrjoiftog  iaih'  öoitav,  ddl/.cov  de  7tovr\QÜ.  Zuletzt 
freilich  hat  sich  Bergk  doch  entschlossen,  den  Vers  wenigstens  einzuklammern :  der  Schreiber 
Y  habe  ihn  nicht  aus  den  Sibyllinenorakeln,  sondern  aus  der  gemeinschaftlichen  Quelle 
beider  geholt,  die  etwa  auf  XQVa'Q  ovrpipög  sari,  q>ilo)v  d'  ctäixwv  ävorrizog  ('consuetudo 
utilis,  amicorum  iniustorum  perniciosa')  oder  eher  auf  xq.  vv.  tat'  eodXojv,  adiAWv  ö'  dv. 
zurückzuführen  sei.  Bernays  versuchte  (S.  232  f.),  die  Echtheit  des  Verses  zu  verfechten, 
und  schrieb:  /pijfficig  6vyoi/.tö(;  eou,  rpllog  d'  ddr/Mv  ctv6vr\toc;.  Ob  das  gerade  eine  sehr 
glückliche  Sentenz  wäre,  will  ich  unerörtert  lassen:  mir  genügt  die  durchschlagende  That- 
sache,  dass  £2  und  w  nichts  davon  wissen.  In  der  gemeinsamen  Quelle  von  Y'F,  die  durch 
Interpolationen  stark  geschädigt  war,  stand  wahrscheinlich  ein  verdorbener  Vers,  den  Y 
so  liess,  wie  er  ihn  fand4),  lP  hingegen  in  seiner  gewaltsamen  Manier  umgestaltete.  Das  ist 
die  einzige  Annahme,    die   mir  den  geschilderten  Überlieferungsverhältnissen  zwanglos  zu 


1)  So  alle  drei  Hss.  übereinstimmend;  in  M»  ist  der  Vers  hinterher  ausgestrichen. 

2)  Y  hat  den  Vs.  zwar  hinter  31  geschrieben,  dann  aber  durch  Zahlzeichen  die  rechte  Keihen- 
i'ulge  wiederhergestellt. 

3)  Vgl.  Bernays  S.  223  Anm.  1. 

4)  Man  beachte  den  treulich  conservirten  Genusfehler  JSixwv.  Möglichenfalls  waren  die  ur- 
sprünglichen Lesarten  gpinrös  (das  auf  dem  Wege  itacistischer  Aussprache  unschwer  zu  yotjan  werden 
konnte)  und  avövtjtoi  (das  durch  ovr/amot  empfohlen  wird);  vgl.  indessen  meine  'Lectiones'  p.  8. 


14 

entsprechen  .scheint.     Nicht  wesentlich  anders   liegt  die  Sache   bei   der  an  sich  tadellosen, 
wirklich    Phokylideischen   Gnome   36    7iüvtiov   /.ihgov  rlginzoi,    wteoßaolai    <)'    aZsyeivai,    die 
wortgetreu  als  69a  wiederkehrt1).     Diesmal  beruht    nicht   der  Vers  selbst,  wohl  aber  seine 
Wiederholung    sicher   auf  .Interpolation,    und  die  nmss  früh  entstanden  sein,  weil  sie  sich 
(wie  in  '")  schon  in  MB  vorfindet,  den  ältesten  gegenwärtig  existirenden  Hss.  des  Sprnoh- 
gediehtes,    auch    in    anderen    noch2).     Abermals  nahm   :/'  Anstoss    an    seiner  Vorlage;    die 
zwecklose  Wiederholung  derselben  Worte  gefiel  ihm  nicht  und  er  suchte  sich  so  zu  helfen : 
36  (HM)  gab  er  nag  ugog  iavi   divuxtog,    wceqftaoirj  ö'  u'/.tyeivr\,  hingegen    69"  (142)   rtänuv 
iihoov    agtatov,    hteqßaoh]    d'   aXeysivov.      Dass    diese    kindlichen  Veränderungen    geeignet 
seien,    den  Anstoss   wegzuschaffen,   wird    schwerlich  Jemand    behaupten.     Interessant  und 
wichtig  sind  sie  dennoch,  weil  sie  beweisen,  dass  '/' jedenfalls  eine  alte,  jedoch  durch- 
aus keine  gute  Phokylides-Hs.   benutzt   haben    kann;    denn  wäre  sein  Arohetypon 
besser  gewesen,  so  hätte  es  ihm  den  Vers  gewiss  nur  einmal  geboten  und  ihn  damit  jeder 
weiteren  Mühe  überhoben.     An  solchen  besseren  Quellen   fehlt  es    selbst  uns    nicht.     Sie 
zerfallen    in   zwei    Gruppen:    die    eine  (OLFfPV   erster  Hand)   entschied  sich  für  69*,  die 
andere  (1YHWA2  erster  Hand)  für   36.  Bernays    trat    der    letzteren    bei;    mit  Recht  »Der 
folgte   Bergk3)    der    ersteren,  weil  sie  die  zuverlässigeren  Zeugen  für  sich  hat  und  nichts 
Triftiges  sich  gegen  ihre  Entscheidung  einwenden  lässt.     Auf  der  Gegenseite    führen   1Y 
den  Reigen,  über  deren  Minderwerthigkeit  nach  dem  bisher  beigebrachten  Beweismaterialo 
Zweifel  nicht  wohl  obwalten  können.     Es  wird  sich  später  noch  klarer  herausstellen,  dass 
sie  samt  ihren  Genossen  nur  die  vorletzte  Stufe  in  der  Werthscala  einnehmen,  "Fdie  allerletzte. 
9.  Soviel  über  die  Zusatz verse  der  Quelle  'V  zur  Phokylideischen  Vulgata  Q(o:  ich 
wende  mich  nun  zu    den    bloss    veränderten  Versen    ebenderselben  Quelle.     Das  Ver- 
liiiltniss  von   f  zu  Uta  gestaltet  sich  hierbei  durchaus  nicht  günstiger  für  ■F.    Es  empfiehlt 
sich,  zuerst  diejenigen  Verse  zu  betrachten,    deren  Varianten  fast  völlig   isolirt  in   W 
dastehen,  so  dass  sie  in  der  Regel  an  keinem  einzigen  Texte  von  Qio  irgend  welche  Stütze 
finden.     An  Umfang  und  Bedeutung  sind  diese  Abweichungen  von  der  Vulgata  recht  ver- 
schieden.    Bald  bestehn  sie  nur  in  einem  Buchstaben,  bald  in  einem  Worte,  bald  schwellen 
sie  dergestalt  an,  dass  von  dem  Ursprünglichen  wenig  oder  nichts  mehr  übrig  bleibt.     Da 
finden  wir1)  7  (58)  hr[Tvua  nävi1  ayoqt'vuv  flw;  Ivnxvfta  rrovra  (pvläaosip   'I'  (vgl.   13  =  65). 
9  (61)  pnfii  xqtoiv   ig   yäqiv  Sbu  Q   {V.y.eiv  Ff»);    (tifi  etg  v.qioiv  adtxov  &#&  V.     10  (68) 
jujj  zom'£  7CQÖaio7tov  Qu;  fit]  xpm  ngoowmp  >['.     11   (63)  *ai  9eog  iuu'  itiut  ömae(o)et  £2w ; 
ftetirrsna    9eög   oe  drtäoei   'I'.      12  (H4)  *f  ilwvdij   Her.    ipevdrj»    W.     11    (66)   int    iuiqov   .'.': 
.   1 1  int  nur  '■!'  (jenes  abdvnsyt,  dieses  cjihg  nebst  Bergk  und  Bernays).     1<>  (68)  :;v  id'ji'  oyi 
Q  {-wg  abvusykt);  ft^&'  ayvitq  oder  -äg  '['.     17  (f>9)  #«og  aftftQorog,  Satig  dftooofj  fiwj  9e6g, 
Im   /.er    av   tig   6p6oo$  'I'.     22  (78)  ntorf^i    Qu;    ;cu»yolg  'I'.     2:>  (79)  nkrßt'iortg  oio  ytlq 
efoov  yqjfcovu  7caqäa%ov  £2io;  iöqt'iat]  [-wen  oder  -tioiv  Hss.]  atay'vwv  yetqi  yq-  71.   '•!'.    24  (84) 

1  Die  älteren  Ausgaben  setzen  in  86  gewöhnlich  den  Pluralis  mt^fiaoku  V  a'uyutui  (aietmtl 
abdvs),  in  69*  (wie  A1)  den  Singularis  msQßaottt  9  aXtyarij  (ühmi;  abdveis);  der  letztere  ist  den  Anhängern 
von  T  eigenthümlich,  nur  dass  B  it.  beidemal  i  V  ühm,  hat,  A2  das  zweite  Mal  äx.  <<-<. 

^■rgk  nennt  A1;  in  Aß  stobt  86  it..  lül»  im  ;  in  L  umgekehrt  86  im.,  C>'>  it. 

B)  Vor  ihm  schon  ßrunck  und  Gaisford. 

4)  Varianten,  die  hier  nichts  zur  Sache  thun,  lasse  ich  unberücksichtigt. 


15 

*föd)tyei  Qw;  dd^yei  lF.  25  (85)  biei  ßw;  o  yaq  lF.  *  ttXoog  öw;  tzXovq  f.  27  (87)  6 
(Ä/og  iiw;  ßiovog  lF.  29  (89)  f  xovxiov  £2io;  zat  avcög  V.  30  (90)  tarw  /oivug  arcag  6  ßlog 
xat  uf.KKpQOva  nävxu  £2io;  xotvog  icäg  6  ßlog  /.iSQbuon',  avioog  de  zeiv/.iai  'F.  32  (97)  *f  7r.qug 
(povov  12l)w;  nqog  (pilov  f.  *  eg  flw;  hc  lF.  33  (98)  Xqffeotq  £2co;  XQ*laH  'F.  evvof.ia  (w)  oder 
evvoiia  oder  (ivo/.ia  £2;  exvo/ACt  *P  (Bergk,  Bernays).  34  (99)  fy  ihn;  yiuv  'F.  *f  (.uaiveig 
.Qw;  iiiavetg  lF.  35  (100)  *f  f^nqd'  äq'  Sita)  f.i!j  tov  d'  äq'  'F.  38  (103)  xctq/cov  Xhtßqofi  11 
(bvcni,  -a/jg  a,  hLßrßov  dsykthg);  Xiüß^arj  yutQTcbv  '/''.  40  (105)  7te\ir\g  12  (meist  «);  Zevlyg 
'/''  (cnit  und  Bernays  S.  233.  255).  7ieiq<'>f.ieiya  ttjq  ilto  (*f  ^rez^o"  euren);  7ieqiqiqaGovcnt  W. 
7coXv7tkäy/.Tov  £2a>;  icolvf.wx&ov  'F.  41  (108)  *f  e^et  ßro;  exe«»"  !P.  ftidov  12co;  xöicov  lF. 
48  (120)  *f  ptjd'  ß«;  /</},'>'  V.  49  (121)  *f  apeißov  £2w;  dfuißuv  V.  50  (122)  *  %ä  iV  <><„; 
xä  t'  W.  51  (123)  alX1  («)  oder  rtv  oder  et  £2;  dg  XF.  63  (135)  *  v7ieqxo^evog  £2io:  V7caqx6- 
/.terog  lF.  65  (137)  d'  vitoeqyög  Qco;  de  ye  (pavXog  'F.  66  (138)  «<•'/'  oipeXXei  S1  eottXä  7coverv- 
tag  12io;  äyaöiov  de  ye  xvdog  07tätei  lF.  69  (141)  fieiqq)  (payelv2),  ftitqfp  de  7cielv  /.cd  /.ivd-o- 
Xoyeveiv  12,  /.tergo)  itev  (payeeiv  xat  txuiv  x.ai  (AvitoXoyevEiv  abdv,  ;«.  fi.  (p.  x«i  7tielv  f.wi)-oXoyeiv 
re  cni,  /li.  ft.  (p.  nitlv  [niveiv  hg]  y.al  [iv&oXoyeveiv  jsykhg;  sv  /xiiQio  (paytett;  rziseiv  tal 
[tcüoXoyeveiv  Hs.  77  (146)  *f  /.ir)  ftipov  £2io;  /n^de  [iipoi  'F.  78  (147)  *-j-  ävTicpmevei  Üu>; 
•qwtedosß)  'F.  Alle  diese  Varianten  von  lF  in  Bausch  und  Bogen  ohne  weiteres  zu  ver- 
werfen, wäre  ein  methodischer  Fehler,  da,  wie  bereits  gezeigt  wurde,  lF  jedenfalls  auf  ein 
altes,  wenn  auch  kein  gutes  Archetypon  zurückgeht.  Weshalb  sollte  sich  aus  diesem 
nicht  hin  und  wieder  einmal  eiue  brauchbare  Lesart  bis  in  die  heutigen  Exemplare  von 
'F  fortgepflanzt  haben?  Selten  genug  freilich  scheint  das  geschehen  zu  sein.  Um  die 
Werthabschätzung  von  £2io  einerseits  und  lF  anderseits  zu  erleichtern,  habe  ich  diejenigen 
Lesarten  aus  7',  welche  den  Phokyli  des -Herausgebern  Bergk  und  Bernays  zusagten, 
gesperrt  drucken  lassen,  hingegen  diejenigen  aus  £2,  welche  den  beiden  jüngsten  Sibyl- 
linen- Herausgebern  der  Aufnahme  werth  erschienen,  mit  einem  Stern  (Rzach)  oder  Kreuz 
(Geffcken)  kenntlich  gemacht.  Hieraus  erhellt,  dass  von  den  genannten  Kritikern  auf  lF 
nur  zwei-  bis  dreimal,  auf  £2  dagegen  dreizehn-  bis  siebzehumal  zurückgegriffen  worden 
ist,  um  die  betreffenden  Textesstellen  zu  bessern.  Mit  der  Sibyllinen-Emendation  habe  ich 
es  gegenwärtig  nicht  zu  thun,  kann  mich  mithin  kurz  auf  die  allgemeine  Bemerkung 
beziehen,  in  der  ich  oben  (§  5)  gegenüber  zu  weit  gehenden  Correcturen  meine  Bedenken 
geäussert  habe.  Im  vorliegenden  Falle  sind  die  Phokylides-Herausgeber  zurückhaltender 
gewesen  als  die  Sibyllinen-Herausgeber,  und,  wie  ich  überzeugt  bin,  mit  Fug  und  Recht; 
denn  der  eiuigermaassen  sichere  Gewinn,  den  sie  mit  gutem  Gewissen  aus  jener  von  'F 
gebotenen  gewaltigen  Variantenmasse  ziehen  konnten,   ist  ein  erschreckend  dürftiger.     Er 

1)  Nur  1  im.  y^äwetcu  xai  „rr»6~  <f>lXov"\ 

2)  eSap  M2  im.,  richtig.  Vgl.  148  Woyrat,  156  eSois.  (Hesych.  SSat&ev:  iyayov.  k'Sovxai:  t/äy,»aii>.) 
Von  anderen  Glossemen,  unter  denen  li  gelitten  hat,  wird  noch  bei  einer  späteren  Gelegenheit  die  Rede 
sein.  In  seinem  Archetypon  fand  T  an  unserer  Stelle  nichts  Besseres  vor  und  änderte  auf  Gerathewohl. 
—  Noch  bemerkenswerther  ist  das  entsprechende  Glossem  in  156:  dort  nämlich  hat  zwar  i'Soig  der  Glosse 
tfäyois  Stand  gehalten,  nicht  aber  das  unmittelbar  daruuter  stehende  Suiymc,  das  bald  zu  tpayoit  (M1J)  odor 
päyeif  (B)  oder  yay^e  (Y),  bald  zu  (fe.vyon  (P2H)  wurde.  Ein  solche«  Herabsickern  aus  der  oberen  Zeile  in 
die  untere  kann  man  öfter  beobachten:  so  ist  in  VT  226  ßXä^i/is  von  dem  darüber  stehenden  ypä<fjr/e  ver- 
drängt worden. 

3)  Diese  und  andere  bemerkenswerthe   Varianten  fehlen  bei  Geffcken. 


16 

beschränkt  sich,  bei  Lichte  besehen,  allenfalls  auf  einen  einzigen  richtigen  Buchstaben, 
nämlich  in  der  Mahnung  32  f.  (97  f.)  tö  §l<pog  üpupißaXov  /xi  7cqbg  (pilov1),  aXX  In' 
ttfAwav  ei&e  de  /jrj  yqr\oj)  <"7iT'  $*vopta  ^n'jrs  dixaiwg  V,  die  der  grössere  Theil  von  il  so 
giebt:  to  Ziirpog  diupißa?.ov  firj  itqoq  cpövov,  aXX'  ig  af.ivvaV  ei'&e  äs  in)  yqt/Coig  /i^r' 
i'vniim  [e'vvo[ta  BM1',  avo/,ia  YXT]  wjjw  dixalrog  [ft'rjTE  adlxiog  fAlA3Ma,  mit  yq  P-  im.;  ptpr' 
adUtitg  F|.  Was  gemeint  war,  kann  schwerlich  etwas  Anderes  als  dies  gewesen  Bein: 
'das  Schwert  gürte  dir  nicht  zum  Morde  um,  sondern  zur  Abwehr;  mögest  du  jedoch  es 
r.ie  nöthig  haben2),  weder  unrechtmässig  noch  rechtmässig'.  Der  Vergleich  zwischen  den 
beiden  Recensionen  fällt  in  einem  einzigen  Punkte  allerdings  unbedingt  zu  Gunsten  von 
f  aus:  htvoficfi)  allein  trifft  das  Rechte,  war  aber  aller  Wahrscheinlichkeit  nach4)  nicht 
bloss  in  W,  sondern  einst  auch  in  OP  zu  finden.  Der  zweite  Buchstabe  muss  frühzeitig 
zu  Schaden  gekommen  sein.  An  allen  übrigen  oben  ausgezogenen  Stellen  liegt  gar  kein 
Anlass  vor,  das  Spruchgedicht  nach  der  Quelle  W  zu  corrigiren,  nicht  einmal  bei  der  ein- 
fachen Accentfrage  14  (66)  /.üiqa  v^ieiv  ta  diy.aia,  xakov  ($'  EJtinttqov  unaatv.  So  nämlich 
liest  hier  Bergk,  desgleichen  auch  (bis  auf  ärcaoiv,  wofür  er  InartXelv  einsetzte)  Bernays, 
beide  im  Anschluss  an  f.  Bernays  meint  (S.  219),  der  Sinn  sei,  dass  'der  Kaufmann 
unter  allen  Umständen  das  richtige  Maass  messen  müsse,  dass  es  aber  schön  sei,  noch 
etwas  darüber  als  Zugabe  zu  messen';  'hinzuschöpfen'  {eicavxleii)  sage  der  Verfasser,  weil 
er  hier  vom  Messen  des  Flüssigen  rede,  Vs.  15  vom  Wägen  des  Festen.  Aber  die  'Krämer- 
zugabe' derartig  erhoben  zu  sehen,  befremdet  doch  gar  sehr,  und  der  solide  Kaufmann, 
fürchte  ich,  wird  gegen  solches  Erpressen  der  'Zugabe'  lebhaften  Protest  erheben.  Hätte 
er  Unrecht?  Gewiss  nicht;  und  da  ist  es  denn  wahrhaft  beruhigend,  dass  die  bessere 
Überlieferung  jene  'Zugabe'  überhaupt  nicht  anerkennt.  In  diesem  Punkte  wenigstens 
herrscht  bei  allen  Vertretern  von  £2  vollkommene  Einigkeit;  lediglich  am  Ende  des  Verses 
schwanken  sie:  anavia  VTA2,  Y  it.;  änäviiDv  MBL1,  F2  im.  (it.  fehlt  der  Vers),  f;  ttavtmv 
0  (P  ac);  a7caoi  P-HW,  ss.  Y,  cum  yq  LI  im.  Die  bestbeglaubigten  Lesarten  sind  aller- 
dings sinnlos:  vereinigt  man  sie  aber,  so  springt  a/cavcäv  heraus  und  die  Gnome  heisst 
nun:  /nirqa  ve/.ieiv  ta  dlxaia'  -/.aXov  d'1  f.jcI  pietqov  U7cavtav,  'theile  die  Maasse  zu,  die 
recht  und  billig  sind;  schön  ist's,  zu  seinem  Maasse  zu  kommen'.  Verkäufer  wie  Käufer 
fahren  am  besten  dabei.  Noch  hinfälliger  ist,  was  Bernays  ein  anderes  Mal  zu  Gunsten 
von  'P  sagt.  Er  wendet  sich  S.  233  gegen  40  (105)  7rävzeg  yaq  rrevirjg  ;i£iqi'>itet>a  rijg 
7ioXv7tläyK%ov  Q  und  will  (worin  ihm  cnit  vorangingen)  mit  V  £svifjs  lesen.  Da  indessen 
schon   Homer  A  308   uvt/joio    7toXt7tXayKtoio  verbindet,    so    hinderte   offenbar    nichts,    das 

1)  M'>  entlehnte  dies  aus  '/•! 

2)  Bergk  sagt :  \Si  jfpjjjo*«  vitii  expers,  onuntiatum  imperfectum'.  Ich  errathe  nicht,  was  er 
vermisste,  selbst  nicht  aus  seinen  Conjecturen,  von  denen  die  eine  merklich  unter  dem  Banne  des  aus  Y 
Übernommenen  unechten  Verses  31  steht. 

3)  Adverbiell  zu  fassen  Dass  es  auf  zuverlässiger  Überlieferung,  nicht  etwa  auf  eigener  Con- 
jeotmr  von  </'  beruht,  dürfte  daraus  hervorgehen,  dass  diesem  lnterpolator  sonst  wohl  eher  «<V<x«  einge- 
fallen wäre,  da  ihm  letzteres  Adj.  geläufiger  war,  sogar  als  Daktylus  (61)  oder  Amphibrachys  (110 

4)  Rabe  bezeugt,  dass  in  O  die  meisten  Buchstaben  von  bwofia  deutlich  sind  und  von  erster 
Hand  herrühren;  nur  an  ««  habe  eine  spatere  Hand  herumcorrigirt,  so  dass  es  jetzt  etwa  wie  </<ü  aus- 
sehe. In  P  fand  ich  zwar  fyrofta,  aber  das  entscheidende  erste  v  von  P2  ir.  —  Die  älteren  Ausgaben 
difleriren:  ttfi'  lyyo/ta  mu  aSüUt  abdv.  m',i'  iyvofia  111,1'  ndhtat  yc  oder  yi  cnjisykthg. 


17 

Epitheton  auch  der  -cevii]  beizulegen,  um  so  weniger,  als  zwar  die  Armuth  Einen  von  seiner 
Heimathscholle  wegtreiben  kann,  nicht  aber  die  Gastfreundschaft  (s.  Bergk).  Das  empfand 
sogar  der  Sibyllist  und  deshalb  setzte  er  Ttolvpöxfrov  ein.  Übrigens  wird  ja  mit  noXvnlüy/.- 
zov  in  der  Phantasie  des  Lesers  nahezu  dasselbe  erreicht,  was  die  Correctur  2-m'jjt;1)  be- 
zweckt, der  Zusammenhang  also  nicht  im  mindesten  gestört.  Kurzum,  je  verlassener  '«/'' 
mit  seinen  Neuerungen  dasteht,  um  so  dringender  müssen  die  Kritiker2)  gewarnt  werden, 
aus  diesem  unsauberen  Rinnsal  zu  schöpfen,  zumal  ja  an  erheblich  reineren  Quellen  glück- 
licherweise kein  Mangel  herrscht. 

10.  V  im  Bunde  mit  der  Minorität  von  Q  zu  sehen,  ist  kein  gewöhnliches 
Vorkommniss.  Indessen  lernten  wir  doch  bereits  einige  solche  Minoritätsvertreter  kennen, 
bei  denen  -sich  unverkennbare  Spuren  einer  Beeinflussung  durch  V  oder  seinen  Archetypus 
zeigten:  LUM"  in  18"  (73),  Y  in  31  (96)  und  37  (102),  lMb  in  32  (97),  LX1Y2HW  in  14  (66). 
Zu  der  nämlichen  Kategorie  gehören  folgende  Fälle:  13  (65)  waQ'&Eviiqv  -nqoüv,  7tiaxiv 
<F  ini  [oder  iv]  7iäai  (pvXüooetv  Qu,  wo  !F  mit  lWA2TMaMb  (Y  it.,  cum  yq  L1)  ayüizrp  liest 
(vou  Brunck  und  Gaisford  bevorzugt,  s.  dagegen  Bernays  S.  221).  35  (100)  ysnovevoytog 
V'P'Abv  (ydcovog  onog  cni);  -rtoviog  Q.  48  (120)  pq»'  WRTA2Mb!Fhg;  pijtJ'  ßw.  49  (121) 
yüqav  L  ss.  (m.  1?),  lYf,  P2pc,  H!F;  yßqav  WA1;  yojqov  Qu>.  Ihnen  gegenüber  verhielt 
sich  die  neuere  Kritik  ablehnend,  nicht  so  gegen  eine  andere  Variante,  obschon  sie  gleich 
mangelhaft  beglaubigt  ist:  58  (130)  noXXäxi  yaq  nXr^as  ae/.cov  (fövov  e'i-steXsooev,  nach 
Bergk  und  Bernays  (voran  gingen  cnisthg).  Es  sind  lauter  Hss.  alleruntergeordnetsten 
Ranges,  die  das  Schlusswort  in  dieser  Form  empfehlen  (e^eitkeaaev  L1  ss.,  RR;  -eoev  1; 
-sas  !/J'Mh);  der  ungleich  achtbarere  Theil  von  ii  spricht  entschieden  für  e^eitXEaaag  (L  it., 
YFf,  H2pc,  WA1;  -eoa$  MOVPT,  H  ac),  das  zu  der  vorhergegangenen  Aufforderung 
yalivov  rj'  ayqiov  "Aq^v  in  engere  Beziehung  tritt:  an  die  gesamte  Menschheit  gerichtet,  ist 
das  doch  durchaus  tadellos  gesagt  (vgl.  176  re'/e  ö'  ea/caXir,  wg  eXoxEi^rjg).  Treten  wirklich 
zugkräftige  innere  Gründe  für  'F  und  seine  Sippe  ein,  so  wäre  es  natürlich  thöricht,  sich 
ihnen  zu  verschliessen.  Dies  gilt  z.  B.  von  78  (147)  nsittw  /.dv  yaq  ovsiaq,  eqtg  6'  eqiv 
ävTicpiiEvEi,  wo  ovsiaq  ausschliesslich  durch  L1  ss.,  P2  ir.,  H!Fw  gestützt  wird,  während  Q 
">cfel(l)og  hat.  Letzteres  ist,  wie  jeder  Kundige  auf  den  ersten  Blick  sieht,  ganz  unstatt- 
haft, und  nichts  liegt  näher,  als  darin  die  Paraphrase  des  oft  glossirten  övstaq  zu  ver- 
muthen  (s.  §  9  S.  15  Anm.  2),  das  der  Urheber  von  W  noch  in  seinem  Archetypon  las.  Schon 
in  MB,  den  ältesten  Exemplaren  von  ß,  bemerkten  wir  eine  gewisse  Hinneigung  zu  eben- 
demselben Archetypon  (s.  §  8  über  die  Wiederholung  69a  =  36) ;  ich  kann  dazu  noch  mehr 
Beispiele  fügen:  8  (60)  de  om.  M  ac,  A8iF;  add.  W£2.  35  (100)  anöoxov  MMbif;  anöaxeo 
ß,  48  (120)  KskO-ug  MYA1^;  v.e'vttoig  BfHWRT,  L  ss.,  P2  ir.;  widm  OV,  L  it.  58  (130) 
7coXXä/.ig  M  ac,  WMbiF;  noXläv.i  Q.  Die  Möglichkeit  also,  dass  auf  diesem  Wege  auch 
einmal  eine  gute  Lesart  auf  uns  gekommen  sei,  muss,  wie  schon  gesagt,  principiell  un- 
bedenklich eingeräumt  werden.  Allein  die  begleitenden  übelen  Umstände  ihrerseits  ver- 
langen  mindestens    ebenso    gebieterisch    ihre    volle    Berücksichtigung,    und    die  ist   ihnen 

1)  Die  in  meinen  'Lectiones'  p.  8  gemachten  Vorschläge  zu  dieser  und  anderen  Stellen  halte  ich 
jetzt  nicht  mehr  alle  aufrecht;  einige  habe  ich  durch  neue  ersetzt. 

2)  z.  B.  Rzach,  der  zu  27  (87)  für  '/'  ßtofot  gegen  il  u  ßiog  eintritt:  'quod  e  Sihyllinis  corrigen- 
dum  puto'  —  trotz  30  (90)  mtai  »  ptoj! 

3 


18 

immer  noch  nicht  ausreichend  zu  Theil  geworden.  Beispielsweise  bezweifele  ich  stark,  ob 
Bergk  und  Bernays  wohl  daran  thaten,  51  f.  (123  f.)  folgendermaassen  zu  geben,  in  der 
Hauptsache  nach  Brunck  und  Gaisford:  oatig  huLv  ndixet,  /.axög  uvtq'  ei  d'  i/n  äväyvirtg, 
oh.  ioita  to  riXog'  ßovXij  d'  evövve!}'  ixädiov,  weil  ich  dieses  %b  xikog  nicht  recht  ver- 
stehe, auch  nicht  klar  durchschaue,  wer  denn  eigentlich  als  Richter  (svihvog)  gedacht  ist. 
Werfe  ich  nun  einen  Blick  in  die  Hss.,  so  überzeuge  .ich  mich  vollends,  dass  dies  das 
Echte  nicht  sein  kann;  denn  der  Nominativ  ßovfa)  ist  nur  von  B,  L  ac.  (1?),  OP(-»]  pc.P)F!F, 
das  Passivum  evÜiney  sogar  nur  von  0  (wo  evd'vvexai  steht)  F(1?)!F  und  einigen  R  be- 
zeugt. Anders  die  Mehrzahl:  ßovXfjv  M,  L  pc,  YfVHWMbw  (ausser  hg);  ec&vre  M  pc, 
ev9vve  VA'lVPw  (ausser  hg),  er#u«#  L,  l'd-vve  W,  tldivai  H  (P2  ir.),  evövvaig  f,  et&weg  B, 
ev&vv  ig  M  ac,  ei&vrov  Y.  Ich  ziehe  hieraus  den  Schluss,  dass  die  Interpuuction  nicht 
hinter,  sondern  vor  xö  xiXog  gehört  und  dass  alsdann  mit  blossem  Zusatz  eines  v  ifpeXmoriv.t'iv, 
also  mit  leichtester  Änderung,  zu  bessern  ist  rö  xsX.og  ßovXijv  ev&vvev  exadtovi  'wer  frei- 
willig Unrecht  thut,  ist  ein  schlechter  Mensch;  wenn  aber  aus  Zwang,  so  werde  ich  das 
nicht  sagen;  der  Erfolg  pflegt  über  den  Rathschluss  eines  Jeden  zu  richten'.  Nichts 
weiter  als  das  ausgefallene  (häufig  nur  durch  ein  wagerechtes  Strichelchen  über  dem 
Wortende  angedeutete)  v  l<p.  hat  die  ganze  Verwirrung  angerichtet,  und  wiederum  ist  Hs 
nebst  den  Seinen  am  weitesten  vom  richtigen  Wege  abgeirrt. 

11.  Um  so  mehr  werden  wir  uns  vorsehen  müssen,  wenn  der  bedenkliche  Ein- 
fluss,  den  die  Quelle  von  !F  ausgeübt  hat,  noch  grössere  Dimensionen  an- 
nimmt, ja  schliesslich  die  gesamte  Vulgata  vergiftet.  Mehr  oder  minder  kranken 
nahezu  alle  Exemplare  von  ii,  besonders  aber  L1Y,  an  den  Verderbnissen  und  Interpo- 
lationen, die  schon  in  dem  Archetypon  von  lF  Platz  gegriffen  und  dann  weiteren  Schaden 
angerichtet  hatten.  Zum  Glück  aber  besitzen  wir  wenigstens  einen  Codex,  der  abseits 
von  der  übrigen  Menge  steht  und  so  gut  wie  gänzlich  frei  von  derartigen  Einflüssen  ge- 
blieben ist,  nämlich  den  Vindobonensis  V,  durchaus  keine  der  ältesten,  doch  jedenfalls 
eine  der  allerwerthvollsten  Hss .  deren  grosse  Vorzüge  so  offen  wie  möglich  zu  Tage 
liegen  und  natürlich  auch  bei  den  jüngsten  Herausgebern  Anerkennung  gefunden  haben, 
freilich  keinesweges  in  dem  verdienten  Umfange.  Von  allen  den  bisher  besprochenen 
Interpolationen,  die  aus  W  oder  seinem  Archetypon  herstammen,  in  13.  14.  18b.  31.  32.  86. 
86.  37.  40.  48.  49.  52.  58  ist  nicht  eine  in  V  übergegangen,  gleichviel  ob  sie  in  zuge- 
setzten oder  wiederholten  oder  bloss  veränderten  Versen  bestehen.  V  erkennt  keine  der 
Zeilen  18\  31.  36.  37.  87.  131"  an,  die  sich  zwar  nicht  insgesamt,  aber  vereinzelt  in 
MBOL2lYfPHWA'A8MaJR  und  ¥  vorfinden  und  deren  ünechtheit  nach  Fassung  oder 
Stellung  als  vollkommen  gesichert  gelten  darf.  Dafür  aber  bestätigt  V  (gegen  MBOLlYf 
PHWJR),  dass  21.  26  f.  69*.  76  f.  112  f.  121.  150.  158  — KW.  206  ihre  richtigen  Plätze 
einnehmen.  Von  der  Verwirrung,  welche  0,  P  ac,  F  ac.  in  3  ff.  durch  Versetzen  zweier 
Hemistichien  angerichtet  haben,  /irr«  ya^io/.Xo7teeiv  /«»;#'  a'iuaxi  xeiqa  ftialvsiv  fi>'t(te) 
rtXovtslv  c'Jr/.wc,  oW'  i$  öoiiov  ßtorevetv,  iirxe  dcXovg  fyüitietv  a/jr'  iiqatva  K'v7iqiv  vQlvetv, 
weiss  V  nichts.  Nicht  einen  einzigen  echten  Vers  hat  V  übersehen,  während  beispiels- 
weise die  erste  Hand  von  M  129.  152.  103.  197.  198.  206  ausliess  (B  dieselben  ausser 
206),  die  von  L  89.  114.  154.  156.  198,  die  von  F  14.  17  f.  23.  28.  38.  41.  48.  69.  Qbt. 
68  f.  76.  84  f.     Vielmehr    bereichert  V   den  Text  um  sieben   unzweifelhaft  echte  Verse,  die 


19 

aus  allen  anderen  Hss.  spurlos  verschwunden  sind:  1 16.  117.  144.  145.  146.  155.  218. 
Dies  und  Ähnliches  mehr  sind  denn  doch  geradezu  einzige  Vorzüge  von  so  entscheidendem 
Werthe,  dass  ich  nicht  begreife,  warum  man  ihrer  fast  nur  notbgedrungen  und  lediglich 
da  hat  achten  können,  wo  es  sich  kaum  umgehen  Hess,  und  warum  man  das  unstäte  Hin- 
undherlaviren  zwischen  V  und  !W2w  nicht  längst  als  unmethodisch  aufzugeben  und  sich 
principiell  zu  Gunsten  von  V  zu  entscheiden  den  Muth  gehabt  hat.  Kein  anderer  Phoky- 
lides-Codex  vermag  innere  Vorzüge  von  annähernd  gleicher  Grösse  und  Fülle  aufzuweisen. 
Alle  ohne  jede  Ausnahme  übertrifft  V  bei  weitem  sowohl  an  Vollständigkeit  als  auch  an 
relativer  Reinheit  der  Überlieferung:  mithin  dürfte  es  hohe  Zeit  sein,  ihn  endlich  zur  be- 
rufensten Grundlage  für  den  Text  unseres  Spruchgedichtes  zu  machen.  Ohne  Fehler  ist 
er  selbstverständlich  nicht:  sicher  jedoch  stammt  er  aus  anderer  und  besserer  Quelle 
als  die  sämtlichen  übrigen  Exemplare  von  £2,  deren  enge  Verwandtschaft  mit  lF  nach 
meinen  obigen  Darlegungen  unmöglich  bestritten  werden  kann,  wodurch  denn  zugleich 
auf  ihren  Werth  ein  bezeichnendes  Licht  fällt.  Ob  auch  V  mit  diesen  Verwandten  einige 
unmittelbare  Fühlung  verräth?  Ich  glaube  es  nicht,  weil  die  unterscheidenden  Merkmale 
zu  sehr  dagegen  sprechen.  Auf  eine  und  dieselbe  Urquelle  müssen  in  letzter  Instanz  ja 
freilich  alle  späteren  Abschriften  zurückgeführt  werden.  Wie  diese  Urquelle  aussah,  lässt 
sich  mit  voller  Gewissheit  nicht  mehr  ermitteln,  ebenso  wenig,  wie  viele  Abflüsse  sie  hatte 
und  wie  speciell  das  Archetypon  von  V  oder  das  von  'Fß  in  jeder  Einzelheit  beschaffen  war. 
Gar  leicht  können  die  Verhältnisse  ehemals  so  ungünstig  gelegen  haben,  dass  sie  hin  und 
wieder  die  nämlichen  Irrthümer  hervorriefen.  So  erkläre  ich  mir,  dass  V  den  Fehler 
itvi'0/.ta  33  (statt  htvofxa  lP)  mit  Q  und  den  Fehler  /.gadlrjv  48  (statt  -/.Qadir]  Q)  mit  *F  theilt: 
jedes  von  beiden  Versehen  betrifft  einen  einzelnen  Buchstaben,  der  leicht  infolge  eines 
blossen  Zufalls  in  verschiedenen  Abschriften  auf  gleiche  Weise  verdorben  werden  konnte. 
Directen  Einfluss  der  Quelle  von  lF  aus  der  einen  oder  anderen  solchen  Kleinigkeit  auch 
für  V  abzuleiten,  halte  ich  in  Anbetracht  der  sonstigen  gewaltigen  Verschiedenheiten 
beider  für  unzulässig. 

12.  Wichtiger  indessen  als  diese  Streitfrage,  die  wir  mit  einiger  Sicherheit  zu  ent- 
scheiden gar  nicht  in  der  Lage  sind,  ist  die  praktische  Bedeutung  von  V.  Meines 
Erachtens  läuft  diese  auf  nichts  Geringeres  als  darauf  hinaus,  dass  die  Phokylides-Kritiker 
sich  von  V  und  seinem  jeweiligen  Anhange  ohne  zwingende  Noth  überhaupt  nicht 
weit  entfernen  dürfen.  Jedem,  der  erst  einmal  die  in  Einzelfällen  ja  längst  allgemein 
anerkannten  Vorzüge  dieser  trefflichen  Quelle  gebührend  zu  schätzen  gelernt  hat,  wird  sie 
sich  meist  auch  in  vielen  noch  zweifelhaft  gelassenen  Dingen  als  Führerin  durch  den 
Variantenwust  gut  bewähren.  Ich  will  versuchen,  dies  mit  einigen  Beispielen  zu  erhärten, 
und  wähle  mir  für  diesen  Zweck  zunächst  eine  Anzahl  Stellen  aus  dem  ersten  Theile 
des  Gedichtes,  für  welchen  die  Doppelüberlieferung  WQ  vorliegt  (entbehrliche  Varianten- 
angaben darf  ich  mir  hier  wohl  sparen).  Vs.  6  lautet  übereinstimmend  mit  "FHWw  bei 
Bernays:  ägy.elai}ai  7caQSovai  -/.ai  SiXXotqIiov  ujtt%Eod-<xi.  Sind  denn  aber  naqövxa  und 
alXöiota  ausgesprochene  Gegensätze?  Der  Verfasser  hat  sie  dafür  schwerlich  ausgeben 
wollen;    denn    nach  der  besseren1)  Überlieferung  schrieb   er  nag    totot   (so  VYFfM";  7taq 

1)  Über  '/'  berichtend  sagt  Geü'cken  zu  Sib.  II  57,    L  habe  den  Vers  doppelt,  'zum  2.  Male  wop' 

3* 


20 

total  M;  /tag  Idiot  0,  der  Accent  von  O2;  7cageoioi  LI;  nay  toiai  P,  aber  v  von  P*  ir.), 
offenbar  der  Contraste  wegen,  die  nun  viel  klarer  hervortreten.  Ihm  seine  Gräcität  zu  corri- 
giren  oder  gar  mit  Bergk  (w.  s.)  7tag  folg,  tojv  d'  aufzunöthigen,  dazu  fehlt  jeder  ziehende 
Grund.  —  9  navxa  dl/.aia  vt^ieiv  VllJii,  näai  dr/iaia  vifteiv  10:  dies  wählte  Bergk,  jenes 
mit  Recht  Bernays.  Die  Infinitivform  vlptiv  bezeugen  V  !/J'U  Ffoi,  Y  ss. ;  die  übrigen  haben 
vktior,  auch  Y  it.  —  12  ta  dl/.aia  ßgaßsvEiv  Bernays,  nach  MBO,  LYP  it.,  Ff:  ich  ziehe 
ict  öi/.ai'  ayoQEveiv  vor  (nach  V1HWJ«,  S8.  P2,  cum  yg'  LY  im.;  ra  dUaia  b"  ayogi'vEiv  V), 
das  Hergk  gut  vertheidigt;  er  hätte  noch  hinzufügen  können,  dass  ßgaßivsiv  die  neu- 
testamentliche  Färbung  verräth,  die  der  Sibyllinische  Fälscher  sonst  mehrfach  hineinbrachte. 
Phokylides  meidet  den  Ausdruck,  der  Sibyllist  braucht  ihn  II  45.  149.  Dennoch  ist  an 
unserer  Stelle  die  Änderung  Geffcken's  (Sib.  II  64)  in  ßgaßtvEtv  nicht  zu  billigen,  weil  sie 
der  Sibyllinenüberlieferung  Gewalt  authut  und  weil  hier  gar  nicht  vom  Richter  die  Rede 
ist.  —  13  niaxiv  ö'  irti  itäai  (pvXäooeiv:  für  diese  Präposition  treten  ein  VBOLF  Bernays, 
für  h  die  anderen  (auch  Ww,  ir.  P2,  cum  yg'  F2)  sowie  Bergk,  dem  nichts  Haltbares  zur 
Stütze  dient.  —  22f.  mioyat  d'  sv&v  dldov,  ju»jc5'  a'vgiov  IX&ifiev  tXnjjq.  7iXi]gwaag  aio  yelg' 
eXeor  ygiCovii  nagaoyov  Bergk  und  Bernays,  in  der  Hauptsache  wie  w.  Binder  übersetzt 
dies:  'gieb  unverzüglich  dem  Bettler  und  heiss'  nicht  morgen  ihn  kommen;  reich'  aus 
gefülleter  Hand  dem  Bedürftigen  Gaben  des  Mitleids.'  Aber  die  griechische  Vulgata  redet 
nicht  von  'Gaben  des  Mitleids';  sie  besagt  nur:  'deine  Hand  füllend  gewähre  Mitleid 
dem  Bedürftigen'  und  überlässt  es  dem  Leser,  das  Wichtigste  zu  errathen;  denn  das 
allein,  dass  Jemand  seine  Hand  füllt  und  den  Bedürftigen  bemitleidet,  ist  doch  wohl  minder 
wichtig,  insofern  es  dem  Bettler  nicht  das  Geringste  nützt.  Ich  finde  es  also  vollkommen 
begreiflich,  dass  der  Interpolator  Hs  sich  mit  solcher  Halbheit  nicht  zufrieden  geben  mochte. 
Scrupellos.  wie  er  war,  machte  er  'idgoJor]  orayyiov  %etgi  xq>'£ovti  Jiagüoxov  daraus.  So  ge- 
waltsam braucht  nun  freilich  nicht  gleich  vorgegangen  zu  werden,  will  man  ernsthaft  aus 
ß  den  ursprünglichen  Wortlaut  wiedergewinnen.  Hier  bieten  7rX^gi'joet  VML'A2;  -oEtg  BO, 
P  ac;  -aeiv  Y;  -ato  L2  pc,  1;  -(tag  P2Mb  pc,  HWA1;  7rXiqg(ooov  f.  eXfovg  V;  tXeov  0;  eXeoy 
£2  (aber  ov  pc.  LP2).  Dies  führt  doch  wohl  am  ehesten  auf  nnoy^  6'  ei'&'v  öiöor  /<>;rV 
ai'giov  iXü^tsv  iinrjg  nlrjgcJaeig'  aio  yüo  i-Xtov  XM%OVTl  rcagaoyov,  d.i.  'gieb  unverzüglich  dem 
Bettler  und  sage  nicht,  morgen  würde  seine  Befriedigung  erfolgen;  reiche  deine  Hand 
dem,  der  Mitleid  begehrt'.  nk^Qtoatg  ist  recht  eigentlich  die  leibliche  Befriedigung,  das 
Füllen  mit  Speise  und  Trank:  s.  den  Thesaurus,  der  auch  den  Pluralis  belegt  Von  den 
beiden  Genetivformen  tXiov  und  eXioig  verdient  die  erstere  den  Arorzug.  Wenngleicii  V 
diesmal  nicht  absolut  fleckenlos  dasteht,  so  bewährt  er  doch  wenigstens  über  die  Vulgata 
seine  sonstige  Überlegenheit.  —  29  tovicov  XQJj^Ovti  nagüoyov  (vgl.  38) WOLF,  Pit.,W; 
die  übrigen  (auch  P2  ss.,  io)  ygilioioi,  denen  sich  Bergk  und  Bernays  ohne  gegründete 
Ursache  anschlössen.  —  41  x"'>Qr}  °'  ov  u  ßißaiov  exei  ntöov  avögohroioti  Bergk  und  Ber- 
nays, wie  w:  gewiss  besser  geben  yt  '>Q*ig  VOYf,  pc.  M2  (gco(n*P;  yäQ<*  M  ac.;  XQtQts  Lac, 
MUS  yg  1;  innerhalb  W  wird  aus  R  ywQWt  aus  L  X*'?»S  angemerkt,  also  ist  auch  dort  der 
Genetiv  berechtigter).  —48  nrjd'  ViEgov    /.Evitoig    /.gadhj    vöov,    aXX1  ayog ev iov  Bergk    und 

"'"'  wie  1  Interpol.  Hs  des  Phok.'  Dieser  zwiefache  Irrthuni  wird  oben  widerlegt.  Er  beweist,  dass 
i<  ticken  sich  ganz  auf  die  vierte  Ausgabe  Bergk's  verlassen,  die  übrige  Phokvlides-Litteratur  aber  kaum 
beachtet  hat,  auch  meine  'Lectiones'  nicht. 


21 

Bernays,  beide  mehr  zur  Vulgata  neigend:  verlässlicher  xevfriov  VO,  L  it.  (-üoig  ir.  P2), 
nebst  äyogevarjg  V  (L?  -aag  0;  -eig  B,  L  im.,  1  ss.;  -oig  Ma;  -wc  ir.  P2). —  55  ;«ijde  Ttagoiyo- 
uevoioi  /.a/.otg  xg'vyov  xebv  y^tag  Bergk  und  Bernays:  jedenfalls  mindestens  ebenso  gut 
beglaubigt  ist  rtxog  (so  VfLlFf,  P  it,  XJ«;  r^iag  M  ac,  r^ag  Y  it.),  das  ich  um  so  mehr 
empfehlen  möchte,  da  es  auch  97  in  ähnlichem  Zusammenhange  vorkommt.  —  66  zoX.ua 
xaxwv  öXoy'j'  uiya  d'  wcpeXel  eo&Xa  7covevvxa  Bergk  und  Bernays:  dagegen  glaubwürdiger 
(tty  öqiXXei  d'  V,  M2L  pc,  lfw  (ohne  d'  BY,  L  ac  ;  ueya  6.  d'  M  ac.)  und  ea&Xcc  7rovevvxag 
VOLIPHWJ  (yg  noreioag  Y  ss.).  In  demselben  Sinne  ('erhöhen')  verwendet  der  Dichter 
örpiXXeiv  noch  67  und  163,  täcpeXeiv  braucht  er  niemals.  Die  Conjunction  d'  an  dritter 
Stelle  ist  durch  103  geschützt.  Für  den  fraglichen  Pluralis  spricht  die  Concinnität.  — 
67  jjdrg  ayav  acpgiov  /.i/.X.rjO/.etai  e.v  7coln]iaig  Bergk  und  Bernays,  ersterer  mit  der 
Erklärung  6  äyav  aqigtov  /.i/.lt'ta/.exai  rjdog,  letzterer  mit  der  Deutung  (S.  207)  'der  allzu 
Milde  bekommt  bei  den  Leuten  den  Namen  eines  Thoren'.  Gegen  beides  sträubt  sich  die 
Metrik  (jtyüv)  und  der  vorangehende  Vers,  der  von  der  sittlichen  und  unsittlichen  Liebe 
handelt  [tgcog  agei^c,  egcog  Küngiöog).  Schon  in  meinen  'Lectiones'  p.  8  habe  ich  für  das 
unmögliche  ayar(v)6q<g6Jv  WQw  (äggevöq>gcov  L2  ss.,  J!)  vorgeschlagen  aywv  aygiov  mit 
Bezug  auf  den  erotischen  Wettkampf  zweier  Liebenden :  zu  meiner  Freude  fand  ich  lange 
nachher  in  V  ayiovoygiov,  wodurch  meine  Conjectur  eine  höchst  erwünschte  Unterstützuug 
erhält  (vgl.  Agathias  Anth.  Pal.  IX  442,5  r  de  Tvyrj  yeXöioaa  itagiazaxo  %al  noxl  Kbrtqiv, 
ov  zeog  olzog  dyo'jv,  aXl'  epog  eaziv,  erpy,  und  dgl.). —  77  di/.j)  d'  ctnäXeixpov  afivvav  ("lösche 
aus')  V^O'.^L'IYFPHWA1«  (anäXeixpai  L  ac),  also  fast  die  gesamte  Vulgata;  ohne  er- 
sichtliche Veranlassung  anoX.eixpov  die  anderen,  denen  Bergk  folgte  (Bernays  a7caXtS-ov 
a/.wvcov).     Sicherlich  erweckt  das  erstere  grösseres  Zutrauen. 

13.  Soweit  lF  reicht,  wird  es  demjenigen,  der  Alles  gehörig  in  Erwägung  zieht, 
nicht  schwer  fallen,  das  Übergewicht  des  Vindobonensis  V  über  alle  anderen  Quellen 
unseres  Spruchbüchleins  anzuerkennen.  Jedoch  erstreckt  sich  jenes  Übergewicht  ent- 
schieden weiter.  Es  wäre  ja  ohnehin  mehr  wie  seltsam,  wenn  das  Verhältniss  zwischen  V 
und  Qu)  bei  Vs.  80  mit  einem  Schlage  eine  ganz  abweichende  Richtung  nähme.  Das 
geschieht  nicht;  V  behauptet  seine  Überlegenheit  bis  zum  Schlüsse  des  Ge- 
dichtes. Dies  darzuthun,  wähle  ich  wieder  einige  Proben  aus.  85  ^ii]xiga  d'  wtgoXLnoig, 
tV  exfjg  av  zi]ade  veoaaovg,  nämlich  beim  Nesterausnehmen.  So  Bergk  (avvey^g  aavxiZ  de  v. 
Bernays),  durch  die  minderwerthige  Lesart  avio'vg  de  Y  beeinnusst;  in  VOlfH  (pc.  ML*P2, 
ac.  7taXiv)  steht  7iäXi,  das  to  mit  Hecht  bevorzugt  hat;  denn  was  Hesse  sich  wohl  dagegen 
einwenden?  —  Falsch  ist  av  höchst  wahrscheinlich  auch  in  107  f.  aiöua  yag  ix.  yaiyg 
Exonev  Acc7ceixa  ngbg  av  yrjv  Xvö/.tevoi  xovig  iapiv,  wie  Bernays  (geleitet  von  w)  liest  (Bergk 
<j(Zfia  uev  £/.  yalrjg'  v.al  enel  daftäai]  7rvgbg  cri'yjj).  Weder  die  Stellung  von  al-  noch  die 
Contraction  von  yfjv  lässt  sich  genügend  rechtfertigen  (vgl.  yaiiqg  hier  und  103.  164,  yalai> 
99).  Was  die  Hss.  bieten,  ist  grösstenteils  ein  schauderhaftes  Durcheinander  und  meistens 
schon  wegen  des  geschädigten  Metrums  unerträglich:  /.laceixa  [/.ünei  0]  di  [e  aus  o  corr. 
V;  de  xai  B,  ac.  M?]  7iglg  \jc  ir.  M2;  mgog  B]  av  yftv  [so  V;  avyijv  M  ac;  avyijv  B:  av 
yij  0;  nur  yijg  L  it.|  die  eben  genannten  5  Hss.;  xa^retra******TßOS  avxtv  pc.  M2  (das 
2.  7t  ir.);  -*.ai  nävxeg  7igbg  aixijf  P2  ir.,  HW:  xcrt  7tavzeg  lg  avxtjv  w;  xeu  7tüvxa  7tgbg  aiiiv 
L  im,  lYf'XA'Tad.      Unter    allen    dürfte  M2    mit    xaneixa    rcgog   alzijv    dem    Echten    am 


22 

nächsten  gekommen  sein  (vgl.  69),  von  dem  sich  V  weniger  weit  entfernt  als  die  übrigen. 
—  110  ovx  Hot'  eig  "AidrjV  tXßov  y.ai  xqt'jf.iaz'  uytoltai  Bernays,  ov/  tri  d'  elg  "Atdrjv  /.it. 
Bergk:  dann  hätte  auch  schon  'dtdrjv  aus  VOL  aufgenommen  werden  können;  nur  brächte 
uns  gerade  dies  dem  Ursprünglichen  allerdings  um  keinen  Schritt  näher.  Dennoch  sind 
es  allein  VOL,  die  uns  durch  ihre  La.  ob/,  ig  ü'idrjv  öXßov  eysig  [-eiv  OL]  den  rechten  Weg 
weisen,  nämlich  zu  ov/  elg  "Aidrjv  cXßov  eyeig  ['du  vermagst',  vgl.  93]  /ai  yq^aaz1  ayeo&ai. 
Die  Vulgata  entstand  dadurch,  dass  eyeig  frühzeitig  zu  kyeiv  ward  und  nun  erst  die 
Schreiber  M  ac.  iv  eg,  M-  pc.  ivi  elg,  L1  pc.  ev  ig,  lfHWw  (L1  cum  yq  im.)  %v  eg,  P8  ir. 
«>'  eg  hineinbrachten;  für  M2  ergab  sich  aus  seiner  La.  die  Notwendigkeit,  eyetv  (so  fiw) 
zu  streichen,  während  die  anderen  lieber  evz  elidirten  und  ausserdem  zu  ig  "Aiöyjv  ihre  Zu- 
flucht nahmen.  —  114  or  7toXvv  avSoionoi  'Qüuev  yqovov,  aXX'  E7ii  /.aiqöv  Bergk  und  Ber- 
nays: lies  bci/aiqov  ('vergänglich'),  nach  VOlfPHXWA'as  (irzi/tjqov  YT),  das  mit  tzoUv 
correspondirt;  vgl.  Stob.  Flor.  V  112  Mein.  *c  (th  yaq  aXXolov  to.v  ocpttaXuiov  eaziv  bci/aiqog 
yorjZEia,  zo  de  ov[tq>vzog  /ai  uvs^äXeinzog  /ai  äldiog  ol/lag  /oafiog.  —  137  j.io!qag  7täai 
r^ueiv  Bernays  (umai  Bergk):  besser  poiqav  (V  itoiqav)  OLYPWRw.  —  141  nXa^öfievov  de 
ßqoxbv  /.ai  aXnqov  in'  n ox'  eXey%t]g  Bergk  (s.  seine  Anm.),  7tXat6nevöv  ze  ßoxbv  /az 
azaq7cizbv  o'vnox'  üXv&ig  Bernays  (S.  238f.):  vielmehr  7cXal6^evov  de  ßqozbv  [so  VMLIPJw, 
ßqwxbv  "W]  /ai  äXrjuova  [so  VOLPH,  aXiueva  J]  /a^cox'  [so  VOL,P2  ir.,  HJ]  äXr'S^g  [so 
V,  M2  ir. ;  äXe^elv  Y;  aXet-rjg  J],  'suche  ihn  nicht  zu  vermeiden',  'gehe  ihm  nicht  aus  dem 
Wege'.  Höchstens  könnte  aXe£yg  in  Betracht  kommen  ('wehre  ihn  nicht  ab'),  das  in  der 
Mitte  zwischen  oAv$£fi  und  dem  vulgäreren  iXiygrjg  liegt;  doch  sehe  ich  keinen  rechten 
Grund,  von  der  zuverlässigeren  Tradition  abzuschweifen.  "Wer  ItXixqonov  wählte,  musste 
des  Metrums  halber  das  grammatisch  anstössige  emnox'  einsetzen  und  versuchte  schliesslich, 
den  Anstoss  durch  das  unpassende  Futurum  zu  beseitigen:  echt  ist  von  alledem  gewiss 
nichts.  —  142  ßelxeqov  avx'  ixttqov  xevxeiv  q>iXov  euueviovza  Bergk:  da  jedoch  iyßqolo  von 
BL1  und  zvxslv  von  VMOL1  (x'  e'xetv  B)  geboten  wird,  so  hat  Bernays  ohne  Frage  mit 
Recht  dies  in  den  Text  aufgenommen,  und  dazu  natürlich  qiXov  eüfiereovxog  aus  VLP-'HA'w 
(etuevöevxog  OP).  —  159  soxi  ßtog  tzüv  eqyov  Bernays:  indessen  gegen  ßtot  (VMOLlPw, 
Bergk)  ist  gar  nichts  einzuwenden.  —  166  otztiox'  aqoiqai  Xrtia  /eioaitevai  xaqnm 
TrXi'jüwaiv  aXioag  Bernays,  besser  ßqi&oxriv  ctXioug  Bergk:  aber  auch  der  Conjunctiv 
muss  noch  weichen;  denn  in  VO  steht  ßqiöovoiv  (nur  in  L  ßqi&iooiv).  ~-  172  rj  Tzhqrjg 
/oiXrjg  /axä  x^Qaubv  Bergk  und  Bernays,  obwohl  bis  auf  Y  alle  Hss.  und  Ausgaben  rte 
haben  und  die  'Attica  correptio'  durch  uXXoxqtiov  6,  uezqov  98,  naxqig  112,  uiqiüzqrjza  174 
geschützt  wird.  —  181  //rjcJ'  £7ti7zaXXa/.ioig  7iazqög  Xexieaai  fttyeirig  Bergk,  hii  naXX.a/iaiv 
Bernays,  beides  durchaus  nicht  wahrscheinlich;  Ini  7iaXXa/flot  VVR,  -/olaiW,  enuraXXav.lai 
W  pc.  {-/iaiv  M  ac),  hei  7xaXXa/toi  B1PHR  (xtffj*  0,  7taXa/ioi  ac.  P),  -v.iooi  A\  -/.ton  L: 
am  nächsten  liegt  die  Correctur  ini  naXXa/t'rjoi,  die  ich  für  ganz  unbedenklich  halte,  weil 
die  Nomina  auf  -eia  sehr  häufig  auch  auf  -ia  ausgehen,  besonders  bei  Dichtern.  —  204  ovde 
;th,  /.«/ov  cadq  anavaivexai  cupveov  b'vza  Bergk  und  Bernays :  ob  jedoch  das  Participium 
in  dieser  kurzen  Form  echt  ist,  wird  mir  theils  durch  ioiaa  73  und  ,uv.-raqe6neg  '34 
(woraus  OP  aiu.iaqöneg  machten)  zweifelhaft,  theils  durch  die  schwankende  Überlieferung 
(o  randm'  «V  M;  ayvetov  VO,  ac.  L  ut  vid.,-  iövza  OL1X),  die  eher  für  inavaivei  äipetbv 
Una  zu  sprechen  scheint.     Mit  verkürzter  Anfangssilbe  findet  sich  £<pyetö*  Theokrit  X11I 


23 

19,  («preioitQY  Anth.  Pal.  IX  678,  4,  ayveiov  Quint.  Sm.  I  738  u.  s.  vv.  Die  trochäiscbe 
Diärese  im  vierten  Fusse  wird  durch  die  Elision  gemildert,  wie  140.  —  207  naiaiv  fir\ 
%aXhcane  xeolg,  aXX'  rjntog  etijg  Bergk  und  Bernays:  man  corrigire  ijniog  i'o&i  (so 
OLlPHXWw,  TjO&aV,  l'arsY).  —  208  yv  dt  xi  7talg  cdltrj  ae,  x.oXovexu>  vua  fi'qirjQ  Bergk; 
äkiTj],  -MolitTio  Bernays  («);  äXtxrjGaio  -Aqivaxo  V;  aXixi]  aio  -Aiqvaxto  0;  äAtzrjfff  [aXixi  Ls 
ss.]  Aqivtxio  L;  ä/lm;  ioxQivit(o  1,  P-  ir. ;  aA/ijj  eaAqivhio  BHWT;  r\Xr\ii]  [atartj  M2  pc] 
KoXveiM  M;  «Atrrjfft  [über  das  zweite  Wort  schweigt  Bergk]  Y.  Aus  diesen  ( 'orruptelen 
entnehme  ich  äXixrj  a\  ?o  ■Aqiväxio:  'wenn  ein  Junge  sich  an  dir  versündigt,  soll  seine  Mutter 
den  Sohn  richten  oder  auch  die  Familien-  oder  Gauältesten'.  Jedenfalls  muss  die  Emen- 
dation  von.  VO  ausgehen,  und  eine  leichtere  ist  schwerlich  zu  finden.  —  210  fiij  ftiv  bi 
aqaen  naidi  xqüpeiv  nXo-Aafir\Lda  yaixiqv  (wie  L  it.)  Bergk  und  Bernays;  7cXo'AÜfiovg 
e/cixÜQZovg  VO  vortrefflich;  7iXoAÜfiovg  eni  yaixx\g  Bl,  pc.  MP2  (yai^xrjg  M),  im.  L,  hg; 
7cloxauida  yaiziqv  HW',  im.  P2;  -dag  yaiix\v  A1;  7cXo/.afirji'da  xeyvt]v  Y;  nXoAafiidog  yaixz]v 
abd;  yaixiqv  nXoAafüdog  cnjsykt.  —  211  utj  ■Aoqvrpijv  nlik~rlq  firj&'  af.if.iuxa  Xo£a  -Aoqifißiov  (wie 
Qco)  Bergk  und  Bernays:  selbstverständlich  gebührt  jujjd'  (ji^  <T  V)  der  Vorzug.  —  212 
aqoeaiv  oi'a  eneoiAe  xoitäv,  yXiöavalg  de  yvvaii-iv  Bergk;  yXidai  de  yvvai^lv  (wie  io)  Bernays 
(das  doch  wohl  yXidäv  lauten  würde,  correspondirend  mit  ~A.of.ictv);  Ao/täv  VOP;  zöfiai 
MB1YHT,  im.  P2;  -AÖfir]  ¥w.  yqij  de  xalg  yvvai^i  VOP;  yXidai  yvvat&v  de  M,  yXidaig  de 
yvvaii-iv  M2  pc;  yXidai  de  yvvai%i  1HW,  im.  P2,  w:  vermuthlich  steckt  in  yqz]  de  xalg  weiter 
nichts  als  yqrjoxaig  de.  Schlechte  Orthographie  und  Verschiebung  der  Conjunction  (s.  M) 
thaten  das  Ihrige,  dies  zu  schädigen.  Wiederum  sehen  wir  VO(P)  einig  und  dem  Arche- 
typon  näher,  auch  bei  -AOftäv,  das  alle  übrigen  gleichfalls  verdorben  haben.  —  Dies  ver- 
anlasst mich,  auch  214  noXXol  yaq  Xvaaiiiat  nqög  aqaeva  fü£iv  eqiozog  (Bergk  und  Bernays) 
zu  beanstanden,  wo  OP  Xlvoüoiöi  (und  V  Xvoolomsi)  lesen,  ursprünglich  also  yaq  gefehlt 
haben  wird.  —  216  7zqo  döftiov  o(pi>7]fiev  eaorjg  Bergk  und  Bernays,  nach  c'yirriftev  M, 
orpdrßievai  B:  wozu  denn  aber  die  Conjectur,  da  orpOijvai  (VOlPHXWw)  vollkommen  tadellos 
ist?  Übrigens  hat  B  beide  Lesarten  in  Eins  verschmolzen1).  —  223  yaazqog  ocpeiXöfievov 
daofibv  naQtyeiv  Üeqa7zovoiv  Bergk;  naQtyou  Bernays,  nach  lP2HWw:  correcter  naqaayov 
VO,  woraus  ich  folgere,  dass  der  Autor  den  Vers  mit  &eqänov<SL  7caqüoyov  geschlossen 
hatte,  wie  23  und  29  mit  yq^Covii  naqäöyov.  —  225  aziyftaza  uij  yqc'apyg,  E7ioveiditu)v 
&EQÜnovxa  Bergk  und  Bernays  mit  w:  da  yqäiprjg  eines  entfernteren  Objects  bedarf,  so 
ist  das  Komma  zu  streichen  und  mit  VOYXW  Veqc'aiovxi  herzustellen.  —  228  ayvei-q 
xpvyy]g,  ov  atüftaiög  etat  [ao'jfiaxog,  elai  Bergk]  y.aOaqfioi  Bernays:  ohne  Frage  verdient  dies 
vor  zov  odfiaxog  (Bergk3)  den  Vorzug  (ov  VB01YPHW,  mit  Dittographie  aov  Mi1,  aolT); 
doch  bleibt  die  Incongruenz  des  Numerus  befremdlich,  die  P-'Habdcnjsyk  durch  ayvelai, 
Yhg  durch  iazi  y.aO-aqftög  wegzuschaffen  versuchten.  Das  sind  Nothbehelfe;  ich  fasse  das 
erste  Wort  als  Dativ  auf  (ayvel-qo  M  wohl  aus  «yre/ijt  verdorben):  'Läuterungen  sind  für 
die  Reinheit  der  Seele,  nicht  für  die  des  Leibes  da'. 

14.  Selbst  die  Varianten,  deren  einige  V  theils  zwischen  den  Zeilen, 
theils  am  Rande  aufbewahrt  ha't,  überragen  durchschnittlich  alle  ähnlichen  Bei- 
schriften   der    anderen  Quellen    an    innerem  Werthe    und    deuten    unverkennbar    auf  eine 


1)  Das  ist  öfter  vorgekommen:  s.  unten  §  14  Anra.  2. 


24    _ 

ebenso  vorzügliche  Quelle  hin  wie  der  Text.  Zum  Theil  bestehen  sie  freilich  in  blossen 
Correcturen  von  Schreibfehlern  (34  f.aaivt]g  st.  -vaig.  140  eysiQE,  ss.  aw.  147  agylnoai  pc.) 
oder  in  Glossen1):  doch  finden  sich  auch  wichtigere,  z.  B.  das  sonst  nirgend  bezeugte 
-i/.og  1''n'  io^Xbi»  (tyad-üc,  rpaiilatv  d'  ätdtjXot;  (65),  das  Bergk  und  Bernays  mit  Recht  auf- 
nahmen; im  Texte  hat  V  die  vulgäre  La.  d'  h/coeQyög  (i?itQoy/.og  M,  ö'  6  novqQiöv  L,  dt 
rcoi'Tjpdt;  Y,  öt  ye  (pailoc,  ''['').  Der  interessanteste  Fall  der  Art  jedoch  scheint  mir  noch 
nicht  genügend  ausgenutzt  zu  sein.  Zwischen  den  Versen  15  und  16  nämlich  hat  V  diese 
Zeile  eingeschaltet:  anavta  /njc'  ciyvwg  fty'jt'  iirehovti  tlsltai.  Richtig  erkannte  ßergk 
hierin  die  Ausgänge  dreier  schon  bekannter  Verse,  hielt  es  aber  nicht  der  Mühe  werth, 
näher  auf  sie  einzugehen.  Ich  bin  überzeugt,  dass  es  ursprünglich  Varianten  waren,  die 
ein  Schreiber  vom  Rande  auflas  und  zu  einer  interlinearen  kritischen  Note  verschmolz2). 
Die  erste  betrifft  den  von  mir  (S.  16)  so  reconstruirten  Vers  14:  /uetga  yefistv  tu  öUaia- 
y.rdvv  ö'  hu  /.titgov  anavxav.  Gegenwärtig  bietet  allerdings  auch  in  V  der  Text  keine 
andere  La.  als  jenes  anavta,  doch  lehrt  ein  Blick  in  den  sonstigen  Variantenapparat,  wie 
wenig  sie  ehedem  feststand;  und  ich  wüsste  für  den  ersten  Bestandtheil  jener  fraglichen 
Interlinearnote  keine  wahrscheinlichere  Erklärung  als  die,  dass  erst  nachträglich  der  Unter- 
schied zwischen  Text  und  Note  verwischt  wurde.  Was  hier  oder  dort  anfänglich  ge- 
standen haben  mag,  bleibe  dahingestellt,  weil  der  Möglichkeiten  mehrere  sind.  Auf  festeren 
Boden  führt  uns  der  zweite  Bestandtheil,  der  sich  auf  16  jurjd'  iniOQ/.i]aj]g  fiyt'  ayvwg 
ur\ze  (a.ovil  bezieht.  Die  vulgäre  La.  btovtl  (die  auch  V  im  Text  bietet)  verstösat  gegen 
das  Hiatusgesetz  des  Dichters:  vocalischen  Zusammenstoss  zweier  Wörter  lässt  er  nur 
zu3),  wenn  die  vorangehende  Länge  entweder  in   der  Hebung  steht   oder  in  der  Senkung 


1)  57  «'",'',  ss-  öoytji'.  83  itutQOSi  ss.  xaxöi.  201  üi'^iiuthi  yeuxgoxat  r»,  ss  xaia  oizjv  (dies  führte 
zur  La.  Si&afrai  fiev  xectä  ohtov  MLUYP^HW).  Manche  Schreiber  vermochten  nicht  zu  beurtheilen,  ob  das 
(bergeschriebene  Interpretation  oder  Ernendation  war,  und  brachten  daher  nicht  selten  diese  oder  jene 
Glosse  in  den  Text.  Von  diesem  Fehler  hat  sich  V  keinesweges  frei  gehalten  Über  69  yttyeiv  st.  f&ttr 
und  78  (»fttXoi  st.  öihk.i  habe  ich  schon  gesprochen.  Andere  Beispiele  sind  49  leora  /iHuav  st.  xitra  yiöonr. 
i2  <nhtvrt  st.  fiJjVrji  102  ov  naXoP  ctouoii^r  ärtü.vt'iui'  ivl  uvd~f)ü)nots  (tailt-  a9f9*Q(OItotG  OPj  St.  ai  iü>  hm  lir- 
frffujtoto,  109  fii/tyjao  8'  st.  »sh;7,o',  113  xoao-  st.  Svpot,  123  tjtu  iiiiXXor  nävxatv  a  öv,iae'  s^-  ?"*  uäia  ntirrat 
in  i'au.  Es  bedarf  wohl  kaum  der  besonderen  Erwähnung,  dass  alle  übrigen  Hss.  an  derartigen  Verdtrb- 
nissen  gleichfalls  kranken  und  dass  es  mitunter  recht  schwierig  ist,  die  so  verhüllte  echte  La.  wieder- 
zuerkennen. 

2)  Derartiges  Zusammenziehen  verschiedener,  ursprünglich  getrennt  gewesener  Textbestandtheile 

xara 

ist   nicht   so    ungewöhnlich:    135  nafmcaiafrqxtjv  V,    aus   der  Doppellesart    des  Archetypon   rtaQafrt'xT}»  ent- 

standen.     188  in'   r.tay_,  i  uo«<i  V.   d.   i    in    laayi  vtoU    und    (ohne    in")    wa/rm,ooU.     9  SXmsw   1.    d     i.    IX       . 

((fiiXna)ae  rai 

13  i/ ihiditui   ui  1,  d    i.  ifihwauv.    21G  äffrquerai  B,  d.  i.  öf^ijfisy.     Gestützt  auf  diese  Erfahrung  möchte  ich 
den  neuen  Vers  145,  den  uns  V  gerettet  hat,   fyxfaris  ij»»   i'/nr   *«;   hn,i,  ,„'>,■   &"  äntxM  einfach 

an 
durch  die  Annahme  eines  ehemaligen  SieX$ad-m  erklären  i  wobei  «,-r  die  Correctur  des  fehlerhaften  St  bedeutete), 
nicht  aber  mit  Bergk  und  Bernays.   die  freilich  über  die  La.  irrig  unterrichtet  waren,  in  raw>  Xoßtrxür  IT 
anijpolhu  verändern. 

3)  Ausnahmen  von  dieser  Regel  sind  sicher  auf  Verderbung  oder  Interpolation  zurückzuführen, 
/.  B.  21  in  i'  aSutttv  tfrtXfii  n>]i'  ä&tHoirra  iaoiji  (vgl.  131"),  vielleicht  aus  /-/,V  äv9?  atomirr'  iaeäarfi  ver- 
Btüramelt.    Jedenfalls  kennt  V  in  dem   ganzen  Gedichte  kein   solches  überflüssiges  oir,  wie  man  es  hier 


25    _ 

zur  Kürze  wird  ('vocalis  ante  vocalem  corripitur').  Den  Fehler  beseitigt  die  Interlinear- 
note /.irjz  sdtXovxi  höchst  glücklich,  und  mit  Bergk  an  der  Echtheit  dieser  La.  zu  zweifeln, 
sehe  ich  nicht  die  geringste  Ursache,  besonders  nachdem  das  oben  erwähnte  atdt\Xog  65, 
das  um  nichts  besser  beglaubigt  ist,  verdientermaassen  allgemeinen  Beifall  gefunden  hat. 
Der  dritte  interlineare  Bestandtheil  endlich  gehört  zu  18  arzBoiiaxa  iirj  •f.'kenxuv  enaQÜairiog 
oaxig  elr\xai.  Das  Schlusswort  lautet  allerdings  so  in  den  Texten  VW£2,  hingegen  aqelxai 
in  HA"8  (cum  yg  LiYP8,  agrjxai  Ma,  aigelxai  J);  und  da  unser  Dichter  sonst  oox ig  stets 
mit  dem  Indicativ  verbindet  (17  oriöaaei  nach  V  u.  a.  51  aörtel  nach  iiw.  123  ovrjaet 
nach  V  u.  a.),  so  stehe  ich  nicht  an,  auch  im  vorliegenden  Falle  mich  für  das  von  jener 
Interlinearnote  gebotene  fAelxai  zu  entscheiden. 

15.  Überblicke  ich  die  lange  Reihe  von  Beispielen,  so  darf  ich  mich  wohl  der 
sicheren  Hoffnung  hingeben,  dass  sie  hinreichen  wird  darzuthun,  warum  ich  V  an  die 
Spitze  der  gesamten  Phokylides-Überlieferung  stelle1),  erst  in  zweiter  Linie  OP  (LF),  in 
dritter  MB  (fP*H),  in  vierter  L'I/IYXJ  (TWA183  M»1')  und  in  letzter  endlich  !P  folgen 
lasse.  Leider  sind,  wie  ich  an  33  exvoiicc  und  78  öveiaq  gezeigt  habe  und  namentlich 
W.  Kroll  gegenüber  aufrecht  erhalten  muss,  selbst  die  schlechteren2)  und  schlech- 
testen Quellen  nicht  ganz  zu  entbehren;  denn  die  Sprüche  verfielen  zwar  allmählich 
mehr  und  mehr  den  ärgsten  Verderbnissen,  aber  manches  echte  Körnchen  hat  ersichtlich 
doch  bis  in  die  untersten  Schichten  der  Tradition  unbehelligt  Zugang  gefunden.  Das 
darf  nicht  übersehen  oder  gar  verschmäht  werden.  Mit  der  starren,  unverriickbai-en 
Schablone  kommt  man  hier  noch  weniger  wie  bei  den  meisten  anderen  textkritischen 
Problemen  durch.  Aber  freilich  gar  keine  Rücksicht  zu  nehmen  auf  den  allgemeinen 
Charakter  und  Werth  der  Hss.,  die  schlechtesten  genau  so  einzuschätzen  und  zu  brauchen 
wie  die  besten  und  die  Wahl  der  Lesarten  fast  ausschliesslich  von  subjectivem  Ermessen 
abhängig  zu  machen,  was   bisher  die  Regel  war,    geht    ganz    gewiss   auch   nicht   an,  will 

aus  einigen  Hss.  eingeschaltet  hat  (auch  118  nicht,  wo  jetzt  uryti  y.uxoU  üyjhu  «jjV  frictydkfoo  /«'»/<;,  steht 
und  möglichenfalls  einst  ih  .utytuhn  gestanden  hatte,  gebildet  nach  iZensvxoum).  —  155  tixpq  toiyii  rivSmi, 
atQyöv  8'  XyrtTo  hfiög.  Die  Lücke  zu  Anfang  wollte  Bergk  (Bernays)  durch  r  eyi-i,  toi  ausfüllen,  den  Hiatus  zuerst 
durch  ävSgai  (Bernays),  dann  gar  nicht  beseitigen.  Dass  ävSqai  nichts  nützt,  geht  aus  woyöv  hervor.  Ich 
vermuthe  xixva  ti-yvi,  toi  fei  ävSga  r  (also  reyn,  genau  so  wie  158  gemessen).  Die  Ähnlichkeit  der  beiden 
ersten  Worte  begünstigte  den  Ausfall  des  einen  (Wortverlust  ist  in  V  noch  öfter  vorgekommen,  z.  B.  75  eots, 
203  äifooyeoireg,  222  itargos).  Übrigens  scheint  der  falsche  Phokylides  nur  das  Pronomen  xoi  =  001  ver- 
wendet zu  haben  (29. 161.  224),  nicht  die  versichernde  Partikel  toi  (sie  fehlt  96  in  allen  mir  bekannten  Hss. 
und  ist  selbst  124  nicht  mit  völliger  Einstimmigkeit  überliefert;  dort  könnte  xul  htoi  xal  viioio,  hier  önlor 
yciQ  verdrängt  worden  sein).  —  227  Xä/tßavs  xai  ßov&tjv  nuoa  [nao'  VI,  jiolq  OP]  oixerov  ei  fQovhvros  versuchte 
Bergk  durch  .moit  y  oixsTov,  Bernays  durch  naoa  öovXor  ti'tpQoveovTos  zu  bessern:  aber  ersleres  verstösst 
gegen  den  Sprachgebrauch,  letzteres  gegen  die  Metrik  des  Dichters  (er  meidet  ye  ebenso  wie  die  fehler- 
hafte Diärese  im  vierten  Fusse).  Das  Nächstliegende  wäre  wohl  hiußave  xtd  ßorVr,  <h<to  oixerov  ei  fqo- 
viovroq,  'nimm  auch  Rath  an,  sogar  von  einem  Sclaven,  wenn  er  wohlgesinnt  ist'.  Über  diesen  Gebrauch 
von  ttxäo  s.  Berl.  philol.  Wochenschr.  1903  S.  361.     Er  lindet  sich  selbst  in  Prosa. 

1)  F.  Susemihl  (Gesch.  d.  griech.  Litt,  in  der  Alexandrinerzeit  II  S.  642)  hat  diese  Hs.  nicht 
einmal  der  Erwähnung  werth  gehalten.  Nach  ihm  sind  der  Mutinensis  (M),  'die  älteste  und  beste',  und 
demnächst  der  Vaticanus  (Y)  'besonders  zu  erwähnen'. 

2)  104  oniaw  Se  !>col  TeXtd-oncn  YSJio,  einzig  nur  L  reXed'oioi  (ss.  tüvthi  so),  das  ich  für  richtig 
halte,  wegen  zeXe'9ovaiv  {ovaiv  pc.  L)  71  und  reU&ei  170. 


die  Textkritik  hier  in  rechter  Weise  ihres  wichtigen  Amtes  walten.  Sehr  hoch  steht  in 
meinen  Augen  keine  einzige  Phokylides-Handschiift;  alle  ohne  jede  Ausnahme  haben  sie 
ihre  offenbaren  Schwächen  und  Fehler:  immerhin  bleibt  für  mich  die  sichere  Thatsache 
in  Kraft,  dass  V  nicht  bloss  die  vollständigste,  sondern  auch  entschieden  die  bat 
von  allen  noch  vorhandenen  Hss.  unseres  Spruchbüchleins  ist,  und  ferner  die  ebenso 
sichere  Thatsache,  dass  der  Text  um  so  mehr  an  echtem  Werthe  verliert,  je  näher 
er  der  Sibyllenmache  lF  rückt,  mit  der  die  dreiste  Fälschung  ihren  Gipfelpunkt  er- 
reicht hat.  Das  sind  die  beiden  Punkte,  auf  die  es  mir  gegenwärtig  besonders  ankam 
über  Anderes  wird  sich  streiten  lassen,  über  sie  schwerlich.  Und  so  wäre  denn,  behalte 
ich  Recht,  ein  immerhin  sehr  zuverlässiger  Gradmesser  gefunden,  der  sich  nach  meinen 
Erfahrungen  in  vorsichtiger  Hand  wohl  bewähren  wird,  sobald  es  gilt,  die  gewaltige 
Variantenmenge  nach  ihren  mehr  oder  minder  ursprünglichen  Bestandtheilen  zu  sichten. 
Dann  muss  und  wird  sich  endlich  auch  klar  herausstellen,  dass  der  Vaticanus  Y,  auf  der. 
noch  in  der  vierten  Auflage  Bergk  so  grosse  Stücke  hielt,  ganz  ohne  Verdienst  und 
Würdigkeit  zu  dieser  Ehre  gekommen  ist. 

(Der  Schluss  folgt  in  der  Einladnngsselirift  zu  den  Itedeacten  dieses  Jahres.) 


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