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Full text of "Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Konigl.Preuss.Akademie der Wissenschaften zu Berlin"

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der 


Königlichen 


Preuis. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


Aus dem Jahre 1856. 


Mit 


11 Tafeln. 


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Berlin. 
Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften. 


1856. 


In Commission in Ferd, Dümmler’s Verlags-Buchhandlung. 


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Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat Januar 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Böckh. 


7. Jan. Sitzung der physikalisch-mathema- 
tischen Klasse. 

Hr. Steiner las über eine besondere Curve drit- 
ter Klasse (und vierten Grades), welche merkwür- 
dige Eigenschaften hat und sich bei verschiedenen 
geometrischen Betrachtungen einstellt. 

Die Curve tritt schon beim geradlinigen Dreieck ein. 
Fället man aus jedem Punkte in der dem Dreieck 
umschriebenen Kreislinie auf die Seiten Perpen- 
dikel, so liegen die je drei Fufspunkte allemal 
inirgend einer Geraden G, und die Enveloppe aller 
dieser Geraden ist eine Curve dritter Klasse, G?, 
und vierten Grades, welche die im Unendlichen 
liegende Gerade, G., zur ideellen Doppeltangente 
hat; ferner hat sie drei Rückkehrpunkte und die 
drei Rückkehrtangenten schneiden sich in einem 
und demselben Punkt. Die Curve berührt namentlich auch 
die Seiten des Dreiecks, so wie dessen drei Höhen, d.h. die 
aus den Ecken auf die Gegenseiten gefällten Lothe. 

Sei a5 c das gegebene Dreieck; ö der Mittelpunkt des 
ihm umschriebenen Kreises ö?; ferner aa, 5b, cc seine drei 
Höhen und @ der gemeinsame Schnittpunkt derselben; seien 

[1856.] : 1 


f” 


2° Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


ferner «, £, y die Mitten der Seiten und m der Mittelpunkt 
des durch diese Mitten und zugleich auch durch die Fufs- 
punkte a, b, c der Höhen gehenden Kreises »n?; endlich sei 
r der Radius dieses Kreises, derselbe ist halb so grofs als 
der Radius des Kreises 8°. Dader Punkt 2 in der Mitte zwi- 
schen ö und d liegt, so ist d der äulsere Ähnlichkeitspunkt bei- 
der Kreise. Wird von den über den Seiten des Drei- 
ecks liegenden Bogen des Kreises m?, aa, £b, yo 
von den Mitten der Seiten aus, mittels der Punkte 
u, v, w, je ein Drittel abgeschnitten, so dals Bogen 
au=ten, fv=+Lb, ye=+yt, so theilen diese 
Punkte die ganze Kreislinie in drei gleiche Theile, 
so dals sie die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks 
uvw sind. 

Ist » ein beliebiger Punkt in der Kreislinie ö° und G die 
ihm zugehörige Fufspunkten-Linie, so hat der aus dem 
Höhenschnitt d nach p gezogene Strahl dp seine 
Mitte, etwa a, allemal in G und zugleich auch im 
Kreise m?; dieser Kreis werde von G zum zweiten Mal in s 
geschnitten; der Punkt # wird Mittelpunkt und s Scheitel 
der Fufspunkten-Linie G genannt. Im Kreise ö? sei p, der 
Gegenpunkt von p, so steht dessen Fulspunkten-Linie 
G, jedesmal auf G senkrecht, und zwar haben beide den 
Scheitel s gemein und ihre Mittelpunkte » und », sind gleicher- 


*, und die Durchmesser pp, 


weise Gegenpunkte im Kreise m 
und au, sind parallel. Demnach sind die Fulspunkten- 
Linien, oder die Tangenten der Curve G’, paar- 
weise zu einander rechtwinklig, auf jeder steht 
eine — aber nur eine einzige— bestimmte andere 
rechtwinklig, und der Ortder Scheitel saller dieser 
rechten Winkel ist die Kreislinie m?. Diese Eigen- 
schaft hat also die Curve mit den Kegelschnitten gemein. 
Solche rechtwinklige Tangenten-Paare sind namentlich auch 
die Seiten und zugehörigen Höhen des gegebenen Dreiecks. 
Jede zwei zu einander rechtwinklige Fulspunkten-Linien heilsen 
schlechtkin ein Paar. 

Jede Fulspunkten-Linie G, (=G) wird von jedem 


Paar in zwei solchen Punkten geschnitten, welche 


vom 7. Januar 1856. 3 


gleich weit von ihrem Mittelpunkte u, abstehen; 
eine Folge davon ist: dals G, von der Curve G’ in 
demjenigen Punktez, berührt wird, welcher vonihrem 
Mittelpunkt eben so weit absteht, als ihr Scheitel 
55, also %gta = W252. Es folgen ferner nachstehende interes- 
 sante Eigenschaften. Die Gerade, welche durch die 
Berührungspunkte z:, irgend eines Paars GG, geht, 
ist stetsauch eine Fulspunkten-Linie G,, und dieje- 
nige, die mit ihr ein Paar bildet, geht jedesmal 
durch den Scheitel jenes Paars; zudem hat die Be- 
rührungs-Sehne 27, constante Länge, nämlich sie ist 
dem vierfachen Radius des Kreises m? gleich, zz, =4r. 
Oder umgekehrt: die Gurve G? schneidet jede ihrer 
Tangenten G, in zwei solchen Punkten z und z,, 
deren Abstand von einander constant, und zwar dem 
Durchmesser des Kreises ö°, oder dem doppelten 
Durchmesser des Kreises m? gleichist; und die Tan- 
genten in solchen zwei Schnittpunkten sind je ein 
PaarGG,. Die in denSchnitten 47, und in demBe- 
rührungspunktz, jeder Tangente G, auf die Curve G? 
errichteten drei Normalen treffen sich allemal in 
irgendeinem Punktegundder Ortdieses Punktes ist 
einKreis [»]’, der mit dem Kreise m? concentrisch 
ist, und einen dreimal so grofsen Radius hat, als 
dieser. Die Curve G’ berührt den Kreis m? in den 
oben genannten drei Punkten wv,w und hat diesel- 
ben zu Scheiteln. In diesen Punkten bilden die zu- 
gehörigen Tangenten, etwa U, P,W, unddie Kreis- 
durchmesser U,, /,, W, mit einander Paare; jene 
sinddie einzigen dreiFufspunkten-Linien, bei wel- 
chen der Scheitel (s), Mittelpunkt (») und Berüh- 
Tungspunkt (£) vereint sind, die anderen haben die 
Punkte v,v, » zu Scheiteln, deren Gegenpunkte 
4,0,,@, (im Kreise m’) zu Mittelpunkten, und um 
dieLänge des Durchmessers über diese hinaus ihre 
Berührungspunkte u,,v,,w,;. Diese letztern Punkte 
sind die drei Rückkehrpunkte der Curve G? und 
U,,#,, WW, sind die Rückkehrtangenten, die also 
1® 


4 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


alle drei durch den Mittelpunkt m des Kreises ge- 
hen, gleich lang sind, nämlich mu, =mv, =mw, =3r, 
und mit einander gleiche Winkel (=120°) bilden, 
so dals die drei Rückkehrpunkte u,, v;,, w; im oben 
genannten Kreise [m]? liegen und die Ecken eines 
gleichseitigen Dreiecks sind, das m zum Schwer- 
punkt hat; auch sind die drei Rückkehrtangenten 
zugleich Normalen der Curve in ihren Scheiteln 
wv,w und es ist ug =v,y =ww,=A4r. Der reelle 
Theil der Curve G? besteht nur aus einem regelmälsigen Cur- 
vendreieck u, v5; w,, das innerhalb des geradlinigen Dreiecks 


? umschlielst; seine drei 


u, v5; w, liegt, aber den Kreis m 
gleichen Seiten u,wv;, vzuw,, wzvu, sind nach Innen con- 
vex und berühren den Kreis mit ihren Mitten (Schei- 
teln) wv,®; die Länge jeder Seite ist = öfr, somit 
der ganze Umfang =16r; der Inhalt des Curven- 
dreiecksist=3rr?, also gerade dreimal so grols, als 
die Kreisfläche m?, so dals jeder der drei gleichen, 
zwischen dem Kreise und der Curve liegenden Ar- 
belen, =Zzr? ist. Jede Tangente der Curve G? be- 
rührt je einen ihrer drei Zweige und schneidet die 
beiden andern; ein Paar GG,, d.h. die Schenkel eines 
ihr umschriebenen rechten Winkels berühren im- 
mer verschiedene Zweige. 

Sind GG, und ZH, irgend zwei Paare, wird G von H und 
H, beziehlich ina,,d, und @, von denselben in 6,, c, geschnitten, 
so sind die Geraden a, c,, d, d, allemal ein drittes Paar, etwa 
II,, d. h. sie sind auch zu einander rechtwinklige Fulspunkten- 
Linien oder Tangenten der Curve G°’. Ein eben solches Trip- 
pel von drei Paaren GG,, HH,, IT, mit einem Quadrupel von 
vier Schnittpunkten a, d,c, d bilden auch die Seiten und zuge- 
hörigen Höhen des gegebenen Dreiecks; beiderseits hat man 
ein vollständiges Viereck (a,d,c,d, oder abed), dessen drei 
Paar Gegenseiten zu einander senkrecht sind, oder vier solche 
Punkte, von denen jeder der Höhenschnitt des durch die drei übri- 
gen bestimmten Dreiecks ist. Bei allen diesen Vierecken 
ist die Summe der Quadrate der Gegenseiten con- 
stant, und zwar =416r?; also ad? +bc? = ac? + bu? 


vom 7 Januar 1856. 5 


= ab? +cd? = t6r?. Alle Quadrupel aded, deren vier 
Punkte sämmtlich reel sind, liegen innerhalb des 
Curvendreiecks G°; und umgekehrt, durch jeden inner- 
halb dieses Dreiecks liegenden Punkt da ist ein reel- 
les Quadrupel bestimmt, denn es gehen immer drei reelle 
‘ Tangenten G,, #,, 7, durch denselben, und die zu diesen senk- 
rechten Tangenten G, H, ZT, sind ihre Gegenseiten in einem 
vollständigen Viereck aded. Liegt hingegen der gege- 
gebene Punkt d aulserhalb des Curvendreiecks 6°, 
so geht nur eine reelle Tangente, etwa G, durch 
ihn, und alsdann ist von den andern drei Punkten 
nur einer, etwa a, reell, der gleichfalls inG und auf 
der andern Seite aufserhalb der Curve liegt; die 
conjugirte Tangente G, ist auch reell und enthält 
die zwei imaginären Punkte5 undc; die beiden an- 
dern Paare ZH, und 7, sind imaginär. Die den vier 
Dreiecken abc, abd, acd, bed umschriebenen Kreise, 
deren Mittelpunkte beziehlich ö, ,, £ß, & heissen 
sollen, sind gleich, und bei allen Quadrupeln von 
gleicher Gröfse, nämlich der Radius eines jeden ist 
dem Durchmesser des Kreises m? gleich, also = ?r. 
Das Viereck «ßyö ist dem Viereck aded gleich und 
liegt so, dafs die vier Geraden a«, b£, cy, dö alle 
durch den Mittelpunkt m gehen und durch ihn ge- 
hälftet werden; daher haben umgekehrt die denvier 
Dreiecken «ßy, «ßd, ayd, Cydö umschriebenen Kreise 
ihre Mittelpunkte in d, c, 5, a, und ihre Radien sind 
ebenfalls=?r; undferner sind die Gegenseiten 2) 
und £y,«@y und £ö, «® und yö zu einander rechtwink- 
lig,oderbilden drei Paare ©$,, 89,,33,, deren Schei- 
telim nämlichen Kreise m? liegen, und deren-Enve- 
loppe eine der vorigen, G?, gleiche Curve ©? ist, 
aberum den Mittelpunkt m um 180° herumbewegt, 
so dals sie den Kreis in den oben erwähnten Punk- 
ten u,,v,,®, berührt. Alle reellen Quadrupel aßyd 
liegen innerhalb des Curvendreiecks ©’. Enthält 
das Quadrupel aded zwei imaginare Punkte dund c, so 
sind die den Dreiecken ade und add umschriebenen 


6 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Kreise ß? und y?, so wie ihre Mittelpunkte ß und 
yimaginär, wogegen die den Dreiecken ade und bed 


?2 sammt ihren Mit- 


umschriebenen Kreise ö? und « 
telpunkten ö und a reell bleiben, diese letztern je- 
doch jetzt aulserhalb des Curvendreiecks Ö? liegen. 

Durch jedes Quadrupel abcd geht ein Büschel gleichseitige 
Hyperbeln, B(4°?); die verschiedenen Paare Asymptoten 
derselben bestehen aus den gesammten vorgenannten 
Paaren GG, und sind somit Tangenten der nämlichen 
Curve G?’. Oder in Bezug auf das Dreieck abc kann man sa- 
gen: jede Fulspunkten-Linie G sei Asymptote einer 
ibm umschriebenen gleichseitigen Hyperbel ZA°, 
welche nothwendig auch durch den Höhenschnitt d 
geht und den Scheitel s von G zum Mittelpunkt hat. 
In Betracht aller Quadrupel adcd hat man auf diese Weise eine 
Schaar-Schaar gleichseitige Hyperbeln, $S(4*). Denkt man 
sich in Bezug auf jedes Paar GG, alle Hyperbeln, welche das- 
selbe zu Asymptoten haben, so hat man die nämliche SS(H?). 
Jezwei dieser Hyperbeln schneiden sich in irgend ei- 
nem Quadrupel, also nur innerhalb des Gurvendrei- 
ecks G’, wofern ihre Schnittpunkte alle vier reell 
sind; berühren sich dieselben, indem etwa a und d 
sich vereinen, soberübrensiezugleichauch die Ge- 
radead=G in deren Mittelpunktyu, und alsdann lie- 
gen die beiden andern Schnitte 5 unde in der 
Curve G? selbst und sind die Berührungspunkte 
eines Paars HH,, dessen Scheitel in jenem Punkte u 
liegt. Jezwei Quadrupelliegenin einer und dersel- 
ben Hyperbel 4°, oder insbesondere in einem und 
demselben Paar GG,. Die Rechtecke unter den je zwei Per- 
pendikeln, welche aus den einzelnen Punkten irgend eines Qua- 
drupels auf ein beliebiges Paar GG, gefället werden, haben 
jedesmal unter sich gleichen Inhalt. Sind in einer Ebene 
zwei rechte Winkel GG, und HH, gegeben, und 
sollen zwei Hyperbeln die Schenkel derselben be- 
ziehlich zu Asymptoten haben und einander berüh- 
ren, so ist der Ort ihres Berührungspunktes a ein 
bestimmter Kreis m?, welcher durchdie Scheitel der 


vom T. Januar 1856. 7 


Winkel und durch die Mitten der Strecken geht, 
welche auf den Schenkeln jedes Winkels durch die 
Schenkel des andern begrenzt werden. 

Das System Paare GG, kann insbesondere auch wie folgt 


2 


bestimmt werden. Wird in der Kreislinie »n irgend ein Punkt 


. p und nebstdem eine beliebige Gerade Q angenommen, und wer- 


den sodann aus jedem Punkte s des Kreises zwei unbegrenzte 
Gerade P und @ beziehlich durch p und parallel Q gezogen 
und die von denselben gebildeten Nebenwinkel mittels zweier 
Geraden G und G, gehälftet, so sind alle diese Geraden- 
Paare GG, ein dem obigen gleiches System, so dals 
sie eine gleiche Curve G’ umbüllen. 

In dem Kreise m? ziehe man eine fortlaufende Reihe Seh- 
nen unter folgender Bedingung. Aus dem Anfangspunkt s ziehe 
man die erste Sehne ss, willkürlich; sodann aus s, die zweite 
Sehne s,s,; senkrecht auf den durch s gehenden Durchmesser; 
ferner aus s; die dritte Sehne s,s; senkrecht zu dem durch s, 
gehenden Durchmesser, und so durch jeden neuen Punkt dieje- 
nige Sehne, welche zu dem durch den vorhergehenden Punkt 
gezogenen Durchmesser senkrecht ist, so entsteht — wenn 
nicht zufällig der über der ersten Sehne liegende Bogen mit 
dem Kreisumfange commensurabel ist — eine unbegrenzte Reihe 
von Sehnen, welche sämmtlich eine der obigen gleiche Curve 
G? berühren. Wird auf jede Sehne in ihrem zweiten End- 
punkte eine Senkrechte errichtet, so berühren auch diese Senk- 
rechten alle die nämliche Curve und bilden mit den respectiven 
Seliınen die obigen Paare GG,. Ist dagegen der Bogen über 
der ersten Sehne mit dem Kreisumfange commensurabel, ver- 
hält er sich zu diesem, wie n:m, wo n und m ganze und re- 
lative Primzahlen sind, so schlielst sich die Reihe Sehnen 
jedesmal, so dals ein geschlossenes Polygon ent- 
steht; jedoch kehrt die Reihe nicht immer in den Anfangs- 
punkt s zurück, sondern sie kann auch in s4, s3,.... zurückkeh- 
ren, je nachdem die Zahl m beschaffen ist. Ferner sind in die- 
sem Falle die Endpunkte s, s,, s23,.... der Sehnen immer 
Ecken eines regelmälsigen mEcks, und die Sehnen selbst sind 
Seiten verschiedener Ordnung desselben (oder Seiten und 
Diagonalen.. Das Sehnen-Polygon nimmt nur dann 


8 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


alle Ecken des mEcks in Anspruch und ist selbst ein 
mE.ck, wenn m eine Potenz der Zahl 3 ist; seine Sei- 
ten sindalsdann zu drei unddrei einander gleich, und 
zwar sind sie Seiten des regelmälsigen vollstän- 
digen mEcks von allen denjenigen Ordnungen, wel- 
che nicht durch 3 theilbar sind. Nämlich bei einem 
regelmälsigen vollständigen (24 + 1)Eck hat man (nach Gröfse) 
Seiten von 1ster, ?ter, 3ter, ... bis („—t)ter Ordnung zu un- 
terscheiden. — Hierbei berühren alle Sehnen gleicher- 
weise eine Curve G°’, so dals das Sehnen-Polygon 
dieser Curve um- und zugleich dem Kreise einge- 
schrieben ist. Es folgen daraus noch mehrere specielle 
Sätze, die hier übergangen werden. 

In Bezug auf das Obige ist die Curve G?, unter andern, 
auch noch wie folgt bestimmt. Denkt man sich rücksichtlich 
irgend eines der oben beschriebenen Quadrupel adcd die Schaar 
Kegelschnilte, welche durch einen der vier Punkte, etwa durch 
d, gehen und dem durch die drei übrigen bestimmten Dreieck 
abe eingeschrieben sind, ferner in jedem Kegelschnitt den durch 
den Punkt @ gehenden Durchmesser dd, und in dessen anderem 
Endpunkte 4, die Tangente G des Kegelschnitts, so ist die 
Enveloppe aller dieser Tangenten die dort be- 
trachtete Curve G°, und zwar für alle unzähligen 
Quadrupel stets die nämliche Curve. Auf diese Eigen- 
schaft wurde der Verfasser durch seinen Freund, den Professor 
Schläfli in Bern, aufmerksam gemacht. — Die Curve G? 
wird ferner auch durch rollende Bewegung erzeugt. 

Analogerweise gelangt man zu etwas allgemeineren Sätzen, 
wobei der obige Kreis m? durch einen beliebigen Kegelschnitt 
vertreten wird, und wobei die Gegenseiten der vollständigen 
Vierecke aded nicht mehr zu einander rechtwinklig sind. Fol- 
gendes Beispiel möge bier genügen. 

Sind ms und ma zwei beliebige Halbmesser einer 
gegebenen Ellipse m? und bewegen sich dieselben 
gleichzeitig um den Mittelpunkt m nach entgegen- 
gesetzten Richtungen so, dalsder vom Halbmesser 
msbeschriebene Sektor in jedem Momentdoppelt so 
grofs ist, als der vom andern, mp, beschriebene 


. 


vom 7. Januar 1856. 9 


Sektor, so ist die Enveloppe der durch die End- 
punkte der Halbmesser gehenden Geraden, su=G, 
eineCurvedritter Klasse@’und vierten Grades, wel- 
che die Gerade G,„ zur ideellen Doppeltangente hat, 
und deren reeller Theil nur aus einem krummlini- 


‘gen Dreieck u, v,w, besteht, welches die Ellipse 


umschliefst und sie mit seinen drei Seiten (Bogen) 
in drei solchenPunkten sv, » berührt, welche die 
Ecken eines derEllipse eingeschriebenen grölsten 
Dreieckssind; dieEcken jenes Dreiecks u, v; w, sind 
Rückkehrpunkte der CurveG°’,dieRückkehrtangen- 
tengehenalle dreidurchdenMittelpunktderEllipse 
und respective durch die genannten Berührungs- 
punkteu,v, w; biszu diesenPunktengenommen sind 
sie gerade doppelt so grols, als die aufihnenlie- 
genden Durchmesser der Ellipse. Der Inhalt des 
Curvendreiecks ist dreimalsogrofs, als die Fläche 
der Ellipse, und jeder der drei Arbelen zwischen 
beiden Curven ist zwei Drittheilen der Ellipsen- 
Fläche gleich. 


Herr Heinr. Rose berichtete über eine Arbeit des Herrn 
Dr. R. Weber, das Verhalten des Schwefelquecksil- 
bers zu den Verbindungen der alkalischen Metalle 
betreffend. 

Wenn man aus der Lösung eines Quecksilbersalzes ver- 
mittelst Schwefelammonium Schwefelquecksilber fällt, hierbei 
einen Überschuls des Fällungsmittels anwendet, und darauf eine 
Lösung von Kali- oder Natronhydrat zusetzt, so löst sich der 
Niederschlag auf und man erhält eine farblose Lösung. Wird 
diese Lösung eingedampft, so findet eine starke Entwickelung 
von Ammoniak statt, es bildet sich bei einem gewissen 
Concentrationsgrade eine Krystallhaut und nach dem Erkalten 
der Flüssigkeit haben sich Krystalle ausgeschieden, die aus 
Chlorkalium oder Chlornatrium bestehen, wenn man zur Fäl- 
lung des Schwefelquecksilbers eine Quecksilberchloridlösung an- 


gewandt hat. Werden diese Krystalle von der Mutterlauge 


getrennt und wird letztere dann noch weiter durch Eindampfen 


10 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


concentrirt, so zeigt sich aufs Neue eine Krystallhaut und 
nach dem Erkalten hat sich ein dichtes Haufwerk von lan- 
gen haarförmigen seidenglänzenden Nadeln gebildet. Wird die 
Mutterlauge durch Abtröpfeln auf einen mit einem Glasstab ver- 
schlossenen Trichter getrennt, und werden die Krystallnadeln 
darauf, um sie zu trocknen, zwischen Fliefspapier geprelst, so 
wird dieses von der Mutterlauge intensiv schwarz gefärbt. 
Durch wiederholtes Pressen zwischen neuem Papier erhält man 
endlich das Salz im trocknen Zustande und von rein weilser 
Farbe. 

Das auf diese Weise erhaltene Salz reagirt stark alka- 
lisch; mit Wasser in Berührung gebracht zersetzt es sich so- 
gleich, es scheidet sich schwarzes Schwefelquecksilber ab, und 
die davon getrennte Flüssigkeit enthält aufser Schwefelkalium 
noch freies Alkali. 

Das trockne Salz in einem Reagircylinder erhitzt giebt 
zuerst eine grolse Menge Wasser ab, beim stärkeren Erhitzen 
schmilzt es zu einer rothen Flüssigkeit und an den kälteren 
Theilen des Glases setzen sich Quecksilberkugeln an; es subli- 
mirt aber dabei kein Zinnober. 

Das zwischen Papier getrocknete Salz enthält noch eine 
geringe Menge von C:hlorkalium und Chlorammonium; um 
diese zu entfernen muls man das Salz noch einmal in Kalıby- 
drat lösen, und die Lösung zur Krystallisation eindampfen. 
Nachdem man die Mutterlauge hat abtröpfeln lassen und das 
Salz wiederum durch Pressen zwischen Flielspapier getrocknet 
hat, bis dasselbe nicht mehr benetzt wird, muls das Salz sorg- 
fältig vor dem Einfluls der Feuchtigkeit der atmosphärischen 
Luft geschützt werden, denn es zieht mit aufserordentlicher 
Begierde Wasser aus der Luft an, zerflielst und zersetzt sich 
dabei unter Abscheidung von schwarzem Schwefelquecksilber. 

Das durch Unikrystallisation erhaltene Kalisalz besteht aus: 


At. 
HgS = 46,28 Proc. 1 
KSun=iı24,18 he 1 
KO,—! ,ößemd + 
HO0 = 2,01 - 6 


100 00 


vom 7. Januar 1856. 11 


Das vermittelst Natronhydrat dargestellte und gereinigte Salz 
besteht aus 


At. 

HgS = 47,70 Proc. 1 

Na S = 16,8 - 1 

NO = 7,37 - - 

HO = 238855 - 8 
100 00 


Das Schwefelquecksilber bildet also mit dem einfach Schwefel- 
kalium und dem einfach Schwefelnatrium ein Schwefelsalz, 
das aber sowohl in der Lösung als auch in fester Gestalt nur 
bei Gegenwart von freiem Alkali bestehen kann. Versucht 
man dem Salze das freie Alkali zu entziehen, so zersetzt es 
sich augenblicklich in schwarzes Schwefelquecksilber, das sich 
abscheidet und in Schwefelkalium das in der Lösung bleibt. 

Die Menge des freien Alkalis steht in keinem bestimmten 
Verhältnisse zum Schwefelsalze. Das Salz kann nur durch 
Pressen zwischen Papier im trocknen Zustande erhalten wer- 
den, und hierbei ist die Menge des freien Alkalis die dem 
Salze entzogen wird veränderlich, es ist aber nicht möglich 
auf diese Weise alles freie Alkali fortzunehmen. Setzt man 
das Pressen zwischen Papier sehr lange Zeit fort, so tritt end- 
lich hierbei schon eine Zerseizung des Salzes ein, indem 
schwarzes Schwefelquecksilber sich abscheidet. 

Das weilse, in Nadeln krystallisirte Schwefelsalz, löst sich 
in einer sehr geringen Menge Kalihydrat auf, die Lösung 
kann dann mit Wasser verdünnt werden ohne eine Verände- 
rung zu erleiden. Vermehrt man aber die Menge des hinzu- 
gesetzten Wassers, so wirkt dieses zu verdünnend auf das vor- 
handene freie Alkali, ohne welches das Schwefelsalz nicht 
existiren kann, und die Flüssigkeit färbt sich schwarz durch Ab- 
scheidung von Schwefelquecksilber. Ganz in derselben Weise 
ist auch die Wirkung des Alkohols. 

Hat man das Salz in einer geringen Menge Kalihydrat 
gelöst und die Lösung mit wenigem Wasser verdünnt, so 
zeigt sie folgende Erscheinungen: Schwefelwasserstoffwasser 
oder Schwefelammonium geben sogleich einen Niederschlag 
von Schwefelquecksilber. Setzt man etwas gepulverten Schwe- 


12 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


fel zur Lösung und erwärmt gelinde, so findet eine Ausschei- 
dung von Schwefelquecksilber statt. Es wird hierbei das freie 
Alkali in Schwefelkalium verwandelt, und sowie dasselbe im 
Überschufs vorhanden ist, tritt die Zersetzung des Schwefel- 
salzes unter Abscheidung von schwarzem Schwefelquecksilber 
ein. Die Lösung des Schwelfelsalzes kann ferner mit den Lö- 
sungen aller neutralen alkalischen Salze versetzt werden, ohne 
eine Veränderung zu erleiden; bringt man aber diese in einem 
sehr grolsen Überschusse hinzu, so wirken sie als Verdünnungs- 
mittel auf das freie Alkali, und die Zersetzung findet dann 
statt. Versetzt man aber die concentrirte Lösung des Schwe- 
felsalzes mit einer Lösung von Borax, von zweifach koblen- 
saurem Alkali oder mit der Lösung des gewöhnlich phosphor- 
zes Schwefelquecksilber abgeschieden. 

Das Schwefelsalz kann auch noch auf andere Weise als 
die oben angegebene dargestellt werden. Fällt man aus einer 
Quecksilberchloridlösung durch einen Strom von Schwefelwas- 
serstoffgas Schwefelquecksilber, trennt dieses von der sauren 
Flüssigkeit, wäscht es hierauf mit Wasser, übergielst es mit 
einer Lösung von Kali- oder Natronhydrat und leitet dann 
einen Strom von Schwefelwasserstoffgas hindurch, indem man 
durch öfteres Umrühren das Schwefelquecksilber in Suspension 
erhält, so löst sich dieses in kurzer Zeit vollständig auf. So 
wie die Lösung erfolgt ist, darf man das Schwefelwasserstoff- 
gas nicht länger hindurchstreichen lassen, denn sobald das freie 
Alkali anfängt von dem Schwefelwasserstoffgase gesätligt zu 
werden, scheidet sich die ganze Menge des aufgelöst gewese- 
nen Schwefelquecksilbers wieder ab. Es ist dies einer der 
deutlichsten Beweise, dafs das Schwefelsalz ohne Gegenwart 
von freiem Alkali nicht existiren kann. Dampft man die Lö- 
sung ein, so erhält man das in weilsen Nadeln krystallisirte 
Salz. Es bildet sich ferner noch, wenn man Zinnober oder 
schwarzes Schwefelquecksilber in einem Porzellantiegel mit un- 
gefähr einem dem im Schwefelquecksilber enthaltenen gleichen 
Aequivalent Schwefel mengt und darauf mit einem Überschufs 
von festem Kalihydrat bis zum Schmelzen erhitzt. Nach dem 
Erkalten erhält man durch Behandlung der Masse mit Wasser 


vom 7. Januar 1856. 13 


eine vollkommen klare Auflösung, die gleichfalls zur Krystalli- 
sation eingedampft werden kann. 

‚Es sind also nur die einfachen Schwefelverbindungen des 
Kaliums und Natriums die bei Gegenwart von freiem Alkali 
in Stande sind mit dem Schwefelquecksilber ein Schwefelsalz 
zu bilden. 

Brunner!) hat bereits vor 26 Jahren die Bildung des- 
selben Salzes bei der Bereitung des Zinnobers auf nassem 
Wege wahrgenommen, wenn derselbe nach Kirchhoff’s Vor- 
schrift aus 300 Theilen Quecksilber, 68 Schwefel und 160 
Kali dargestellt wird. Brunner giebt an, dals bei diesem 
Verhältnils die Menge des Alkalis zu grols sei und Veran- 
lassung zur Bildung dieses Schwefelsalzes gebe. Die erhaltene 
Ausbeute des Zinnobers falle dabei nur sehr gering aus, weil 
eine bedeutende Menge von Schwefelquecksilber durch das ge- 
bildete einfach Schwefelkalium in Lösung erhalten werde, 
Nach Brunner besteht das Salz nur aus KS + HgS +5H. 
Er hat versucht diese Verbindung auf andere Weise noch dar- 
zustellen, indem er Zinnober mit unterschwelligsaurem Kali 
und Schwefelkalium behandelte; es ist ihm aber nicht gelun- 
gen sie auf diesem Wege zu erhalten. 


Hr. Encke bielt einen Vortrag über eine Kritik der 
Floratafeln. 
h Herr Direktor Hansen in Gotha hat sich sub in dem 
Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen 
i Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig (Mathematisch- 
Physikal. Klasse 1855. I. p. 48 ff.) eine verwerfende Kritik mei- 
ner Störungsformeln, welche den Tafeln der Flora von Brünnow 
zum Grunde liegen, einrücken zu lassen. Er spricht dort von 
Rechnungsfehlern. In der Meinung solche seien möglich, sah 
1 ich meine Rechnungen nach und zeigte das Resultat, dafs ich 
keine gefunden, der Gesellschaft an. Diese meine Antwort 
(ebendaselbst p. 66— 70) ward vor dem Abdrucke dem Herrn 


*) Pogg-. Ann. B. 15, S. 593, 


14 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Direktor Hansen mitgetheilt und veranlafste ihn zu einer Re- 
plik (ebendas. p. 71—79), in welcher theils die Anschuldigun- 
gen noch vermehrt, theils (wie Herr Direktor Hansen meinte) 
theoretisch nachgewiesen wurde, dals ich einen theoretischen 
Fehler gemacht habe. Bei sofortiger Prüfung fand ich, dafs 
alle Behauptungen von Fehlern der Tafeln und Formeln, 
durchaus alle irrig seien und von einem praktischen und 
theoretischen Fehler des Herrn Direktor Hansen herrührten. 
Ich halte es für meine Pflicht der Akademie, welche den Ta- 
feln die Ehre erwiesen hat sie zum Drucke zu befördern, so- 
wohl die drei Hauptbeschuldigungen als auch kurze Beweise 
aus denen die Männer vom Fache ersehen können, dafs meine 
Widerlegnngen richtig sind, mitzutheilen. Alles was ich sonst 
noch im Einzelnen bemerken zu müssen glaubte, ist aulserdem 
noch in meiner zweiten Antwort, die ich morgen (den 8. Jan.) 
der Leipziger Gesellschaft einsenden werde, enthalten. 

I. Herr Direktor Hansen findet in den Gliedern, in wel- 
ehen 2 mit den Cosinus-Werthen bei der Länge und den 
Sinus-Werthen bei dem Radvect. aulserhalb der trigonometri- 
schen Funktionen multiplizirt ist, sehr starke Unterschiede zwi- 
schen seinen Störungsrechnungen und denen von Brünnow. 

Die Form der Hansenschen Störungen ist, dals er die 
mittlere Anomalie M durch seinen Störungswerth ndz corrigirt, 
und an den mit der corrigirten mittleren Anomalie berechne- 
ten hyperbolischen log des Radvect die Störungsgröflse » an- 
bringt. Aulserdem gehen seine Reihen nach der excentrischen 
Anomalie & fort. 

Die Form der Brünnowschen ist, dafs dv, und (rör) als 
die Störungswerthe der wahren Anomalie v, und der Verbesse- 
rung von Zr” aufgeführt werden. Es finden folglich die Glei- 
chungen statt, wenn man die Hansenschen Werthe auf die 
von Brünnow reduciren will: 


v 
ndz — = dv 


A 


1.Ar? 
ndz ud rw=r°ar. 


Die hier nöthigen Elemente zur Berechnung der Reihenent- 


vom 7. Januar 1856. 15 


wickelung nach M sind bei dem Systeme, mit welchem meine 
Störungen berechnet sind: 
e = 0,1565408 
lg a = 0,3427484 
mittl. jährl. Bew. x» = 39671101 
= 1,9233093. 
Die Hansenschen Werthe sind: 
ndz = — 36/289 : 
— 7,9722 2 cos e wo = — 3,9861 : sin e 
+ 0,3121 2cos2e 
Reducire ich sie durch die obigen Gleichungen auf dv und 
r?dr, so finde ich nach 


Hansen Brünnow 
vv = — 36/914: &v = — 36/700 : 
— 19,372 :cosM — 19,218 2cosM 
— 3,769:cos 2M — 3,738 2c0s2M 
— 0,761 2c0os3M — 0,7562cos3M 
— 0,157 2c0s4M — 0,155 2c0os4M 
r'ör = — 46,950 : sin M rör = — 46,577 tsinM 
— 3,6562 sin 2M — 3,627 2sin2M 
— 0,4262sin3M — 0,423 2sin3M 
— 0,0602sin4M — 0,0582sin4M 


Es findet gar kein hier in Betracht kommender Unterschied 
zwischen beiden statt. 

Herr Direktor Hansen hat, weil er seinen Werth — 36/289 2 
mit # verbinden konnte, da es Secunden der mittleren Anoma- 
lie sind, auch geglaubt — 36,700 bei Brünnow ebenso ver- 
wenden zu können, dabei aber übersehen, dals dieses Secunden 
der wahren Anomalie sind. Der Unterschied der aus dieser 
Verwechselung der wahren und mittleren Anomalie bei Hrn. 
Dir. Hansen entstanden ist, ist daher so auszudrücken: Es sind 
die periodischen Glieder der Mittelpunktsgleichung für ein 
AM = 36,289 z. In der That ergiebt sich die völlige Über- 
einstimmung dieser Glieder mit den angeblichen Fehlern. 

Die Bebauptung des Hrn. Dir. Hansen ist voll- 
ständig irrig. 

II. Herr Dir. Hansen findet, dafs meine Formeln die Sae- 
eulargleichung des Perihels bei Saturn, wenn man dessen Stö- 


16 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


rungen durch Jupiter untersucht, — 92/0 geben würden, wäh- 
rend er sie + 19/10 und Laplace sie + 19/30 gefunden hat. 

Ich kann unmöglich alle Planeten berechnen, die Herr 
Direktor Hansen mir aufführt. Aber da er aus seinen Störun- 
gen gelegentlich die Saeculargleichungen der Flora in mittle- 
rer Länge, Perihel und Excentricität aufführt und dafür findet 


(p- 45, 78, 50). 


— 36.289 Er DH AH — 0,280 
so habe ich aus denBrünnowschen Werthen diese berechnet u. finde 
= 50.10 + 24787 — 0,30 


Die Behauptung des Hrn. Dir. Hansen, dals 
meine Formeln die Saecularstörungen falsch geben, 
ist vollständig irrig. 

III. Herr Direktor Hansen will mir theoretisch beweisen, 
dals der, wie oben nachgewiesen, gar nicht vorhandene Unter- 
schied daher entstanden ist, dals ich bei einem Integrale nicht 
die Constante (g bei Laplace) bestimmt habe und spricht von 
besonderer Auflösung! 

Obgleich ich ihn nur auf seine Preisschrift: Untersuchun- 
gen über die gegenseitigen Störungen des Jupiters und Saturns 
p. 21 einfach zu verweisen brauchte, wo er dieselbe Gröfse 
(sie wird hier ce genannt, wie Herr Direktor Hansen in seinem 
jetzigen Aufsatze Leipzig. Bericht p. 75. es selbst angiebt) ganz 
richtig eine überzählige Constante nennt, deren Beschaffenheit 
durchaus nicht durch das innere Wesen der Aufgabe bestimmt 
wird und die daher jeden beliebigen Werth, die Null nicht 
ausgenommen, annehmen kann, so will ich hier doch die ein- 
fache Sache kurz auseinander setzen. 

Wenn man irgend eine elliptische mittlere Bewegung % 
bei den Störungsrechnungen zum Grunde legt und damit die 
Störungsrechnungen ausführt, so erhält man die aus den Stö- 
rungen folgende Correktion der wahren Länge Z und des Ra- 
dius Vectors r in der Form 

öl= at + period Gl. 
or = B + period Gl. 

Es wird deshalb, wenn man die elliptische Länge mit 7°, 
den elliptischen Rad. Vect. mit r° bezeichnet, der Werth der 


vom 7. Januar 1856. 17 


wahren gestörten Länge Z und des wahren gestörten Rad. Vect. 
r in der Form erscheinen. 

= +91=1° + at + period. Gl. 

r=r’+ 2 + period. Gl. 

In diesen hier als period. Gl. bezeichneten. Gröfsen sind 
theils wirkliche periodische Störungsglieder mit constanten 
Coefficienten, theils solche periodische Störungsglieder, deren 
Coeffhicient mit 2 multiplizirt ist, theils wirkliche constante nicht 
periodische Glieder begriffen, die aber alle hier zusammenge- 
falst werden können. 

Die Gröfsen « und £ ändern sich zwar mit dem ange- 
wandten #, aber so wenig, dafs der kleine Unterschied hier 
vernachläfsigt werden kann, wenn die angewandten u selbst 
nur wenig verschieden sind. Sie können für wenig verschie- 
dene « als unverändert betrachtet werden. Aufserdem hängt 
ß mit « so zusammen, dafs man unter denselben Voraussetzun- 
gen und den Vernachlässigungen, die Laplace wegen der Klein- 
heit von « sich erlaubt, 

B= Aa 
annehmen kann, wo 4 ein unveränderlicher Coeffhcient ist. 
Endlich hat die Gröfse 2° die Form 
? = ut + period. Gl. 
wo u dasselbe » sein mufs was man bei dem elliptischen Orte 
gebraucht hat. Es wird deshalb die gestörte wahre Länge, 
wenn man von einem bestimmten ausgegangen ist, die 
Form haben: 
(1) = u + at + period. Gl. 

r=r’ +- Ac+ period. Gl. 
und diese ursprünglich hervorgehende Form ist in Brün- 
nows Tafeln beibehalten. Hat man nun zwei der Zeit nach 
verschiedene Werthe von der wahren Länge als gegeben 
vor sich 

I= u + at + period. Gl. 

"= ut + at + period. Gl. 
so giebt die Differenz 

!—-l=u(—t!)+aelt! — t) + period. Gl. 
Wenn in dieser Gleichung ?’—r sehr grols ist, so kann man 
in ihr die period. Gl., eigentlich die Differenz der period. Gl. 
[1856.] 2 


18 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


zweier Zeiten, vernachlässigen, weil die rein constanten ö 
Gröfsen in denselben aus der Differenz ganz verschwinden, 
und die period Gl. zu einer bestimmten Zeit immer nur 
höchstens ein bestimmtes Maximum erreichen können, also auch 
ihre Differenz bei zwei verschiedenen Zeiten. Dann wird die 
Gleichung DIE. 
!=-lzut!— )+re(l!— 0) } 
=(uteo)(— ı) | 
oder wenn man setzt 
n=u—t « 
Y=lzen(— 0) 
Hieraus folgt, dafs durch den Betrag der Störungen die 
wirkliche mittlere Bewegung, oder die der Zeit proportionale 
Veränderung des Winkels, eine andere ist als die anfangs vor- 
ausgesetzte elliptische. Die erstere n nennt man die mittlere 
Bewegung aus der Beobachtung, die andere die elliptische. ..n. 
Laplace fand bei seinen Berechnungen für die alten Plane- 
ten die mittlere Bewegung aus der Beobachtung vor ..n. 
Schon im Ptolemäischen Systeme ist diese Grölse mit verhält- | 
nilsmälsig grolser Genauigkeit enthalten. Bis gegen das Ende 
des vorigen Jahrhunderts war sie so genau ermittelt, schon vor 
der Berechnung der Störungen durch Laplace, dals dieser nichts 
oder ganz unbedeutend darin änderte. Er legte folglich diese 
mittlere Bewegung n seinem elliplischen Orte zum Grunde, 
aber er mulste eine kleine Veränderung damit vornehmen. 
Hätte er nämlich geradezu 
u? 
gesetzt, so würde er für das daraus erhaltene Z° und den damit 
berechneten Rad. Vect. r° zuletzt wieder erhalten haben. 
!=nt + at + period. Gl. 
r=r? + Ac+ period. Gl. 
also die mittlere Bewegung aus der Beobachtung 
=n + ü 
gegen die Voraussetzung, dafs sie wirklich 2 sein sollte. Er 
setzte folglich beim Anfang der Rechnung 
(2) n=n—a 
berechnete mit dieser Grölse sein 2° und r° und erhielt 


vom 7. Januar 1856. 19 


(3) I=(n—a)t + at + period. Gl. 
=znt+ period. Gl. 
r=r?’ + Ac« + period. Gl. 

Wenn er auf diese Weise für Z die Form wieder erlangt 
hatte, die er haben wollte, so war es ihm unbequem bei 7 die 
mittlere Bewegung n zu haben und doch bei r in r° zu der 
Berechnung dieses letzteren eine mittlere Bewegung n—« an- 
wenden zu müssen. Er zog es deshalb vor einen Rad. vector 
anzuwenden, der ebenfalls mit 2 berechnet würde, möge die- 
ser mit n berechnete Radius vector r’ heilsen, so wird also 
für r die Form zu nehmen sein 

r=r + (r?—r) + 4da+ period. Gl. 
Erlaubt man sich, wie Laplace thut, statt des Unterschiedes 
der Radienvectoren mit n— « und n berechnet, d.h. statt 
r® — r’, den Unterschied der halben grofsen Axen, die zun—« 
und n gehören, zu nehmen, so wird 

r=r + (a —a) + Ac + period. Gl. 
Da nun aber 

a? 7 (n—-o)=k 

wo %k die Quadratwurzel aus der Sonnenmasse, also constant 
ist, so wird, wenn man annimmt 


3 
Zen=k 


a 
der Unterschied von a° — a’ eine Funktion von dem Unter- 
schiede der mittleren Bewegungen n— « und n, also von «, 
und man kann hier bei der Kleinheit der Gröflsen & und a’— a’ 
wieder annehmen 

(4) a” — a’ = Ba 
wo B constant ist. Es wird daher, wenn man mit der mittle- 
ren Bewegung aus der Beobachtung n das r’ berechnet, die 


_endliche Form erhalten 


(5) = nt + period. Gl. 
r=r' + (B+A4) «+ period. Gl. 
Dieses ist die Form von Laplace. 
Vergleicht man nun die ursprüngliche Form 
(6) I=ut + at + period. Gl. 
r= 1? +Ac + period. Gl. 
damit, wo r° mit der elliptischen Bewegung 1 berechnet ist, 
PR 


20 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse. 


so sieht man, dafs sie völlig übereinstimmen, weil nach (2) 
und (4) 
n=nu+Ht« 
r rt =ua’ — ad = Ba 

Man kann also beide anwenden, da sie ganz identisch sind. 
Unglücklicherweise für Herrn Dir. Hansen bat Laplace den 
Übergang der einen Form zur andern nicht auf diesem weit- 
läufigen Wege, sondern so gemacht: Von welcher ursprüng- 
lichen elliptischen mittleren Bewegung man auch ausgehen 
mag, immer wird die aus der Beobachtung erhaltene um die 
Störungsgröfse « gröfser sein. Man nehme deshalb an, da das 
aus der Beobachtung erhaltene n hier das Datum der Erfah- 
rung ist, dals man von der elliptischen Bewegung n — g aus- 
gegangen sei, wo g eine nachher zu bestimmende Grölse ist, 
führe die Rechnung damit durch und erhält nach (1) damit 

= (n—g)?t + «t + period. Gl. 
Setzt man nun die unbestimmte Gröfse am Schlusse der 
Rechnung 
g=.“ 
so hat man die verlangte Form, welche den Beobachtungen 
entspricht 
Ji=nt+ period. Gl. 

Die Einführung der Bedingung nun, dafs die Rechnung 
mit n — g durchgeführt werde, hat Laplace so gemacht, dals 
er dem Integral, wodurch sowohl in der Ellipse, als bei 
den Störungen eigentlich die mittlere Bewegung bestimmt 
wird, diese willkührliche Gröfse als Constante hinzugefügt hat, 
und zwar so, dals sie mit den Störungen verschwinde, daher 
auch Laplace mit ihr den Faktor m’, Malse des störenden Pla- 
neten, verbindet und sie m’g nennt. Er erreicht dadurch, dafs 
für die elliptische Bewegung das Integral auch mit dieser Con- 
stanle seinen richtigen Werth erhält, weil m’g wegen m’ = o 
auch o wird, wie es bei der elliptischen Bewegung sein muls. 

Hat man aber diese Form bei der Länge angewandt, so 
muls man sie auch bei dem Radvect. anwenden und muls die- 
selbe Correktion wie das obige B« bei ihm anwenden. 


| 
| 
| 
| 


vom 7. Januar 1856. 21 


Ob man nun sagt, man wolle mit n—g rechnen und nach- 
her g so bestimmen, dals g = « wird, oder ob man gleich 
sagt, man fängt mit n—a«=% die Rechnung an, ist ganz 
vollkommen dasselbe und wird nur dadurch bedingt, ob man 
aus der Erfahrung n gegeben hat, wie Laplace bei den alten 
Planeten, oder % wie wir bei den kleinen erst seit Kurzem ent- 
deckten Planeten, aus den osculirenden Elementen. Es ist des- 
halb die Form (5) von Laplace ganz identisch mit der Form 
(1), die den Brünnowschen Tafeln zum. Grunde liegt. 

Dieses gilt für die Störungen der ersten Ordnung; für die 
zweite Ordnung steigt man auf durch den Taylorschen Lehr- 
satz, indem man die gestörten Grölsen an die Stelle der er- 
sten elliptischen setzt. Hier wird die Laplacesche Form den 
Vorzug haben, wenn sie ursprünglich gleich die Rechnung mit 
n angefangen hat und die Verbesserung als Funktion von g erst 
am Ende angebracht, dafs das Increment, was bei dem Taylor- 
schen Satze anzuwenden ist, die Form von nur period. Gl. 
bei öv hat, während die Brünnowsche ein Increment at + pe- 
riod. Gl. anwenden mufs. Ja, die Laplacesche Form hat schon 
durch die Anwendung von n den Theil der Glieder der zwei- 
ten Ordnung, welcher von «at abhängt, mit eingeschlossen. 
Aber dieses kommt bier gar nicht in Betracht, da ausdrücklich 
bemerkt ist, dals ich nur die Glieder der ersten Ordnung ge- 
ben wollte, ich namentlich (Monatsbericht 1853 pg. 313) die 
Saeculargleichungen ausgeschlossen habe, und zwar aus dem 
Grunde, weil ich die einfache Form der Störungen erster Ord- 
nung beibehalten wollte, um für die Anwendung alles bis jetzt 
noch Unwichtigere zu vermeiden und sie dadurch zu erleichtern. 
Es ist wirklich lächerlich bei Planeten, die seit höchstens 10 Jah- 
ren entdeckt sind, immer von Störungen höherer Ordnung zu spre- 


_ chen, während bei den alten, seit Jahrtausenden bekannten, 


_ diese nur zum allerkleinsten Theile berücksichtigt sind, ja bei 


ihnen nicht einmal die Störungen erster Ordnung vollständig. 


_ Wenn man nun vollends sieht, dafs ein Mann wie Hansen, der 
seit dreilsig Jahren mit den Störungen sich beschäftigt, sich in 


diese einfache Sache (ich will annehmen in Zeiten der gröfsten 
Aufregung, an welcher ich aber nicht schuld bin) jetzt wieder 


22 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


nicht finden kann, nachdem er sie vor 25 Jahren richtig er- 
kännt hat, so bin ich, glaube ich, vollkommen gerechtfertigt, die- 
sen für jetzt noch unwesentlichen Punkt vermieden zu haben. 

Aufserdem habe ich es mir vorbehalten, die Saecularglei- 
chungen noch erst einzuführen, weil ich zur Vermeidung eini- 
ger andern Schwierigkeiten, die nothwendig bei den Polar- 
Coordinaten r und v sich zeigen, die Störungen für recht- 
winklichte Coordinaten zu berechnen versuchen will. 

Die Behauptung des Herrn Direktor Hansen, 
dafs meine Formeln einen theoretischen Fehler 
enthielten, ist vollständig irrig. 


Hr. Braun theilte die Resultate der Untersuchungen des 
Hrn. Dr. Caspary über das Wachsthum des Blatts 
der Victoria regia mit. 

Untersuchungen über die tägliche Periode des 
Wachsthums des Blatts der Victoria regia, in den 
beiden verflossenen Jahren im Königl. bot. Garten zu Schöne- 
berg angestellt, haben mir folgende Resultate gegeben, die ich 
mit Berücksichtigung der wenigen Untersuchungen, welche 
über die Periode des täglichen Wachsthums anderer Pflanzen 
gemacht sind, zusammenstelle, um das Allgemeine so viel als 
möglich hervorzuheben. 

4) Nachdem das Blatt sich auf dem Wasser ausgebreitet 
hat, findet keine Zellbildung mehr statt und da es erst von 
der Zeit seiner Ausbreitung an untersucht ist, so beziehen 
sich die über sein Wachsthum gemachten Beobachtungen auf 
einen Fall, in welchem Zellausdehnung ohne Zell- 
vermehrung statt findet. 

In den früheren Arbeiten ist zwischen Wachsthum, d.h. 
Volumenszunahme ohne Zellvermehrung und unter Zellver- 
mehrung nicht unterschieden worden. Der Unterschied hat 
nur für den einzelnen Fall Bedeutung, nicht aber für die Frage 
nach der Periode des Wachsthums im Allgemeinen, da 
Wachsthum stets durch Zellausdehnung verursachz 
wird und Zellbildung ohne Zellausdehnung kein 
Wachsthum bewirkt. 


vom 7. Januar 1856. 23 


2) Das System der Athmung, der dünne, chlorophyllhaltige 
Theil der Blattscheibe, ist zur Zeit der Ausbreitung des Blatts auf 
der Oberfläche des Wassers beträchtlichan Wachsthum dem System 
der Saftleitung, den gefälsführenden Rippen, vorausgeeilt; der 
Unterschied gleicht sich aber vom bezeichneten Zeitpunkt an all- 
mälig aus und das chlorophylihaltige Parenchym wächst weniger 
als die Rippen; das Wachsthum beider verhält sich, wie 1: 2,2. 

4) Das Blatt wächst Tag und Nacht ohne Unterbrechung 
fort, jedoch nicht regelmälsig. Auf sehr starkes Wachsthum 
folgt oft geringes und auf geringes oft starkes. 

Eine solche Ungleichheit des Wachsthums in gleichen 
Zeiträumen ist bei allen andern untersuchten Pflanzen auch be- 
merkt worden. 

4) Trotz der Unregelmälsigkeit des Wachsthums läfst 
sich eine tägliche Periode, besonders im Mittel, erkennen. 
Das Wachsthum ist kurz nach Mittag zwischen 12 und 1 Uhr 
am stärksten, erreicht am Nachmittag ein Minimum, steigt 
wieder in der Nacht, erreicht einen zweiten geringeren Hö- 
benpunkt kurz uach Mitternacht zwischen 12 und 1 Uhr, sinkt 
dann zu einem zweiten Minimum des Morgens hinab und steigt 


wieder gegen Mittag. Die Tagesperiode hat daher 2 


_ Maxima, eingrolsesbei Tageundeinkleines bei Nacht 


und 2 Minima, von denen das eine auf den Morgen, 
das andere (das kleine) auf den Nachmittag fällt. 

Da bisher keine Pflanze ununterbrochen Tag und Nacht 
stündlich beobachtet wurde, so ist die tägliche Periode bei 
andern Pflanzen ganz unbekannt, oder doch fraglich, wie bei 
dem Blüthenstiel von Cactus grandiflorus, dessen Wachs- 
thum Mulder beobachtete; dasselbe schien in der Nacht meist 
stille zu stehen. Dals das Wachsthum bei Tage stärker 


sei als in der Nacht, ist meist beobachtet worden. Nur beim 


Blatt von Urania speciosa fand Mulder und beim Blüthen- 
schaft von Agave americana in einzelnen wärmeren Nächten 
des Juni und Juli und zu heilser, trockner Zeit im August 
de Vriese, dals das Wachsthum bei Nacht gröfser war, als 


das bei Tage. Dafs das Wachsthum, wie bei der Victoria, 


b 


von Morgen gegen Mittag hin ununterbrochen zunahm, dann 


24 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


aber wieder abnahm, nachdem es gegen Mittag sein Maximum 
erreicht hatte, beobachteten Mulder beim Blüthenstiel von 
Cactus grandiflorus und de Vriese ausnahmsweise an einzelnen 
Tagen, die aber wahrscheinlich gerade die normalen waren, 
bei 4gave americana. 

5) Das Blatt der Victoria wächst nach den drei Richtun- 
gen der Spitze, des Grundausschnitts und Seitenrandes nach 
demselben Gesetz, jedoch der Spitzentheil am stärksten, 
schwächer der Seitentheil, am schwächsten der Grundtheil. 
Der Grundtheil wächst in den ersten 3 Tagen im Mittel 5,13 
mm., der Seitentheil 5,06mm., der Grundtheil 3,54mm. in 
einer Stunde. 

6) Das Wachsthum ist am Tage der Ausbreitung des 
Blatts am stärksten, im Mittel 4,8mm. in der Stunde für den 
Radius, nimmt aber in den folgenden Tagen je mehr und 
mehr ab. 

Ganz abweichend davon fanden E. Meyer, Meyen und 
Münter an Weizen-, Gersten- und Haferpflanzen, Mulder 
bei Urania speciosa und ausnahmsweise bei Caczus grandiflorus, 
de Vriese bei Agave americana ein oder zwei Minima des 
Wachsthums zur Tageszeit. 

Ohne stündliche, Tag und Nacht fortgesetzte Beobachtung 
des Wachsthums und gleichzeitiger der Wärme, der Feuchtig- 
keit, des Luftdrucks, des Wetters ist die Ermittelung der 
Wachsthumsperiode und ihrer Bedingungen unmöglich. 

7) Was die Wachsthumsgröfsen anbetrifft, so wächst 
das Blatt im Maximum im Längendurchmesser (zwischen dem 
Ausschnitt der Spitze und dem des Grundes) in einer Stunde 
22 bis 25mm. (9,176 — 11,699 preufs. duod. Linien) und im 
Breitendurchmesser 26—27mm. (11,929—12,387 preufs. duod. 
Linien). Der Längendurchmesser des Blatts wuchs im Maxi- 
mum in 24 Stunden 308,3mm. (11,787 preuls. duod. Zoll) und 
der Breitendurchmesser in 24 Stunden 367mm. (14,031 preuls. 
duod. Zoll). Die Fläche nahm nach den Berechnungen meines 
Freundes Dr. Borchardt in einer Stunde zu um 4—5 proc., 
in 24 Stunden um 75—123 proc., oder in Maalsen in einer 
Stunde um 0,2556 bis 0,2872 preuls. Quadratfuls und in 24 


Tre T7 TAT 


vom 7. Januar 1856. 25 


Stunden um 4,1720 bis 5,0832 preufs. Quadratfufs. Eine 
ganze Pflanze bildet in 214—255 Wochen 613,6226 bis 
727,5817 preuls. Quadratfuls oder 4,2612—5,0014 Quadratru- 
then Blattfläche. 


8) Die Verdunstung hatte für das Wachsthum des Blatts 


der Victoria, die im Gewächshause beobachtet wurde, dessen 


Luft dem Sättigungspunkt meist sehr nahe war, keine nach- 
weisbare Bedeutung. Wenn das Blatt gar nicht verdunsten 
konnte, in einer ganz gesättigten Luft, wuchs es ungestört. 

Der Einfluls der Verdunstung aufs Wachsthum zeigte 
sich besonders in der zur Mittagszeit bei warmem, trocknem 
Wetter von de Vriese beobachteten, ausnahmsweisen Ver- 
kürzung des Schafts der 4gave americana. Alle von 
E. Meyer, Meyen, Mulder, de Vriese beobachteten pe- 
riodischen Verminderungen des Wachsthums bei Tage sind 
wahrscheinlich durch Verdunstungsverhältnisse veranlafst 
und es ist zu untersuchen, ob sie in einer dem Sättigungs- 
punkt nahen Atmosphäre auch statt finden. 

9) Die tägliche Periode der relativen Feuchtigkeit, von 
der man mittelbar durch ihre Wirkung auf die Verdunstung 
eine Bedeutung fürs Wachsthum das Blatts vermuthen könnte, 
ist ohne nachweisbaren Einfluls auf die tägliche Periode des- 
selben. 

Dagegen ist das überwiegende, nächtliche Wachsthum des 
Blattes der Urania speciosa, welches Mulder beobachtete, und 
des Schaftes der Agave americana in den heilsen, dürren Ta- 
gen des August, welches de Vriese wahrnahm, höchst wahr- 
scheinlich der gröleren relativen Feuchtigkeit zur Nachtzeitund 
der in Folge derselben verminderten Verdunstung zuzuschreiben. 

10) Die tägliche Periode des Drucks der trocknen Luft 
und des Dunstdruckes, von denen ebenfalls a priori. durch 
ihren Einfluls auf die Verdunstung eine Einwirkung auf die 


Periode des Wachsthums des Blattes anzunehmen ist, sind ohne 


nachweisbare Bedeutung für dieselbe. 

41) Die tägliche Periode des Lichts hat keinen nachweis- 
baren Einfluls auf die Periode des Wachsthums des Blattes; 
denn durch künstliche Veränderung der täglichen Periode der 
Wärme kann es bewirkt werden, dafs das Blatt bei Tage zur 


236 Gesammtsitzung 


Mittagszeit, wenn das Licht am stärksten ist, am wenigsten 
wächst und dafs das Maximum des Wachsthums auf jede belie- 
bige Stunde der Nacht, zur Zeit gänzlicher Finsternils, fällt. 
Das Licht bewirkt keine Ausdehnung der Zellen, sondern Stoff- 
wechsel in ihnen. 

12) Das grofse Maximum der Tagesperiode des 
Wachsthums desBlattes hängt vom Maximum derPe- 
riode der Wärme, hauptsächlich der des Wassers 
ab. DurchHeizung kann es bewirkt werden, dafs das 
Blatt zu jeder beliebigen Tages- und Nachtstunde 


am stärksten wächst. Die Wärme bewirkt die Ausdehnung 
der Zellen unmittelbar, nicht mittelbar durch Erzeugung von 


Verdunstung. 

Dals die Wärme unter allen Agentien den meisten Einfluls 
auf das Wachsthum der Pflanzen hat, ist im Allgemeinen auch 
von allen früheren Beobachtern bemerkt. 

13) Die Erhebung des Wachsthums bei Nacht kann jedoch 
weder aus der Periode der Wärme noch der eines andern Agens 
abgeleitet werden und seine Ursache ist im Leben der Pflanze 
selbst zu suchen. 


Darauf wurden Beobachtungen von Herrn Wöhler in 
Göttingen über das krystallisirte Silicium aus einem Briefe an 
Herrn Magnus von diesem mitgetheilt. 


10. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Müller las über Fische, welche Töne von sich 
geben, und über die Entstehung dieser Töne. 


Hr. Encke legte vor, was er für den Monatsbericht in 


Bezug auf den Angriff des Hrn. Dir. Hansen in Gotha gegen 
die Richtigkeit der Floratafeln und der dabei angewandten For- 
meln bestimmt hatte (s. den Bericht über die Klassensitzung 
vom 7. d. M). Er fügte hinzu, welchen Antrag er defshalb 
bei der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 
zu Leipzig gemacht. 


vom 10. Januar 1856. 97 


In Hrn. v. Humboldt’s Auftrag gab Hr. Ebrenberg 
aus einem Briefe des Hrn. Dr. Schacht aus Funchal vom 1. 
November v. J. die Nachricht, dals Hr. Dr. Schacht sich dort 
einer guten Gesundheit erf[reue. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Comptes rendus des seances de l! Academie des sciences, Tome 41, no. 16— 
25. Paris 1855. 4. 

Athenaeum francais, no. 6. 8. 13. 17. 22. 26. 30. 35. 39. 45. 48. 49. 50. et 
Bulletin archeologique, no. 1—12. Paris 1855. 4. 

Atti dell’ Accademia pontificia de’ nuovi Lincei. Anno VI. Roma 1855. 4. 

Transactions of the Linnean Society of London. Vol. XXI, Part. 4. Lon- 
don 1855. 4. 

Proceedings of the Linnean Society, no. 59—66. London 1855. 8. 

Transactions of the Royal Irish Academy. Vol. XX11, Part.6. Dublin 1855, 4. 

Proceedings of the Royal Irish Academy. Vol. VI, Part. 2. Dublin 1855. 8, 

Notices of the meelings of the Royal Institution of Great Britain. Part. V. 
London 1855. 8. 

Journal of Ihe Asiatic Society of Bengal. no. 249. Calcutta 1855, 8, 

Revue archeologique. 12me annee, Livr. 9. Paris 1855. 8. 

Annales de chimie et de physique. Tome 45, Novembre, Paris 1855. 8, 

Crelle, Journal für Mathematik. 51. Band, Heft 2. Berlin 1855. 4. 

_ Rivista periodica dei lavori della I. R. Accademia di scienze di Padova. Vol. 
1 e3., Padoyva 1851—52. 1854—55. 8. 

Memoirs of the Literary and Philosophical Society of Manchester. Second 
Series. Vol. 1-5. 7—12. Manchester 1805—1855. 8, 

Va erhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Basel. 2. Heft. Ba- 

| sel 1855. 8. 

Nachrichten von der Universität Göttingen. no. 17. 18. Göttingen 1855. 8. 

Schriften des historischen Vereins für Inneröstreich. 1. Heft. Gratz 1848. 8. 

 Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark. Heft 1—5. Gratz 

 .4850—1854. 8. (Mit Schreiben des Directors Ludwig, Abt zu Stein, 

vom 9. Mai 1855.) 

Jahresbericht der Wetterauer Gesellschaft für die gesammte Naturkunde, 

1853—1855. 8. 

Correspondenzblatt des nalurforschenden Vereins zu Riga. 8. Jahrgang. 

Riga 1855. 8. 

 Würtembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte. 12. Jahrgang. Heft 1. 

Stuttgart 1856. 8. 


28 Gesammtsitzung 


Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Würzburg 
6. Band, Heft 2. Würzburg 1855. 8. 

Annalen der Königlichen Sternwarte bei München. Bd.23. München 18535. 8. 

Jessen, Über die Lebensdauer der Gewächse. Breslau 1855. 4. 

Panofka, Phocus und Antiope. Berlin 1855. 4. 

Plotini Znneades, edd. Fr. Creuzer et G. H. Moser. Parisiis 1855. gr. 8. 

Emm. de Rouge, Notice sommaire des monumens egyptiens erposes dans le 
musce du Louvre. Paris 1855. 8. 

A. Comte, Appel aux conservateurs. Paris 1855. 8. 

R. Knabl, der angebliche Götter-Dualismus an den Votivsteinen zu Videm 
und Aquiläja. Gratz 1855. 8. 

Lartigue, Observalions sur les orages dans les montagnes des Pyrenees. 
(Comptes rendus, 3. Dec. 1855.) 4. (Mit Schreiben des Verfassers, 
Paris 18. Dez. 1855.) 

A. R. Rangabe, Antiquites helleniques. Vol. II. Athenes 1855. 4. 


Aufserdem wurden vorgelegt: 


Ein Schreiben der Accademia Pontificia de’ nuovi Lincei zu 
Rom vom 4. Dec. v. J. über den Empfang unserer Monatsbe- 
richte vom Januar 1853 bis Juni 1855 und der physikalischen 
Abhandlungen vom Jahre 1853 und 1854. 

Ein Schreiben des Kaiserl. Französischen bevollmächtigten 
Ministers am Königl. Hofe Hrn. Marquis de Moustier vom 
97. v. M. und ein damit übersandtes Schreiben des Kaiserlich 
Französischen Hrn. Ministers des öffentlichen Unterrichts und 
der Culte vom 11. v. M. durch welches der Akademie ein 
Exemplar der von Hrn. L&on de Renier redigirten Sammlung 
der Römischen Inschriften des Landes von Algier zur Verfü- 
gung gestellt wird. Die Akademie beschlols eine Danksagung 
für das Geschenk an die beiden Hrn. Minister. 

Ein Erwiederungsschreiben des Hrn. Ed. Sabine d.d. 
Westminster den 19. Dec. vor. J. auf seine Ernennung zum 
Ehrenmitgliede der Akademie. 

Ein Schreiben Sr. Excellenz des Königl. Hrn. Ministers 
der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal- Angelegenheiten 
vom 22. December vor. J. wodurch die Akademie in Kennt- 
nils gesetzt wird, dafs Se. Majestät der König geruht haben, 
die Wahlen der Herren Kummer und Borchardt zu ordent- 


2 vom 17. Januar 1856. 29 


lichen Mitgliedern, und des Hrn. Temminck zu Leyden zum 
Ehrenmitgliede der Akademie durch Allerhöchsten Erlals vom 
10. Dec. vor. J. allergnädigst zu bestätigen. 


17. Jan. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. H. Rose las über die heteromorphen Zustände 
der kohlensauren Kalkerde. 


Hr. Magnus trug vor: Untersuchungen über die Einwir- 
kung der Schwefelsäure auf die Nitrile und Amide, von G. B. 
Buckton und A. W. Hofmann. 

Die Nachweisung der Identität der Nitrile und Alkohol- 
eyanide hat die Chemiker vielfach veranlafst, eine Brücke auf- 
zusuchen, zwischen den Nitrilen und den gewöhnlichen Alko- 
holderivaten, aus welchen sich die Alkohole regeneriren lassen. 
Unsere in diesem Sinue unternommenen Versuche haben, wie 
die unserer Vorgänger, das vorgesteckte Ziel nicht erreicht; 
allein sie haben uns mit einer Reaction bekannt gemacht, wel- 
che ihrer Allgemeinheit halber und der scharf charakterisirten 
Körper wegen, deren Bildung sie veranlalst, der Beachtung der 
Chemiker nicht unwürdig erscheint. 

Das Acetonitril kann sowohl in Folge der Leichtigkeit sei- 

ner Darstellung als auch wegen des Interesses, welches die Fa- 
milie, der es angehört, beansprucht, als Prototyp der Nitrile 
gelten. In der That ist das Acetonitril die Substanz gewesen 
die uns besonders beschäftigt hat. 
» Mischt man das Acetonitril mit seinem gleichen Volum 
& rauchender Schwefelsäure, so giebt sich alsbald durch starke 
Wärme-Entwickelung eine lebhafte Reaction zu erkennen. Wird 
die Säure in kleinen Portionen zugesetzt, und die Mischung 
nach jedem Zusatz sorgfältig abgekühlt, so färbt sie sich kaum 
und giebt beim Verdünnen mit Wasser und Sättigen mit koh- 
 lensaurem Baryt ein krystallinisches Salz, von der Zusammen- 
setzung und den Eigenschaften des schwefelessigsauren Barium 
(Sulfacetate de Barium) 


30 Gesammtsitzung - 


C, (Hz Ba;) 0,250, 
welches von Melsens durch die Einwirkung der wasserfreien 
Schwefelsäure auf Essigsäurehydrat erbalten wurde. 

Wird andererseits das Acetonitril mit der rauchenden 
Schwefelsäure rasch gemischt, oder erhitzt man die Mischung, 
so zeigt die reichliche Kohlensäure-Entwickelung eine tiefer- 
greifende Zersetzung an. Der harzartige Rückstand mit Was- 
ser und kohlensaurem Baryt gekocht, liefert ein prachtvolles 
Salz, welches im trockenen Zustande 

CHI BEE) 480, 
enthält. Aus Wasser krystallisirt es mit 3 Atomen Krystall- 
Wasser; es bedarf einer ziemlich hohen Temperatur (170°), 
um diese 4 Atome Krystallwasser auszutreiben. Das Salz ist 
bemerkenswerth stabil, erst über 200° hinaus fängt es an sich 
zu zersetzen. Bei starker Erhitzung liefert es Wasser, schwef- 
ligsauren Baryt, schweflige Säure, Schwefel und Kobhlenoxyd. 
Es kann Stunden lang mit concentrirter Salpetersäure im Sie- 
den erhalten werden, ohne die geringste Zersetzung zu erleiden. 

Wir haben auch die Ammonium- und die Silberverbin- 
dungen, welche dem Bariumsalz entsprechen, analysirt. Erstere 
krystallisirt leicht in farblosen, schiefen Prismen, welche oft 
Zoll lang erhalten werden, und sich bei 190° nicht verändern. 
Dieses Salz hat die Formel 

(©; [Hz (NH,).] 4850 ;. 

Das Silbersalz erhält man leicht durch Digestion der freien 
Säure mit Silberoxyd. Es bildet grolse Krystalle, leicht lös- 
lich in Wasser, unlöslich in Alkohol. Ihre Zusammensetzung ist: 

C, (H, Ay2) 480; 

Die Säure, auf die gewöhnliche Weise durch Behandlung 
des Blei- oder Silbersalzes mit Schwefelwasserstoffsäure erhal- 
ten, krystallisirt in äufserst löslichen, zerflielslichen Nadeln, 
welche den Geschmack der Weinsäure besitzen. In Ermang- 
lung eines besseren Namens nennen wir diese Säure vorläufig 
Methyltetraschwefelsäure, denn ohne über die wahrscheinliche 
Constitution dieser Verbindung für den Augenblick die entfern- 
teste Andeutung zu wagen, läfst sie sich immerhin ihrer Zu- 
sammensetznng nach als durch die Vereinigung von Sumpfgas 
mit 4 Aegq. wasserfreier Schwefelsäure entstanden denken. 


vom 17. Januar 1856. st 


In der Einwirkung der Schwefelsäure auf das Acetonitril 
lassen sich mithin zwei bestimmt verschiedene Phasen unter- 
scheiden. In der ersten verbindet sich die regenerirte Essig- 
säure mit zwei Aequivalenten wasserfreier Schwefelsäure zu 


Schwefel-Essigsäure; in der zweiten Phase erleidet die Essig- 
säure eine weitergehende Veränderung; ihren Traditionen ge- 
treu, spaltet sie sich in Kohlensäure und Sumpfgas, welches letz- 
tere mit 4 Aegq. wasserfreier Schwefelsäure in Verbindung 
bleibt. 


Folgende Gleichungen veranschaulichen diese Umsetzung: 
C,H,N + 2HO +3HS0, =C,H,0,250, + NH, SO, 
ln u 


Aceto- Schwelfelessig- 

nitril säure 
C,H,N + 5HSO, = C,H,4S0, + NH,SO,+2(0, 
ar mm rn 

Acetonitril Methyltetra- 


schwefelsäure 
Die Einwirkung der Säuren und Basen auf die Essigsäure 
bietet demnach eine bemerkenswerthe Analogie. Die Umbil- 
dung des Essigsäuremoleculs ist in der That dieselbe unter dem 


Einfluls beider Agentien; allein während in dem letzteren Falle 
die Kohlensäure fixirt und das Sumpfgas entwickelt wird, ver- 


anlalst die Säure das Freiwerden der Kohlensäure und die Bin- 


dung des Sumpfgases. 

Die Erzeugung der Methyltetraschwefelsäure erinnert an 
die interessante Verbindung, das Carbylsulphil, welches Mag- 
mus vor mehreren Jahren durch die Vereinigung des ölbilden- 
“den Gases mit wasserfreier Schwefelsäure erhalten hat. Es 
braucht indessen nur eines Blickes auf die Zusammensetzung 
und die Eigenschaften beider Körper, um ihre Verschiedenheit 
alsbald zu erkennen. 


Das Acetamid unterscheidet sich von dem Acetonitril nur 
durch einen Mehrgehalt von 2 Aeq. Wasser. In der That er- 
Je idet es unter dem Einflusse der rauchenden Schwefelsäure 
eine ganz analoge Zersetzung. Da es sich noch leichter dar- 
‚stellen lälst, als das Nitril, so eignet es sich ganz besonders 
zur Gewinnung grofser Quantitäten von Methyltetrasulphaten.. 
Man erhält in der Regel sogleich das Ammoniaksalz krystallisirt. 


32 Gesammtsitzung 


Melsens in seiner Untersuchung der Schwefelessigsäure 
scheint die Existenz der Methyltetraschwefelsäure anticipirt zu ha- 
ben. In der Mutterlauge des schwefelessigsauren Silbers erhielt 
er einmal Krystalle, welche genau die Zusammensetzung unse- 
res Silbersalzes zeigten. - 

Noch ist zu bemerken, dals die Methyltetraschwefelsäure 
möglicherweise mit einer sehr interessanten Säure identisch ist, 
welche bisher, wir möchten fast sagen heimathlos, in den Lehr- 
büchern der Chemie einherirrt. Es ist dies die von Liebig 
entdeckte Methionsäure, welche durch die Einwirkung der was- 
serfreien Schwefelsäure auf den Ethyläther entsteht. Nach den 
bisher angestellten Analysen enthält das Bariumsalz 

CH, Ba 8; 05; 
verdoppelt man diesen Ausdruck, so lälst sich die Formel: 
et Bi 5,0 tee ER 
mit der Zusammensetzung unserer krystallisirten Bariumverbin- 
dung vereinigen. Auch die Beschreibung der Eigenschaften 
beider Körper stimmt ziemlich. 

Bestätigt sich unsere Vermuthung, so wäre für die Methion- 
säure plötzlich eine klare Stellung in dem System der organi- 
schen Verbindungen gewonnen. Wir wollen diese Frage durch 
ein vergleichendes Studium beider Säuren zu lösen suchen und 
das Ergebnils unserer Versuche der Akademie in einer weite- 
ren Notiz mittheilen. 


Hr. Dove las über das barometrische Maximum am 
49. December 1854. 


Hr. Pinder trug den von Herrn Professor Theodor 
Mommsen in Breslau erstatteten Jahresbericht über die vom 
4. November 1854 bis dahin 1855 für das Corpus Inscri- 
ptionum Latinarum ausgeführten Arbeiten, nebst den Spe- 
eialberichten der Herren Henzen und de Rossi in Rom, im 
Auszuge vor. 

Dieses Arbeitsjahr ist für die zur Herausgabe der lateini- 
schen Inschriftensammlung erforderlichen Vorarbeiten ungemein 
förderlich gewesen, und es ist während desselben eine feste 
Grundlage gewonnen worden, welche für die Herausgeber ein 


vom 17. Januar 1856. 33 


gleichmäfsiges Vorgehen in den verschiedenen Richtungen ihrer 
Thätigkeit möglich macht. Die Verificirung, Ergänzung und 
geographische Anordnung der aufgelösten oder aufzulösenden 
grolsen Sammlungen war die fundamentale, jede weitere 
Thätigkeit bedingende Vorarbeit, und hauptsächlich ihretwe- 
gen fand in diesem Jahre eine längere Zusammenkunft der 
beiden deutschen Herausgeber in Breslau Statt. Diese Vor- 
arbeit ist jetzt beendigt. Von. den verzettelt vorgefunde- 
nen Sammlungen (Gruter, Reinesius, Fabretti, Gudius, Mu- 
ratori, Donati) sind die Zettel jetzt controlirt und verificirt, 
namentlich auch die sehr zahlreichen Zusätze der zweiten Ausgabe 
des Gruter auf die aus Exemplaren der ersten Ausgabe herrüh- 
renden Zettel nachgetragen worden. Die noch fehlenden gröfse- 
ren Sammlungen (Apian, Malvasia Marm. Fels., Donius, Spon) 
wurden entweder hinein collationirt oder copirt; was gleichfalls‘ 
mit einigen anderen Hauptquellen Gruters, namentlich mit Ma- 
nutius Orthographia, den Schriften des Panvinius und Fonteius 
de gente Caesia geschah; wogegen die Sammlungen von Ma- 
zochi, Smetius und Maffei sich bequemer in die topographisch 
geordneten Zettel eintragen lassen. Die ganze also bereinigte 
Zettelmasse, so wie Hrn. Mommsens frübere Privatsammlungen, 
wurden sodann zusammengeworfen, in gröfsere, hauptsächlich 
geographisch abgezweigte Massen auseinander gesondert, und 
nach dieser Auflösung zu mehrerer Sicherheit noch einmal veri- 
ficirt. Es wurden ekänfg 149 Haupt-Abtheilungen zusammen- 
gestellt, welche bereits zum grölsten Theil noch weiter nach 
den einzelnen Stadtdistrieten geordnet worden sind. Die Ab- 
theilungen Roma, Latium, Picenum, die allein wohl die gröfsere 
Hälfte der ganzen Masse ausmachen, sind nach Rom gesendet 
worden, als Material für die Arbeiten der Herren Henzen und 
de Rossi. Die Abtheilung „locorum incertorum” wurde nach 


Ermessen unter die Herausgeber vertheilt, und so weit es nöthig 


schien dafür gesorgt dals jedem der Herausgeber ein Exemplar 

dieser zweifelhaften Inschriften blieb. Die übrigen Abtheilun- 

gen blieben in den Händen des Hrn. Mommsen. — Es ist nun 

für jeden einzelnen Abschnitt der Sammlung das in den bisheri- 

gen grölseren Sammlungen zerstreute und nur mühselig und un- 

genügend zu vereinigende Material bequem und sicher zusam- 
[1856.] 3 


34 Gesammtsitzung 


mengebracht und damit für jede Einzelsammlung eine schätzbare 
Grundlage gewonnen. Überdies findet sich der inschriftliche 
Inhalt einer Menge kleinerer und mehr localer Schriften bereits 
ebenfalls in dieses Zettelmaterial hineingearbeitet, namentlich 
durch Hrn. Mommsens ältere, demselben einverleibte Sammlung. 
Diese Resultate wurden nach den vorbereitenden Arbeiten des 
Hrn. Mommsen namentlich durch ein dreimonatliches Zusammen- 
sein der beiden deutschen Herausgeber erreicht. 

Über die Revision der im Original vorhandenen In- 
schriften genügt es auf die Specialberichte der Herren Hen- 
zen und de Rossi (Anlagen A. B.) zu verweisen. Die Steine 
der grofsen über 2700 Stück zählenden vaticanischen Sammlung 
welche Hr. Henzen, — die der vaticanischen Bibliothek und eines 
Theils der vaticanischen Magazine so wie der Villen Albani und 
“Altieri und anderer kleinerer römischen Sammlungen, welche Hr. 
de Rossi copirt hat, haben für die städtisch-römische Sammlung 
eine unvergleichliche Grundlage geliefert. Auch für die Inschrif- 
ten von Latium ist bereits der gesammte Strich von Frascati 
und Palestrina bis Anagni und Alatri von Hrn. de Rossi bereist, 
und die dortigen Steine sind copirt worden. Die Zahl der 
nach den Originalen copirten Inschriften, die am Schlufs des 
vorigen Berichtjahres nur etwa 1900 betrug, beläuft sich jetzt 
auf etwa 5000. 

Was die Benutzung des handschriftlichen Materials 
betrifft, so ist unter andern das wichtige, der hiesigen Königl. 
Bibliothek gehörige Manuscript des Pighius im Wesentlichen 
ausgenutzt worden. Hinsichtlich der oberitalischen Handschrif- 
ten haben die Ermittelungen des Hrn. de Rossi auf seiner schon 
im Jahre 1853 speciell der Inschriftencodices wegen angestellten 
Reise, worüber ein ausführlicher Bericht zu den Sammlungen 
für das Corpus Inser. Lat. gebracht worden ist, für weitere An- 
ordnungen den nöthigen Anhalt gegeben. Der Specialbericht 
des Hrn. de Rossi (Anlage 2) ergiebt das Nähere über die in 
Florenz und Venedig ausgeführten Arbeiten dieser Art. — Über 
die Ausnutzung der Ligorischen Handschriften in Turin be- 
richtet Hr. Henzen ausführlich (Anlage 4). Es ist seinem un- 
ermüdeten Fleilse gelungen mit diesen Folianten fertig zu wer- 
den, und aufser den schon in Breslau als aus dem Turiner Ma- 


vom 17. Januar 1856. 35 


nuscript geflossen zusammengestellten Massen noch gegen 3000 
ändere ligorische Inschriften zu gewinnen, von denen wohl ein 
grolser Theil ungedruckt sein wird. Leider ist selbst mit die- 
sem bedauerlichen Zuwachs neuer Falsa der Falsarius selber 
noch nicht völlig beseitigt; unzweifelhaft giebt es eine zwie- 
fache Recension der ligorischen Sammlung, und wenn das Turi- 
ner Exemplar gleichsam die Ausgabe letzter Hand ist, so bleibt 
den weit verbreiteten Fälschungen der älteren Recension immer 
noch nachzuspüren. — Die Resultate der römischen Arbeiten 
liegen in den Specialberichten vor. Der marinische Apparat 
ist, bis auf die Correspondenz, ausgenutzt; wozu dann noch die 
Scheden von Giovenazzi, Lupaechini u. A. kommen. In den 
Händen des Hrn. Mommsen sind die Abschriften desjenigen 
handschriftlichen Materials, das auf transalpinische Inschriften 
sich bezieht und in dem Vatican aufbewahrt wird, herrührend 
theils aus den Scheden des Metellus, Augustinus und Manutius, 
theils aus einer im cod. Vat. Reg. 949 enthaltenen spanischen 
Reisebeschreibung, theils aus Scaligers Gruterexemplar, theils aus 
den ehemals barberinischen jetzt vaticanischen Inschriftenpapieren, 
theils endlich aus den marinischen Colleetaneen. 

Hinsichtlich der Ausmutzung der Speciallitteratur haben 
sich die Herausgeber über eine solche Art, der Durchsicht geei- 
nigt, bei welcher die beiden Sectionen sich gegenseitig in die 
Hand arbeiten, und das bei ihren Durchsichten für die andere 
Section sich ergebende Material ausgezogen und dieser zugestellt 
wird. In ähnlicher Weise wird auch zwischen den Arbeiten für 
das Corpus Inscriptionum Graecarum und für die lateinische 
Sammlung die möglichste Gemeinschaftlichkeit Statt finden. 


RL. 
Aus dem Berichte des Herrn Henzen in Rom. 


Nachdem im Laufe des Sommers 1854 die Steine des Ca- 
pitolinischen Museums abgeschrieben waren, blieb für den 
"Winter 185; als nächste und wichtigste, aber auch schwierigste 
Aufgabe das Vaticanische Museum mit der Galleria lapida- 
ria übrig, welche zusammen über 2700 Steine enthalten, gröfsten- 
theils äulserst beschwerlich zu copiren, da sie hoch hinauf die 
"Wände bedecken, die Arbeit also meistens auf hoher Leiter ver- 

3» 


36 Gesammtsitzung 


richtet werden mufs, dabei nicht selten durch die rothe Bema- 
lung der Buchstaben schlimm entstellt und nur vermittelst des 
Fingers lesbar. Die Erlaubnifs zur Ausführung dieser Arbeit 
wurde bei zuvorkommendster Bereitwilligkeit sowohl Sr. Eminenz 
des Cardinals Antonelli, als auch des Präfeceten der Vaticana, 
Msg. di San Marzano, und des Museumsdireetors Comm. de’ 
Fabbris von mir erreicht, nachdem Hr. de Rossi so freundlich 
gewesen, alle ihm für das Museum zugestandenen Freiheiten auf 


mich übertragen zu lassen. 

Diese Arbeit wurde dadurch ungemein gefördert, dafs mir 
bei derselben die Benutzung des in der Vaticana aufbewahrten 
Marinischen Apparates vergönnt war. Diese reichhaltigen, 
vielleicht 4—5000 Inschriften umfassenden Papiere, grolsentheils 
von Marini selbst geschrieben, waren gleich zu Anfange des 
Winters unter Hrn. de Rossi’s Leitung von zwei Copisten in 
Angriff genommen. Indem ich die sämmtlichen Marinischen In- 
schriften alphabetisch ordnete, konnte ich nach Anleitung eines 
im Jahre 1847 gemeinsam mit Hrn. Mommsen angefertigten sta- ı 
tistischen Katalogs aus ihnen stets die eben nöthigen auswählen. 
Auf diese Art mag für etwa 1200 der Vaticanischen Steine die 
blofse Collationirung genügt haben. Es braucht kaum bemerkt 
zu werden, wie wichtig, auch abgesehen von der blofsen Er- 
leichterung, die Bestätigung der eignen Lesart durch Marini’s 
Autorität ist. Für die Abtheilungen der Kaiser, der Sacra, der 
grolsen Magistrate, des Kriegswesens benutzte ich aulserdem die 
Abschriften Borghesi’s, die mir von demselben schon vor 
Jahren mitgetheilt waren. 

Nach meiner Abreise nach Deutschland hat Hr. de Rossi 
meine Arbeit dadurch vervollständigt, dals er die Steine der Va- 
ticanischen Bibliothek hinzugefügt hat, eben so eine nicht 
unbedeutende Anzahl von Inschriften, welche neuerdings aus den 
Magazinen an die Stelle von in’s christliche Museum versetzten 
Monumenten gekommen sind. Zugleich hat derselbe bereits an- 
gefangen, die Steine des Lateranensischen Museums und 
die grolse Masse derer, welche aus den Magazinen nach dem 
Lateran transportirt sind, um dort unter seiner Leitung in den 
Hallen des Hofes eingemauert zu werden, für das C. I. L. zu 
copiren, eine Arbeit, welche mit gröfserer Raschheit beendigt 


vom 17. Januar 1856. 37 


werden wird, sobald in der Vaticana die Scheden Amati’s ex- 
cerpirt worden sind, deren Wichtigkeit für die neueren Ent- 
deckungen denen Marini’s für die älteren gleich kommt. Aufser- 
dem hat derselbe während des Sommers die Villa Albanı und 
eine Reihe unbedeutender Villen, Vignen und Paläste absolvirt, 
so dals wir wohl hoffen können in kurzer Zeit mit den noch 
vorhandenen Steinen Roms fertig zu werden; wiewohl eine 
Schwierigkeit darin liegt, dafs es sich meistens nicht mehr um 
grolse Massen, sondern um einzelne, in dem weiten Rom 
zerstreute und oft versteckte Monumente handelt, denen zu 
Gefallen nicht selten weite Wege gemacht werden müssen, 
die nicht immer zum Ziele führen. 

Die grölste noch rückständige Sammlung in Rom enthält 
die Vigna Codini bei Porta S. Sebastiano, deren eines Colum- 
barium in Jahn’s Specimen edirt wurde. Ein zweites, wichtige- 
res erschien uns bisher sehr schwer zugänglich; allein durch die 
Güte Hrn. P. E. Visconti’s erhielt ich bereits im vorigen Win- 
ter die Mittheilung der für ihn gemachten Abschriften und das 
Versprechen der Erlaubnils, sie und alle sonstigen Monumente 
der Vigna collationiren zu dürfen. — Die Steine der Villa 
Pamfili und mancher anderen Paläste und Villen, in früheren 
Jahren copirt, wurden einstweilen in die Form unserer Scheden 
übertragen, um einer neuen Collation unterworfen zu werden. 

Aber auch für Rom’s nächste Umgebungen ist bereits in 
diesem Sommer durch Hrn. de Rossi Manches geschehen, indem 
derselbe die Zeit der Villeggiatur zu mehreren Excursionen be- 
nutzt hat, auf denen er die Steine des Albaner Gebirgs von 
Tusculum bis Genzano, namentlich auch die des Casino Cava- 
eeppi in Albano, dann diejenigen des reichen Praeneste, ferner 
die von Anagni und Alatri gesammelt hat. Vor allen hat Prae- 
neste ihm reiche Ausbeute gewährt, sowohl an neuen, als an 
wieder aufgefundenen alten Steinen. 

Auf meiner Reise nach Deutschland benutzte ich den kur- 
zen Aufenthalt zu Civita castellana, Terni, Assisi, um daselbst 
die vorhandenen Steine abzuschreiben, oder, wo dies früher ge- 
schehen, wie an letzterem Orte, zu collationiren. Die Galerie 
zu Florenz war schon vor 5 Jahren von mir abgeschrieben 
worden. 


38 Gesammtsitzung 


Hinsichtlich der Details der bibliothekarischen Arbei- 


ten erlaube ich mir auf Hrn. de Rossi’s beigeschlossenen Be- | 


richt zu verweisen. Es geht schon aus Obigem hervor, dals 
dieselben ganz besonders auf den Marinischen Apparat gerichtet 
waren, dessen Wichtigkeit durch die selten fehlende Angabe der 
Provenienz, so wie früherer Publicationen, erhöht wird. Die 
ihn betreffenden Arbeiten sind fast beendet, es bleibt noch eine 
Sammlung von 3000 an Marini gerichteten Briefen zu excer- 
piren. — In Florenz ward auf meine Anordnung eine sehr ge- 


naue Copie des berühmten Fra Giocondo der Magliabecechiana an- | 
gefertigt; in Venedig der den Petrus Sabinus enthaltende Codex 


der Marciana abgeschrieben. Hr. de Rossi hat den Vaticani- 
schen Codex des P. Sabinus bereits mit ihm vergleichen lassen 
und bei theilweise gröfserer Mangelhaftigkeit andre Theile ge- 
funden, die dem Vaticanischen Codex fehlen. Über die Ausbeu- 
tung der Turiner Manuscripte des Ligorio lege ich einen be- 
sonderen Bericht bei. 


Rom, 9. November 1855. W, Henzen. 


Manuscripte des Pirro Ligorio in Turin. 


Nach geschehener Ordnung des Gesammtmaterials, so weit 
es aus gedruckten Werken vorlag, war es vor Allem nöthig, die 
falschen Monumente gründlich zu beseitigen. Es war darauf schon 
bei jener ersten vorläufigen Arbeit Rücksicht genommen, indem 
alle Inschriften, welche nur aus Scheden stammen, oder direct auf 
Ligorio zurückgeführt werden, sofort ausgesondert wurden. In- 
dels, um in durchgreifender Weise verfahren zu können und mit 
Sicherheit alle Ligoriana zu beseitigen, die bekanntlich auch ohne 
den Namen ihres Urhebers in Masse über die epigraphische Lit- 
teratur verbreitet sind, war es nothwendig, die Ligorianischen 
Handschriften selbst in Angriff zu nehmen; nur so konnten wir 
hoffen, mit Bestiimmtheit allen seinen Fälschungen auf den Grund 
zu kommen. Die Hauptmasse dieser Handschriften befindet sich 
bekanntlich im Königl. archivio di corte zu Turin, und so 
war es natürlich, dals mir die undankbare und höchst langweilige 
Aufgabe zu Theil ward, auf der Rückreise nach Rom daselbst 


vom 17. Januar 1856. 39 


anzuhalten. Ich fand die bereitwilligste, zuvorkommendste Auf- 
nahme Seitens der Vorsteher des Archivs. Indefs stellte es sich 
bald heraus, dals die Arbeit weit langwieriger sei, als wir uns 
vorgestellt hatten, wie ich denn in der That trotz der Unter- 
stützung eines Schreibers mehr als einen Monat darauf verwen- 
den mulste. Wir hatten darauf gerechnet, an den von Prof. 
Mommsen nach dem Wolfenbütteler Apparat revidirten und 
nach den Nummern des Manuscripts geordneten Ligorischen In- 
schriften des Gudius bereits den wesentlichsten Theil des Inhalts 
der Turiner Bände in Händen zu haben; allein sehr bald mufste 
ich inne werden, dals dieselben kaum die Hälfte des letzteren 
ausmachen, so dafs ich nach einem ungefähren Überschlag min- 
destens zwischen 2500 bis 3000 Inschriften habe müssen ab- 
schreiben oder abschreiben lassen, obwohl ich die ganz echten, 
deren Originale mir bekannt, und denen Ligorio keine Zusätze 
angeheftet, einfach notirte. Die Arbeit ward noch mühsamer 
dadurch, dafs die Ordnung der Gudischen Nummern keineswegs 
mit derjenigen der Turiner Manuscripte stimmt. Letztere sind 
in ihrem Haupttheile, von dem gleich weiter die Rede sein wird, 
mit geringen Abweichungen alphabetisch geordnet, was bei den 
Gudischen Papieren nur in den Auszügen der ersten Bände der 
Fall zu sein scheint. Es müssen diese Auszüge in Unordnung 
gerathen und später auf’s Gerathewohl zusammengefalst, gebun- 
den und numerirt sein, wodurch nicht ausgeschlossen ist, dafs 
immer noch grofse Massen von einem bestimmten Buchstaben zu- 
gehörigen Inschriften zusammenblieben. In den späteren Bänden 
scheint dann Gudius die Lust mehr und mehr verloren zu haben: 
so hat er vom 15. Bande, der Rom enthält und mithin ungemein 
reich ist, äulserst wenig, und den 16. Band hat er ganz ausge- 
lassen. Mit dem 18. Bande hören seine Auszüge ganz auf, was 
seinen guten Grund darin hat, dals das eigentliche Ligorische 
_ Hauptwerk selber hier abschliefst. 
Was nun letzteres betrifft, so umfasst dasselbe 18 Folio- 
” bände und zerfällt in 23 Bücher, indem jedem Buchstaben des 
_ Alphabets ein Buch gewidmet ist. Der ausführliche Titel zu An- 
fange des ersten Buches, der später mehr oder weniger abgekürzt 
wird, lautet: Z/ Zibro prirno delle antichita di Pyrrho Ligorio 


_ patritio Neapolitano et cittadino Romano, nel quale se contiene 


NE EEE SE 


40 Gesammisitzung 


di tutte le cose piü illustre tanto delle cittä, come de castelli, vici 
et ville, et luoghi, come ancora de monti, de mari, seni, isole, 
stagni, fontane et fiumi, et degli huornini et delle varie nationi, } 
et particolarmente di quei che per virlü sono sltati nominalti heroi 
ö dei da gentili, et degli nostri episcopi dei luoghi et de santi di 
mernoria degni; tutti col dritto nome compilati et brevemente di- 
chiarati et tutie dedicate all’ illustrissimo nome dell’ allezza del 
signor duca Alfonso secondo e serenissimo principe di Ferrara, 
di Mutina Lepida, di Regio et cetera. Das erste Buch, dem reich- 
haltigen Buchstaben 4 gewidmet, umfasst 3 Bände, C 2 Bände, 
P ebenfalls, wogegen dann mehrere kleinere Buchstaben in Einem 
Bande vereinigt sind. Die Inschriften sind eines Theils unter der 
Rubrik der Städte, denen sie angehören oder angehören sollen, 
zusammengestellt, und namentlich wird unter Rom eine sehr grolse 
Menge aufgeführt, die daselbst theils nach Materien (wie die me- 
dici, die Beamten der Bibliotheken u. s. w.), grölseren Theils aber 
nach der Localität geordnet ist, der sie Ligorio, mit Recht oder 
Unrecht, zuschreibt. Es braucht nicht bemerkt zu werden, dals 
unter diesen Inschriften sehr viel echte sich befinden, wie denn 
mit unglaublicher Naivetät oder Unverschämtheit gar nicht selten 
die echte und die interpolirte oder nachgebildete falsche Inschrift 
auf derselben Seite zusammengestellt sind. So folgt unmittelbar 
auf die bekannte Hadrianische Basis der vie? Roms eine nachge- 
bildete, dem Vespasian gewidmete (Gud. 87, 10), deren Seiten- 
flächen die curatores und denuntiatores des vicus Mamurii, dann 
viele fadr. tignar., fabr. ferr. und fabr. nur. enthalten; die ech- 
ten Inschriften des Fabius Cilo, des Memmius Vitrasius Orfitus 
u. a. haben untergeschobne Brüder erhalten, wobei von Ligorius 
besonders der von ihm offenbar für einen Volksnamen genom- 
mene Genitiv Populonii gern benutzt ist. Um noch ein Beispiel 
seiner Fälschungsweise zu erwähnen, erinnere ich an die bekannte 
Inschrift der magistri fontis des Capitolinischen Museums, welche 
unter Hinzufügung der Zahlen I und II aufgeführt werden. Li- 
gorio lälst mit Rücksicht auf diese am Abbange des Coelius ge- 
gen die piscina publica zu sehr bedeutende Reste der faszi der 
magistri fontis Lolliani auffinden, welche, so wie ihre ministri 
nach den CGonsulaten geordnet und mit Zahlen versehen sind, die. 
von I bis VIII steigen, und zwar so, dafs bald ganze Reihen mit 


vom 17. Januar 1856. 41 


derselben Zahl aufgeführt werden, bald innerhalb der Reihen die 
Zahlen wechseln. Wie er dabei Falsches mit Echtem mischt, 
und wie wenig namentlich auch seinen topographischen und Aus- 
grabungsnotizen zu trauen ist, davon giebt folgender Fall ein 
passendes Beispiel. Indem er die bekannte Inschrift des ordo cor- 
poratorum qui pecuniam ad ampliandum templum contulerunt, 
abschreibt, erzählt er, wie dieselbe zur Zeit des Papstes Julius II. 
bei Erbauung des Palastes di S. Apostolo gefunden sei. Ligorio 
mulste natürlich auch wissen, welcher Tempel es gewesen, zu 
dessen Erweiterung jene corporati beigetragen; er läfst daher an 
demselben Orte, aufser einem Paar auf die Venus überhaupt be- 
züglichen Steinen, die bei Gud. 39, 6 abgedruckte Inschrift der 
Venus placida auffinden, wodurch Alles auf’s Schönste erklärt wird. 
Abgesehen von diesen, unter den Rubriken der Städte zu- 
sammengefalsten Inschriften, deren, wenn man Rom ausnimmt, 
verhältnilsmälsig wenige sind, ist nun aber die grolse Masse nach 
wirklichen oder fingirten Familien- oder Beinamen geordnet, und 
zwar ist es dabei Ligorio’s Haupibestreben, das Familiengrab oder 
die Villa eines solchen Mannes nachzuweisen, meistens an einer 
der grolsen, von Rom auslaufenden Heerstralsen; woher es kommt, 
dafs die Ligorianischen Steine so sehr häufig in via Appia, La- 
tina u.s.w. angeführt werden. Oftmals mochten wirklich exi- 
stirende Grab- oder Villenreste den Anlafs geben, öfter Alles 
reine Erfindung sein. Dafs die letztere grofse Unkenntnils ver- 
räth, ist bekannt; doch ist zu bemerken, dals die gedruckten In- 
schriften Ligorio’s bereits corrigirt sind, wie denn z. B. der letz- 
tere mit offenbarer Verkennung des Charakters des Wortes fast 
nie meritae, sondern auch bei Frauen mit wenigen Ausnahmen 
immer merito schreibt. Die Götterinschriften als solche sind sel- 
ten zusammengestellt, sondern meistens, wo sie nicht, wie bei 
Rom, topographisch geordnet sind, nach dem Namen des Dedi- 
canten angeführt. Sehr auffallend und schwer zu begreifen ist, 
dals Ligorio es wagen konnte, bei einer grofsen Mehrzahl seiner 
Erfindungen nicht blofs die Provenienz, sondern selbst den Auf- 
» bewahrungsert bestimmt anzugeben, und zwar meistens nicht ir- 
gend eine abgelegne Vigne, sondern z. B. die Gärten oder die 
Bibliothek des Cardinals von Carpi, die Häuser Maffei und Mattei, 
die Gärten des Fabiano de’ Monti u.s.w. Die meisten Bronke- 


42 Gesammtsitzung 


täfelchen, gewöhnlich mit silbernen Buchstaben, für die Ligorio 
grolse Prädilection zeigt, sollen im Besitz des Dichters Molza aus 
Modena sein, u.s.w. Was aber die Namen selbst angeht, so 
sind Ligorio’s onomatologische Ungethüme zu bekannt, als dafs 
Beispiele anzuführen nöthig wäre. Doch kann ich mich nicht 
enthalten, zur Verdeutlichung des Verfahrens, das ihn Wahres 
und Falsches vermischen und darauf wieder seine Fälschungen 
bauen läfst, wenigstens eines Falles Erwähnung zu thun, der eine 
bekanntere Localıtät betrifft. Im 7. Bande unter dem Worte 
Dryopio schreibt er: Dryopio € nome di luogo che fu gia nella 
via Appia a 3 miglia discosto dalla citta chiamato dal sepulchro 
di Nonnio Dryopo de la Nonnia fameglia romana, dove egli havea 
la sua possessione, u.$. w., wozu dann die Inschrift Gud. 21, 6 
eitirt wird, obwohl dieselbe einen L. Annius, nicht einen Non- 
nius, Dryopus nennt. Es ist wohl klar, dals Ligorio hier das be- 
kannte Triopeum des Herodes Atticus im Sinne hatte, aber in der 
Erinnerung daraus ein Driopium oder Dryopium machte, dem zu 
Liebe dann wieder eine Inschrift verfertigt wurde. 

Aufser diesem Hauptwerke nun, in welchem aber, wie der 
oben angeführte Titel genugsam andeutet, die Inschriften nur als 
Hülfsmittel dienen, keineswegs selbst Zweck sind, besitzt das Tu- 
riner Archiv noch folgende andre Werke desselben Verfassers: 

Band 19: 46ro XAIIII di P.L. ecc., nel quale si contiene 
delle piü chiare fameglie romane la particolar dichiaratione delle 
cose fatte et applicate ai soggetti sculpiti nelle loro medaglie. Das 
Buch enthält ziemlich viele Inschriften von derselben Gattung mit 
den früheren, doch in geringerer Anzahl, als der Titel erwarten 
läfst; dagegen sind die Abbildungen von Münzen ungemein zahl- 
reich und vortreffiich dem Anscheine nach gezeichnet; über ihre 
Echtheit mögen Andre entscheiden. 

Band 20: Zibro 0 vero trattato dell’ antichita di P.L. ece., 
nel quale si dichiarano alcune famose ville, et particolarmente 
della antiea citta di Tibure et di aleuni monumenti. Eine grofse 
Anzahl von Inschriften aus Tibur und der Umgegend, so wie von 
den dort mündenden Strafsen, ist beigegeben, wie überall Echtes 
mit Falschem gemischt. 

Band 21 und 22 enthalten die Bücher XXVII bis XXXVI 
(deren letztem jedoch die Zahlbezeichnung fehlt), betreffend die 


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vom 17. Januar 1855. 43 


Kaisermünzen von Caesar bis auf Anastasius herab, wiederum mit 
sehr geschickt gezeichneten Münzabbildungen; Inschriften sehr 
selten. — Folgen sodann in 

Band 23: 4dro XLIIII dell’ effigie d’alcuni antichi heroi et 
huomini illustri, di philosofi, d’oratori, gran capitani et de li primi 
inventori dell’ arti che giovano ai mortali, mit den Abbildungen 
der Büsten und Hermen derselben, deren jede den betreffenden 
Namen als Inschrift zeigt. Es schien nicht nöthig, diese Auf- 
schriften zu notiren, da nicht einmal die Absicht der Täuschung 
entschieden bervortrit. Wo dagegen ein Künstlername hinzu- 
tritt, wurde die Inschrift notirt. — Hieran schlielsen sich in dem- 
selben Bande Z4öro XLY di quelli che hanno visso longo tempo, 
fra re’, philosophi, oratori, poeti et capitani, et soldati et d’ altra 
conditione di diverse nationi, und libro XLPT, nel quale sono com- 
pllati gli auttori antichi che hanno philosophato et scritto delle 
historie de’ termpi passati, et dell’ arti che giovano alla humana 
vita, namentlich das letzte wiederum ziemlich reich mit Inschriften 
ausgestattet. 

Band 24: Ziöro XLVII, nel quale si tratta del significato del 
dracone, dedicato al Sg. Francesco Lottino Foiterrano. Asc.; eben 
so liöro XLVTIII, nel quale si ragiona del significato del dracone 
ecc., und i/ terzo trattalo della natura del gallo et del basalisco, 
scritto da P. L. al medesimo, der wohl das Buch XLVIIII bilden 
soll; das Ganze übrigens ein dünner Band ohne Inschriften, Um 
so umfangreicher ist 

Band 25: veierum notarum locupletissima explicatione (sic), 
quae in antiquis nummis alque monumenlis occurrunt, ‚bezeich- 
net als Jider L, und 

Band 26: Ziöro LI delle antichita, ove si tratta de magistrati 

_ romani raccolli per P. L. ecc. dedicato all’ illustre et eccellente 
Signor Msg. reod. Benedetto Manzoli episcopo di Regio Lepido. 


In letzterem Bande sind die Inschriften sehr zahlreich, grofsen 


"Theils jedoch nur Wiederholungen aus früheren Büchern, nament- 


lich Römischer, meistens sine loco angeführt. 


Band 27: enthält Notizen über eine sehr grofse Anzabl Grie- 


 ehischer, Asiatischer und Grofsgriechischer Städte mit vielen an 


den Rand gezeichneten Münzen, meistens der Kaiserzeit, dagegen 


f ‚keine Inschriften. Die Nummer des Buches fehlt. 
ü 


44 Gesammtsitzung 


Band 28: Zbri o trattato de diversi terremoti raccolti da di- 
versi auttori per P. L., mentre la citta di Ferrara & stata per- 
cossa et ha tremato per un simile accidente del moto de la terra. 

Band 29: zrattato di P.L. di alcune cose appartenenti alla 
nobiltä delle antiche urli et massimamente de la pittura, de la 
scoltura et dell’ architettura, et del bene et del male che s’ ac- 
quistano coloro, i quali errano nell arte, et di quelli che non sono 
de la professione che parlann troppo per parere dotti di quei che 
non sanno, et detrattando altrui se istessi deturpano,. 

Band 30: Zeichnungen Ligorio’s, theils eigene Compositio- 
nen, theils nach Antiken und anderen Kunstwerken. Natürlich 
enthalten die drei letzten Bände nichts Inschriftliches. 

Hinsichtlich des Äufseren dieser Manuscripte bemerke ich, 
dafs sie mit fester, sehr deutlicher Hand sehr regelmälsig geschrie- 
ben sind, die Inschriften mit Majuskeln und mit Beibehaltung der 
Zeilenabtheilung, die nur selten vernachlässigt wird. Aufser den 
zahlreichen Münzabbildungen der letzten Bände sind Zeichnungen 
selten, und immer nur architektonische Auf- und Grundrisse. Häufig 
sind Lücken gelassen von halben und ganzen Seiten, oft von meh- 
reren Blättern, so dafs es scheint, der Verfasser habe sich Zusätze 
vorbehalten. Dafls ich den nichtepigraphischen Artikeln, den lan- 
gen Abhandlungen über Tugenden und Laster, oder Schönheit, 
über geographische oder historische Gegenstände, Schiffswesen 
und ähnliche Dinge, welche die Hauptmasse jener antiquarischen 
Encyklopädie bilden, keine Aufmerksamkeit zugewandt, wird man 
mir nicht verdenken, da es sich ja für uns nur um Ligorio als 
Epigraphiker handelt. — Die Paginen sind, wenige Bände ausge- 
nommen, nicht numerirt. 

Es mufs jetzt fernerer Untersuchung vorbehalten bleiben, zu 
ermitteln, in wie weit durch Ausbeutung der Turiner Manuscripte 
Ligorio überhaupt beseitigt ist. Aufser den hier aufbewahrten 
Werken existiren noch andre, welche ohne Zweifel auch Inschrif- 
ten enthalten, die den hiesigen fremd sind. Ich erinnere an die 
zahlreichen monströsen Göttergestalten, welche bei Muratori, 
Boissard, Montfaucon auf Ligorio’s Autorität gegeben werden; 
aufserdem finde ich auch irgendwo in den hiesigen Handschriften 
ein Buch über die Namen der Gräber bei den Alten citirt, das 
hier nicht vorhanden ist. Die Römische Sammlung von Ligo- 


vom 17. Januar 1856. 45 


rischen Werken ist nur eine Abschrift des hiesigen Hauptwerkes, 
welche man der Königin Christine von Schweden verstattete. 
Aber in Neapel befinden sich 10 Bände Ligorischen Machwerks, 
nämlich, nach einer hiesigen Notiz: 

Vol. 1. libri I. II. III. delle medaglie de’ Greci. 

„» 2. .. VIIII. di alcune varietä di vestimenti di re e di 
magistrali romani, di prwati e di altre usanze di di- 
versi popoli. 

» 3: 1.X. di alcune cose sacre ed immagini, ornamenti delli 


dii dei gentili, et delle loro origini, et di chi prima le 
moströ al mondo simbolicamente adorarli et riverirh. 

»„ 4 XIX. di pesi et delle misure varie di diverse nazioni, 
et di vasi et navi appartenenti all’ uso umano. 

» 9 LAXX. del significato ed immagini delle medaglie fatte 
sotto dei re et nella repubblica romana, et solto li im- 
peratori ecc. 

» 6. KXXU-XXVPI. de danari stampati sotto de Cesari e 
degli imperatori Augusli. 

Vol. 7. 1. XXXUI- XXXVIl. delle iserizioni di statue tanto di 
dei, come di eroi et altri homini illustri con altre cose 
diverse secondo le occasioni delle dedicazioni fatte da di- 
verse condizioni d’ homini. 

“ 8. LXXAXIX. di alcuni epitafi delle antiche memorie di se- 
polecri. 

» 9. LXXXX. di alcune immagini di fiumi et di fonti, et par- 
ticolarmente dei nomi d’ essi, et di loghi et altre cose di 
memoria degne presso diverse nazioni. 

„» 10. 2. XLVIIN. di diversi costumi delle genti usati in sep- 
pellire i morti. 

Ein Vergleich mit dem über die Turiner Mss. Mitgetheilten 

_ genügt, zu zeigen, dals es sich hier um eine ganz verschiedene 

Serie Ligorischer Werke handelt, in die jedoch Theile der an- 

re übergegangen sein mögen, wie z. B. die numismatischen. 

_ Aulserdem wird es nöthig sein, in Florenz und Paris nachzufor- 

schen; in letzterer Stadt sollen zwei Bände gleicher Art vor- 

handen sein. 


Turin, 26. October 1855. W. Henzen. 


46 Gesammtsilzung 


B:; 
Relazione dei lavori fatti dal sottoseritto per il 
Corpus Inscriptionum Latinarum dal Noye. 
1854 a tutto Ottobre 1855. 


Nella relazione precedente fü indieato lo scopo principale 
al quale furono diretti i primi lavori intrapresi nei codici epi- 
grafici della Vaticana, quello cioe di fornire al pit presto i 
documenti necessarii a chi dovra occuparsi nell epigrafia delle 
provineie oltramontane ed oltramarine. Qhuesto scopo & stato 
quasi interamente raggiunto per i lavori continwati dal No- 
vembre al Maggio, epoca della partenza del Sig’. D’. Henzen da 
Roma alla volta della Germania. Furono consegnati al suddetto 
signore dal sottoseritto gli estratti di quasi tutti i codici epigra- 
fiei vaticani contenenti iscriziom oeltramontane; ed in questa 
parte rimangono forse soltanto a fare alcuni estratti nel codice 
5237 di Aldo Manuzio. Le quali traserizioni e confronti erano 
giä in gran parte preparate fin dal Novembre 1854, e perciö ne 
fü dato minuto conto nella precedente relazione. 

Il prineipalissimo fra i lavori compiuti in quest’ anno & 
stato I’ esame generale e lo spoglio di tutte le schede epigra- 
fiche di Gaetano Marini; impresa importantissima, ma anche assai 
difficile ad eseguire, perche disperse quelle schede in oltre a 
cento grossi volumi delle carte sia autografe sia possedute da 
quel sommo archeologo, non ancora definitivamente ordinate e 
numerate nella Vaticana. Le copie d’ iscrizioni rinvenute in 
queste schede, fatte dal Marin medesimo o communicategli dagli 
amici, superano facilmente le quattro mila, le quali sono state 
tutte dal sottoscritto tolte ad esame, e fatte trascrivere per in- 
tero almeno in due terze parti, delle rimanenti dove & stato op- 
portuno trascritte le indicazioni topografiche, od altre utili av- 
vertenze. Cosi quest’ immenso apparato epigrafico necessario 
alla compilazione del nostro Corpus, segnatamente per le iscri- 
zioni di Roma e d’ Htalia, & stato tutto e in breve tempo esau- 
rito per la cortese liberalita dei Superiori della Biblioteca Vati- 
cana, i quali hanno concesso al sottoscritto le facolta pit larghe 
ed ogni commoditä di usare a suo pieno arbitrio di quelle 
schede; senza la quale libertä, nello stato in che presentemente 


vom 17. Januar 1856. 47 


giaceiono le carte del Marini sarebbe stato vano lo sperare di 
poterne compire in breve tempo l’ esame. Resta pero ad esami- 
nare e spogliare tutta la corrispondenza epistolare, che ebbe quel 
sommo con i maggiori letterati dell’ etä sua, composta di quasi 
tre mila lettere contenenti molte notizie epigrafiche; le quali let- 
tere ha giä il sottoseritto ordinate per uso della Biblioteca Va- 
ticana, e ne ha giä fatto un primo esame che servira di base 
allo spuglio suddetto. Sono inoltre comprese fra le carte del 
Marini non poche schede epigrafiche di autori pit antichi da lui 
raccolte e possedute; fra queste sono state gia esaminate, e per 
quanto era necessario trascritte le schede di Monsig!. Reggi che 
fü prefetto della Vaticana (fascicolo in foglio di circa 40 pa- 
gine), e rimangono sopra tutto a traseriversi o collazionarsi le 
schede del Suarez, dell’ Olstenio, dell’ Ughelli, e di altri, giä 
Barberine ora Mariniano-Vaticane, trascritte fino ad ora soltanto 
nella parte che riguarda i monumenti oltramontani. 

Il grande lavoro compiuto in quest’ apparato ha giovato 
mirabilmente ad abbreviare e perfezionare quello che si dovea 


fare sui marmi originali esistenti in Roma. Le copie trascritte 
dalle carte del Marini sono state in molta parte dal Sigr. Dr. 
Henzen collazionate coi marmi del Museo Vaticano, e dal setto- 
scritto con quelli che sono sparsi in moltissimi palazzi ville e 
chiese di Roma. Viceversa gli esemplari fatti sui marmi origi- 
nali delle iscrizioni tutte del museo Capitolino, della VillaAlbana, 
e della raccolta del Monastero di S. Paolo sono stati collazio- 
nmati cogli autografi del Marini; il quale quasi controllo ha mi- 
rabilmente giovato a far conoscere molti luoghi dubbü o difh- 
_ eili, che richiedevano una seconda revisione de’ monumenti is- 
tess. Dopo ciö tutta la parte traseritta dell’ apparato mariniano 
* stata posta a confronto coll’ intera massa delle iscrizioni giä 
da noi trascritte sulle lapidi originali di Roma, e cosi sono state 
_ eliminate le numerose inevitabili ripetizioni di copie d’ una iscri- 
zione medesima, e riunite in una sola scheda le notizie varie rac- 
. eolte da schede diverse, ed infine segnate le varianti dei variüi 
esemplari. 
Oltre le schede autografe del Marini sono state esaminate e 
gliate quelle anche del Giovenazzi e del Lupacchini, prezio- 
ime soprattutto per l’ epigrafia napoletana, e se ne & fatto 


48 Gesammisitzung 


un fascicolo di emendazioni ed appendici alle iscrizioni napole- 
tane del chiarissimo collega Mommsen. In fine giunta in Roma 
da Venezia l’ intera copia del codice di Pietro Sabino che il 
sottoscritto ivi scopri nella Marciana nel 1853 fü posta mano 
a confrontarla coll’ esemplare Vaticano Ottoboniano No 2015. 
Il quale bench® in molta parte assai meno perfetto del codice 
veneto & stato perö trovato contenere moltissime iserizioni che 
in quello mancano, e queste sono gia state tutte trascritte e@ 
compiuta la collazione de’ due esemplari. 

Dalla Magliabecchiana di Firenze ha ricovuto il sottoscritto 
la copia intera di Fra Giocondo, e ne ha tosto tentato il con- 


fronto coll’ esemplare giä Borgiano oggi di Propaganda; ma ri- . 


conosciuta la necessitä di far questa collazione non sul Borgiano, 
che ® corrottissimo, ma sull’ esemplare conservato in Verona nella 
Capitolare, ha dismesso l’ impresa, attendendo che I’ Accademia 
vogli provvedere al necessario esame del manoscritto veronese, 
Si ommettono per brevita parecchi lavori di non molta 
mole fatti in codici e schede varıe, come a cagion d’ esempio lo 
spoglio del codice vaticano 6438 di Giacomo Grimaldi, quello 


delle schede autografe del Galletti possedute dal sottoscerittio ed 


altri di simile natura; ma non debbe ommettersi la copia fatta 
di tutte le schede trasmesse al sottoscritto medesimo dall’ Ate- 
neo di Brescia, contenenti la silloge di tutte le iscrizioni bre_ 
sciane in numero di circa 900. 

Questi sono ı lavori fatti eseguire da abili amanuensi nei 
manoscritti, e per quanto spetta ai codici e schede della Vati- 
cana tutti gia collazionati ed emendati dal sottoscritto. Sui 
marmi originali oltre le iserizioni dei musei Capitolino e Vati- 
cano con immensa fatica trascritte dal chiarissimo collega Sig!. 
D' Henzen ha il sottosceritto copiate quelle della villa Albani, 
della villa Altieri, e di moltissime altre ville e luoghi sia della 
cittä sia del suburbano di Roma, ha inoltre pienamente esaurito 
la ricca epigrafia dei paesi tutti che sono da Palestrina infino ad 
Anagni, finalmente ha ottenuto dalla provvida cura dei superiori 
che l’ immenso numero delle iscrizioni de’ Magazzini vaticani, 
le quali da pochi anni in quä giacevano accumulate in modo che 
era impossibile il trascriverle e lo studiarne e riunirne i fram- 
menti, siano state trasferite al museo Lateranense, e disposte in 


vom 17. Januar 1856. 49 


sale, dove potranno commodamente essere esaminate e trascritte; 
esame € trascrizione gia cominciata. 

Da ultimo tutte le schede d’ ogni genere preparate da am- 
bedue i colleghi residenti in Roma tanto nel corrente quanto 
nello scorso anno sono state dal sottoscritto, durante l’ assenza 
del Sig‘. D'. Henzen, rivedute e dove faceva d’ uopo emendate 
ed annotate, ed infine coll’ ajuto d’un amanuense provvisoria- 
mente classificate nel modo che si. & stimato piü utile allo stato 
presente dell’ impresa. Il loro numero ammonta a quasi otto 
mila, delle quali circa cinque mila trascritte dai marmi originali. 


Roma, 8. Novembre 1855. Giovanni Battista de Rossi. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Silliman, The American Journal of science and arts. Vol.20. no. 60. 
New Haven 1855. 8. 

Bulletin de la societe geologique de France. 'Tome XII, feuilles 33—43. 
Paris 1855. 8. 

Athenaeum frangais. Annee V,no. 2. Paris 1856. 4. 

JolyetLeymerie, Memoire sur les Nummulites. (Toulouse 1855.) 8. 

Nova Acta regiae societatis scientiarum Upsaliensis. Seriei III. vol. 1. 
Upsaliae 1855. 4. 

Sebastian Englerth, Dr Gall’s Weinveredlung und die Ansicht der 
Chemiker darüber. Würzburg 1855. 8. 

————, Deutscher Weinbau und Weinhandel. Würzburg 1849. 8. 
(Mit Begleitschreiben des Verfassers d. d. Randersacker bei Würz- 

3. burg 5. Januar 1856.) 

ZA, Mühry, Die geographischen Verhältnisse der Krankheiten. 1. Theil. 
Leipzig 1856. 8. (Mit Begleitschreiben des Verfassers d. d. Göt- 
tingen 6. Jan. 1856.) 

Th. Mommsen, Die Stadtrechte der lat. Gemeinden Salpensa und Ma- 
laca. Nachtrag. Leipzig 1855. 8. 

Tabellen und amtliche Nachrichten über den preufsischen Staat für das 
Jahr 1852. Herausgegeben von dem Statistischen Büreau zu Berlin. 
Berlin 1855. folio. (Mit Begleitschreiben des Hrn. Geh. O.R. R. 
Dieterici vom 15. Jan. 1856.) 


- [1856.] A 


50 Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 1856. 


Aufserdem wurden unter anderem vorgelegt: 

Ein Schreiben des Hrn. Senonär in Wien v. 30. Dec. 
1855 in Betreff des Bianconi’schen Repertoriums. 

Ein Schreiben des Hrn. Gust. Crusell von St. Peters- 
burg 10. Dec. 1855 in Betreff seiner Pyrokaustik, nebst einer i 
dazu gehörigen handschriftlichen Abhandlung. , 

Ein Schreiben des Hrn. Will. Hooker von Kew Green 
48. Dec. 1855 betr. seine Ernennung zum Ehrenmitgliede der 


Akademie. 


94. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des 
Jahrestages Friedrichs II. 


Hr. Ehrenberg hielt als Vorsitzender die Festrede, 
welche als Beilage abgedruckt ist. Hierauf gab derselbe den 
Statuten gemäls die Personalveränderungen an, welche seit 
der letzten Sitzung am gleichen Festtage in der Akademie 
stattgefunden haben. 

Hr. Müller hielt alsdann einen längeren Vortrag über 
die Fische, welche Töne von sich geben, und über 
die Entstehung dieser Töne. 


ı 


31. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Steiner las über die Flächen dritten Grades. 

Die höheren algebraischen Flächen sind rücksichtlich ihrer 
charakteristischen geometrischen Eigenschaften noch wenig er- 
forscht. Aus den langjährigen „Untersuchungen über diesen 
Gegenstand wird ein Theil derjenigen Resultate mitgetheilt,, 
die sich auf die Flächen dritten Grades beziehen. Es ist 
daraus zu sehen, dafs diese Flächen fortan fast eben so leicht 
und einläfslich zu behandeln sind, als bisher die Flächen zwei- 
ten Grades. Von den schönen Eigenschaften der erstern mö- 
gen hier, in gedrängter Kürze, nachstehende angeführt werden. 

Zuerst werden mehrere verschiedene Erzeugungsarten der‘ 
Flächen dritten Grades gezeigt, aus welchen die wesentlichsten‘\ 
Eigenschaften dieser Flächen unmittelbar hervortreten, und wo-- 
von folgende die beachtenswerthesten sind. 


Gesammtsitzung vom 31. Januar 1856. 51 


I. Durch die 9 Geraden, g, in welchen die Flä- 
chen zweier beliebigen gegebenen Trieder einander 
gegenseitig schneiden und durch irgend einen ge- 
gebenen Punkt, P, ist eine Fläche dritteu Grads, f’, 
bestimmt. Nämlich jede durch den Punkt gelegte Ebene 
schneidet die 9 Graden in 9 Punkten, welche mit jenem zu- 
sammen irgend eine Curve dritten Grads bestimmen, und der 
Ort aller dieser Curven ist die. genannte Fläche, — Unter 
den 9 Geraden g giebt es sechsmal drei solche, welche einan- 
der nicht schneiden, und welche also ein Hyperboloid bestim- 
men; jedes dieser 6 Hyperboloide schneidet die Fläche f? noch 
in drei neuen Geraden, so dals also dieselbe 27 Ge- 
rade enthält. Rücksichtlich der zwei Schaaren Gerade, die 

jedes Hyperboloid enthält, gehören die je drei bestimmenden 
Geraden zur einen und die drei neuen Geraden zur andern 
Schaar, diese drei schneiden also jene, aber einander nicht. 

II. Werden ein gegebener Flächenbüschel zwei- 
ten Grads, B(f?), und ein gegebener Ebenenbüschel, 
B(E), projectivisch auf einander bezogen, so erzeu- 
gen sie irgend eine Fläche dritten Grads, f’, welche 
durch die Grundcurve, R*,') desersten, so wie durch 
die Axe, g, des andern Büschels geht; d.h. alle Kegel- 
schnitte, C?, in welchen die einzelnen Flächen zweiten Grads, 
f’, von den ihnen entsprechenden Ebenen, E, geschnitten wer- 
den, ?) liegen in einer Fläche dritten Grads, Dabei giebt 
es fünf Ebenen E, welche die ihnenentsprechenden 

Flächen f? berühren, so dals der zugehörige Kegel- 
sehnitt C? in zwei Gerade, g, zerfällt, u. s. w. 


"1 


— *) Das heifst, die Raumcurve Aten Grads, die der gemeinsame Schnitt 
aller Flächen des Z(f?) ist. 

_ *) Die projectivische Beziehung der gegebenen Büschel geschieht un- 
ern anderm dadurch, dafs man in irgend einem Punkte ? der Curve R* an 
€ Glieder des Flächenbüschels Z(f*) Berührungsebenen Z, legt, die ei- 
nen Ebenenbüschel A(Z,) bilden, diesen sodann mit dem gegebenen Ebe- 
enbüschel 3(E), durch willkürliche Annahme von drei Paar sich entspre- 
öhender Ebenen, Z und Z,, projeetivisch bezieht und nachher an Stelle je- 


er Ebene Z, diejenige Fläche f? nimmt, welche sie berührt. 
4 . 


52 Gesammtsitzung 


III. Ist ein Flächenbüschel zweiten Grads, B(f’), 
gegeben, so ist diePampolare jedes beliebigen Pols, 
P, in Bezug auf denselben irgend eine Fläche drit- 
ten Grads f?, welche stets durch die Grundcurve R* 
des Büschels und auch durch den Pol geht. Das heilst, 
der aus dem Pol P jeder Fläche, f?, des gegebenen Büschels 
umschriebene Kegel berührt sie längs eines Kegelschnitts C? 
und alle diese Kegelschnitte liegen in einer Fläche dritten 
Grads f’; die Ebenen der Kegelschnitte, als Polarebenen des R 
Pols in Bezug auf die respectiven Flächen des Büschels, gehen 
sämmtlich durch eine bestimmte Gerade, g, welche auch in der 3 
Fläche f? liegt. Der gegebene Flächenbüschel enthält insbe- 
sondere vier Kegel, wie Poncelet zuerst gezeigt hat, für jeden 
derselben zerfällt der genannte Kegelschnitt C? in zwei Ge- 
rade, g,, die sich im Scheitel des Kegels kreuzen nnd mit je- 
ner Geraden g ein Dreieck bilden; auch bei derjenigen Fläche 
des Büschels, welche durch den Pol P geht und daher daselbst 
von ihrer Polarebene berührt wird, zerfällt der Kegelschnitt N 
C? in zwei Gerade, g5, die sich im Pol kreuzen und gleich- 
falls mit jener Geraden g ein Dreieck bilden; dies sind 
zusammen bereits 11 in der Fläche f? liegende Gerade. 
Durch jede der beiden zuletzt genannten Geraden g, lassen 
sich vier solche Ebenen legen, welche die Grundcurve 
R* des Büschels berühren, und jede dieser Ebenen schneidet 
die Fläche f? in zwei neuen Geraden, die sich im Berührungs- 
punkt (der Ebene mit der Curve) kreuzen, was mit jenen zu- 
sammen 27 in der Fläehe f? liegende Gerade ausmacht. 

IV. Sind irgend drei Flächen zweiten Grads ge- 
geben, so schneiden sich die drei Polarebenen jedes 
Pols P in Bezug auf dieselben, im Allgemeinen, in 
je einem andern Punkte ?P,; bewegt sich der Pol P 
in einer beliebigen gegebenen Ebene, so be- 
schreibt der Punkt ?P, irgend eine Fläche dritten 
Grads. Oder: Denkt man sich alle Flächen zweiten 
Grads, welche durch beliebig gegebene sieben 
Punkte gehen, so liegen die irgend einer gegebe- 
nen Ebene in Bezug auf dieselben entsprechenden 
Pole sämmtlich in einer Fläche dritten Grads. Die 


vom 31. Januar 1856. 53 


vielen weitern interessanten Umstände, welche dabei noch 
stattfinden, müssen hier übergangen werden. 

Aus diesen Entstehungsarten — und weiterhin durch Hülfe 
einiger Polaritäts-Sätze — ergeben sich nachstehende merkwür- 
dige Haupteigenschaften der Flächen dritten Grads. 

„Eine allgemeine Fläche dritten Grads f? ent- 
hält 27 gerade Linien g (reelle oder imaginäre); 
jede derselben wird von 10 der übrigen geschnitten, 
und zwar von fünfPaaren die einander selbst schnei- 
den, so dals sie mit jener fünf Dreiecke bilden. 
Alle 27 Geraden g schneiden sonach einander zu 
zweien in 135 Punkten Ö und bilden im Ganzen 45 
Dreiecke A. Die fünf Paar Schnittpunkte, Öö, in je- 
der Geraden, g, gehören zu einem Involutions- 
Punktensystem; ist dasselbe hyperbolisch, so ent- 
hält es zwei Asymptotenpunkte (Doppelpunkte) =. 
Die Seiten jedes Dreiecks A enthalten entweder 1° 
alle drei hyperbolisches, oder 2° nur eine hyper- 
bolisches und zwei elliptisches Punkten-System.” 
Oder umfassender: 

Es giebt 27 verschiedene Systeme von solchen 
Ebenen, E, welche die Fläche f? in Kegelschnitten, 
C?, schneiden, und zwar bestehen dieselben aus 27 
Ebenenbüscheln, B(E), welche die 27 Geraden g re- 
spective zu Axen haben; und umgekehrt, jede Ebene, 
| welche die Fläche f’ in einem Kegelschnitte schnei- 
| det, schneidet dieselbenothwendignoch in einer der 
27 Geraden und gehört zu einem der Ebenenbüschel. 
Die Schaar Kegelschnitte, C?,die den Ebenen eines 
und desselben Ebenenbüschels angehören, schneiden 


dessenAxe,g,in demgenanntenPunkten-System; jede 
Ebene ist als eine die Fläche f’ doppelt berührende 
anzusehen, und die Schnitte ihres Kegelschnitts mit 
derAxeals die Berührungspunkte; unter den Kegel- 
schnitten giebt es insbesondere zwei, C;, welche die 
Axe berühren, und zwar inden genannten Asympto- 
tenpunkten m; ferner giebt es fünf Kegelschnitte, 
die in je zwei Gerade g zerfallen, so dals die zuge- 


54 Gesammtsitzung 


hörige Ebene die Fläche f? in drei Punkten be- 
rührt, nämlich in den Ecken des in ihr liegenden 
Dreiecks A. Die Ebenen der 45 Dreiecke A sind die ein- 
zigen, welche die Fläche f? in drei Punkten berühren. ] 

Es giebt ferner 45 Systeme von solchen Flächen 
zweiten Grads, f?, welche die Fläche dritten Gradsf’ 
injedreiKegelschnitten C? schneiden; jedem Dreieck 
A entspricht ein solches System, nämlich jede drei 
Ebenen, diebeziehlich durch dessen drei Seiten ge- 
hen, enthalten drei solche Kegelschnitte C?, durch 
welche allemal irgend eine Fläche zweiten Grads 
geht; und umgekehrt: Hat eine Fläche zweiten Grads 
/” mit der Fläche dritten Graäs f? irgend drei Ke- 
gelschnitte gemein, so gehen die Ebenen derselben 
jedesmal durch die drei Seiten eines der 45 Drei- 
ecke A; oder geht eine Fläche f? durch zwei in der 
Fläche fliegende Kegelschnitte, so schneiden sich 
beide Flächen allemal noch in irgend einem dritten 
Kegelschnitt und die Ebenen der drei Kegelschnitte 
gehen durch die drei Seiten eines und desselben 
Dreiecks A. Die Seiten jedes Dreiecks A werden von den 
vorgenannten besondern Kegelschnitten C5 in ihren Asympto- 
ten-Punkten = berührt; die drei Paar oder sechs Asymp- 
toten-Punkte liegen zu drei und drei in vier Ge- 
raden, Z, und durch die je drei zugehörigen Kegel- 
schnitte C5 geht ein Kegel zweiten Grads, fo, wel- 
cher die Ebene des Dreiecks längs der zugehörigen 
Geraden / berührt, und die Scheitel aller vier Ke- 
gelliegen in einer neuen Geraden. Aufserdem ent- 
hält das dem Dreieck entsprechende Flächensystem zweiten 
Grads, f?, noch unendlich viele Kegel; ihre Scheitel lie- 
gen sämmtlich in einer Fläche vierten Grads. 

Die drei Kegelschnitte C?, durch welche je eine Fläche 
zweiten Grads f? geht, können insbesondere auch aus drei Paar 
Geraden g bestehen, wobei dann die Fläche ein einfaches Hyper- 
boloid, AR?, ist. Nimmt man von den 27 Geraden g ir- 
gend drei, welche einander nicht schneiden, so be- 
stimmen sie ein solches Hyperboloid, denn dasselb 


vom 31. Januar 1856. 55 


schneidet die Fläche f?’ allemal noch in drei andern 
Geraden g, welche jene drei treffen, aber einander 
nicht. „Es giebt im Ganzen 360 solche Hyperbo- 
loide A?; jedes der 45 Systeme Flächen zweiten 
Grads enthält 48 derselben, und jedes Hyperboloid 
kommt in 8 verschiedenen Systemen vor.” 

Wählt man von den 45 Dreiecken A zwei solche, welche 
keine Gerade g gemein haben, deren Ebenen sich also in einer 
andern Geraden, etwa k, schneiden, die ihre Kante heilst, 
so treffen sich die Seiten beider Dreiecke paarweise auf dieser 
Kante, in drei Punkten ö. Bezeichnet man die Dreiecke durch 
A und B, ihre Seiten (die Gerade g sind) beziehlich durch 
@,@,,a; und 5,2,,d;, so schneiden sich etwa die Paare a und 
&, a, und ,, a, und 2, auf der Kante A, und sodann sind 
diese Paare Seiten von drei andern Dreiecken A: adc, a,d,c,, 
@pbac, oder A,,B,,C,, deren dritte Seiten c,c,,ca, für sich, 
die Seiten eines sechsten Dreiecks A oder C sind. Die Ebe- 
nen der Dreiecke 4, B,C bilden ein Trieder, 7, auf dessen 
drei Kanten %& ihre Seiten einander paarweise schneiden, und 
ebenso bilden die Ebenen der Dreiecke 4,,2,,C, ein Trieder, 
7,, auf dessen Kanten ihre Seiten einander treffen; jene 
Dreiecke, wie diese, haben die nämlichen 9 Geraden g, oder 

 ma,a; bb,b, cc,c, zu Seiten, und die Flächen beider Trieder 
schneiden einander gegenseitig in denselben (wie oben I.). 
Zwei solche Trieder heilsen conjugirte Trieder. 

„Die Ebenen der 45 Dreiecke A bilden auf diese 
Weise im Ganzen 240 Trieder, oder 120 Paare con- 
jugirte Trieder 7 und 7,.” Diese Paare ordnen sich 
zu drei und drei in 40 Gruppen, wovon jede Gruppe alle 
27 Geraden g enthält. 

j „Jedes Dreieck A kommt in 16 verschiedenen 
Triedern vor, so dafs also 16 Trieder-Scheitel in 
seine Ebene fallen; diese 16 Scheitel liegen alle- 
mal in einer Curve vierten Grads, welche die Seiten 
des Dreiecks zu Doppeltangenten hat, und zwar 
dieselben in ihren Asymptotenpunkten = berührt.” 
G Die 240 Trieder haben zusammen 720 verschiedene Kanten 


k; also liegen die 135 Schnittpunkte ö der 27 Geraden 
& 


‘ 


56 Gesammitsitzung 


g zu drei und drei in 720 Geraden %, welche sich zu 
drei und drei in 240 neuen Punkten 7 (Scheiteln der 
Trieder) treffen. Durch jeden Schnittpunkt ö gehen je 16 
Gerade k, wovon jede noch durch zwei andere Schnittpunkte, 
etwa Ö, und d, (statt ö), geht; nimmt man in jeder derselben 
einen vierten Punkt, A, so, dals 88, Aö, harmonisch sind, 
so liegen die 16 Punkte A zweimal zu vier und vier 
in vier Geraden, und diese 8 Geraden sammt den 
zwei Geraden g, deren Schnitt jener erste Punkt ö 
ist, liegen in einem Hyperboloid. 

Wird durch irgend einen in der Fläche f? liegenden Ke- 
gelschnitt C? eine beliebige Fläche zweiten Grads, f?, gelegt, 
so schneidet sie jene Fläche, im Allgemeinen, noch 
in einer Raumcurve vierten Grads, AR*, durch wel- 
che allemal unzählige andere Flächen zweiten 
Grads gehen, oder ein Flächenbüschel zweiten 
Grads geht; unter diesen Flächen befinden sich 5 
solche, welche die gegebene Fläche f? in je einem 
Punkte berühren, und die Berührungsebenen in 
diesen fünf Punkten sammt der Ebene jenes Kegel- 
schnitts C”gehen durch eine und dieselbe Gerade g 
zudem enthält jede der 5 Berührungsebenen noch 
zwei andere Gerade g, die sich im Berührungspunkt 
kreuzen, so dals also jede ein Dreieck A enthält. — 
Legt man durch irgend zwei einander nicht schneidende Ge- 
rade g ein beliebiges Hyperboloid, so schneidet dasselbe 
die Fläche f? aufserdem noch in einer solchen 
KRaumcurve vierten Grads, At, durch welche keine 
andere Fläche zweiten Grads geht; diese Curve ist 
also wesentlich verschieden von der vorigen R*, welche als 
der Schnitt irgend zweier Flächen zweiten Grads anzusehen 
ist, und welche man bisher für die einzige Raumcurve 
vierten Grades hielt. Die beiden Curven unterscheiden 
sich namentlich noch in folgenden Eigenschaften. „Die Tan- 
gentenfläche der Curve AR (d.h. die Fläche, in wel- 
cher alle ihre Tangenten liegen) ist vom 6te Grad 
und von der 6 Klasse; wogegen die Tangenten- 
fläche der Curve R* vom 8 Grad und von der 12!“ 


vom 31. Januar 1856. 57 


Klasse ist.” Ferner: „Von den zwei Schaareu Ge- 
rade, welche in dem durch die Curve RA}; gehenden 
einzigen Hyperboloid liegen, schneidet jede Ge- 
rade der einen Schaar die Curve in drei und jede 
Gerade der andern Schaar nur in einem Punkt; wo- 
gegen bei jedem Hyperboloid, welches durch die 
Curve R* geht, jede Gerade aus der einen oder an- 
dern Schaar dieselbe in zwei Punkten trifft.” 

„Somit giebt es zwei wesentlich verschiedene 
Arten von Raumcurven vierten Grads, R* und R}.” 

Wird der gegebenen Fläche dritten Grads, f?, aus irgend 
einem Punkte oder Pol ?P ein Kegel umschrieben, so ist der- 
selbe vom 6!" Grad und berührt die Fläche längs einer Raum- 
eurve 6'°%* Grads, durch die jedesmal irgend eine Fläche zweiten 
Grads, f?, geht, welche die erste Polare des Pols ? in Be- 
zug auf die gegebene Fläche f? heilst. Es giebt unendlich viele 
solche besondere Pole, deren erste Polare je ein Kegel zweiten 
Grades, fo, ist, und es findet das Gesetz statt: „dals wenn 
P, der Scheitel dieses Kegels ist, dann auch seine 
erste Polare gleichfalls ein Kegel ist, und dals der 
Scheitel desselben in jenem ersten Pol ? liegt.” 
Solche zwei Punkte P und P, heilsen reciproke Pole in 
Bezug auf die Fläche f°. 

„Der gemeinsame Ort aller reciproken Pole ist 
eine bestimmte Fläche vierten Grads, P*”, welche 
die Kernfläche der gegebenen Fläche dritten Grads f? ge- 
nannt wird. 

„Die Kernfläche ?? geht namentlich auch durch 
die Scheitel der obigen 240 Trieder, und zwar sind 
die Scheitel jedes der 120 Paar conjugirten Trieder 
T und 7, auch ein Paar reciproke Pole.” Dabei fin- 
det noch der nähere Umstand statt, dals der Polarkegel f; 
des Scheitels 7 dem conjugirten Trieder 7, um- 
schrieben ist, d.h. durch dessen drei Kanten %k geht, 
und ebenso auch umgekehrt. 

„Ferner sind auch die zwei Asymptotenpunkte x 


in jeder der 27 Geraden g ein Paar reciproke Pole ? 


58 Gesammtsitzung 


und ?P,, und zwar wird die Gerade in denselben von E 


von der Kernfläche P* berührt.” — 

„Es giebt im Ganzen 10 solche spezielle Pole 
P, oder P,, deren Polarkegel fy in zwei Ebenen, F 
und F,, zerfällt, (so dals auch der aus dem Pol der 


Fläche f? umschriebene Kegel in zwei Kegel dritten 


Grads und ebenso die Berührungscurve in zwei ebene 
Curven dritten Grads zerfällt); dabei ist dann der 


reciproke Pol, ?,, nicht mehr absolut bestimmt, 


sondern er liegt längs der Schnittlinie oder Kante, 


pı, der beiden Ebenen überall, so dals für jeden in 


dieser Kante liegenden Punkt ?, die erste Polare 
ein Kegel fJ ist, und dals die Scheitel aller dieser 
Kegel in jenem Pol ?, vereinigt sind.” „Den 10 Po- 
len P, entsprechen demnach 10 reciproke Gerade p,. 
„Die 10 Pole sind Knotenpunkte der Kernfläche P* 
und die 10 Geraden liegen ganz in derselben.” Die 
gegenseitige Lage dieser Pole und Geraden ist der Art, dafs 
in jeder Kante p, je drei der 10 Pole liegen, und 
dafs auch durch jeden Pol ?, je drei der 10 Kanten 
gehen. Oder genauer: „Die 10 Pole P, und die 10 Ge- 
raden p, sind die Ecken und Kanten eines vollstän- 
digen Pentaeders, d.h. es giebt 5 bestimmte Ebenen, 
Eo, die sich paarweise in den 10 Geraden und zu je 
drei in den 10 Polen schneiden, und wobei die 
Schnittlinie je zweier Ebenen und der Schnittpunkt 
der jedesmaligen drei andern reciprok sind.” Die 


Kernfläche ?* wird hiernach von jeder der 5 Ebenen 


E, in je vier Geraden p, geschnitten. Die durch 


jede Kante >, gehenden, vorgenannten zwei Ebenen 


F und F, sind zu den zugehörigen zwei Ebenen E, 


zugeordnet harmonisch. Die zehn Ebenenpaare F und 


F, haben auch noch interessante gegenseitige Beziehungen un- 
ter sich. 

Es giebt nun ferner auch noch solche Pole P, deren Po- 
larkegel f5 insbesondere Cylinder sind. „Der Ort dieser 
Pole ist eine auf der Kernfläche liegende Raumcurve 
6ten Grads, R°, welche durch die 10 Knotenpunkte 2, 


” 
1» 


j 
A 
| 
H 
i 
f 
| 


es 


vom 31. Januar 1856. 59 


derselben geht” (da deren Polaren, Fund F,, auch als Cy- 
linder anzusehen sind). „Die Axe, a, jedes Cylinders 
schneidet die Curve R°® in drei Punkten, und durch 
jeden Punkt der Curve gehen je drei Axen.” „Der 
gemeinschaftliche Ort aller Cylinder-Axen a ist 
eine (geradlinige) Fläche 8 Grads, a°, welche die 
Curve R® zur dreifachen Linie hat, und in welcher 
namentlich auch die 10 Kanten p, des vorgenannten 
Pentaeders liegen.” Mehrere merkwürdige weitere Eigen- 
schaften dieser Fläche können hier nicht entwickelt werden. 

Die Kernfläche P* schneidet die gegebene Fläche f? längs 
einer Raumcurve 12! Grads, R'?, welche für die letztere 
Fläche sehr charakteristisch ist. Zunächst geht diese Curve 
durch die 54 Asymptotenpunkte # der 27 Geraden g 
und berührt sie in denselben, so dals sie also jede 
Gerade zur Doppeltangente hat. 

„Sodann scheidet die Curve R’?auf der Fläche f? 
diejenigen Regionen von einander ab, wo das Krüm- 
mungsmals positiv und wo dasselbe negativ ist; längs 
der Curve selbst ist dasselbe Null.” 

Ferner ist die Curve R'* der Ort aller derjeni- 
gen Punkte auf der Fläche f’, in welchen die zuge- 
hörige Berührungsebene die Fläche mit Rückkehr- 
punkt schneidet, d.h. in einer solchen Curve dritten 
Grads C? schneidet, welche den Punkt zum Rückkehr- 
punkt hat, so dals also die Rückkehrtangente, z, der 
Curve ©? die Fläche f? im selben Punkte osculirt 
oder dreipunktig berührt. 

„Der Ort aller dieser Rückkehrtangenten z ist 
eineabwickelbare Fläche 30% Grads, z°°, welche die 
Fläche f’ längs der Curve R'? osculirt und die 27 Ge- 
radeng zu Doppellinien hat, so dalsalso die Schnitt- 
curve beider Flächen, z?°’ und f?, die vom 90sten Grad 
sein muls, aus der dreifachen Curve R'? und aus den 
doppelt zu zählenden 27 Geraden g besteht.” U. s. w. 

Eine beliebige Ebene, E, schneidet die gegebene Fläche 
f’ in einer Curve dritten Grads; die der Fläche längs 
dieser Curve umschriebene abwickelbare Fläche, #, 


60 Gesammtsitzung 


ist vom 12ten Grad und von der 6t Klasse, und ihre 
Rückkehrlinie (arr£te de rebroussement) ist vom 18!" Grad. 
Die zweite Polare irgend eines Pols Pin Bezug auf die gege- 
bene Fläche f? ist eine Ebene, etwa e. „Bewegt sich der 
Pol P in jener festen Ebene E, so ist die Enveloppe 


3? und 


seiner Polarebene e eine Fläche dritten Grads e 
nur vierter Klasse '), welche vier Knotenpunkte, Q,, 
hat, und jener abwickelbaren Fläche & eingeschrie- 
ben ist; auch ist die Fläche e’ allemal der Kernfläche 
P* eingeschrieben und berührt dieselbe längs einer 
Raumcurve bi" Grads R®, in welcher namentlich auch 
die 4 Knotenpunkte @, sich befinden, so dals also 
letztere jedesmal in der Kernfläche 2? liegen.” Die 
Fläche e? heifst die zweite Polare der Ebene E in Bezug 
auf die gegebene Fläche f?. Dieselbe hat (vor andern Flächen 
gleichen Grades) die merkwürdige besondere Eigenschaft: dals 
der aus irgend einem in ihr liegenden Punkte ihr 
umschriebene Kegel (der für andere Punkte vom 6'“ 
Grad ist) in zwei Kegel zweiten Grads und in die 
zugehörige Berührungsebene zerfällt; letztere be- 
rührt beide Kegel, und diese gehen stets beide durch 
die vier Knotenpunkte @,. Versetzt man die Ebene 
E ins Unendliche, so ist ihre zweite Polare e?’ die 
Enveloppe aller Durchmesser-Ebenen der gegebe- 
nen Fläche f?; dieselbe behält alle angegebenen 
Eigenschaften, sie ist den Flächen P? und & einge- 
schrieben, etc., die letztere, &, ist in diesem Falle eine Art 
asymptotischer Fläche der gegebenen Fläche f°. 

Bewegt sich der Pol Pin irgend einer festen Geraden D, 
so ist die Enveloppe seiner Polarebene e ein Kegel 
zweiten Grads, etwa d?, welcher die zweite Polare der 
Geraden D in Bezug auf die gegebene Fläche f? heilst. 

„Es giebtim Ganzen 100 solche besondere Gerade 
D,deren zweite Polare sich auf eine Gerade d redu- 


%) Eine allgemeine Fläche dritten Grads ist von der zwölften Klasse; 
im obigen Fall wird die Klasse durch jeden Knotenpunkt um 2 erniedrigt, 
eben so, wie nach Poncelet’s Satz, bei den ebenen Curven die Klasse 
durch jeden Doppelpunkt um 2 verringert wird. 


vom 31. Januar 1856. 61 


eirt, d.h. wobei jener Kegel d? sich auf seine Axe 
d reducirt, so dals alle Polarebenen e einen Büschel 
um dieselbe bilden.” Den 100 Geraden D entsprechen je- 
doch zusammen nur 25 Gerade d, indem jede der letztern je 
vier von jenen entspricht. Die 25 Geraden @ bestehen 
aus den 10 Kanten p, des obigen Pentaeders und aus 
den 15 Diagonalen desselben. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Archiv für Kunde östreichischer Geschichts- Quellen. XIV, 2. XV, 1. 
Wien 1855. 8. 

Fontes rerum austriacarum. Abtheilung I, Band 1. Abtheilung II, Band 8. 9. 
Wien 1855. 8. 

Monumenta habsburgica. Abtheilung I, Band 2. Wien 1855. 8. 

Notizenblatt. Ster Jahrgang, no. 13—24. Wien 1855. 8. 

Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. 
Mathem. naturwiss. Klasse XVI, 2. XVII, 1. 2.3. 
Philos. historische Klasse XVI, 2. XVII, 1. 2. Wien 1855. 8. 

L’Institut. me Section, no, 1144—1147. IIme Section, no. 238. Paris 
1855. 4. 

Athenaeum frangais. Annee V,no.3.4. Paris 1856. 4. 

Ephemeris Archaeologica, no. 40. Athen 1855. 4. Mittelst Rescripts 
des vorgeordneten Ministeriums vom 17. Januar 1856. _ 
Annales des mines. Tome VI. Livr. 2. Paris 1855. 8. Mittelst Re- 
scripts des vorgeordneten Ministeriums vom 18. Januar 1856. 
Annales de chimie et de physique. Tome 45. Decembre. Paris 1855. 8. 
Walzund Winckler, Neues Jahrbuch der Pharmacie. Band 4. Heft 
3. 4. Speyer 1855. 8. 

Neues Lausitzisches Magazin. Band 32. Heft 4. Görlitz 1855. 8. 

Gemeinnützige Wochenschrift. 5. Jahrgang, no. 53. Würzburg 1855. 8. 
Mit Circular des Kreiscomites des landw. Vereins für Unterfranken 
vom 15. Januar 1856. 

Berichte der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. no. 
1—5. Gielsen 1848—1855. 8. Mit Schreiben des Hın. Braun vom 
25. Januar 1856. 

Aroux, La Comedie de Dante. Tome 1.2. Paris 1856. 8. Mit Schrei- 
ben des Hrn. Verfassers, Paris 9. Dec. 1855. 

DelaRive, Traite d’electricite. Tome II. Paris 1856. 8. 

_ Foerstemann, Altdeutsches Namenbuch. Band 1, Lieferung 9. und 

Band 1 compl. Nordhausen 1856. 4. Mit Schreiben des Hrn. 
Verfassers, Nordhausen 25. Januar 1856. 


62 Gesammtsitzung vom 31. Jan. 1856. 


Marignac, Recherches sur les formes cristallines de quelques composes 
chimiques. Geneve 1855. 4. 

Plantamour, Aesume meteorologique de lannde 1854 pour Geneve et 
le Grand Saint-Bernard. Geneve 1855. 8. 

A. de Longperier, Notices sur les monumens antiques de Ü’Asie. Paris 
1855. 78. 

Brugsch, Nowelles recherches sur la division de lannee des anciens 
Egyptiens. Berlin 1856. 8. 

Schacht, Lehrbuch der Anatomie und Physiologie der Gewächse. Theil 
4. Berlin 1856. 8. Mit Schreiben des Buchhändlers Hrn. Müller 
vom 25. Januar 1856. 

Casopis ceskeho Museum. 1852, 4. 1853. 1854. 1855. Prag 1852—1855. 8. 

Verhandlungen der Gesellschaft des Museums des Königreichs Böhmen in 
den Jahren 1851—1853. Prag 1855. 8. 


Hr. Ehrenberg legte das an ihn gerichtete Erwiede- } 
rungsschreiben des Hrn. Bar. v. Liebig vom 12. d. M. auf 


seine Ernennung zum auswärtigen Mitgliede der Akademie vor. 


Hr. Böckh zeigte an, dafs die bei der Untersuchung des h 
Uranios betheiligten Mitglieder der Akademie in den letzten 6 
Tagen die Unächtheit desselben mit Sicherheit festgestellt ; 
hätten. Hr. Pertz übergab sein hierauf bezügliches Gutach- 
ten vom 30. d. M. sogleich zu den Acten. Das Übrige wurde 


vorbehalten. (Dieser Vorbehalt fand besonders darum statt, 


weil Hr. Lepsius gewünscht hatte, dals sein Bericht an die 
Akademie über die bereits am 27. d. M. von ihm entschieden 


erkannte Fälschung vertagt würde, bis er von seiner zur wei- 


teren Verfolgung der Sache unternommenen Reise nach Leip- 


zig zurückgekehrt wäre.) 


e gegeneie 


ne 


re 


Beilage. 


Einleitungsrede 


zur Feier des 4. Januar 1856 
von Herrn Ehrenb erg. 


Alle Frische der Erhebung des Preussischen Staates als gei- 
stiger Macht ist hervorgetreten seit der Zeit König Friedrichs. 
und den im gleichen Sinne waltenden Staatsformen seiner Nach- 
folger. Die Akademie der Wissenschaften feiert durch diese öf- 
fentliche Sitzung, diesmal gerade am 24. Januar, dem Geburts- 
tage des grofsen Königs selbst, das Andenken an den segensvol- 
len Einfluls, welchen dieser Monarch sowohl auf die höchsten 
wissenschaftlichen Kräfte des Preussischen Staates als auf das ge- 
sammte Preulsenland auszuüben berufen war und sie feiert es 
mit den heilsen Gefühlen aufrichtigster Dankbarbeit. 

König Friedrich II. war nicht der Stifter dieser Akademie 
der Wissenschaften, welche bekanntlich schon ein halbes Jahr- 
hundert vorher durch den edlen und hohen Sinn der Herrscher- 
familie, speciell durch den Einflufs der geistvollen Königin Sophie 
Charlotte, der genialen Gemahlin Königs Friedrichs I, nach Leib- 
nitzens Entwurf ins Leben getreten war, aber sehr bald nach 
dem Tode der Königin in kläglichen Verfall gerieth und darin 
völlig verkam. Das Verdienst König Friedrichs II. um die Aka- 
demie besteht darin, dals er den Zweck dieser Stiftung als seiner 
Königlichen Theilnahme vollständig würdig und für den Staat, 
den er zu regieren anfıng, ersprieslich erkannte und erklärte, dafs 
er dieselbe aus der Verkommenheit zog, ihr neue zweckmälsige 
und zeitgemäfse Einrichtungen und gediegene Kräfte zuführte, 
. dals er ihre Thätigkeit für reine Wissenschaft dadurch zur 
‚Berechtigung und Anerkennung brachte, dafs er selbstthätig in 
gr Sinne sich an ihr betheiligte. Dieser Ihn selbst und Al- 


64 Beilage. 


les was um ihn war über das gewöhnliche, theils nur formelle, | 
theils schlaffe Leben erhebende Sinn und Eifer des Königs, wel- 
cher grundsätzlich den Geist und edlen Sinn über die Form 
und die Erscheinung stellte, blieb nicht ohne Wirkung auf 
die übrigen Verhältnisse des gesammten Landes mit Einschluls der j 
Armee. Wie ein elektrischer Strom durchflog das neue Le- 
ben das mitten in den Drangsalen des Kriegs opfermuthig ge- 
bliebene Preufsenvolk so, dafs der König im Jahre 1745 nach 
dem gewaltigen Siege bei Hohenfriedberg, nicht von der begei- | 
sterten siegesfreudigen Armee, vielmehr von den bürgerlichen 
Behörden im heimischen schwerbelasteten Lande zum erstenmale 
mit dem Namen Friedrich der Grolse begrülst wurde, ein 
Name, welcher nach mehr als hundert Jahren nicht erloschen ist 
und dessen hohe Bedeutung, innere Kraft und Berechtigung vor 
einigen Jahren an dieser Stelle bezeichnet worden ist '). 

Aber nicht blofs der Name Friedrich der Grolfse lebt 
im Munde des Volkes und in den Jahrbüchern der Geschichte 
aller gebildeten Nationen, sondern auch der Name, welchen er ' 
im Jahre 1750 scherzweise sich in seinen Briefen an den Gra- 
fen Algarotti und an Voltaire selbst gegeben, der des Philoso- 
phen von Sanssouci, hat Wurzel für alle Zeiten geschlagen. 
War auch Friedrich II. kein schulgerechter Philosoph, so ist ihm 
doch noch in den neuesten Zeiten, wo sein erloschener persön- 
licher Einfluls keinen Grund zur Schmeichelei mehr bietet, die 
Anerkennung geblieben und von philosophisch gebildeten Ken- 
nern Seiner Schriften sogar an dieser Stelle erneuert worden, 
dals nämlich ein so vielseitig in den philosophischen Systemen 
bewanderter, in sich klarer und diese Klarheit in das Leben ge- 
waltig und glücklich einführender Denker in den Reihen der 
Philosophen zu stehen gar wohl berechtigt erscheine ?). 

In voller Anerkennung des hohen Verdienstes Ihres Ahn- 
‚herrn haben König Friedrich Wilhelm IH. und des jetzt regie- 
renden Königs Majestät durch grolsartig monumentale Werke der 


1) Vergl. die Festrede von 1851 in den Monatsberichten. 
?) Vergl. die Festrede von 1854 in den Monatsberichten. 


Beilage. 65 


Kunst und Wissenschaft die hohe Verehrung und den Dank aus- 
rochen, welche die Königliche Familie und das Vaterland 
dem weltberühmten Ahnherrn zollen. In anmuthigster, die künf- 
tigen Geschlechter anschaulich belehrender und begeisternder Ge- 
‚staltung ist die Reiterstatue des grolsen Königs aus Rauchs 
‚Künstlerhand hervorgegangen und die Herausgabe der Bewunde- 
‚rung erregenden eigenen Schriften des Königs geht jetzt ihrer 
Vollendung entgegen. Sie ist seit ich vor vier Jahren an dieser 
Stelle den 18. vollendeten Band anzeigte bis zum 27. Bande 
gediehen. 

Zwar fehlt es nicht an von Regenten, ungeachtet der sie bin- 
denden Zerstreuungen und Regierungs-Sorgen, verfalsten Poesien, 
Tagebüchern und Geschichtsbüchern, auch nicht an Vorschriften 
und Ermahnungen für ihre Söhne und Nachfolger. Schon alt- 
orientalische Könige, römische und byzantinische Kaiser hatten 
\Proverbia, Commentaria und wie es heilst Breviaria, Latercula 
und Tabularia Caesarum, Exhortationes und Praecepta hinterlas- 
sen, von denen die meisten verloren, einige erhalten sind. Kai- 
ser Karl V., König Philipp I. von Spanien und König Jacob I. 
von England hatten ihren Söhnen, wie man sagt selbstverfalste, 
Instructionen hinterlassen, doch pflegten solche Schriften einseitig 
dynastisch abgefalst zu sein, nach Art der Testamente, welche 
als schriftstellerische Arbeiten und als geistige Denkmäler nicht 
je bezeichnen sind. Auch der Perserkönig Kjekjawus, angeb- 
[tel aus dem 12ten Jahrhundert, welcher für seinen Sohn Ghi- 
lan Schach das in verschiedenen Sprachen gedruckte Königliche 
\Buch des Kabus schrieb, hat für die orientalischen Verhältnisse 
zwar gute, für unsere Verhältnisse aber nur triviale Lebensre- 
\gela hinterlassen, welche weit hinter den Salomonischen Sprü- 
chen zurückstehen. 
| Wie ganz anders sind die Schriften Friedrichs des Grofsen! 
I ist nicht blols ein dynastisches Testament, das sind nicht an . 


ns E- auch sind es nicht blofs Sentenzen und Sitten- 
prüche, das ist ein schriftlicher Thaten-Kranz, wie ihn so weit 
die Geschichte reicht kein geborner Regent in so vielen Mo- 
| E1856.] 5 


66 Beilage. 


dulationen dargelegt hat. Es ist das reichste Geistesleben eines 
höchstbegabten legitimen Herrschers und Feldherrn,, verfalst, 
nicht als voreilige Ausführung einer Theorie, auch nicht erst 
in der Erschlaffung des nach seiner That gern moralisirenden Al- 
ters, sondern in der Vorbereitung zur bevorstehenden oder mitten 
in der frischen That. Von den zartesten Spielen der poetischen 
Phantasie und der Musik bis zu den schwierigsten Vorlagen 
transcendentaler Philosophie; von den rückhaltslosen Ergielsungen 
freundschaftlicher, humoristischer und geselliger stets frischer 
Mittheilung, bis zu den besonnen klaren geschichtlichen For- 
schungen, Ermittelungen und Übersichten; von den Kleinlichkei- 
ten der Theaterwelt bis zu den ernstesten Auseinandersetzungen 
der Stellung eines Königs, nicht als des Rücksichtslosesten, son- 
dern als des Edelsten im Staate und seiner Pflichten. Freilich 
ist ein solcher schriftstellerischer 'Thatenkranz ein um so preis- 
würdigeres Werk, je erfolgreicher die Thaten waren und wohl 
kann die Akademie der Wissenschaften bald diese bald jene Seite 
derselben am Gedächtnilstage des Erweckers des Vaterlandes, ih- 
res Schutzherrn und Wiederherstellers, den neuen Geschlechtern 
vor Augen führen. 

Damit ist keineswegs gesagt, dals die Akademie der Wissen- 
schaften alle Lebensansichten des grolsen Ahnherrn unseres Kö- 
nigshauses und die Spitzen seiner Privat-Erkenntnils loben und 
vertreten möge, obschon zuweilen hat Gelegenheit genommen 
werden können, den von unrichtigen Gesichtspunkten ausgehen- 
den Tadel über 'den König, welcher bald seiner theologischen 
bald seiner politischen Rücksichtslosigkeit, bald auch seiner An- 
sichten des Privatlebens halber laut geworden, zu berichtigen, so 
weit sie eben einer Berichtigung zugänglich sind. Der Eindruck 
der ganzen Erscheinung des Königs in seinem Leben, Wirken 
und Denken ist, trotz alles, auch des bittersten, selbst des be- 
gründeten Tadels der Partheien, ein grolsartiger und edler ge- 
blieben, so dals mit Recht an dieser Stelle es schon ausgespro- 
chen werden konnte: es überkomme den Redner zum Lobe und 
zur Vertheidigung des Königs, wegen Schwäche der Anklagen, 
das Gefühl, als sei eine Vertheidigung gar nicht nöthig'). 


1) Vergl. die Festrede von 1849 in den Monatsberichten, auch 1855. 


Beilage. 67 


Wenn es auch nicht nöthig erscheint auf den schon oft wi- 
derlegten, aber immer neu mit eben so schwachen Gründen und 
Scheingründen wiederkehrenden, meist auf die streng philoso- 
phische Richtung sich beziehenden Tadel einzugehen, und wenn 
ein Redner an dieser Stelle sich nicht berechtigt fühlen kann, 
über die Schwächen eines im Grolsen edlen Fürsten zu richten, 
so mag es doch erlaubt sein, einige Blicke auf die Formen und 
Zustände der Zeit zu wenden, welche für ein Urtheil mafsge- 
bend erscheinen. 

Es ist eine gewöhnliche nicht eben löbliche Sitte der jetzi- 
gen Zeit, dals man, ungeachtet allgemeinerer logischer Ausbil- 
dung, nicht demgemäls auf logische d. i. philosophische Erwägung 
der sittlich edelsten Gründe des Handelns eingeht, nach der 
Art, welche König Friedrich II. zwar, wie alles Menschliche un- 
vollkommen ist, nicht selbst immer übte, aber als Ehrenziel mit 
sichtbarem Fleifls sich klar zu machen suchte und anstrebte, und 
wozu er eben das Mitwirken einer Akademie der Wissenschaften 
für ersprielslich hielt. Vielmehr zieht man in unserer Zeit es 
vor, sich in Partheien zu trennen, welche den Verstand der Ein- 
zelnen leiten, zügeln, vertreten und paralysiren, welche mit fer- 
tiger Redekunst und deren oft trügerischen aber eindringlichen 
Schlufsformen und Abstimmungen, gleich den rohen physischen 
Kräften im Kriege, systematisch kämpfen. Da fällt denn der 
Sieg bald auf die Seite des Wahren, Guten und Gedeihlichen, 
bald auf die Seite des Unwahren, Schlechten und Verderblichen, 
je nach dem Kriegsglück, der List und Abspannung der Kämpfer. 
Entschieden wird durch solche Kampfart das Gute selten geför- 
dert und doch würde man unserer Zeit unrecht thun, wenn man 
nicht mitten in dem verwerflichsten und widerlichsten Partheien- 
wesen das Wachsen der grolsen Keime der bessern Zukunft in 
voller Kraft anerkennen wollte. Mit Riesenschritten wachsen die 
Erkenntnisse der Menschen! Freilich ist das Wort des alt-orien- 
talischen Weisen, dafs Alles eitel, auch das Wissen des Menschen 
eitel sei, ein weises und wahres Wort, nur ist es aus der Kind- 
heit des Wissens. Auch der weiseste einzelne Mensch wird hie 
und da auf Irrthum und Unrecht befunden, wird geistig über- 
wachsen und ist leiblich vergänglich. Friedrich I. hat dies nicht 

5* 


68 Beilage. 


verkannt. Gerade dadurch unterscheidet er sich von den gleich- 
stehenden Vorgängern, dals er den Austritt der Menschen seiner 
Zeit aus dem Kindesalter des Einzelwissens und ihren Eintritt in 
das Mannes-Alter des Gesammtwissens schon gefühlt und be- 
griffen hat und dafs er die Gesammt-Erkenntnils, zu welcher 
das Menschengeschlecht sich historisch entwickelt, nicht für eitel, 
sondern für heilig, für einen Plan des grolsen Welten-Ordners 
und der Weltentwicklung angesehen, dafs er sie mit der ganzen 
Kraft eines Herrschers festhielt und zu befördern strebte. Offen- 
bar liegt, mehr als je, auch heut ein vielseitig rege gewordenes 
grolses nachdrückliches Streben zur allgemeinen, guten, unaufhalt- 
samen Entwicklung vor uns, welches, nur durch Erregtheit, Un- 
klarheit und Egoismus vieler der Betheiligten und durch rasche- 
res Schwanken im Fortrücken, dauernd jene Unruhe hervorbringt, 
welche die Gemüther drückt. 

Im Gebiete der Wissenschaften liegt eine grolse Quelle der 
Meinungsverschiedenheiten,, der Zerwürfnisse und des Irrthums 
nur in Nebenverhältnissen. Die Verwaltungen der verschiedenen 
Länder verlangen von Männern, welche sich zu Staatsämtern 
heranbilden, und darin erhalten wollen, dafs sie durch Druck- 
schriften womöglich jährlich ihre fortdauernde Befähigung bezeu- 
gen. Die übergrofse Zahl der Bewerber bedingt fort und fort 
eine übergrolse Zahl von Druckschriften, welche nicht das Er- 
zeugnils des inneren Dranges der Mittheilung reif gewordener 
Früchte des Fleilses, vielmehr die künstlich erweckte Kraftäusse- 
rung dialektischer Fähigkeiten sind. Die Preisrichter haben sehr 
selten Zeit und Lust, auch keine Verpflichtung, in die Einzelhei- 
ten einzugehen. Sie prüfen die Übersicht und Klarheit der 
Sprache und wägen das Buch dann nach dem Gewicht. Über 
die innere Berechtigung der dialektisch künstlichen Schrift 
bleibt jeder Fernstehende im Zweifel. Nach einer Reihe von 
Jahren erscheinen dann von Zeit zu Zeit wohlbegründete Klagen 
über die unabsehbar wachsende Büchermasse und die Unzuver- 
läfsigkeit der Schriftsteller, veranlasst durch — die Verwaltungen 
der Länder. 

Druckerei und Buchhandel gedeihen und viele Schriftsteller 
verdienen sich Geld, wenn die sparsam aber mannichfach hervor- 


Beilage, 69 


tretenden neuen Erkenntnisse der geistvoll Ernsten ihrer Zeit rasch 
mit Anmerkungen versehen und in Volks- und Schulbüchern in 
verschiedenen Formen und immer neuen Auflagen mitgetheilt 
werden. Über jeden kleinen Zweig aller einzelnen Wissen- 
schaften kann nach Ablauf eines Jahres immer eine gröfsere oder 
kleinere Summe gesammelter neuer Betrachtungen mit einigen 
Folgerungen daraus zugefügt werden. Wer seinem neuen Sam- 
melbuche, Handbuche oder Systeme keine neue Form giebt, gilt 
sofort als Abschreiber, als schwer getadelter Plagiarius, daher 
muls das unvermeidliche Plagiat versteckt werden, das alte Buch 
wird durchweg im wörtlichen Ausdruck ein neues mit veränder- 
tem Autor. Solche nothwendig veränderte Nüancirungen der 
Darstellung, nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus Klugheits- 
gründen, verfälschen nothwendig auch das wissenschaftliche Pro- 


| blem, dessen richtigster Ausdruck ein einfachster, überall gleicher 


des ursprünglichen Autors sein sollte, bis neue Erkenntnisse ihn 
sachlich modificiren. Andererseits bedingen die unberechtigt an- 


| ders nüancirten Darstellungen ganze Büchermassen als Vertheidi- 


gungen und Zurechtweisungen. 
Ferner strebt jede Nation mit besonderer Sprache, auch ohne 
diese, ehrenhalber nach einer besonderenLitteratur. Übersetzungen 


‚ der klassischen Schriften sind nicht ehrenvoll genug. Es wird 
‚ allmälig jeder Gegenstand von einem Innländer abgehandelt und 


das Ausländische auf das Innländische gedeutet, was um so unan- 
gemessener ist, je verschiedener und unvergleichbarer häufig die 
Zustände und Thatsachen sind. Frankreich und England haben 
das Deutsche schon in Französisches und Englisches und unter 
sich hat jedes wieder sich in das andere, beide sind in Deutsches 
verwandelt. Nord-Amerika mit einfach englischer Sprache hat 
bereits mehr als angefangen eine neue eigene Litteratur in allen 
Zweigen, als ob alles neu zu schaffen sei, sehr oft ohne 
Kenntnilsnahme von dem Vorhandenen, zu begründen. Dieser 
grolse vielleicht nicht mehr austilgbare Übelstand ist durch Ver- 
nachlässigung der durch die Geschichte berechtigten lateinischen 
Gelehrtensprache und Verlassen derselben von den Philologen 
selbst zu solchem Umfang erwachsen, während eine, keine Eifer- 


70 Beilage. 


sucht zulassende, todte Sprache nur Eine einzelne Litteratur für: 
alle Völker anbahnte. 

Die neue Zeit fügt aus Fanatismus noch eine confessionelle- 
Litteratur hinzu, römisch-katholische und griechisch-katholische, 
lutherisch-protestantische und anglikanisch-protestantische Wissen- 
schaften u. s. w. sind, letztere zumal, schon reichlich ausgestreut und 
der Fortgang solcher Zustände ist hie und da durch testamenta- 
rische Fonds einseitig fanatischer Vermächtnilsstifter verbürgt,: 
welche, bei schwacher Wissenschaftlichkeit, entblölst vom Ver- 
trauen auf die in immer grölseren Kreisen durch die Generatio- 
nen fortschreitende Wissenschaft und auf die geschichtliche Ent- 
wickelung der menschlichen immer vielseitigeren Gotteserkennt- 
nils, daher geängstigt sind. 

Alle diese Zustände der Litteratur sind freilich der Tendenz 
des grossen Königs fern und widerstrebend, denn ein entschie- 
denes hohes Vertrauen auf die Wissenschaft der Generationen tritt 
bei ihm mächtig hervor. 

Hätte König Friedrich II. blofs Bücher geschrieben, um lit- 
terarisch genannt zu sein, oder um irgend eine Meinung dialek- 
tisch zu vertheidigen, so könnte an dieser Stelle, vor der Aka- 
demie der Wissenschaften und gleichsam in ihrem Namen, seinen 
Schriften ohne besondere Auswahl ein grofses Lob zu ertheilen 
bedenklich werden und als Schmeichelei erscheinen. Dadurch 
aber, dafs es mit Fleifs und Anstrengung gepflegte Blüthen eines 
wohlgereiften, reichen, von einer edlen Idee erwärmten Geistes 
sind, dadurch, dafs dieselben in den meisten Einzelheiten Erwecker, 
Begleiter, Regulatoren und Resultate von tief und bildend in die 
europäischen Staaten und die Geisteswelt eingreifenden Thaten 
sind, sind dieselben berechtigt und gehören nicht in den Haufen 
der künstlichen Producte der Eitelkeit, weder der individuellen 
noch der National-Eitelkeit, der Verwaltungen, des Buchhandels 
und des Fanatismus. Darum sind sie auch würdig der grolsen 
Theilnahme der Königlichen Nachkommen wie des gesammten 
Landes. 


DI CD 


as a re EZ j 


Bir,“ AR in a 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der- Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat Februar 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Böckh. 


4. Febr. Sitzung der physikalisch-mathema- 
tischen Klasse. 


Hr. Braun las über die Panicum-Arten mit ge- 
falteten Blättern. 


Hr. Klotzsch hielt einen Vortrag über die Stellung 
der Gattung Ouvirandra in dem natürlichen System. 

Ouvirandra fenestralis Thouars, eine ihrer skeletartigen 
Blätter wegen, die des Parenchyms entbehren, ausgezeichnete 
Pflanze, wie wir dies sonst nur durch das Verfahren der Ma- 
ceration kennen, an den Ufern flüssender Gewässer auf der 
_ost-afrikanischen Insel Madagascar zu Hause, ist im vergange- 
nen Jahre durch den Missionar William Ellis in England le- 
I eingeführt, im December desselben Jahres bereits im 
Garten von Kew bei London zur Blüthe gelangt und von Sir 
z William Hooker in Curtis’s Botanical Magazine (Januarheft 
von 1856 auf Tafel 4894 abgebildet). Von diesem merkwür- 
F digen Gewächse, dessen stärkemehlreicher Wurzelstock von 
den Eingebornen Madagascars geröstet gegessen wird, sagt 
Sir W. Hooker, dafs es sich so leicht cultiviren lasse, dals 
‚man es gleich der Yallisneria spiralis in Glasgefälsen mit etwas 
lehmhaltiger Erde und Regenwasser, in jedem Zimmerfenster 
[1856.] 6 


72 ‚Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


werde ziehen können. Dieser Umstand bietel dem Pflanzen- 
Physiologen, wenn er sich bestätigen sollte, die frohe Aus- 
sicht auf die Erlangung einer Pflanze, deren Blatt- Funktionen % 
abweichend von denen aller übrigen Gewächse, geeignet zu 
sein scheint, interessante Untersuchungen hervorzurufen. 

Ich für mein Theil begnüge mich vorläufig damit, einige” 
Worte über die Stellung zu sagen, welche die Gattung Ouvi- 
randra, nebst einer ihr sehr nahestehenden, nämlich: Apono- 
geton im natürlichen Systeme einnimmt. 

Beide Gattungen haben das leidige Geschick erfahren, in 
den verschiedensten Pflanzenfamilien herumgewandert zu sein, 
bis sie zuletzt von Planchon') im Jahre 1844 zur Constituirung 
einer besondern Familie benutzt wurden. 

Nicht des Belags, sondern der Ursache wegen, sehe ich 
mich genöthigt, auf das Geschichtliche der Wanderungen die- 
ser beiden Gattungen näher, wenn auch in aller Kürze einzu- 
gehen, um wiederholt daran zu erinnern, dals die Aufstellung 
des wahrhaft natürlichen Pflanzensystems, abhängig ist von der 
genauen Erkenntnils, Würdigung und Werthschätzung sämmt- 
licher Organe, welche unter sorgsamer Berücksichtigung ihrer 
Entwicklung den Grad der Verwandtschaften sowohl, wie die 
Feststellung der Begrenzungrn allein bedingen. 

Durch Ernst Meyer?) verleitet, wird 4ponogeiton von 
Bartling,”) Endlicher,*) Lindley°) und von Bunge°) zur 
Klasse der Piperinen und zur Ordnung der Saurureen, mithin 
zu den dicotylen Gewächsen gebracht; Ouvirandra hingegen 
zur Klasse der Helobien und zur Ordnung der Alismaceen, 
nach Decaisne’) zu den Najadeen, also zu den monocotylen 
Gewächsen gerechnet. 


1) Observations sur le genre Aponogeton et sur ses aflinites naturelles; 
(Annales des sciences naturelles. Troisieme Serie vol. I, p. 107. 

?) de Houttuynia atque Saurureis. Regiomonti 1827, p. 16. 

?) Ordines naturales plantarum. Gottingae 1830, p. 84. 

4) Genera plantarum secundum Ordines plantarum. Vindobonae 1836 
p. 267, n. 1827. 

5) Natural System of Botany. London 1836, p. 185. 

6) Anleitung zum Studium der Botanik, Leipzig 1844, p. 577. 

”) de Lessert, Icones selectae plantarum, v. III, p. 62. 


vom 4. Februar 1856. 73 


Pakenham Edgeworth in Hookers London Journal of Bo- 
tany, Ster Band p. 402, in einer vorzüglichen Abhandlung, 
„on Aponogeton and the allied genera” war der erste, der 
auf die nahe Verwandtschaft dieser beiden genannten Gattun- 
gen hinwies und dieselben als monocotyle Gewächse consta- 
tirte, ohne sich mit der näheren Unterbringung im System zu 
befassen. Adolphe Brongniart „Enumeration des genres de 
plantes.’’ Paris 1850 p. 26 und p. 78 aber derjenige, welcher 
die An- und Abwesenheit des Perisperms im Samen der Spitz- 
keimer genauer würdigte und in seiner 2° Serie die Aperis- 
permees in zwei. natürliche Klassen, den Örchidaceen und 
Fluvialen trennt. Zu der letzteren Klasse gehören die Hy- 
drocharideen, Butomeen, Alismaceen, Najadeen, Aponogetoneen 
und Lemnaceen. 


Hr. Poggendorff trug eine Mittheilung des Hrn. Prof. 
Wöhler zu Göttingen vor über die Darstellung des 
Siliciums in krystallisirtem Zustande. 


7. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Meineke las die Fortsetzung seiner Abhandlung 
über die Geschichte des Dithyrambus. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Prestel, Tabellarischer Grundrifs der Experimentalphysik. Emden 
1856. folio. 
‚ Die Temperatur von Emden. ib. 1855. 4. 
‚ Das Faporimeter oder die Psychrometer-Skale. Emden 
1855. 8. Mit Begleitschreiben des Hrn. Verfassers d. d Emden 
283. Januar 1856. 
Athenaeum francais. 5”® Annee, no. 5. Paris 1856. 4. 
Revue archeologique. 12 me Annee, Livr. 10. Paris 1856. 8. 
Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preu/sischen Rheinlande 
12ter Jahrgang, 3. u. 4. Heft. Bonn 1855. 8. 


5 


6* 


74 Gesammtsitzungen vom 7. u. 14. Febr. 1856. 


P. Sabau, Discurso leido en la solemne inauguration de los estudios de la 
universitad central. Madrid 1854. 8. (2 Exempl.) 

Heliand oder das Lied vom Leben Jesu, herausgegeben von J. R. Köne. 
Münster 1855. 8. Im Namen des Hrn. Herausgebers überreicht durch 
Hın v. Olfers. 


Hr. Temminck in Leiden hatte unter d. 25. vor. Mon. 
ein Erwiederungsschreiben auf seine Ernennung zum Ehren- 
mitgliede der Akademie eingesandt, welches heute vorgelegt 
wurde. 


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Hr. Lepsius hielt einen Vortrag über den falschen Pa- 
limpsest des Griechen Simonides, welcher der Akademie von 


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Hrn. Wilhelm Dindorf angeboten und von ihr anfangs zum 
Ankauf befürwortet worden war. Er erörterte in Überein- 
stimmung mit der von ihm in den Zeitungen (Vossische Zei- 
tung vom 8. Febr.; Deutsche Allg. Z. 10. Febr.; Allg. Augsb. 
Z.11. Febr.) veröffentlichten Erklärung die innern und äufsern, 
die wissenschaftlichen und technischen Gründe, welche zur 
Entdeckung des Betrugs, und unter Mitwirkung der K. Preulsi- ' 
schen und K. Sächischen Polizei zur Verhaftung des Betrügers 
in Leipzig geführt haben. Den Vortrag gab er zu den Akten 
der Akademie. Der Vorsitzende übergab zugleich ein mittelst 
Schreibens des Hrn. Tischendorf in Leipzig vom 5. d. M. 
zur Vorlegung in der Akademie ihm zugestelltes Exemplar des 
Dresdner Journals von demselben Tage, enthaltend einen Auf- 
satz des Hrn. Einsenders über jene Fälschung, auf welchen 
Hr. Lepsius in seiner oben angeführten Erklärung bereits 
Rücksicht genommen hatte. 


14. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Dirksen las eine Abhandlung, welche betitelt ist: 
„Der Rechtsgelehrte und Taktiker Paternus, ein Zeitgenosse 
der Antonine.” 


vom 14. Februar 1856. 75 


Hierauf las Hr. G. Rose über den dichten Borazit 
von Stasfurt. 

Im Jahre 1846 wurden aus dem Bohrloche von Stasfurt') 
als man in einer Tiefe von 797 Fuls zu einem schon sehr mit 
Steinsalz gemengten Anhydrit, der das Liegende eines 147 
Fuls mächtigen, festen, steinsalzfreien Anhydrits bildete, ge- 
kommen war, grölsere und kleinere Stücke einer Substanz 
herausgezogen, die im Ganzen Ähnlichkeit mit einem weilsen 
dichten Kalkstein hatte, aber von Karsten für wasserfreie bor- 
saure Talkerde erkannt wurde. Nach der Analyse, die er in 
der Sitzung vom 7. Jan. 1847 der Akademie mittheilte,?) ent- 
hielt dieselbe 

EN re u Ed 20, 


WER 3 1 VO, a re, 2 

kohlensaures Eisenoxydul mit Spuren von kohlens. 

Manganoxydul und von Eisenoxydhydrat 1,03 
100,00 


Karsten fand ferner ihr specifisches Gewicht zu 2,9134 
und ihre Härte zwischen 4 und 5. In verdünnter Salz-, Sal- 
peter- und Schwefelsäure löste sie sich leicht, und in concen- 
trirter Flulssäure ohne alle Entwickelung von Wärme auf. 

Der krystallisirte Borazit von Lüneburg, wenn man an- 
nimmt, dafs er eine Verbindung von 3 Atomen Talkerde und 
4 Atomen Borsäure (Mg? B‘) ist, besteht aus: 

Talkerde 30,76 

Borsäure 69,20 
er hat nach Rammelsberg ein specifisches ‚Gewicht 2,955. 
Diese Zahlen weichen so wenig von den von Karsten gefun- 
denen ab, dafs letzterer hierdurch sich bewogen fand, das Mi- 
neral von Stasfurt auch für Borazit und also für eine dichte 
_ Abänderung desselben zu halten. 
Später fand Prof. Karsten (der Sohn),’) dafs wenn man 
fein zerriebene Theilchen des Minerals von Stasfurt auf einer 
_ Metallplatte über der Spirituslampe erwärmt, sich allerhand 


‘) Stasfurt liegt an der Bode, 5 Meilen südlich von Magdeburg. 
?) Monatsberichte der Akad. von 1847 S. 19. 
%) Poggendorffs Ann. 1847 B. 71, S. 243. 


76 Gesammtsilzung 


Bewegungen bemerklich machen, die Theilchen sich von ein- | 


“ 


ander schieben und zusammenballen, sich anziehen und ab- 
stolsen, und sich völlig auf dieselbe Weise wie gepulverte 
Borazitkrystalle verbalten; er sah daher darin noch einen Grund 
mehr, das Mineral von Stasfurt für Borazit zu halten. Dafür 
erklärt sich endlich auch Volger in seiner neuern Schrift über 
den Borazit,') indem er noch die Schwierigkeit, die für die 
Identitätsannahme des Stasfurter Minerals mit dem Borazit in 
der bei weiten leichtern Auflöslichkeit des erstern in Chlor- 
wasserstoffsäure liegen könnte, durch die Annahme zu heben 
sucht, dafs sie durch die grolse Feinheit seiner krystallinischen 
Theilchen hervorgebracht sei. Die Meinung, dafs das Stasfur- 
ter Mineral Borazit sei, fand nirgends Widerspruch. 

Indessen lassen sich doch gegen diese Meinung recht 
wiehtige Einwendungen machen. Schabt man von dem leicht 
zerreiblichen Stasfurter Mineral mit dem Messer einige kleine 
Theile ab, und betrachtet sie unter dem Mikroscop, so er- 


scheinen dieselben keinesweges structurlos, und ohne das ge- 


ringste krystallinische Gefüge, wie Prof. Karsten bei Beschrei- 
bung seiner electrischen Versuche erwähnt, sondern als ein 
Aggregat von lauter prismatischen Krystallen von verschiede- 
ner Gröfse, die bei 360maliger Vergrölserung eine scheinbare 


Grölse 'eines Körpers von 1 bis 3 Linien in deutlicher Seh- 


weite haben. Endkrystallisation ist bei ihnen nicht wahrzuneh- 
men; indessen haben doch Krystalle, welche zum regulären 
Krystallisationssystem gehören, ein solches Ansehen nie, die 
kleinen Krystalle, von Stasfurt können daher nicht zum regu- 
lären Systeme gehören. 

Hierzu kommen noch die andern Unterschiede. Die bor- 
saure Talkerde von Stasfurt löst sich zerrieben in concentrirter 
Chlorwasserstoffsäure bei Erwärmung mit der Spirituslampe 
fast augenblicklich auf,?) und aus der erkalteten Auflösung 
scheidet sich nach einiger Zeit Borsäure-Hydrat als ein weilser 
krystallinischer Niederschlag aus, bei welchem man die Form 


‘) Versuch einer Monographie des Borazits, Hannover 1856, S. 84. 


?) Nach einer spätern Mittheilung von Hrn. Rammelsberg ist sie sogar 
schon etwas in reinem Wasser löslich. 


vom 14. Februar 1856. 77 


_ der einzelnen Krystalle (die sechsseitigen Tafeln) bei schwacher 
(95maliger) Vergrölserung sehr gut erkennen kann. Sehr fein 
zerriebener durchsichtiger Borazit von Lüneburg löste sich in 
derselben Chlorwasserstoffsäure viel längere Zeit gekocht, gar 
nicht auf, es schied sich beim Erkalten der Auflösung keine 
Borsäure aus, und die Chlorwasserstoffsäure enthielt auch keine 
Talkerde. 

Vor dem Löthrohr schmilzt das Mineral vou Stasfurt viel 
leichter als der durchsichtige Borazit. Man kann von erste- 
rem ein kleines Stück auf der Kohle zur Kugel schmelzen, 
was mit dem Borazit nicht angeht; man mufs bei diesem einen 
starken Luftstrom anwenden, und daher das Stück mit der 
Platinzange halten, wobei man es dann an den Rändern zum 
Schmelzen bringt. Sonst sind die Erscheinungen dieselben. 
Beim Erkalten der geschmolzenen Kugel treten aus der Ober- 
fläche eine Menge kleiner Blasen hervor, und die Oberfläche 
bedeckt sich mit feinen prismatischen Krystallen, die unter der 
Lupe ganz deutlich sind. 

Im Kolben vor dem Löthrohr erhitzt, geben sowohl das 
Stasfurter Mineral als der Borazit einen geringen weilsen 
Sublimat, was sich beim Borazit nirgends erwähnt findet. Er 
besteht wohl offenbar nur aus Borsäure, und erscheint unter 
dem Mikroskop bei 90maliger Vergrölserung aus kleinen qua- 
dratischen Tafeln bestehend. Zuweilen decrepitirt das Stas- 
furter Mineral und giebt dann im Kolben erhitzt, viel Wasser, 
in diesem Fall ist ihm aber eine wasserhaltige Chlorverbin- 
dung, die auch in gröfsern Massen mit ihm zusammen vor- 
kommt, in geringer Menge beigemengt. 

Das specifische Gewicht des Stasfurter Minerals, welches 
mach der Angabe von Karsten 2,9134 beträgt, ist zwar nicht 
viel von dem des Borazits 2,955, indessen doch immer etwas 
verschieden. 

Hiernach erscheint doch das Stasfurter Mineral durch so 
wesentliche Eigenschaften von dem Borazite geschieden, dafs 
man es für ein besonderes Mineral anzusehen und demnach 
mit einem besondern Namen zu bezeichnen hat. Der Verf. 
schlägt dazu nach seinem Fundorte den Namen Stasfurtit vor. 
Bestätigt sich die gleiche Zusammensetzung, die es nach der 


78 Gesammtsitzung 


Analyse von Karsten mit dem Borazit hat, so wäre es mit die- 
sem heteromorph, und man könnte vielleicht auf diese Weise 
eine Erscheinung beim Borazite erklären, die bisher etwas sehr 
Räthselhaftes hatte, dafs er nämlich häufig undurchsichtig ist, 
und dann aus fasrigen Theilen zusammengesetzt erscheint, die 
auf den Krystallfllächen, und namentlich den Dodeka@der- und 
den Hexaäderflächen senkrecht stehen. Man könnte nun anneh- 
men, dals diese Krystalle Pseudomorphosen nach Stasfurtit wären, 
dessen fasrige Individuen auf den Krystallflächen senkrecht ste- 
hen, wie diels öfter bei Pseudomorphosen vorkommt, wie z.B. 
bei dem geschmolzenen Zucker, wenn er undurchsichtig ge- 
worden ist, oder bei den Pseudomorphosen von Göthit nach 
Eisenkies.') 

Volger der in seinem angeführten Werke die Borazite mit 
fasriger Structur ausführlich bespricht, erklärt dieselben auch 
für Pseudomorphosen, ist aber der Meinung, dals die fasrigen 
Individuen ein neues Mineral von verschiedener Zusammen- 
stellung mit dem Borazite sind, das er Parasit nennt. Indessen 
ist doch der Unterschied in der Zusammensetzung der undurch- 
sichtigen Borazite mit fasriger Structur und der durchsichtigen 
unveränderten nach den Analysen sowohl von Rammelsberg 
als von Weber zu gering, um die erstern, wenn man auch 
berücksichtigt, dals sie gewöhnlich nur zum Theil umgeändert 
sind, für ein in der Zusammensetzung von dem durchsichtigen 
Boraziten verschiedenes Mineral zu halten. 

Sind aber die Borazite mit fasriger Structur als in eine 
heteromorphe Substanz und zwar in Stasfurtit verändert anzu- 
sehen, so müssen sie in diesem Falle in Chlorwasserstoffsäure 
leicht auflöslich und vor dem Löthrohr auf der Kohle schmelz- 
bar sein. Das letztere ist augenscheinlich der Fall, das erstere 
bewährte sich durch den Versuch aber nur zum Theil, denn 
als der Verf. einige fasrige Borazitkrystalle fein zerrieben 
in einem Reagenzglase mit derselben Chlorwasserstoffsäure, 
mit welcher er die durchsichtigen Krystalle behandelt hatte, 
kochte, schien sich erst nichts aufzulösen, als er aber das Rea- 
genzglas nach einiger Zeit betrachtete, fand er, dafs sich nun. 


‘) Vergl. Poggendorffs Ann. B. 28, S. 577. 


vom 14. Februar 1856. 79 


auf der unaufgelöst gebliebenen Masse doch eine nicht unbe- 
deutende Menge Borsäurehydrat abgesetzt hatte; es war also 
doch ein Theil der fäsrigen Krystalle durch die Chlorwasser- 
stoffsäure zersetzt worden. Es ist möglich, und sogar wahr- 
scheinlich, dafs der Grund weshalb sich nicht alles aufgelöst 
hatte, darin lag, dafs die angewandten Borazitkrystalle nur zum 
Theil in Stasfurtit umgeändert waren, indessen bedarf die 
Sache doch noch weiterer Untersuchung. 

In dem grolsen Schachte, welchen man jetzt in Stasfurt 
abteuft, ist man nun schon bis zu dem Stasfurtit gekommen. 
Hr. Apotheker Tuchen in Stasfurt hat meinem Bruder schon 
mehrere Stücke desselben, sowie auch Proben von den übri- 
gen ihn begleitenden merkwürdigen Mineralien gesandt. Mein 
Bruder wird die Analyse des Stasfurtits wiederholen und dar- 
über entscheiden, ob er dieselbe Zusammensetzung habe, als 
der Borazit. Vielleicht wird man nun noch Stücke von Stas- 
furt antreffen, in welchen derselbe deutlicher krystallisirt ist, 
so dals man etwas genaueres über seine Krystallform wird be- 
stimmen können. 


Hr. H. Rose trug folgende an ihn eingesandte Mittheilung 
vor: Über eine neue Classe von Alkoholen, von Aug. 
Cahours und A. W. Hofmann. 

Die Wissenschaft verdankt Prof. Redtenbacher die Kennt- 
nils eines höchst bemerkenswerthen Körpers, der sich in be- 
trächtlicher Menge bei der trockenen Destillation des Glycerins 
erzeugt und welchen derselbe unter dem Namen Acrolein be- 

schrieben hat. Diese Substanz besitzt alle Charactere eines 
wahren Aldehyds und steht in ihren Eigenschaften und ihrer 
" Zusammensetzung namentlich dem eigenthümlichen Aldehyd sehr 
nahe; unter dem Einfluls von Oxydationsmitteln und besonders 
des Silberoxyds geht sie in eine Säure — Acrylsäure — über, 
welche zu dem Acrolein in derselben Beziehung steht, wie die 
Essigsäure zum Aldehyd. In einigem Zusammenhang mit die- 
en Forschungen stehen die schönen Versuche von Will und 
von Wertheim über die ätherischen Öle des schwarzen Senfs 
und des Knoblauchs, Versuche, welche, obwohl scheinbar einem 


\ 


80 Gesammtsitzung 


ganz verschiedenen Felde zugewendet, nichtsdestoweniger auf 
eine unzweideutige Beziehung dieser Öle zu den Körpern der 
Acrylreihe hinwiesen. Diese Beziehung ist durch die neuesten 
Untersuchungen von Berthelot und de Luca in ein klares Licht 
getreten. Beim Studium der Einwirkung des Jodphosphors auf 
Glycerin erhielten diese Chemiker eine Jodverbindung — das 
Jodpropylen, welche dem Chlor- und Brompropylen entspricht, 
welches schon vor einigen Jahren einerseits von Cahours und 
andererseits von Reynolds und Hofmann aus den gasförmigen 
Producten dargestellt wurde, welche sich durch die Einwirkung 
der Wärme auf den Amylalkohol und auf die Valersäure und 
ihre Homologen bilden. Berthelot und de Luca haben ferner 
gezeigt, dafs sich bei der Einwirkung des Jodpropylens auf | 
Schwefelcyankalium ein Körper bildet, welcher in allen seinen | 
Eigenschaften mit dem Öle identisch ist, das sich bei der De- 
stillation des schwarzen Senfs mit Wasser bildet; dieser schöne 
Versuch zeigt unwiderleglich, dafs das Senföl der Propylen- 
reihe angehört, eine Ansicht, welche schon früher von Capitain 


Reynolds in seinen Untersuchungen über die Propylenverbin- 
dungen ausgesprochen, aber experimentell noch nicht bethätigt 
worden war. Nehmen wir nun die Existenz eines Kohlen- 
wasserstoffmoleculs C,H, an, welches in seinen Eigenschaften 
dem Aethyl ähnelt, so gelangen wir zu folgender Reihe 


C,H, Cl Propylenchlorid C,H, Cl Aethylchlorid 

C,H, Br Propylenbromid C,H, Br Aethylbromid 

C,H, J Propyleniodid C,H,J Aethyliodid 

C, H, Sätherisch. Knoblauchöl C,H, S Aethylsulphid 
C,H,C,NS, äther. Senföl C,H, C,NS,Aethylsulphocyan. 
C,H,O, Acrolein C,H,O, Aldehyd 


CG,H,O, Acrylsäure C,H,O, Essigsänre 

Es blieb nunmehr nur noch übrig, diesem Gebäude den 
Schlufsstein einzusetzen; mit anderen Worten, es war der Al- 
kohel aufzufinden, der den Mittelpunkt der genannten Körper 
bildet, wie der Weinalkohol der Mittelpunkt der zahllosen 
Aetherverbindungen ist, welche die letzten Jahre ins Dasein 
gerufen haben. Aus diesem Alkohol mülsten sich alsdann eine 
Reihe von Verbindungen erzeugen lassen, in ihrer Zusammen- 
setzung und in ihren Eigenschaften den Abkömmlingen des 


vom 14. Februar 1856. 8 


Weinalkohols entsprechend. Nach vielen vergeblichen Ver- 
suchen ist es uns gelungen, den Alkohol und den Aether dieser 
Reihe, für welche wir den Namen Acrylreihe beibehalten wol- 
len, darzustellen. 

Um zu diesem Ziel zu gelangen, haben wir eine Reihe 
von Silbersalzen der Einwirkung des Jodpropylens — Acryl- 
iodids — unterworfen. Es sind im Ganzen nur wenige Silber- 
salze, welche sich für diese Umbildung eignen; von allen hat 
uns das Silberoxalat die erwünschtesten Resultate geliefert. 
Dieses Salz wird von dem Acryljodid äulserst heftig angegriffen ; 
nach mehrstündiger Digestion ist die Einwirkung vollendet. 
Das Acryloxalat, welches sich hiebei bildet, kann leicht von 
dem Jodsilber getrennt werden. Mit Wasser gewaschen, über 
Chlorcalcium getrocknet und von Neuem destillirt, stellt dieser 
Körper eine klare farblose Flüssigkeit dar, die schwerer als 
Wasser ist und bei 207° siedet. Nach unsrer Analyse ent- 
hält er: 

G; H, 0, = G, (C; H,) 0, 

Mit Ammoniak behandelt, liefert das Acryloxalat Oxamid 
und den Alkohol, welcher der Gegenstand unsrer Bemühungen 
war. Der Acrylalkohol ist eine durchsichtige farblose Flüssig- 
keit von eigenthümlichem stechenden Geruch, der seinem Na- 
men Ehre macht. Dieser Geruch erinnert einigermalsen an 
Senföl und gehört in höherem oder niederem Grade fast sämmt- 
lichen Gliedern der Acıylreihe an. 

Die Analyse des Acrylalkohols führte zur Formel: 

C,H, 0, =4 Vol. Dampf. 

Die neue Verbindung ist dem Aceton und dem Propyl- 
aldehyd isomer; unterscheidet sich aber in ihren Eigenschaften 
vollkommen von diesen beiden Substanzen. Der Acrylalkohol 
brennt mit einer Flamme, welche stärker leuchtet, als die des 
gewöhnlichen Alkohols. Er mischt sich in allen Verhälsnifsen 
mit Wasser. Mit Kalium oder Natrium behandelt, entwickelt 
er Wasserstoff und verwandelt sich in eine durchsichtige gall- 
artige Masse, welche dem Kaliumalkohol entspricht. 

Diese Kaliumverbindung wird von dem Acryljodid mit Hef- 
tigkeit angegriffen; es bildet sich ein Niederschlag von Jod- 
kalium, während auf Zusatz von Wasser eine leichte Flüssig- 


82 Gesammisitzung 


keit auf die Oberfläche steigt, welche dem gewöhnlichen Aether 

entspricht; ihre Bildung wird durch die Gleichung } 
G;(H,K)0,+C,H, J=KJ+C,:H,0 0; 

veranschaulicht. ' 

Läfst man auf den neuen Kaliumalkohol Aethyljodid, oder 
auf den Aethylkaliumalkohol Acryljodid, einwirken, so erzeugt 
sich eine aromatische Verbindung, welche offenbar ein Aether- 
mischling der Aethyl- und Acrylreihe ist. 

Wird der Acrylalkohol mit Ghlor- Brom- oder Jodphosphor 
destillirt, so erhält man Acrylchlorid, Acrylbromid oder Acryl- 
jodid mit grolser Leichtigkeit. 

Der Acrylalkohol löst sich ohne Schwärzung in concen- 
trirter Schwefelsäure. Die Flüssigkeit, mit Wasser vermischt 
und mit kohlensaurem Baryt neutralisirt, liefert ein krystal- 
lisirtes Salz: 

C,H,BaS, O0, =BaSO,,(C, H,)SO, 

Es ist diels das Sulphovinat der Reihe. 

Wird der Acrylalkohol andrerseits mit concentrirter Schwe- 
felsäure erhitzt, so tritt eine höchst lebhafte Reaction ein, in- 
dem sich die Flüssigkeit unter Entwicklung von schwelfliger 
Säure vollständig verkohlt. 

Wasserfreie Phosphorsäure wirkt auf den Alkohol mit ge- 
ringerer Heftigkeit; es entwickelt sich ein farbloses Gas, wel- 
ches mit stark leuchtender Flamme verbrennt. Die Analyse 


dieses Gases ist noch zu machen. 

Acrylalkohol wird von allen Oxydationsmitteln aufs leb- 
hafteste angegriffen. Eine Mischung von Schwefelsäure und 
Kaliumbichromat reagirt mit furchtbarer Heftigkeit; die Pro- 
ducte der Reaction sind: Acrolein und Acrylsäure. Dieselbe 
Umbildung wird durch Platinschwamm vermittelt. 

Auf Zusatz von Schwefelkohlenstoff zu einer Lösung von 
Kali in Acrylalkohol erstarrt die Flüssigkeit alsbald zu einer 
prachtvollen Masse gelber verfilzter Nadeln, welche dem xan- 
thogensauren Kali entsprechen. 

Mit Hülfe des Alkohols selbst, seiner Schwefelweinsäure 
oder seines Jodids lassen sich sämmtliche Glieder der Acryl- 
säure mit grolser Leichtigkeit erhalten. 


vom 14. Februar 1856. 83 


Wir wollen noch folgende Verbindungen anführen, welche 
wir bereits dargestellt oder mehr oder weniger vollständig 
studirt haben. 

Das Acryloxamethan oder Acryloxamat bildet sich leicht, 
wenn man alkoholische Ammoniaklösung zu Acrylalkohol setzt, 
bis sich ein permanenter Niederschlag erzeugt. Aus der fil- 
trirten Lösung schiefsen bei freiwilliger Verdampfung präch- 
tige Krystalle des Oxaminsäure-Aethers an. 

Das Acrylcarbonat ist eine aromatische Flüssigkeit, leich- 
ter als Wasser. Es bildet sich, wie die kohlensauren Aether 
im Allgemeinen, durch Einwirkung des Natriums auf das Oxalat. 
Beim Kochen einer alkoholischen Lösung dieser Verbindung 
mit Baryt schlägt sich Barytcarbonat nieder, während der Al- 
kohol regenerirt wird. 

Das Acryl-Benzoat wird leicht durch die Einwirkung von 
Benzoylchlorid auf Acryl-Alkohol erhalten. Diese Flüssigkeit, 
welche schwerer ist als Wasser, siedet bei 220° und besitzt 
einen Geruch, der an den des benzo&äsauren Aethers erinnert. 
Das Acryl-Benzoat enthält nach unsrer Analyse 

C.H,.0,=C,, [H; (C; H,)] 0, 

Derselbe Körper erzeugt sich auch durch Wechselwirkung 
von Acryljodid und Silberbenzoat. 

Das essigsaure Acryl durch Einwirkung von Acryljodid 
auf Silberacetat erhalten ist eine Flüssigkeit leichter als Was- 
ser; es besitzt einen dem des essigsauren Aethers ähnlichen 
Geruch. Es siedet bei 100° und enthält: 

C,H 0,=C, (H; C,H,)0O, 

Silbercyanat wird vom Jodacryl mit aufserordentlicher Hef- 
tigkeit angegriffen. Die während der Reaction freiwerdende 
Wärme ist hinreichend, die neue Verbindung vollständig über- 
zutreiben. Das Acrylcyanat siedet bei 82°; es besitzt einen 
unglaublich stechenden Geruch; sein Dampf reizt unwider- 
stehlich zu Thränen. Es enthält: 

6;H,;, NO,=G, C,H,, NO; 

Gelinde mit Ammoniak erwärmt, löst sich dieser Körper 
und liefert beim Abdampfen der Flüssigkeit schöne Krystall- 
nadeln von Acrylharnstoff. 

G; H;,N,0,=(G, (H;, C, H,)N,;,0; 


84 Gesammitsitzung 


welcher dem Thiosinnamin, der langbekannten geschwefelten 
Harnstoffverbindung entspricht. { 
GH NS,;,=C, (H,,C,H;,)N, S 

Anilin liefert mit Acryleyanat eine Verbindung, welche 
ebenfalls sehr schön krystallisirt. 


Bei der Behandlung mit Wasser erstarrt das Acrylcyänat 
langsam zu einer festen krystallinischen Masse, welche die Zu- 
sammensetzung und die Eigenschaften des Sinapolins oder des 
Diacrylharnstoffs besitzt. Dieser Körper enthält 

C,.H.N,0,;,=6G, [H;, (C, H,).] N; 0, 
und seine Bildung wird durch folgende Gleichung veran-| 
schaulicht. j 

2C,;,H,NO,+2H0O=C,,H,;N; 0,-+2C0O, 

mn m u? 


Acrylcyanat Sinapolin. 

Das Acrylcyanat wird von einer concentrirten Kalilösung‘ 
heftig angegriffen; es bildet sich eine feste Materie, welche 
auf die Oberfläche der Flüssigkeit steigt und nichts anders ai 
dasselbe Sinapolin ist; gleichzeitig geht eine alkoholische Flüs- 
sigkeit in die Vorlage über, welche ein Gemenge von ver- 
schiedenen flüchtigen Basen ist, aus dem wir bis jetzt Methylamin, 
Propylamin, und Acrylamin abgeschieden haben. Letzteres sie- 
det zwischen 180 und 190°; alle Versuche ein leidlich erystal- 


Be 


lisirtes Platinsalz zu erhalten, sind bis jetzt gescheitert. 

Die in den vorliegenden Zeilen flüchtig skizzirten Ver- 
suche weisen unzweideutig auf eine neue Reihe von Alkoholen! 
hin, deren 3! Glied der Acrylalkobol ist. 

Wie der gewöhnliche Alkohol liefert der neue Alkohol 
eine Unzahl von Abkömmlingen, welche in jeder Beziehung; 
der Aethylderivation entsprechen. 

In der folgenden Tabelle haben wir die Glieder der Acryl- 
reihe, soweit sie bekannt sind, mit den entsprechenden Aethyl- 
verbindungen zusammengestellt: 


Acrylreihe: Aethylreihe: 
C, H, OÖ, Alkohol 1078 H, O, 
Be C,H, 0 oder 

Aether } 
C,.H,002 C;H,,0; 


C,H, Cl Chlorid C,H, Cl 


vom 14. Februar 1856. 85 


Acrylreihe: Aethylreihe: 
+ H; Br Bromid C,H, Br 
H,S oder { C,H,S oder 
Es Sulphid le 
uji8.} i C,H,08; 
C,(K,C,H,)S, 0, Xanthogensaures 
Kali GC, (K,C,H,)S; O, 


©, (C,H,)NS, Sulphocyanid Gel BR) NS, 
C,(C,H,)NO, Oxyceyanid od. Cyanat C, (C,H,) NO, 
C,(H,,C,H,)N, S,; Geschwefelter 
Acryl-Harnstoff ? 
C,(H; C;,H,)N,; O, Acryl-Harnstoff, 
Aethyl-Harnstoff, Thiosinnamin C, (H,,C,H,)N, © 
C,[B; (C, H,),] N; O, Diacryl-Haro- 
stoff, Diäthyl-Harnstoff, Sinapolin C,[H,(C,H,),]N,O, 


C,;,(C, H,)O, oder C,;,(C,H,)O, oder 
2.(C,H,).0, } res BEHCHE SO" } 
GH,.(C,H,)O, Oxamat GB. WC, 9,0: 
G,H,(C,H;,)O, Acetat C,H; (C,H,)O, 
C,,„H,(C,H,)0O, Benzoat C,,H,(C,H,)O, 


C,H,SO,,HSO, Schwefelweinsäure C, H, SO,, HSO, 
(C;H,)H, N Acrylamin, Aethylamin (C, H,)H, N 
C,H,O, Acrylaldehyd, Aethylaldehyd 
Acrolein (C,H,) O, 
=.H,0, Acrylsäure, Essigsäure C,H,O, 
C,H, _Kohlenwasserstoff, Propylen, 

Aceton C,H, 

Der Acrylalkohol, dessen Geschichte wir oben zu geben 
versucht und dessen Studium uns noch weiter beschäftigt, ist, 
wie gesagt, das dritte Glied einer Alkoholreihe, welche der 
Reihe der gewöhnlichen Alkohole von derFormel Cn,Hn,+,0, 
nd deren Prototype der Weinalkohol ist, parallel läuft. ‘Die 
aus dem Alkohol entstehende Säure, die Acrylsäure, gehört 

eichfalls einer homologen Säurenreihe an, welche zu der 
Reihe fetter Säuren in derselben Beziehung stehen, wie die 
uen zu den alten Alkoholen. Bereits sind mehrere Glieder 
ser Reihe bekannt. Das Acryleyanid, welches man durch 
nwirkung von Acryljodid auf Cyansilber erhält, das wir uns 
indessen noch nicht in einem für die Analyse geeigneten Zu- 


86 Gesammtsitzung vom 14. Februar 1856. 


stande haben verschaffen können, muls offenbar unter dem Ein- 
flufs der Alkalien eine der Acrylsäure homologe Säure liefern, 
ebenso wie das Propylcyanid in Butylsäure übergeht. 

Wir schliefsen diese Notiz mit einer Tabelle beider ho- 
mologen Gruppen. 


Gruppe der Alkohole: Gruppe der Säuren: N 
mn /\__  jsmnmmamm | i 
C,H,0, €C,H,O, Methyl- C,O, Koblens.C, H, a 

alkohol sensäure 
C,H,0, C,H,O, Aethyl- C,A,0, C,H, O, Essigsäure ? 
alkohol 
C,H, O;AcrylalkoholC,H;0, C,H, O, Acryls. C,H; O ‚Pro 
Propylalkohol pionsäurä 

C;,H;,0,; C, H,o O0, Butyl- C,H, O, C,H, O, Butyl-’ 
alkohol säure 

C,oH,o0z C,oH,z0:Amyl- C,.H;,0, C,.H,.0,Valer- 
alkohol sure 

C,.H,20; C,.H,,0; Cu- C,.zH,.0, C,.H,.0, Ca-' 
proylalkohol pronsäure 

C,,H,.0,;, C,,H,s0; C,,‚H,.0, C,,H,,0, Oe- 
nanthylsäure 

C,.H,;03 C,sH,50.Capryl- C,,H,,0, C,,H,,s0, Ca 
alkohol prylsäure 

C;;H;35 0; C36H55 OÖ; C,;H;, O, Oels. C,; Hz; 04 
Stearinsäure. 


Diese Tabelle zeigt noch viele Lücken, die der Fortschritt 
der Wissenschaft nicht fehlen wird auszufüllen. Wir haben 
uns durch den Versuch überzeugt, dafs das Amylenbromid un- 
ter dem Einfluls der Reagentien mehrere Umbildungen er ı 
leidet, welche denen der Acrylreihe analog sind. Selbst die, 
Abkömmlinge des ölbildenden Gases scheinen unter gewilsen! 


Umständen ähnliche Resultate zu liefern. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 
Boncompagni, Delle versioni fatle da Platone Tiburtino. Boma 1851. 4, 
‚ Della vita e delle opere di Gherardo Cremonese. Roma 

1851. 4. "Mir Begleitschreiben des apostolischen Nuntius, Me 
Antonio de Luca, München, 13. Jan. 1856. 


Sitzung der philos.-histor. Klasse vom 18. Februar 1856. 87 


Comptes rendus de !’Academie des sciences. Tome 41, no. 26. 27. Tome 
42, no. 1—3. Paris 1856. 4. 

Pendola, Sulla educazione dei sordo-muti in Italia. Siena 1855, 8. 

The quarterly Journal of the Geological Society. Vol. XI. Part 4, 
London 1855. 8. 

Berichte der Gesellschaft für Beförderung der Naturwissenschaften in Frei- 
burg im Breisgau. Heft 1. Freiburg 1855. 8. Mit Begleitschrei- 
ben des Hrn. Braun vom 9. Februar 1856, 

Göttinger Nachrichten, no. 1. Göttingen 1356. 8. 

Athenaeum frangais. 5m annee, no. 6. Paris 1856. 4. 

Karl Hoffmann, Zine Ercursion nach dem Volcan de Cartago in Cen- 
tral-Amerika. London 1856. 4. Überreicht durch Hrn. Klotzsch. 


Auf den Vorschlag der philosophisch-historischen Klasse 
der Akademie wurden die Herren Villerm& in Paris, Casp. 
Zeuls in Bamberg und John O’Donovan in Dublin zu cor- 
| respondirenden Mitgliedern der Akademie für die genannte 
Klasse gewählt. 

Zum Vortrag kam ein Schreiben der Acad&mie des Sciences 
zu Paris vom 11. Januar d. J. über den Empfang unserer Ab- 
handlungen vom Jahre 1854 und der Tafeln der Flora. 


18. Febr. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Trendelenburg las über Herbarts Metaphysik 
und neueAuffassungen derselben. Zweiter Artikel. Eine 
Entgegnung. 

Wenn die philosophischen Disciplinen gleich Gliedern in 
der Metaphysik ihr Haupt haben, oder wenn nach einem andern 
Bilde in der Metaphysik die Principien ihre die Disciplinen 
nährenden und befestigenden Wurzeln treiben: so ist der 
Streit um die Metaphysik eines Systems ein Streit um seinen 
Bestand. Ohne eine Metaphysik giebt es philosophische Apho- 
 rismen oder einzelne Ansätze zum Philosophiren, aber kein 
System; jene bleiben ohne sie zerstreut, diese blind. In solchem 
Zusammenhang richtete Aristoteles sein scharfes Urtheil gegen 
Plato’s Ideenlehre und Kant begann seine Reform mit der Frage, 
"wie Metaphysik möglich sei, und mit Hegels widerlegter Dia- 

[1856.] 2 


88 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


lektik, welche auf logischem Wege die Metaphysik erzeugen 
will, löst sich der Bann seiner Lehre. In diesem Sinn ist die 
über Herbarts Metaphysik eröffnete Frage für die Richtungen 
unserer heutigen deutschen Philosophie von Bedeutung, welche, 
im Gegensatz gegen die constructiven oder dialektischen Sy- 
steme Schellings oder Hegels, den strengern Schritten Herbarts 
folgen. Dabei wächst die metaphysische Untersuchung an Inter- 
esse, inwiefern sie allgemeinere Fragen in sich schlielst, welche 
weiter greifen, als die individuelle Fassung des einzelnen Systems. 4 

In Herbarts Metaphysik ist der Widerspruch, welcher sich R\ 
in den Begriffen der Erfahrung findet, und die Aufgabe, ihn 
wegzuschaffen, der Antrieb aller Gedanken. Indem sich das j 
Gegebene selbst verbürgt, leidet es zugleich an Widersprüchen, 
welche es undenkbar machen. Das Gegebene der Erfahrung 
mus angenommen und kann doch nicht gedacht werden. „Es ist 
schon in der Einleitung der Philosophie”, wie Herbart bemerkt 
(Metaphysik $. 173), „die allernothwendigste Vorübung des 
Anfängers, die Widersprüche zu erkennen, welche beim Re- 
flectiren auf die Formen der Erfahrung gefunden werden”. So 
ist z. B. nach Herbart der Begriff des Grundes ein Wider- ‚ 
spruch. Denn die Folge liegt im Grunde und geht doch aus 
dem Grunde hervor. Die Folge darf von dem Grunde nicht 
abspringen und soll sich doch als ein Neues absetzen. Die 
Materie des Grundes soll sich in die neue Materie der Folge 
verwandeln. Die Folge ist also mit dem Grunde identisch; 
denn sie ist in ihm enthalten; und ebenso nicht identisch; 
denn sie löst sich von ihm ab. Inwiefern die Folge mit dem 
Grunde identisch und zugleich nicht identisch ist, ist der Be- 
griff des Grundes und der Folge ein Widerspruch. (Meta- 
physik $. 183). „Die Schärfe dieser Behauptung abstumpfen”, 
sagt Herbart, „‚heilst dem Grunde seine Kraft benehmen”. Der 
Widerspruch, der eben an dem Begriff des Grundes und der 
Folge deutlich wurde, thut sich ebenso in der Veränderung 
oder in der Bewegung, welche die anschaulichste Form der 
Veränderung ist, in dem Ding mit mehreren Merkmalen, in dem 
Begriff des Ichs kund, wie Herbart öfter ausführt, und auch 
dadurch bestätigt, dals diese Begriffe mit dem richtigen Be- 
griffe des Seins, welchen er entwirft, in Widerstreit stehen. 


vom 18. Februar 1856. 89 


„Die gegebenen Widersprüche”, sagt er, „stellen uns Ob- 
jecte der Erkenntnils dar, deren Realität die allergrölste Zahl 
der Menschen nie bezweifelt, während ein dunkles Gefühl der 
Undenkbarkeit die Philosophen aller Zeiten stets mehr oder 
weniger warnte, dem Schein zu folgen”. Daher sind jene 
‚Begriffe der Erfahrang Gegenstand der Bearbeitung für die 
Metaphysik, um den Widerspruch, den sie in sich tragen, auf- 
zudecken und wegzuschaffen. Der Widerspruch stachelt und 
treibt den metaphysischen Gedanken, ‚weil man das Gegebene 
nicht wegwerfen kann’ ($. 184) und weil ein solcher undenk- 
barer Widerspruch allenthalben da ist, so soll die Metaphysik 
‚die Erfahrung begreiflich machen. 

Im Gegensatz gegen diese Auffassung suchte der frühere 
Vortrag ') darzuthun. 1. Die von Herbart in den allgemeinen 
Erfahrungsbegriffen bezeichneten Widersprüche sind keine Wi- 
dersprüche. 2. Wären sie wirklich Widersprüche, so wären 
sie in seiner Metaphysik nicht gelöst. 3. Wären sie Wider- 
sprüche und wären sie gelöst, so blieben andere und grössere 
ungelöst. 

In dem Nachweis dieser Sätze wurde sowohl die Aufgabe 
als die Lösung der herbartischen Metaphysik, sowohl die Grund- 
lage als auch der Anspruch bestritten, als ob sie die Grund- 
begriffe der Erfahrung vollständig umfasse. 

Gegen diesen Nachweis sind inzwischen zwei Gegen- 
schriften erschienen. Professor Mor. Wilh. Drobisch in 
Leipzig schrieb in der Zeitschrift für Philosophie und philo- 
sophische Kritik (XXV. 2. 1854 u. XXVI. 1. 1855) „syn- 
echologische Untersuchungen”, indem er in diesen Aufsätzen 
theils die Betrachtungen Herbarts vertheidigte oder berichtigte 
und ergänzte, theils die entgegenstehenden Auffassungen der 
„logischen Untersuchungen” und des oben bezeichneten Vor- 
trags bestritt. In derselben Zeitschrift (XXVII. 1. XXVII. 2. 
1855) gab Prof. Strümpell in Dorpat zwei Artikel, über- 
schrieben: ‚einige Worte über Herbarts Metaphysik in Rück- 


1) Monatsberichte. Nov. 1853 S. 654 ff. Wieder abgedruckt in dem 
2. Bande der „historischen Beiträge zur Philosophie”. Berlin 1855.8.313 ff. 
7 © 


90 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sicht auf die Beurtheilung derselben durch Herrn Professor 


Trendelenburg”. 


Beide Verfasser haben die Vertheidigung Herbarts durch 


einzelne Angriffe auf die in den „logischen Untersuchungen” 
begründete Anschauungsweise unterstützt. Wir lassen diese 
Angriffe an diesem Orte gewähren, und beschränken uns, wie 
früher, auf eine objective Kritik Herbarts, überzeugt, dafs das 


Bedürfnils aller Wissenschaften nach Metaphysik, wenn es von 


Herbart unbefriedigt scheiden muls, von selbst entgegengesetzte 
Versuche unbefangener ins Auge fassen wird. 

Um uns mit der Widerlegung unserer Einwürfe ausein- 
ander zu setzen, nehmen wir den alten Faden wieder auf und 
halten uns an der einfachen Gliederung der obigen drei Sätze. 

Dafs die Formen der Erfahrung von den Wider- 
sprüchen frei sind, welche Herbart darin behauptet, wurde 
auf doppeltem Wege dargethan, theils inwiefern Herbart die 
Widersprüche nur nach einem falschen Grundbegriff, dem von 
ihm aufgestellten Begriff des Seins, herausbringt, theils inwie- 
fern er mit der Mehrzahl der Philosophen das Princip der 
Identität und des Widerspruchs falsch anwendet. Der erste 
Nachweis richtete sich gegen Herbart eigenthümlich, der zweite 
hatte zugleich eine weitere Bedeutung. Es ergab sich auf die- 
sem Wege, dafs nicht die Begriffe der Erfahrung sich in sich 
widersprechen, sondern vielmehr theils die erdachte Norm, 
welche Herbart an sie anlegt, theils die von Herbart gemachte 
Anwendung eines an sich zwar richtigen, aber dem Inhalt der 
Grundbegriffe fremden Princips. Der Widerspruch fällt hier- 
nach in Herbarts inadaequate Betrachtungsweise der Erfahrungs- 
begriffe, aber nicht in die Begriffe selbst; jene ist schuld und 
diese sind es nicht. 

Herbart meint die in den Begriffen der Erfahrung unver- 
meidlichen Widersprüche und seine Dialektik sucht diese 
aus ihrer Verborgenheit hervorzuziehen. Daher genügt es 
nicht, wenn Herbarts Vertreter auf Widersprüche verweisen, 
welche nicht mehr bedeuten, als Schwierigkeiten überhaupt. 
Es stehen nämlich bei allen Schwierigkeiten, welche wir fin- 
den, die Mittel unsers beschränkten Denkens mit dem Gegen- 
stand, der gedacht werden soll, in Widerspruch. Aber von 


vom 18. Februar 1856. 91 


\ einem solchen in dieser oder jener Auffassung liegenden Wider- 
spruch, von einem solchen subjectiven Widerspruch handelt 
Herbart nicht, sondern es geht sein Gedankengang dahin, dafs 
‚die Erfahrungsbegriffe an und für sich an einem innern Wider- 
spruch leiden, welchen nicht die Erfahrung als solche, son- 
dern nur die metaphysische Speculation wegschaffen kann. Die 
eigenthümlichen Betrachtungen Herbarts haben darin ihren 


| Wenn nun Strümpell (XXVII. 1. S. 6 ff.) anführt, dafs 
die heutige Physik, Chemie und Physiologie aus sich selbst die 
widersprechenden Vorstellungsarten corrigirt, dals der ‚„‚wissen- 
schaftliche Empirismus” sich längst „auf einfacherem Wege” 
von Wahrheiten überzeugt habe, welche Herbart als ein wich- 
tiges Resultat seiner methodischen Behandlung ankündigte (S.11), 
wenn Herbart nur von den „logischen durch Fichte einge- 
führten Formalitäten” verleitet sein soll, in dem Begriff des 
Ich Widersprüche und darum ein metaphysisches Problem zu 
sehen (S. 12), wenn es einer Aufdeckung derselben gar nicht 
"bedarf (S. 15), wenn in dem was doch Herbart mühsam ge- 
funden und klar dargestellt hat, auf einen weitläuftigen Auf- 
"wand formell dialektischer Wendungen (S. 11) und auf „Fes- 
seln der Schulsprache” (S. 12) hingedeutct wird, wenn in 
selben Sinne die Methode der Beziehungen, welche Her- 
'bart für die Aufgaben seiner Metaphysik erfand und welche 
Drobisch sogar in seine Logik aufnahm (2. Aufl. 1851 $. 138), 


\ 


geschränkt und fast auf Null gebracht wird, indem der Begriff 
eine Anknüpfungsstelle ist und „‚der Verlauf und Entwick- 
lungsgang des wirklichen Geschehens ganz unabhängig von 
demselben fortgeht und aus sich allein erkannt und begriffen 
erden kann” (S. 31): so ist dieser Abfall von Herbarts Me- 
physik zuverlässig nicht gegen uns gerichtet. Die Erfahrung, 
che sich aus sich gebessert hat, wird nun des Apparates zu 
4 Correctiv, der Metaphysik Herbarts, gern entbehren. Es 
ist daher in Strümpells, nicht in Herbarts Sinne folgerichtig 
XXVII. 2. S. 182), an eine Rettung der herbartischen Meta- 
hysik zu denken, wenn es in den Erfahrungsbegriffen auch 


92 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


keine Widersprüche gäbe. „Die Aufgabe, welche Herbart der 
Metaphysik stellt, würde, meint er, dieselbe bleiben, auch wenn 
in keinem einzigen der hergebrachten empirischen Begriffe ein 
Widerspruch nachzuweisen wäre”, falls, was sich zeigen lasse, 
die meisten solcher Begriffe ‚eben nichts erklären und nichts 
begreiflich machen”. Wir sehen davon ab, dafs Herbart nicht 
von hergebrachten, sondern schlecht und recht von Er- 
fahrungsbegriffen redet; wir sehen davon ab, dafs es sich nicht 
um erklärende Begriffe im Sinn der Naturwissenschaften, son- 
dern um das logische Wesen ihrer allgemeinen Formen han- 
del. Wir überlassen es der Schule Herbarts zu beurtheilen, 
wie viel von Herbarts Metaphysik stehen bleibt, wenn der ganze 
Zweck, um dessen willen die Metaphysik da ist, nämlich die 
Wesgschaffung der Widersprüche, wegfällt. In Herbart geht 
alles von diesem Punkte aus und zu diesem Punkte hin. Strüm- 
pells Zugeständnils macht einen Streit um Herbarts Meta- 
physik unnöthig. Wenn die Erfahrung ihre Begriffe aus sich 
berichtigt, und wenn es der Erfahrung nicht nothwendig ist, 
sich in Widersprüche zu verwickeln, — was streiten wir uns 
denn um die Widersprüche, um deren willen Herbart eine 
Wissenschaft gründet und um diese Wissenschaft selbst? 

Gegen einen solchen Vertheidiger bedarf es nicht mehr 
des Nachweises, dals der Begriff des Seienden, der von Her- 
bart zum Malsstab des Widerspruchs genommen ist, unrichtig 
oder die Anwendung des Princips der Identität ungehörig sei. 

Während hiernach Strümpell die Basis der Metaphysik, 
welche er verfechten will, im Stich läfst, steht Drobisch 
für sie ein. In demselben Sinne, wie wir Herbart auffalsten, 
behauptet er, dafs die Erfahrungsbegriffe widersprechend seien, 
weil sie theils mit dem Sein als absoluter Position in Confliet 
gerathen, theils durch ihre innere Natur das Princip der Iden- 
tität verletzen. 

In erster Beziehung verweist Drobisch auf eine frühere 
Erörterung (Zeitschrift XIV. S. 90). Aber wir finden dort 
nichts, was unserer Nachweisung entgegenträte. Denn diese 
ging dahin '), dals aus der absoluten Position, welche nach 


*) Monatsberichte. 1853. S. 661 ff. Historische Beiträge zur Philo- 
sophie $. 321 ff. 


vom 18. Februar 1856. 93 


Herbart das Sein ist, aus der Anerkennung des nicht Aufzu- 
hebenden, nichts über die Beschaffenheit des Seienden, und 
überhaupt aus der formalen Bestimmung der Nothwendigkeit 
nichts über das Reale folge. Wenn Herbart aus der absoluten 
Setzung ableitet, dafs dieser Begriff von dem Seienden Nega- 
tion und Relation und darum Gröfsenbestimmungen ausschlielse 
und für dasselbe Einfachheit fordere: so wird umgekehrt von 
uns behauptet, dals zwischen der Erklärung des Seins als ab- 
soluter Position und der daraus gezogenen Folge eines be- 
ziehungslosen und nur durch Bejahung bestimmten, eines der 
Gröfse entzogenen und nur einfachen Seins gar kein Zu- 
sammenhang bestehe. 

Sehen wir zunächst auf die Auffassung der Vertheidiger. 
Strümpell hat für die Absolutheit der Setzung den Ursprung 
ihrer Erkenntnifs, ‚‚die Anerkennung des nicht Aufzuhebenden”, 
die Verneinung der Verneinung, verlassen, „„obwol Herbart sich 
dieser logischen Fassung bediene, um den Begriff selbst her- 
vorspringen zu lassen”, und liest auf seine Weise aus dem 
Zusammenhang eine richtigere Ableitung, als Herbart giebt, 
heraus (XXVII. 1. S. 19). Die absolute Setzung sei nicht 
gleich der Verneinung des contradictorischen Gegentheils, son- 
dern die Marke dafür, dals man „‚die objectiven Naturen der Qua- 
litäten” beachte (also sogar im Pluralis, um das Einfache und 
Gröfsenlose herauszubringen?); es sei „‚die absolute Setzung 
eines Solchen, welches eben durch seine Beschaffenheit uns 
nöthige, es absolut zu setzen”. Drobisch hinwieder behauptet 
das Gegentheil (Zeitschrift XIV. S. 90): diese Nöthigung sei 
keine solche Nothwendigkeit des Denkens, die von der Be- 
‚schaffenheit des Gedachten ausgehe. Der Widerspruch- zwi- 
‚schen Herbarts Vertretern bricht auch an diesem Punkt zu Tage. 

Nachdem Drobisch an der von ihm angezogenen Stelle, 
‚an welcher er eine genügende Erklärung will gegeben haben, 
die absolute Position von dem blos willkührlichen Denken des 
Seienden unterschieden hat, fährt er fort: „„Dafs nun das ab- 
‚solut zu Setzende, die Qualität des Seienden nur einfach, affır- 
mativ und quantitätslos zu denken ist, folgt aus dem Begriff 
der absoluten d. h. schlechthin beziehungslosen Position leicht 
und in aller Strenge”. Wir sehen indessen unsers Theils we- 


94 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


der die Leichtigkeit noch die Strenge der Folgerung ein. Denn 
die absolute Position d. h. die für uns unbedingte und nur in- 
sofern beziehungslose Position ist nicht Setzung eines Bezie- 
hungslosen, eines solchen, welches, um gar keine Beziehungen 
in sich zu haben, Verneinungen und Grölse ausschliefsen soll. 
Von welcher Art das sei, was nicht aufgehoben werden kann, 
das lälst sich aus dem nackten Begriff: es kann nicht aufge- 
hoben werden, keineswegs erschlielsen. 

Gehen wir nun auf Herbart zurück. In der Metaphysik (II. 
$. 205.) sagt er: „Auf den ersten Blick führt der Begriff des 
Seins leicht zu der Meinung, als ob er gar nichts über die 
Qualität bestimme’”’ — was unsere Meinung auch auf den zwei- 
ten und dritten Blick bleibt, wenn der Begriff des Seins, wie 
bei Herbart, nicht anderswoher stammt, als aus dem abstracten 
Begriff der Nothwendigkeit, aus der Unmöglichkeit aufzuheben. 
Herbart fährt indessen fort. „Unmittelbar klar ist zuvörderst, 
dafs, wenn wir die absolute Position festhalten wollen, wir 
uns vor ibren Gegentheilen, den Negationen und Rela- 
tionen, hüten müsseu. Dafs nun diese auf dem Boden der 
Erfahrung überall, gleich Fulsangeln, versteckt liegen, weils 
jeder, dem die Analyse der gemeinen Erfahrungsbegriffe einiger- 
malsen geläufig ist”. Herbart zeigt dann weiter ($. 207.), dafs 
in dem Sein als einem Mehrfachen das Eine ohne das Andere 
ungenügend und das Eine von dem Andern abhängig sein 
würde und daher, um den Fehler der Negation und Relation 
zu vermeiden, die Qualität des Seienden als schlechthin ein- 
fach gesetzt werden müsse. In dieser Stelle ist die ganze 
Schlufskette mit ihrem Gewicht an dem Einen festen Punkt 
der absoluten Position befestigt; aber dieser Punkt weicht und 
was daran gehängt ist, reilst ab. Denn man bemerkt leicht, 
dals der Begriff der absoluten Position nur durch eine Am- 
phibolie so grolse Dinge trägt. Absolute Position heilst nach 
der Ableitung: wir müssen setzen; das contradictorische Ge- 
gentheil ist aufzuheben. Nach dem, was daraus hergeholt wird, 
bedeutet indessen die absolute Position nicht diese Nöthigung, 
das Bejahte nicht zu verneinen, sondern vielmehr die Position 
eines in sich selbst Bejahten; die absolute Position bedeutet 
nicht mehr die Position ‚ohne den Vorbehalt einer Zurück- 


vom 18. Februar 1856. 95 


nahme” und insofern das Gegentheil einer relativen, sondern 
sie bedeutet die Position eines in sich selbst Beziehungslosen 
und darum Einfachen. So erhellt es von Neuem, dafs bei 
Herbart der Begriff der absoluten Position, deutlich in seinem 
Ursprung, aber zweideutig in allem Gefolgerten, mehr will, 
als er kann. Ein schielender Begriff ist nicht geeignet der 
Metaphysik den geraden Weg zu zeigen. 

Schon mehr als einmal hat der abstracte Begriff der Noth- 
wendigkeit den speculativen Gedanken in die Irre geführt. 
Spinoza legte den Begriff des Nothwendigen seiner Betrachtung 
zum Grunde und leitet aus Gott als dem nothwendigen Wesen 
(euius natura implicat contradictionem ut non existat) in wei- 
term Zusammenhang ab, dals er alles Sein sei und aulser ihm 
kein Sein'). Herbart hingegen folgert aus demselben Begriff, 
dem Nothwendigen, das gesetzt werden muls, die absolute Po- 
sition, die Position des verneinungslosen, beziehungslosen, 
grölselosen, einfachen Seins. Diese Zusammenstellung mag 
warnen; denn was entfernt sich sonst mehr von einander als 
Spinoza und Herbart? Schon gegen Spinoza muls es geltend 
gemacht werden, dafs aus dem formalen Begriff des Noth- 
wendigen weder das reale Prädicat alles Seins noch des voll- 
kommensten Wesens folge. 

Wenn Drobisch als consequenter Vertreter der formalen 
Logik auf den formalen Begriff der Nothwendigkeit als den 
letzten besteht (S. 184), so darf er aus demselben um so we- 
niger die reale Erkenntnils ziehen, dals das Seiende einfach sei 
und weder Verneinungen noch Grölse kenne. 

Es ist die Streitfrage über den Begriff der Nothwendigkeit 
von einer solchen Bedeutung, dals sie über den Bestand -oder 
den Fall jedes einzelnen Systems weit hinausgeht. Denn die 
Nothwendigkeit steht im Mittelpunkt aller Logik und Meta- 
physik. Die Nothwendigkeit ist das Ziel alles Erkennens und 
die Wissenschaft wird in demselben Maflse aus Kenntnissen 
Wissenschaft, als sie Nothwendigkeit in sich trägt. Wenn 
man die Logik als Theorie der Wissenschaft und daher im Zu- 


*) Historische Beiträge zur Philosophie. 1855. IL S.49f£. Vgl. 
Spinoza epist. 39. 40. 41. 


96 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sammenhang mit den zur Nothwendigkeit erhobenen Wissen- 
schaften auffalst, so kann man die Grundfrage der Logik so stel- 
len: wie bringt das Denken Nothwendigkeit hervor? Es fragt 
sich, ob zur Beantwortung derselben der formale Begriff der | 
Nothwendigkeit, der Unmöglichkeit des contradictorischen Ge- 
gentheils, genüge. 

Drobisch behauptet es (S. 185), aber die Sache selbst 
widerspricht. Allerdings giebt es keine doppelte Nothwendig- 
keit, eine formale und eine reale. Vielmehr geht die formale 
in letzter Quelle in die reale zurück, wie überhaupt das Lo- 
gische seine Wurzeln in das Metaphysische hineintreibt. 

Wenn die Nothwendigkeit lediglich als Unmöglichheit des 
contradictorischen Gegentheils erklärt wird, so zeigt sich leicht, 
dafs diese Erklärung, wenn sie ausgeführt werden soll, schon 
ein Nothwendiges voraussetzt, aus welchem die Unmöglichkeit 
erhelle; denn Unmöglichkeit ist Nothwendigkeit einer Ver- 
neinung und nicht die blofse Verneinung eines Möglichen. 
Soll A im Sinne der Definition nothwendig sein, so mufs 
Nicht-A unmöglich sein d. h. verneint werden. Was hätte 
die Kraft und das Recht es zu verneinen, es sei denn, dals es 
selbst nothwendig wäre? WVenn noch kein Nothwendiges ge- 
geben ist oder vorausgesetzt wird, so ist mit dem Nothwen- 
digen als der Unmöglichkeit des Gegentheils nichts anzufangen. 
Die indirecten Beweise des Euklides, welche die Unmöglichkeit 
eines Gegentheils darstellen, bringen den Einspruch zur An- 
schauung, welchen Grundsätze oder bewiesene Sätze, also eine 
erkannte Nothwendigkeit, gegen die Annahme des Gegentheils 
richten. Nur wo schon Nothwendiges feststeht, kann sich an- 
deres so darauf stützen, dals sein Gegentheil von diesem Punkte 
aus als unmöglich eingesehen wird. Drobisch, welcher die 
Unmöglichkeit des contradictorischen Gegentheils als den eigent- 
lichen und ursprünglichen Begriff des Nothwendigen aufrecht‘ 
hält, sagt dagegen (S. 186 vgl. Drobisch Logik 1851 $. 58.): 
die Erkenntnils der Nothwendigkeit sei überall die Erkenntnifs 
der Unabänderlichkeit zufolge der Einsicht, dafs jede Aenderung 
gleich bedeutend mit der Aufhebung des durch seinen Be- 
griff gegebenen Wesens desjenigen sein würde, an dem 
die Aenderung versucht wird” Wenn man diese Erklärung 


vom 18. Februar 1856. 97 


der Nothwendigkeit zergliedert, so springt die darin stillschwei- 
gend vorausgesetzte Nothwendigkeit von selbst heraus. Denn 
das durch den Begriff gegebene Wesen ist das Nothwendige, 
mit welchem das Gegentheil einer andern nothwendigen Er- 
kenntnils in Widerspruch treten würde. Der Begriff stellt 
an sich schon das Bildungsgesetz der Sache dar, ein durch das 
darin enthaltene Nothwendige gegen den Wechsel beharrendes 
Wesen. Aber die Erkenntnifs der Nothwendigkeit soll überall 
die Anerkennung der Unabänderlichkeit sein. Es wird nicht 
geleugnet, dafs dieser negative Ausdruck dem Nothwendigen 
 angehöre; allein es fragt sich, ob ursprünglich als das Erzeu- 
gende oder als ein Eigenthümliches aus dem Ursprung fol- 
gend. Woher stammt denn, mufs man fragen, die Anerken- 
nung eines ersten Unabänderlichen? Das Unabänderliche 
steht wie ein Fremdes dem erkennenden Geiste gegenüber 
und doch ist die Anerkennung sein eigen; er übt sie und 
wenn er sie nicht übte, so widerspräche er seiner eigenen 
Natur und zugleich der Natur der Sache. Die Anerkennung 
kann daher nur aus Principien entspringen, welche dem Geist 
und den Dingen, dem Subjectiven und Objectiven gemeinsam 
sind. Auf einen solchen Ursprung werden z. B. die Grund- 
sätze der Geometrie, das ihr erste Nothwendige, zurückgehen 
müssen. Wenn es bei dem formalen Begriff sein Bewenden 
haben soll, so begreift sich kaum, wie der reale Inhalt, von 
aulsen kommend, sich in diese Form füge und ihr nicht viel- 
mehr als fremd widerstehe. Eine solche Vereinigung der Prin- 
 eipien in den Gedanken und der Principien in den Dingen 
greift weiter als die Logik und hat darum selbst eine ethische 
Bedeutung, weil dieser Begriff der realen Nothwendigkeit eine 
Bedingung zur realen Freiheit in sich enthält. Denn wenn die 
Principien des uns Nothwendigen und des den Dingen Noth- 
 wendigen zusammengehen, so wird es dem Menschen möglich, 
die Nothwendigkeit der Dinge als seine eigene Vernunft zu 
erkennen und in der Unterordnung unter jene seine Freiheit 
zu vollziehen. 
Wenn biernach die formale Erklärung der Nothwendigkeit, 
Unmöglichkeit des contradictorischen Gegentheils, auf die Ele- 
mente zurückgeführt wird, welche sie voraussetzt: so vertieft 


98 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sie sich von selbst in eine reale Untersuchung und es ist die- 
ser Punkt einer der Örter, an welchen die formale Logik ihrer 
Ungenüge überführt und zum Bewulstsein eines ihr innewoh- 
nenden metaphysischen Bedürfnisses gebracht werden kann. 
Aber der Grundbegriff der herbartischen Metaphysik, das 
Sein aus dem formalen Begriff der Nothwendigkeit abgeleitet, 
kann, selbst wenn er richtig abgeleitet wäre, dies Bedürfnils 


nicht befriedigen. So weit wir wenigstens Quellen der Aner- 


kennung in der Wissenschaft, seien es die mathematischen oder 
ethischen Principien, aus welchen Noihwendigkeit flielst, vor 
uns haben: so weit weisen sie anderswohin, als auf ein aller 
Beziehungen und aller Gröfse entkleidetes einfaches Seiendes. 
Es ist ein Kunststück der Speculation, wenn man nach diesem 
gemachten Mafsstab Widersprüche milst und Widersprüche löst. 
Sind die Widersprüche nur Widersprüche für einen falschen 
Kanon, so werden es keine sein, und sind die Lösungen nur 
Lösungen nach eben demselben, so sind die Widersprüche, 
wenn sie da waren, ungelöst. 

Es ist nicht dieses Ortes, eine genügendere metaphysische 
Betrachtung zu versuchen, da dies anderweitig geschehen ist 
und es sich zunächst um Herbarts Metaphysik und keines 
andern handelt. 

Hiernach sind die Erfahrungsbegriffe an und für sich von 
den Widersprüchen frei, welche ihnen durch das Seiende als 
absolute Position aufgeheftet werden. 

Andere Widersprüche sollen indessen tiefer sitzen; denn 
die allgemeinen Erfahrungsbegriffe sollen an und für sich, 
gleichsam sich selbst feindlich, dem Princip der Identität wider- 
sprechen, das freilich einst Aristoteles das sicherste von allen 
nannte. So widerspricht z. B. der Begriff des Grundes und der 
Folge darin sich selbst, dafs die Folge, wie gezeigt wurde, 
mit dem Grunde identisch und nicht identisch ist, die Bewe- 
gung darin, dafs das Bewegte zngleich an einem und demselben 
Orte ist und auch nicht ist. A kann nicht zugleich und in der- 
selben Beziehung A und nicht A sein. A ist A und nicht nicht 
A. Niemand leugnet das Princip des Widerspruchs. Aber wir 
behaupten Grenzen seiner Anwendung, welche man bis dahin 


ı 


vom 18. Februar 1856. 99 


übersehen hat; und jene Widersprüche verschwinden, wenn 
man diese strengen Grenzen einhält. 

Das Princip der Identität erscheint beim Aristoteles, wel- 
‚cher es zuerst mit dem Bewulstsein der für die Logik princi- 
piellen Bedeutung ausspricht, in einer doppelten Fassung, einmal, 
indem es die Übereinstimmung des Behauptenden mit sich 
selbst, und dann indem es eine Übereinstimmung des Dinges 
mit sich fordert‘). In der ersten lautet es so: es ist unmög- 
lich, dafs dasselbige zugleich bejahet und verneint werde, in 
der zweiten: es ist unmöglich, dals demselbigen in derselbigen 
Hinsicht dasselbige zugleich zukomme und nicht zukomme. Wie 
‚die Logik der Wissenschaft aus der Dialektik des Streitge- 
\sprächs entstanden ist, so hat jene erste Fassung noch die 
offenbare Richtung in sich, den Streitenden zu überführen, ihn 
aus seinen eigenen Behauptungen, seinen Bejahungen und Ver- 
neinungen zu widerlegeu und im Dilemma des Widerspruchs 
zu entwaffnen. Indessen hat diese Übereinstimmung des Re- 
denden mit sich selbst einen tiefern Grund. Seine Behauptung 
macht Anspruch auf Wahrheit und die Wahrheit soll mit sich 
selbst übereinstimmeu; das Wahre wird als das Nothwendige 
(gedacht, was jede Zumuthung der Verneinung abwehrt. Wer 
‚sich selbst widerspricht, macht die Nothwendigkeit seiner Be- 
"hauptungen, deren Anerkennung er fordert, unmöglich. In der 
‚zweiten Fassung, der scheinbar rein sachlichen, liegt dieselbe 
Noihwendigkei, welche, wie gezeigt wurde, in eine Gemein- 


haft des Denkens mit der Sache zurückgeht, dem Ausdruck 
er wenigstens der richtigen Anwendung zum Grunde. Was 
einem Dinge in einer Hinsicht zukommt, dessen Verneinung 
on ihm nicht in derselben Hinsicht zukommen. Das Ding 

‚in den Begriff erhoben, wenn davon die Rede ist, ob ihm eine 
N sage zukomme oder nicht; und wenn nicht schon die Noth- 
digkeit einer Aussage vorliegt, so entsteht in dem Versuch, 
elbe Aussage in derselben Hinsicht zu bejahen und zu ver- 
inen, nur ein Schwanken, nur ein Zweifel, welche von beiden 
issagen, die bejahende oder verneinende, solle gesetzt werden, 


ı *) Vgl. elementa log. Aristot. ed. IV. 1852. zu $. 9. und logische 
‚Untersuchungen. I. S. 19 £. 


100 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


aber es kommt nichts heraus; und selbst der Zweifel stütz | 
sich auf die Voraussetzung, dafs beide nothwendig sein wollen. 
Wo Aristoteles (in der Metaphysik IV., 3—7) das Prineip der 
Identität erörtert und den Widerspruch scharf hervorhebt, der 
dann entstehen würde, wenn man es verlielse oder aufgäbe: 
da sucht er zu zeigen, dafs die Erkenntnifs ohne dies Princip 
mit ihren tiefsten Ansprüchen zerfallen und sich entzweien 
würde. Es gäbe, sagt er, ohne dies Princip nichts Festes und 
Gewisses für die Erkenntnils; es gäbe kein begrenztes Allge- 
meines, ohne welches das Denken aufhört; es würde die Wahr- 
heit zu etwas, was davon flöge; es gäbe keine Einheit, worauf 
doch das Denken hingeht. Indessen alle diese Bestimmungen, 
das Feste und Bleibende, das Allgemeine und Eine sind vom 
Nothwendigen gehalten und getragen; sie flielsen von diesem 
Ursprung aus und gehen in diesen Ursprung zurück, so dals 
alle Gründe und Folgerungen, mit welchen Aristoteles den das 
Princip Leugnenden überführt, nicht neben einander stehen, 
wie Aristoteles sie neben einander stellt, sondern bei tieferer 
Untersuchung von dem Einen Grunde und der Einen Folgerung 
abhängen, welche Aristoteles als eine einzelne unter vielen auf- 
führt, wenn er sagt (IV. 6. p. 1010 b 28): „es würde kein 
Nothwendiges geben, denn das Nothwendige kann sich nicht 
anders und anders verhalten; folglich wenn es etwas Noth- 
wendiges giebt, so wird es sich nicht so.und auch nicht so 


verhalten.” 

Man mufs nach Obigem weiter gehen. Es muls nicht 
blos das Nothwendige als mit sich identisch, sondern auch die 
Forderung der Identität als Ausflufs des Nothwendigen oder 
des Anspruchs auf Nothwendigkeit anerkannt werden. Es zeigt 
sich dies in der wissenschaftlichen Anwendung des Princips der 
Identität. Mit dem ersten Theil seiner Formel: „a ist a und 
a ist nicht nicht-a”, lälst sich nichts anfangen; denn „a ist a’ 
dreht sich nur um sich selbst herum; aber der zweite Theil 
„a ist nicht nicht-a”; „es läfst sich nicht dasselbe in derselben 
Hinsicht bejahen und verneinen”, ist ergiebiger. In dem in- 
directen Beweise dient er um das Unmögliche des contradie- 
torischen Gegentheils dadurch darzuthun, dals das erkannte 


Nothwendige sich gegen die Consequenz des angenommenen 


vom 18. Februar 1856. 101 


Gegentheils geltend macht. Hier ist das Princip als ein Glied 
thätig, um das Nothwendige darzuthun, und zwar ein neues 
Nothwendiges auf dem Grunde des alten, das die andringende 
Zumuthung jener Annahme anders zu sein, als es ist, zurück- 
weist. In der Dialektik, wie sie Aristoteles bestimmte und 
übte, handelt es sich darum, die Vorstellungen, welche ge- 
meinhin über einen Gegenstand gelten, in ihre Folgen hinaus- 
zutreiben ; und die Widersprüche, welche sich in diesem Verfahren 
ergeben, sind ein Anzeichen, dals die Nothwendigkeit fehlt, 
welche doch die Behauptungen ansprachen. Die Begriffe, 
welche nothwendig sein wollen, geben auf diesem Wege ihre 
Blöfse kund, weil ihre Folgen in einem Widerspruch mit 
ihrem Wesen oder mit einem andern Nothwendigen steben. 
Diese Dialektik macht daher kritisch, indem die Widersprüche, 
welche sie aufzeigt, eine Vorstellung entweder aufzugeben oder 
bald zu erweitern bald einzuschränken nöthigen. Wenn die 
Naturwissenschaft den beobachteten Thatsachen, welche die 
nothwendigen Folgen eines zunächst unbekannten Grundes sind, 
den erdachten Grund gegenüber stellt: so verlangt sie, dafs 
der gedachte Grund, der, wie jeder Grund, nothwendig sein 
will, jene beobachteten Thatsachen als Folgen entwerfe und in 
seinen Folgen decke. Der Grund mit seiner bypotbetischen 
Nothwendigkeit mufs sich in der Entwicklung mit der Noth- 
wendigkeit der Thatsachen, welche seine Folgen sein sollen, 
vergleichen und messen. Der Widerspruch, der sich dabei 
ergeben kann und, falls er Bestand hat, den Grund zurückzu- 
nehmen zwingt, entnimmt auch in dieser Anwendung seine 
zwingende Kraft von dem in den Thatsachen vorausgesetzten 
Nothwendigen, welches mit sich identisch beharrt. In allen 
diesen Fällen lälst der Widerspruch das Falsche erkennen, in- 
dem das Nothwendige sich selbst behauptet. 

Das Wahre will nothwendig, das Nothwendige mit sich 
identisch sein und daher ist, was einem Nothwendigen wider- 
spricht, nicht wahr. Es ist diese Übereinstimmung mit sich 
selbst nur der formale Charakter des Wahren, welcher über 
den Inhalt des Wahren nichts aussagt. Daher mag auch das 
Unwahre z. B. das Mährchen und selbst die Lüge, um sich 
den Schein des Wahren zu geben, dahin streben, mit sich 


102 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


selbst übereinzustimmen; aber es wird durch den Widerspruch 
mit anderm Nothwendigen in seiner Natur erkannt. Das Wahre, 
ist mit sich identisch, aber nicht alles mit sich Identische 
ist wahr. 

Das Princip der Identität ist hiernach die Selbsterhaltung 
des Nothwendigen; es hat erst da Sinn, wo Nothwendiges 
erkannt ist oder vorausgesetzt wird, und hat vor ihm keine 
Anwendung. Wird ein erstes Nothwendiges gesetzt z. B. die 
Axiome und Postulate im Euklides, so duldet das Princip der 
Identität, die Selbstbehauptung des Nothwendigen, keinen auf- 
strebenden Begriff, welcher ihm widerstritte. Aber was das 
erste Nothwendige sei, welchen Inhalt es habe, das liegt vor 
dem Bereich seiner Sphäre. So wenig also als der formale 
Begriff des Nothwendigen, die Unmöglichkeit des Gegentheils, 
das erste Nothwendige erreicht, weil er es vielmehr voraus- 
setzt und hinter sich hat: so wenig das Princip der Identität, 
das selbst ein Theil jenes Begriffes ist, inwiefern es im in- 
directen Beweis mitwirkt. Gesetzt nun, dals es letzte Begriffe 
der Erfahrung gäbe, welche ein solches erstes Nothwendiges sind, 
ein Ursprüngliches, welches in den Erscheinungen noch durch- 
wirkt, ein Ursprüngliches, woraus das übrige Nothwendige als 
ein Abgeleitetes herflielst: so kann für sie das Princip der 
Identität, so lange es nicht übergreift und keine unbewiesene 
Norm unterschiebt, kein Mafs des Möglichen oder Unmöglichen 
abgeben. Wenn daher z. B. die Causalität, die Bewegung — 
und beide hangen vielleicht auf das Engste zusammen — das 
erste Nothwendige sind: so ist zwar ihre Natur zu unter- 
suchen und darzulegen, aber das Princip der Identität, welches 
erst mit dem anerkannten Nothwendigen seine Herrschaft be- 
ginnt, darf sich in sie nicht eindrängen, um sie zu entzweien. 

Strümpell hat diesen zweiten entscheidenden Punkt, den 
Werth des Prineips der Identität in seiner Anwendung, gar 
nicht beachtet. Drobisch hingegen verweist auf seine Logik, 
in welcher jedoch das Princip der Identität unbegrenzt gilt 
und die Frage über den Ursprung und die Grenzen seiner An- 
wendung so wenig aufgeworfen wird, als in der bisherigen 
Logik überhaupt. 


vom 18. Februar 1856. 103 


Es erhellt von Neuem, dals alles darauf ankommt, was das 
erste Nothmendige ist, das Ursprüngliche, was aus sich ein- 
leuchtet; es erhellt von Nenem, dafs der reale Begriff des 
Nothwendigen die erste Frage der Metaphysik sei; denn er 
setzt den formalen Begriff — die Unmöglichkeit des Gegen- 
theils — sammt dem Princip der Identität erst in Bewegung. 
Wer, wie Herbart thut, mit dem formalen Begriff beginnt und 
daraus den realen fassen will, stellt die Genesis auf den Kopf 
und verfehlt dadurch das Ziel. In diesem Fehler liegt das Ver- 
ı gebliche des Unternehmens. Es werden Widersprüche gemacht, 
die nicht da sind, Widersprüche, welche nur nach einem falschenKa- 
non (dem künstlichen Begriff des Seins) oder der falschen Anwen- 
dung eines richtigen Princips (des Gesetzes der Identität) zum 
Vorschein kommen, und welche, wie weiter zu beweisen steht, 
so lange diese beiden Malsstäbe angelegt und festgehalten wer- 
den,trotz aller metaphysischen Arbeit Herbarts nicht verschwinden. 

Dies führt auf die zweite Thesis. Nach dem im Obigen 
gegen die Einwürfe behaupteten und bestätigten Satze: die von 
Herbart in den allgemeinen Erfahrungsbegriffen bezeichneten 
Widersprüche sind keine Widersprüche, folgt der zweite: 
wären sie wirklich Widersprüche, so wären sie in 
seiner Metaphysik nicht gelöst'). 

Es wurde diese Behauptung an Herbarts Begriff vom 
wirklichen Geschehen nachgewiesen. Die Realen bleiben sich 
gleich, sagt Herbart seiner Auffassung des Seienden gemäls, 
und erhalten sich selbst und doch erscheint die Veränderung. 
Jedes Wesen ist an sich von einfacher Qualität; aber die vie- 
len Qualitäten lassen sich vielfach vergleichen, jede mit allen 
übrigen. In dem Verhältnisse der Qualitäten zu einander tritt 
dadurch eine Negation hervor. Das wirkliche Geschehen ist 
nun nichts anders als ein Bestehen wider die Negation; die 
affrmative Selbsterhaltung ist darin eine Negation der Negation. 
Indem die entgegengesetzten Qualitäten, wie positive und ne- 
gative Grölsen, wie + und —, zusammentreffen, erhält jede 
ihr Wesen dadurch, dafs sie sich einander aufheben. Das 


*) Monatsberichte. Noybr. 1853 S. 670 ff. Historische Beiträge 
zur Philosophie. 1855. II. S. 334 ff. 
[1856] 8 


104 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Seiende bleibt also sich gleich, obwol dem fremden Zuschauer 
Veränderung erscheint. Wenn A=«+£ mtC=p-— PB 
zusammen ist, so entsteht A +C=« + p. Esist ein Neues für 
den Beobachter, der, die einfachen Qualitäten nicht kennend, in die 
verschiedeneu Relationen von A und C verwickelt ist. Aber 
das Seiende selbst ist dem Gesetze der Identität gemäls sich 
selbst gleich geblieben. 

Hiegegen wurde gezeigt, dals diese ganze Erklärung, be- 
stimmt den Widerspruch aus der Veränderung wegzuschaffen, 
die Veränderung in der Form der Bewegung in sich enthält ' 
und dafs also der Widerspruch, wenn er einer ist, sitzen bleibt, 
wo er sitzt. 

Es wurde gezeigt, dals abgesehen von der Theorie der 
Realen, welche nicht zugegeben werden kann, die Analogie der 
positiven und negativen Gröfse auf Bewegung im Raum und 
auf Zeit im Ursprung der Zahl führe, und vorzüglich, dals der 
Begriff des Zusammen, in welchem jedes der Realen wider die 
Negation besteht, ohne die Bewegung, welche aus dem Nicht- 
zusammen das Zusammen schafft, nicht zu denken sei. 

Sehen wir wiederum zunächst, wie sich in diesem Punkt, 
in welchem sich Herbarts Metaphysik durch sich selbst wider- 
legt, die beiden Vertheidiger unter einander verhalten. Auch 
hier ist der Unterschied charakteristischh Drobisch erkennt 
stillschweigend an, dals die Streitpunkte richtig gestellt sind, 
und als philosophischer Mathematiker führt er die Frage aus 
dem allgemeinen Gebiete des Geschehens in den Begriff des 
Stetigen über, wo es sich in verwandter Weise um das Zu- 
sammen und um die Bewegung handelt. Strümpell dagegen 
rührt an sorgfältig von Herbart überlegten Begriffen. So nennt 
er den anschaulich gewählten, die ganze Erklärung des Ge- 
schehens beherrschenden Begriff der Selbsterhaltung eine un- 
glückliche Wahl des Ausdrucks; er behauptet ferner, dals der 
Vergleieh mit den positiven und negativen Gröfsen, welcher 
doch das sich identisch erhaltende Wesen mit der dem Beob- 
achter erscheinenden Veränderung allein vermittelt, gar kein 
Ernst sei, und er scheint sich z. B. nicht zu erinnern, dals 
Herbart sogar noch in der praktischen Philosophie (S. 138 ff.) 
(so sehr ist es ihm mit dem Vergleiche Ernst) die Idee der 


vom 18. Februar 1856. 105 


Billigkeit unter dieselbe Analogie falst. Strümpell hält endlich 
den Begriff des wirklichen Geschehens für so ungenügend, dafs 
die Entstehung „eines primitiven Ereignisses” nicht ohne den 
Rest eines dunkeln Punktes daraus könne abgeleitet werden 
(XXVIE 2. S. 188). Hiernach hat auch an dieser Stelle die 
befreundete Schule Herbarts viel mit ihm auszumächen, aber 
der Gegner wenig oder nichts. 

Drobisch synechologische Untersuchungen sind in man- 
eher Beziehung belehrend. Aber es liegt vieles darin aufser- 
halb der Streitfrage. Wenn wir unsers Theils den Standpunkt 
von Herbarts Metaphysik anfechten, so müssen wir es der 
Schule Herbarts überlassen, wie weit sie die Lücke, welche in 
Herbarts Synechologie liegen soll und die Ausfüllurig derselben 
anerkenne, welche im Geiste Herbarts versucht wird (XXVI. 1: 
$, 22), indem zu dem Zweck, um für die Stetigkeit der Be- 
wegung und der Zeit in gleicher Weise einen Erklärungsgrund 
zu finden, wie für die Stetigkeit des Raums, dem intelligibeln 
Raume Herbarts eine intelligible Bewegung und eine intelli- 
gible Zeit znr Seite gesetzt werden, welche bei ihm nicht vor- 
kommen. Wir übergehen kleinere Differenzen zwischen Drobisch 
and Herbart, welche wir hervorheben könnten und behalten 
allein die Frage im Auge, welche uns beschäftigt, ob Herbart 
Bach den Ergebnissen dieser Untersuchung die Widersprüche 


sofern man die Lösung nach demselben Mafsstab milst, nach 
welchem er die Widersprüche herausfand. Wir stellten dies 
in Abrede — und Drobisch muls am Ende dasselbe zugestehen. 
Wenn er auch den Widerspruch, der gleich „einem düstern 
Verhängnils, dem sich unser denkendes Erkennen nicht ent- 
ziehen kann” (XXV1. 1. S. 25), ungelöst zurückbleibt, an einem 
andern Punkte, nämlich im Begriff des Stetigen und nicht un- 
mittelbar im Begriff der Bewegung, einräumt: im Grunde ist 
diese Vertheidigung eine Verstärkung des Angriffs und sie wirft 
auf das Vergebliche in den Prämissen und in den Consequenzen 
der herbartischen Metaphysik, sie wirft vorwärts und rückwärts 
ein um so helleres Licht, als wir es dem Vertreter selbst ver- 
danken. Überdies würde es sich zeigen lassen, dafs der auf- 
gestellte Widerspruch im Begriff des Stetigen und im Begriff 


‚ wirklich löste, welche er in den Erfahrungsbegriffen behauptete, 
i 


106 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


der Bewegung an sich einer und derselbe ist. Wenn wir, wie 
Drobisch thut, den Begriff des Stetigen als den ersten nehmen, 
so fassen wir das als ein schon Gegebenes, als ein insofern 
Fertiges, in der Ruhe auf, was die constructive Bewegung 
erst hervorbringt und im Werden erzeugt. „Alle Veränderung 
wird von Herbart”, heilst es (S. 18), „auf einen durch Be- 
wegung vermittelten Wechsel des Zusammenseins der Realen 
zurückgeführt”. Wenn wir nicht irren, so hat hierin der Ver- 
theidiger für die Stellung, welche er behauptet, schon zu viel 
zugestanden; denn in der Bewegung hat Herbart immer das 
anschaulichste Beispiel des in den Erfahrungsbegriffen steckenden 
Widerspruchs gesehen. Das Zusammen und Nicht-zusammen der 
Realen wurde überhaupt erdacht, um der Bewegung los zu werden, 
und einer unserer Einwände richtete sich wesentlich dahin, 
dafs sowol in der Vorstellung als im Wirklichen der Wechsel 
des Zusammen und Nicht-zusammen nur durch den Ueber- 
gang der Bewegung möglich werde, und dafs daher in der 
vorgeschlagenen Entfernung des Widerspruchs, in dem die 
Veränderung ersetzenden Begriff, dem Wechsel des Zusammen 
und Nicht-zusammen der Realen, die Bewegung zwar versteckt 
werde, aber als Widerspruch hängen bleibe. ,‚Nur das Stetige 
in der Bewegung”, heilst es weiter (S. 18), ‚ist das, was an 
ihrem Begriff noch als Problem übrig bleibt. Dieses bezieht 
sich aber hier nicht mehr blos auf räumliche, sondern zugleich 
auf zeitliche Verhältnisse. In der erstern Hinsicht ist die Be- 
wegung der stetige Übergang von einem Orte zu einem an- 
dern. Sie ist nicht blos Versetzung aus dem ersten Ort in 
einen beliebig nahe liegenden zweiten, sondern es soll auch 
nie an einem zwischenliegenden dritten Ort fehlen, in dem das 
Bewegte zuvor sei, ehe es aus dem ersten in den zweiten 
kommt. Damit geräth man nun entweder in eine unendliche 
Reihe von Versetzungen, von Sprüngen, deren keiner klein 
genug ist, um für den ersten gelten zu können, der bekannte 
zenonische Einwurf gegen die Möglichkeit der Bewegung; oder 
man denkt sich den Anfang der Bewegung als eine unendlich 
kleine Versetzung des Bewegten, wo dann der Widerspruch 
im Unendlichkleinen liegt, und zu der.kleinsten endlichen 
Ortsveränderung eine unendliche Zahl solcher Versetzungen, 


vorn 18. Februar 1856. 107 


für doppelt, dreifach, viermal so grolse eine doppelt, dreifach, 
vierfach unendliche Zahl von Versetzungen nöthig ist u. s. fi” 
In diesen Worten wird der zurückgebliebene Widerspruch 
deutlich anerkannt und derselbe Widerspruch bleibt in dem 
noch angefügten Versuch (S. 19), „den Ort des Übergangs als 
einen solchen aufzufassen, der mit dem nächst vorhergehenden 
und nächst folgenden etwas Gemeinschaftliches hat”. Zu wel- 
chem Ende das Bewegte als ein zwar „einfacher, aber theil- 
barer (!) metaphysischer Punkt” gefalst wird, ‚‚denn der Stell- 
vertreter des einfachen Realen sei der metaphysische Punkt”. 
Sind nun zwei solche Punkte unvollkommen zusammen, so 
stellt der zweite den Ort des Übergangs von dem ersten zu 
einem dritten dar, der mit dem zweiten ebenfalls unvollkommen 
zusammen ist, aber ganz aulserhalb des ersten liegt. Die Ver- 
setzung des Bewegten aus dem ersten Ort in den mit diesem 
verketteten zweiten, aus diesem in den wieder mit ihm ver- 
ketteten dritten u. s. f. wäre dann die Bewegung. Man kann 
diese Versetzungen nicht Sprünge nennen, denn es fehlt der 
leere Zwischenraum, der übersprungen würde, wenn gleich 
noch unzählig viele Zwischenlagen denkbar sind. Eine solche 
Versetzung mülste nun als das Element der Bewegung an- 
gesehen werden, und der Bruchtheil des Aneinander, der die Lage 
zweier solcher verketteten Orte ausdrückt, bestimmt die Grölse der 
Geschwindigkeit der Bewegung”. Wir wollen in dieser letzten 
Auffassung des Stetigen kein Gewicht darauf legen, dals zunächst 
die Wörter der Sprache allenthalben die Bewegung, wenn das 
Stetige erklärt werden soll, in der Erklärung wiederum kund 
geben. Die Wörter: Versetzung des Bewegten, Verkettung 
der Örter tragen die Anschauung der Bewegung in sich und selbst 
die „Sprünge”, die das Gegentheil der stetigen Bewegung aus- 
drücken sollen, sind, der Anschauung zurückgegeben, stetige 
Bewegungen, welche nur durch einen Umweg das directe Con- 
tinuum vermeiden und dadurch für dieses eine Unterbrechung 
darstellen. Es ist diese Wahrnehmung nur ein psychologi- 
sches Anzeichen, dals die constructive Bewegung dem mensch- 
lichen Geiste eine selbst in dem Begriff ihres Gegentheils 
unumgängliche und darum allgemeine und ursprüngliche Be- 
dingung ist. Indessen bietet der Begriff der Sache dieselbe 


108 Sitzung der philosophisch-hisiorischen Klasse 


Schwierigkeit. Ein metaphysischer Punkt, der als einfach, aber 
doch als theilbar gedacht werden soil, seizt schon das Stetige 
und da alles Theilen nur durch Bewegung zu Stande kommt, 
die Bewegung voraus und das unvollkommne Aneinander ist 
gar nicht denkbar, wenn das Aneinander, in welchem der strenge 
Zusammenhang des sich einander Berührenden gedacht wird, 
nicht zugleich als aufser einander bestimmt wird. Das unvoll- 
kommene Aneinander ist nur dadurch unvollkommen, dals es 
aus einander gerückt und das in der Berührung Begriffene 
von einander bewegt ist. Das Stetige, das erklärt werden 
soll, wird der Erklärer nicht los, wie er selbst einräumt. „Das 
Stetige ist nicht völlig beseitigt oder aus einem Nichtstetigen 
abgeleitet, sondern es ist ihm nur ein engerer Spielraum an- 
gewiesen, innerhalb dessen es, wenn auch latent, immer noch 
vorhanden bleibt”. Aber genau genommen, wird er die Be- 
wegung nicht los, welche selbst das Stetige erzeugt. 

In der That kommt Drobisch im Endergebnils, indem er 
die herbartische Metaphysik durch einen Begriff ergänzt, der Be- 
wegung nahe. ,‚Der Begriff des Übergangs”, sagt er ($. 32), 
„von einem äulsern und innern Zustand des Realen zu einem 
andern ist nichts anders als der Begriff der reinen oder ab- 
soluten Veränderung. Die durch die Erfahrung gegebene, 
die empirische Veränderung ist nur insoweit eine Thatsache, 
als zwei für idenlisch geltende Gegenstände doch nicht völlig 
identisch erscheinen”. „Die einfachste Annahme ist immer- 
hin die, welche dem Begriffe der Veränderung wirklich zum 
Grunde liegt, dals nämlich ein und dasselbe Object der ge- 
meinsame "Träger der suecessiven Erscheinungen und deren Ver- 
schiedenheit die Folge von verschiedenen Relationen sei, in 
welche das Object kommen kann. Dieser Wechsel der Rela- 
tionen führt aber in letzter Instanz auf die stetige Verände- 
rung, die entweder Ortsveränderung, Bewegung ist, oder in 
adäquater Weise durch diese anschaulich werden kann. Wir 
nennen daher diese der empirischen zum Grunde liegende Ver- 
änderung reine, oder auch absolute, weil die empirische 
sie zur letzten Voraussetzung hat, sich als relative auf sie 
bezieht”. Dieser Begriff wird nun dahin bestimmt (S, 33), dafs 
er eine „nothwendige Veraussetzung ist, ohne welche es un- 


vom 18. Februar 1856. 109 


möglich sein würde, zu einer vollständigen Zusammenfassung des 
Gegebenen zu gelangen”, ein „als Bedingung der Erreichbarkeit 
eines gewollten Zweckes” „gültiger Begriff”. „Sein in- 
nerer Widerspruch läfst sich nicht beseitigen; denn jeder Versuch 
dieser Art entzieht dem Begriff seine Reinheit, endigt mit einer 
Halbheit, durch welche immer wieder die strenge Forderung der 
stetigen, reinen absoluten Veränderung als nothwendige Ergänzung 
hindurchbricht”. 

Drobisch hat ausdrücklich erklärt (S. 36), dals dieser Begriff 
der reinen Veränderung, welcher nun für die Metaphysik 
als die zweite nothwendige Grenzbestimmung zu der ersten und 
ursprünglichen des reinen Seins biuzugethan wird, nicht das 
Princip der constructiven Bewegung sei, welches, in den „logi- 
schen Untersuchungen” bebauptet und ausgeführt, zuerst den Streit 
gegen Herbarts Synechologie und die Grundbegriffe der herbarti- 
schen Metaphysik erregte (Logische Untersuchungen I. S. 137 ff.). 
Ohne Frage bleibt ein merklicher Unterschied bestehen. Aber der 
unbelangene Leser, der Zuschauer der streitenden Parteien, wird 
vielleicht gern bemerken, dals selten in metaphysischen Fragen der 
"bestrittene Standpunkt dem Bestreitenden so nahe gerückt und da- 
durch eine künftige Verständigung so angenähert wurde. 

Über den Unterschied möge der Leser entscheiden. Das neue 
Herbart ergänzende Princip ist der Begriff der reinen Veränderung 
als ein „Grenzbegriff”, den das Denken zum Zwecke der Herstel- 
lung eines vollständigen Gedankenzusammenhangs des Gegebenen 
bilden und trotz seines Widerspruchs festhalten muls”; denn „‚der 
Widerspruch ist das Kennzeichen der Grenze des Denkens”. Wir 
können uns dagegen eine „reine Veränderung”, welche nur ein 
leeres Abstractum ist, gar nicht denken, es sei denn dals wir die 
eonstructive Bewegung unterschieben. Die reine Veränderung 
besagt nichts; zumal Herbarts reines Sein keine Qualität hat, 
welche sich verändern kann. Die constructive Bewegung hin- 
‚gegen hat darin ihre grofse Bedeutung, dafs sie, wie z.B. in der 
Erzeugung geometrischer Gestalten, vom Denken geübt wird und 
‚als der Ursprung des Bildes das Denken in die Anschauung führt. 
‘Sie hat darin ihre ausgedehnte Macht und ihre Bewährung, dals sie 
psychologisch die Voraussetzung aller sinnlichen Wahrnehmung 
ist, indem sie mitten im leidenden Eindruck das geistig Thätige, die 


110 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Formen der Aufsenwelt dem Geiste als Bilder aneignet. Sie hat 
endlich die wichtige Bestimmung, den Begriff des Geistes, ins- _ 
besondere den Zweck, welcher der Bewegung die Richtung giebt, 
zu entwerfen und seine Verwirklichung möglich zu machen. Selbst. 
geistig, wie nachgewiesen wurde, ist sie das thätige Mittelglied 
zwischen der geistigen und sinnlichen, der idealen und realen 
Welt. Läfst sich dasselbe von der nun für Herbart gefundenen 
Ergänzung sagen, von der „reinen Veränderung”? Die reine Ver- 
änderung, aus den empirischen Wahrnehmungen herausgezogen, 
erzeugt als reine Veränderung kein Bild; es läfst sich mit ihr nichts 
anfangen, so wenig als mit dem andern Grenzbegriff, dem reinen 
Sein. Die Zergliederung hat auf sie geführt, aber, wenn wir nicht 
irren, so ist die reine Veränderung, wie das, was man nur durch 
zergliedernde Anatomie findet, todt, und kein thätiges Element. 
Es wird darauf ein Gewicht gelegt, dals dieser Grenzbegriff der 
reinen Veränderung dem Denken als solchem und nicht dem Realen 
angehört. „Wir müssen mit Herbart”, sagt Drobisch (S. 35), 
„den ganzen Apparat des zusammenfassenden Denkens dem Realen 
gegenüber als objectiven Schein bezeiehnen; aher es ist kein 
Schein, mit dem sich das Reale umgiebt, der von diesem ausgeht, 
und hinter dem wir etwas dem Schein als solchem entsprechendes 
Reales zu suchen hätten; vielmehr ist es ein Schein, den das den- 
kende Subject setzt, producirt, und mit dem dieses das Reale um- 
giebt, um zu seinem Zweck, dem der vollständigen Zusammen- 
fassung des Gegebenen zu gelangen”. Das Princip der constructiven 
Bewegung will mehr. So weit die Bedeutung der Formen reicht, 
sei es im Geiste, sei es in den Dingen, so weit reicht seine Be- 
deutung, indem es im Geiste für die Dinge Formen vorbildet und 
für den Geist aus den Dingen Formen nachbildet. Ohne eine 
solche vermittelnde Thätigkeit, als welche wir, bis eine andere, 
eine tiefere und herrschendere, nachgewieten ist, die Bewegung 
ansprechen, käme auch das „zusammenfassende Denken”, für wel- 
ches die „reine Veränderung” gefordert ist, nimmer zu Stande. 
Wenn das zusammenfassende Denken nichts hat, was es mit den 
Dingen theilt, und mithin nichts, wodurch es in die Dinge ein- 
dringt, nichts, wodurch es die Formen der Dinge in sich auf- 
nimmt, und durch das Princip der reinen Veränderung hat es 
nichts von diesem Allen: so arbeitet das zusammenfassende Denken 


vom 18. Februar 1856. 111 


nicht viel anders als die leere Hand, die, zusammenfassend, nur die 
entweichende Luft zusammenfalst; aber nicht wie die Hand, mit 
welcher Aristoteles den Verstand verglich, damit, gleich wie die 
Hand das Werkzeug der Werkzeuge d.h. das alle Werkzeuge 
verwendende Werkzeug ist, der Verstand die Form der Formen 
d.h. die alle sinnliche Formen verwendende und beherrschende 
Form sei. Aus der erzeugenden Bewegung gehen mathematische 
Gesetze hervor, welchen sich, wo sie angewandt werden, die ge- 
gebenen Dinge fügen und welche daher ihrer Quelle einen andern 
Werth geben, als objectiver Schein zu heilsen. 

Nebenbei erhellt aus dem Gesagten, wie unrichtig die Auf- 
fassung ist, dals in den „logischen Untersuchungen” das Denken 
der Anschauung als einer höhern Erkenntnilsquelle untergeordnet 
wird (S. 36); denn das Umgekehrte liegt zu Tage. In der con- 
structiven Bewegung, dem Principe der Anschauung, ist die Rich- 
tung des Denkens, welche in das sinnlich Viele geht, bezeichnet 
worden; aber es ist dabei immer hervorgehoben, dafs sie sich 
der andern Richtung des Denkens, welche, auf die Einheit gehend, 
im Zwecke, dem Grunde des Idealen, am tiefsten gefalst ist, unter- 
ordne, ja es ist gezeigt, wie sie sich ihm füge und fügen könne. 
Sollte endlich der Vorwurf ernstlich gemeint sein, dafs in der 
eonstructiven Bewegung das Denken nur einem blinden Factum 
unterworfen werde? oder sollte wirklich, die aus den empirischen 
Veränderuugen leicht herausgezogene reine Veränderung, specu- 
lativer sein, als das von Neuem des Empirismus geziehene Princip 
der constructiven Bewegung? 

So hat sich denn in der neuen Untersuchung von Drobisch 
bestätigt, was im zweiten Satz behauptet wurde. Der von Her- 
bart aufgestellte Widerspruch, wenn anders ein Widerspruch, 
ist in der metaphysischen Behandlung nicht weggeschafft wor- 
den. Die reine Veränderung, welche für den ergänzenden zwei- 
ten Grenzbegriff erklärt wird, behält ihn an sich und in sich. 
Es ist indessen diese Ergänzung, wenn wir sie mit der strengen 
gegen den Widerspruch gerichteten Absieht der herbartischen 
Metaphysik messen, vielmehr eine Entzweiung. Und will Dro- 
bisch bei diesem von ihm in der reinen Veränderung anerkannten 
Widerspruch noch von der „vollen Wahrheit des mit sich selbst 
einstimmigen Denkens” reden (S. 36): so mufs er entweder 


112 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


das Auge gegen den Widerspruch zumachen oder er muls einen 
Schritt weiter thun und, eingehend in unsern ersten Satz, nach- 
zuweisen suchen, dals es kein Widerspruch ist. 

Endlich wurde von uns in einem dritten Satz behauptet, wä- 
ren die von Herbart bezeichneten Widersprüche 
wirklich Widersprüche und wären sie gelöst, so 
blieben andere und grölsere ungelöst; und der Beweis 
wurde an dem Begriff des Zweckes geführt, welcher bei seiner 
eigenthümlichen aus der künftigen Wirkung die Ursache bestim- 
menden Natur selbst dann nicht begriffen wäre, wenn die in der 
Causalität gefundenen Widersprüche durch den Begriff des wirk- 
lichen Geschehens sich hätten wegschaffen lassen. Es wurde nach- 
gewiesen, dafs der innere Zweck, der Positives wolle und das 
positive Wesen des Organischen wirke, aus Herbarts wirklichem 
Geschehen, welches nur wider die Negation bestehe und nur gegen 
die äulsere Relation sich selbst erhalte, nicht verstanden werden’ 
könne. In demselben Mafse als Herbart in einigen Stellen seiner 
Schriften der Betrachtung der innern Zweckmälsigkeit im Bereiche 
der Erfahrung eine besondere Bedeutung zugesprochen, und dar- 
auf selbst den Glauben an die Vorsehung gebauet hat, in demselben 
Malse ferner als der Begriff des Organischen, der in dem real 
gewordenen innern Zwecke wurzelt, die ideale 'Thatsache der 
Natur ist, in demselben Mafse als er selbst dem Ethischen, wenn 
man es tiefer gründet, als in ästhetischen Ideen, als in der Analogie 
von Consonanzen und harmonischen Verhältnissen, zur nothwen- 
digen Grundlage dient: in demselben Malse ist dieser Mangel 
empfindlich. 

Es ist charakteristisch, wie sich beide Vertreter Herbarts zu 
diesem Einwurf verhalten. Drobisch, der zunächst in seinen 
synechologischen Untersuchungen einem andern Gedankenzuge 
folgt, erinnert, wenn es sich darum handle, die teleologische Be- 
trachtung durchzuführen, an die Grenzen unsers Wissens und 
Könnens. Strümpell glaubt sie dagegen mit den herbartischen 
Principien begreifen zu können (XXVM. 2. S. 164. S. 167), und 
zwar dergestalt, dafs „der aus unsern dürftigen” (mechanischen) 
„Praemissen gefolgerte Weltursprung nicht genüge und sich die 
Gesammtheit der Bedingungen in dem Gedanken zusammen- 


’ vom 48. Februar 1856. 113 


schlielse: die Welt, wie sie ist und fortbesteht, ist eine That Got- 
tes” (S. 191). 

Wenn wir nicht irren, so bleibt in diesem Gegensatz Dro- 
bisch der Meinung Herbaris treu. Denn Herbart sagt in der 
Metaphysik (11. S. VIL. vgl. S. 106) ohne Rückhalt: „Die Teleo- 
logie beruht auf unmittelbar gegebene Formen der Erfahrung. 
Können wir dieseFormen nicht ebenso bestimmt, wie die übrigen, 
als wissenschaftliche Principien bearbeiten und benutzen: so müs- 
sen wir deshalb unsere menschliche Beschränktheit bedauern”. 
„Die Zweckmälsigkeit der Organismen bleibt immerfort das unbe- 
rührte Geheimnils, wozu uns der Schlüssel nicht auf dem Wege 
des Wissens kann gegeben werden”. 

Strümpell indessen kommt dem Gegner entgegen, indem er 
zwar um Widersprüche, welche auf dem Gebiete des Zweckes zu 
lösen wären, wenig bekümmert ist, aber die Metaphysik, welche in 
Herbarts Schriften vorliegt, für ein blolses „Bruchstück” er- 
klärt (XX VII 2. S. 164) und zur Ergänzung des Zweckbegriffs 
Anstalt macht. 

Wir lassen uns an dem Zugeständnisse genügen, welches 
darin liegt, dafs Herbarts geschlossenes und schon früh (1808) in 
den „‚Hauptpunkten der Metaphysik” nicht anders angelegtes Werk 
nur ein Bruchstück sein soll, müssen indessen, wie die Abschwä- 
ehungen am Anfang, so die Ergänzungen am Schluls auf sich be- 
ruhen lassen, da wir es nur mit dem ursprünglichen und nicht mit 
dem verquiekten, mit dem unversehrten und nicht mit dem vorn 
verkürzten und hinten ergänzten Herbart zu thun haben. Uns 
bleibt es zweifelhaft, ob die Ergänzungen in Herbarts Geiste ent- 
worfen sind, was die Schule entscheiden möge, und noch zweifel- 
hafter, ob die der Welt einwohnende logische Systematik ausreichen 
werde, die Teleologie zu begründen. Auch Erscheinungen, mit 
welchen der Zweck nichts zu thun hat, z. B. die Krystalle, mathe- 
matische Figuren u. s. w. lassen sich einem System unterwerfen. 
'Strümpells Betrachtungen sind uns nach dieser Seite nicht ver- 
ständlich genug, Wir vergleichen z. B. in seiner „Geschichte der 
griechischen Philosophie” (1854) die Teleologie des Aristoteles 
(S.271 vgl. S. 268). Da hat zwar Aristoteles grolsartige Ver- 
dienste, aber es ist doch nichts mit ihm; denn Aristoteles, der 
Scholastiker vor der Scholastik, ist nicht Herbart. „Aristoteles 


114 Sitzung der philos.-histor. Klasse vom 18. Februar 1856. 


nimmt den Begriff der Zweckursache zu unbestimmt und allgemein, 
ganz davon abgesehen, dals der Zweck im objectiven Sinne gar 
nicht Ursache ist und sein kann (?), sondern nur accessorisch (!) 
in das Verhältnils zwischen Ursache und Wirkung eintritt”. Aller- 
dings ist diese Ansicht eine starke Abweichung von den Begriffen 
aller Zeiten, wenn der Zweck, der sonst allgemein causa finalis 
heilst, keine Causalität sein soll, und es ist ein Abfall von dem Ziele, 
wenn der Zweck nur accessorisch in das Verhältnils zwischen 
Ursache und Wirkung eintritt. Es kommt doch vielmehr darauf 
an, den Zweck in einem letzten bestimmenden Gedanken und in 
ihm als causal zu finden, damit aus diesem Ursprung das Ideale im 
Realen hervorgehe. 

Eine Metaphysik, welche die Erfahrung begreiflich machen 
will, und doch das Ideale im Realen, worin die Erfahrung über 
sich selbst hinaus und auf ein Unbegriffenes hinweist, unberührt 
läfst, wird ihrer eigenen Aufgabe nicht genügen. Weder die Er- 
kenntnifs des Organischen noch die Erkenntnils des Ästhetischen 
und Ethischen hat in Herbarts Metaphysik ihre Wurzeln. 

Der Zwiespalt, welchen nun in der Auffassung ihre eigenen 
Anhänger zeigen, und die Ergänzungen, welche sie und zwar an 
verschiedenen Stellen, jeder an andern, für nöthig erklären, die 
Zugeständnisse, welche sie nicht bergen, und die wesentliehste Ab- 
weichung in Grundgedanken, sind schwerlich geeignet, die Zweifel 
des Gegners zu heben oder das Ansehen dieser Metaphysik in den 
Augen Dritter zu befestigen. Wenn über die Wissenschaft, 
welche den Widerspruch aus den Erfahrungsbegriffen wegzu- 
schaffen bestimmt ist, ein solcher Widerspruch zwischen zweien 
Vertretern ausgebrochen ist: so darf erwartet werden, dals die 
Schule ihre Methode der Beziehungen zunächst auf diesen Punkt 
richte und den Widerspruch ausgleiche. Bis dahin mag die bis- 
herige Erörterung der Streitfrage genügen. 

Wenn wir mit Leibniz wenig vom Widerlegen, aber viel vom 
Darlegen halten sollen, so sei zum Schluls der Wunsch gestattet, , 
dafs der Leser in der Widerlegung die Darlegung nicht vermisse 
und in dieser Beziehung die Begriffsbestimmung der Nothwendig-. 
keit und die Begrenzung des Princips der Identität beachten wolle. 


Gesammtsitzung vom 21. Februar 1856. 115 


Herr Trendelenburg gab hierauf der Klasse noch die 
Nachricht, dafs sicherm Vernehmen nach zu Amsterdam in dem 
Waisenhaus der frühern Collegianten (Rhynsburger), welches jetzt 
der Gemeinde der Taufgesinnten gehört, edirte und unedirte Briefe 
Spinoza’s, so wie eine holländische Handschrift von Spinoza’s 
Ethik, aufgefunden seien. 

Ferner wurde ein Brief des Hrn. Geel zu Leiden vom 4. Febr. 
d. J. betr. ein zugleich damit übersandtes Exemplar der Inschriften- 
sammlung von Pighius, vorgetragen. 


21. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Böckh trug folgende Abhandlung des Hrn. Dr. v. Vel- 
sen zu Athen über das athenische Psephisma für Phormion und 
Karphinas vor: 

Hr. Pittakis hat in der Athener ehyusgis doymıoroyızy Heft 33 
n. 1309 ein auf zwei Akarnaner Phormion und Karphinas bezüg- 
liches Psephisma herausgegeben, welches nach dieser Abschrift von 
Meier in der commentatio epigraphica II. p. 98 sqq. und von Ran- 
gabe in den Antiquites Helleniques II. n. 2280 behandelt worden 
ist. Das Material ist Pentelischer Marmor; die Platte milst bei 
54 Cm. Höhe 45 Cm. Breite und 9 Cm, Dicke. Sie ist nach An- 
gabe des Hrn. Pittakis von ihm am 5 December 1852 westlich von 
den Propyläen (das heilst doch wohl: westlich von der zu ihnen 
führenden Treppe) gefunden worden und soll als Schwelle eines 
Hauses gedient haben. Eines dieser Daten mufs irrthümlich sein; 
denn damals umfaflsten die Arbeiten des Hrn. Beul& den ganzen 
Raum zwischen der Treppe und den westlichen Bastionen. Der 
Stein ist jetzt im Museum bei der sogenannten Stoa des Hadrian 
aufgestellt. Der obere und untere Theil sind verstümmelt, doch 
so dals unten nichts als das Namensverzeichnils der Akarnaner fehlt; 
die rechte und linke Seite sind dagegen, wie auch schon Hr. Pit- 
takis bemerkt hat, in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten. Die 
Schrift ist, wo sie unverletzt geblieben, tief und deutlich, großsen- 
theils aber stark beschädigt und nur mit Mühe lesbar; ich glaube 
jetzt nach ungefähr 30 Mal, bei verschiedener Beleuchtung wieder- 
‚holter Revision für die Richtigkeit des als erhalten Angegebenen 


116 


Gesammtsitzung 


., 


einstehen zu können. Eine sichere Ergänzung vieler Stellen wird. 
jetzt erst möglich, zumal sich hat feststellen lassen, dafs die Zeilen 
erony4dov geordnet sind und eine jede, nur mit Ausnahme von 
Z. 16, 23, 35 und 37, At Charaktere zählt. Keine Zeile ist in ihrer 
vollen Breite auf uns gekommen; der Schlufs ist meist unversehrt 
geblieben, die Anfänge lassen sich höchstens von der zweiten Stelle 
(Z. 13 und 19) an verfolgen. Ich gebe in der beigefügten Tafel 


den 
nen 


in Minusceln. 


10. 


15. 


20 


Grundtext, soweit ich ihn zu erkennen vermochte nebst mei- 
durch Klammern bezeichneten Ergänzungen, sowie das Ganze‘ 


’Emı Xaıpwv]dov agy,o[vros Em Seen nn ns 100g E. de 

ns]e[gvrelses, 1 ®..... 

Zye]en[ue]rever, OaayrAl[ıwvos 

....ı [77] roUraVeias. ra]v mgoEdgun e]rebr[p][gev 
’Eoxievs‘ edogev [a] [Oruw . . .[semros “. 

"unnn. Eüg Eimev, megi wv 08 Alzagvälves Aeyovsfı So- 

erat Jwv zaı Kasbivas 0: [v!:To' &[Sövrles, dsdoy,Saı [r& 

dnu]w ereidy Poguiuv #0 Kaof pi ]vas ovrsc margo| Ie- 

v ir]oı 700 dyuou 700 "ASyvalov dıaburdrrovsw [r4- 

v eu]vorev, Yu or meoyovor aurois mugedorcv meös [Fr6- 

v Ö]auov v ’Adyvaiwv zo vor Bon Yravr[es w]er& S[v- 

ven ]zws Fuvaarerdrrovro uert Adyvaio[v 26] rı 6 [s- 

r]oarnyos mageyye[?r]aoı, Emawercı auro[üs age |r7s [E- 

vera] zu: oredavärcı Erarsgov aurav Yeush oreh[d- 

vo]e . [E]reıöy ö8 Boo[u uva rov Bopminvos Zar Kas[p]v[e 

manno]v eroınsaro 'ASyvalov 5 Öfuos 6 "Adyvarwv »[e- 

ı rJofüs] &xeivov [exyoJvovs zer ro Inpıoue, zu F cä [?Jor- 

o1]Js Zyzvelr]o, avayleı, o]rasar &v drgomore * ei[ver] Bop- 

rJavfı ze] Kappilve] zer Fors Eryovos aurwv zugie- 

v rn)» [dwgeı]av, yv [Edwz]ev 5 87fu]os Bogen: TU Fanmu- 

ı «]ö[r ]Jo[v 2 El Se]e [8: alöroö[s] purA[v]zar Sruov zer Po«- 

reiav, 45 av BolvAswrar] zivaı * Emamwercı de ar Toüs 

ara ]ofvs "Ara ]o[vaves r]Jous BoySyravras werd Dopnin- 

vos z]efı Ka]opfva zer] ewefr] «ufr]eis Eus av zartrSwr: 

v Eyarysw wv av] ofizı]av Bovawwrai oizoösw ’ASyuy- 

ww &rsAssıw 12r0r]z[ 2 Jov ze] dıdovar auroüs örzee| s 

zo TUyy,avsw ir Jofv a[eg ASywaio[v] za res eirdopes 


€ 2 aA ’ x , x 
more av] ylıylrlavre: n]ere "ASyvaroy einigem zer 


vom 21. Februar 1856. 147 


emmersicte] [e]ülrwv nv Lovrfav] auV deı Boursvous- 
30. av »]eı ro[v]s oroe|r]nyo[vs] or afv] de oroaryyWaı, Orws 
av un adızav]reı. [evaysa]V[e]: [8]: #082 #0 Iapısue Zu or- 
nn] S[eon]e Fofv yocım |ere[e] r[#]s Rovrns zur orara 
ev &]z20m0[Re]ı, avey[oal ]eı de »[e]: 7« övouare rav "Azap- 
vevjuv eis ryv aürfav rn ]Anv Üroyaaıbavree TS mOAsı- 


& 


s n]s "Arapvavfies wv ic E]e[er]ros Esrıv * eis de riv dve- 
yec p[r ]v ras arn[Ans dolvar] rov ramiav To Önmov ro 
yoaumerei] r|As Bovrns rle[:z#]ovr« [S]eaxuas Ex Tüv zar- 
[« Unpisuere dvenıszontvu] r[& dr ]u[w.] 

Bogutuve Kagpivar 

ö öz[«Jo[s] 6 Ö7Wos 
Über die Zeit der Abfassung dieser Urkunde hat Meier 
a. a. O. ausführlich gehandelt; er setzt sie, wennschon er 
nicht ausschlieflst, dals sie auf uns unbekannte Thatsachen Be- 
ug nehmen könne, in Ol. 114, 1, wo die Athener bei der 
unde von Alexanders Tode, im Thargelion dieses Jahres, im 
Verein mit andern Städten und Stämmen, unter denen äuch 
die gesammten Ätoler (Diod. 18, 11) und zu ihrem Bunde ge- 
hörige Akarnaner (Paus. 1, 25, 4) genannt werden, ihre Frei- 
heit wiederzuerlangen suchten. Rangab& dagegen vermuthet, 
dals sie aus der Zeit des Antigonos stamme und mit den Be- 
gebenheiten des Chremonideischen Krieges in Verbindung zu 
setzen sei. Schon Meier hat mit Recht in dem darauf bezüg- 
lichen Katalog der Athenischen Bundesgenossen (2b. «oy,n. 1) 
die Akarnaner vermilst. 
Wir bemerken zunächst, dals die Einleitungsformel die 
spätere mit ö dev Emeinpıgev ist, für die sich der älteste Be- 
lag aus dem Archontat des Lysistratos, Ol. 102,4 (C.1.n.85 e) 
beibringen läfst, während die früher gebräuchliche auch neben 
dieser bis auf Molon, Ol. 104, 3 (&$. n. 412 und 1388')), Kal- 
limachos, Ol. 107, 4 (Rang. Ant. Hell. II. n. 397°?) und The- 

- *) Beiläufig bemerke ich, dafs mit n. 1388 das kleine Fragment 

‚A011 = 1971 zu verbinden ist. 

_?) Pittakis anc. Ath. p.501 hat ETINIKOMAXOY. Herr Rangabe, 
ler diese jetzt nicht mehr wiederzufindende Inschrift nicht aus jenem Ab- 
druck, sondern aus dem Manuscript des Hrn. Pittakis entlehnt, hat da 
ENIKAMMAXOY gelesen, welches er in &ml Karrıuaxov emendirt. Jeden- 
falls ist letzteres wahrscheinlicher, als &ml Nixouaxov. 


118 Gesammtsitzung 


mistokles, Ol. 108, 2 (&#. n. 300) herabgeht. Dagegen läfst 
es die durchgängige Anwendung des OY°’) und EI*) nicht 
rathsam erscheinen, über Ol. 107 hinaufzusteigen. Die andere 
Grenze bezeichnet das Fehlen der 2zzXyri« und der aunmgoedsor, | 
sowie die Erwähnung des Yoaumarsüs sus Rourgs. Was das 
erste Argument anbetrifft, so könnte jene Weglassung unwe- 
sentlich scheinen, da in manchen Urkunden die eine oder die 
andere sonst übliche Angabe unterblieben ist, wie die des 
Schreibers der Prytanie in 2p. n. 41 und 1077, oder des Tags 
des Monates und der Prytanie in &&. n. 158, 1043, 1303, 1452, 
anderer Unregelmälsigkeiten (2$. n. 404, 1364) nicht zu ge- 
denken. Doch dürfte sich aus den nachstehenden Daten in 
dieser Hinsicht eine gewisse Gruppirung ergeben. ’ExzAyri« 
fehlt in den Psephismen unter Agathokles, Ol. 105, 4 (c#. 
n. 1630), Kallistratos, Ol. 106, 2 (C. I. n. 90), Phrynichos, 
Ol. 110, 4 (eb. n. 1043, 1303 und 1305), Kephisophon, Ol. 
112, 4 (&$. n. 2041), Niketes, Ol. 112, 1 oder Hegesias ’), 
01.114, 1 (&$.n. 1963), Kephisodoros, Ol. 114, 2 (&. n. 404), 
sowie in den vor Ol. 115, 3 fallenden Inschriften C. I. n. 96 
und &$. n. 32°). Das Jahr von n. 1428 der :$. aoy, lälst 


®) S. Franz. Elem. epigr. Gr. p. 149. 

*) $. Franz. a.a. O. p. 150. E für El findet sich noch unter Phry- 
nichos, Ol. 110, 4, s. Rang. n. 413, 3. 

°) Die vollständigste Breite nach rechts findet sich in Z. 7, wo der 
Stein E.AO/ „also &@döun, nicht &xrn (Pitt.) oder öväry (Ra.), hat. Bis 
zu der unversehrt gebliebenen rechten Seitenfläche ist noch Raum für ein 
Zeichen. Ergänzt man diese Stelle, so bleiben 6 für den Namen des Ar- 
chon. Unter Berücksichtigung der Orthographie könnte nur an Archias 
gedacht werden. Aber Ol. 108, 3 war ein Schaltjahr, während in dieser 
Inschrift der 7te Tag der Sten Prytanie auf den 19ten Elaphebolion fällt. 
Es sind also 7 Stellen für den Archon zu reserviren. ’EAzivov ist unwahr- 
scheinlich, die Wahl zwischen N:ixyrov und ‘'Hyysiouv schwer zu treffen. 

6) Dort kommt der ypaunarsis xara mpuraveiay vor, aber noch nicht 
die suurpeeögo.. Diese Urkunde scheint also nach dem, was in Anm. 11 
und 12 gezeigt werden wird, zwischen Ol. 110, 4. und 115, 2 zu fallen. 
Die Schreibweise MPYTANEAI in Z. 15 berechtigt uns jedoch, die Ab- 
fassungszeit mehr der ersteren Grenze zu nähern. 


vom 21. Februar 1856. 119 


Jieh nicht feststellen’). Der Zusatz 22zAyri«, erhalten oder 
loch sicher ergänzt, begegnet uns zuerst unter Aristophon°), 
1.112, 3 (<$. n. 1407), dann unter Kephisodoros°), Ol. 114, 2 
&p. n. 419), Philokles, Ol. 114, 3 (&$. n. 371 und Vischer, 
pigr. u. arch. Beitr. a. Gr. S. 63) und in allen späteren Be- 
chlüssen '°), mit alleiniger Ausnahme von C. J. n. 96. Fünf 
ecrete, nämlich ©$. n. 27, 83, 265, 378, 1609, in denen die 
Brgdedgcı noch fehlen, gehören vor Ol. 115, 2, ohne dals 
ich etwas Genaueres ermitteln lielse. Eine strenge Grenze 
st sich mithin nicht ziehen; Angabe und Weglassung der 
PAnric kreuzen sich, ja das Jahr des Kephisodoros bietet Bei- 
es. Dennoch steht im Grofsen und Ganzen fest, dals der Zu- 
atz der 2z=%40i« ein relativ späterer und spätestens von Ol. 115 
n üblich geworden ist. 


”) Dürfte vor Ol. 111 fallen, sofern in Z. 12, 13 richtig ergänzt 
ird: PP[OZAFATENAYTONTPOZTONAHM]JON, s. Anm. 4. 

*) Der Stein hat OPNN”, was nur”’Agıorop@vros gewesen sein kann. 
32te (34te?) Tag der 9ten Prytanie fällt hier auf den 14ten Tharge- 
on. Es war also ein Schaltjahr. Das einzige noch übrig bleibende 
Snbirobärros palst nicht, da nach 26. 941=2041 (Rangabe n. 419 ergänzt 
\ier unrichtig Kupivo[d4peu], Pittakis Knpiro[öfreu]) die im xal 16 des Pya- 
\epsion dieses Jahres der 11te Tag der Aten Prytanie ist, was nur in einem 
zemeinjahr zutrifft. 
 ?) Bei Pittakis unvollständig, Rangabe n. 483 hat in Z. 18 richtig 
OAQ, was im} Kroı]ooöw[pov ist. 
4°) Die Inschrift 2$. äpx. n. 1411 (Ra. o. 2309 und mit mehreren 
Tarianten n. 429) scheint in das Jahr des Neächmus, Ol. 115, 1, zu ge- 
hör Was ich nämlich auf dem Stein zu erkennen vermochte, ist 
jovarx. Nach der gewöhnlichen Berechnung ist dieses ein Gemein- 
hr, und doch kann Z. 4, 5 nur folgendermalsen gelesen werden: 
\MMATJEYENTOZIAE2[NOZYZTEPOYT 

— ETPA]JAIEMIAEKAEK[THIKAITPIAK 
OzZTHI] 
ras offenbar auf ein Schaltjahr hindeutet. — ’E$. dpx. n. 953 setzt Ran- 
se (n. 395) allein wegen der Erwähnung der Phocenser (Z. 12) in 
107, 1. Dieses Argument ist durchaus unzureichend. Da das Ende 
e "Zeilen nach rechts hin bestimmt ist, so bleiben für den Namen des Ar- 
in 11 Stellen; dieses und das Fehlen der ouurpoedrc: sind die einzigen 


aten. 
| T1ss6.] 9 


120 Gesammtsitzung 


Die Fummodeögoı lassen sich sicher erst aus Ol. 115, 21n 
nachweisen; sie finden sich auch in sämmtlichen späteren Pse- 
phismen, während sie unter Kephisodoros und Philokles (s. oben) 
noch nicht genannt werden. Endlich haben wir in Z. 32 un- 
serer Inschrift den ygaunareus rs Rovrns, der sich nicht über 
das Archontat des Philokles hinab verfolgen lälst. Bald da u 
scheint die Bezeichnung ygauuareüs zura mouraveiev, welcht 
bisweilen auch schon früher'?) gebraucht worden ist, jene 
gänzlich verdrängt zu haben. So finden wir sie durchweg it 
den nächsten bestimmbaren Urkunden, bald nach Pherekles 
Ol. 119, 1 (Meier comm. ep. I. p. 17), unter Euktemon, Ol 
120, 2 (&p. n. 1372) und in einigen jüngeren, die bei Böckh 
Staatsh. d. Ath. I. S. 256 b zusammengestellt sind '?). | 

Wir haben somit die vorliegende Inschrift zwischen Ol. 
und 115, 2 anzusetzen. Es wäre jetzt noch der Name 
Archon zu ermitteln. Für denselben bleiben, die volle Breite 
von 41 Stellen für die erste Zeile vorausgesetzt, 9 übrig. Was 
sich von ihm erhalten hat, der rechte Schenkel eines A mi 
dem von etwa der Mitte der unteren Hälfte desselben aus 
gehenden horizontalen Strich, dann eine rundliche, auf O deu. 


11) S, Corp. In. n. 96. Schömann setzt diese Urkunde in Ol. 114,3 
also unter Philokles; doch finden Wir in beiden | aus diesem ‚dohte auf un 


Anm. 10, scheinen sie auch schon vorzukommen. 
12) Über den Gebrauch dieser Bezeichnung vor Ol. 114, 3 s. Böc n 
St. d. Ath. 1. S. 258. Wir haben sie schon unter Phrynichos, Ol, 110, 


graphie n. 27 nicht bezeichneten) Aötom stand, und n. 32. 

13) Vor Pherekles dürfte &$. n. 357=1455 gehören. Dieses Decrel 
hat, wie Rangabe richtig bemerkt hat, Bezug auf das unter Philokles abge: | 
falste (n. 371); möglicherweise standen auch beide auf demselben Stein 
Den bisherigen Herausgebern ist es entgangen, dals sich am oberen Rand 
der Platte (£$. n. 357), durch einen Zwischenraum von dem Übrigen ge 
trennt, der Schluls eines anderen Decretes erkennen lälst: NLılX \..POJ 
orjüras &v [üx]pofrorsı? 


vom 21. Februar 1856. 121 


ende Vertiefung und der untere Theil eines Y, führen auf 
inen Genitiv auf «ov oder, da kein hierzu passender Name 
ich beibringen läfst, auf öov oder Aov. Das Natürlichste ist 
edenfalls 4 für A zu nehmen, findet sich dafür ja auch ein 
vollständiges A, wie in 2d. &g%. n. 1630, 2 AITHIAOZ und 
„19, 1 MTAPEJAOZAN'*). Für A kommt freilich auch A vor, 
ie in &p. n. 1612, 2 ...O®IAOZ, doch konnte das in Frage 
stehende Zeichen eher aus A als aus A corrumpirt werden. 
Von den beiden allein in Betracht kommenden Namen, Chä- 
rondas '°), Ol. 110, 3 und Pythodelos'°), Ol. 111, 1 ent- 
scheiden wir uns also für den ersteren. 
Unsere Inschrift ist ein Volksbeschluls zu Ehren der Akar- 
maner Phormion und Karphinas, zweier Brüder oder Vettern, 
die, eingedenk des von ihren Vorfahren den Athenern bewie- 
senen Wohlwollens, durch ihren Anhang die Athenischen Streit- 
kräfte bereitwillig unterstützten und nun dafür belobt und mit 
goldenen Kränzen und der Erneuerung des ihrem Grofsvater 
Phormion ertheilt gewesenen Bürgerrechtes für sich und ihre 
Nachkommen belohnt werden. Demnächst wird ihnen auch ge- 
stattet, sich Phyle, Demos und Phratrie selbst zu wählen. Auch 
die übrigen Akarnaner, die jenen beiden Führern gefolgt wa- 
ren, werden belobt; man gewährt ihnen aufserdem bis zur 
Rückkehr in die Heimath das Besitzrecht von Häusern, Be- 
freiung vom Schutzgelde — der Passus über ihre Rechtsver- 
hältnisse ist nicht sicher herzustellen — und rücksichtlich der 
Vermögenssteuer Gleichstellung mit den Bürgern. Sie werden 
dem Schutze des Rathes und der Feldherrn empfohlen und ihre 
Namen sollen, mit Angabe der Vaterstädte, unter dem Ehren- 
decrete des Phormion und Karphinas verzeichnet werden. 

Auf welches Ereignils mag nun ferner diese gemeinschaft- 
liche Operation Athenischer und Akarnanischer Streitkräfte Be- 


1%) Die &$ru. px. hat beide Male A, Rang. n. 393 A, n. 834 A. 
1°) Dieses ist die richtige Form des Namens, wie sie sich in C. I 
n. 251, &6. n. 110, 10 und in den Seeurkunden, s. S. 19, findet. 
1°) So nennen ihn die Seeurkunden (s. S. 19) und ziemlich deutlich 
auch &$. äpx. n. 114, C 11, woselbst aber diese Form von den griechischen 
Herausgebern verkannt worden ist. 
g* 


a 


122 Gesammisitzung 


zug haben? Man denkt zunächst an einen Kriegszug der 
Athener nach Akarnanien; doch wir kennen um jene Zeit nur 
das Unternehmen des Jahres Ol. 109, 2, von dem Demosthenes, 
der selbst zur Leitung der bezüglichen Verhandlungen als Ab- 
gesandter dorthin gegangen war, in der Rede gegen Olym- 
piodoros $. 24, 26 und Äschines gegen Kies. 8. 97, 256 spre- 
chen, und dieser Annahme würde das vu. ER RR: in Z. 11, 
das sich nicht auf eine Reihe von Jahren zurückbeziehen läfst, 
entgegenstehen. Es ist aber nicht nöthig einen Zug nach. 
Akarnanien vorauszusetzen; der Anschlufs des Phormion und Kar- 
phinas an die Athener kann auch anderwärts statt gefunden 
haben. Im Metageitnion Ol. 110, 3, mithin 9 bis 10 Monate 
vor Abfassung unserer Inschrift, war die Schlacht bei Chäronea 
geschlagen worden, s. Plut. v. Cam. c. 19. Vielleicht focht 
hier jene Schaar Akarnaner an der Seite der Athener und wäh- 
rend die Namen anderer Stämme, die den Athenern Beistand 
leisteten, überliefert sind, ist möglicherweise wegen der ge-' 
ringen numerischen Stärke der Akarnaner das Gedächtnifs dieser 
Genossenschaft nicht auf uns gekommen. Obgleich anfänglich‘ 
die Gefahr durch die plötzliche Besetzung Elateas äufserst nahe 
erschien, so trat doch durch die Verhandlungen Philipps mit 
Theben und, als diese für ihn nicht den erwünschten Erfolg‘ 
gehabt hatten, durch das Heranziehen von Verstärkungen (Diod. 
16, 85) ein Verzug ein, der auch den Euböern, Megarern und 
Korinthern (Strab. 9 p. 414; Luc. Dem. enc. $. 38) die Mög- 
lichkeit gewährte, sich an dem Kampfe für Griechenlands Frei- 
heit zu betheiligen. Auch Akarnanische Streiter konnten recht- 
zeitig auf der Wahlstatt vor Chäronea eintreffen; nur 3 bis 
4 Tagemärsche waren dazu erforderlich. 

Im Folgenden glaube ich unter Hinweisung auf den Meier- 
schen Abdruck der Anführung der vielfach abweichenden Lese- 
arten der ähnusgis aoymıoAoyızy überhoben sein zu können. 

Z. 1. Weder Name noch Zahl der Prytanie lassen sich mit! 
Sicherheit herstellen. Bei Erwähnung des Thargelion (Z. 3) 
kann natürlich nur an die 9te oder 10te Prytanie gedacht wer- 


den; mit äv@rys würde nur “IrroSwvridos, mit dszarys nur 
Tlevdtovidos oder "Azasevridos die Lücke füllen. Aber mehr lälst 
sich nicht bestimmen, da es ungewils bleibt, welcher Tag der 


vom 21. Februar 1856. 123 


"ten Prytanie auf den iten Thargelion fällt; es sind hiefür 
verschiedene Daten aus den Jahren des Aristophon und des 
Philokles vorhanden, die wie das des Chärondas Schaltjahre 
aren. So war in dem ersteren der ite Thargelion der 
19te (21te?) Tag (s. &p. @. n. 1407) und in dem zweiten der 
te Tag der I9ten Prytanie (s. <p. n. 371). Jeder dieser An- 
sätze bietet verschiedene, die 22 disponiblen Stellen füllende 
"Combinationen, zwischen denen sich nicht entscheiden läfst. 
\Z. 4. Ich ergänze ?]re\y[h].[2ev gegen die Gewohnheit der 
meisten Herausgeber von Inschriften. Die Attiker aber haben 
in den Einleitungsformeln der Psephismen stets Imperfecta ge- 
braucht, wie 7oxev, Emguraveuev, Emesrareı, Eygauuarsuev, und so 
auch &rebypıgev d.h. 4v 5 Erulnoiuw. Wenn auch der Aorist 
in einem Decrete bei Demosthenes g. Timokr. $. 71 erscheint, 
so ist doch dem fast einstimmigen Zeugnisse der Inschriften 
nehr Gewicht beizumessen. Das Imperfectum steht in C. I. 
. 85, in 2b. a@oy,. n. 1, 28, 32, 41, 57, 127, 350 (wo Cur- 
ius de port. Ath. p. 47 in der Minuscel ohne allen Grund 
ereLypırev emendirt), 371, 404 (wo meine.Copie ETMEYHÖITEN 
| at), 939, 953, 1031, 1056, 1059, 1372, 1393, 1397, 1428, 
1454, 1457, 1458, 1609, 1996, 2455, 2456, bei Rols Dem. v. 
| tt. p. VII und Rang. II n. 447. Einen neuen Beweis für 
unsere Behauptung finden wir bei Meier comm. ep.n. 9 = 64, 
vo (Z. 5) der Steinmetz selbst den Aorist in das Tip 
rbessert und IXTEN geschrieben hat. Diesen 29 Belagstellen 
gegenüber kann es durchaus kein Bedenken haben, auch in C. 
.n. 96, 111 und 124 die Variante &re\ypıgev aufzunehmen 
und in n. 105, wo sie vielleicht zufällig nicht existirt, eben- 
alls das Imperfectum herzustellen. Z. 5. Der Vorsitzende ‘aus 
dem Demos Ercheia, also aus der Ägeis, war nach dem, was 
zu Z. 1 bemerkt worden ist, ein non contribulis, wie immer- 
der auf eöc&ev folgenden Lücke hat, wie aus Z. 7, 8 her- 
vorgeht, ru Öyuw gestanden. Der Name des Antragstellers 
leibt ungewils, vielleicht Kru]sımmos [—Asurro]evs, der O1. 106, 
eher der Schiffswerften war, s. Seeurk. X ce 147. Z.6.7. 
ber Phormions vermuthliche Abstammung von dem gleich- 
namigen Athenischen Heerführer während des Peloponnesischen 
Krieges, hat Meier S. 101 ausführlicher gesprochen. Der Name 


124 Gesammtsitzung 


Kagpivas kommt hier zum ersten Mal vor; das Femininum Kan 
piwi« hat schon Meier aus C. I. n. 6644 beigebracht. Es ist 
_ ein dorischer Name wie Xwuzgivas und Kogzives oder Kgozivag 
(s. Lob. Path. p. 247), seine Wurzel z«gpos, verwandt -mit 
#pmoS. Ich brauche nur die Formen zagri5 und #ugdis, Kags 
zurröys (Anth. Pal. 9, 52) und KineepVrlöne (7, 260), ve 
rugcı und de bei Hesychius s. v. zu erinnern. —. 
Hierauf scheint oi veov &rSovrss gestanden zu haben, das Letz-. 
tere statt des üblichen Y#ovres.. Aus Z. 8. 9 marocSev Diror 
sowie aus Z. 21 SI puryv etc. ergiebt sich, dafs Phormion,, 
Phormions und Karphinas’ Grolsvater (s. Z. 16 und 20) von) 
dem ihm und seinen Nachkommen verliehenen Bürgerrechte 
entweder selbst keinen Gebrauch gemacht hat oder die Letz- 
teren es haben erlöschen lassen. In ähnlicher Weise wird 
margızn Elvore maos rov Önlov rov "ASyvaisv von dem Kydonier! 
Eurylochos prädicirt (C. I. n. 96), dessen Vorfahren nicht Bür- 
ger, sondern nur ira zaı zuvor Tj morsı gewesen waren; SO) 
ist auch der Ausdruck rargızor iro: zu verstehen, welchen der 
Macedonische Philipp von den Athenern braucht, s. Dem. g- 
Aristocr. p. 657 $. 111 und Meier de prox. p. 30. 2.11.12, 
Bemerkenswerth ist die Verbindung des vuv/ mit einem Präte- 
ritum. Z.12. Der Hiatus in usre "ASrveiwv ist in Z. 28 wie- 
derholt. Z. 13. magayıyErAeıw ist der stehende Ausdruck für das 
Befehlen der militärischen Oberen, so bei Thuc. 1, 121; 3, 55, 
Xen. Cyrop. 1, 2, 5; 2, 3, 21, 22; 4, 2, 27 und anderwärts, 
Z. 16. Die Ergänzung rarzov ergiebt sich aus Z. 20. Nach! 
emomsaro ist wegen eines Fehlers des Materials eine Stelle frei- 
gelassen; ebenso in Z. 20 nach «urav und in Z. 23 in £o 
nSyravres. Z. 17. Über die Richtigkeit der Ergänzung za 
Foug Exsivov Eryovous kann kein Zweifel sein. Die Erwähnung) 
der Nachkommen ist Regel, nur die Ausdrucksweise verschiedeny 


wie z. B. aürcv zur Zuyovous oder wurdv zu Tous Eryovovs würolı 
Unserer Fassung näher stehen die Worte in der Rede geg. d 
Neära p. 1345 "ASy4vatov eivar Hariwvae za roüg Eryavous Toug 
&zeivov. Das letzte Zeichen dieser Zeile kann nur H, das dritte 


7) So ist dort stalt x@ppvAal zu schreiben, wieschon aus der alpha‘ 
betischen Folge hervorgeht. 


vom 21. Feöruar 1856. 125 


er nächsten nur X gewesen sein; so ergiebt sich Jair[s:]s. 
. 18. ANAT hat offenbar vollständig ANAFEI gelautet. Die- 
es muls, wozu mir freilich eine Parallelstelle fehlt, den Be- 
riff des Erneuerns enthalten haben. Das folgende srfr«: hiels 
ann: ygalaı Ev oryan, nämlich eiver Porno: u. 5. w., eine 
rklärung, welche durch das Fehlen des ö2 nach eivar begün- 
tigt wird. Z. 20 ist #7]v [öwger]ev zu ergänzen, freilich eine 
eltene Form, die aber doch durch -C. I. n. 107 Z. 37 beglau- 
bigt und auch in der unsrigen sehr ähnlich gefalsten Stelle 
einer zeitlich sehr nahe liegenden Inschrift ep. 9%. n. 401, 
41—3 (Curt. inscr. Att. p. 12) [5 raır]ea@ % 809[&re......]e' ®) 
Tu anzu zur [ei aüreı Ö]wgsıei nicht zu erkennen ist. Die 
Verschiedenheit des Numerus bietet kein Hindernifs; ich ver- 
weise deshalb auf Demosthenes g. Lept., wo in Bezug auf die 
dem Bosporaner Leukon und seinen Kindern verliehenen Ehren 
8. 29 zyv Öwpecv, yv Üneis &dor wur; und 8. 33 TaUryv amo- 
Grepyra ryv Öugeev und dann 8.35 dzvgous eva TS mag ünav Öw- 
peus gesagt wird. Z. 21 statt des üblichen ygalasIuı purns 
etc., das, wie aus dem Accusativ Öf4ov hervorgeht, nicht zu- 
lässig ist, ist das in Inschriften hier zum ersten Male erschei- 
nende &?2:7°u: gewählt worden. Anders lassen sich die Zeichen 
..Z...| nicht ergänzen. Phormion und Karphinas werden er- 
mächtigt, sich selbst Phyle, Demos und Phratrie zu wählen, 
gegen die sonstige Gewohnheit, welche die Aufnahme in eine 
Phratrie den Kindern der Neubürger vorbebielt. Ausnahmen 
von diesem Gesetz waren bisher erst aus der Zeit der 12 
Stämme '°?) bekannt; das älteste Beispiel bietet die Einbürge- 
rung des Charidemos, von dem Demosthenes g. Aristocr. $. 65 
Sagt: Yueis Xastörov eromscauneIe mon zur da Ti Öwseis 
Tuurns Wereöwzalev Kür zaı teowv zu ÖTiwv zu vonilawv za 
mEvrwv oTWv meo aürcis werssrw Yuv, das nächste ist das in un- 
serer Inschrift enthaltene. Z. 24 schon Meier hat richtig be- 
merkt, dals die Worte &ws dv zarzrSwsw nicht nothwendig auf 
eine Verbannung und demnächstige Rückkehr in das Vaterland 
zu deuten seien, sondern auch letztere allein bezeichnen können. 


*%) Richtig bei Rang. n. 388, Pittakis und Curtius E. 
‘°) s. Hermann Staatsalt. $. 117, 12. 


126 Gesammtsitzung 


2. 25. v Eyaryow wv @v] o[izı]öv füllt die Lücke; oizıwv gie 
auch der Zusammenhang und die Charaktere O...QN. Da 
Zeichen A statt N (in &yzrycw) ist sehr verwischt, so dafs ic 
es erst bei einer der letzten Revisionen gesehen habe. Die 
Aenderung desselben in N ist zu leicht, als dafs es unsere 
Ergänzung im Wege stehen könnte. Dals bisweilen nur das 
Besitzrecht von Häusern verliehen wird, ist bereits aus C. L 
n. 90, 92 und 2. «x, n. 402 bekannt. Hier tritt nun noch) 
durch oixodsıw "ASyvnsıw eine neue Beschränkung hinzu. Schutz- 
verwandte haben keinen Grundbesitz, in Ausnahmefällen mag‘ 
hierzu die Erlaubnifs gegeben worden sein. Weder diese Ver- 
günstigung, noch die weiter unten folgende dreisız neroziou 
oder die Gleichstellung mit den Bürgern rücksichtlich der. 
ein dog, die sonst den Isotelen zugestanden zu werden pfle= 
gen, berechtigen zu der Annahme, dals man jene Akarnaner zu 
Isotelen gemacht habe. Ihre Rückkehr in das Vaterland stand 
in Aussicht und man scheint daher ihnen die förmliche Iso- 
telie, da sie erblich war (s. Ussing inser. Gr. n. 57, 27 und 
28), vorenthalten, dafür Vorrechte eingeräumt zu haben, welche‘ 
denen jener bevorzugten Classe um wenig oder nichts nach- 
standen. Z. 26. In Bezug auf das Sprachliche der Ergänzung‘ 
[@rer&sw neror]e[i]ev brauche ich nur an das Thukydideische‘ 
ÜroreAns cogov zu erinnern. Befreiung vom Schutzgelde ge- 
nossen auch die Sidonier, ohne darum Isotelen zu sein, s. 
Böckh St. d. Ath. I. S. 447. Z. 27. Die Lücke nach diz«s ist 
nicht sicher zu ergänzen. Es mag darin die Disposition von 
der den Metöken obliegenden Verpflichtung sich einen meosTernE 
zu wählen, oder im Gegensatze zu didovaı Öizes bei elwaigen 
Streitigkeiten mit Bürgern die Gleichstellung mit letzteren vor. 
dem Gesetze ausgesprochen gewesen sein. Die Stelle könnte 
also vielleicht za ruyyaven ir]o[u lag "ASnvaiofu] gelautet. 
haben?°). Z. 28. Nach eirpog«s ist vielleicht ein Zusatz aus- 
gefallen, der die gleiche Besteuerung der Akarnaner und Athe- 
ner, die schon in uer« ’ASyvaiov enthalten ist, noch deutlicher 
aussprach; es kann aber auch, wie bei Ussing inscer. Gr. n. 57, 
9 und 10 r&]s re zishogas ar|aoas as eb Jnpırrar 6 nos eficevsy-) 


*°) Ohne Artikel hat es auch Thuc. 5, 31, 3 inov &£ew. 


vom 21. Februar 1856. 127 


ei]v roüs uerorzous, ein Relativsatz, etwa [örosaı av]ylıy]o[wvre: 
gewesen sein. Z. 29— 31. Diese Worte kehren in manchen 
Urkunden wieder, wie z. B. in 2P. @ox,. n. 290, 401, 1032. 
Wie aus Z. 33 hervorgeht, ist der untere Theil dieser Schrift- 
platte, der die Namen und Vaterstädte der Akarnaner enthielt, 
verloren gegangen. 

Athen im Februar 1856. Dr. von Velsen. 


Hierauf gab Hr. Böckh eine kurze Übersicht einer eigenen 
Abhandlung, welche betitelt ist: „‚Epigraphisch-chronologische 
Studien”. Dieselbe schliefst sich an seine Schrift „zur Ge- 
schichte der Mondcyclen” an; sie enthält weitere Ausführungen 
einiger in letzterer behandelten Punkte und einige hypothetisch- 
aufgestellte Modificationen der Cyclen in Bezug auf Inschriften, 
deren Lesung Zweifel erlaubt, bezieht sich zum Theil auch gerade 
auf die von Hrn. v.Velsen in der obenstehenden Schrift bespro- 
chenen Gegenstände. Insbesondere hob der Verfasser heraus, 
dafs die von Hrn. v. Velsen gemachte Zeitbestimmung für das 
Decret Rang. N. 429 und 2309 = Ephem. arch. N. 1411 (Ar- 
chon Neächmos Ol. 115, 1), falls sich die Lesung des durch 
Sorgfalt und Genauigkeit ausgezeichneten Zeugen bestätigen 
sollte, eine grolse Schwierigkeit für die Feststellung des ohn- 
gefähr von Ol. 112, 3 in Athen gültig gewesenen Cyclus er- 
zeugt. Hr. Böckh behielt sich eine nähere Erklärung darüber 
vor, wie es möglich sei diese Schwierigkeit zu heben. 


"An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 
 Renier, /nscriptions romaines de l!’Algerie. Livr. 1. 2,3. Paris 1854. 
1855. folio. 
Kopp, Geschichtsblätter aus der Schweiz. Band 2, Heft 3. Luzern 
1856. 8, 
Bulletin de la societe geologique de France. Serie II. Tome XII, feuilles 
; 43—51. Paris 1855. 8. 
* Mnemosyne. Vol. V, fasc. 1. Leiden 1856. 8. 
_ Nachrichten von der Universität Göttingen, no. 2. Göttingen 1856. 8. 
Alhenaeum frangais, no. 7, Paris 1856. 4. 


128 Gesammtsitzung 


Reichardt, die chemischen Bestandtheile der Chinarinden. Braun- 
schweig 1855. 8. 
Cornet, Le guerre dei Veneti nell’ Asia 1470—1474. Vienna 1856. 8. 
Corrispondenza seientifica in Roma. Anno IV.no. 23. Roma 1856. 4. 
v. Maurer, Geschichte der Markenverfassung in Deutschland. Erlangen 
1856. 8. Überreicht von dem vorsitzenden Sekretar, Herrn 
Boeckh. 


Aufserdem wurde ein Schreiben des Hrn. Secretars der 
K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen vom 15. d.M. 
über den Empfang unserer Monatsberichte vom J. 1855 vor- 


gelegt. 


28. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr.v.d. Hagen las eine Abhandlung des Hrn, Mafs N 
vor, „Über die zu Wien entdeckte Goldinschrift eines Gothischen 
Reimgedichts, in Verbindung mit verwandten Gold-, Silber- und. 
Steininschriften”. 

Hr. du Bois-Reymond theilte einige neue ee 
logische Versuche des Hrn. Dr. R. Heidenhain mit. | 

1. GegenEd.W eber’s Beweis für die Verringerung des Ela- 
sticitätscoefficienten quergestreifter Muskeln während ihrer Thä- 
tigkeit läfst sich der Einwand erheben, dafs W eb er die elektrischen. 
Siröme, welche zur Erregung des untersuchten Muskels dienten, 
ohne Ausnahme durch diesen selbst hindurchleitete. Es war also 
die Möglichkeit vorhanden, dals der elektrische Strom in irgend 
einer Art direct den Elastizitätscoefhcienten des Muskels ver-. 
ringert. Genaue Messungen der Längen, welche ein Muskel unter‘ 
dem Einflusse eines Gewichtes annimmt, wenn er von dem nicht‘ 
unterbrochenem Strom einer Daniell’schen Batterie von 25 Ele- 
menten durchflossen ist, und wenn er aufserhalb des Stromkreises 
sich befindet, haben indefs gelehrt, dafs der elektrische Strom für 
sich die Dehnbarkeit nicht sichtlich vergröfsert, dals also jener 
Einwand nicht stichhaltig ist. 


vom 28. Februar 1856. 129 


2. Bei Gelegenheit dieser Untersuchung stellten sich da- 
gegen folgende neue Thatsachen heraus. Wenn man Frosch- 
muskeln durch lange Behandlung mit starken constanten galvani- 
schen Strömen oder mit den stärksten Inductionsströmen des 
Magnetelektromotors, durch längeres Eintauchen in Wasser von 
28—35° C. oder durch zwölfstündige Dehnung mittelst eines Ge- 
wichtes von 50— 100 grm. ihrer Erregbarkeit so weit beraubt, 
dals sie weder auf Schlielsung und Öffnung einer Batterie von 
etwa 25 Daniell’schen Elementen, noch auf die intensivsten Schläge 
des Magnetelektromotors mit einer leisen Spur von Zuckung ant- 
worten; oder endlich wenn man von Fröschen längere Zeit nach 
ihrem Tode Muskelpräparate nimmt, welche, der Todtenstarre 
nahe, sich gegen die obengenannten Erregungsmittel völlig reac- 
tionslos zeigen: so kann man allen diesen Muskeln die Fähigkeit, 
sich zu contrahiren, dadurch wiedergeben, dafs man den con- 
stanten Strom einer 25gliedrigen Daniell’schen Batterie durch die- 
selben eine gewisse Zeit lang hindurchleitet. Die Muskeln zucken 
dann: 

4) bei Öffnung des Kreises der Batterie, aber nicht bei Schlie- 
fsung desselben; 

2) bei Schlielsung eines gleich starken Stromes von entgegen- 
gesetzter Richtung, aber nicht bei Oeffnung desselben; 

3) bei Einwirkung der Inductionsströme des Magnetelektro- 
motors auf dieselben. 

Die unter diesen Umständen erzielten CGontractionen wach- 
‚sen, bis zu einem gewissen Maximum, mit der Schlielsungszeit des 
constanten Stromes, welcher die Erregbarkeit wieder hergestellt 


hat. Letztere geht bald verloren, wenn der Muskel aus dem 


Kreise des Batteriestromes entfernt wird, und zwar um so schnel- 
ler, je kürzere Zeit jener Strom durch den Muskel gegangen war. 
Durch neue Einschaltung des Muskels in den Kreis des con- 
stanten Stromes kann auch die Erregbarkeit von Neuem herge- 
stellt werden. 

Der aufsteigende Strom stellt, unter sonst gleichen Umständen, 
die Erregbarkeit in kürzerer Zeit und in höherem Grade wieder 
her, als der absteigende Strom. Jener wirkt auch noch zu einer 
Zeit, wo sich durch diesen keine Erfolge mehr erzielen lassen. 


150 Gesammtsitzung 


Wenn man den aufsteigenden und den absteigenden Strom 
gleiche Zeiten lang abwechselnd durch den Muskel gehen lälst und 
die jedesmalige Dauer der Schlielsung beider Stromesrichtungen 
allmählig steigert, so erscheinen in der Mehrzahl der Fälle die” 
Zuckungen in einer Reihenfolge wieder, entgegengesetzt der- 
jenigen, in welcher sie an frischen Muskeln bei sinkender Erreg- 
barkeit nach dem Zuckungsgesetze Nobili’s verschwinden. Dach 
kommen auch Fälle vor, in denen die Zuckungen nach einander“ 
entsprechend dem verkehrten Gesetze Nobili’s auftreten. 

3. Um Muskeln von ihrem motorischen Nerven aus in an- 
haltenden starken Tetanus auf mechanischem Wege zu ver- 
setzen, habe ich mit dem Anker eines von Hrn. Halske 
nach Wagner’s Princip construirten Stromunterbrechers ein 
kleines Elfenbeinhämmerchen verbinden lassen. Setzt man den 
Unterbrecher in Thätigkeit und lälst die Hammerschläge den 
auf fester, nicht metallischer, Unterlage möglichst wenig verschieb- 
bar gelagerten Nerven treffen, so geräth der zugehörige Muskel in , 
starke tonische Contraction. Von einer 1,5 Mm. langen Nerven- 
strecke aus lälst sich ein kräftiger Tetanus 2 Minuten und länger 
unterhalten. Wenn man den Nerven unter dem vibrirenden Ham- 
mer vom centralen zum peripherischen Ende hin ganz allmählig | 
durchzieht, so kann man der tonischen Contraction des Muskels 
eine nicht unbeträchtliche Dauer verleihen. Zur sicheren Lage- 
rung des Nerven und zur langsamen Fortbewegung desselben 
unter dem Hammer dient ein besonders eingerichtetes mit einer 
Rolle in Verbindung stehendes Tischchen, auf demselben Brette 
mit dem Unterbrecher durch eine Schraube befestigt. | 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: j 
Zeitschrift für Berg- Hütten- und Salinenwesen im Preufsischen Siaate, 5 
von R. von Carnall. Band 3, Lieferung 4. Berlin 1856. 4. 
Astronomische Beobachtungen auf der Kgl. Universitäts- Sternwarte zw ha 
Königsberg. 27. Abtheilung, 2. 'Theil. Königsberg 1856. folio. 
Annales de chimie et de physique. Tome XLV], 1. Paris 1856. 8. 


vom 28. Februar 1856. 131 


Vladimir Jakschitsch, Statistigue de Serbie, Livr. A. Belgrad 1855. 8, 

Der Herold der Gesellschaft für serbisches Alterthum. Heft 2—6. Bel- 
grad 1849—54. 8. Nebst Begleitschreiben, d. d. Semlin 20, 
Noy. 1855. 


Der Vorsitzende legte ein Schreiben des Hrn. Dirichlet 
d.d. Göttingen 27. d. M. als Erwiederung auf seine Ernennung 
zum auswärligen Mitgliede der Akademie vor. 


Nele 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat März 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Böckh. 


3. März. Sitzung der physikalisch-mathema- 
tischen Klasse. 


Hr. Poggendorff las „über eine neue Art von 
Ton-Erregung durch den elektrischen Strom”. 

Im J. 1837 machte Hr. Dr. Page zu Salem im Staate 
Massachusetts die interessante Beobachtung, dafs ein Hufeisen- 
magnet, vor oder zwischen dessen Polen er eine flache Spirale 
ln Kupferdraht aufgehängt hatte, zu tönen anfıng, so wie er 
durch die Spirale den unterbrochenen Strom einer galvanischen 
Kette leitete. Die weitere Verfolgung dieser Beobachtung 
‚durch andere Physiker, namentlich durch Delezenne, Beat- 
|son, Marrian, Matteucci, De la Rive und Wertheim, 
hat gelehrt, dals es immer nur der unterbrochene galvanische 
|Strom ist, der zu dieser neuen Tonbildung Anlafs giebt, und 
"dafs er zu dem Ende in zweierlei Weisen angewandt werden 
kann, einmal nämlich unmittelbar, indem man ihn geradezu 
durch die zum Tönen bestimmten Körper leitet, und dann ver- 
m ge seiner Wirkung in Distanz, indem man ihn in einem 

raubenförmigen Drahte um diese Körper herumführt. 
 — Solchergestalt sind diese Töne namentlich in Stahl und 
Eisen hervorgerufen worden, und wie es scheint nur in diesen 
[1856.] 10 


134 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Metallen. Wenigstens versichert Wertheim ausdrücklich, 
dals Stäbe und Drähte aus anderem Material weder nach der 
einen, noch nach der anderen Methode zum Tönen gebracht 
werden können. Und De la Rive, der in einer früheren 
Abhandlung sagt, er habe nach beiden Methoden auch aus 
Drähten von Platin, Silber, Kupfer, Messing, Argentan, Blei, 
Zinn und Zink Töne erhalten, modificirt diese Angabe in einer 
späteren Arbeit dahin, dals es nur geschehe, wenn zugleich 
ein starker Elektromagnet auf dergleichen Drähte einwirke. 

Die hier zu beschreibende Methode, auf welche der Ver- 
fasser durch eine zufällig im Herbste 1854 gemachte Beob- 
achtung gerieth, hat zunächst den Vorzug der grölseren All- 
gemeinheit, indem sich nach ihr unzweifelhaft alle Metalle zum 
Tönen bringen lassen; aber es sind auch noch andere Um- 
stände damit verknüpft, welche ihr für die Elektricitätslehre 
Interesse verleihen. 

Sie beruht ebenfalls auf Anwendung des unterbrochenen 
Stroms, jedoch ist es nicht eigentlich dieser, sondern der 
durch ihn erzeugte Inductionsstrom, welcher als Tonerreger 
anzusehen ist. Und es sind nicht Stäbe oder Drähte, in wel- 
chen die Töne hervorgerufen werden, sondern Röhren, ge- 
bildet aus Blechen oder Platten, welche die den galvanischen 
Strom leitende Drahtrolle umgeben. 

Der Verfasser benutzte zu allen diesen Versuchen eine der 
früher beschriebenen Hauptrollen '), die 5 par. Zoll in Länge 
und 5,5 p- Zoll in Umfang halten. Die beiden Drähte der- 
selben waren stets nebeneinander verknüpft, so dals sie eine 
einzigen Draht von 100 par. Fuls Länge und 1,4 Mllm. Durch- 
messer gleich kamen. Die Rolle wurde durch ein Stativ i 
senkrechter Stellung gehalten, solchergestalt, dals sie am un 
teren Ende mit der Quelle des galvanischen Stroms, die in 
der Regel nur eine einzige Grove’sche Kette war, dure 
Drähte verknüpft werden konnte. Über die somit freistehende 
Drahtrolle wurden, von obenher, die zu untersuchenden Röh- 
ren geschoben, die der Länge nach entweder ganz offen od 
durch Löthung ganz metallisch geschlossen, oder auch nur s 


*) Monatsbericht 1855, S. 16. 


vom 3. März 1856. 135 


weit zusammengebogen waren, dals die Ränder des Blechs ein- 

ander berührten. Als Material zu solchen Röhren wurde be- 
nutzt: Platin, Kupfer, Neusilber, Zinn, Messing, Zink, Blei 
und Eisen. 

Zur Unterbrechung des galvanischen Stroms diente ein 
Wagener’scher Hammer von eigenthümlicher Construction, um 
ihm einen möglichst leisen Gang zu verleihen, was nöthig 
war, damit er durch sein Geräusch nicht dasjenige verdeckte, 
welches Gegenstand der Beobachtung sein sollte. 

Die auf solche Weise angestellten Versuche haben nun 
zu folgendem allgemeinen Resultat geführt: Alle Metalle, 


das Eisen ausgenommen, geben keinen Ton, wenn 
sie entweder als ganz offene oder als vollkommen 
geschlossene Röhren die Drahtrolle umgeben. 
Stolsen dagegen die Ränder der Röhren blols an- 
einander, so lassen alle Metalle, auch das Eisen 
nicht ausgenommen, einen sehr deutlichen Ton 
vernehmen, der an Stärke und Klang verschieden ist nach 
den Dimensionen der Röhre, nach der Natur und Elasticität 
ihres Materials, nach der Intensität des Stroms, und auch nach 
anderen Umständen, deren sogleich gedacht werden soll. 

Das Eisen unterscheidet sich von den übrigen Metallen 
dadurch, dals es, — offenbar in Folge seiner Magnetisirbarkeit, — 
schon als ganz offene Röhre einen knisternden Ton giebt, nicht 
allein wenn diese die Drahtrolle umgiebt, sondern auch schon 
wenn sie blols daneben gestellt ist. Es ist offenbar derselbe, 
den man bereits früher beobachtete an Eisenblech, das in die 
Drahtrolle gelegt war. Aber dieser Ton ist weit schwächer 
als derjenige, welcher gehört wird, wenn die Ränder der Röhre 
sich berühren. Es scheint dann zu dem ersteren Ton noch ein 
weiter hinzuzutreten. 

Die Töne, welche man von Metallröhren mit einander be- 
enden Rändern erhält, werden offenbar hervorgerufen durch 
en Inductionsstrom, welchen die Wirkung des in der Draht- 
olle unterbrochen circulirenden galvanischen Stroms in der 
lasse solcher Röhren erregt; denn sie werden verstärkt und 
schwächt durch dieselben Umstände, welche einen derartigen 
nductionsstrom stärker und schwächer machen würden. 

10* 


136 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


So werden die Töne verstärkt, wenn man in die Draht- 
rolle einen Eisendrahtbündel schiebt, was daher bei den Ver- 
suchen des Verfassers auch immer geschah; und ebenso, ob- 
wohl natürlich in geringerem Grade, wenn man die Drahtrolle 
mit dem Condensator verbindet, was gleichfalls bei diesen 
Versuchen nie unterlassen ward. ; 

In noch auffallenderer Weise läfst sich die Schwächung 
der Töne darthun. Es ist dazu nur erforderlich, in eine tönende 
Röhre eine andere vollkommen geschlossene Metallhülle von 
geringerem Durchmesser so zu stellen, dals sie die inducirend 
Drahtrolle umgiebt. So wie man sie hineinstellt, hört da 
Tönen der weiteren Röhre augenblicklich auf; so wie man sie 
herauszieht, fängt es sofort wieder an. 

Selbst zwei des Tönens fähige Röhren von ungleiche 
Durchmesser liefern einen Beweis von dieser Schwächung. 
Gleichzeitig in einander um die Drahtrolle gestellt, tönen si 
vereint schwächer, als jede einzelne für sich. Manchmal ver? 
stummt die eine ganz. Zwei tönende Röhren von gleiche 
Durchmesser, übereinander um die Drahtrolle gestellt, störe 
dagegen einander nicht. 

Statt der innern geschlossenen Röhre, die z.B. aus Zin 
oder einem anderen nicht merklich magnetisirbaren Metall be 
stehen kann, lälst sich auch eine offene Eisenröhre anwenden. 
Sie wirkt ebenfalls, je nach ihrer Höhe und Wanddicke, schwä- 
chend oder vernichtend auf die Töne, nicht weil sich in ihr, 
wie in der geschlossenen Ziukröhre, ein Inductionsstrom bil 
dete, sondern weil sie durch die Drahtrolle umgekehrt wie da 
innere Drahtbündel magnetisirt wird, und somit diesem Bünde 
und der Kette entgegen wirkt. 

Der Zusammenhang der Tonbildung mit dem Inductions 
strom, wenn er noch eines ferneren Beweises bedürfte, geh 
auch daraus hervor, dals sie unabhängig ist vom Durchmesse 
der Röhren. Der Verfasser erhielt die Töne mit Röhren vo 
2, 4 und 8 Zoll Durchmesser, ohne dabei einen anderen Unter 
schied in der Stärke derselben wahrzunehmen, als denjenigen 
welcher sich aus den diesen Durchmessern nicht entsprechen 
vergrölserten Höhen der Röhren herleiten liels. Bei ange 
messener Höhe würde sich offenbar ein Hohleylinder von 


vom 3. März 1856. 137 


jeglichem noch so grolsem Durchmesser eben so gut durch eine 
einzige Volta’sche Kette zum Tönen bringen lassen wie eine 
' Röhre von nur Zollweite. 

Ist nun nach Allem diesem klar, dafs die in Rede stehenden 
Töne ihren Ursprung einem parallel den Windungen der Draht- 
rolle in der Röhre erregten Inductionsstrom verdanken, und 
fällt insofern diese Erregungsweise zusammen mit derjenigen, 
bei welcher der unterbrochene galvanische Strom direct durch 
einen Stahl- oder Eisendraht geleitet wird, so soll damit doch 
nicht gesagt sein, dafs die Tonbildung eine moleculare, ur- 
sprünglich in der ganzen Metallmasse vor sich gehende sei, 
wie es bei einem solchen Draht oder bei einer offenen Eisen- 
röhre sicher der Fall ist. Im Gegentheil hält der Verfasser 
es für unzweifelhaft, dafs die von ihm beobachtete Tonbildung 
zunächst ihren Sitz an der Stelle hat, wo die Ränder der Röh- 
ren einander berühren, dafs von dort aus Erschütterungen er- 
folgen, welche die Röhre in tönende Schwingungen versetzen. 

Die Töne sind auch nur ein secundäres Phänomen, wel- 
ches fehlen kann, wenn das Material der Röhre wenig Elasti- 
eität besitzt, z. B. aus Blei besteht. Das Primitive der akusti- 
schen Erscheinung liegt in einem trockenen Geräusch, einem 
dem Schlagen einer Taschenuhr einigermalsen vergleichbaren 
Ticken, welches sich an der Berührungsstelle der Röhren- 
ränder synchron mit den Schlägen des stromunterbrechenden 
Hammers vernehmen läfst und niemals fehlt. Es entsteht, wie 
sich durch einzelne Unterbrechungen des galvanischen Stroms 
überzeugend darthun läfst, nicht beim Schlielsen, sondern nur 
beim Öffnen der Kette, und wahrscheinlich auch beim Aufhören 
des dadurch erregten Inductionsstroms. 

Dieses Ticken allein, nicht das Tönen, ist es, dessen Er- 
"forschung dem Gebiet der Elektricitätslehre anheimfällt, und 
Ider Verfasser sich daher besonders zur Aufgabe machte, ohne 
jedoch bis jetzt eine vollständige Lösung derselben herbei ge- 
führt zu haben. 

Gleich dem "Tönen, läfst sich das Ticken, wenn man vom 
Eisen absieht, bei einer der Länge nach durch Löthung voll- 
"kommen geschlossenen Röhre, und um so mehr also vermuth- 
lich bei einem gegossenen Hoblcylinder, nicht vernehmen. 


138 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Selbst eine gelöthete Röhre, die man so weit aufgeschnitten 
hat, dafs über dem Schlitz noch eine Brücke von etwa einer 
Linie Breite stehen bleibt, giebt, wenigstens bei den vom 
Verfasser ins Spiel gesetzten Kräften, das tickende Geräusch nicht. 

Diefs zeigt, dals eine gewisse Aufhebung des Zusammen- 4 
hangs für das Entstehen dieses Geräusches nothwendig ist; 
denn dafs die aneinander liegenden Ränder der Röhre sich nicht 
so innig berühren, wie die Theilchen im Innern der Masse, ist 
wohl vorweg klar und wird auch durch Erscheinungen in an- 
deren Gebieten der Physik bestätigt. Unbedenklich kann man 
hier, auch bei scheinbar noch so guter Berührung, eine dünne 
Luftschicht zwischen den RKöhrenrändern annehmen, wie man 
eine solche selbst für die schwarze Mitte der Newton’schen 
reflektirten Ringe anzunehmen genöthigt ist. 

Bei dem Ticken zeigt sich der Einfluls des Abstandes, den 
der Verfasser somit zwischen den Röhrenrändern voraussetzt, 
zunächst dadurch, dals dasselbe, je mehr man die Ränder an- 
einander drückt, desto mehr an Stärke abnimmt; ja es ist nicht 
unwahrscheinlich, dals es bei hinreichend starker Compression, 
bei welcher sich die Theilchen nichtglasharter Metalle förm- 
lich ineinander drücken, ganz verschwinden würde, wie es 
andrerseits ‚gewils ist, dals, wenn es recht laut auftreten soll, 
die Ränder nur lose aneinander liegen dürfen '). 

Man könnte meinen, dafs mit verstärktem Druck auch die 
Zahl der Berührungspunkte vermehrt werde, und daraus die 
Abnahme des Geräusches entspringe. Allein, wenn diels auch 
für gewöhnlich der Fall gewesen sein mag, wo der Verfasser 
grölsere, hervorspringende und nicht vollkommen geebnete 


!) Bei Röhren von dicken Wänden, z. B. bei Zinkröhren von 1,5 
bis 2,5 par. Lin. Wanddicke beobachtet man zugleich, dals mit verstärkten 
Druck der Ränder gegen einander der Ton um mehrere Stufen in die Höhe 
geht, während das Ticken zwar schwächer wird, aber sein Tempo wie 
natürlich nicht verändert, da dieses von dem Gang des Hammers bedingt 
wird, mit ihm immer synchron bleibt. Bei solchen dickwandigen Röhren 
sind die Tonschwingungen offenbar blofs longitudinal oder peripherisch, 
während sie bei den dünnwandigen ganz oder theilweise transversal oder 
radial sind; denn erstere kann man ohne Störung des Tons mit der Hand 
anfassen, letztere nicht. 


vom 3. März 1856. 139 


Stücke der Röhrenränder aneinander brachte, so kann doch 
schwerlich im Allgemeinen die erwähnte Abnahme davon ab- 
geleitet werden. Denn wenn man eine Steck- oder Nähnadel 
winkelrecht gegen die Ränder zwischen dieselben einklemmt, 
so nimmt das Ticken, welches dann sehr laut ist, gleichfalls 
miı gesteigertem Druck ab, ohne dafs sich die Nadel nachher 
platt gedrückt erweist. 

Übrigens kann ein Theil der Röhrenränder in innigem 
Meaallcontact stehen, ohne dals. das tickende Geräusch ver- 
schwindet, sobald nur andere Punkte dieser Ränder einander 
lose berühren. So geräth die erwähnte, theilweis aufgeschnit- 
tene Röhre ins Tönen, so wie man in deren Schlitz eine 
Natel oder ein keilförmiges Stück Blech einklemmt. 

Dadurch erklärt sich auch eine Erscheinung beim Zinn. 
Wenn man ein Zinnblech um die inducirende Drahtrolle her- 
um»iegt und die Ränder desselben aneinander bringt, so kle- 
ber sie sogleich an einzelnen Stellen zusammen, werden förm- 
licı verlöthet. Dennoch zeigt sich das Ticken ausnehmend 
deutlich. Schmilzt man aber die benachbarten Ränder mit einer 
Lährohrflamme solide zusammen, so hört dieses Geräusch auf. 

Eine Hauptfrage bei dieser Untersuchung ist natürlich die: 
duch welchen Vorgang das tickende Geräusch an der Unter- 
breshungsstelle hervorgebracht werde. 

Zunächst könnte man an das Überspringen von Funken 
denken, aber dieses ist sicher nicht die Ursache des Geräusches. 

Allerdings sieht man Funken, wenn man die Röhrenränder 
vor einander trennt, — wie es scheint besonders dann, wenn 
es glückt, diese Trennung in dem Moment zu vollziehen, da 
der Hammer den galvanischen Strom unterbricht. Man sieht 
sie sogar, obwohl sehr klein, an einer Röhre, die wie die eben 
geninnte, nur theilweise aufgeschnitten ist, wenn man den Keil 
in cem Spalt herauszieht. 

Aber während die Ränder ruhig aneinander liegen, erblickt 
man selbst in vollkommner Dunkelheit keine Funken, trotzdem 
das Ticken ungestört fortgeht. — Der Verfasser hat die Haupt- 
role mit ihrer tönenden Metallhülle ins Vacuum der Luftpumpe 
‚versetzt, aber auch dort geschah das Ticken, ohne dafs der 


140 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


mindeste Lichtschein an der Unterbrechungsstelle der Röhre 
sichtbar war. 

Überdies haben die erwähnten Funken eine äulserst ge- 
ringe Schlagweite, wie das nicht anders als erwartet werden 
kann, wenn man bedenkt, dafs hier der elektrische Strom in 
einer ganz metallischen Bahn von wenigen Zollen Länge :r- 
regt wird. 

Bei einem leicht schmelzbaren Metall, wie Zinn z. B., 
sieht man freilich manchmal Funken einige Linien weit fert- 
springen; aber diefs ist doch kein wahres Überspringen, sın- 
dern ein Fortschleudern von geschmolzenen, glühenden ınd 
vielleicht verbrennenden Metalltheilchen, denn es geschi:ht 
meistens ganz aulserhalb der Richtung des elektrischen Strons, 
bald nach dieser, bald nach jener Seite hin. 

Ein wahres Überspringen von Funken kann es schon ces- 
halb nicht sein, weil die Spannung des Stroms ganz aulser- 
ordentlich gering ist. Wie sehr der Verfasser auch die Rin- 
der einer Metallröhre, ohne sie in Berührung zu bringen, 
einander nähern mochte; — niemals sah er Funken über- 
springen. Man kann den Zwischenraum mit angefeuchteten 
Fingern bedecken, kann es sogar wagen die Zungenspitze zvi- 
schen die Röhrenränder zu schieben, ohne die geringste Em- 
pfindung zu verspüren. 

Wenn Funken die Ursache des Tickens wären, so sollte 
man meinen, mülste dasselbe in einer leitenden Flüssigkeit 
verschwinden. Allein der Verfasser hat, bei horizontuler 
Lage einer Röhre, die Unterbrechungsstelle derselben in 
Brunnenwasser und in verdünnte Schwefelsäure getau:ht, 
ohne dafs eine Abnahme des Geräusches wahrnehmbar ge- 
wesen wäre. 

Nur als ein dünnes Stück Fliefspapier, getränkt mit ver- 
dünnter Schwefelsäure, zwischen die Ränder geschoben, ılso 
der Metallcontact ganz unterbrochen wurde, hörte es auf. 

Und ebenso verschwand es bei einer Zinkröhre, als dıren 
Ränder so stark amalgamirt waren, dals Quecksilbertröpfeıien 
daran hängen blieben, — offenbar, weil dann ein vollkommier 
Metallcontact hergestellt war. 


vom 3. März 1856. 141 


Dagegen hörte das Ticken nicht auf, als die Berührungs- 
stelle mit der Flamme einer Weingeistlampe stark erhitzt wurde; 
ebwohl eine Schwächung allerdings bemerkbar war. 

Wenn nun aber, allem diesem nach, Funken nicht die Ur- 
sache des Geräusches sind, — worin kann dann dasselbe be- 
gründet sein? 

Zunächst könnte man an jene Abstofsung denken, welche, 
wie Ampere gezeigt, in Richtung des Stroms zwischen den 
| Theilchen desselben stattfindet. Sie würde, könnte man sa- 
gen, während der Strom entsteht, die Röhrenränder ein klein 
| wenig von einander entfernen, und, wenn er aufhört, wieder 
| gegen einander schnellen lassen. Allein abgesehen von allem 
 Andern, scheint es, hat der schwache Strom, der hier auftritt, 
nicht Kraft genug, um einen solchen mechanischen Effect aus- 
zuüben. Der Verfasser hat das Ticken bei Zinkröhren beob- 
achtet, die etwa 2 Zoll im Durchmesser und über 2+ Lin. in 
Wanddicke halten, und zu ihrem Zusammendrücken einen sehr 
bedeutenden Kraftaufwand erfordern. 

Überdiels, so sehr man auch geneigt ist, das Geräusch 
von einem mechanischen Gegeneinanderstolsen der Röhren- 
' ränder herzuleiten, so hat doch die Beobachtung dem Verfasser 
| keinen Beweis dafür geliefert. 

Für das blolse Auge scheinen diese Ränder absolut in 
Ruhe zu verharren, und selbst unter dem Mikroskop, freilich 
nur bei 100maliger Vergrölserung, die aber doch wohl schon 
etwas hätte zeigen müssen, war von einer Bewegung nichts 
wahrzunehmen. — Ebenso zeigten die Flüssigkeiten, in welche 
die tickenden Röhren getaucht waren, nicht die geringste Spur 
von einer Erzitterung oder Wellenbewegung. Jedenfalls mufs 
die Amplitude der tickenden und tönenden Schwingungen 
aulserordentlich klein sein. 

Die natürlichste Ansicht über das in Rede stehende Phä- 
nomen möchte wohl die sein, dals trotz des scheinbaren Metall- 
eontacts der Röhrenränder dennoch keine gleichförmige Leitung 
der Elektricität stattfindet, sondern zeitweise, in den Momenten 
der Unterbrechung des Stroms, eine plötzliche Entladung er- 
folgt — und zwar ohne Funken. 


142 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Nur dieser Zusatz hat etwas Ungewöhnliches, aber es ist 
nicht einzusehen, dafs es den bisherigen Erfahrungen wider- 


spreche; denn aus keiner derselben scheint ein Beweis hervor- 


zugehen dafür, dals der Durchgang der Elektricität durch eine 
Luftschicht von aufserordentlicher Dünnheit nothwendig mit 
Funken verknüpft sein müsse. j 

Im Gegentheil lielsen sich Gründe anführen, welche das 
Erscheinen von Funken in einem solchen Falle zweifelhaft 
machen, — um so mehr, als es andrerseits auch noch fraglich 
scheint, ob wir in den Funken, da wo sie erscheinen, die 


Elektricität in Wahrheit substantiell überspringen sehen; — 


sie könnten ebensowohl nur begleitende Phänomen der viel- 
leicht an sich dunklen unsichtbaren Elektricitäts-Entladung sein; 
die relative Langsamkeit der Bewegung der Funken in ge- 
wissen Fällen scheint diels nicht unwahrscheinlich zu machen. 

Allein der Verfasser will sich nicht in Hypothesen ver- 
wickeln, sondern es lieber künftigen Beobachtungen überlassen, 
das in Rede stehende Phänomen weiter aufzuhellen. 


Hr. Dove sprach „über das Maximum- Thermo- 
meter von Negretti und Zambra”, unter Vorzeigung 
eines übersendeten Exemplars. No. 1232. 

Die Maxima-Thermometer, bei welchen ein aufserhalb des 
Quecksilbers befindlicher Stift durch das sich ausdehnende 
Quecksilber verschoben wird, entsprechen ihrem Zweck des- 
wegen auf eine ungenügende Weise, weil bei dem Transport 
sehr leicht der Stift in das Quecksilber hineingeht, und aulser- 
dem selbst wenn die Quecksilberfläche durch einen Glasstift, 
oder ein gläsernes Röhrchen von dem beweglichen Stift ge- 
trennt ist, doch in der Regel nach längerm Gebrauch der Stift 
nicht losreilst oder das Quecksilber sich bei ihm vorbeidrängt. 
Die Thermometer von Negretti und Zambra sind dicht über 
der Kugel rechtwinklig umgebogen, und in der Umbiegungs- 
stelle befindet sich ein mit umgebogener und dadurch festge- 
klemmter Glasstift, welcher einen sehr dünnen Canal für das 
sich ausdehnende Quecksilber übrig läfst. Bei horizontaler 
Stellung des Instrumentes trennt sich, wenn die Wärme ab- 


vom 3. März 1856. 4143 


zunehmen beginnt, das Quecksilber an dieser Stelle, so dafs 
man die Ablesung des Maximums später unmittelbar am Ende 
des getrennten (uecksilberfadens erhält. Neigt man nun das 
Instrument, so dals die Kugel nach Unten zu stehen kommt, 
und giebt ihm eine kleine Erschütterung, so vereinigt sich der 
getrennte Faden mit dem Quecksilber in der Kugel. Das In- 
strument kann aus dem Grunde, weil hier kein Stift bewegt 
wird, eine viel kleinere Kugel erhalten, als die gewöhnlichen 
Maxima-Thermometer. Es ist daher in jeder Beziehung im 
Vortheil gegen die gewöhnliche Construction. 


Hr. H. Rose gab folgende Mittheilung des Hrn. Dr. R. 
Schneider das Äquivalent des Antimon’s betreffend: 

Das Äquivalent des Antimons ist im Jahre 1818 von Ber- 
‚ zelius bestimmt worden und zwar auf die Weise, dals eine 
gewogene Menge reinen Antimons durch Oxydation vermittelst 
Salpetersäure, Abdampfen und Glühen des Rückstandes in anti- 
monsaures Antimonoxyd verwandelt wurde. Dabei fand sich, 
dals 100 Theile Antimon 124,8 Theile antimonsaures Antimon- 
oxyd gaben, woraus das Äquivalent des Antimons zu 1612,9 
berechnet wurde. 

Da es mir nicht ausgemacht zu sein schien, dals das an- 
timonsaure Antimonoxyd, ohne einen Verlust an Sauerstoff zu 
erfahren, längere Zeit einer hohen Temperatur ausgesetzt wer- 
den kann und da überhaupt die Darstellung reiner Antimon- 
Präparate von so einfacher Zusammensetzung, wie sie für den 
vorliegenden Zweck erforderlich war, mit sehr grofsen Schwie- 
rigkeiten verbunden ist, so habe ich mich bei der vorliegenden 
Äquivalentbestimmung einer natürlichen Antimonverbindung 
bedient, nämlich eines Antimonglanzes von Arnsberg. Der- 
selbe ist ausgezeichnet durch einen Grad von Reinheit, wie er 
bei natürlichen Verbindungen nur selten angetroffen wird. Er 
enthält nichts Fremdartiges aulser als Gangart etwas Quarz 
(im Durchschnitt + proc.), der zwar auf mechanischem Wege 
nicht vollständig beseitigt werden konnte, dessen Menge sich 
indels in jedem einzelnen Versuche mit Genauigkeit bestimmen 
liels. Von den Metallen, die das natürliche Schwefelantimon 


144 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


häufiger begleiten, wie Arsenik, Blei, Kupfer und Eisen, ist 
keins in nachweisbarer Menge darin enthalten. 

Die Reduction dieses Antimonglanzes im reinen Wasser- 
stoffstrome ist als Basis für die Äquivalentbestimmung benutzt 
worden. Es läfst sich diese Reduction mit Sicherheit aus- 
führen unter der Temperatur, bei welcher Schwefelantimon 
verflüchtigt wird. Dabei ist allerdings Voraussetzung, dals der 
Wasserstoffstrom nicht übermälsig beschleunigt wird, denn ob- 
gleich bei meinen Versuchen auf die Reduction von je einem 
Gramm Schwefelantimon etwa 1 Stunde Zeit verwendet wurde, 
fand sich doch in den Vorlagen, durch die das entweichende i 
Schwefelwasserstoffgas geleitet wurde, eine Spur von Schwefel- 
antimon (im höchsten Falle 0,00125 Grm.). — Ein Verlust an 
Antimon durch Entweichen von Antimonwasserstoff findet bei 
der Reduction, wie ich mich überzeugt habe, nicht statt: — 
das aus dem Apparate austretende Gas, nachdem es durch Be- 
rührung mit Ätzammoniak und Bleizuckerlösung von Schwefel- 
wasserstoff vollständig befreit worden war, gab beim mehr- 
stündigen Hindurchleiten durch eine Auflösung von salpeter- 
saurem Silberoxyd darin nicht die geringste Trübung. 

Wie leicht und bequem nun aber auch die Reduction des 
Schwefelantimons bis gegen das Ende von Statten geht, so ist 
es doch aulserordentlich schwierig, dem Antimon die letzten 
Spuren von Schwefel durch Erhitzen im Wasserstoffstrome zu 
entziehen; dieselben werden mit so grolser Hartnäckigkeit zu- 
rückgehalten, dafs selbst nach stundenlangem Erhitzen, wobei 
stets eine äufserst schwache Schwefelwasserstoff-Entwicklung 
beobachtet wird, kaum eine bemerkbare Gewichtsabnahme statt- 
findet. Ich habe es deshalb vorgezogen, diesen zurückgehal- 
tenen Schwefel auf andere Weise zu bestimmen. Das metal- 
lische Antimon wurde in Königswasser aufgelöst, — (der 
hierbei ungelöst bleibende Quarz wurde abfhıiltrirt und gewogen), 
— die Auflösung im Wasserbade zur Trockne verdampft und 
darin bis zur Vertreibung der gröfsten Menge freier Säure er- 
wärmt. Der Rückstand wurde darauf mit heilsem Wasser über- 
gossen, mit reinem kohlensauren Natron übersättigt, längere 
Zeit damit digerirt, das ausgeschiedene Antimonoxyd abfiltrirt 
und aus dem durch Salzsäure sauer gemachten Filtrate durch 


vom 3. März 1856. 145 


salpetersaure Baryterde die Schwefelsäure gefällt. Aus dem 
Gewichte des schwefelsauren Baryts ergab sich die vom An- 
timon zurückgehaltene Schwefelmenge. 

In sechs Versuchen, die ich bis jetzt ausgeführt habe und 
in denen das Schwefelantimon in Quantitäten von 3 bis 10,5 Grm. 
angewandt wurde, hat sich die Zusammensetzung desselben er- 
geben zu 

71,427 — 71,519 proc. Antimon und 
28,573 — 28,481 ,„ Schwefel, 
im Mittel zu: 
71,469 proc. Antimon und 28,531 proc. Schwefel. 

Es berechnet sich hieraus das Äquivalent des Antimons 
fast genau zu 1503; dasselbe liegt demnach um mehr denn 
100 Ganze niedriger, als es bisher angenommen wurde. 

Es verdient bemerkt zu werden, dals das arithmetische 
Mittel aus diesem neuen Antimon-Äquivalente und dem des 
Phosphors (387,5 nach Schrötter) eine Zahl ist (945), die dem 
Äquivalente des Arseniks (937,5 nach Pelouze) sehr nahe liegt, 
so dals sich zwischen diesen drei Aquivalenten eine ähnliche 
Beziehung herauszustellen scheint, wie sie z. B. zwischen denen 
des Chlors, Broms und Jods oder denen des Calciums, Stron- 
tiums und Baryums stattfindet. 


Hr. du Bois-Reymond legte folgende vorläufige Mit- 
theilung über das elektromotorisehe Verhalten des 
Bpschherzens, von den Hrn. Kölliker und H. Müller 
in Würzburg vom 29. Februar d. J. vor: 


I. Strom des ruhenden Herzens. 

Die Entdeckung von du Bois-Reymond, dafs die Spitze 
des Herzens negativ, die Oberfläche dagegen positiv sich ver- 
hält, hat uns veranlalst, das elektromotorische Verhalten des 
Froschherzens näher zu prüfen, wobei sich folgende That- 
sachen ergaben: 

1) Die Spitze des ganzen Herzens verhält sich negativ gegen 
jeden Punkt der Oberfläche der Kammern. 


146 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


2) Ebenfalls negativ ist die Herzspitze gegen die durch Ab- 
schneiden der Vorkammern ohne Verletzung der Kammer 
entstandene Schnittfläche. 

3) Dagegen ist die Spitze des Herzens positiv gegen Quer- 
schnitte an der Basis der Kammer selbst. z 

4) Jeder Punkt der Seitenwände des Herzens ist positiv 
gegen Querschnitte an der Basis oder an der Spitze der 
Kammer, wie schon Matteucci an Säulen aus Tauben- 
herzen im Allgemeinen beobachtet hatte. N 

5) Der Ausschlag, den ein ganzes mit der äufsern Fläche 
der Kammer und der Spitze aufgelegtes Herz giebt, ist 1 
geringer als der, den man erhält, wenn man den Quer- 
schnitt der Spitze und die Oberfläche auflegt. ; 

Eine Erklärung dieser Sätze kann zum Theil erst versucht 
werden, wenn der anatomische Verlauf der Muskelfasern des 
Froschherzens bekannt sein wird, eine Untersuchung, mit der 
wir eben beschäftigt sind. 


II. Einfache galvanische Zuckung vom Frosch- 
herzen aus. 

Bei reizbaren Fröschen erhält man hie und da, jedoch im 
Ganzen ziemlich selten, beim Auflegen des Ischiadicus eines 
stromprüfenden Froschschenkels auf das Herz, eine Zuckung und 
zwar wenn der Nerv 1) Oberfläche und Spitze oder 2) Ober- 
fläche und Querschnitt der Spitze berührt oder endlich 3) wenn 
derselbe quer über die Mitte der Kammer hinübergelegt wird, 
so dafs er noch den linken Seitenrand des Herzens berührt. 
Berührt der Nerv nur Oberfläche oder nur Spitze, so tritt 


keine Zuckung ein. 


II. Negative Schwankung des elektrischen Stro- 
mes des Herzens während der natürlichen 
Contraction desselben. 

Wenn das auf den Bäuschen liegende Froschherz fort- 
pulsirt, hat man Gelegenheit, die negative Schwankung des 
elektrischen Stromes desselben während der Contraction zu 
beobachten. Die Nadel des Multiplicators nämlich, die durch 
den Strom des ruhigen Herzens in den positiven Quadranten 


vom 3. März 1856. 147 


abgelenkt wird, geht mit der ersten auf den Bäuschen eintre- 
tenden Systole in den negativen Quadranten über und zeigt 
auch während der nun folgenden Öscillationen jede Systole 
deutlich an, bis sie nahe am Nullpunkt sich einstellt und mit 
jeder Diastole etwas in den positiven, mit jeder Systole um 
ein geringes in den negativen Quadranten hinüberoscillirt. 
Bei diesem Versuche wurde das Herz in günstiger Lage so ge- 
bettet, dals es möglichst wenig sich verschieben konnte, doch 
wäre es allerdings noch zweckmälsiger, den von du Bois- 
Reymond uns gerathenen Versuch zu machen, das Herz mit 
unschädlicher Flüssigkeit prall injicirt auf die Bäusche zu legen, 
so dals dasselbe nicht im Stande ist seine Lage zu ändern, ein 
Verfahren, zu dessen Anwendung wir noch nicht Mufse fanden. 


IV. Secundäre Zuckung vom pulsirenden Frosch- 
herzen aus. 


Wird der Nery eines stromprüfenden Froschschenkels in 
günstiger Lage auf ein pulsirendes Froschherz gebettet, so 
geräth der Schenkel bei jeder Systole in Contraction, was 
wohl am besten beweist, dals der Erfolg des Multiplicator- 
versuchs ebenfalls auf negative Schwankung zu beziehen ist, 
und nicht blofs auf Veränderung der elektromotorischen Wir- 
kung durch die nicht ganz zu vermeidende Verschiebung des 
Herzens zwischen den Bäuschen. Die näheren Erscheinungen 
dieses Versuches sind folgende: 

1) Die secundäre Zuckung vom Herzen aus zeigt sich bei 
reizbaren Fröschen je beim 2. oder 3. Thier. 

2) Die Stärke derselben ist oft sehr bedeutend, so dals der 
Schenkel mit jeder Systole mit ausgespreizten Zehen 
tetanisch sich streckt, ja einmal gelang es uns. vom 
Gastroknemius des ersten Schenkels aus an einem zwei- 
ten Schenkel secundäre (also eigentlich tertiäre) Zuckung 
zu erregen. 

3) Die Dauer des Phänomens anlangend, so fanden wir in 
Einem Falle während > Stunden eine fast unausgesetzt 
mit jeder Systole eintretende Zuckung des stromprüfenden 
Schenkels und in mehreren Fällen beobachteten wir die- 
selbe -—1 Stunde lang. 


148 
4) 


5) 


6) 


6. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


men 


phosen. 


Gesammtsitzung 


Diese Versuche gelingen sowohl mit dem ganzen Herzen 
als nach abgeschnittener Spitze desselben. 
In allen Fällen wird die secundäre Zuckung etwas vor 
dem Eintreten der Systole d. h. vor der sichtbaren Con- 
traction der Kammer beobachtet und kann mithin dieser 
Versuch zur Bestätigung des von Helmholtz vor kur- H 
zem bewiesenen Satzes gelten, dals die negative Schwan- A 
kung des Muskelstromes in die Zeit fällt, welche der 
Contraction vorangeht. ($. Monatsb. der K. Berliner 
Akad. 1854 p. 329.) 
Hie und da sieht man an dem stromprüfenden Schenkel 
nach der die Systole anzeigenden Zuckung eine zweite 
schwächere, die mit der Diastole zusammenfällt.e. In 
Einem Falle war diese zweite diastolische Zuckung mit 
besonderer Deutlichkeit zu sehen und hing offenbar von 
der Diastole ab, indem sie jedesmal ausblieb, wenn der 
Nerv nach der systolischen Zuckung des Schenkels rasch Ä 
von dem Herzen abgehoben wurde. Sollte diese diasto- 
lische secundäre Zuckung auch bei ferneren Versuchen 
sich bestätigen, so wäre man wohl berechtigt anzunehmen, 
dafs dieselbe das Resultat der Rückkehr des Herzstromes 
zu seiner ihm während der Ruhe zukommenden Gröfse 
ist, also in ähnlicher Weise als eine Folge der mit der 
Erschlaffung des Herzmuskels eintretenden positiven 
Schwankung des Muskelstromes erscheint, wie die erste 
systolische |Zuckung von der mit der Herzcontraction 
eintretenden negativen Stromesschwankung abhängt. 


Hr. Rammelsberg las über die chemische Zusam- 
setzung des Leucits und seiner Pseudomor- 


Unter den Mineralien, welche in mehrfacher Beziehung 


grolses Interesse darbieten, nimmt der Leucit unstreitig einen 
vorzüglichen Platz ein. Von einfacher feldspathähnlicher Zu- 


sammensetzung, wird er in der Geschichte der Mineralchemie 


vom 6. März 1856. 149 


unvergelslich bleiben, da Klaproth in ihm zuerst (im J. 1796) 
das Kali als einen Bestandtheil der Mineralien auffand, und 
den noch heute gültigen Namen für dasselbe in Vorschlag 
brachte. 

Oft schen sind die geologischen Verhältnisse des Leucits 
der Gegenstand lebhafter Discussion gewesen. Sein Vorkommen 
beschränkt sich auf gewisse, durch ihn charakterisirte ältere und 
neuere Laven und zwar vorzüglich in jenem vulkanischen Ge- 
biet Mittelitaliens, welches vom Vesuv nördlich über Rom hin- 
aus bis zur toskanischen Grenze reicht. Unter allen Vulkanen 
ist, so viel man weils, der Vesuv der einzige, dessen Laven 
Leucit enthalten. Minder hervortretend erscheint er in den 
vulkanischen Gesteinen der Westseite des Laacher Sees und 
des Kaiserstuhls im Breisgau. 

Die chemische Zusammensetzung des Leucits liels sich 
schon aus den wenigen früheren Analysen Klaproths und Ar- 
fvedsons deutlich erkennen, denn sie ist nicht weniger einfach 
und constant, wie seine geometrischen und physikalischen 
Kennzeichen es sind. Während Kali und Thonerde genau das- 
selbe Verhältnis wie im gewöhnlichen Feldspath (Orihoklas) 
beobachten, ist die Menge der Kieselsäure abweichend von der 
in den Feldspatharten, und stimmt nur mit derjenigen im An- 
desin überein, einem Feldspath südamerikanischer Gesteine, 
dessen Selbstständigkeit noch nicht sicher erwiesen ist. 

Indem ich mich mit einer vergleichenden Untersuchung 
der verwitterten Leucite beschäftigte, d. h. derjenigen, welche 
nach ihrer Bildung durch das unmerklich fortschreitende und 
doch ewig thätige Spiel der chemischen Kräfte in ihrer ur- 
sprünglichen Mischung verändert sind, dabei aber ihre Form 
vollkommen behalten haben, schien es nothwendig, diese ur- 
sprüngliche Zusammensetzung von neuem in Betracht zu ziehen. 
Eine Reihe von Versuchen bestätigte einerseits die längst an- 
genommene Formel, andererseits die zuerst von Awdejew ge- 
machte Beobachtung, dals eine kleine Menge Natron, + bis 
$ eines Procents, dem Leucit eigen ist. Es ist mir nicht 
möglich gewesen, grölsere Natrongehalte, wie sie von G. Bi- 
schof und Abich angegeben werden, in irgend einem un- 
zersetzten Leucit aufzufinden. 

[1856] 11 


150 Gesammtsitzung 


Das spec. Gewicht des Leucits kann nach meinen Beob- 
achtungen genau mit 2,48 bezeichnet werden. 

Während selbst die älteren vesuvischen Laven den Leueit 
noch unverändert zeigen, ist dies häufig nicht mehr der Fall 
in jenen Aggregaten vulkanischer Gesteinsbruchstücke und 
Trümmer, welche man mit dem Namen Tuff zu bezeichnen h 
pflegt, den mechanisch zerstörten Überresten alter eruptiver 
Massen, welche durch die Gewalt des Wassers fortgeführt und 
in Gestalt von Bänken oder Schichten an vielen Punkten ab- 
gesetzt sind. Die in ihnen vorkommenden Leucite sind oft 
nur von geringer Gröfse, und zeigen nicht mehr die Härte, 
Dichtigkeit und scharfe Form der in fester Lava eingewach- 
senen Krystalle. Auch die im Gebiete des Laacher Sees und 
des Kaiserstuhls vorkommenden Leucitgesteine enthalten nur 
sehr kleine, von der Zersetzung bereits ergriffene Leucite. 
Für ihre chemische Untersuchung ist das Material sehr schwer 
im reinen Zustande zu erlangen. 

Nirgends aber läfst sich die Veränderung der Leueitsub- 
stanz in einem grofsartigeren Malsstabe verfolgen, als an den 
Laven der Rocea Monfina. Dieser in vorhistorischen Zei- 
ten schon erloschene Vulkan, welcher an Masse den Vesuv weit 
übertrifft, blieb den Naturforschern unbekannt, bis Sc. Breis- 
lak im J. 1793 ihn gleichsam entdeckte und beschrieb. Er 
erhebt sich nordwestlich von Neapel, unweit der Stralse nach 
Rom, über der Stadt Sessa, und ist in neuerer Zeit von Abich 
untersucht und abgebildet worden. 

Ein mächtiger Lavastrom der Rocca Monfina ist durch die 
atmosphärischen Einflüsse im Laufe mehrerer Jahrtausende in 
Verwitterung übergegangen, deren Produkte für das Studium 
der Gesteinsveränderungen von grofser Bedeutung sind. In 
einer grauen Grundmasse erblickt man hie und da noch Reste 
von schwarzem Augit, meistens aber eine thonige Masse, in 
welche er sich verwandelt hat. Etwas glasiger Feldspath und 
rothbrauner Glimmer begleiten ihn. In dieser Grundmasse 
liegen zahlreiche und oft sehr grolse Leucitkrystalle, zum Theil 
von mehreren Zollen im Durchmesser, von gut erkennbarer 
Form, freilich nicht von der Schärfe frischer Krystalle. 


vom 6. März 1856. 151 


Darf man nach dem urtheilen, was die Sammlungen der 
Besucher der Rocca Monfina aufzuweisen haben, so kommen 
hier zwei Arten veränderter Leucite vor, zwei verschiedene 
' Stadien des Verwitterungsprocesses bezeichnend. 
Die eine Art, welche die Krystallform schärfer bewahrt 
' hat, ist an der Oberfläche mit einer grauen Rinde überzogen, 
besteht im Innern aus einer gelblichen schwach durchschei- 
nenden wachsglänzenden Masse, hie und da mit schwarzen 
augitischen Einschlüssen, welche viel weicher als frische Leu- 
eitmasse ist, und ein spec. Gewicht von nur 1,82 besitzt. 
Meine Analysen, welche mit denen von G. Bischof überein- 
stimmen, geben das Resultat, dafs diese Leucite im Ganzen 
ihre ursprüngliche Zusammensetzung bewahrt haben, die Menge 
des Alkalis ein wenig vermindert ist, dafs also die Verwitte- 
zung sich noch in ihrem ersten Stadium befindet, mehr me- 
chanisch als chemisch verändernd gewirkt hat, und der weiteren 
Metamorphose gleichsam zur Einleitung dient, indem sie die 
Substanz lockerer und zugänglicher machte. 

Die zweite Art von Leucit stellt viel undeutlichere, weilse, 


| zerreibliche Krystalle dar, die man. für Kaolinsubstanz halten 


‚könnte. Ihre Masse enthält viele graue durchscheinende Kör- 
ner von gröfserer Härte, unter dem Mikroskop rundlich er- 
scheinend, ohne Spur von bestimmter Form. Diese Körner 
lassen sich durch Schlämmen von der übrigen weichen Masse 
nur sehr unvollständig trennen. Für beide habe ich bei der 
Analyse gleiche Zusammensetzung gefunden, welche insofern 
/ merkwürdig ist, als der procentische Gehalt an Kieselsäure und 
, "Thonerde wie in dem gewöhnlichen Leucit ist, das Alkali aber 
vorherrschend aus Natron besteht, und etwa 10 pCt. Wasser 
| überdies wesentlich sind. 

ö Wenn man annehmen darf, dals diese Art aus der ersten 
| entstanden ist, so muls man glauben, dafs natronhaltige Ge- 
wässer wirksam waren, dafs jedoch das Kali bei weitem nicht 
' durch sein Äquivalent an Natron ersetzt wurde, dals, bei Gleich- 
\ bleiben des Thonerdegehalts, auch Kieselsäure fortgeführt wurde, 
“und nur das Ganze, welches offenbar ein Gemenge ist, die 
"Bisilikatmischung beibehalten hat. 

Er ae 


152 Gesammtisitzung 


Durch das Auftreten bestimmter Verbindungen von un- 
gleich gröfserem Interesse sind gewisse Leucitkrystalle aus 
einer älteren Vesuvlava, deren Masse nach Scacchi in gla- 
sigen Feldspath verwandelt ist, eine Beobachtung, welche 
Blum bestätigt hat. Die graue Lava, in welcher sie liegen, 
enthält aulserdem grölsere Krystalle von glasigem Feldspath, 
welche denen aus dem Trachyt des Siebengebirges ganz ähn- 
lich sind. Das Innere des Leucits hat ein fremdartiges An- 
sehen; es ist eine grünlichweilse krystallinische Masse, welche 
sich leicht zerreibt und meistentheils den Krystall nicht voll- 
kommen erfüllt, sondern seine Mitte leer lälst, so dafs der 
Anblick an eine Pseudomorphose unwillkürlich erinnert. 

Das chemische Verhalten dieser Masse unterscheidet sie 
sogleich vom Leucit, denn, obwohl wasserfrei, wird sie von 
Säuren nur theilweise zersetzt. Die Analysen, welche ich da- 
von gemacht habe, beweisen, dals die Zusammensetzung des 
zersetzbaren und des unzersetzbaren Theils eine durchaus ver- 
schiedene ist. Jener entspricht sehr gut dem Nephelin, 
dieser dem glasigenFeldspath, beide in dem Verhältnils von 
40 und 60 pCt. Nun hat Hr.G. Rose später auf meine Bitte 
die in der K. Mineraliensammlung befindlichen Exemplare die- 
ser seltenen Leucitkrystalle mineralogisch untersucht, und nach 
gefälliger zur Benutzung gestatteter Mittheilung gefunden, dals 
ihre Masse ein Gemenge von zum Theil deutlich krystallisirtem 
Nephelin und glasigen Feldspath ist, worin ein wenig Augit 
und Titanit vorkommt. Es ist demnach die chemische Unter- 
suchung im vollkommenen Einklang mit der mineralogischen, 
und wiederum ein Beweis, dafs die Behandlung eines Silikat- 
gemisches mit Säuren allerdings zu einem sicheren Schlufs auf 
die Natur der Gemengtheile führen kann, woran man in neuerer 
Zeit öfter zu zweifeln scheint, obwohl ich selbst früher bei 
den Meteorsteinen von Klein-Wenden, Juvenas und Stannern 
die Brauchbarkeit dieser Methode erwiesen habe. 

Nephelin und glasiger Feldspath, beide qualitativ gleich 
zusammengesetzt, unterscheiden sich durch die Natur der Al- 
kalien, welche im ersteren hauptsächlich in Natron, im letzteren 
hauptsächlich in Kali bestehen. Gleichwie im Leucit verhält 
sich in ihnen der Sauerstoff der Alkalien und der Thonerde 


vom 6. März 1856. 153 


wie 1:3, aber der Feldspath enthält 2% mal soviel Säure als 
der Nephelin. 

Wäre die Masse unserer Leucitkrystalle nur als Ganzes 
untersucht worden, und läge das Resultat der mineralogischen 
Untersuchung nicht vor, so würde sie, da das Sauersioffver- 
hältnifs =1:3:8 ist, als ein Leucit erscheinen, welcher gegen 
2 At. Natron 3 At. Kali enthält. Dies kommt nur daher, weil 
ein Gemenge von 4 At. Nephelin und 7 At. Feldspath (Or- 
thoklas) genau die Zusammensetzung eines Kali-Natron-Leucits 
repräsentirt. Da das spec. Gew. jener beiden dasselbe ist, so 
findet es sich auch an dieser Pseudomorphose, in welcher man 
eine Spaltung des Leucits in Nephelin und glasigen Feldspath 
erblicken kann, und nur die Frage bleibt, ob der primitive 
Leueit das Natron schon enthielt, oder ob es erst später gegen 
' Kali ausgetauscht wurde. 

Wäre es streng bewiesen, dafs Abichs natronreicher ‚‚gla- 
siger Leucit”, von dem eine einzige Analyse vorliegt, ein wirk- 
licher Leucit, und nicht ein ähnliches Gemenge war, so stände 
die Existenz des Natron-Leucits aulser Zweifel. Allein es ist 
‚ mir, wie schon bemerkt, kein unveränderter Leucit vorge- 
‘ kommen, welcher Natron wesentlich enthält. 


Aufserdem las Hr. Rammelsberg „über dieKrystall- 
‚ form und die chemische Zusammensetzung des Va- 
nadinbleierzes”. 

Bei dem seltenen Vorkommen der Vanadinverbindungen 
‚ ist es bisher nicht möglich gewesen, ihre Krystallform mit der- 
\ jenigen anderer Körper zu vergleichen. 

Am Berge Obir bei Windisch-Kappel in Kärntben hat sich 
in neuerer Zeit krystallisirtes Vanadinbleierz gefunden, und 
der Custos des naturhistorischen Landesmuseums in Klagenfurt, 
, Hr. Canaval, welcher dasselbe beschrieben und qualitativ ge- 
prüft hat, setzte mich kürzlich durch Mittheilung von Material 
in den Stand, das Erz krystallographisch und chemisch zu 
) untersuchen. 

Nach meinen Beobachtungen sind die Krystalle sechsglie- 
drige Combinationen eines Prismas mit drei Dihexaedern, von 


154 Gesammtsitzung 


denen das vorherrschende, welches die sechsflächige auf die 
Prismenflächen aufgesetzte Zuspitzung der Krystalle bildet, als 
Grundform anzusehen ist. Die beiden anderen sind alsdann 
das zweifach schärfere und das erste stumpfere dieses letzteren. 
Meine Messungen ergaben für den Endkantenwinkel der Grund- 
form den Werth von 142° 30. Da nun nach den Messungen 
des Hrn. G. Rose derselbe Winkel beim Mimetesit (arsenik- 
saurem Bleioxyd) = 142° 7’, beim Pyromorphit (phosphors. 
Bleioxyd) = 142° 15’ und beim Apatit (phosphors. Kalk) = 142° 
20’ beträgt, so ist das vanadinsaure Bleioxyd mit dem phos- 
phorsauren und arseniksauren Bleioxyd, so wie mit dem phos- 
phorsauren Kalk isomorph. 

Auch die chemische Analyse des Erzes bestätigt die Ana- 
logie in der Zusammensetzung aller dieser Mineralien. Das 
Vanadinbleierz enthält 2,23 pCt. Chlor und 0,85 pCt. Phosphor- 
säure; es ist eine Verbindung von 1 At. Chlorblei mit 3 At. 
drittel vanadinsaurem Bleioxyd, von welcher Verbindung etwa 
15 At. mit einem At. der entsprechenden phosphorsauren (Py- 
romorphit) isomorph gemischt sind. 

Allein die Vanadinsäure enthält 3, die Phosphor- und Ar- 
seniksäure enthalten 5 At. Sauerstoff, und die Versuche von 
Berzelius, welche zur Constitution der Vanadinsäure geführt 
haben, gestatten nicht für jetzt eine Änderung in der Anzahl 
der Sauerstoffatome der Vanadinsäure vorzunehmen. Es gehört 
demnach diese Isomorphie zu der nicht mehr kleinen Zahl der 
Beispiele, bei welchen die Übereinstimmung der Form nicht 
mit vollkommen ähnlicher Constitution der betreffenden Ver- 
bindungen verknüpft ist. 


Hr. H. Rose las folgende Mittheilung des Hrn. Dr. A. 
W. Hofmann über das Bromtitan. 

Eine Vergleichung der Siedepunkte correspondirender 
Chlor- und Bromverbindungen führte Prof. Kopp zu der inter- 
essanten Beobachtung, dafs mit jedem Äquivalent Brom, wel- 
ches sich einem Äquivalent Chlor substituirt der Siedepunkt 
im Durchschnitt um 32° C steigt. 


vom 6. März 1856. 155 


Siedepunkt. Differenz. 


Äthylchlorid C,H, Cl 11°C 

nibromid C,H, Br ee 
Dichlorinirtes Äthylen C,H,Cl, 67°C } 66=2x33 
Dibrominirtes Athylen C,H, Br, 133,6° G vy 


Phosphorterchlorid PCI, 78° = 
Phosphorterbromid P Br, 175° } ae re 

Wenn diese Differenz für alle Chlor- und Bromverbin- 
dungen eine constante ist, so erhellt, dafs sich sehr wichtige 
Folgerungen in Beziehung auf die atomistische Constitution 
dieser Körper aus der Bestimmung ihrer Siedepunkte ziehen 
lassen. 

Prof. Kopp hat in der That diese Beobachtung mit glück- 
lichem Erfolg zur Feststellung des Äquivalents des Siliciums 
benutzt, über welches solche Unsicherheit herrschte, dals nicht 
weniger als 3 Formeln für die Kieselsäure vorgeschlagen wurden: 

SıO 
SiO, 
SiO, 

Die Siedepunktsdifferenz des Chlorids (59°C) und des 
Bromids (153° C) also 9 = 3 x 314, führte Kopp zu den 
Formeln. 

SiCl, und SiBr; 
als Ausdruck für die atomistische Constitution dieser Verbin- 
dungen, wonach sich das Äquivalent des Silicium zu 21,3 ergiebt. 

Um jedoch die allgemeine Geltung von Kopps Beobach- 
tungen zu prüfen, war es nöthig, die Siedepunkte correspon- 
dirender Chlor- und Bromverbindungen, welche Abweichungen 
darboten, nochmals mit Sorgfalt zu bestimmen, und die Uater- 
suchung auf eine gröfstmögliche Anzahl neuer Verbindungen 
auszudehnen. 

Hr. Francis Baldwin Duppa hat sich, auf meinen Vor- 
schlag hin, mit der Untersuchung des Gegenstandes beschäftigt 
und bereits einige werthvolle Resultate erhalten, welche Sie 
vielleicht der Akademie mittheilen wollen. 

Die Bromverbindung des Titans war bis jetzt unbekannt. 
Hr. Duppa erhielt diesen Körper, indem er einen Strom von 
Brom über eine innige Mengung von reiner Titansäure und 


156 Gesammtsitzung 


Kohle leitete. Bei hellrother Glühhitze tritt eine heftige Reac- 
tion ein und liefert eine braune Flüssigkeit, welche in der 
Vorlage zu einer krystallinischen Masse erstarrt. Mit Über- 
schuls von Quecksilber destillirt, wodurch alles freie Brom ent- 
fernt wird, stellt sich das Bromtitan als eine bernsteingelbe 
Masse von prachtvoll krystallinischer Structur dar. Dieser Kör- 
per zieht mit der grölsten Begierde Feuchtigkeit an und ver- 
wandelt sich in Titansäure und Bromwasserstoffsäure. Das 
Bromtitan hat ein specifisches Gewicht von 2,6; es schmilzt 
bei 39°C. Sein Siedepunkt wurde von Hrn. Duppa mit einer 
beträchtlichen Quantität des Körpers, von dessen Reinheit er 
sich durch die Analyse überzeugt hatte, untersucht und bei 
230° C gefunden. Der des Chlortitans, wie er von Dumas 
beobachtet und von Hrn. Duppa bestätigt wurde, ist 135° C. 
Die Differenz 230 — 135 = 95=3x314 ist ganz dieselbe, 
wie die, welche die Siedepunkte des Chlorids und Bromids 
des Kiesels darbieten. 

Diese Beobachtung liefert eine weitere Begründung für 
die Analogie zwischen Silicium und Titan, indem sie unzwei- 
deutig auf die Formeln 

Ti Cl, und TiBr; 


hindeutet, als Ausdruck für die atomistische Constitution dieser 
Verbindungen. 

Die Titansäure, welche bisher allgemein als ein Binoxyd 

Ti O, angesehen wurde, erhielte alsdann die Formel 

TiıO; 
in völliger Übereinstimmung mit derjenigen, welche fast all- 
gemein für die Kieselsäure angenommen wird. 

Das Äquivalent des Titans würde alsdann von 24,29, 
der gegenwärtig adoptirten Zahl, auf 36,39 erhöht werden 
müssen. 

Das Titanprotoxyd würde in diesem Falle zum Sesquioxyd 
werden, und die Verbindung, die bisher unter dem Namen 
Sesquioxyd bekannt war, als ein Zwischenoxyd, als eine Ver- 
bindung des Sesquioxyds mit dem Teroxyd d. h. als Bititanat 
des Titansesquioxyds betrachtet werden müssen. 


vom 6. März 1856. 157 


Formeln der Titanverbindungen: 


alte: neue: 
Ti = 24,29. Tı = 36,39. 
TiıO erstes Oxyd Ti, 0; 
Ti,0; zweites Oxyd Tı,0,=Ti1;0;,,2)TıO; 
TiO, Säure Ti O, 
Tı Cl, Chlorid Ti Cl, 
Ti Br, Bromid TiBr; 


Weitere Untersuchungen über die Titanreihe müssen ent- 
scheiden, ob die vorgeschlagene Änderung des Titanäquivalents 
welche auf die Beobachtung der Siedepunktdifferenz allein im- 
merhin gewagt erscheinen muls, in der That einen einfachern 
Ausdruck für die Verbindungsverhältnisse dieses merkwürdigen 
Elements gewährt. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Revue archeologique. A12me annee, Livr. 11. Paris 1856. 8. 

Athenaeum frangais. 5 me annee, no. 8.9. Paris 1856. 4. 

A, Meyer, Eine neue einfache Methode, das specifische Gewicht fester 
und flüssiger Körper zu bestimmen. Petersburg 1855. 8. Mit Be- 
gleitschreiben des Hrn. Verfassers, d. d. Petersburg 12. Dez. 1855. 

Memoires de la societe imperiale des sciences de Lille. Annee 1844, 1850, 
1851. 1852. 1853. 1854. Lille 1845—1855. 8. 

Societe philomatique de Paris. Extraits des proces-verbaur des seances 
pendant 1848—1854. Paris 1854. 8. 

A. Comarmond, Description du Musee lapidaire de la ville de Lyon. 
Lyon 1846—1854. 4. 

Description de l’ecrin d’une Dame romaine. -Paris 
1344. 4. 


Description du Sarcophage decouvert a Saınt-Irenee. 


Lyon 1847. 4 
Antiquites de Lyon. Lyon 1840. 8. Mit Schreiben 
des Herrn Verfassers, Lyon 28. October 1854. 
Memoires de lAcademie des inscriptions de Paris. Vol.16,1. 19, 1.2. 
20,2. Paris 1850-1854. 4. 
Notices et extraits des manusecrits de la biblio- 
theque nationale. Tom. XVII, 2. Paris 1851. A4. 


158 Gesammtsitzung 


Memoires presentespar divers savans a l’Academie des inscriptions. 1. Serie, 
Tome 2.3.4. II. Serie, Tome 3. Paris 1852—1854. 4, 
Memoires de T Academie des sciences. Tome 22, 23. 24. Paris 1850 

1854. 4. 

Savans etrangers. Tome 11. 12. 13. Paris 

1851—1852. 4. e 
Memoires de l’ Academie des sciences morales et politiques. Tome 6-9. 

Paris 1850—1855. 4. 
Ludwig Radlkofer, Die Befruchtung der Phanerogamen. Leipzig 

1856. 4. Von Hrn. Braun überreicht, 
W.Weitling, Der bewegende Urstoff in seinen kosmoelectro-magnetische, 

Wirkungen. New-York 1856. 8. 


13. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Magnus trug den ersten Theil seiner „elektroly- 
tischen Untersuchungen” vor: i 

Es ist bekannt dafs die Salzlösungen dem von Faraday, 
aufgestellten Gesetze der äquivalenten Zersetzung durch den 
galvanischen Strom nicht folgen, da dieselben, wie Daniell') 
gefunden hat, so zersetzt werden, dafs sich neben einem 
Äquivalent Säure und Basis noch ein Äquivalent Wasserstoff 
und Sauerstoff abscheidet. 3 

Wenn man nämlich aufser der Salzlösung noch ein Vol- 
tameter mit verdünnter Schwefelsäure in denselben Strom ein- 
schaltet, so entwickeln sich aus beiden, der Salzlösung und dem 
Voltameter gleiche Mengen von Gas, aulserdem aber wird das 
Salz zersetzt und es scheidet sich zunächst der positiven Elec- 
irode ein Äquivalent freier Säure, und zunächst der negativen 
ein Äquivalent freier Basis ab. Die Zerselzung der Salzlösung 
ist also doppelt so grols als die im Voltameter. 

Um diese auffallende Erscheinung zu erklären oder um sie 
in Übereinstimmung mit dem Faradayschen Geseiz zu bringen, 
sah sich Daniell genöthigt das schwefelsaure Natron zu be- 
trachten, nicht, wie es allgemein geschieht, als bestehend aus 


') Philos. Transactions for 1839 p. 89 u. 97. — Pogg. Annal. Ergz. 
Ba. I. 565 u. 580. 


vom 13. März 1856. 159 


bis und Säure, sondern als aus Natrium mit einer Verbindung 
von Ein Atom Schwefel und 4 Atomen Sauerstoff zusammen- 
‚gesetzt. Er hat diese Verbindung mit dem Namen Oxysulpbion 
belegt, und ist der Ansicht dals alle Sauerstoffsalze ähnlich 
usammengesetzt seien, so dals man das schwefelsaure Kupfer- 
oxyd als bestehend aus Kupfer und Oxysulphion, das salpeter- 
saure Kali aus Kalium und Oxynitrion u.s. f. betrachten müsse. 
Eine Ansicht, welche er später in einer mit Prof. Miller') 
in London gemeinsam veröffentlichten, umfassenderen Arbeit zu 
bestätigen gesucht hat. 

Wiewohl diese Ansicht mit der von H. Davy über die 
Zusammensetzung der Salze zuerst aufgestellten übereinstimmt, 
und sich auch vom rein chemischen Standpunkte manches für 
dieselbe sagen lälst, wie dies namentlich von Berzelius im 
dritten Bande seines Lehrbuchs geschehen ist, so lassen sich 
doch, wie gleichfalls von Berzelius an derselben Stelle aus- 
einandergesetzt wird, noch weit mehr Gründe gegen dieselbe 
Ivorbringen, unter denen einer der haupisächlichsten sein möchte, 
dals es bisher nicht hat gelingen wollen, weder das Oxy- 
sulphion, noch irgend eine der analogen Verbindungen dar- 
zustellen. 

Fast Alle die sich nach Daniell und Milier mit der 
Zersetzung der Salze durch den galvanischen Strom beschäftigt 
| haben, sahen sich genöthigt die Daniellsche Erklärung als 
richtig anzuerkennen. So namentlich Hr. Prof. Buff?) in sei- 
ner Abhandlung über das elektrolytische Gesetz, ferner Hr, 
De la Rive in dem vor Kurzem erschienenen zweiten Theil 
‚seines Trait& d’Electricit@®) und auch Hr. E. Becquerel‘) 
‚in seiner Abhandlung Des Lois qui president ä la de£- 
composition €Electrochimique des corps. Nur Hr. 
‚Hittorf?’) geht in seiner Untersuchung über die Wande- 
rung der Jonen von einer andern Erklärung aus, die in- 


1) Philos. Transact. for 1844. p. 1. Pogg. Annal. LXIV. 18. 
%) Annal. der Chem. u. Pharmac. LXXXV. 1. 

2) 2.313, 

*) Annal. de Chim. et de Phys. III. Ser. Tome XI. 259. 

°) Pogg. Annal. LXXXIX. 177. 


160 Gesammisitzung 


defs die vorhandenen Schwierigkeiten nicht zu beseitigen 
scheint. 

Der Verf. hat zunächst die Versuche Daniells wieder 
holt. Er hat im allgemeinen dieselben Resultate erhalten, doch \ 
schied sich nicht immer für ein Äquivalent Sauerstoff ein volles’ 
Äquivalent freier Säure und Basis aus, sondern diese letz- | 
teren betrugen nur zwischen 60 und 80 pCt. von dem Äqui- 
valent des Sauerstoffs. Derselbe ist alsdann zur Erklärung die- 
ser anscheinend doppelten Zersetzung übergegangen und hat 
gezeigt, dafs man für dieselbe der Annahme Daniells nich@ 
bedarf. Vielmehr glaubt er aus seinen Versuchen schliefsen zu 
müssen, dals um einen einfachen Körper aus einer Ferbindundil 


zu scheiden, stets dieselbe Kraft erforderlich ist, derselbe mag mit 


nur einem einfachen Körper zu einer binären oder mit meh- k 
reren einfachen Körpern zu einer salzartigen Verbindung ver- 
einigt sein. 

Mit Hülfe dieses Satzes ist es nicht schwer nachzuweisen, 
dals das Faradaysche Gesetz der äquivalenten Zersetzung 
nicht nur für binäre, sondern auch für salzartige und alle an- 
dere unorganische een ae anwendbar ist. 

Daniell fand sich, wie aus seiner Replik ') auf die Ein- 
wände hervorgeht, keolchhi Dr. Hare gegen ihn erhoben hatte, 
zur Annahme seiner 'Theorie besonders genöthigt, weil er auf 
keine andere Weise zu erklären vermochte, wie es zugehe, 
dafs derselbe Strom, welcher das Metall zur negativen Electrode, 
also in der einen Bichtnng fortführt, den Sauerstoff und die 
Säure, also zwei Körper in entgegengesetzter Richtung fort- 
zuschaffen vermag. Allein eine Fortschaffung, in dem Sinne 
wie sie Daniell aufgefalst zu haben scheint, findet nicht statt, 
und es lälst sich zeigen, dals wenigstens in gewissen Fällen. 
für ein Äquivalent Metall oder Wasserstoff, der an der nega- 
tiven Electrode frei wird, ein Äquivalent Sauerstoff und ein 
Äquivalent Säure an der positiven Electrode frei werden muls. 

Um diese Fälle bestimmter bezeichnen zu können, hat der 
Verf. sich zunächst mit den Bedingungen beschäftigt, unter 
denen die Ausscheidung einer Substanz durch den Strom aus 


J 


1) Phil. Mag. for 1843. XXI. 461. 


vom 13. März 1856. 161 


inem Electrolyten statifindet in dem mehrere ausscheidbare 
ubstanzen vorhanden sind. Er ist hierbei zu dem Resultate 
elangt, dals die Ausscheidung abhängt; 

4) von der Dichte des Stroms, 

2) von dem Verhältnils in welchem die verschiedenen Sub- 
stanzen sich in der Flüssigkeit vorfinden, 

3) von der Beschaffenheit der Electroden, 

4) von der grölseren oder geringeren Leichtigkeit mit wel- 
cher die eine oder die andere Substanz innerhalb der 
Flüssigkeit von Schicht zu Schicht fortgeführt werden 
kann, so wie von den Hindernissen welche durch po- 
röse Scheidewände oder sonst auf irgend eine Art dieser 
Fortführung entgegenstehen. 


Hr. H. Rose gab eine Mittheilung des Hrn. Heintz 
über das Verhalten des Chloroforms zu andern Kör- 
ern, namentlich zum Ammoniak. Die von Hrn. Heintz 
eingesandte Abhandlung über diesen Gegenstand enthält fol- 
gende Ergebnisse: 

4) Natrium kann in einem zugeschmolzenen Rohre mit 
Chloroform bis zu 200° C. erhitzt werden, ehne darauf zer- 
seizend einzuwirken. 

2) Ameisensaures Bleioxyd wirkt auf Chloroform bei einer 
Temperatur, bei der es bei Abwesenheit des letzteren noch 
nicht zersetzt wird, nicht ein. 

3) Bei einer Temperatur von 190° C. zerlegt sich das 
ameisensaure Bleioxyd beim Ausschluls von Sauerstoff in Blei, 
Kohlensäure und Wasserstoff nach der Formel CHO’+Pb 0 = 
2C0°’+H-+-Pb. 

4) Unter dem Einfluls von trocknem Ammoniakgase zer- 
legt sich der Dampf des Chloroforms erst bei einer Tempe- 
ratur, die der Rothgluht nahe liegt. Es entsteht Chlorammonium 
und Cyanammonium. Wird aber die Temperatur zu hoch ge- 
steigert, so setzt sich eine braune Substanz im Glasrohr ab, die 
olıne Zweifel Paracyan ist, das aus dem Cyanammonium sich 
gebildet hat. 


162 Gesammtsitzung 


5) Wird die wässerige Auflösung des Ammoniaks längere 
Zeit hindurch mit Chloroform bis gegen 150° C. erhitzt, so 
bildet sich kein Cyanammonium, sondern nur ameisensaures | 
Ammoniumoxyd neben Chlorammonium. # 

6) Setzt man die Lösung des Ammoniaks in wasserfreie nl 
Alkohol mit Chloroform gemischt längere Zeit einer Tempe- 
ratur von 180° bis 190° C. aus, so kann sich neben vielem 
Cyanammonium auch etwas ameisensaures Ammoniumoxyd bil } 
den. Zuweilen ist aber weder das eine noch das andere zu 
entdecken. Dann hat sich eine gröfsere Menge einer braunen} 
Substanz gebildet, die Kohlenstoff und Stickstoff in grofser 
Menge enthält, und ohne Zweifel im Wesentlichen aus Para- 
cyan besteht. i 

7) Aufserdem entsteht hierbei eine grölsere oder kleinere 
Menge von Äthylamin, deren Bildung jedoch allein durch die‘ 
Gegenwart des Alkohols und des Ammoniaks bedingt, und. 
gänzlich unabhängig von der des Chloroforms ist. $ 


Hr. Curtius machte der Akademie Mittheilung über di > 
Ausgrabung der Schlangensäule auf dem Hippodrom 
zu Constantinopel. 

Er konnte nach den vorläufigen Nachrichten, welche dar- 
über im Journal de Constantinople vom 24. Januar enthalten 
und die sodann durch einen Brief des Dr. O. Blau bestätigt 
waren, eine sorgfältige Untersuchung, welche Hr. Dr. Otto 
Frick in Constantinopel jenem archäologischen Funde zuge- 
wandt hat, vorlegen. Der Bericht des Hrn. Dr. Frick, d 
mit Begleitschreiben vom 24. Februar, am Tage der Sitzung, 
eingetroffen war, lautet also: 4 

Die Sage, dafs jene bekannte Schlangensäule auf dem At 
meidan in Constantinopel, eines der drei Denkmäler, welche 
als einzige noch übrige Erinnerung die Stätte des alten Hippo- 
dromos zieren, mit dem von Herodot erwähnten Weihgeschenke 
der Griechen nach der Schlacht von Plataeae identisch sei, 
diese Sage scheint sich zu bestätigen. Ein französischer In- 
genieur ist auf den glücklichen Einfall gekommen, die libera 


zz a. u Be a De u 


vom 13. März 1856. 163 


potestas, welche die „Franschis’” bei Gelegenheit des Kriegs in 
;o manchen Dingen sich verschafft haben, auch einmal zu Nutz 
nd Frommen der Alterthumswissenschaft auszubeuten. Er hat 
Has Erdreich rings um den Säulenstumpf aufgraben lassen und 
ladurch eine Inschrift blolsgelegt, welche zu einem der inter- 
sssantesten Funde auf dem Gebiete der Epigraphik gehören 
lürfte. 

Die Entzifferung dieser Reliquie denkwürdigster Zeiten 
scheint dem Finder zu mühsam gewesen zu sein. Ich habe 
eder in den ersten Tagen, nachdem mir die Kunde von jener 
Ausgrabung zugekommen, noch bei meinen folgenden Besuchen 
bemerkt, dals man jene Entdeckung nutzbar zu machen, d.h. 
die aus dem Grünspan und dem daran haftendem Erdreiche hie 
und da hervorragenden Spuren von Buchstaben in eine lesbare 
nschrift zu verwandeln gesucht habe. Ja der auf die Sache 
bezügliche Artikel im Journal de Constantinople, offenbar der 
Feder jenes Alterthumsfreundes entflossen, begnügt sich mit 
der einfachen Mittheilung der Ausgrabung und behauptet die 
nmöglichkeit, von der Inschrift, welche die Säule vielleicht 
edeckt habe, etwas anderes zu erkennen, als die Reste zweier 
amen, welche allerdings offen genug zu Tage liegen, die der 
Ambrakioten und Tenier. 

Es ist mir gelungen die ganze Inschrift, d. h. 28 Namen 
zu entziffern, und ich habe versucht, soweit das an der Thraci- 
schen Küste bei dürftigen Hülfsmitteln möglich war, sie durch 
einige Erörterungen näher zu beleuchten. 


Die Säule ist ein ehernes Spiralgewinde von dem Durch- 
messer vielleicht eines Fulses, und der Höhe von früher unge- 
fähr 10, jetzt ec. 16 Fuls.. Vierzehn Gewinde sind, Dauk der 
|Bemühung des Franzosen, ausgegraben und in einer Tiefe von 
mehr als 6 Fufs unter dem Platze ist man auf das Postament 
sestolsen. So tief also, oder vielmehr noch tiefer liegt die 
|Fläche des ehemaligen Hippodrom, sicher das Grab werthvoller 
Kunstschätze! — Das Postament ist ein viereckiger Würfel 
von Granit, kunstlos behauen, jedenfalls noch mehrere Fufs 
tief vergraben. Man sieht jetzt nur die obere Platte, in wel- 
‚cher die Säule vermittelst eines in ihrer Mitte befindlichen 


— ru 


164 Gesammtsitzung 


sehr schadhaften Stils befestigt ist. Oben ist die Säule ver- 
stümmelt; sie lief in 3 Schlangenköpfe aus, deren einen Mu- 
hamed II. selbst bei der Einnahme der Stadt heruntergeschlagen 
haben soll, und der — oder ein anderer — noch heute in der 
Waffensammlung aufbewahrt wird, welche jetzt in der ehe- 
maligen Kirche der heil. Irene nächst der kaiserlichen Pforte 
aufgestellt ist. Dieser Schlangenkopf ist einer Mittheilung des 
Hrn. Dr. Blau zufolge oben mit einem Kamme versehen, dessen 
Abplattung seine Bestimmung, einen Gegenstand zu tragen, 
deutlich bekundet. Vollkommen also passen auf das Ganze die 
Worte Herodots: 
IX, 81. 5 roimous 6 Aalseos 6 Emı ToU rgızapyvou odıog 
ToÜ NaAHEoU Emeoteus., 
und des Pausanias: 
X, 13,5. Xpuroüv Toimode Spazovrı Emızeimevov Yalzı. 
Die beiden untersten etwas schmalen Gewinde sind un- 
beschrieben. Dann folgt bis zum 12ten incl. von unten her ge- 
rechnet eine Reihe von Namen, auf der 3ten und i4ten stehen 
zwei, auf den anderen immer drei, auf der 4ten und Tten) 
Windung vier Namen. Sie sind je weiter nach unten, weil 
kürzere Zeit hindurch und in geringerem Malse dem Einfluls 
der Luft und Witterung ausgesetzt, desto besser erhalten. 
Die der oberen Windungen waren nur mit der gröfsten An- 
strengung und nach mühsamer Reinigung, oft nur mit Hülfe 
der Stelle des Pausanias — von welcher nachher — zu ent- 
ziffern, auf den einzelnen Gewinden die mittleren und oberen 
natürlich wieder leichter, als die unteren an den Rand hinge- 
drängten. Die Nachlässigkeit der Schrift, indem die Buch- 
staben oft von verschiedener Grölse sind — nicht allein das 
häufig in kleinerer Gestalt sich findende O — und selten in’ 
gleichem Abstande von einander, zuweilen sogar kaum auf 
gleicher Linie stehen, erschwerie die Lesung in hohem Grade, 
In den Formen der Namen ist der Dorismus vorwiegend, 
wie Alywaraı, Toogavıcı, Mvzaveis, Marc, Fareior, der älteren 
Schreibweise gehört das Digamma an in Farsio und Favaz- 
rogısis (vgl. Franz Elem. Epigr. p. 42), die Form des y als C. 
Die Form des V für x (Franz p. 25) des X für & (p. 45), 


vom 13. März 1856. 165 


des R für o (p. 46 u. 111). Über den frühen Gebrauch des 
£ bei den Doriern vgl. Franz p. 47. 

Gleichwohl ist die Schreibart nicht frei von Unregel- 
mälsigkeiten und Schwankungen, namentlich bei dem Diphthong 
&, der unter den 9 auf zıs auslaufenden Namen zweimal voll 
ausgeschrieben ist. 

Hierher gehören auch die Formen des A und 0. 

Die Namen sind nun, laut beigelegter Copie, folgende: 


(12tes Gewinde) ....... Maxıcı 
Eerale nee Tevıo: 
KogwSıo: 
TC (6tes Gew.) Ne£ıoı 
(11tes Gew.) 3(:)zvov[:ıcı]* Eaergıes 
Ayıwaraı Karzıdes 
(10tes Gew.) Meyazes (ötes Gew.) Zrugsıs 
Emödavgıcı Farsıo * 
Eox,onevio: * Ilorsdsaraı * 
(tes Gew.) Prusaoı[o]ı* (4tes Gew.) Asvzadıoı 
Toaavı[or] Favazrogısıs * 
| Eauioves KuSvior 
| Zupvior 
(8tes Gew.) TiguvSior 
| Iiaraıss (3tes Gew.) Aurgazıoraı 
| Oeomıes Asmosaraı 


(Ttes Gew.) Muzavss* 
Keıo: 


Die angezeichneten Formen bedürfen einer Bemerkung. 
Ob $:xvovıo: oder wie auf den alten Münzen, (cf. Curtius 
Pelop. II, 583) Se#vovıo: zu lesen sei, konnte nicht ent- 
chieden werden. Die Schreibart Egyousvos bestätigt diese 
ariante für das arkadische Orchomenos, auf welche Cur- 
ius Pelop. I, 228 schon aus dem EP einer von ihm gefun- 
denen Kupfermünze schlofs. 5 

[1856.] 12 


166 Gesammtsitzung 


Das auffallende Brısrasıoı ist doch zu deutlich erhalteı 
als dafs man daran ändern, und etwa PAsıasıoı vermuth 
dürfte, was durch eine Inschrift bei Rofs Reisen und Reise- 
routen etc. S. 42 und durch Münzen bezeugt wird. | 

[Durch Toaogavıoı bestätigt sich die Lesart Teogyviaı. Bi 
Corp. Inser. Gr. n. 106, welche sich auch in neugefundenen In- 
schriften das Peiraieus wiederholt; vgl. Gerhards Archäol, 
Anzeiger 1855 S. 84*.] N 

Muzave?s neben Muzyvaioı und ’Avazrogıeis neben 
"Avazropidı findet sich bei Steph. Byz. p. 460 ed Meinl 
6 morirns Muxyvaios za Muxyveus, und p- 9%: 70 EIvızov Avon. 
TogLos za ’Avazrogısus. Fareto: mit dem Digamma is! 
auch auf Münzen häufig, cf. Eckhel DN. II, 266 und die In- 
schrift beiBoeekh im Corp. Inser. Gr. I n. 11. Das = in Iors- 
dsaraı ist nicht zu verkennen, obwohl ich nicht im Stande bin, 
dieselbe Form anderswo nachzuweisen. Über "Aumoazıureı statt 
"Außgazıöraı siehe Steph. Byz p. 85 ed. Mein. J 

Vergleichen wir nun unsere Inschrift mit den Berichten 
der Alten über das erwähnte Weihgeschenk, so giebt sie auf 
der einen Seite eine höchst interessante Bestätigung derselben, 
befindet sich auf der anderen aber auch in manchem Wider- 
spruch mit ihnen und nöthigt uns, dieselben theilweise anders 
zu verstehen, als bisher, theilweise zu berichtigen. 

Herodot erzählt uns, wie die Griechen nach der Schlach 
bei Plataeae noch auf der Wahlstatt die erbeuteten Schätze 
zusammengetragen, und ein Zehntel davon für den delphischen 
Gott abgesondert hätten (IX, 81), 

Em 4 ö Teimous 6 Yalrzos AvereSn, 6 Emı Foü FgızagnvoU 

Odıos ToÜ yarzzou EmerreuWs ayyırra 700 Bund, 
ein anderes Zehntel sei für den olympischen Gott bestimmt 
worden, von dem sie eine 10 Ellen lange eherne Statue des 
Zeus aufgestellt hätten, ein drittes Zehntel für den isthmischen 
Gott, das zu einer 7 Ellen hohen ehernen Statue des Poseidon 
verwandt worden sei. 

Jenes erste Weihgeschenk, aber dieses allein, erwähn 
fast mit denselben Worten auch Diodor ÄlI, 33: 

i Ö’’EAAyves dr Tv Aachuguv derdryv EEehomevor zure 


’ m ’ ö \ a» Ian > , 
THEUETEV YIVTOoUv FOIMOOR RU AVERTNARV EIS Asrdous. 


vom 13. März 1856. 167 


 Pausanias spricht von eben demselben bei Aufzählung 

ler delphischen Weihgeschenke X, 13, 5: zv zouwws d2 EIerav 

Eoryou 700 Mares oi "EAAyves Keusouv Formodc Igazovrı 

mizeinsvov YarzU. 

Aber er kennt auch jene Statue des Zeus (V, 23, 1) 

ayanı Aus - - aveSerav "ErrYvwv, Orc: Miaradrıv EmayE- 
Favro Evarria Magdoviou TE zo Mydwrv, 

nd theilt uns sogar die Namen jener (vermeintlichen) Kampf- 

zenossen mit, welche er am Fulsgestell eingegraben fand. Er 

as sie in folgender Ordnung: 


Aazsdcaıpovio: Mvuzyvaroı 
’ASyvetoı X7oı 
KogiwSıor MıAycıoı 
Sırzuwvıoı "Außgazıuraı 
Alyıyrar Tyvıoı 
Meyagsis Asmpedra 
Eridavgoı Negıoı 
Teysaraı Kusvio: 
"Ogyxorevioı Irugeis 

" Pruamıcı "Hretcı 
Toaılyvio: Nordauareı 
“Eapıoveis "Avazrogıoı 
TiguvSioı Xarzıdeis 
IMearaısıs 


Halten wir nun diese Namenreihe mit derjenigen unserer 
Insehrift zusammen, so finden wir erstens auf der Säule 
sämmtliche Völker wieder, mit Ausnahme der Lacedaemo- 
nier, Athener, Tegeaten, Chier und Milesier, und 
ıden zweitens 12 derselben bis zu den Mykenäern auf 
jeiden in ganz gleicher Folge aufgeführt, falls wir nämlich die 
[Degeaten des Pausanias und die Thespier unserer Inschrift 
überschlagen. Ja, lesen wir weiter, so folgten auf der Statue 
des Jupiter dem Text des Pausanias nach die X?o: und Mıry- 
zıoı, — folgen auf der Schlangensäule, so gewils wir unseren 
Augen trauen dürfen, die Ke?o: und MaA:o:. (Melier). Ohne 
12° 


= 


168 Gesammtsitzung 


Zweifel werden schon die Erklärer des Pausanias — ich habe nur 
den Text in den Händen — der ganzen Inschrift eine allge- 
meinere Deutung gegeben haben, als sie Pausanias annimmt. 
Denn weder Chier und Milesier, noch die anderen Insel- 
völker mit Ausnahme des mit dem Festlande auf eine Linie 
gestellten Euböa, können an der Landschlacht von Plataeae- 
Antheil genommen haben. Man könnte an Mykale denken, wo 
— aber erst hier — jene Völker zu den Griechen übergehen. 
(Diodor. XI, 3, Herod. VIII, 46 — Diod. XI, 36, Her. 18.0 | 
103, 106 ff.) Aber ich denke die weitere Betrachtung un-. 
serer Inschrift wird bestätigen, was man schon jetzt anzu- 
nehmen geneigt sein wird, es gebe unsere Inschrift auch für 
den Pausanias die richtige Lesart, mag er selbst nun, oder 
spätere Abschreiber sich des Irrthums schuldig gemacht haben. 
[Keio: z&: MyArcı haben auch die neueren Ausgaben.] 

Aber auch in den darauf folgenden Namen finden wir we- 
nigstens eine gewisse Gleichheit der Anordnung je nach de 
Landschaften; einmal auch wiederum wenigstens drei Namen 
in derselben Folge (Xrugeis, ’HAsior, Horidarkrer). Füge ich end- 
lich hinzu, dals der Raum auf der ersten beschriebenen Win- 
dung, welche am unteren Rande den Namen Kog!vS:o: trägt, 
über derselben deutliche Spuren einer früheren, jetzt voll- 
ständig verwitterten Inschrift zeigt, ohne dals es jedoch mög- 
lich ist, aus dem Gewirre durcheinanderlaufenden Gekritzels‘ 
bestimmte Schriftzüge zu erkennen, so wird man gern zugeben, 
dafs dort jene beiden ersten von Pausanias aufgeführten Namen 
der Lakedaemonier und Athener gestanden haben werden, 
und dafs wir mithin in unserer Inschrift auch jene der Ju- 
piters-Statue enthalten finden. d 

Es fehlt mithin nur der Name der Tegeaten. Lassen 
wir ihn vorerst noch bei Seite und fassen wir eine andere für 
unsere Inschrift sehr wichtige Stelle ins Auge, den Katalog 
der Völker, welche nach Herodot in der Schlacht von Plataeae 
mitkämpften. (Herod. IX, 28.) Er nennt uns der Schlacht- 
stellung nach geordnet folgende: 


vom 13. März 1856. 169 


edrınovicı TigvvSror Alyıwyraı 

eysaraı Brrarıc Meyageis 

ogivQ10ı "Egmioveis Iearaısıs 

Horıdauareı Egerpieis ’Adyvaoı 

Opy,onevioı Zirupeis Ferner nachträglich 
1zuwvi0r Karzıdsis (cap. 30) Osrrieis 
Eridaygıo: "Aumpezıören und als verspätet ein- 
garyvioı Asvzadıoı treffend (cap. 77) 
emge@ren "Avazrogıoı Mavrıveis und 
vayvaioı Iarsts ’HAeioı 


Mit dem Pausanias verglichen, fehlen hier die Insel- 
ölker, deren Erwähnung dort befremden mufste, (die Keer, 
elier [oder Chier und Milesier], die Tenier, Naxier und 
ythnier) sind aber mehr hier genannt, als dort, die Ere- 
rier, Leucadier, Paleer, Thespier und Mantineer. 
it der Schlangensäule verglichen, hat diese von den im 
ausanias nicht erwähnten die Eretrier, Leucadier und 
nd Thespier, läfst nun aber auch nicht mehr die Tegea- 
en, sondern aulserdem die Mantineer und Paleer ver- 
issen. Endlich zeigt uns diese doppelte Vergleichung un- 
ere Inschrift um einen Namen reicher, der weder vom 
ausanias noch vom Herodot erwähnt war, den derSiph- 
ier. 

Wenn nun schon der ganze Katalog des Herodot darauf 
inweist, dafs unsere Inschrift unmöglich allein auf die Mit- 
ämpfer von Plataeae bezogen werden könne, so zeigt dieser 
etzte Name der Siphnier, dafs sie zunächst sich auch auf 
alamis beziehen müsse. Wir finden ihre Namen nur in dem 
erzeichnils der Streiter von Salamis (Herod. VIII, 46). Zie- 
en wir aber die Schlacht von Salamis mit in den Kreis un- 
rer Betrachtung, so stolsen wir sofort theils auf bestimmte 
eugnisse, theils auf Andeutungen anderer Art, aus denen 
eutlich herxorgeht, dafs wir es mit einer Siegestrophäe für 
en ganzen 2ten Perserkrieg zu thun haben. 

Ein bestimmtes Zeugnils ist jene Stelle Herodots (VIII, 
), in welcher er uns von einem der Völker den Grund an- 
ebt, weshalb wir seinen Namen auf unserer Säule lesen, den 


470 Gesammisitzung \ 


Teniern. Anfangs auf Seiten der Perser (VIII, 82) hätten 
sie sich um die Sache der Freiheit dadurch ein grolses Ver- 
dienst erworben, dafs sie am Abend vor der salaminischen 
Schlacht übergebend — denn auf jenes eine übergehende Schiff 
belief sich wohl überhaupt ihr Contingent, gleich dem der 
Kythnier und Siphnier — die Bestätigung der Nachricht des 
Aristides brachten, dals die persische Flotte, die Hellenen um- 
zingelt habe; dia Ö& roüro ro Eoyov, fährt er fort, Zveygapnrau 
Tyvıoı Ev Asrhboisw Es Tov Taimoda Ev rain: röv Daoßagov HareRoüae 
Ein bestimmtes Zeugnils ist ferner die Stelle des Demosthe- 
nes in Neaeram p. 1378, wo der delphische Dreifuls ausdrück- 
lich ein gemeinsames Weihgeschenk der vereinigten Griechen 
für Plataeae und Salamis genannt wird. — Aber für Salamis 
und Plataeae allein? Schon war ja — der besonderen Ga- 
ben der einzelnen Völker nicht zu gedenken (Herod. VIII, 122, 
Pans. X, 9, 1. — 11, 4. — 15, 1. — 16, 2. — 18, 1. —)— 
für den ersten dieser Siege ein gemeinsames Weihgeschenk 
nach Delphi gesendet worden, eine Statue von 12 Ellen Höhe, 
mit einem Schiffschnabel in der Hand (Her. VIII, 121) und 
ein Apollo (Pans. X, 14, 3 ars !aywv rav dv Tais veusw Emi ze 
"Aorenımıw zo Ev Zara). Wozu noch ein neues nachträg- 
lich nach der Schlacht von Plataeae? Es scheint kaum zwei- 
felhaft, dafs der Name der Sieger von Salamis und Plataeae, 
den Haupt-Wahlstätten im zweiten Perserkriege, die Theil- 
nahme an dem Befreiungswerke überhaupt bezeichnet. — Für 
Thermopylae oder die Besetzung des Isthmus konnte kein Weih- 
geschenk dargebracht werden, kaum auch für Artemisium. So 
bleiben nur Salamis, Plataeae und Mykale. Nun stelle man 
die in diesen drei Schlachten aufgeführten Streitkräfte der grie- 
chischen Staaten zusammen. Denn wenn die volle Gültigkeit 
dieser Zahlenangaben auch nicht ohne Grund bezweifelt wor- 
den ist (cf. Niebuhr Vorträge über Ethnogr. I, 72.), so sind 
die Zahlverhältnisse doch im Allgemeinen als richtig an- 
zunehmen. 

Man wird seben, Salamis und Plataeae ergänzen sichz 
wo einem Volke der eine dieser Namen fehlt, tritt der andere 
für ihn ein. Was aber Mykale betrifft, so können unmöglie 
die drei Namen der Korinthier, Sikyonier und Troize- 


vom 13. März 1856. 171 


nier, welche mit den Lacedaemoniern und Athenern allein 
namentlich von Herodot genannt werden, die ganze dort 
versammelte Macht der Hellenen bezeichnen. Sie werden nur 
ausdrücklich hervorgehoben (cf. IX, 105, 6), nicht wie sonst 
vor den Berichten gemeinsamer Unternehmungen in vollstän- 
digem Verzeichnisse aufgezählt. Vielmehr haben wir uns die 
ganze Flotte thätig zu denken, welche auch bei Salamis stritt. 
Und so erscheinen uns dann manche der auf dem Ruhmes- 
denkmal verzeichneten Völker, besonders unter den Inselbe- 
wohnern dieser Ehre würdiger, deren Antheil an dem allge- 
meinen Befreiungswerke sonst etwas dürftig wäre. 

Dieser Annahme, unser Weihgeschenk gelte dem ganzen 
zweiten Perserkriege, steht von den Stellen, welche die Sache 
behandeln, im Grunde auch nur die des Pausanias entgegen 
V, 23.1. (aveSesav de Erryvav Orc Mareıkoıw Znaygravro Evan- 
ie Magdoviov re zur Myöwv) deren Widerspruch mit den dar- 
auf folgenden Namen wir indessen schon im Obigen berührt 
haben. Zudem behandelt sie im Grunde doch nur die Statue 
des Zeus in Olympia, über eben welche er sich an einem an- 
deren Orte schon weit weniger bestimmt ausdrückt, VI, 10, 2: 
u FToü Ars ou ame vis Rays is WDaraisw avarsFvros 
Urs 'ErA?yvwv., und die er an einer dritten ganz allgemein 
ein Geschenk der Griechen nennt, welche gegen den Perser- 
könig gekämpft hätten. 

X, 14. Erryves de 0i Zvavrie BacırRdws moreuf- 
Fuvrss avedsrav nv Aia 26 "ORvuriav Yarzoüv. 

Alle unsere Säule betreffenden Stellen zwingen in kei- 
ner Weise zu einer so engen Interpretation, sondern sprechen 
im Gegentheil für unsere Ansicht. So liegt in den Stellen 
desHerodot, Pausanias undDiodor nur, dals Platäensische 
Beute darauf verwandt sei: 

Her. IX, 81. ounpogysavres ra Yoyuarae zu Ösrarnv dm 
. ns 6 Feimous 6 Agursaos Avery, 6 Emı #72. 

Paus. X, 13, 5. Zu zouws Öt &Iesav amd Eoyov roü Ie- 
N zauerw 0 "EAryves Aovsoüv Formodc ATA: 

Diodor XI, 33, ei ÖErrwes ix TE Aubuguv derery 
H EEeAonevor HUTETREURTEV Keusouv Falmodc za avedyzav 
x eis Asdıbovs. 


172 Gesammtsitzung 


Die übrigen gedenken Plataeaes nicht einmal, und spre- 
chen nur ganz allgemein von einer Erstlingsgabe der Hellenen, 
welche die Barbaren vernichtet hätten. So Herod. an de 
angeführten Stelle über die Tenier: VII, 82. Zveygapyrav “| 
rov Toimod« Ev Toisı ToV Bagßagov #areAoüsıw; vor allem aber 
Thucydides: 

I, 132. ömı z0v rgımoda rov Zv AsAhois ov aveIesav oi "ErAyveg 
«ro rov MyÖwv argoIiviov..... Emtyoalav övounsri Tas To. 
Asıs, oreı Euyaatsroüseı Tov Baoßagov Errysav 70 dva9yua (und 
damit übereinstimmend Cornelius Nepos Paus. 9, 2). | 

Aber scheint nicht gerade diese letzte Stelle des Thucy- 
dides allein auf Plataeae hinzuweisen? Pausanias, berichtet 
er, habe eigenmächtig auf den Dreifuls, den die Griechen von 
den Medern her als Weihgeschenk in Delphi aufstellten, eine 
Inschrift setzen lassen, welche ihm allein den Ruhm, die Meder 
vernichtet zu haben, zuschrieb. Diese Inschrift hätten die La 
cedämonier damals sogleich von dem Dreifuls hinwegmeifseln 
lassen, und die Namen aller der Städte darauf geschrieben, 
welche an der Besiegung der Perser theilnehmend das Weih- 
geschenk aufgestellt hätten. Dasselbe fast mit denselben Wor- 
ten berichtet Cornelius nur mit der Modification, welche eine; 
Deutung der Stelle des Thucydides in sich schlielst, dafs nur 
die Namen jener Staaten darauf geschrieben, die getilgten Verse‘ 
nicht durch andere ersetzt worden seien (exsculpserunt neque 
aliud scripserunt, quam nomina earum civitatum, quarum 
auxilio Persae erant victi). Aus dem Äufseren der Säule ist 
nichts Sicheres darüber festzustellen. Der Raum oberhalb des 
ersten erhaltenen Namens KopivS:o:, sowie auf der nächst 
höheren Windung ist mit Rissen und Einschnitten bedeckt. 
Der letzte trägt auch deutliche Spuren einer Art von Ab- 
schleifung, indem der Rücken der Windung merklich abge | 
plattet erscheint. Aber Spuren einer erneuten Inschrift nach- 
zuweisen, ist ebenso unmöglich, wie das Gegentheil festzustellen, 
dals sie nicht beschrieben gewesen sei. — Dennoch macht 
schon Nipperdey zum Cornelius darauf aufmerksam, dals, 
wäre wirklich das Epigramm des Pausanias durch ein anderes 
ersetzt worden, Thucydides diesen Umstand nicht würde un- 
erwähnt gelassen haben, — dals somit Cornel eine richtige, 


vom 13. März 1856. 173 


Diodor hingegen eine irrige Nachricht zu geben scheine, 
wenn er, ohne eines anderen Umstandes zu gedenken, ein an- 
deres Epigramm allgemeinen Inhalts als Aufschrift jenes Drei- 
fulses anführt. — Was nun gewinnen wir für unsere Unter- 
suchung daraus? Einmal könnte selbst das verworfene Epigramm 
des Diodor, wenn wir es nur als den Ausdruck der Volks- 
meinung betrachten, als Zeugnils für unsere Behauptung ge- 
braueht werden '), und dann dürfte gerade die Erzählung des 
Thucydides Licht und Aufschlufs über den Grund der Unbe- 
stimmtheit geben, mit welcher die Widmung bald auf den 
Sieg bei Plataeae, bald auf die Vernichtung der Perser bezogen 
wird. Es scheint nämlich, dafs dieser Dreifuls Anfangs jene 
engere Bestimmung als Weihgeschenk für Plataeae gehabt, 
dann aber zugleich mit der Vernichtung des ersten Epigramms 
jene weitere allgemeine erhalten habe, Ruhmes-Denkmal für 
| den zweiten Perserkrieg zu sein, wodurch der Gegensatz zu 
den selbstischen Gelüsten des Pausanias einen schärferen Aus- 
druck erhalten hätte. 

Es fragt sich jetzt, findet bei dieser Auffassung die Aus- 
lassung der Namen eine genügende Erklärung, welche in dem 
‚ mitgetheilten Verzeichnifs des Herodot, nicht aber in unserer 
\ Inschrift standen, der Paleer, Mantineer und Tegeaten? 
und sind zweitens, abgesehen von diesen, uns nicht sonst 
| noch Namen von Staaten aufbehalten als Theilnehmer an den 
\ Siegen von Salamis, Plataeae und Mykale, auf welche es allein 
bier ankommt, deren Abwesenheit auf unserer Säule Bedenken 
erregen mülste? 

Beantworten wir uns die letzte Frage zuerst, und halten 
| wir mit dem Herodot und Diodor in der Hand Heerschau über 
‚ die Streitkräfte in den genannten Schlachten — (Artemisium 
Herod. VIII, 1 u. 82 — Salamis VII, 43—48. Mykale 
IX, 102, Diodor XI, 36), so treffen wir allerdings noch auf 
die Namen der Krotoniaten, Seriphier, Lemnier, der 
OpuntischenLocrer und Phokier, finden aber auch Gründe, 
welche erklären, warum sie auf unserer Inschrift fehlen konnten. 


1) Diod.XI, 33. 'ErAddos e’puxöpou awräpes Tovd' dveInna, douAoaums 
Oruyerds puodueror möAıas. 


174 Gesammtsitzung 


Die Krotoniaten als Kolonisten, und einzige Vertreter 
der Kolonien mit Einem Schiff, in der Einen Schlacht bei 
Salamis würden, so edelmüthig ihre Hülfsleistung auch war, 
an und für sich kaum Anspruch auf eine solche Ehre haben 
machen können. Nun aber ersehen wir überdies aus einer 
Stelle des Pausanias, dals diese Hülleleistung nur eine Privat- 
unternehmung des Phayllus, nicht Beschluls des Staates war. 
(Herod. VIII, 47, Pans. X, 9. 1.) 

Die Seriphier stellten (Her. VIII, 46, 48) einen Fünf- 
zigruderer bei Salamis; aber es scheinen nur die ionischen 
Ansiedler gewesen zu sein, welche neben der ersten Bevöl- 
kerung auf der Insel wohnten (cf. Hoffmann Griechenland 
und die Griechen II, 1424.) 

Lemnos gehört nicht zu jenen Inseln, deren Bewohner 
dem Barbaren Erde und Wasser zu verweigern wagten 
(Herod. VIII, 47) und ‘seine Betheiligung an den Perser- 
kriegen erstreckt sich nur auf das Überlaufen Eines Schif- 
fes bei Artemisium und dessen T'heilnahme an der Schlacht 
bei Salamis (cap. 82). Auch war sie in den Besitz der Perser 
gekommen. Die opuntischen Locrer endlich halten zwar 
anfangs Erde und Wasser gegeben, waren aber auf die Nach- 
richt von dem Zuge des Leonidas anderen Sinnes geworden, 
(Diodor XI, 4) und mit ihrer ganzen Macht (Herod. VIII, 203), 
welche Paus. (X, 20) auf 6000 abschätzt, zu den Griechen 
gestolsen. Bei Artemisium eilten sie mit 7 Pontekonteren zu 
Hülfe (Herod. VIII, 1.), müssen aber dann dem Zuge des 
Kriegs gefolgt sein, wie aus Herod. VIII, 66 (verglichen mit 
Vi, 232 u. IX, 31) hervorgeht, wo kein Unterschied mehr 
zwischen den drei Stämmen gemacht wird, sondern die Locrer 
im Allgemeinen im Persischen Heere genannt werden. Und 
was für uns die Hauptsache ist, bei Salamis werden sie nicht, 
bei Plataeae an der Seite der Thebaner aufgeführt. (IX, 31.) 
Die Phokier endlich sehen wir zwar mit 1000 Mann an den 
Thermopylen vertreten (Herod. VH, 203, 207, Paus. X, 20.), 
obwohl auch erst nach einer Aufforderung (£rizAyro.); aber. 
ihr Motiv war nicht sowohl Hingebung an das Allgemeine als 
Hals und Feindschaft gegen die 'Thessalier (VIII, 30) (ovx Zur- 


7, N N‘ N & 
d1lov, — zur arA0 [av older — zur de To Ey,Dos FO Ocssaruv.) 


vom 13. März 1856. 175 


Wenn sie daher auch in der Folge nur gezwungen den Per- 
sern dienen (VIII, 30 ff., IX, 17 ff.) und ein Theil von ihnen 
bei Plataeae sogar in den Reihen der Griechen kämpft (IX, 31. 
Pans. X, 16), so konnten sie doch eben um dieser Vergangen- 
heit willen und wegen der öffentlichen Meinung auch über die 
nachherigen Thaten nicht unter den Befreiern Griechenlands 
genannt werden. 

Ähnliche Gründe lassen sich auch von der ersten Klasse 
der fehlenden Namen (Paleer, Mantineer, Tegeaten) für die 
Paleer und Mantineer anführen. 

200 kephallenische Paleer kämpfen bei Plataeae. Aber 
es ist die einzige Waffenthat, an der sie im Perserkriege An- 
theil haben (IX, 28, 31) und zugleich die älteste Erwähnung 
der Insel in historischer Zeit. Wenn nun auch die Stadt der 
Paleer die mächtigste derselben war, so war doch die ganze 
Insel in jener Zeit zu unbedeutend, als dals das Übergehen 
jener That sehr Wunder nehmen könnte. Auch die Inschrift 
des Pausanias gedenkt ihrer nicht. 

Von den Mantineern ist zwar nichts berichtet, was ihre 
Bereitwilligkeit, der hellenischen Sache zu dienen, zweifelhaft 
erscheinen lassen könnte. Sie stellen ein verhältnilsmälsig sehr 
bedeutendes Contingent für die Thermopylen (500 Mann, Co- 
rinth nur 400, Herod. VII, 202, Paus. X, 20), sie sind sicher 
unter den Arcadiern, welche den Isthmus mit besetzen (Herod. 
VII, 72), sie zürnen sich selbst und bestrafen ihre Führer, 
als sie sich bei Plataeae verspäten (IX, 77), aber sie haben 
eben das Unglück, an keinem der grolsen Kämpfe wirklichen 
Antheil genommen zu haben, auf welche es hier ankommt. 
Denn wollen wir auch zugeben, dals der Kampf bei den Ther- 
_ mopylen denen, welche mit dem Leonidas ausharrten, den 
Spartanern, Thespiern, und nach Paus. X, 20, anch den 
Mycenäern mit in Anrechnung gebracht werden mochte, 
beim Antheil am allgemeinen Befreiungswerke, so schwerlich 
doch denen, welche nach dem Ausdruck Herodots „unmuthig 
waren, und nicht gewillt, ihr Leben einzusetzen”, — vor allem 
wenn sie in den Hauptschlachten fehlten. 

Schwierig hingegen ist es, die Auslassung der Tegeaten 
genügend zu erklären. Können ihnen auch die Hülfsleistung 


176 Gesammtsitzung 


bei den Thermopylen, wohin sie 500 Mann sandten, und die 
Besetzung des Isthmus (’Agz«öes m «vres Herod. VII, 72) dem 
früher Gesagten nach keine Stelle auf unserer Inschrift sichern, 
so verschafft ihnen vollen Anspruch darauf ihre That bei Pla- 
taeae, wo sie mit 5000 Kriegern, darunter 1500 Hopliten (IX, 


28 u. fl.) an der Seite der Spartaner auftreten, ein Platz, der | 


ihnen runs sivere zur gerne (IX, 28) angewiesen war, nach- 
dem sie auf das alte Ehrenrecht, den linken Flügel halten zu 
dürfen, zu Gunsten der Athener hatten verzichten müssen (He- 
rod. IX, 26 ff., Plut. Aristid. 12, Vgl. Hermann Staats- Al- 
terth. $. 34, 9), Wenn sie mit Athen um einen solchen Vor- 
zug überhaupt hatten streiten können, wenn ihre Bravour in der 
Schlacht mit den Ausschlag giebt (IX, 61) — sie sind die 
ersten auch, welche in das Lager stürmen, cp. 70 — wenn 
ihnen als den dritten nächst den Lacedämoniern und Athenern 
der Preis der agırrei« zuerkannt wird (71), so sollten sie keinen 
Platz auf dem Siegesdenkmal gefunden haben, wo wir Staaten 
von weit geringeren, nur vor Plataeae erworbenen Verdiensten 
finden, wie z. B. die Tirynthier? — Auch auf der Statue des 
Pausanias standen sie. Hatlen sie auf unserer Inschrift viel- 
leicht die Stelle, welche ihrem Verdienste nach der Schlacht 
zuerkannt war, nächst den Lacedämoniern und Athenern die 
dritte? und ist ihr Name mit diesen ebenfalls dem Zahn der 
Zeit zum Raube geworden? Sicheres läfst sich auch hierüber 
aus der Säule selbst ebenso wenig entnehmen, wie über jene 
Epigramme. Der Raum würde aber dieser Vermuthung nicht 
widersprechen; auch nicht der Umstand, dafs jede Windung 
meistens nur 3 Namen enthält; denn auf der 4ten und 7ten 
lesen wir deren 4; wohl aber die Stelle, welche sie bei Pau- 
sanias einnehmen, nämlich neben ihren Stammesgenossen den 
Orchomeniern, und die sonstige Übereinstimmung der Reihen- 
folge auf beiden Denkmälern. — Wir wagen nicht zu ent- 
scheiden. 

Werfen wir jetzt noch einen Blick auf die Ordnung, in 
welcher unsere Namen aufgeführt sind, und beachten wir in 
der obigen Zusammenstellung die numerischen Verhältnisse der 
jedesmal gestellten Contingente, so scheint es auf den ersten 
Blick, als sei man in der Anordnung nicht blols einem geo- 


vom 13. März 1856. 177 


graphischen Eintheilungsgrunde gefolgt, sondern habe auch auf 
die Verdienste und Würdigkeit Rücksicht genommen. Sicher- 
lich wenigstens im Anfang. Es eröffnen die Reihe diejenigen 
' Staaten, welche an allen drei Hauptschlachten theilnahmen, — 
dann diejenigen, welche bei Plataeae allein, endlich diejenigen, 
welche bei Salamis (und Mycale?) allein fochten. Doch zeigen 
mancherlei Abweichungen, besonders im letzten Theil der In- 
schrift, dals dies Princip nicht konsequent durchgeführt ist. 

Den Lacedaemoniern, den damaligen Hegemonen, ge- 
bührt der erste Platz. 

Die Corinther am dritten zu sehen, entspricht seiner 
damaligen Machtstellung (Plut. Aristid. 20, C. F. Hermann St. 
Alterth.34, 11). Ja man wird nicht Unrecht haben, wenn man 
in diesen Range ihres Namens ein Zeugnils dafür erkennt, dafs 
der Vorwurf des zweideutigen Verhaltens in der Schlacht von 
Salamis entweder nicht sowohl sie selbst, als ihren Führer 
Adimantus trifft, oder ihnen ungerechter Weise von den 
Athenern gemacht ist, wie ja Herodot schon anzunehmen ge- 
neigt ist (VIII, 94. rovrous nv romUry barıs Eyaı üme ’AIy- 
veiwv' oU euro auroi Ye KogivIıor ÖmoAoyeovcı, KAM Ev maurası 
abeus wurous ris veunayins vonigoucı yaverIar Mrprupei de acbı zur 
Hana "Errcs). 

Die Leistungen der Aigineten und Megarer würden 
sich ausgleichen; allein der bei Salamis davongetragene Preis 
(VII, 93) sichert jenen vor den Megarern den Vorrang. 

Die Epidaurier scheinen der geographischen Ordnung 
entgegen, den OÖrchomeniern vorangesetzt zu sein, weil sie 
was jene nicht, auch bei Salamis mitgestritten hatten. 

In ganz bestimmter nach den Leistungen sich richtender 
Ordnung folgen dann die Troizenier, Hermioner und 
 Tirynthier. 

Man würde dann den Namen der Mykenäer erwarten, 
"deren Macht mit der von Tiryns vereint ins Feld rückte. Das 
I) Übergewicht aber, welches wir in den gestellten Contingenten 
auf Seiten der Plataeaer und Thespier sehen, scheint ihre obere 
"Stelle bestimmt zu haben. Da alle jene später argivischen 
"Orte damals noch unabhängig waren (Curtius Pelop. II, 388. 
“und 402; O. Müller Dorier I, 83 ff. 56) — und unsere In- 


178 Gesammisitzung 


schrift scheint es zu bestätigen, wodurch die von €. F. Her- 
mann (St. A. $18, 15) gegen O. Müller angeregte Frage 
erledigt würde — so ist ein Abweichen von der geographi- 
schen Ordnung um so weniger auffallend. 

Die Platäer gehen den Thespiern voran, trotzdem sie 
nur 4 der Macht der letzteren stellen, aus demselben Grunde, 
aus welchem ihnen gestaltet worden war, ein Tropäon auf der 
Wahlstatt aufzurichten, nämlich die Stätte des Kampfes und 
die Opfer der Stadt zu ehren (Plut. Aristid. XX, Thucyd. 
III, 57). 

Auffallen mufs es, die Thespier von Pansanias nicht ge- 
nannt zu sehen, da ihre Betheiligung an der Schlacht von Pla- 
taeae von Herodot (IX, 30) ebenso, wie von Diodor (XI, 
32) bezeugt wird, und ihr Heldenmuth an den Thermopylen 
(H. VII, 222, Diod. XI, 9, Paus. X, 20) ihnen allein schon 
Anspruch auf einen solchen Ehrenplatz geben mulste. 

Unter den Cycladen stehen die Ceer oben an; sie hatten 
von diesen Inseln nicht nur die meisten Schiffe gestellt, son- 
dern auch allein in der Schlacht bei Artemisium gekämpft 
(VII, 1). Der besonderen Veranlassung, welcher die Tenier 
ihren Platz dankten, ist schon oben gedacht worden. Die Na- 
xier finden wir aufgezeichnet, obwohl auch ihre 4 Schiffe im 
Grunde nur Überläufer waren, und ihre Hülfe nieht sowohl 
der Bereitwilligkeit des Staates, als dem Eifer des Trierarchen 
Democritus zuzuschreiben war. Es ist anzunehmen, dals die 
Schlacht bei Mycale sie in vortheilhafterem Lichte gezeigt hat. 

Befremdend ist die Erwähnung der Eleer; nicht gerade, 
dals sie an dieser Stelle aufgeführt sind, — das Verzeichnils 
wendet sich mit ihnen zu den westlichenStaaten — als dals sie 
überhaupt erwähnt sind. Wir treffen sie nämlich weder bei’ 
Artemisium, noch bei Mycale; sie werden zwar bei der 
Besetzung des Isthmus genannt (VIII, 72), doch weder hier, 
noch in Plataeae, wo sie mit den Mantineern sich ver- 
späten, wurde ihnen Gelegenheit zu Waffenthaten (1X, 77). 
Und doch nannte sie auch die Inschrift des Pausanias.. Haben‘ 


wir sie uns in der Seeschlacht von Mycale um so thätiger zu 
denken? denn wenngleich ohne Beruf zur Seefahrt, waren sie 
doch nicht von aller Seemacht entblölst. (cf. Diodor.XIV, 34.) 


vom 13. März 1856. 179 


Von nun an ist eine bestimmte Absicht in der Anordnung 
nieht mehr zu erkennen, weder in geographischer, noch son- 
stiger Hinsicht. 

Das Contingent der Siphnier ist das winzigste, eine 
Pentekontere. Von Pausanias werden sie nicht erwähnt. Viel- 
leicht war darauf, dafs wir sie bei uns finden, die nähere Be- 
ziehung von Einfluls, in welcher sie zu Delphi standen, wel- 
ches aus ihren Goldgruben den Zehnten empfing, und sogar 
ein Schatzhaus dieses Inselvolkes aufzuweisen hatte (Pausan. 
X, 11. 2.) 

Wenn wir endlich die Lepreaten an dieser Stelle von den 
Eleern abgesondert treffen, so ist das weder ein Widerspruch 
noch auffallend. Die Lepreaten waren nicht nur nicht Eleer, 
sondern sogar beständige Feinde derselben. Sie waren Mi- 
nyer und von allen Minyerstädten die einzigen Theilnehmer 
an den Perserkriegen. 


| 


Hr. Curtius begleitete die voranstehende Abhandlung 
des Hrn. Dr. Otto Frick mit einigen Bemerkungen. Bei 
aller Anerkennung der wichtigen und dankenswerihen Ent- 
deckung glaubte er dennocl die Identität des aufgegrabenen 
Schlangenfulses mit dem delphischen Weibgeschenke nicht un- 
bedingt annehmen zu dürfen. Bedenklich macht die durchaus 
ungriechische Form der gewundenen Säule, die Flüchtigkeit 
der eingeritzten Schriftzüge, so wie die Inconsequenz der 
Schreibart. Es läfst sich sehr wohl denken, dals Constantinus 
den goldenen Dreifuls nach Byzanz bringen liels ohne die Ba- 
sis, auf der die Inschrift stand, dafs man ihn daselbst auf einem 
neuen, in byzantinischem Geschmacke gearbeiteten Postamente 
aufstellte und auf demselben die Inschrift der ursprünglichen 
Basis nachahmte. Ein weiteres Urtheil üher diesen Gegen- 
"\stand mufs genauerer Untersuchung vorbehalten bleiben. 

Hr. Dr. Frick hat, wie er nachträglich mittheilt, in der 
erwähnten Waffensammlung der Irenenkirche den Drachen- 
kopf gesehen; es ist ein Bruchstück, das den weitgeöffneten 
"Rachen eines solchen Thieres darstellt, hohl gearbeitet und 
zwischen den Augen von solcher Breite, dafs die Fülse eines 


180 Gesammtsitzung 


grolsen Dreifulses sehr wohl dazwischen Platz finden konnten s 
Zwischen den gewölbten Augenbrauen erkennt man eine an- 
sehnliche Vertiefung. 


Inschrift der Schlangensäule auf dem Atmeidan 
in Constantinopel. 


—— | | (| | 


(12tes Gewinde) KOR[IN®IO[I] 


(11tes Gewinde.) ZI] KVON[IOI 
AICINATAI 


(10tes Gewinde.) MECAREXZ 
EMTIDAVRIOI 
ERVOMENIOI 


(9tes Gewinde) OAIEIAZI[O]I 
TROZIANI[{OI] 
ERMIONES 


(stes Gewinde.) TIRVN®IOI 
MAATAIEZ 
BEZTIEZ 


- (Ttes Gewinde.) MVKANEZ 
KEIOI 
MAANIOI 
TENIOI 


(6tes Gewinde.) NAXIOI 
ERETRIEXZ 
VAAKIDEZ 


vom 13. März 1856. 181 


(Stes Gewinde.) ZTVREIZ 
. FAAEIOI 
MOTEDEATAI 


— 


(Ates Gewinde.) AEVKADIOI 
FANAKTOoRIEIZ 
ZIONIOI 


(tes Gewinde) AMMTRAKIOTAI 
AEMREATAI 


(2tes Gewinde.) 


(1stes Gewinde.) 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, philos.-philol. 
Klasse. Band 8, Abth. 3. München 1855. 4. 

Gelehrte Anzeigen, Band 41. München 1855. 4. 

Fr. v. Thiersch, Festrede. München 1855, 4. 

v. Hermann, Gliederung der Bevölkerung des Königreichs Bayern. 
München 1855. 4. 


 Comptes rendus de !’Academie des sciences. Tome 42, nc. 4—8. Paris 


1856. 4. 5 

Flourens, Eloge historique du Baron Leopold de Buch. Paris 1856. 4. 

L’Institut. Ime Section, no. 1148—1156. Ilme Section, no, 239— 242. 
Paris 1856. 4. 

Alhenaeum frangais. 5me annee, no. 10. Paris 1856. 4. 

Blume, Museum botanicum Lugduno-Batavum. Tom. II, no. 10. Lugd. 
Bat. 1856. 8. 

Silliman, The American Journal of science and arts. Vol. 21, no. 61. 

New Haven 1856. 8. 

Bulletin de la societe de geographie. Quatrieme Serie, tome 10. Paris 
1855. 8. 

Memoires de la societe imperiale des sciences naturelles de Cherbourg. 
Tome II. Cherbourg 1854, 8. 

[1856.] 13 


182 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Dana, Address before the American association for the advancement o 
science. Cambridge 1855. 8. 

Murchison and Morris, On the palaeozoie and their associated roc 
of the Thüringer Wald and the Harz. (London 1855.) 8. 

Murchison, On the occurrence of numerous fragments of fir-wood ü 
the islands of the arctie Archipelago. (London 1855.) 8. 


Ferner wurden drei Verfügungen Sr. Exc. des vorgeordä 
neten Hrn. Ministers vom 7. d. M. vorgelegt, wodurch die 
Bewilligungen a) von 120 RtkIrn. an Hrn. Prof. Dr. Weber 
für zehn Exemplare des 8. Heftes seiner Ausgabe des weilsen. 
Yajurveda, b)von 400 Rthlirn. an Hrn. Dr. Wöpcke zur wei- 
tern Unterstützung der Herausgabe der Arabischen Übersetzung 
des Griechischen Commentars des Valens zum 10. Buche des 
Euklid, c) von 200 Rthlirn. zur Unterstützung der Herausgabe‘ 
der Grammatik und des Wörterbuches der Herero-Sprache von 
Hrn. Hugo Hahn, genehmigt worden. 

Hr. Ehrenberg trug ein Schreiben des Hrn. Asa Gray 
in Cambridge vom 24. Jan. d. J. als Erwiederung auf dessen 
Ernennung zum corresp. Mitgliede der Akademie vor. 


31. März. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Lepsius las „Über die Götter der vier Ele- 
mente bei den Ägyptern.” 


Hr. Pinder las „über einige antike Gewichte.” 

Vor anderen bisher bekannt gewordenen griechischen Ge- 
wichten, welche meist Kleinasien und Syrien angehören (s. 
A.de Longpe£rier in Annali dell’ Inst. archeol. XIX, p. 333), 
zeichnet sich das nachstehende Minengewicht von Blei sowohl 
durch seine Herkunft aus Griechenland selbst, als durch sein 


4 


vom 31. März 1856. 183 


vorzügliches Alter aus. Es trägt neben dem Typus eines Del- 
ins die rückläußfge Aufschrift AMUM (ww). Es wiegt 643 
ramme. 


Von den beiden in Griechenland vornehmlich verbreiteten 
wichtarten, dem äginäischen und dem attischen Gewichte, 
hört diese Mine dem letzteren an. Es ist eine attische Han- 
lelsmine, uv& Zurogızy, welche 138 solonische Drachmen wog, 
noch ein Übergewicht (Son) hatte, das um Olymp. 155 
12 Drachmen festgesetzt ward, so dals also um die Mitte 
les zweiten Jahrhunderts vor Chr. ein solches vollständiges 
nengewicht 150 Drachmen wiegen sollte. Das vorliegende, 
velches einer weit früheren Zeit angehört, wiegt in seinem 
zigen Zustande um fast 3 Drachmen weniger, nämlich 
47,273 Drachmen, wenn man die Drachme zu ihrem vollen 
wicht von 4,366 Grammen rechnet'). Dagegen wurde an 
jüngeren aus Athen stammenden swuvatov Eiamogızov ein 
lärkeres Übergewicht nachgewiesen (s. Beiträge zur älteren 
Münzkunde I. Taf. IV, no. 1). Ein in der Rheingegend ge- 


*) Dieses Bleigewicht ist von Hrn. Dr. C. Gustay Schmidt in Göt- 
gen, welcher die Gefälligkeit gehabt hatte es zur Untersuchung und Publi- 
tion mitzutheilen, dem Königl. Museum gütig überlassen worden. 

& 13 . 


184 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


fundenes und für das Königl. Museum erworbenes römisches 
Zweipfundgewicht von Blei mit der Aufschrift II soll ebenfalls 
eigentlich 150 Drachmen enthalten, und wiegt genau wie obige 
Mine 643 Gramme. Ein eben daher stammendes bleiernes Drei- 
unzengewicht des Königl. Museums mit dem Zeichen des Qua- 
drans „°, wiegt 84,855 Gramme. Hiezu stimmt ein hiesiges rundes 
Serpentingewicht mit der öfter vorkommenden eingeritzten Auf- 
schrift EX- AV: Q: IVNI- RVS- PR-V (ex auctoritate Quinti 
Iuni Rustici praefecti urbi, vom J. 345 nach Chr.) und mi 
2 vertieften Punkten, d. i. 2 Unzen, welches 56,735 Gramme 
wiegt. Ein rundes Erzgewicht des Königl. Museums, mit der 
in Silber eingelegten Aufschrift $A, eine Unze, wiegt 26,03 
Gramme, ein anderes ohne Silber 28,37 Gramme. 
Ein jüngst erworbenes viereckiges Exagium von Erz au 
byzantinischer Zeit N 


wiegt 53,45 Gramme. Die eingegrabene Aufschrift ist = IE 
unciae duae, und SOL XII, solidi duodecim. Es sind zwe 
Unzen oder ein Sechstel des Pfundes, in welchem 72 golden 
Solidi enthalten waren. 

Ein kleineres Exagium von Erz 


hat die vertiefte Aufschrift NT, d. i. vonswere ra oder dre 
Solidi, und wiegt 12,345 Gramme. Es ist 7 des Pfundes ode 


27 


vom 31. März 1856. 185 


eine halbe Unze. Gruter (p- 222, no. 14) giebt die Auf- 
schrift eines solchen Exagium HT an, was die Erklärung 
AlMovyzov veranlalst hat; auch H *S auf einem andern Stück 
ist ohne Zweifel NG, vouisuere EE, also 1 Unze, zu lesen, wie 
man aus ähnlichen Exagien des Kircherschen Museums in Fio- 
relli’s Annali I, p. 208 ersehen kann. Zwei kleinere Exagien 
bei Gruter (p. 222, no. 18. 19) mit den Aufschriften N und 
XI geben das Gewicht eines Solidus (vousue) und eines hal- 
ben Solidus (12 zegarıe) an. Dieselbe Erklärung, 12 zegarıe, 
gilt auch für ein Exagium des halben Solidus mit der Auf- 
schrift IB, welche bisher anders gedeutet wurde (bei Fiorelli I 
Pp- 206 no. 36). 

Die obigen Notizen über acht neuerdings für das Königl. 
Museum erworbene Gewichte schliefsen sich an die Angaben 
‚an, welche sich über die von früherer Zeit her in dieser 
Sammlung aufbewahrten Gewichte in Hrn. Böckhs metro- 
logischen Untersuchungen p. 169 ff. befinden. 


Bericht 


über die 


ur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
er Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 
im Monat April 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Böckh. 


. April. Gesammitsitzung der Akademie. 


Hr. Dove las „über das Klima des Preulsischen 
aates”. 


Hr. J. Grimm trug aus einem Schreiben des Hrn. Casp. 
euss in Bamberg aus Kronach vom 16. März vor: dals er 
iunmehr an die Kelticität der Marcellischen Formeln glaubt 
d sein in der Grammatica celtica darüber ausgesprochenes 
rdammungsurtheil streicht. 


3 An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


"Gerhard, Denkmäler, Forschungen und Berichte. 28. Lieferung. Ber- 
| in 1856. A. 

\ "Crelle, Journal für Mathematik. Band 51. Heft 3. 4. Berl. 1856. A. 
 Athenaeum frangais, no. 11. 12. 13. 14. Paris 1856. A4. 

Bulletin de l’academie imperiale de medecine. Tome XX. Paris 1855. 8. 
 Annales de chimie et de physique. Tome 46, Fevrier. Paris 1856. 8. 
A Weber, The white Yajurveda. Part II. no. 8. Part III. no. 1. Ber- 


\ lin 1855—56. 4. 
'\ [1856.] 14 


188 Gesammtsitzung 


A. Weber, Mälavikä und Agnimitra. Ein Drama des Kälidäsa. Ber 
lin 1856. 8. 
Über den semitischen Ursprung des indischen Alphabae 

(Berlin 1855.) 8. Mit Schreiben des Verfassers, Berlin 22. März 
1856. e 
Göttinger Nachrichten, no. 3. Göttingen 1856. 8. 4 
Jahrbuch der Geologischen Reichsanstalt. 6. Jahrgang, no. 3. wi ie 
1856. 4. 
Philosophical Transactions of the Royal Society. Vol. 145, 2. and Pro- 
ceedings, Vol. VII, no. 15—17. Vol. VII, no. 18. London 1855 

— 1856. 4.et 8. a 
Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchatel. Tome \ 


Neuchatel 1855. 8. 
J. A. Kool, Apergu historique au sujet de la societe pour secourir les 
noyes. Amsterdam 1855. 8. 
A. de Luynes, Memoire sur le sarcophage et Tinscription funeraire d’Es- 
munazar. Paris 1856. 4. 
Ch. Lenormant, Leitres sur les plus anciens monuments numismatiques 
de la serie merovingienne. Paris 1848—1854. 8. 
Frangois Lenormant, Zssai sur le classement de monnaies des f 
des Lagides. Blois 1855. 8. 
E.vonEichwald, Naturhistorische Bemerkungen, als Beitrag zur E 
gleichenden Geognosie. Moskau und Stuttgart 1851. 4. 4 
“Annales academici, 1851—1852. Lugd. Bat. 1855. 4. ii 
Comptes rendus de l’Academie des sciences. Tome 42, no. 9. 10. 14, 
Paris 1856. 4. N 
R. Brück, Electricit€ ou Magnetisme du globe terrestre. Deuxie me 
partie. Vol. 1. Bruxelles 1855. 8. 
The Quarterly Journal of the chemical Society. Vol. VII, no. 3.4. Lon-| 
don 13855—1856. 8. 
Revue archeologique. 12 me annee, Livr. 12. Paris 1856. 8. 
L’Institut. 1. Section, no. 1157. Paris 1856. 4. 
Wesselowsky, Tabellen über die mittlere Temperatur des russischen 
Reichs. (Petersburg 1855.) 8. 
Du climat de la Russie. (Petersburg 1855.) 8. 
Anghera, Quadratura del cerchio. Malta 1854. 8. | 
Equazioni geometriche. s.l, eta. 8. Mit Schreiben des Ver 
fassers, d d. Malta 26. Febr. 1856. ri 


latine. Paris 1855. 8. Mit Schreiben des Hrn. Dr. Jakob Wei ; 
d. d. Frankfurt a. M. 15, Febr. 1856, 


vom 3. April 1856. 189 


Quarterly Journal of the geological Society. Vol. XI, Part 1. London 
1856. 8. 


Aulserdem wurden vorgelegt: 

Ein Schreiben des vorgeordneten Hrn. Ministers vom 
1. d. M. wodurch die Akademie in Kenntnils gesetzt wird, 
dals Se. Majestät der König durch allerh. Erlafs vom 19. März 
d. J. die Wahl des Hrn. Fürsten von Salm-Horstmar zum 
Ehrenmitgliede der Akademie allergnädigst zu bestätigen ge- 
ruht haben. 

Ein Schreiben des Hrn. Handelsministers vom 17. v. M. 
an Hrn. Encke, betr. zwei Mustermalse und ein Normalgewicht, 
welche der Akademie von dem Foreign Office zu London zum 
Geschenk gemacht worden, und welche die Akademie im Ein- 
verständnils mit dem Hrn. Minister bei der Königl. Aichungs- 
commission deponirt hat. 

Ein Schreiben des Hrn. James Dana zu New-Haven vom 
10. März d. J. als Erwiederung auf seine Ernennung zum cor- 
resp. Mitgliede der Akademie und auf Übersendung eines Exem- 


plars der akademischen Denkmünze auf Leibniz, so wie mehrerer 
Abhandlungen der Hrn. Müller, Ehrenberg, Peters und 
Lichtenstein; desgl. die Schreiben der Hrn, Villerm£& zu 
Paris vom 16. März, Zeu[s in Bamberg vom Monat März, 
und O’Donovan zu Dublin vom 23. März als Erwiederung 
auf ihre Ernennung zu corresp. Mitgliedern. 

Die Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 
übersendet mittelst Schreibens vom 23. März ein silbernes und 
ein bronzenes Exemplar der zum Gedächtnis des verstorbenen 
Gauls geprägten Denkmünze. 

Ferner wurden Schreiben der allgemeinen geschichtfor- 
schenden Gesellschaft der Schweiz zu Bern vom 20. Jan. und 
der Freiburger Gesellschaft zur Beförderung der Naturwissen- 
schaften vom 11. März in Betreff des Austausches der Gesell- 
schaftschriften vorgelegt. 

Am Schluls der Sitzung richtete Hr. Curtius einige 
Worte an die Akademie als Anerkennung der ihm bewiesenen 
collegialischen Freundschaft; worauf der Vorsitzende kurz er- 
wiederte. 


14*® 


190 Gesammtsitzung 


10. April. Gesammitsitzung der Akademie. £ 


Hr. Gerhard las den ersten Theil einer Abhandlung“ 
„über die Hesiodische Theogonie” 
Der Inhalt dieser Abhandlung beruht im Wesentlichen” 
auf den nachstehenden Sätzen. 

1. Unser Text der Theogonie ist aus Bruchstücken ver- 
schiedenen Inhalts und Alters zusammengesetzt; die Episode 
über Hekate, das Proömion und andere Abschnitte mehr treten 
beweisfähig hiefür ein. 

2. Die Episode über Hekate, die früher (Berichte der 
Königl. Akad. 1851, 12. Mai) als Gonglomerat zweier Hymnen 
sich zu erklären schien, wird ohne andere kritische Künste 
lediglich durch Abtheilung ihres Inhalts in eine Wechselrede 
zweier Personen verständlich. 

3. In gleicher Weise wird auch das Proömion jeder an- 
deren kritischen Willkür überhoben, wenn man, mit Hülfe 
einer einzigen leichten Umstellung, seine einzelnen Abschnitte | 
als Wechselgesänge zu fassen sich entschlielst. 

4. Bei geschärfter Betrachtung dieses den Musen gewid- 
meten Wechselgesangs stellen überdies die zusammengereihten 
ersten Hälften desselben als ein selbständiger hesiodischer Hym- 
nus (vielleicht der aus Chalkis berühmte, "Egy. 657) sich dar, 
während die anderen Hälften zugleich mit dem Schlufs als Zu- 
that des Diaskeuasten sich bekunden. In gleicher Weise geben 
auch die ersten Hälften des Hekatehymnus als ein selbständiges, 
obwohl spätes, Gedicht sich kund, das ein vermuthlich attischer 
Dichter mit den ihm jetzt eingeflochtenen Antiphonen versah. 

5. Sonstige Zuthaten jenes Diaskeuasten zum Texte der 
Theogonie sind nicht nur in den Übergängen des Schlufs- 
abschnitts, sondern auch in manchen episodischen Ausführungen 
von späterer Färbung wahrzunehmen, nach deren Ausschei- 
dung die altepischen Bestandtheile des ganzen Gedichts sich erst 
würdigen lassen. 

6. Aus der Zeit des Pisistratos, welcher Schömann, 
auf sprachliche und sachliche Anzeichen später Entstehung ge- 
stützt, die ganze von ihm als einheitlich betrachtete Theogonie 
beizulegen geneigt ist, mag wenigstens jene Diaskeuastenarbeit 


vom 10. April 1856. 191 


herrühren, die im Hekatehymnus attischen Sprachgebrauch ver- 
räth, aber auch im Götterkatalog das Proömions, in der Aus- 
führung über das Phorkysgeschlecht, im Verzeichnils der Flüsse, 
‚in den gedachten Übergängen und mannigfach sonst die alt- 
epischen Bestandtheile unserer Theogonie verdunkelt. 

7. Hiebei liegt die Vermuthung nahe, dals Onomakritos, 
dessen bekannte mystische Richtung mit dem Inhalt jener Inter- 
polationen wohl stimmt, dieselbe unserm Hesiod in ähnlicher 
Weise eingefügt habe, wie er auch dem für Pisistratos von 
ihm und seinen Genossen geordneten Homer bekannie Stellen 
einfügte. 

8. Die ungleiche Beschaffenheit unserer Theogonie macht 
es wahrscheinlich, dafs sie durch Verbindung älterer und neuerer 
Dichtungen von der Hand des gedachten Diaskeuasten zu einem 
theogonischen Cyclus gedieh, während das hesiodische Landbau- 
‚ gedieht durch ähnliche lose Verbindung alter und neuer Bruch- 
/ stücke ein gleich bunt gemischtes Gedichtbuch für die Bezüge 
ı des Menschenlebens ward. 

9, Jene zur Zeit des Pisistratos den hesiodischen und 
| verwandten Bruchstücken gegebene Fassung lälst grofsentheils 
deutlich in ihre verschiedene Bestandtheile, in ähnlicher Weise 
\ sich zerlegen wie solches auch für die ’Esy« versucht worden 
ist; doch wird bei kritischer Feststellung unseres Textes der 
| Theogonie nur die Herstellung jener dem Diaskeuasten ver- 


- 10. Von dieser dem Diaskeuasten verdankten Fassung der 
 Theogonie sind deren Interpolationen auszuscheiden. Dieses 
| ist um so leichter, da Einschaltungen des Krates (Theog. 143) und 
' anderer Alexandriner nicht in unsern Text gelangten; alle Inter- 
| polationen desselben scheinen von einer einzigen Überarbeitung 
| jener ersten Recension, vielleicht durch Kerkops, herzurühren, 
dessen Name geeigneter als alle bisher vorgeschlagnen die vielbe- 
| sprochene vierte Stelle im litterarischen Rath des Pisistratos 


klammerte Verse treten hiedurch in ihre ursprüngliche Gel- 
tung als Marginalien einer einzigen alten Überarbeitung zurück; 
' einer Nachweisung der ersten Recension unsres Textes würden 


192 Gesammisilzung x 
sie an untergeordneter Stelle beizufügen, dann aber auch die 
wesentlichste Bedingung zur Herstellung dieses in seinen ein- 
zelnen Abschnitten sehr wohl erhaltenen Textes, ohne Annahme 
sonstiger Interpolationen oder Lücken, erfüllt sein. 

12. Zur Empfehlung der hier aufgestellten Ansichten ge- 
reicht der durchgängige Anschlufs derselben an den hand- 
schriftlich gegebenen Text; ein Umstand, welcher den bisher 
für Hesiod aufgebotenen kritischen Künsten nirgend zu stat- 
ten kam. 


Hr. Müller las eine Abhandlung des Hrn. Dr. A. Schnei- 
der „über Bewegungen an den Saamenkörperchen 
der Nematoden”. 

Der weibliche Geschlechtsapparat von Angiostoma limacis 
besteht aus zwei an dem einen Ende geschlossenen Röhren. 
Jede dieser Röhren beginnt mit ihrem blinden Ende in der’ 
Mitte desjenigen Körpertheils, welcher den Darmkanal enthält. 
Die eine erstreckt sich bis in die Nähe des Ösophagus, die‘ 
andre bis nahe zur Afteröffnung. Beide biegen dann um und 
vereinigen sich ihrem Anfange gegenüber, um in der gemein- 
samen Geschlechtsöffnung nach aufsen zu münden. An jeder 
dieser Röhren kann man 5 Abtheilungen unterscheiden. Die 
erste Abtheilung, der Keimstock, welcher die unreifen Eier 
enthält, reicht bis zur Mitte des ersten Röhrenzweiges. Die 
Wandung ist eine structurlose Haut. Die zweite Abtheilung, 
der Dotterstock, ist etwas länger. Die Eier liegen darin ohne 
Unterbrechung einzeln hinter einander. Die Wandung des- 
selben ist mit kernhaltigen 6eckigen Epithelialzellen ausgekleidet. 
Die Zellen sind regelmälsig in Reihen geordnet. In der 
dritten Abtheilung der Tuba verengert sich die Röhre ein 
wenig. Die Anordnung des Epitheliums ist unverändert. Man 
übersieht auf die Breite der Röhre zwei Längsreihen von 
Zellen und in jeder Reihe 6—B Zellen. Die Zellen selbst 
aber sind mächtig entwickelt, so dafs sie nach Innen das Lu- 
men der Röhre ganz erfüllen und nach Aufsen wulstartig her- 
vortreten. Meist ist an dieser Stelle die Röhre stark zusammen- 


vom 10. April 1856. 193 


gekrümmt. Die vierte Abtheilung des Uterus ist bedeutend 
weiter als die vorigen. Auch hier sind die 6eckigen Epithe- 
lialzellen vorhanden. Kurz vor der Geschlechtsöffnung ist diese 
Abtheilung zusammengeschnürt und mündet in die fünfte ge- 
meinschaftliche Abtheilung, die Vagina. Dieselbe ist ein häu- 
tiger mit Muskelfasern besetzter Sack, welcher sich nach der 
Geschlechtsöffnung hin trichterförmig verengert und dort aus- 
mündet, 

Aus dem Dotterstocke schlüpfen die Eier durch die Tuba 
mehr oder weniger schnell hindurch. Es sammeln sich mehrere 
in dem Uterus, hier wird das CGhorion deutlicher, die Fur- 
‚chung tritt ein. Die Eier treten dann in die Vagina und wer- 
den von da nach Aulsen entleert. 

Es ist nicht der Zweck dieser Mittheilung auf das Ge- 
schlechtssystem der Nematoden und die Differenzen über die 
Benennung der Theile desselben einzugehen, daher mögen die 
aufgestellten Bezeichnungen nur als vorläufige angesehen werden. 

Nach diesen Bemerkungen komme ich zu dem eigentlichen 
Zwecke dieser Untersuchung. Man findet den Uterus, aufser 
mit Eiern, mit den bekannten kugelförmigen Saamenkörperchen 
ganz erfüllt. Es zeigte sich aber bald, dafs an dieser Stelle 
nicht die erste Berührung zwischen Saamen und Eiern statt- 
fand, Denn obgleich es den Anschein hat, als ob die Tuben 
sich nur dem Drucke der vom Dotterstocke vordringenden Eier 
öffnen, so bemerkt man doch bald, dals einige Saamenkörper- 
chen in die Tuben eindringen und unter vielfachem Drehen 
und Winden sich nach dem Dotterstocke zu bewegen. Befand 
sich ein Ei auf dem Wege durch die Tuba, so sammelten sich 
oft mehrere Saamenkörperchen hinter demselben an, indem sie 
sichtbar eins nach dem andern zwischen Ei und Röhrenwand 
durchkrochen. Ein Eindringen der Saamenkörperchen in die 
Eier, wie man es wohl bei so inniger Berührung vermuthen 
könnte , war trotz aller Mühe nicht zu entdecken. Ebenso 
wenig konnte ich Produkte einer solchen oder nur ähnlichen 
vor- und rückschreitenden Metamorphose der Saamenkörperchen 
auffinden, wie sie für mehrere Nematoden aufgestellt sind. 
Bei der grolsen Durchsichtigkeit des ganzen Thieres hätten 
dergleichen der Beobachtung schwerlich entgehen können. 


194 Gesammtsitzung i 


Soviel jedoch war klar, dafs die bis dahin allgemein für 
unbeweglich gehaltenen Saamenkörperchen eine eigene Bewe- 
gung hatten. Denn es ist ja wohl undenkbar, dafs eine etwaige 
peristaltische Bewegung der "Tuben Eier und Saamenkörper 
gleichzeitig nach entgegengesetzter Richtung bewegen könnte, 
In der That fanden sich nun auch im Uterus unter den übri- 
gen starren, einige, welche zwischen den Eiern amöbenartig 
herumkrochen. Dies veranlafste mich das Verhalten der Saa- 
menkörperchen auch aufserhalb des Uterus in verschiedenen 
Medien zu untersuchen. 

Im Brunnenwasser blieben sie meist starr und platzten 
nach kurzer Zeit. Nur bei einer gewissen Varietät des An- 
giostoma, zeigten sich auch Bewegungen im reinen Wasser. ') 
Man sah Fortsätze heraustreten und verschwinden. Bald aber 
mit einer plötzlichen Bewegung ist das Bläschen verschwunden 
und ein körniger Körper bleibt übrig, der an einer Seite ein 
Flöckchen trägt, mit welchem es sogleich fest am Glase haftet. 

Öffnet man ein Weibchen in Hühnereiweils, so zeigen 
die Saamenkörperchen beider Varietäten bald die lebhaftesten 
Bewegungen. Zuerst zeigen sich einzelne Streifen über das 
Bläschen weg, welche deutlich als Wellen verlaufen. Dann 
beginnt der Rand sich zu kräuseln, einzelne Erhebungen tau- 
chen auf und verschwinden, um an derselben Stelle von Neuem 
zu erscheinen. Die helle Masse tritt bald an dieser, bald an 
jener Seite des Kerns stärker auf, wobei der Kern förmlich 
herumgeschleudert wird. Nach einiger Zeit entsteht eine solche 
verwickelte Gestalt, die man nicht füglich weiter beschreiben 
kann. Bei diesen Beobachtungen wurde ein Deckgläschen an- 


') Bereits Will (siehe Wiegmanns Archiv 1847 S. 174 ete.), dem 
wir Beiträge zur Naturgeschichte und Anatomie dieses Thieres verdanken, 
hat bemerkt, dafs von Angiostoma limacis zwei Varietäten vorkommen, 
Die eine mit langausgezogener Schwanzspitze, die andere mit einem kup- 
pelförmigen in eine kurze Spitze auslaufendem Schwanz. Ohne auf die 
Details dieses Unterschiedes einzugehen, bemerke ich, dafs die erste Va- 
rietät Tuben hat mit glatter Aulsenwand, die zweite mit den oben beschrie- 
benen Wülsten. Bei der ersten Varietät sind die Saamenkörperchen klei- 
ner (etwa % des Durchmessers) als bei der zweiten. Diese zeigen auch die 
Bewegungen im reinen Wasser. 


von 410. April 1856. 195 


‚gewandt. Das am Rande vertrocknende Eiweils bildete einen 
natürlichen Kitt, der vor schneller Verdunstung schützt. So 
‚wurden die Bewegungen einmal 10 Stunden lang erhalten und 
man wird unter günstigen Bedingungen dieselben noch länger 
erhalten. 

Vorzüglich deutlich waren die Bewegungen in Kochsalz- 
‚lösungen von sehr verschiedener Goncentration. Die Bewe- 
gungen unterschieden sich durch gröfsere Lebhaftigkeit und 
eigenthümliche Form von der in Eiweils beobachteten. Es er- 
heben sich auf dem Bläschen eine Anzahl verhältnifsmälsig 
hoher und starker Höcker, die in bestimmter Richtung (in der 
der Längsaxe, wenn eine solche vorhanden) wellenartig fort- 
schreiten, so dals man einen rauschenden Strom zu sehen glaubt. 
Durch diese Bewegungen werden die Körperchen oft lebhaft 
hin- und hergeschleudert, eine Ortsveränderung in bestimmter 
Richtung trat jedoch nicht hervor. Bei stärker werdender Con- 
iraction werden die Körper kleiner, die Bewegungen lang- 
samer. Schlielslich entsteht eine homogene fettartig kontu- 
rirte Kugel. Durch Verdünnung nimmt dieselbe ihre vorige 
Gestalt wieder an und beginnt die Bewegungen von Neuem. 
Ähnlich jedoch minder lebhaft sind die Bewegungen in Zucker- 
lösungen. Kalizusatz, welchen Kölliker so anregend auf die 
Bewegung der Saamenfäden fand, konnte ich nicht anwen- 
| den, da schon schwach alkalische Lösungen die Körperchen 

zerstörten. Dals diese Saamenkörper auch aus dem Hoden stamm- 
ten, habe ich mich durch wiederholte Beobachtung des Copu- 
lationsaktes vollständig überzeugt. Im Hoden selbst erlangen 
die Saamenelemente keine weitere Ausbildung, als bis zu kör- 
nigen Körperchen. Aber schon in der Vagina erhalten sie die 
Gestalt von hellen Bläschen mit einem körnigen an der Ober- 
Näche anliegenden Kerne. 

Hrn. Geh. R. Müller hatte ich das Glück, von den Be- 
wegungen in Eiweils zu überzeugen, und auf seine Ermun- 
terung untersuchte ich nun, ob diese Bewegungen den Saamen- 
körperchen der Nematoden überhaupt zukämen. 

Es ist vorher zu bemerken, dals die aus dem Ausführungs- 
gange des Hoden entnommenen Saamenkörper bei keinem der 
von mir beobachteten Nematoden eine Bewegungsfähigkeit be- 


196 Gesammtsitzung 


salsen. Dies stimmt auch mit der Ansicht anderer Beobachter, 
dafs die Saamenelemente erst im weiblichen Geschlechtssehlauche 


noch weiterer Entwicklung unterworfen sind, wohl überein. 


So fand Reichert (Reichert, Beitrag zur Entwickelungs- 


geschichte der Saamenkörperchen bei den Nematoden, Müllers 
Archiv 1847) bei Ascaris acuminata unter 100 männlichen In- 
dividuen nur 2, die solche ausgebildeten Saamenkörperchen 
enthielten, wie sie um diese Zeit in dem sogenannten Uterus 
der Weibchen vollauf zu sehen waren. Meifsner glaubt 


allerdings (Meilsner, Beobachtungen über das Eindringen der 


Saamenelemente in den Dotter I. Siebold und Köllikers 
Zeitschrift für w. Z. Bd. VI) bei Ascaris mystax im letz- 
ten Theile des Hodens bläschenartige Kugeln mit körnigem 
Kerne — seine Keimzellen — gesehen zu haben. Allein 
schon Bischoff hat dieser Ansicht vielfach widersprochen. 
(Siehe Bischoff, Über Ei- und Saamenbildung und Be- 
‘fruchtung bei Ascaris mystax. Siebold und Köllikers 
Zeitschrift für w. Z. Bd. VL) Derselbe fand als letztes 
Glied der Saamenentwicklung im Hoden körnige Körper und 
erklärt die Keimzellen Meifsner’s für Kunstprodukte, durch 
die Präparation in Wasser veranlalst. Ich habe diese Ansicht 
Bischoffs nur bestätigen können. Es ist jedoch nicht un- 
wahrscheinlich, dafs der Vorgang, durch welchen sich in der 
Vagina das körnige Körperchen in die sogenannte Keimzelle 
verwandelt, dem Vorgange bei Entstehung dieser Kunstprodukte 
ähnlich ist. Es gilt das Folgende nur von im Uterus gefun- 
denen Saamenkörpern. 

Es wurden untersucht Ascarıs acuminata, Cucullanus ele- 
gans, Hedruris androphora, Strongylus auricularis. Als Flüssig- 
keit wurde immer Kochsalzlösung angewandt. Angiostoma 
limacis enthielt im Uterus nur die zellenähnlichen For- 
men, welche dem Ruhezustande entsprechen. Bei diesen 
findet man aber sogleich alle die eigenthümlichen Gestalten, 
welche wir oben als Folge der Bewegungen in Kochsalz- 
lösung und Eiweils kennen lernten. Die Bewegungen wur- 
den auch hier wieder gefunden und bei jedem längere Zeit 
beobachtet. Meistens ist eine 400fache Vergrölserung erfor- 
derlich, um sich von dem Verschwinden und Auftreten der 


| vom 40. April 1856. 197 


| Fortsätze genügend zu überzeugen. In allen den angeführten 
‚ Nematoden fanden sich die Saamenkörperchen häufig in stäb- 
‚ chen- oder cylinderartige Gebilde mit fettartigen Conturen 
verwandelt. Eine Fettmetamorphose hatte jedoch nicht statt- 
' gefunden, denn unter dem Auge des Beobachters änderten sie 
ihre Gestalt vielfach und kehrten unter Andern wieder in die 
Bläschenform zurück. 
Besondere Erwähnung verdienen die Saamenkörper von 
 Strongylus auricularis. In dem Ausführungsgange des Hodens 
und in den beiden blasigen Erweiterungen, in welche die Va- 
gina führt, finden sich bei diesem Nematoden eigenthümlich 
spindelförmige Körper. Dieselben sind von Bagge (Bagge, 
dissertatio de evolutione strongyli auricularis etc.) und später 
von Reichert beschrieben worden. Reichert (l. c.) hält 
dieselben für gleichwerthig mit den zellenähnlichen Saamen- 
körpern anderer Nematoden und vergleicht sie mit den von 
ihm beschriebenen der Ascaris acuminata. Allein schon Bagge 
hat darauf aufmerksam gemacht, dals im Uterus noch andere 
zellenähnliche mit einem länglichen Kerne versehene Gebilde 
vorkommen, die er jedoch nicht zu deuten wagt. In der That 
entsprechen auch die spindelförmigen Körper nur der letzten 
Stufe der Entwicklung, welche die Saamenkörper im Hoden 
| erreichen. Sie besitzen eine Bewegungsfähigkeit noch nicht. 
Aus dem a Körper entsteht nach und nach das 
Bläschen, in dem die helle Substanz an dem breiten Ende stär- 
ker auftritt. Doch macht die helle Substanz schon dann die 
amöbenartigen Bewegungen, wenn die fein ausgezogene Spitze 
am entgegengesetzten Ende noch deutlich zu erkennen ist. 
Bei Ascaris megalocephala gelang es nicht an den für Saa- 
menkörperchen anzusprechen den Gebilden im Uterus irgend 
eine Gestaltveränderung wahrzunehmen. 
M) 


Pi) 
ma 


Hr. Ehrenberg machte eine Mittheilung „über die 
 Meeresorganismen in 16200 Fuls Tiefe”. 

In den Jahren 1853 und 1854 habe ich der Akademie Nach- 
wicht gegeben über in 12000 Fufs Meerestiefe noch vor- 


198 Gesammtsitzung 


handene höchst zahlreiche oft mit weichen Thierleibern er: 
füllte Polythalamien, Polygastern und Polycystinen, welche 
sogar in Masse überwiegend den Meeresschlamm bilden, und 
im März vorigen Jahres habe ich aus neuen Materialien der- 
gleichen frische Lebensformen aus 12900 Fuls Tiefe zu ver- 
zeichnen Gelegenheit gehabt. In jetziger Zeit wachsen die Er- 
fahrungswissenschaften rasch. In diesen Tagen ist mir von 
Hrn. Prof. Bailey in Westpoint, New-York, eine bereits ge- 
druckte Nachricht zugegangen, dafs nun auch schon aus 16200 F. 
Tiefe ein überaus reiches Meeresleben hervorgehoben wor- 
den ist. r 

Der amerikanische See-Officier Lieut. Brooke, welcher 
den neuen Senkapparat erfunden hat, mit welchem jetzt der- 
gleichen Grunduntersuchungen leicht gelingen, hat neuerlich 
im Kamtschatkischen Meere innerhalb der Kurilischen Inselgruppe 
mit seinem Senkapparate den Meeresboden in 2700 Fathoms‘ 
= 16200 Fufs erreicht und Proben davon in die Höhe ge- 
bracht. Prof. Bailey hat 3 Proben dieses Tiefgrundes unter- 
sucht und beabsichtigt die darin enthaltenen Formen speciell 
abzubilden und zu erläutern. Bis jetzt hat er nur eine allge- 
meine noch nicht ausgegebene Anzeige der Verhältnisse in Sil- 
limans Journal drucken lassen. 

Die wichtigeren factischen Resultate dieser neuesten Erfah. 
rungen stehen nicht nur in keinem Widerspruche mit den vor 
3 Jahren von mir vorgetragenen, sondern befestigen dieselben 
auf immer breiterer Basis. 

Die Unterschiede meiner Darstellung und der wenig spä- 
teren des Hrn. Prof. Bailey im Anfange des Jahres 1854 
beruhten darin, dafs ich in allen Proben der grolsen Meeres- 
tiefe doppelt lichtbrechenden unorganischen Sand zwischen den. 
vorherrschenden organischen Resten und Formen anzeigte, 
wodurch der reiche Polythalamienschlamm der grolsen Tiefe 
überall, nach meiner Ansicht, einem Mergel, nicht aber einer 
Kreidebildung ähnlich erschien. Hr. Prof. Bailey hingegen 
hatte damals zu erkennen geglaubt, wie es schon von Forbes 
und vielen Geologen ähnlich angesehen worden war, dafs 
der sandlose, kalkige, tiefe Meeresgrund die alte Kreide- 
bildung fortsetze. Die der Kreide überall fremde Mischung 


vom 10. April 1856. 199 


der Polythalamienmasse mit vielen Kiesel-Polygastern und Po- 
yeystinen war meinerseits ein anderer Grund, warum eine 
Vergleichung des jetzigen tiefen Meeresgrundes mit der Kreide- 
bildung nicht angenommen werden könne. Überdiels hatte ich 
1854 Beweisgründe ermittelt und festgestellt, dals die Formen- 
assen des tiefen Meeresgrundes mit lebensfähigen Leibern er- 
üllt seien. Man vergleiche die Monatsberichte der Akademie 
854 S. 191 und die Mikrogeologie Taf. XXXV. B. 

Die Resultate, welche Hr. Prof. Bailey von den neuesten 
noch tiefern Grundproben des Meeres anzeigt, sind nun in den 
wesentlichen Punkten der Mischung nicht mehr abweichend 
von den meinigen, obschon noch gewisse wichtige Abwei- 
chungen der Ansicht über die 'Thatsachen von ihm geäulsert 
werden, über die ich mir erlaube einige Bemerkungen zu ma- 
chen, um zu verhüten, dafs nicht der physikalische Gesichts- 
punkt den physiologischen beeinträchtige. 

Hr. Bailey hat folgende Resultate angezeigt: 
4. Alle 3 neueste Proben des Tiefgrundes enthalten 
einige unorganische Theilchen, die aber mit zunehmender Tiefe 
sieh verringern und welche als Trümmertheilchen von Quarz, 
Hornblende, Feldspath und Glimmer erscheinen. 
= 2. In den beiden tiefsten Grundproben ist am wenigsten 
Unorganisches, das Organische (welches überall gleich ist) ist 
vorherrschend. 
8. Alle Proben sind reich an Kieselschalen von Diato- 
meen, die bewundernswürdig gut erhalten sind, häufig mit dop- 
pelten Schalen und Überresten der weichen Theile im Innern. 
= 4. Unter den Diatomeen sind mehrere grolse und schöne 
Coscinodisci, Rhizosolenien, Syndendrium, Chaetoceros, ein be- 
sonders schöner Asteromphalus (Brookei). 
5. In der Mischung sind viele Spongolithen und schöne 
Bolyeystinen: Cernutella clathrata, Eucyrtidium, Halicalyptra, 
Perichlamidium, Stylodictya u. s. w. 
» 6. Es fand sich keine einzige Polythbalamie, auch kein 
% Eragment. 
7. Diese Ablagerungen mikroskopischer Organismen glei- 
‚chen an Reichthum, Ausdehnung und in den hohen Breitegraden 
des Vorkommens denen der Südpol-Ablagerungen, welche Ehren- 


200 Gesammtsitzung 


berg nachgewiesen, was auch die übereinstimmenden Fer n 
der Asteromphbalus und Chaetoceros ergeben. Doch sind diese) 
Genera auch im Golf von Mexico und längs des Golfstroms I 
nun beobachtet. Bi 

8. Die gute Erhaltung der Organismen dieser Tiefe und 
der weiche Inhalt mehrerer derselben zeigen an, dafs sie nod 
ganz neuerlich lebend gewesen. Hr. Bailey fügt hinzu: aber 
es folgt daraus nicht, dals sie lebend aus der Tiefe gehoben 
worden. Er glaubt, dals, weil mehrere dieser Formen para- 
sitisch auf den Algen der Küsten leben, ein Theil durch oce - 
nische Strömungen, durch Treibeis, durch Thiere, denen sie 
zur Nahrung dienten, oder durch andere Verhältnisse in ihre 
jetzige Lagerung gekommen. Es sei wahrscheinlich, dafs alle 
nur im flacheren Wasser gelebt und von da weggeführt seien 
Es sei nicht überraschend, dafs so kleine Formen, welche 
schwimmen und durch Gase schwimmend erhalten werden, in 
allen Gegenden des Oceans gefunden werden. 

Diese obigen neuen Mittheilungen des Hrn. Prof. Bailey 
sind besonders in 2 Punkten als Bestätigungen meiner 18 
vorgetragenen Ansichten wichtig: 

4. Dafs die Vorstellung, in den grölseren Meerestiefer 
entwickle sich noch fort und fort die Kreideformation, un 
richtig ist. 2 

2. Dafs die mikroskopischen Formen auch der imm 
grölseren Meerestiefen keineswegs nur Trümmer durch Druck 
zermalmter zelliger Wesen sind, dals es vielmehr wohlerha 
tene Zellenformen mit weichem Inhalte sind, welche auch beim 
raschen Wechsel des Wasserdruckes beim Heraufziehen nicht@ 
unkenntlich, nicht verändert werden. y 

Was die Frage anlangt, ob diese wohlerhaltenen Forme 
mit ihrem weichen Inhalte in der Meerestiefe wirklich leben 
und sich vermehren, so lälst sie sich auf dem von Hrn. Prof. 
Bailey eingeschlagenen theoretischen Wege wohl nicht er- 
ledigen. Er selbst bestätigt das Gegentheil von dem was er 
vermuthet. Wären alle Schalen zerbrochen und einige Frag- 
mente mit Schleim erfüllt, so wäre die Frage über die Lebens- 
fähigkeit ziemlich erledigt. Ebenso wäre es der Fall, wenn 


vom 10. April 1856. 201 


alle Schalen, obschon oft wohl erhalten, doch stets ohne wei- 
chen Inhalt und leer wären. Beides ist nicht der Fall. Mit 
Hypothesen lälst es sich nicht weiter entscheiden, aber ein guter 
Beobachter, welcher Gelegenheit hat mit Senkapparaten sich 
frisches Material zu heben und der es unter günstigen Ver- 
hältoissen frisch beobachten kann, wird früher oder später die 
1854 als wahrscheinlich erwiesene Belebung würdigen. 
Die gute Erhaltung der Formen, der weiche Inhalt (nun 
‚auch nachBailey) als lebensfähige Körper und die Eigenthümlich- 
keitderFormenmischung und Formengestaltung erlauben mir nicht 
den aus 16200 Fufs Tiefe gehobenen formenreichen Meeres- 
grund für todt zu halten. 


” 


Hr. Dr. Nöllner aus Hamburg zeigte einen Theil seiner 
ausgezeichneten Sammlung künstlicher Krystalle vor. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


J.L.G.Guyon, Histoire chronologique des epidemies du nord del’ Afrique. 

Alger 1855. 8. 

_ Leonhard Spengel, Ahetores graeci. Vol. III. Lipsiae 1856. 8. 

Memorie della Reale Accademia delle scienze di Torino. Serie II. Tomo 15. 
Torino 1855. 4. 

 Llnstitut. 1. Section, no. 1158—1159. 2. Section, no. 243. Paris 

_ 1856. 4. 

 L’Athenaeum frangais, no. 15. Paris 1856. 4. 

© Wachrichten von der Universität Göttingen, no, 4. Göttingen 1856. 8. 

Carmen Nicolai Hussoviani de statura, feritate ac venatione Bisonlis. 
(Cracoviae 1523.) Petropoli 1855. 4. Mit Begleitschreiben 
des Hrn. Baron Modest von Korff, d.d. Petersburg 26. Febr. 
1856. 

Mme. R. d’Elmonte, Philosophie religieuse. Pensees sur lordre moral. 
Paris 1856. 8. 

Paulus Cassel, Aus der Hagia Sophia. Eıfurt 1856. 8. 


202 Sitzung der physikalisch-mmathematischen Klasse 


14. April. Sitzung der physikalisch-mathema 
tischen Klasse. 


Hr. H. Rose las „über das borsaure Äthyloxyd”. 
Man kann den flüchtigen Boräther, 3 Ae + B, den Ebel 
mann und Bouquet entdeckt haben, auf eine leichtere Weis 
darstellen, als die ist, welche von den Entdeckern angegeben 
worden ist. Man erhält ihn durch vorsichtige Destillation eines 
Gemenges von schwefelweinsaurem Kali mit einem Überschufs von 
entwässerten Borax. Wendet man indessen bei der Bereitun 
nicht ganz trockne Materialien an, so dafs der Äther wasser 
haltig wird, so scheidet sich mit der Zeit aus ihm Borsäure 72 
j 

Hr. Rammelsberg las „Bemerkungen über die 
gleiche Zusammensetzung des Leucophans und re 
linophans, so wie über einige neue Verbindungen 
aus dem Salzlager von Stalsfurth”. 
Der Leucophan ist ein seltenes Mineral aus dem nor- 
wegischen Zirkonsyenit, von Esmark aufgefunden, und dann 
vonA. Erdmann chemisch untersucht, wonach es eine neue und 
ungewöhnliche Zusammensetzung hat, indem es eine Verbind 


dung von kieselsaurer Beryllerde und Kalkerde mit Fluor-- 
natrium ist. 

Ein aus derselben Gegend stammendes gelbes und anfangs 
für Wöhlerit gehaltenes Mineral ist neuerlich von Scheerer 
auf Grund einer Analyse von Richter als Melinophan be- 
zeichnet worden. Indem Scheerer es mit dem Leucophan 
vergleicht, kommt er zu dem Schluls, beide möchten analoge 
Verbindungen, die Beryllerde des Leucophans aber im Melino- 
phan durch Thonerde ersetzt, auch eine kleinere Menge Fluor- 
natrium in letzterem enthalten sein. 

Vergleichende Analysen beider Mineralien haben mich 
überzeugt, dafs A. Erdmanns Resultat in Betreff des Leuco- 
phans genau ist, dals aber Richters Angaben für den Meli- 
nophan ungenau sind. Beide enthalten vorherrschend Beryli- 
erde, neben wenig Thonerde, und wenn in den relativen 
Mengen der Säure, des Kalks, Natrons und Fluors sich Diffe- 


vom 14. April 1856. 203 


renzen finden, so sind dieselben doch nicht so grols, dafs sie 
das Resultat der Berechnung trüben könnten, wonach die Zu- 
sammensetzung beider dieselbe ist. 

Wie bei allen fluorhaltigen Silikaten, kann man die Con- 
stitution der Verbindung auf zweierlei Weise sich vorstellen. 
Fluor und Natrium sind nämlich in dem Verhältnifs je eines 
Atoms vorhanden, und das Doppelsilikat ist so zusammengesetzt, 
dals der Sauerstoff von Kalkerde, Beryllerde und Kieselsäure 
=1:1:3 ist. Der Leucophan und Melinophan sind demnach 
aus 1 At. Fluornatrium, 1 At. zweidrittel kieselsaurem Kalk und 
4 At. drittel kieselsaurer Beryllerde zusammengesetzt, = NaFl+ 
(Ga? Si? + Bes). 

Denkt man sich aber das Fluor in gleicher Funktion wie 
den Sauerstoff, so sind diese Mineralien als Verbindungen von 
2 At. halbkieselsaurem Kalk und Natron mit 1 At. drittel kie- 
selsaurer Beryllerde, 2 (Ca, Na)? Si + Be Si, anzusehen, mit 
denen die analog constituirten Fluorverbindungen sich in iso- 
morpher Mischung befinden. 

In den oberen Teufen des Steinsalzlagers von Stalsfurih 
hat sich neben Stalsfurthit, Carnallit, Anhydrit u. s. w. ein 
neues höchst zerflielsliches gelbes Salz gefunden, welches eine 
feste Verbindung von 1 At. Chlorcalcium, 2 At. Chlormagne- 
/sium und 12 At. Wasser ist, und für das ich den Namen Tach- 
| hydrit vorschlage. Es besitzt deutliche Spaltbarkeit und scheint 
im Anhydrit eingelagert zu sein, enthält aber keine Spur 
Schwefelsäure. In seiner Nähe findet sich gleichzeitig weilse 
durchscheinende, feinkörnige schwefelsaure Talkerde mit 
At. Wasser, gemengt mit einigen Procenten Chlornatrium, 
und also vom gewöhnlichen Bittersalz verschieden. 

En. 


Hr. Kummer las folgenden Aufsatz des Hrn. Kronecker 
bierselbst „über die algebraisch auflösbaren Glei- 
| chungen”. 

In einem in dem Monatsberichte der hiesigen Akademie 
vom Juni 1853 abgedruckten Aufsatze habe ich die allgemeine 
Form der Wurzeln von irreductibeln auflösbaren Gleichungen 
angegeben, für den Fall, dafs der Grad derselben eine Prim- 

[1856] 15 


204 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


zahl ist. An diesen Aufsatz und die darin enthaltenen Resul- 
tate anknüpfend, will ich hier einige Bemerkungen mittheilen, a 
zu denen ich durch weitere Beschäftigung mit dem dort be- 
handelten Gegenstande geführt worden bin. Ich werde hierbei 
der Kürze halber auch die an jenem Orte gewählten Bezeich- 
nungen beibehalten, ohne dieselben erst nochmals zu definiren. 

Wenn man die in dem erwähnten Aufsatze eingeführten 
ganz beliebigen Grölsen A, B, C,... reell annimmt, so ergiebt 
die entwickelte Form der Wurzeln ein sehr bemerkenswerthes, 
die Realität derselben betreffendes Resultat, welches sich für 
den speziellen Fall, wo es sich nur um ganzzahlige Gleichungen 
handelt, einfach so aussprechen läfst: 

„Wenn eine irreductible Gleichung mit ganzzahligen 

Coäfficienten auflösbar und der Grad derselben eine un- 
grade Primzahl ist, so sind entweder alle ihre Wurzeln 
oder nur eine reell.” ö 

Für den allgemeinen Fall aber, wo die Coäffhicienten der 
Gleichung irgend welche reelle Gröfsen sind, muls man, um 
die Genauigkeit zu bewahren, das bezügliche Resultat in der 
folgenden etwas umständlicheren WVeise ausdrücken: 

„Wenn eine Gleichung — deren Grad eine ungrade 
Primzahl 1 ist, deren Coefficienten rationale Functionen 
irgend welcher reeller Grölsen A, B, C,..., also selbst 
reell sind und welche endlich nicht in Faetoren niederen 
Grades zerlegt werden kann, so dals deren Coefficienten | 
wiederum rationale Functionen von 4, B, C,... wären — 
durch eine explicite algebraische Function jener Gröfsen 
A, B, C,... erfüllt wird, so sind entweder alle ihre 
Wurzeln, oder nur eine derselben reell.” 

Um Mifsverständnissen vorzubeugen, füge ich hinzu, dafs 
ich unter ‚‚rationalen Functionen von A, B, C, ...” hier wie 
in meinem früheren Aufsatze immer nur solche verstehe, in 
denen die Coäffkicienten der verschiedenen Potenzen jener 
Gröfsen rationale oder, wenn man will, ganze Zahlen 
sind. Ich bemerke ferner, dals die angegebene Eigenschaft der 
irreductibein auflösbaren Gleichungen uten Grades nicht blofs 
aus der allgemeinen Form ihrer Wurzeln hervorgeht, sondern 
auch aus dem schon von Galois herrührenden Satze ‚‚dafs jede 


vom 14. April 1856. 205 


Wurzel einer solchen Gleichung sich als rationale Function 
von irgend zwei andern darstellen lälst”. Wenn nämlich diese 
Function nur reelle Coäfficienten enthält, so folgt hieraus un- 
mittelbar, dafs alle Wurzeln reell sein müssen, sobald nur 
zwei derselben reell sind. Doch sind in den leider unyoll- 
endet gebliebenen Abhandlungen des genannten genialen Ma- 
thematikers die als rational betrachteten Grölsen und die be- 
kannten Irrationalitäten (wie „Wurzeln der Einheit”) noch 
nicht streng genug von einander gesondert und es fehlt des- 
halb auch jenem Satze bei Galois die genauere Fassung, 
welche nothwendig ist, um die für die obige Schlufsfolgerung 
erforderlichen Bedingungen daraus zu ersehen. Die neuen und 
einfacheren Methoden aber, welche ich zur Herleitung der 


Eigenschaften auflösbarer Gleichungen anwende und nächstens 


vollständig veröffentlichen werde, ergeben das Galois’sche 
Resultat in der bestimmten Form, dafs die rationale Function, 
wermittelst deren eine Wurzel durch zwei andere ausgedrückt 
wird, als Coefficienten der verschiedenen Potenzen der beiden 
Wurzeln nur rationale Functionen der Gröfsen A, B, C,... 
mit ganzzahligen Coäfficienten, also — wenn A, B,C,... 
reell sind — nur reelle Gröfsen enthält. 

Wenn man von jetzt ab nur Gleichungen betrachtet, de- 
ren Coäfhicienten rationale Functionen irgend welcher bekannter 
reeller Grölsen 4, B, C, ... sind, und wenn man diejenigen 
irreductibel nennt, welche nicht in Factoren niederen Grades 
mit eben solchen Coefficienten zerfällt werden können, wenn 
man endlich unter auflösbaren Gleichungen solche versteht, 
deren Wurzeln sich als explicite algebraische Functionen von 
A, B, €, ... darstellen lassen — so kann man nach dem oben 
Gesagten die irreductibeln auflösbaren Gleichungen aten Gra- 
des in Bezug auf die Realität ihrer Wurzeln in zwei Classen 
eintheilen, von welchen ich diejenige immer als die erste be- 
zeichnen werde, welche die Gleichungen mit einer einzigen 
reellen Wurzel enthält, und diejenige als die zweite, welche 
die Gleichungen mit lauter reellen Wurzeln umfalst. Von den 
charakteristischen Eigenschaften dieser beiden Classen hebe ich 
zuvörderst die hervor, dafs, wenn » die Form 4n +3 hat, 
die Determinante der Gleichung, d. h. das Quadrat des Pro- 

2 1 eg 


206 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


dukts der +.% (»— 1) Wurzeldifferenzen für die erste Glasse 
negativ, für die zweite aber positiv ist. Es geht diefs einfach 
daraus hervor, dafs die Determinante einer Gleichung mit reel- 
len Co&fficienten überhaupt positiv oder negativ ist, je nach- 
dem die Anzahl der Paare von imaginären Wurzeln grade oder 
ungrade ist. Hieraus folgt auch, dafs, wenn % die Form 4n +1 
hat, nur solche irreductible Gleichungen „ten Grades auf- 
lösbar sein können, deren Determinante positiv ist. 

Die beiden Classen irreductibler auflösbarer Gleichungen, 
deren Gradirgend eine ungrade Primzahl u ist, unterscheiden 
sich ferner dadurch, dafs die Wurzeln der Hilfsgleichung 
(#«—1)sten Grades, welche ich in der Formel III meines mehr- 
erwähnten Aufsatzes mit r,, rz, ... bezeichnet habe, für die 
erste Classe sämmtlich reell, für die zweite sämmtlich imaginär 
sind'). Es ist nach dieser Bemerkung leicht zu sehen, dafs 
die Auflösung der zur ersten Classe gehörigen Gleichungen 
nichts erfordert als 1) eine Abelsche Gleichung (#— 1)sten ' 
Grades aufzulösen und 2) aus einer einzigen alsdann bekannten 
reellen Gröfse die zte Wurzel zu ziehen. Für die zweite Classe da- 
gegen hat man 1) ebenfalls eine Abelsche Gleichung (» — 1)sten 
Grades aufzulösen, 2) einen alsdann gegebenen Kreisbogen in 
ı# gleiche Theile zu theilen. Es ist diefs, wie man sieht, die 
Verallgemeinerung des sogenannten irreductibeln Falles bei den 
Gleichungen dritten Grades. Ferner liegt darin eine gewisse 
Analogie mit der von Gauls (disqu. arithm. pag. 651) ange- 
gebenen Eigenschaft der Kreistheilungsgleichungen, welche 
Abel in dem memoire XI des ersten Bandes der gesammelten 


‘) In dem oben angeführten Aufsatze ist diejenige Wurzel einer ge- 
wissen Abelschen Gleichung, mit Hilfe deren die auflösbare Gleichung 
wten Grades selbst eine Abelsche wird, ebenfalls mit r, bezeichnet, ob- 
gleich dieselbe durchaus nicht mit einer der in der Formel III vorkom- 
menden Grölsen r;, T2, ... identisch ist. Man hat deshalb für jene zu 
Unrecht mit r, bezeichnete Wurzel ein neues Zeichen v, einzuführen und 
erhält darnach die an jener Stelle gegebenen Gleichungen in folgender 
Form: 

nl, u ball)... ml 
Die Grölse u, hängt übrigens sehr einfach von r, ab, ist aber stets imaginär 
sobald r, reell ist und umgekehrt. 


vom 14. April 1856. 207 


Werke pag. 128 auf die dort behandelten Gleichungen ausge- 
dehnt hat. Man kann aber auch andrerseits diese Bemerkung 
Abel’s auf das obige Resultat anwenden und dasselbe hier- 
nach in folgender Weise ausdrücken: 
„Die Auflösung einer irreductibeln auflösbaren Gleichung 
„ten Grades erfordert nichts als 1) die Peripherie des 
Kreises in (a— 1) gleiche Theile zu theilen, 2) aus 
einer alsdann gegebenen reellen Gröfse die Quadrat- 
wurzel zu ziehen, 3) einen alsdann gegebenen Kreisbogen 
in («— 1) gleiche Theile zu theilen und 4) wenn die 
Gleichung der ersten Classe angehört — aus einer nun- 
mehr bekannten reellen Gröfse die ute Wurzel zu zie- 
hen, oder — wenn die Gleichung zur zweiten Classe 
gehört — einen Kreisbogen in gleiche Theile zu thei- 
len, welcher in Folge der vorhergegangenen Operationen 
construirt werden kann.” 

Die interessanteste Anwendung der vorstehenden Bemer- 
kungen erhält man für den speziellen Fall, wo die Gröfsen 4, 
B,C,... sämmtlich gleich Null sind, d. h. wo es sich nur 
um Gleichungen mit ganzzahligen Co&fhcienten handelt und 
wo auch die oben entwickelte allgemeinere Bedeutung der 
Worte ‚„Irreductibilität und Auflösbarkeit” sich auf den ge- 
wöhnlichen Sinn dieser Ausdrücke für ganzzahlige Gleichungen 
reducirt. Da nämlich in diesem Falle — wie ich bereits in 
meinem früheren Aufsatze erwähnt habe — jede Abelsche Glei- 
chung eine Kreistheilungsgleichung ist, so folgt für die ganz- 
zahligen irreduclibeln auflösbaren Gleichungen wten Grades, 
dals die Auflösung derselben nichts erfordert als: 1) die ganze 
Peripherie des Kreises in eine gewisse Anzahl gleicher Theile 
zu theilen und 2) aus einer alsdann gegebenen reellen Gröfse 
die ste Wurzel zu ziehen oder einen alsdann gegebenen Kreis- 
bogen in 1 gleiche Theile zu theilen, je nachdem die Gleichung 
der ersten oder zweiten Classe angehört. Wenn man ferner 


unter einer ganzen complexen Zahl f(g) wie gewöhnlich eine 
aus Wurzeln der Gleichung ge” =1 zusammengesetzte ganze 


complexe Zahl versteht, so ergiebt sich schon aus meinem frü- 
heren Aufsatze, dals jede Wurzel einer ganzzahligen irreduc- 
tibeln auflösbaren Gleichung ten Grades sich als ganze ratio- 


208 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


r 
näle Function einer Grölse Vfe) mit ganzen oder gebrochenen 
complexen Coefficienten darstellen läfst. Aber auch dieses Er- 
gebnils wird seiner eigentlichen Natur nach klarer, sobald man 5 
dabei die beiden Classen von auflösbaren Gleichungen unter- 
scheidet und es darnach folgendermaalsen ausdrückt: 
„Jede Wurzel einer ganzzahligen irreduetibeln auflös- 

baren Gleichung uten Grades ist, wenn diese zur ersten 
Classe gehört, ganze rationale Function einer Grölse w, 

die einer reinen Gleichung ® * =f(e) genügt — wenn | 

die Gleichung aber zur zweiten ÜClasse gehört, so ist 

jede Wurzel derselben ganze rationale Function einer 
Grölse sin v, wo v durch eine Gleichung snuv=d (e) 
bestimmt wird.” 

Es ist aber hierbei zu bemerken, dals in den erwähnten 
ganzen rationalen Functionen wiederum aus mten Wurzeln der 
Einheit gebildete ganze oder gebrochene complexe Zahlen als 
Coäfücienten zuzulassen sind; ferner müssen die complexen Zah- 
len f(g) und & (eg) reell sein und der absolute Werth der letz- 
teren darf die Einheit nicht übersteigen; endlich dürfen die 
complexen Zahlen f(5) und & (g) nicht vollständige „te Po- 
tenzen von complexen aus mten Wurzeln der Einheit gebil- 
deten Zahlen sein. — Man sieht nunmehr, dafs in gewissem 
Sinne — nämlich, wenn man das Gebiet der complexen Zahlen 
zum Gebiete des (im gewöhnlichen Sinne des Wortes) Ratio- 
nalen hinzunimmt — die ganzzahligen auflösbaren Gleichungen 
der ersten Classe im Wesentlichen nichts Anderes als reine 
Gleichungen, die der zweiten Olasse im Wesentlichen nichts 
Anderes als Kreisbogentheilungs-Gleichungen sind. 
Die vorstehenden Bemerkungen gewähren allerdings schon 
eine klare Einsicht in die Natur der Wurzeln ganzzahliger auf- 
lösbarer Gleichungen „ten Grades, aber sie haben den Mangel, 
dals sie ebenso wenig wie das mehrerwähnte Resultat über 
die Abelschen Gleichungen umgekehrt gelten. Um diefs deut- 
licher auszudrücken, muls ich an die obige auf beide Classen 
zugleich sich beziehende Bemerkung anknüpfen, wonach die 
Wurzel jeder ganzzahligen auflösbaren Gleichung unten Grades 

u 


sich als ganze rationale Function von Vf) mit complexen 


vom 14. April 1856. 209 


Coöfficienten darstellen lälst. Es ist nämlich klar, dals umge- 
kehrt nicht jede solche Function eine Gleichung uten Grades 
mit ganzzahligen Co£fficienten erfüllt. Denn die symmetrischen 
Verbindungen der , verschiedenen Werthe, welche eine solche 


A 
Function durch Veränderung des Werthes von Vf) annimmt, 
werden offenbar im Allgemeinen noch die Wurzel der Einheit 
ge enthalten. Ich werde aber im Folgenden die Bedingungen 
aufzeigen, unter denen diels nicht der Fall ist, d. h. ich werde 
einen aus Wurzeln der Einheit zusammengesetzten Ausdruck 
aufstellen, welcher alle Wurzeln ganzzahliger irreductibler 
auflösbarer Gleichungen uten Grades und nur solche in sich 
enthält. Da zu diesem Zwecke vorerst die allgemeinste Dar- 
stellung der Wurzeln ganzzahliger Abelscher Gleichungen in 
der Form von ganzen oder gebrochenen complexen Zahlen ge- 
geben werden mufs, so wird hiermit zugleich die in dem frü- 
heren Aufsatze offen gebliebene Frage erledigt, welche Eigen- 
schaften eine rationale Function von Wurzeln der Einheit 
haben muls, wenn sie Wurzel einer ganzzahligen Abelschen 
Gleichung sein soll.” 

Es seien n und m irgend welche ganze Zahlen und es 
gebe die Zerlegung der letzteren in ihre Primfactoren: 


m—?" Er ne .... 
wo a, entweder gleich Null oder gröfser als Eins sein soll; 
ferner sei d, der grölste gemeinsame Factor von 2 und n, 
wenn a, =2 ist, aber der grölste gemeinsame Factor von 
20402 und n, wenn a, grölser als 2 ist; ferner sei ö, der 


‚—1 


srölste gemeinsame Factor von pı «(p,—1) und n, ebenso 
&' 5 f 


ö, der von are g—1) und n, u. s. w.; endlich sei für 
jedes ö eine zugehörige Zahl @ durch die Gleichung definirt: 
Öö-d=n. Wenn nun g eine primitive mte Wurzel der Ein- 
heit bedeutet, so ist $.* die Wurzel einer Abelschen Glei- 
chung nten Grades, sobald man die Summation auf alle die- 
jenigen positiven Zahlen k erstreckt, welche relative Primzahlen 
zu m und kleiner als m» sind und welche der Congruenz- 
bedingung: 

T. 5..4,.Indk-++25,.d, .ind, k+b,.d,.ind,;k-+....=0, modn 


210 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


genügen. In dieser Congruenz bedeuten d,, d,, dg,... ganz 
beliebige positive Zahlen, die kleiner als n sind; ferner wer- 
den die Zeichen ind, %, ind,;%k, ... wie gewöhnlich durch die 
Congruenzen: 
gedık —z mod, p,**, Puch =%, mod, p"}, 2. 
bestimmt, wo $,, 82, -. . Tesp. primitive Wurzeln von rl 
P2", ».. sind; endlich soll das Zeichen Ind % durch die Con- 
gruenz: 
Ga Ind k 
erklärt werden, wenn a,=2 ist; wenn aber a, grölser als 2 
ist, so soll erstens für diejenigen Zahlen %, welche von der 
Form 4v-+1 sind, das Zeichen Ind % die durch die Gongruenz: 


Am k, mod 2”° 


=k, mod4 


definirte Bedeutung haben und es soll zweitens für die Zahlen 
k von der Form 4v-+3 das Zeichen Ind %X entweder dadurch 
bestimmt werden, dafs Ind«=Ind(m—x%) oder dadurch dals 


wenn k<” ist, Ind A=Ind (= -*) und wenn k>— ist, 


3 - - 5 . 
Ind k=Ind (- _ r) angenommen wird. Es ist hierbei zu 
bemerken, dafs wenn a,>2 also m durch 8 theilbar und 

b : 3 # > 
k=3, mod4ist, die Zahlen m —k, = —k, ——k sämmtlich von 


der Form 4v-+1 sind, für welche Zahlen das Zeichen Ind% be- 
reits definirt ist. 

Setzt man nun 30*=w(g) und bezeichnet mit F(w(£)) 
irgend eine ganze rationale Function von w(g), deren Coäfh- 
cienten gewöhnliche rationale Zahlen sind, so ist auch diese 
stets die Wurzel einer ganzzahligen Abelschen Gleichung nten 
Grades und zwar ist diels die allgemeinste Form der Wur- 
zeln einer solchen Gleichung d. h. wenn man den Zeichen m, 
@> bo» di, d2» -.., @(g) und den in F(»e)) enthaltenen Co&f- 
ficienten alle gestatieten Werihe und dem Zeichen Ind% für 
den Fall, dafs »» durch 8 theilbar ist, die beiden zugelassenen 
Bedeutungen nach einander beilegt, so giebt der Ausdruck 
F(s(e)) die Wurzeln aller Gleichungen nten Grades, deren 


vom 14. April 1856. 211 


Coöfficienten ganze Zahlen sind und deren Wurzeln z,, z,,....z 
durch Gleichungen: 


Bette) N.z,—0 (ze) ss... Nez, =0lz,) 


mit einander verbunden sind, in welchen N eine ganze Zahl 
und d(z) eine ganze ganzzahlige Function von z bedeutet. 

Die zahlentheoretischen Bestimmungen, welche bei Erklä- 
rung der in diesem Resultate enthaltenen Zeichen nöthig wa- 
ren, sind offenbar so einfach, als es*tdie Natur zusammenge- 
setzter Moduln, die hier eine Rolle spielen, überhaupt zuläfst. 
Zudem sind diese Bestimmungen auch in andern Beziehungen 
von Interesse, wie ich hier mit wenigen Worten andeuten 
werde. 

Zuvörderst bilden nämlich die Zahlen %, wie sie durch die 
Congruenz I. definirt worden sind, eine Gruppe von der Be- 
schaffenheit, dafs das Produkt von je zwei in derselben ent- 
haltenen Zahlen wiederum einer Zahl k nach dem Modul m con- 
gruent ist. Es giebt ferner unter den zu m relativen Prim- 
zahlen immer Zahlen 7, die so beschaffen sind, dals, wenn die 
rte Potenz die niedrigste ist für welche % einem % congruent 
wird, die Zahlen: 


Bol Tue) 2 aa take 

oder vielmehr deren kleinste Reste nach dem Modul m ge- 
nommen sämmtliche Zahlen die relative Primzahlen zu m und 
kleiner als m sind und zwar jede nur einmal darstellen. Diese 
beiden Eigenschaften der mit % bezeichneten Zahlen sind zu- 
gleich so charakteristisch für dieselben, dafs sie als deren De- 


‚ finition gelten könnten; sie zeigen ferner, dals jene Zahlen 
| wesentliche und wichtige Eigenschaften mit den Potenzresten 
| einer Primzahl gemein haben; und wenn für m eine ungrade 


Primzahl p,, für n ein 'Theiler von (»,—1) angenommen und 
endlich 54,=1 gesetzt wird, ergeben auch alle durch die Con- 


| gruenzbedingung I. definirten Zahlen k grade sämmtliche nte 


Potenzreste der Zahl m. Wie die durch % bezeichneten Zah- 
len eine Verallgemeinerung der Eigenschaften der Potenzreste 
enthalten, welche analog ist der Verallgemeinerung des Legendre- 
schen Zeichens für quadratische Reste, geht ferner aus folgen- 
dem speziellen Falle hervor. Wenn nämlich p, +p3....=P und 


212 Sitzung der physikalisch- mathematischen Klasse 


n=2 gesetzt wird und wenn man nach einander der Zahl m 
die drei Werthe P,4P,sP und im letzteren Falle dem Zei- 
chen Ind % in der Congruenz I. die beiden zuläfsigen Bedeu- 
tungen beilegt, so ergeben die Zahlen k für diese vier Fälle 
diejenigen vier Gruppen von Zahlen, welche in der berühmten 
Abhandlung des Hrn. Dirichlet bei der Anzahl der quadrati- 


ih 


schen Formen vorkommen und in den vier dort unterschiedenen 


Fällen (Crelle’s Journal, Band 21. pag. 151) immer mit a 
bezeichnet sind. & 

Nach diesen Bemerkungen dürfte es auch klar sein, in 
welcher Weise die aus mten Wurzeln der Einheit gebildeten 
Ausdrücke w(g) eine Verallgemeinerung der Gaufsischen Pe- 
rioden enthalten; und es ist hierbei namentlich interessant, dals 
diese Verallgemeinerung durchaus verschieden ist von der- 
jenigen, welche Hr. Kummer in seinen noch ungedruckten 
Untersuchungen über die aus zusammengesetzten Wurzeln der 
Einheit gebildeten complexen Zahlen gebraucht hat. 

Bevor ich nun zur Darstellung der Wurzeln aller ganz- 
zahligen auflösbaren Gleichungen uten Grades übergehe, muls 
ich noch die Bedingungen entwickeln, unter denen der oben 
definirte Ausdruck ® (og) die Wurzel einer irreductibeln 
Abelschen Gleichung nten Grades wird. Man hat hierzu er- 
stens die Zahl m so zu wählen, dafs darin jede in derselben 
enthaltene ungrade Primzahl höchstens zu einer um eins hö- 
heren Potenz und die Primzahl 2 höchstens zu einer um zwei 
höheren Potenz erhoben vorkommt als in der Zahl n. Sobald 
nämlich diese Bedingung nicht erfüllt ist, wird w(g) gleich 
Null. Man hat zweitens m so zu wählen, dafs n in derjenigen 
kleinsten Zahl £ aufgeht, für welche jede Zahl % die mit m 
keinen gemeinsamen Theiler hat die Congruenz # = 1, mod m 
erfüllt. Alsdann haben nämlich die in der Congruenz I. vor- 
kommenden Zahlen @ keinen allen gemeinsamen Factor und es 
sind nun drittens auch die Zahlen 5 so zu bestimmen, dafs die 
Produkte 59.40, d1-dı, d2.da, ... nicht sämmtlich durch einen 
und denselben Divisor von rn theilbar werden. Wenn diesen 
drei Bedingungen genügt ist, so existiren stets Zahlen %, welche 
relative Primzahlen zu m sind und der Congruenz: 

U. 2d,.d0.Ind.R+5,.d, .ind,.k+b3.d,.ind,..k+....=1,modn 


vom 14. April 1856. 213 


genügen, und der Ausdruck w(g) ist alsdann Wurzel einer ir- 
reductibeln ganzzahligen Abelschen Gleichung nten Grades, 
welche aulserdem die (na—1) conjugirten unter einander ver- 
schiedenen Ausdrücke: 


2 n—1 
a(e"), al" 5: en &(e" ) 
als Wurzeln enthält. 

Um nunmehr die allgemeinste Form der Wurzeln von 
ganzzahligen irreductibeln auflösbaren Gleichungen „ten Gra- 
des aufzustellen, hat man für n irgend einen Theiler von (u—1) 
und alsdann die Zahlen m und % so wie den Ausdruck « (£) 
nach den so eben gemachten Bestimmungen anzunehmen. Es 
ist ferner irgend eine ganze ganzzahlige Function von = (g), 
welche ich mit f(w(g)) oder einfacher mit f (g) bezeichnen 
will, so zu wählen, dals das er 


ce 2 
II) 1 
für irgend eine bestimmte zum Re n 2 den Modul 
m gehörende Zahl ce nicht zu einer vollständigen uten Potenz 
einer aus mten Wurzeln der Einheit gebildeten complexen 
Zahl wird. Endlich hat man einen Ausdruck: 


In Tal OEL TRORELGOE TI FEORL LEONE n 


u ERORE Zoe 


zu bilden, in welchem N eine ganze Zahl und #(e), $, (e), 
®2 (0), »... irgend welche ganze ganzzahlige Functionen von 
#(g) bedeuten und in welchem durch 97 (2) der Kürze halber 
eine ste Wurzel aus dem Produkte III. bezeichnet ist. — 
Wenn man sich ea in dem Ausdruck IV. für od nach und 
nach die Grölsen 9 Rych IR gb" gesetzt denkt, so stellt 
die Summe der Anch entstehenden 2 Ausdrücke die allge- 
meinste Form der Wurzeln ganzzahliger irreductibler auflös- 
barer Gleichungen «ten Grades dar. Doch hat man hierbei 
den Werth der in dieser Summe vorkommenden uten Wur- 
zeln aus den Ausdrücken, welche dem mit III. bezeichneten 
conjugirt sind, durch folgende Gleichung zu bestimmen: 


Beer) er fle 3° 


Ari u md 


214 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


wo die ganze Zahl e durch die Gleichung ce —i=e.n er- 
klärt ist. 
Das hier aufgestellte Eniiesiliah läfst sich auch in fol- 

gender übersichtlichen Weise ausdrücken: 7 
„Wenn man durch F(x,y) irgend eine ganze ganzzah- 
lige Function von x und y, durch N irgend eine ganze 
Zahl und durch n irgend einen Theiler von (a—1) be- 
zeichnet, wenn ferner die Zeichen A, w(g), W (eg) die | 
oben angegebene Bedeutung haben, so ist der Aus- 
druck: 


vn 2 Fee), wc) 


stets die Wurzel einer ganzzahligen irreductibeln Glei- 
chung „ten Grades und andrerseits lälst sich auch die 
Wurzel einer jeden ganzzahligen irreductibeln auflös- 
baren Gleichung auten Grades auf diese Form V. bringen.” 
Die nur durch die verschiedenen Werthe der Wurzelgrölse 
VW (g) sich unterscheidenden # Ausdrücke gehören einer und 
derselben Gleichung „ten Grades als Wurzeln an; und diese 
Gleichung gehört zur ersten oder zweiten Classe, je nachdem 
die in W/(g) vorkommende complexe Zahl f(g) reell oder ima- 
ginär ist. 
Von speziellen Fällen will ich zuvörderst den einfachsten 
anführen, für welchen n=1, »(g) gleich Null oder gleich — 1 
wird, f(g) deshalb nur eine ganze Zahl g ist, der Ausdruck V. 


sich demnach auf Er =) reducirt und also die Wurzeln der 


einfachsten Art von auflösbaren Gleichungen „ten Grades er- 
giebt. Aufserdem dürfte es noch der Erwähnung werth sein, 
unter welchen Bedingungen der Ausdruck V. die Wurzeln 
Abelscher Gleichungen uten Grades darstelle. Zu diesem 


> tige 1 
Behufe ist nämliihn= eu -, m=p,=w,db,=1,undce= e= 


mod. # zu setzen, wodurch alsdann ® (e) =. wird. 

Es ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerth, dals es 
in der angegebenen Weise gelungen ist, die Wurzeln aller 
ganzzahligen irreductibeln auflösbaren Gleichungen — deren 
Grad eine Primzahl ist — auf eine so überaus einfache Form 


vom 14. April 1856. 215 


zu bringen; eine Form, die grade insofern sehr übersichtlich 
ist, als sie die Natur der aus allen jenen Gleichungen hervor- 
gehenden Irrationalitäten zur deutlichen Erscheinung bringt. 
Diese Deutlichkeit und Einfachheit ist, wie man sieht, dadurch 
erlangt worden, dafs bekannte irrationale Gröfsen — nämlich 
die Wurzeln der Einheit — zur Darstellung benutzt und die 
vorkommenden Wurzelausdrücke so weit als möglich durch 
dieselben ersetzt worden sind. Schon das hierbei angewendete 
in meinem früheren Aufsatze mitgetheilte Resultat über die 
ganzzahligen Abelschen Gleichungen war ein Beispiel dafür, 
dafs man nicht immer darauf zu sehen hat, die höheren Irra- 
tionalitäten in irgend welcher Weise auf niedere zurückzu- 
führen, wie es bei Auflösung von Gleichungen geschieht, 
sondern dals es für die Einsicht in die Natur der Gleichungen 
ebenso von erheblichem Nutzen sein kann, die Wurzeln der- 
selben durch solche auszudrücken, die Gleichungen von hö- 
heren Graden angehören. Übrigens wird man bei andern 
algebraischen Untersuchungen ebenfalls darauf geführt, die zu- 
erst vorwaltende Rücksicht auf die Höhe des Grades aufzu- 
geben und wesentlichere Eigenschaften der Gleichungen 
als Merkmale für grölsere oder geringere Einfachheit gelten 
zu lassen. — Wichtiger noch ist die Einfachheit des obigen 
Resultats insofern, als sich die Zusammenfassung der ganzzah- 
ligen irreductibeln auflösbaren Gleichungen von Primzahlgraden 
dadurch wirklich als naturgemäls erweist, Denn alle aus die- 
sen Gleichungen hervorgehenden Irrationalitäten werden in 
jenem Resultate mittelst gewisser einfacher Bestimmungen in 
eine Kategorie vereinigt. Doch darf dabei nicht unerwähnt 
bleiben, dafs diese Zusammenfassung nicht von so allgemeinem 
und weitgehendem Interesse ist, als jene Gruppirung von irra- 
tionalen Gröfsen, welche ich in meinem früheren Aufsatze an- 
gedeutet habe und welche sich aus den verschiedenen Arten 
Abelscher Gleichungen ergiebt. 


216 Gesammtsitzung vom 17. April 1856. 


17. April. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Schott las „über die Sprache von Siam und 
ihr Verhältnils zu den übrigen sogenannten ein- 
silbigen Sprachen.” 


Hr. Pinder machte folgende Mittheilung „über einen 
unedirten Goldmedaillon des Kaisers Gonstans L, 
des Sohnes Constantins des Grolsen.” 

Dieser Medaillon von ungewöhnlicher Gröfse (13% der 
Mionnet’schen Scala), an welchem sich früher ein goldener 
Henkel befunden hat, wiegt 41 Gramme, also ein Achtel des 
“römischen Pfundes, so viel als 9 Solidi. Die Vorderseite, mit 
der Aufschrift FL(avius) IVL(iu) CONSTANS PIVS FELIX 
AVG(ustus), trägt das rechtshin gewendete Brustbild des Kai- 
sers mit dem Paludamentum und mit dem Perlendiadem ge-' 
schmückt; die rechte Hand nebst einem Theil des Armes ist 
vor der Brust sichtbar, die linke Hand erhebt eine Weltkugel 
mit einer darauf stehenden dem Kaiser zugewandten Victoria, 
die in der Rechten einen Kranz, in der Linken einen Palm- 
zweig hält. Die Rückseite, mit der sonst nicht gebräuchlichen 
Aufschrift VICTORIA AVGVSTI NOSTRI, zeigt den rechts- 
hin schreitenden und. zurückblickenden Kaiser mit Helm und 
Panzer :und mit fliegendem Kriegermantel; in der Linken hält 
er Lanze und Schild, von dessen Mitte ein Löwenkopf her- 
vorragt, mit der Rechten falst er den Kopf eines bärtigen Ge- 
fangenen, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt sind; vor 
dem Kaiser ist eine ebenfalls rechtshin gewendete und zurück- 
schauende weibliche Figur (eine besiegte Provinz) auf das 
rechte Knie gesunken und erhebt flehend beide Hände. Der 
Kaiser ist im Vergleich zu diesen beiden Figuren colossal ge- 
bildet. Er wird von einer hinter ihm schwebenden kleinen 
Victoria, welche in der Linken einen Palmzweig hält, mit der 
Rechten bekränzt. Im Abschnitt befinden sich zwischen den 
Buchstaben A Q, welche die Prägstadt Aquileia bezeichnen, 
als Tropäen Köcher, Helm, Harnisch und Lanze. Beide Seiten 
haben einen Perlenrand. 


Gesammtsitzung vom 24. April 1856. 217 


Dieser zu einem Ehrenzeichen bestimmte Goldmedaillon, 
auf welchem Constans den Titel Augustus trägt, den er im 
Jahre 337 nach Chr. annahm, ist vermuthlich nach dem Siege, 
den er im J. 340 über seinen Bruder Constantinus bei Aqui- 
leia errang, in eben dieser Stadt geprägt worden, oder in den 
nächstfolgenden Jahren, in welchen er die Franken und Cale- 
donier besiegte. Der unter den 'Tropäen befindliche Köcher 
mit Pfeilen wird sich kaum als unterscheidende Waffe eines 
bestimmten Volkes deuten lassen. 

Von Constans war bisher noch kein so grolser Gold- 
medaillon publicirt; unter den berühmten in Siebenbürgen und 
Ungarn gefundenen Goldmedaillons der Kaiserlichen Sammlung 
zu Wien befindet sich keiner dieses Kaisers. Der vorliegende 
gehört zu der Sammlung des Herrn Michael Levy in Inowraclaw. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 
- Kupffer, Compte-rendu annuel de lobservatoire physique central. Annee 
1854. Petersbourg 1855. 4. 
 Annales de chimie et de physique. Tome 46. Mars. Paris 1856. 8. 
Journal of the asiatic Society of Bengal. Vol. XXIV, no.5.6. Cal- 
eutta 1855. 8. 
Ephemeris archaeologica. no. 41. Athen 1855. 4. Mit Rescript des 
vorgeordneten Ministeriums vom 14. April 1856. 
" Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Band 5. und 6. Halle 
1855. 8. a 


4. April. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Panofka las: „Dichterstellen und Bildwerke 
Jinihren wechselseitigen Beziehungen.” 

- In des Aristophanes Plutus v. 1151—65 läfst der Dichter 
den redend eingeführten Hermes selbst verschiedene beachtens- 
werthe Seiten seines Charakters, die mit einer Anzahl eigen- 
thümlicher Beinamen dieses Gottes in engem Zusammenhang 
stehen, enthüllen. Da diese letzteren aber auch sonst in Bild- 
werken der Plastik oder Malerei, an manchen Orten sogar in 


218 Gesammtsitzung 


P 


besonderem Cultus uns entgegentreten und dadurch zu näherer 
Betrachtung einladen, so verlohnt es der Mühe die Verse im 
Plutus mit Hülfe des schriftlichen und bildlichen Alterthums 
einer genaueren Prüfung zu unterwerfen. Zu diesem Versuche # 
bestimmt uns einerseits die Hoffnung, dals auf diese Weise 
das Verständnils des Dichters durch lebendigere Anschauung 
gefördert wird, andrerseits die Erwägung, dafs diese Forschung, 
zugleich wünschenswerthen Anlals darbietet, eine Anzahl lehr- 
reicher, theils unedirter, theils verkannter Bildwerke zu ver- 
öffentlichen und in ihr wahres Licht zu stellen. | 
Nachdem der Hermes Yrgobaios, der Thürhüter, ent- 
sprechend dem Limentinus der Römer, durch die Typen des 
Silberdenar der Gens Limentana, und hierauf der Hermes 
’Eumorcios, der Gott des Verkehrs, durch ein rohes an 
pompejanischer Stralsenmauer sichtbares Gemälde dieses Got- 
tes, das als Schild für den Kaufladen diente, erläutert wor- 
den, erhielt der dritte Hermes Aorıos, der Listige, eine) 
besondere Monographie. Zu Grunde lag die klassische Stelle 
bei Pausanias VII, 27, 1: „Wenn man nach Pellene geht, ist 
ein Standbild des Hermes auf dem Wege, mit Beinamen der 
Listige (Asrıos), bereit die Gebete der Menschen zu 
erfüllen; seine Gestalt ist viereckig; er hat einen 
Bart und auf dem Kopf einen gewirkten Pileus,” 
die zu neuer ausführlicher Prüfung Anlals gab. Eine bisher 
auf Vulcan bezogene Marmorherme (Gerhard Ant. Bildw. 
Taf. 81, 3.) ward als entsprechendes Bild dieser Herme vor- 
gelegt und für die Restauration dieses Gottes in völlig mensch- 
licher Gestalt die berühmte Erzfigur (Gall. di Fir. ILL, 118) 
des nackten Saturns mit einem Pileus zum Vergleich gebracht 
Im Hinblick auf die Nachbarschaft des Tempels einer chry- 
selephantinen Athene (die dem Phidias zugeschrieben wird) in 
Pellene vermuthet Hr. P. einen engeren Zusammenhang dieser 
beiden Gottheiten, wie ihn ja auch in Athen der pelasgische 
Hermes des Cecrops im Naos der Athene Polias verräth. Als 
klassisches Zeugnils für diese Ansicht wurden des Sophokles 
Philoktet v. 133, 134: 
Eonns DE mu AoAıros Yyyyoaıro vüv, 
Nizn? ASyvn Tores 9 owea 1% del. 


vom 24. April 1856. 219 


erangezogen und daraus für die chryselephantine Athene von 
ellene die Namen Nike Athene Polias entlehnt und zu 
äherer Prüfung empfohlen. Denn sowohl die Lage ihres 
"empels auf der Akropolis als die Berühmtheit der Schaafe 
on Pellene und der daraus gewirkten Kleidungsstücke — Sie- 
espreise an den Hermaeen — berechtigt, den Zunamen Polias 
nd deren bekannte reiche Wollbekleidung bei dieser Göttin 
orauszusetzen. Was aber den Vornamen dieser Athene, näm- 
ch Nike, anbetrifft, so leitet eine Glosse des Harpocration 
en "ASYun, wo unter gleicher Benennung das berühmte 
chnitzbild der Athene auf der Akropolis zu Athen, ohne Flü- 
el, mit einer Granate in der Rechten, dem Helm in der Lin- 
en, beschrieben wird, auf die Vermuthung, Nike Athene, nicht 
thene Nike sei die richtige Benennung, unter der die Hel- 
enen diese Göttin anriefen. Für den Ausdruck des Sieges 
ignete sich aber, wie bei dem Standbild in Athen und ver- 
wthlich auch bei der gleichnamigen Götterstatue in Megara, 
as Halten des Helms auf vorgestreckter Hand als 
esonders glücklich gewähltes Sinnbild. Die befriedigendste 
ufklärung über die bildliche Darstellung von Hermes Dolios 
nd Nike Athene Polias in Pellene und ihre enge Beziehung 
einander, verdanken wir einer vorzüglichen rothfigurigen 
olanischen Diota, die Hr. Ch. Lenormant Elite c&ramogr. 
.1, pl. 76 ohne Ahndung ihrer theologischen Bedeutung publi- 
irte und auf die von Hermes zum Urtheil des Paris abzu- 
holende Athene bezog. Nachdem noch auf drei andren vol- 
enter Vasen die bei ihrer Bekanntmachung ebenfalls unbeachtet 
gebliebene Gegenwart derselben Gottheiten in völlig 
gleicher Tracht und mit denselben Attributen, bisweilen in unmit- 
telbarer Nähe des Hauptgottes von Achaja, des Poseidon, zum 
Vergleich vorgelegt worden; brachte Hr. P. für die Erklä- 
rung des vierten Hermes “Hysuovıos, des Anführers, aus ar- 
chäischen Vasenbildern zwar einen mit Helm und Wehrgehenk 
gerüsteten Hermes gegenüber der Kriegsgöttin Athene zur 
Stelle, gab indels einem anderen Bild, wo der Gott mit einem 
langen Stab als Führer Götterzüge eröffnet, den Vorzug. 
Bei Erläuterung des fünften Hermes 'Eveywvios, des Wett- 
kampfvorstands, mulfste die von Mythologen und Archäo- 
[1856.] 16 


220 Gesammtsitzung 


logen bisher mit Unrecht vernachlässigte Frage nach seinem 
charakteristischen Attribut, sowie nach dem des "Aydv, Wett- 
kampfs, selbst zur Sprache kommen. Für deren Beantwor- 
tung ist eine unedirte nolaner Vase von besonderer Wichtig- 
keit: sie zeigt gegenüber dem jugendlichen Hermes mit 
Flügelstiefeln, Caduceus in der Rechten, Petasus in der Linken, 
einen mit gleicher Siegerbinde wie der Gott versehenen Ephe- 
ben, in der Linken einen langen Wanderstab haltend, in de 
Rechten eine volle Schale zu Ehren des Gottes der Palästra, 
des Hermes Enagonios darbringend.. Vor dem Kopf dieses 
Epheben zieht sich die deutliche Inschrift ATON. Die daraus 
zu schöpfende wichtige Belehrung besteht darin, dafs insofern 
das Wort ’Aywv ursprünglich Führer bedeutet, die griechi- 
sche Kunst in gleichem Sinn das einfachste, bis auf den heu- 
tigen Tag für den Führer unentbehrlichste Attribut, nämlich 
einen langen Wanderstab zur Bezeichnung des Agon mit 
vollem Recht wählte. Dieser Stab findet sich daher folgerech 
in der Hand 1) des Hermes Enagonios, 2) der Nike Enagonios 
auf einer athenischen Vase, die bisher auf Darreichung eines 
Skeptron als Siegeszeichen (?!) für den Kitharoden (Stackel- 
berg Gräb. d. Hellen. Taf. 20) bezogen ward; 3) des Agon, 
auch des mit Helm und Panzer zu restaurirenden Agon neben 
Ares; 4) der Agonotheten in gymnischen wie in musischen 
Spielen. 


Hr. Müller las folgende Mittheilung des Hrn. Dr. Lie- 
berkühn „über parasitische Schläuche auf einigen 
Insectenlarven”. 

Auf den Kiemenfäden mancher Phryganealarven und auf 
den dort vorkommenden Epistylisstöcken finden sich cylindrische, 
an den Enden häufig etwas zugespitzte, bewegungslose Schläuche, 
von denen die grölsten etwa 4” lang und ;i;”’ dick sind, wäh- 
rend die kleinsten 5” in der Länge und ;4,”’ in der Dicke er- 
reichen. Einige dieser Schläuche enthalten eine farblose durch- 
sichtige Substanz in ihrem Innern, in der viele feine das Licht 
stark brechende Körnchen eingestreut sind; reilst ein solcher 
Schlauch auf, so tritt der Inhalt meist in Form von gröfsern 


vom 24. April 1856. 221 


und kleinern Kugeln heraus, welche sich allmälig an der auf- 
gerissenen Stelle abschnüren und von der übrigen Masse los- 
lösen. Die Membran der Schläuche ist ohne nachweisbare 
Structur. 

Andere dieser Schläuche sind vollständig ausgefüllt von 
spindelförmigen Körperchen, die eine grolse Ähnlichkeit mit 
den Psorospermien haben, welche sich in der Harnblase des 
Hechts finden. Die Länge der Spindeln beträgt ungefähr 5”, 
ihre grölste Dicke etwa ;45”. Sie sind dem Aussehen nach 
von derselben Masse erfüllt, wie sie eben von den Schläuchen 
beschrieben wurde; nur bemerkt man an einzelnen Stellen helle 
runde körnchenfreie Räume. Die Spindeln werden nicht selten 
mit einer heftigen Bewegung aus den Schläuchen herausge- 
worfen. Beobachtet man eine solche Spindel einige Zeit, so 
sieht man in der Regel folgenden Vorgang: der Inhalt trennt 
sich in zwei bis fünf Stücke, welche sich alsbald zu bewegen 
anfangen, den Behälter verlassen und mit grofser Geschwin- 
digkeit fortkriechen. Die Gestalt der ausgekrochenen Thiere 
und die Art ihrer Bewegung gleicht der der Amöben; in ihrem 
Innern unterscheidet man neben den feinen Körnchen ein etwas 
grölseres, das Licht schwächer brechendes, von einer lichten 
Substanz umgebenes kugeliges Gebilde. Die Thierchen lebten 
einen Tag lang in dem Wasser des Objectträgers, und zogen 
sich kugelig zusammen, ehe sie zu Grunde gingen. 

% Es wurden die Abbildungen vorgelegt. 


„ An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


J. M. Gilliss, The U, St. Naval Astronomical Expedition to the Southern 
Hemisphere, daring the years 1849 — 1852. Vol. 1.2. Washington 
1855. 4. Mit Begleitschreiben des Hr. Consul Flügel, Leipzig 
27. März 1856. 
L. F. Menabrea, Lois generales de divers ordres de phenomenes ... de 
la chaleur. Turin 1855. 4. 
Bulletin de la societe geologique de France. Tome XII, feuilles 52—60. 
XII, feuilles 3—7. Paris 1856. 8. 
 Llnstitut. Ame Section, no. 1160—1162. Paris 1856. 4. 
 Athenaeum francais. no. 16. Paris 1856. 4. 
16* 


222 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Annuaire des cing departements de !ancienne Normandie. Annee 22. Cae 
1856. 8. 

Annuaire de UInstitut des provinces. Tome VII. Caen 1856. 8. 

de Caumont, Rapport verbal fait d la societe frangaise pour la conser- 
valion des monuments historiques. Paris 1856. 8. e 

Silliman, American Journal of science and arts. Vol. XXI, no. 62. 
New Haven 1856. 8. 

J. Dana, Science and the Bible. Andover 1856. 8. 

J. Dana, Mineralogy. Second supplement. (New-Haven 1856.) 8. 

Recueil des ordonnances de la prineipaute de Liege. Troisieme Serie, ’ 
Vol. 1. par M.L. Polain. Bruxelles 1855. folio. Mit Schrei-" 


ben des vorgeordneten Ministeriums vom 22. April 1856. ’ 

Oreuti, Catalogo illustrato dei monumenti egizü del Real Museo di To- 
rino. Torino 1855. 8. 

G. von Helmersen, Über das langsame Emporsteigen der Ufer des 


baltischen Meeres. (ohne Ort 1855.) 8. 


Aufserdem wurde ein Schreiben des Bibliothekariats der 
Universität Greifswald v. 22. d. M. über den Empfang des. 
Supplementbandes der Abhandlungen der Akademie v. J. 1854 
und der Monatsberichte vom Juli bis December 1855 vorgelegt. 

In der heutigen Sitzung wurden die Hrn. Schönbein 
in Basel, Mosander in Stockholm und Boussingault in 
Paris zu corresp. Mitgliedern für die physikalisch-mathematische 
Klasse gewählt. 


28. April. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. | 


Hr. Dieterici las „über das Verhältnils der new 
geschlossenen Ehen zu der Anzahl der gleichzeitig 
Lebenden im Preulsischen Staate”. 

Aufser der Vergleichung der Geburten und der Todes- 
fälle gegen die gleichzeitig Lebenden, welche Fragen in frü- 
heren Abhandlungen besprochen worden, war es nöthig, noch 
das dritte allgemein menschliche Verbältnils, das der Ehever- 
bindungen, einer statistischen Betrachtung zu unterwerfen. Es 

? 


IM 
* 


A 


vom 28. April 1856. 223 


wurden zunächst die Verhältnisse nach den Ergebnissen der 
statistischen Tabellen des Preufsischen Staats behandelt. Ein- 
leitend wurden die Ansichten und Berechnungen Sülsmilchs 
für den damaligen Preufsischen Staat, insbesondere für die 
Kurmark für die Zeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts er- 
wähnt, und daran die Zahlenreihen geknüpft, wie sich seit 
39 Jahren von 1816 bis 1854 das Verhältnifs der neugeschlos- 
senen Ehen gegen die gleichzeitig Lebenden gestellt hat, denen 
die gleichen Zahlenergebnisse nach den Provinzen und den ein- 
zelnen Regierungsbezirken des Preufsischen Staats für dieselben 
Jahrgänge ängereihet wurden. 

Als Hauptresultate der mitgetheilten Zahlen stellten sich 
etwa folgende Ansichten heraus: 

Es ist zwar richtig, dals ganz im Allgemeinen bei dich- 
terer Bevölkerung das Verhältnifs der neuen Eheverbindungen 
etwas geringer sich zeigt, als bei dünnerer Bevölkerung; doch 
ist es keinesweges so, dals man etwa mit gleicher Steigerung 
‚der Bevölkerung eine verhältnifsmälsig gleiche Verminderung 
der Eheverbindungen annehmen könnte. Oft kommt es vor, 
dals in Gegenden mit dichter Bevölkerung das Verhältnifs der 
Ehen, welche neu geschlossen werden, gröfser ist, als in Ge- 
genden mit dünnerer Bevölkerung. Auf die Anzabl der neuen 
Eheverbindungen wirkt vorzugsweise die Gelegenheit zum Er- 
werb, und die dadurch mehr oder weniger bewirkte Erleich- 
terung, einen Hausstand zu begründen. In Gegenden einer 
blühenden Fabrikation kann häufig der Fall vorkommen, dafs 
durch vielfach eröffnete Gelegenheit zur hinreichenden Erhal- 
tung einer Familie, die Zahl der Eheverbindungen stärker wird, 
als sie in dünner bevölkerten Gegenden, bei denen weniger 
Gelegenheit zum Erwerb ist, erscheint. Dies wurde nach Re- 
gierungsbezirken und landräthlichen Kreisen im Preufsischen 
Staat nachgewiesen. Aufserdem ist aber, wenn nach einem 
Zahlengesetz über die neu geschlossenen Ehen gesucht wird, 
bestimmt hervorzuheben, dafs einzelne Jahrgänge von allge- 
meinen Ansichten, oft eine Ausnahme herbeiführen. Es min- 
dert sich die Zahl der neu geschlossenen Ehen in einem 
bestimmten Jahre, wenn Cholera oder sonst epidemische Krank- 
heiten in einer Gegend herrschen, wenn eine schlechte Erndte 


224 Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 28. April 1856. 


oder auch durch Handelsconjuncturen, Stockung des Absatzes 
und der Gewerbe und Fabriken, Nothstand herbeigeführt wird. 
Auch dies wurde an einzelnen Jahren und in einzelnen Thei- 
len der Monarchie in Zahlen nachgewiesen. - 
Ob nun ähnliche Ansichten in andern Ländern Europas. 
aus der Vergleichung der in den verschiedenen Jahren neu su 
schlossenen Ehen sich bewahrheiten, soll einer späteren Ab- 
handlung vorbehalten bleiben. Es lassen sich, wie es scheint, 
allerdings auch bei den Eheverbindungen berdein Gränzen ni 
den, und einige allgemeine Regeln angeben, in welchen die 
Zahlenverhältnisse der neugeschlossenen Ehen im Vergleich zu 
den gleichzeitig Lebenden liegen, aber die Gränzen dieser 
Zahlenverhältnisse müssen, wie bei den Geburten, weit ge- 
griffen werden, und die Regeln und Ansichten, welche man 
aus statistischen Ermittelungen ableitet, dürfen nur sehr allge- ° 
mein gehalten werden. Es sind immer mehr Andeutungen und 
Wahrscheinlichkeiten, als bestimmte, unumstöfsliche Gewils- ' 
heiten. Nur aus einer längeren Reihe von Jahren, aus Ver- 
gleichung der Verhältnisse in vielen verschiedenen Gegenden 
lassen sich einige allgemeine Ansichten, als eine Weabrscheingg 


lichkeit ableiten. 


en 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 
im Monat Mai 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 


8. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Böckh las: „Epigraphisch-chronologische Stu- 
dien, zweiter Theil.” 


Hr. Braun theilte nachfolgende weitere Untersuchungen 
von Dr. Pringsheim „über die Befruchtung und den 
Generationswechsel der Algen” mit: 

Die Untersuchungen über die Befruchtung von Yaucheria 
sessilis, welche mir im vergangenen Jahre die ungeahnte Ge- 
schlechtlichkeit der Conferven offenbarten, und die ich damals 
der Akademie vorzulegen die Ehre hatte, erweckten die Hoff- 
nung, dafs unter dem grofsen Kreise verwandter Organismen 
noch günstigere Objecte für die genauere Beobachtung der 
Zeugung sich würden finden lassen, und mufsten daher dazu 
auffordern die Geschlechtsorgane nahe stehender Algengattungen 
aufzusuchen. Nun genügte zwar die Kenntnils des Geschlechts- 
aktes von Yaucheria vollkommen, um die Existenz des Ge- 
schlechtes bei den niederen Cryptogamen aulser Zweifel zu 
stellen, sie konnte aber bei der Mannichfaltigkeit der Algen- 
typen und den dürftigen Erfahrungen über ihre Entwicklung nur 

[1856.] 17 


226 Gesammtsitzung 


wenig Aufschluss sowohl über den Ort geben, wo die Geschlechts 
organe bei den übrigen Algengattungen zu suchen seien, als 
über die Formen, in welchen sie auftreten möchten. Dennoch 
wagte ich es, von mancher Analogie geleitet, gewisse Bildungen 
einiger mir durch längere Untersuchung genauer bekannten 
Gattungen vermuthungsweise als die Geschlechtsorgane zu be- 
zeichnen, und ich hielt mich namentlich für die ganze Reihe { 
der mit Schwärmsporen begabten Conferven, bei denen zu- 
gleich ruhende Sporen vorkommen, zu der Behauptung berech- | 
tigt, dals die ruhenden Sporen die auf geschlechtlichem Wege 
erzeugten Fortpflanzungsorgane dieser Pflanzen seien. Für die 


Gattungen Oedogonium und Bulbochaete glaubte ich ferner die 
von Al. Braun entdeckten Zwergpflänzchen als die männ- 
lichen Geschlechtsorgane dieser Pflanzen deuten zu dürfen. 
Ich stützte mich hierbei auf eine frühere Beobachtung, nach 
welcher die auf der Mutterzelle der ruhenden Sporen, oder 
doch in der Nähe derselben sitzenden Zwergpflänzchen ihren ' 
Inhalt unmittelbar neben einer gleichzeitig in der Membran 
der Mutterzelle entstehenden Öffnung entleeren. 

Längere auf die thatsächliche Begründung dieser Vermu- 
thung gerichtete Bemühungen haben mich endlich in diesem. 
Frühjahre zu der vollen Bestätigung meiner Voraussetzungen 
geführt, und ich erlaube mir das Resultat meiner diesen Gegen- 
stand betreffenden Untersuchungen in Verbindung mit ver- 
wandten Beobachtungen an der nahe stehenden Gattung Cole- 
ochaete hier niederzulegen, indem ich hoffe, dafs die eigen- 
thümliche Weise, in welcher die männlichen Geschlechtsorgane 
sich bei diesen Pflanzen verhalten, .so wie der Umstand, dals 
der Befruchtungsakt von Oedogonium die Tbätigkeit der Saa- 
menkörper bis an die Grenzen mikroskopischen Sehens zu ver- 
folgen gestattet, mich rechtfertigen werden, die Aufmerksam- 
keit der Akademie auf diese Untersuchungen gelenkt zu haben. 

Die Pflanzen, welche die Gattungen Oedogonium und Bul- 
bochaete bilden, stellen einfache oder verästelte Zellreihen dar. 
An ihnen lassen sich abgesehen von den inhaltsleeren und end- 
ständigen Borstenzellen, die der Gattung Bulbochaete und 
einigen Species von Oedogonium eigenthümlich sind, dreierlei 
Arten von Zellen unterscheiden. Erstens die gewöhnlichen, 


vom 8. Mai 1856. 227 


vegetativen Zellen, welche den Körper dieser Pflanzen auf- 
auen. In diesen entsteht, wie diels seit Thuret und Alex. 
Braun bekannt ist, auf ungeschlechtlichem Wege eine einzige 
it einem vollen Wimperkranze an ihrem Vorderende ver- 
hene Schwärmspore, welche entweder kurz nach ihrer Ge- 
urt keimend zu einer neuen Pflanze heranwächst, und so 
nospenartig der Vermehrung dient, oder unter ungünstigen 
Verbältnissen, namentlich beim Austrocknen der seichten Ge- 
wässer, in welchen diese Pflanzen sich aufhalteg, sogleich zu 
Grunde geht., Sie ist deshalb, wie die Schwärmsporen im All- 
gemeinen, nicht im Stande ausdauernd die Erhaltung der Art 
von einer Vegetationsperiode zur anderen sicher zu stellen. 

Zweitens finden sich einzeln oder zu mehreren neben ein- 
ander zwischen den vegetativen Zellen andere meist stark an- 
geschwollene Zellen, in welchen die ruhende Spore sich bildet. 
Sie sind die weiblichen Geschlechtsorgane dieser Pflanzen. 

Endlich treten drittens auf denselben Individuen, welche 
die weiblichen Geschlechtsorgane tragen, oder getrennt von 
diesen auf besonderen Exemplaren eine dritte Art von Zellen 
auf, welche kürzer als die vegetativen Zellen meist zu mch- 
teren neben einander die Aufeinanderfolge der vegetativen 
Zellen unterbrechen. 

Diese kleinen Zellen sind bestimmt entweder unmittelbar 
Saameukörper zu bilden, wie dies bei einigen Arten der Gat- 
tung Oedogonium der Fall ist, oder erst mittelbar nach Her- 
vorbringung einer selbstständigen, den Mutterfaden verlassenden 
Zwischenbildung, welche erst in ihrem Inneren den männlichen 
Geschlechtsapparat erzeugt. Diesen letzteren Entwicklungsgang 
welcher bei der grölseren Zahl der in Beziehung auf. Be- 
fruchtung von mir untersuchten Oedogonium-Arten und in der 
ganzen Gattung Bulbochaete eintritt, werde ich zunächst an 
einer Species schildern, bei welcher ich zugleich den Befruch- 
tungsakt vollständig beobachtet habe, alle Abweichungen an- 
derer Species an den Schluls meiner Darstellung verweisend. 
Bei Oedogonium ciliatum (Fesiculifera ciliata 
Hass.)') erscheinen die kleineren Zellen, welche den männ- 

- —#) Diese niedliche den Phycologen bisher nur wenig bekannte Art 
wächst in Tümpeln bei Berlin an Wassermovsen; Prof. Braun fand die- 
ATz 


228 Gesammtsitzung 


lichen Geschlechtsapparat erzeugen sollen, gewöhnlich im oberen 
Theile des Fadens zwischen der endständigen Borstenzelle un 
dem obersten weiblichen Geschlechtsorgane. Ü 
Zur Zeit der Geschlechtsreife entsteht in jeder dieser Zel- 
len aus ihrem ganzen Inhalte eine einzige Schwärmspore, 
welche an Gestalt und Cilienbildung zwar vollkommen den in 
den vegetativen Zellen des Fadens erzeugten Schwärmsporen 
gleicht, aber schon augenfällig durch ihre Gröfse und wesent- 
lich durch ihre morphologische Bestimmung von ihnen ab- 
weicht. ' 
Es sind dies die unter dem Namen der Microgonidien be- 
kannten kleinen Schwärmsporen dieser Gattungen. ; 
Über die physiologische Bedeutung dieser kleinen Schwär- 
mer, welche hier und bei einigen andern Sülswasseralgen von 
Alex. Braun entdeckt und als Microgonidien bezeichnet wur- 
den, war bisher nichts Sicheres bekannt. Dagegen ist ihr Vor- 
kommen bereits bei einer gröfseren Anzahl von Algengattungen 
erwiesen, insbesondere ist für mehrere Familien der Fucoideen 
durch Thuret die Existenz von zweierlei Schwärmsporen, 
gröfseren und kleineren, nachgewiesen worden. 
Nachdem ich mich jedoch von der von Thuret behaup- 
teten Keimfähigkeit der kleineren Zoosporen der Fucoideen im ver- 
gangenen Sommer gleichfalls überzeugt habe, scheint es mi 
sehr unwahrscheinlich, dafs der morphologische Werth der unte 
dem Namen der Microgonidien begriffenen Bildungen in aller 
Fällen ihres Vorkommens derselbe sei. Ich halte es daher fü 
besser, die Microgonidien der Oedogonien, deren geschlecht- 
lichen Werth als Erzeuger des männlichen Geschlechtsapparat 
ich jetzt mit Sicherheit nachweisen kann, als Androspore 
(Männchenbildner) von den übrigen Microgonidien abzuscheide 
und es bleibt späteren Untersuchungen vorbehalten nachzu 
weisen, welche Microgonidien der anderen Gattungen sich de 
Androsporen der Oedogonien ähnlich verhalten und welch 
functionell von ihnen abweichen. Der geschlechtliche Werth 
der Androsporen der Oedogonien geht aber aus folgenden 
Thatsachen hervor. 


FE u RE ner — nn EEE en ne en nn en TE EEE 


selbe Art bei Freiburg im Breisgau in einem Tümpel des Mooswaldes a 
den Blättern von Aanunculus aquatilis. 


vom 8. Mai 1856. 229 


Wenn die mit einem Wimperkranze an ihrem hellen 
"Vorderende versehenen Androsporen ihre kleine Mutterzelle 
verlassen haben, schwärmen sie kurze Zeit frei herum, und 
setzen sich dann in einer für jede Species bestimmten Weise 
'auf dem weiblichen Geschlechtsorgane oder doch in der Nähe 
selben fest. Bei Oedogonium ciliatum, welche Species ich 
ME ennächst: immer im Auge habe, setzen sich meist eine, 
Be. mehrere Androsporen auf dem weiblichen Organe 
"dung des weiblichen Geschlechtsorganes, welches seinen an- 
\fänglich spärlichen Körnergehalt indels äufserst stark vermehrt, 
zu einem kleinen wenigzelligen Pflänzchen, welches ich das 
Männchen nennen will. Diese Männchen zeigen bei den ver- 
\schiedenen Speeies einen etwas verschiedenen Bau. Sie be- 
stehen bei Oedogonium ciliatum aus einer Chlorophyll führenden 
\Fufszelle, welche ein zweizelliges fast farbloses Organ, die 
"Bildungsstätte der Saamenthiere, das Antheridium, trägt. 

Aus der sich festsetzenden Androspore, als Mutterzelle, 
entsteht das Antheridium als die obere, der Fuls des Männ- 
U chens als die untere Tochterzelle durch die den Oedogonien 
Jeigenthümliche Modification der Zelltheilung, welche durch 
das Aufbrechen der Muiterzellmembran bei der Bildung der 
Tochterzellen so auffallend charakterisirt ist. Das Antheridium 
trägt deshalb an seiner Spitze einen kleinen Deckel, den 
\ oberen Theil der Membran der Androspore, welcher von dem 
hervorbrechenden Antheridium bei seiner Entstehung in die 
Höhe gehoben wurde. Das bei seiner Bildung einzellige An- 
theridium theilt sich noch einmal durch eine horizontale Scheide- 
wand in zwei Tochterzellen, die Specialmutterzellen der Saa- 
menkörper, aber auffallender Weise geschieht diese Theilung 
ohne Aufbrechen der Mutterzellmembran und so liefert die 
Bildung der Specialmutterzellen die einzige Ausnahme von der 
bei dem Wachsthum von Oedogonium und Bulbochaete sonst 
allgemein geltenden Regel der Zelltheilung unter gleichzeitigem 
\ Aufbrechen der Mutterzellhaut. Hierdurch wird es möglich 
‚ die Specialmutterzellen der Saamenkörper von allen übrigen 
‚ Zellen der Pflanze sogleich zu unterscheiden, ein Umstand, der 
\ besonders bei der Beurtheilung derjenigen Species von Wich- 


selbst an. Hier erwachsen sie während der weiteren Ausbil- 


230 Gesammtsitzung 


tigkeit ist, bei welchen die Saamenkörper schon unmittelbar in 
den kleinen Zellen des Mutterfadens ohne die Zwischenbildung 
der Androsporen und der aus ihnen erwachsenden Männchen 
entstehen. 

In der Specialmutterzelle entsteht aus ihrem ganzen In- 
halte ein einziger Saamenkörper von relativ bedeutender 
Gröfse. Die etwas gekrümmten Männchen von Oedogonium 
ciliatum, welche normal nur eine einzige Antheridienzelle be- 
sitzen, enthalten daher nur zwei Saamenkörper. — Wenn die 
Saamenkörper fertig sind, was bei noch geschlossenem Anthe- 
ridium schon durch die Abrundung des Inhaltes der Special- 
mutterzellen zu einem einzigen von den \Vänden etwas ab- 
stehenden Bläschen bemerkbar wird, so sieht man den oberen 
Saamenkörper gegen den Deckel des Antheridium drücken und 
ihn ein wenig in die Höhe heben, ohne ihn völlig abzuwerfen. 
In diesem Zustande verharrt das theilweise geöffnete Anthe- 
ridium oft mehrere Stunden lang bis zum Aufbrechen des weib- 
lichen Geschlechtsorganes. Dieses ist um diese Zeit fast bis 
zum völligen Verschwinden des Lumen mit grolskörnigem, grü- 
nen Inhalte erfüllt, welcher überall genau der Wand anliegt. 
Eine bedeutende Menge einer farblosen, feinkörnigen Schleim- 
masse sieht man jedoch von dem übrigen grolskörnigen und 
grünen Inhalte gesondert in dem oberen Theile des Geschlechts- 
organes angesammelt. Plötzlich bricht die Membran des Ge- 
schlechtsorganes etwas unterhalb seiner Spitze auf, und ihr 
oberer einem Deckel ähnlicher Theil wird mit dem darüber 
befindlichen Fadenstücke von dem hervorbrechenden Inhalte zur 
Seite gedrückt, so aber, dafs der Deckel noch an einer Stelle 
an der aufgebrochenen Membran des weiblichen Geschlechts- 
organes haften bleibt, und der ganze Faden hierdurch nun 
knieförmig gebogen erscheint. Von dem früheren Inhalte des 
weiblichen Geschlechtsorganes dringt nun die bereits bezeich- 
nete unmittelbar unter der gebildeten Öffnung liegende farb- 
lose Schleimschicht hervor, und ihr äufserer 'Theil gestaltet 
sich unter dem Auge des Beobachters zu einem festen, von 
einer farblosen Membran gebildeten Schlauche, welcher seitlich 
einem Männchen zugeneigt eine deutliche und grofse Öffnung 
besitzt. Von diesem neuen unmittelbar aus dem erstarrenden 


vom 8. Mai 1856. 231 


Schleime entstandenen Schlauche, welchen ich den Befruch- 
tungsschlauch nenne, sieht man den zu seiner Bildung nicht 
verbrauchten inneren Theil der früheren Schleimmasse wieder 
nach abwärts flielsen und hier mit dem übrigen grünen Inhalte 
des Geschlechtsorganes sich wieder vereinen. Gleichzeitig zieht 
sich der bis dahin der Wand genau anliegende Inhalt von ihr 
zurück und gestaltet sich zu einer einzigen, grofsen, frei in 
der Höhle des weiblichen Geschlechtsorganes liegenden Kugel 
(der Befruchtungskugel); auch an dieser nimmt die zurückge- 
flossene farblose Schleimmasse wieder den vorderen, der Öff- 
nung des Befruchtungsschlauches zugekehrten Theil ein. In 
diesem Momente, welcher unmittelbar dem Akte der Zeugung 
vorhergeht, bricht der Deckel des Antheridium völlig auf und 
der obere keilförmig gestaltete, vorn etwas zugespitzte und mit 
mehreren Wimpern versehene Saamenkörper tritt, mit eigener 
Bewegung begabt, hervor. Er dringt bei normaler Befruch- 
tung nach sehr kurzem Umherirren durch die Öffnung des 
Befruchtungsschlauches in das weibliche Geschlechtsorgan hin- 
ein. Mit der Spitze voran nähert er sich dem farblosen Vor- 
dertheile der Befruchtungskugel. 

Nichts stört die Beobachtung des Augenblickes der Berührung 
«beider Zeugungsmassen. Die glashelle, farblose und dünne Mem- 
'bran des Befruchtungsschlauches und des weiblichen Geschlechts- 
organes, welche vollkommen durchsichtig sind, die bedeutende 
Grölse des Saamenkörpers und seine eigenthümliche, durch die 
grünlichen Körner seines Inhaltes noch leichter erkennbare Ge- 
stalt, ferner die Farblosigkeit des vorderen Theils der Befruch- 
tungskugel, endlich der Umstand, dafs nur ein einziger Saamen- 
körper sich langsam der zu befruchtenden Masse nähert, alle 
diese Verhältnisse stellen in ihrer Vereinigung die günstigsten 
Bedingungen für die Beobachtung her. 

Einen Augenblick, nachdem der Saamenkörper die Befruch- 
tungskugel berührt hat, erblickt man ihn noch in seiner voll- 
kommen unveränderten Gestalt mit der Spitze an dem Um- 
fange der Befruchtungskugel hin und her tastend. Aber schon 
im nächsten Moment sieht man, wie der Saamenkörper unter 
Aufgeben seiner Gestalt, gleichsam berstend, von der Befruch- 
tungskugel aufgenommen wird, und seine Masse unmittelbar mit 


232 Gesammisitzung 


der Masse der Befruchtungskugel sich vereinigt. Nach diesem 
fast momentanen Akte der Befruchtung bleibt gar keine Spur 
des Saamenkörpers aufserhalb der Befruchtungskugel zurück; 
weder Reste einer Membran, die auch früher nicht unmittelbar 
sichtbar war und auch durch Reagentien nicht darstellbar ist, 
noch Reste seines Inhaltes. Dagegen sieht man im Inneren 
der vorderen Schleimpartie der Befruchtungskugel, welche vor 
der Befruchtung nur aus einer ganz feinkörnigen, sehr schwach 
gelblich schimmernden Schleimmasse bestand, jetzt einige 
grölsere grünliche Körner, die unzweifelhaft dem frühern In- 
halte des Saamenkörpers angehörten. 

Kurz nach der Befruchtung zeigt die Befruchtlugakusel 
eine nach und nach immer schärfere Umgrenzung und endlich 
eine deutlich von zwei Conturen gebildete Membran an ihrem 
Umfange. 

Die nach dem Akte der Zeugung zur ersten Zelle eines 
neuen Organismus gewordene Befruchtungskugel ist durch die 
späteren Veränderungen, die ihre Membran und ihr Inhalt ein- 
gehen, befähigt störende, die Vegetation hemmende Einflüsse _ 
zu überdauern, und sichert die Erhaltung der Art auch dann, 
wenn Trocknils und Wechsel der Jahreszeiten das Wachsthum 
dieser Pflänzchen eine Zeit lang unterbrechen. 

Das Ergebnifs meiner Untersuchungen in wenige Sätze 
zusammengefalst, liefert ohne jede Folgerung, die über die 
beobachteten Erscheinungen hinausginge, die volle Bestätigung 
und zugleich eine Erweiterung meiner schon in meinem ersten 
Aufsatze über die Faucheria ausgesprochenen Auffassung des 
Befruchtungsaktes. Denn die Thatsachen selbst, so unmittelbar, 
wie sie dem Beobachter sich darbieten, ausgesprochen zeigen: 

1) Dafs im Zeugungsakte eine materielle Vermischung der 
ganzen Masse, aus welcher der Saamenkörper besteht, und der 
im weiblichen Geschlechtsorgane gebildeten noch nackten Be- 
fruchtungskugel stattfindet. 

2) Dals die erste Zelle des neuen Organismus in dem 
weiblichen Geschlechtsorgane nicht bereits fertig praeexistirt, 
sondern erst das Resultat der Zeugung ist. 

3) Dafs die Saamenkörper nicht einen morphologisch be- 
stimmten Theil der neuen Zelle — etwa den Zellkern — bil- 


vom 8. Mai 1856. 233 


den, sondern in ihrer Gestalt völlig aufgehen und daher nur 
durch ihre Masse wirken können. 

4) Dals ein einziger Saamenkörper zur Ausübung des Ge- 
schlechtsaktes genügt. 

Sämmtliche Species der Gattung Bulbochaete und eine 
grölsere Anzalıl Arten der Gattung Oedogonium verhalten sich 
in den wesentlichen Phasen des Entwickelungsganges der Ge- 
schlechtsorgane dem Oedogonium ciliatum gleich und weichen 
nur in der Form der Männchen, in der Anzahl der Antheridien- 
zellen, endlich in der Art, wie das weibliche Geschlechtsorgan 
sich öffnet und durch das Fehlen des Befruchtungsschlauches 
von dieser Species ab. 

Die eben angedeuteten Verschiedenheiten, so wie noch 
andere Abweichungen bei der Bildung der Saamenkörper, welche 
bei einigen Species der Gattung Oedogonium auftreten, geben 
ein vorzügliches Mittel an die Hand, ‘die Arten dieser reichen, 
noch wenig gesichteten Gattungen systematisch zu ordnen. 
Diesen Theil meiner Untersuchungen mir für einen andern Ort 
vorbehaltend, will ich hier nur einer wichtigeren Eigenthüm- 
lichkeit einiger Oedogonium-Arten gedenken, auf welche ich 
im Laufe meiner Darstellung schon öfter hingewiesen habe. 
Diese erzeugen nämlich die Saamenkörper schon unmittelbar, 
nach vorangehender Specialmutterzellbildung, in den kleinen 
Zellen des ursprünglichen Fadens, in welchen bei den übrigen 
Species erst die Androsporen entstehen, und da hier oft zahl- 
reiche Antheridienzellen aufeinander folgend die Reihe der vege- 
tativen Zellen unterbrechen, so bilden diese mit den einzeln in 
den Specialmutterzellen liegenden Saamenkörpern ein mehrzel- 
liges und einreihiges Antheridium, welches abgesehen von der 
Form der Saamenkörper eine nicht zu verkennende Ähnlichkeit 
mit den Antheridienfäden der Characeen zeigt. 

Diese Oedogonium-Arten unterscheiden sich daher wesent- 
lich von den anderen durch den Mangel der Androsporen und 
in Folge davon auch durch das Fehlen der Männchen. Der 
Befruchtungsakt wird bei ihnen vollzogen indem die aus den 
Antheridienzellen unmittelbar austretenden Saamenkörper so- 
gleich durch eine seitlich entstandene Öffnung des weiblichen 
Geschlechtsorganes in dieses eintreten. 


234 Gesammtsitzung 


Bevor ich weiter gehe, möchte ich noch auf die auf- 
fallende Analogie aufmerksam machen, die zwischen der Be- 
frachtung der Phanerogamen und der Befruchtung der Oedo- 
gonien vorhanden ist. Wie bei den Phanerogamen eine im 
Gewebe der Mutterpflanze ®rzeugte Zelle durch mechanische 
Bewegung auf das weibliche Geschlechtsorgan übertragen wird 
und bier zu einem längeren oft zelligen Schlauche, dem Trä- 
ger des Befruchtungsstoffes, heranwächst; so wird auch bei 
den Oedogonien eine im Gewebe des Fadens erzeugte Zelle 
durch mechanische Bewegung auf das weibliche Geschlechts- 
organ übertragen, um hier zu einem kürzeren Schlauche zu 
erwachsen, welcher Saamenkörper erzeugend die Befruchtung 
bewirkt. Wenn diese Analogie nicht trügt, so liegt es nahe, 
dafs nicht nur die Saamenkörper im Pollenschlauche, sondern 
auch die Öffnungen in den Keimbläschen den Bemühungen un- 
serer geübten Embryologen bisher entgangen sind, was aus der 
Schwierigkeit und den Nebenumständen dieser Untersuchungen 
genügend erklärt wird. 

Über die weitere Entwicklung der durch Zeugung ent- 
standenen Zelle, die zu dem Verständnifs des allgemeinen Ent- 
wicklungsganges unerlässlich ist, bin ich rücksichtlich der Oedo- 
gonien, bei denen ich die Zeugung gesehen habe, noch nicht 
im Stande eine auf directe Beobachtung gestützte Angabe zu 
machen. Die grolse Übereinstimmung in der Form und in dem 
Auftreten der Geschlechtsorgane bei Oedogonium und Bulbo- 
chaete lälst jedoch mit der grölsten Wahrscheinlichkeit ver- 
muthen, dafs wie in beiden Gattungen der Akt der Zeugung % 
übereinstimmt, so auch in beiden der Werth des Produktes der 
Zeugung derselbe sein werde. Da nun die ruhende Spore von 
Bulbochaete, deren Entstehung auf geschlechtlichem Wege nach 
meinen Beobachtungen an Oedogonium gewils ist, nicht un- 
mittelbar keimt, sondern, wie ich dies bereits früher nachge- 
wiesen habe, in ihrem Inneren 4 keimfähige Schwärmsporen 
bildet, so würden die Oedogonien, wenn es erlaubt ist, diesen 
Vorgang auf die‘ ganze Familie auszudebnen, als Produkt der 
Zeugung nicht eine Saamenzelle, sondern eine sporenbildende 
Fruchtzelle hervorbringen. Die Oedogonien nähern sich in 


vom 8. Mai 1856. 235 


diesem Vorgänge dem Entwickelungsplane der Moose, und 
unterscheiden sich wesentlich nur durch die einfachere Aus- 
bildung der geschlechtlich erzeugten Fruchtzelle, in deren In- 
nerem die Sporen ohne Zwischenbildung eines Mutterzellge- 
webes entstehen. 

Noch grölser wird die Übereinstimmung mit der Moos- 
frucht bei der Fructification einer anderen Reihe unserer Süls- 
wasseralgen, welche die bisher geschiedenen Gattungen Coleo- 
chaete und Phyllactidium umfalst. Es sei mir gestattet, der 
Entwickelung der Geschlechtsorgane dieser Gewächse noch 
einige Worte zu widmen. 

In diesen beiden Gattungen, welche Pflanzen von ziem- 
lich verschiedenem vegetativem Bau enthalten, entsteht das 
weibliche Geschlechtsorgan als eine einzige Zelle meist durch 
Umwandlung der Endzelle eines Astes. Diese Zelle ver- 
grölsert sich bedeutend, und ihre Membran wächst an einer 
Stelle zu einem längeren, schmalen, cylindrischen Schlauche 
aus, der durch Hervorbrechen einer in ihm angesammelten 
farblosen Schleimmasse an seiner Spitze geöffnet, einen Zu- 
gang in das Innere der Zelle gewährt. Inzwischen umgiebt 
sich der untere bedeutend umfangreichere Bauchtheil dieses 
noch einzelligen Geschlechtsorganes mit einer zelligen Rinde, 
welche durch das Anlegen verschiedener, von den benach- 
barten Zellen herkommenden Zweige gebildet wird. So be- 
steht das ausgebildete Geschlechtsorgan dieser Pflanzen, wel- 
ches durch die Art seiner Berindung und seines Baues auf- 
fallend an die Charen-Früchte erinnert, aus einer grolsen 
Centralzelle, welche von einer einschichtigen, zelligen Rinde 
umgeben ist. Ein geöffneter Schlauch, die hervortretende 
Verlängerung der Centralzelle durchbricht die Rinde, und ge- 
stattet einen Zugang in das Innere der Centralzelle. Die- 
selben Äste, deren Endzelle sich zu diesem dem Archegonium 
der Moose der Form, wenn auch nicht der Entstehung nach 
ähnlichen, weiblichen Geschlechtsorgane ausbildet, tragen auf 
anderen Zellen eine grölsere Anzahl kleiner von farblosem In- 
halte erfüllter Zellen; diefs ist der männliche, den Antheridien 
der Ceramien nicht unähnliche Geschlechtsapparat. 


236 Gesammtsitzung 


Die Saamenkörper habe ich hier nur einmal in dem in das 
Innere der Centralzelle führenden Kanale gesehen und konnte sie 
bier in dem Augenblicke der Zeugung noch nicht überraschen. 
Unzweifelhaft ist jedoch der geschlechtliche Werth dieser Organe 
und die Umbildung der Centralzelle des weiblichen Geschlechts-. 
organes dieser Pflanzen in eine vielzellige Frucht, in deren ein- 
zelnen Zellen später je eine Schwärmspore aus ihrem ganzen 
Inhalte entsteht. Nach dem Austreten dieser bleiben ihre 
Mutterzellen als ein zusammenhängendes, die vergrölserte Cen- 
tralzelle erfüllendes, leeres Gewebe zurück. 

In dieser Bildung der Frucht tritt uns die überraschendste 
Ähnlichkeit mit den einfacheren Formen der Moosfrüchte, nament- 
lich mit denen der Riccien entgegen, indem wir hier als das 
Produkt der Zeugung wie bei den Moosen eine vielzellige Frucht 
auftreten sehen, deren Zellen Mutterzellen der Sporen werden. 

Eine ausführlichere von den nöthigen Abbildungen be- 
gleitete Darstellung der Entwickelungsverhältnisse dieser Gat- 
tungen werde ich an anderer Stelle geben, hier mag das An- 
geführte genügen, eine Einsicht in den allgemeinen Entwicke- 
lungsplan der Algen zu eröffnen, der sich in dieser Klasse 
mannigfaltiger zeigen möchte, als in anderen grofsen Abthei- 
lungen des Gewächsreiches. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. 1—10. Oedogonium ciliatum. 


Fig. 1. Vergr. = = Fig. 2—10. Vergr. = = 
Fig. 1. Ein vollständiges aber kleines Pflänzchen mit einem be- 
fruchteten und einem noch unbefruchteten weibl. Geschlechts- 
organe. Die Mutterzellen der Androsporen fehlen. Die 
Männchen sind daher in diesem Faile sicher von anderen 
Exemplaren hergekommen. Ö. zeigt eine Androspore kurz 
nach ihrem Festsetzen auf dem weibl. Geschlechtsorgane. 


Fig. 2—5. Aufeinanderfolgende Zustände der Befruchtung. 


Fig. 2. Vor dem Öffnen der Geschlechtsorgane. 


Fig. 3. 


Fig. 4. 


Fig. 5. 


Fig. 6. 


Fig. 7. 


Fig. 8. 


Fig. 9. 
Fig. 10. 


vom 8. Mai 1856. 237 


Nach dem Öffnen der Geschlechtsorgane. 
Der Befruchtungsschlauch ist bereits gebildet; er zeigt 
eine deutliche Öffnung an der dem Männchen zugekehrten 
Seite. Der Inhalt des weibl. Geschlechtsorganes hat 
sich zur Befruchtungskugel zusammengeballt. 
Augenblick der Befruchtung. 
Der obere Saamenkörper ist unter Abwerfen des Antheri- 
dium-Deckels ausgeschlüpft und durch das Loch des Be- 
fruchtungsschlauches in das weibl. Geschlechtsorgan ein- 
gedrungen. Die Figur stellt den Augenblick seines Heran- 
tretens an die noch nackte Befruchtungskugel vor. 
Nach der Befruchtung. 
Der ganze Saamenkörper ist unter Verlust seiner Gestalt 
von der Befruchtungskugel aufgenommen; einige grölsere, 
grüne Körperchen, welche vorher im Saamenkörper sich be- 
fanden, liegen in der früher farblosen vorderen Schleim- 
parthie der Befruchtungskugel. Diese zeigt jetzt einen 
scharfen Umrifs. 
Augenblick der Befruchtung eines zweiten Exemplares bei 
verschiedener Lage der Männchen und des Befruchtungsschlau- 
ches; a. ist der zweite aus dem Männchen ausgetretene 
Saamenkörper, welcher sich längs des weibl. Geschlechts- 
organes auf und ab bewegt, sonst wie Fig. 4. 
Saamenkörper in verschiedener Stellung nach ihrem Aus- 
schlüpfen; a. mit Jod behandelt. 
Eine reife Ei-Spore lange nach der Befruchtung; aus dem 
Verbande mit dem Mutterfaden getreten liegt sie noch in der 
Membran des weibl. Geschlechtsorganes und ist von dem ge- 
färbten Befruchtungsschlauche gekrönt. 
Austritt der Androsporen aus ihren kleinen Mutterzellen. 
Aus der Blase hervorgetretene frei schwimmende Androspore. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Comptes rendus de Tacademie des sciences. Tome 42, no. 13—17. Pa- 
ris 1856. 4. 
Athenaeum frangais, no. 17. 18. Paris 1856. 4. 


L’Institut. 


4me Section, no. 1163. Paris 1856. 4. 


238 Gesammtsitzung vom 8. Mai 1856. 


Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Math.- 
phys. Klasse, VII, 3. Historische Klasse, VII, 1. München 1855 — 
56. 4. (2 Exemplare.) 

E. Gerhard, Denkmäler, Forschungen und Berichte. Lieferung 29. 
Berlin 1856. 4. : 

Mittheilungen des historischen Vereins für Krain. 10. Jahrgang. Lai- 
bach 1855. 4. 

Archiv für die Landesgeschichte des Herzogthums Krain, von V. F.Klun. 
Heft 1—3. Laibach 1852—1854. 8. Mit Begleitschreiben des 
Hrn. Redakteurs, V. F. Klun, d. d. Laibach 31. März 1856. 

Neues Lausitzisches Magazin. Band 33, Heft 1. 2. Görlitz 1856. 8. 
(2 Exemplare.) Mit Begleitschreiben des Sekretärs der Oberlau- 
sitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Hrn. C. G. Th. Neu- 
mann, d.d. Görlitz 22. April 1856. 

Materialien zur Mineralogie Rujslands. 2. Band, Lieferung 16—20. 
Petersburg 1856. 8. 

Göttinger Nachrichten, no. 5. Göttingen 1856. 8. 

Proceedings of the geological Society of London. Vol. I. no. 1. 3—11. 
24. 25. 31. Vol. II. no. 34. 35. 36. 39. 42. 43. 44. Vol. IH. 
no. 62. 68. 72. 73..84. Vol. IV. no. 93. 98. 103. London 1826 
—1845: 8; 

Escayrac de Lauture, Memoire sur le Soudan. Cahier 2.3. Paris 
1855—1856. 8. Mit Schreiben des Hrn. Verfassers, d. d. Paris 
4. Mai 1856, 

Revue archeologique. 13m Annee, Livr. 1. Paris 1856. 8. 

O. Gianotti, Saggio di calcolo originale. Casale 1856. 8. Mit 
Schreiben des Hrn. Verfassers, d. d. Casale 8. April 1856. 

Ferd.Roemer, Über den Bau von Melonites multipora. (Bonn 1856.) 8. 

Astronomische Beobachtungen der Königsberger Sternwarte. 27. Abthei- 
lung, Theil 1. Königsberg 1856.  folio. 


Der Fürst Friedrich zu Salm-Horstmar dankt der 
Akademie unterm 27. April für seine Ernennung zum Ehren- 
mitgliede derselben. 


Sitzung der physik.-math. Klasse vom 19. Mai 1856. 239 


19. Mai. Sitzung der phYsikalisch-mathema- 
tischen Klasse. 


Hr. Magnus las „über die Wirkung des Wider- 
standes der Luft auf längliche Geschosse”. 


Hr. H. Rose gab einige Zusätze zur Abhandlung „über 
das Atomgewicht des Antimons”. 

Die Berichtigung des Atomgewichts des Antimons durch 
Hrn. Schneider ist eine so wichtige Thatsache, welche die 
Ansichten, welche man von der Zusammensetzung mancher 
Antimon-Verbindungen, namentlich der antimonsauren Salze 
hat, so wesentlich verändern muls, dals es mir zweckmälsig 
erscheint, wenn diese Bestimmung schnell eine Bestätigung finde. 

Kurze Zeit nach dem Erscheinen der Arbeit des Hrn, 
Heffter über die Zusammensetzung der antimonsauren Salze, 
veranlasste ich Hrn. Weber einige Versuche über das Atom- 
gewicht des Antimons anzustellen, in der Absicht, ob vielleicht 
durch eine richtigere Bestimmung desselben die verwickelten 
Formeln, die Hr. Heffter nach dem von Berzelius festge- 
stellten Atomgewicht anzunehmen gezwungen war, wesentlich 
vereinfacht werden könnten. 

Es wurde zu dem Ende das feste Chlorantimon SI £1?, 
durch Schwefelwasserstoffgas zersetzt, und sodann die Menge 
“des Chlors als Chlorsilber bestimmt. Es fand sich, was ich 
auch schon früher gezeigt hatte, dals ohne Anwendung von 
Weinsteinsäure das gefällte Schwefelantimon nicht durch Aus- 
waschen mit Wasser vom Chlor befreit werden konnte. Bei 
Anwendung derselben aber wurde das Gewicht eines Doppel- 
atoms des Antimons auf 1508,67 festgestellt, was nahe mit der 
Zahl übereinstimmt, welche Schneider aus seinen Versuchen 
gefolgert hat, nämlich mit 1503. 

Schon vor 31 Jahren hatte ich die beiden Verbindungen 
des Antimons mit dem Chlor analysirt, und zwar ebenfalls mit 
Hülfe von Weinsteinsäure. Berechnet man aus den damals 
‚erhaltenen Resultaten das Atomgewicht des Antimons, und be- 


240 Sitzung der physik.-math. Klasse vom 19. Mai 1856. 


nutzt man dabei das jetzt angenommene Atomgewicht des Chlors, 
so erhält man für das Gewicht eines Doppelatoms des Anti- 
mons die Zahlen 1513,04 und 1508,55. 


Hr. Encke theilte den Bericht der Commission „über 
die von England eingesandten Normalmaalse” mit. 

Die Regierung von Grofsbrittanien hat Copien ihres neuen 
Normal-Längenmaalses und ihres Normal-Gewichtmaalses an 
mehrere Regierungen des Continents, worunter auch die Kö- 
niglich Preufsische sich befindet, zum Geschenk gemacht. Von 
dem Längenmaalse sind zwei Exemplare gegeben; ein Etalon 
ist von Eisen, und ein zweiter von demselben Metall aus wel- 
chem das Original besteht. Die Copie des Normal-Gewichtes 
ist dagegen nur eine einzige. 

Die Königlichen Behörden, für welche dieses werthvolle 
Geschenk ein besonderes Interesse hat, haben sich zufolge 
einer aus England gemachten Mittheilung über dasselbe in der 
Art geeinigt, dals diese Gegenstände als ein Eigenthum der 
Königlichen Akademie der Wissenschaften angesehen werden, 
wie das Königliche Handelsministerium es ausdrücklich aner- 
kannt hat, dals dagegen diese wichtigen Etalons in dem sehr 
zweckmälsigen Lokale der hiesigen Normal-Eichungs-Commis- 
sion aufbewahrt werden, in welchem sich auch das Preufsische 
Original-Längenmaals befindet, und dafs sie unter derselben 
sorgfältigen Aufsicht wie dieses stehen. Im Falle des Ge- 
brauchs bei einer künftigen genauen Vergleichung werden beide 
Behörden sich gegenseitig benachrichtigen. Der Akademie wird 


a 


jedesmal zustehen sich für ihre Untersuchungen diese Gegen- 


stände verabfolgen zu lassen und die von dem Handelsministe- 
rium ressortirende Normal-Eichungs-Commission wird, falls sie 
eine Anwendung zu machen beabsichtigt, der Akademie eine 
Mittheilung zugehen lassen, um die Theilnahme der Mitglieder 
der Akademie an der Untersuchung zu ermöglichen. Es ist 
mit dem, von dem Königlichen Handelsministerium dazu auto- 
risirten Direktor der Normal- Eichungs - Commission Hrn. Ge- 
heimen Regierungsrathe Brix eine schriftliche Übereinkunft 
darüber unter dem 19. April 1856 von Seiten einer Com- 
mission der Akademie abgeschlossen worden. 


Gesammtsitzung vom 22. Mai 1856. 241 


Die für eine genaue Vergleichung erforderlichen Angaben 
über den Unterschied zwischen der CGopie und dem englischen 
Originale, so wie über die Temperatur und den Barometerstand, 
für welchen dieser Unterschied gültig ist, sind in zwei gleich- 
lautenden Schriftstücken aufgezeichnet und den Maalsen bei- 
gegeben. Durch eine spätere Mittheilung sind sie noch ver- 
vollständigt worden. 


Hr. Klotzsch legte zwei von Madera eingesandte Auf- 
sätze des Hrn. Dr. Schacht „über die Structur und 
Entwickelung der CGorallinen”, welche von vielen 
saubern Abbildungen begleitet ist und „über die Be- 
fruchtung der phanerogamen Planzen” vor. Er be- 
hielt sich vor die Resultate der letzteren Arbeit in einer der 
nächsten Sitzungen der Akademie mitzutheilen, 


22. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Riefs las „über den Einflufs der Leitung 
eines elektrischen Stromes auf die Art seiner Ent- 
ladung”. 

Die Gesetze, nach welchen die Naturkräfte wirken, sind 
nicht einfach; sie erscheinen uns nur einfach in der Vorstellung, 
welche die Kräfte von den Umständen befreit, unter welchen 
sie gewöhnlich wirken, einfach im Versuche, der in gewissen 
Gränzen gehalten wird. Ist die Beschränkung des Versuches 
nothwendig, um zu einfachen Naturgesetzen und damit zu einem 
Leitfaden bei der Beurtheilung der verwickelten Wirkung zu 
gelangen, so bleibt es nicht minder nöthig, dieselbe aufzugeben, 
damit nicht der Glaube an die unbedingte Gültigkeit jener Ge- 
setze erweckt, und der Weg zu Fehlschlüssen offen gelassen 
werde. Es ist der Zweck der vorliegenden Untersuchung, zu 
zeigen, dals die Gränzen, innerhalb welcher die überaus nütz- 
lichen Gesetze der elektrischen Leitung gelten, leicht zu über- 
schreiten sind, und die nöthige Vorsicht bei der Anwendung 
dieser Gesetze zu empfehlen. 


[1856] 18 


242 Gesammtsitzung 


Die elektrischen Leitungsgesetze lehren die Abhängigkeit 
verschiedener elektrischen Erscheinungen von dem Stoffe und 
den Dimensionen der dem Versuche unterworfenen Körper, und 
dadurch das sogenannte Leitungsvermögen der Körper bei Ein- 
heit der Dimensionen zu bestimmen. Das Leitungsvermögen 
ist in verschiedener Weise gemessen worden, je nachdem es 
als Ursache der einen oder der andern Erscheinung betrachtet 
wurde. Zuerst und im eigentlichsten Sinne ist mit dem Aus- 
drucke: elektrisches Leitungsvermögen eine Eigenschaft der 
Körper bezeichnet worden, vermöge welcher, wenn sie an einen 
elektrisirten Körper angelegt werden, dieser in den unelektri- 
schen Zustand zurücktritt. Die Beobachtung war hiernach auf 
den elektrisirten Körper gerichtet, und auf die Zeit, in wel- 
cher eine Änderung seines elektrischen Zustandes eintrat. Dem 
angelegten unelektrischen Körper, welcher der entladende ge- 
nannt wird, schrieb man ein desto gröfseres Leitungsvermögen 
zu, in je kürzerer Zeit er den elektrisirten Körper entladen 
hatte. Diese Untersuchung hat zu einer rohen Eintheilung 
aller Körper geführt, und sichere Gesetze nur für wenige 
schlechtleitende Körper geliefert, in Bezug auf welche die all- 
gemeine Bezeichnung Leitung mit der speziellen: Zerstreuung 
(französisch: deperdition) der Elektrieität vertauscht wurde. Zu 
diesem Zwecke wird die Methode noch jetzt gebraucht. Die 
Untersuchung wendete sich deshalb ab von dem elektrisirten 
Körper, und richtete sich auf den entladenden Körper selbst. 
Dieser erfährt während der Entladung verschiedene Änderungen 
seines Zustandes, von welchen ich die Erwärmung, als die hier 
maalsgebende, erwähne. Es wurde die Erwärmung beobachtet, 
welche verschiedene Körper bei der Entladung eines elektri- 
sirten Körpers erfuhren, und ihnen ein desto geringeres Lei- 
tungsvermögen zugeschrieben, je wärmer sie geworden waren. 
Aber diese Versuche konnten zu keinem einfachen Gesetze 
führen, ehe die Gesetze bekannt waren, die durch eine andere 
Art der Untersuchung bestimmt wurden. In dieser dritten, 
von mir angewandten, Untersuchungsweise wird nur ein Theil 
des entladenden Körpers verändert, die Erwärmung des an- 
dern Theiles untersucht, und aus der gröfseren oder geringeren 
Erwärmung des unveränderlichen Theiles auf das grölsere oder 


vom 22. Mai 1856. 243 


geringere Leitungsvermögen des veränderlichen geschlossen. 
Hierdurch erhält der Ausdruck Leitungsvermögen eine zweite 
Bedeutung, die hypothetisch mit der ersten identisch ist, in- 
sofern wir die grölsere Erwärmung der geringeren Zeit zu- 
schreiben, in welcher die elektrische Entladung vollendet ist. 
Die Erwärmung im unveränderlichen Theile des entladenden 
Körpers wird zum Maalse des ganzen Entladungsstromes ge- 
nommen. Diese Bestimmung hat genaue und constante Re- 
sultate geliefert, die in einfache Gesetze vereinigt werden 
konnten, so dafs jetzt der sogenannte Verzögerungswerth eines 
Drathes, der zu seinem Leitungswerthe in reciprokem Verhält- 
nisse steht, aus der Kenntnils seines Stoffes und seiner Di- 
mensionen mit Sicherheit abgeleitet werden kann. Dabei aber, 
und ich habe an mehreren Stellen meiner Wärmeuntersuchungen 
darauf aufmerksam gemacht, ist vorausgesetzt, dals der elek- 
trische Entladungsstrom, zu dessen Leitung ein solcher Drath 
verwendet werden soll, eine Dichtigkeit besitzt, die eine be- 
stimmte Gröfse nicht übersteigt. Mit Überschreitung dieser 
Gränze wird nämlich die Entladungsart, die ich als die conti- 
nuirliche bezeichnet habe, gänzlich verändert, und damit hört 
die Gültigkeit des vorher bestimmten Verzögerungswerthes des 
Drathes auf. In einer früheren Abhandlung ') habe ich ge- 
zeigt, dals gewisse Wirkungen, wie Glühen und Schmelzen 
von Metallen, gar nicht durch die Entladungsart der Elektri- 
eität geleistet werden, für welche die Gesetze der elektrischen 
Erwärmung ermittelt worden sind, dals zur Hervorbringung 


dieser Wirkungen die Entladungsart der Elektricität durch Stei- 


gerung ihrer Dichtigkeit geändert werden muls, und dafs da- 


| mit zugleich der Verzögerungswerth der gebrauchten Metall- 


dräthe periodischen Änderungen unterliegt. Ich habe’ dazu 
anhangsweise bemerkt, dals diese Änderung der Entladungsart 
nicht nur in starren Körpern, sondern auch in Flüssigkeiten 
und in Luft vorkommt, und sich dort durch eine auffallend 
grolse Änderung des Verzögerungswerthes der entladenden Kör- 
per bemerkbar macht. Der Einflufs der Stromleiter auf den 
Entladungsstrom der leydener Batterie wird daher als ein zwie- 


‘) Abhandl. d. Akad. d. Wissensch, 1845 $, 89. 
18* 


244 Gesammtsitzung 


facher aufgefalst werden müssen. Erstlich verursacht der Lei- 
ter nach seiner Beschaffenheit eine Verzögerung des Fort- 
schrittes des Stromes, er setzt ihm,.nach dem beliebten Aus- 
drucke, einen Leitungswiderstand entgegen, ohne jedoch die 
Art des Fortschrittes zu ändern. Diese Wirkung des Leiters“ 
kann, als die bisher am eifrigsten und erfolgreichsten unter- 
suchte und auf einfache Gesetze zurückgeführte, als die nor- 
male Wirkung betrachtet werden. Zweitens aber verändert der 
Leiter bei einer gewissen Beschaffenheit, die durch die Dich- 
tigkeit des zu leitenden Stromes bestimmt wird, die Gangart 
der Entladung. Die in diesem Falle gemessene Stromstärke 
kann mit dem Werthe verglichen werden, den sie bei normaler 
Entladung besitzen würde. Diese Vergleichung bildet den Ge- 
genstand der folgenden Untersuchung, die das bemerkenswerthe 
Resultat gegeben hat, dals bei Änderung der Entladungsweise 
eine gänzliche Veränderung der Leitungsgesetze statt findet. 
Nicht nur, was ich schon früher hervorgehoben habe, dals die 
Verzögerung der Entladung nicht mehr nach den geltenden 
Formeln zu berechnen ist, so kommen Fälle vor, in welchen 
die Stromstärke durch dieselben Umstände für die verschiedenen 
Entladungsarten in entgegengesetztem Sinne verändert wird. 
Die gewöhnliche Entladung, die ich als die continuirliche be- 
zeichnet habe, geht in die ungewöhnliche (discontinuirliche) 
durch Zwischenstufen über, und die Leitungsgesetze erhalten 
dabei eine solche Verwickelung, dals sich nicht hoffen läfst, 
sie auf einfache Regeln zurückzuführen. 

Was die äufsere Erscheinung der ungewöhnlichen Ent- 
ladungsart betrifft, so ist sie in Luft und Wasser seit langer 
Zeit bekannt und vielfach studirt worden, unter dem Namen 
der Lichterscheinungen der Elektricität. In einer nachgelassenen 
Schrift von Hausen') finden sich zuerst die drei elektrischen 
Lichterscheinungen in Luft bestimmt von einander getrennt, 
die wir jetzt als die Funken-, die Büschel- und die Glimm- 
Entladung unterscheiden. Bei der Entladung in verdünnter 
Luft ist 1766 von Beccaria?) das Licht an der positiven 


!) Novi profectus in historia electrieitatis* Lips. 1743. 
?) Elettrie. artificiale* Torino 1772 p. 52. 


vom 22. Mai 1856. 245 


Elektrode als Licht des Herausganges (sporgimento) von dem 
an der negativen, Licht der Anschwellung (ringorgo), getrennt 
worden. Die ausführlichste Untersuchung dieser Lichterschei- 
nungen in Luft und Gasen hat Faraday in der 12ten und 13ten 
Reihe seiner Experimental-Untersuchungen gegeben und dabei die 
merkwürdige dunkele Entladung entdeckt. Die erste Beob- 
achtung der ungewöhnlichen (leuchtenden) Entladung in Was- 
ser ist von Beccaria'). In den philosophical Transactions 
for 1785?) hat Cadogan Morgan die wichtige Erfahrung 
hinzugefügt, dafs diese Entladung desto schwieriger erfolgt, je 
besser leitend das Wasser ist, indem die Funken leichter in 
kaltem Wasser erhalten wurden, als in heifsem, und gar nicht 
in Wasser, dem eine Säure hinzugesetzt war. Ich werde im 
Folgenden auf diese äulseren Erscheinungen der discontinuir- 
lichen Entladung nur beiläufig eingehen, da sie keineswegs die 
nothwendigen Begleiter der discontinuirlichen Entladung sind, 
die sich in den veränderten Leitungsgesetzen ausspricht, ehe 
noch das Auge von der veränderten Entladung unterrichtet 
wird. Gerade diese dem Auge verborgenen Übergänge der 
gewöhnlichen Entladungsart in eine andere sind dem Beob- 
achter am gefährlichsten, und sie sind es, auf welche ich die 
Aufmerksamkeit am meisten zu lenken wünsche. 


Änderung der Entladung durch einen metallischen 
Stromleiter. 

Untersucht man die Erwärmung, welche die Entladung einer 
leydener Batterie an einer constanten Stelle des Schlielsungs- 
bogens erregt, zu welchem beliebige, nach Stoff und Dimen- 
sionen bekannte Dräthe hinzugesetzt werden, so genügen be- 
kanntlich zwei Beobachtungen, um alle übrigen Versuche, die 
aufserdem noch durch die Ladung der Batterie geändert wer- 
den können, auf das Genaueste zu berechnen. Ich stellte die 
einfachsten Versuche dieser Art an, indem ich die Batterie un- 
geändert liels (4 Flaschen, jede von 2,6 Quadratfuls innerer 
Belegung), dieselbe stets mit gleicher Elektricitätsmenge lud 


‘) Elettr. art. p. 250. 
?) Abridged by Hutton etc.* 15. 673. 


246 Gesammtsitzung f 


(22 Einheiten der Maafsflasche, deren Kugeln 4 Linie von ein- 
ander entfernt standen) und zum Schliefsungsbogen, in aufein- 
ander folgenden Versuchen, sieben Dräthe hinzusetzte, die aus 
demselben Platin zu verschiedener Dicke gezogen waren, und 
im Schlielsungsbogen genau 2 Zoll einnahmen. Die an con- 
stanter Stelle des Bogens untersuchte Erwärmung sollte daher 
allein abhangen von dem Halbmesser r des zugesetzten Drathes 


nach dem einfachen Ausdrucke d = in welehem ich aus 
1+ 2 

dem ersten und vierten Versuche die Constanten bestimmt hatte 

(log. a= 1,0322 log. d = 6,72647). Dies war aber nicht der Fall, 

wie die folgende Zusammenstellung zeigt, in welcher die Er- 

wärmungen Mittel aus 3 Beobachtungen des elektrischen Ther- 

mometers sind. 


Unterschied 
Zahl des Halbmesser der einge- Erwärmung im Schliefsungsbogen in Theilen des 
Versuches. schalteten Dräthe. beobachtet. berechnet. berechn. WVerthes. 
1 0,06685 par. Lin. 96,3 Lin. 56,8 
2 5952 39,3 39,26 
3 5000 92,2 92,40 
4 4053 48 48 
9 2357 3354 38,46 — 0,132 
6 2039 24,3 28,63 0,134 
HL 1850 16,6 19,19 0,135 


In Bezug auf die Berechnung des letzten Versuches ist zu 
bemerken, dafs, weil der Drath dabei zerstört wurde, nach 
früheren Versuchen nur 0,77 der angehäuften Elektricitätsmenge 
mit der ganzen Dichtigkeit in Rechnung gesetzt werden mulste. 
Die Tafel zeigt, dals von den 7 nach abnehmender Dicke ge- 
ordneten Platindräthen, die zu dem constanten auf Erwärmung 
untersuchten Schlielsungsbogen hinzugesetzt wurden, die 4 er- 
sten die angehäufte Elektricität genau nach den früher ermit- 
telten Gesetzen leiteten, die letzten drei Dräthe aber bedeutend 
davon abwichen. Bei diesen Dräthen sind die beobachteten 
Erwärmungen nahe um ein Achtel des Werthes kleiner, als sie 
nach den Leitungsgesetzen sein sollten. Dem Platin würde, 
wenn wir es nach diesen Gesetzen beurtheilten, in den 3 letz- 
ten Versuchen ein veränderliches, bedeutend geringeres Lei- 


vom 22. Mai 1856. 247 


tungsvermögen zukommen, als das constante in den 4 ersten 
Versuchen, und zwar würde das Leitungsvermögen im 6ten 
Versuche grölser gefunden werden, als im öten, also nicht un- 
bedingt mit der Erhitzung des Platindrathes abnehmen. Die 
Versuche sind eine Folge des in meiner oben erwähnten Ab- 
handlung erwiesenen Satzes, dals ein elektrischer Strom, der 
Metalle mechanisch verändert oder sie zum Glühen oder Schmel- 
zen bringt, sich darin in ganz verschiedener Weise fortpflanzt, 
als in dem Falle, wo er keine solche Wirkung hervorbringt. 
Im 7ten Versuche wurde der Platindrath jedesmal glühend zer- 
sprengt, und im 6ten wurde er in ganzer Länge rothglühend- 
Auch im öten Versuche, wo keine leuchtende Erscheinung die 
veränderte Entladungsart anzeigte, konnte nach öfterer Wieder- 
holung die, als Merkmal für diese Entladung angegebene, stumpf- 
winklige Einbiegung des Drathes bemerkt werden. Dafs der 
Einfluls, den die Dimensionen des Drathes auf die Entladungs- 
art des Stromes haben, auch vom Stoffe des Stromleiters ge- 
übt wird, folgt aus der Erfahrung, dals sehr verschiedene elek- 
trische Auhäufungen nöthig sind, um Dräthe verschiedenen 
Stoffes zum Glühen zu bringen. Die gewonnene Erfahrung 
läfst sich so ausdrücken. Die, durch die Erwärmung gemessene, 
Stärke des Stromes hängt von drei Faktoren ab: von der Menge, 
von der Dichtigkeit der in der Batterie angehäuften Elektri- 
eität, und von dem Leitungszustande des Schlielsungsbogens. 
Die für die Stromstärke gefundenen Formeln gelten nur so 
lange, als die Entladung im Bogen continuirlich geschieht, und 
diese Art der Entladung wird, wenn die Ladung der Batterie 
constant erhalten wird, durch Stoff und Dimensionen des 
Schlielsungsbogens bestimmt. Das Eintreten der ungewöhn- 
lichen Entladung ist nicht immer an dem von ihr erfalsten 
Stücke des Schlielsungsbogens durch eine äulsere Erscheinung 
sichtbar, wird es dann aber bei geringer Verstärkung der La- 
dung der Batterie. Um sich daher von einem gegebenen Drathe 
zu versichern, dals er eine gegebene Batterieladung in nor- 
maler Weise leite, und auf ihn die Leitungsgesetze anwendbar 
‚seien, ist es nöthig, die Ladung der Batterie zu verstärken, 
und darauf zu achten, ob nicht der Drath erschüttert wird oder 
eine Einbiegung erhält. 


248 Gesammtsitzung 


Je besser das Metall eines Dratbes die Elektricität in nor- 
maler Entladungsart leitet, desto dünner muls er sein, um eine 
gegebene Batterieladung in ungewöhnlicher Weise zu ent- 
laden. Es wird dies durch die verschiedene Batterieladung 
sichtlich gemacht, welche Dräthe verschiedenen Metalles be- 
dürfen, um ins Glühen zu gelangen. Wendet man daher bei 
gleicher Batterieladung verschiedenartige Dräthe zur Entladung 
an, so kann es kommen, dals der aus besserleitendem Stoffe die 
Entladung normal leitet, während der andere schon die unge- 
wöhnliche Entladung veranlalst. Dies ist bei der Bestimmung 
des Leitungsvermögens der Metalle zu beachten, wobei zur 
Vermeidung grolser Längen, gewöhnlich dünne Dräthe ge- 
braucht werden. Da bei der ungewöhnlichen Entladung der 
Verzögerungswerth grölser erscheint, als bei der gewöhnlichen, 
so ist die Folge, dals in dem Falle einer zwiefachen Entla- 
dungsart, der Unterschied im Leitungsvermögen der geprüften 
Metalle grölser gefunden wird, als er ist. Die grölsere Leich- 
tigkeit, mit welcher die ungewöhnliche Entladung in den 
schlechteren Leitern zu Stande kommt, erklärt eine auffallende 
Erscheinung bei der Theilung des elektrischen Stromes. Hat 
sich nämlich der Strom zwischen Zweige von sehr verschie- 
denem Leitungsvermögen zu theilen, so geht er, nach dem 
bekannten Gesetze der Theilung, fast vollständig durch den 
besseren Leiter. Dies ist so lange der Fall, als die continuir- 
liche Entladungsweise statt hat; tritt bei gesteigerter Elektri- 
citätsmenge oder verringerten Dimensionen des guten Leiters, 
in diesem die discontinuirliche Entladung auf, so kann ein 
grolser Theil des Stromes durch den schlechten Leiter gehen. 
So sah van Marum einen 36 Zoll langen Eisendraih, der 
durch eine starke Ladung seiner Batterie ins Glühen versetzt 
wurde, mit einer breiten Lichthülle umgeben, und Erfahrungen 
bei Blitzschlägen geben dafür Belege, dals ein Theil des Blitzes 
auch bei vorhandener Leitung durch zusammenbhängendes Metall, 
durch den viel schlechter leitenden menschlichen Körper und 
durch Luft geht. Ich werde weiter unten hierzu einen Ver- 
such in verdünnter Luft anführen. 


vom 22. Mai 1856. 249 


Änderung der Entladung durch einen flüssigen 
Stromleiter. 


Die Genauigkeit, welche bei metallischer Schlielsung den 
Messungen der Stromstärke am Thermometer mit leichter Mühe 
gegeben werden kann, ist nicht zu erreichen, wenn die 
Schlielsung an einer Stelle durch eine Flüssigkeit unterbrochen 
ist. Dennoch eignen sich diese Versuche ganz besonders, den 
Einfluls des Stromleiters auf die Entladungsart zu zeigen, da 
die Stromstärke hier, je nach der Entladungsart, aulserordent- 
lich verschieden ist, und die Entladungsart sehr leicht wech- 
sel. Im vorigen Abschnitte habe ich den Leitungswerth des 
veränderlichen Stückes der Schlielsung durch die Dicke eines 
und desselben Metalles geändert; hier war es bequemer, die 
Änderung am Stoffe selbst, ohne Änderung seiner Dimen- 
 sionen, vorzunehmen, indem das Leitungsvermögen von destil- 
lirtem Wasser durch Zusatz von Kochsalz allmählig gesteigert 
wurde. Ein Trog aus Guttapercha, 8% Zoll lang, 1%, Zoll 
breit und hoch, wurde mit 15 Unzen destillirten Wassers ge- 
füllt. Zwei dicke, mit Glasröhren bekleidete und an einem 
Glasstabe befestigte, vertikal in das Wasser gehängte, Kupfer- 
dräthe trugen am untern Ende Klemmen, mittels welcher zwei, 
fast 1 Linie dicke, Platindräthe horizontal einander gegenüber- 
gestellt waren. Die ebenen Endflächen der Platindräthe waren 
4 Linie von einander entfernt. Diese Vorrichtung wurde in 
den Schlielsungsbogen einer, aus 3 Flaschen bestehenden, Bat- 
terie eingeschaltet, die stets mit derselben Elektricitätsmenge 
(14 der früher angegebenen Einheit) geladen war. Ein in der 
Schliefsung befindliches Thermometer gab die Stromstärke bei 
der Entladung an. Vor jeder Beobachtung wurden die Elek- 
iroden aus dem Wasser genommen, die einander zugewandten 
Platinflächen mit Fliefspapier getrocknet und mit Sandpapier 
gerieben. In der folgenden "Tafel sind die einzelnen Beob- 
achtungen verzeichnet, in der Ordnung, in welcher sie er- 
halten wurden; die erste Spalte gibt das Gewicht des getrock- 
neten Kochsalzes an, das im Wasser gelöst war. 


250 Gesammtsitzung 
in 7200 Gran Wasser ge- 
löstes Chlornatrium. Erwärmung im Schliefsungsbogen. Mittel. 
91 86,5 85,3 70,3 83 74,8 81,3 
3 Gran 14.519 41,7 9112 48 12,6 
6 DemaT D =0,77 OnRT 5, 
9 DT ER 7” 
12 pl A Kar = ae la 8,9 
24 15 15 153 15 "19,2 13,2 15 
48 24,3 24,6 23,4 23,5 23,8 23,7 23,9 


Der Gang der Stromstärke in diesen Versuchen ist sehr 
auffallend. Im Gegensatze zu der Erfahrung, dafs reines Was- 
ser ein unvollkommener Leiter der Elektricität ist, dessen Lei- 
tungsvermögen durch Zusatz von Kochsalz eine grolse Ver- 
besserung erfährt, sieht man in den ersten beiden Reihen durch 
einen geringen Zusatz von Kochsalz (0,041 Procent) die Strom- 
stärke von 81,3 zu 12,6 sinken. “Die begleitende Entladungs- 
erscheinung gibt keinen Aufschluls über den Grund dieser Ab- 
nahme, da sie in beiden Reihen dieselbe war, ein blendender 
Funke, der mit dumpfem Knalle durch das Wasser ging. In 
der dritten Reihe erschien weder Funke noch Geräusch, es 
war eine sichtliche Änderung der Entladung eingetreten, und 
damit ein weiteres Sinken der Stromstärke bis 5,3. Von hier 
an blieb die Entladungsart die normale, continuirliche, und die 
mit der Menge des gelösten Salzes steigende Stromstärke den 
bisherigen Erfahrungen entsprechend. Betrachten wir die Be- 
obachtungsreihe in umgekehrter Ordnung, als in welcher sie 
angestellt war, so folgt, dafs wenn eine bestimmte elektrische 
Ladung durch eine Salzlösung entladen wird, deren Lei- 
tungsvermögen durch Entziehung des gelösten Salzes successiv 
verringert wird, der Entladungsstrom so lange an Stärke ab- 
nimmt, als die continuirliche Entladungsart statt findet. Bei 
einem gewissen Grade des verminderten Leitungsvermögens der 
Flüssigkeit wird die Entladungsart geändert, und damit tritt 
eine Verstärkung des Stromes ein. Bei fortdauernder Vermin- 
derung des Leitungsvermögens nimmt auch die Änderung der 
Entladungsart zu und der Strom erreicht, wenn das Salz voll- 


ständig aus dem Wasser entfernt ist, eine so auffallende Stärke, 


dafs sie auch der flüchtigsten Beobachtung nicht entgehen kann. 


_ 


vom 22. Mai 1856. 251 


Durch die am schlechtesten leitende Flüssigkeit ist in den hier 
mitgetheilten Versuchen eine Stromstärke hervorgebracht wor- 
den, die bei normaler Entladungsart nur durch eine sehr voll- 
kommen leitende Flüssigkeit hätte erzeugt werden können. 
Während also bei dem metallischen Stromleiter der Wechsel 
der Entladungsart, bei Verminderung seines Leitungswerthes, 
nur in der Nichtübereinstimmung der genau ermittelten Werthe 
der Stromstärke mit den nach den Leitungsgesetzen berech- 
neten hervortrat, ist bei Anwendung eines flüssigen Strom- 
leiters die veränderte Entladung durch die im entgegenge- 
setzten Sinne veränderte Stromstärke unmittelbar deutlich. 
Aber noch durch einen andern Umstand ist der flüssige Strom- 
leiter zur Demonstration der verschiedenen Entladungsarten 
besonders geeignet. Wenn bei dem metallischen Stromleiter 
die Bedingungen zur ungewöhnlichen Entladung vorhanden sind, 
so ist es nicht möglich, die normale Entladung herbeizuführen, 
und so direkt den Unterschied des Einflusses beider Entladungs- 
arten auf die Stromstärke zu zeigen. Dies ist bei dem flüs- 
sigen Stromleiter sehr leicht, ja es macht sich von selbst, wenn 
man einen Versuch öfter wiederholt. Ich habe oben bei der 
Beschreibung der Versuchsweise gesagt, dafs vor jedem Ver- 
suche die Elektroden aus dem Wasser gehoben, getrocknet und 
die einander gegenüberstehenden Platinflächen mit Sandpapier 
gerieben wurden. Unterläfst man diese Vorsichtsmalsregel nach 
einem Versuche, der eine Funkenentladung im Wasser gegeben 
hat, so erscheint bei der Wiederholung des Versuches die Strom- 
stärke gewöhnlich kleiner, aber nach öfterer Wiederholung 
bleibt der Funke unfehlbar aus. Als die Elektroden im destil- 
lirten Wasser stehen blieben, gaben die 3 ersten Versuche die 
Stromstärken 76 67,5 60,5, bei dem 4ten und jedem folgenden 
Versuche wurde weder Funke noch Erwärmung beobachtet. 
So erhielt ich im Mittel aus mehreren Versuchen, in welchen 
die Entladung licht- und geräuschlos statt fand, 
in destillirtem Wasser statt der Stromstärke 81,3 keine wahr- 
nehmbare, 
in Wasser mit 0,041 proc. Kochsalz ,, I 12,6 die Strom- 
stärke 3,6. 
Deutlicher ist der Unterschied der discontinuirlichen und con- 


252 Gesammtsitzung 

tinuirlichen Entladungsart wol kaum aufzuzeigen. Zugleich ist 
durch diese Versuche nachgewiesen, dafs bei der Funkenent- 
ladung in der schwachen Kochsalzlösung die Entladung, trotz 
der gleichen Erscheinung, in anderer Weise vor sich geht, 
als im destillirten Wasser, da durch Verwandlung dieser Ent- 
ladung in die continuirliche zwar eine grolse Verringerung der 
Stromstärke bewirkt wurde, diese Verringerung aber viel klei- 
ner war, als im destillirten Wasser. Es fand daher entweder 
im Salzwasser die Entladung theils continuirlich theils discon- 
tinuirlich statt, oder sie bildete, was wahrscheinlicher ist, eine 
von beiden Arten verschiedene Entladungsart. 

Den Grund der merkwürdigen Änderung der discontinuir- 
lichen Entladung in die continuirliche durch die Wirkung einer 
vorangegangenen Entladung suchte ich anfangs in der Bildung 
von Salpetersäure in dem lufthaltigen Wasser, und dem durch 
Capillaranziehung bewirkten Anhaften derselben an den Elek- 
trodenflächen. Aber dagegen sprach die Erfahrung, dals die 
continuirliche Entladung auch nach Verlauf von 2 Stunden statt 
fand, wenn die Elektroden während der Zeit im Wasser ge- 
blieben waren, dafs die Elektroden darin heftig geschwenkt 
werden durften, und dafs die Erscheinung nicht geändert wurde, 
wenn auch das Wasser vor dem Versuche lange Zeit im Ko- 
chen erhalten worden war. Es gab kein anderes Mittel, die 
durch eine vorangegangene Entladung verlorene Funkenent- 
ladung wieder zu erhalten, als die Elektroden aus dem Wasser 
zu nehmen; häufig genügte danach das Trocknen mit Fliels- 
papier, oder freiwilliges Trocknen, dem die Elektroden einige 
Zeit lang ausgesetzt wurden, unfehlbar aber wirkte das Reiben 
der Elektrodenflächen mit Sandpapier. Der Grund der Hin- 
derung der Funkenentladung war demnach zu suchen in dem 
Zustande der Reinheit, den nach Faradays schöner Entdeckung 
die Elektroden annehmen, die einen voltaischen Strom in eine 
zersetzbare Flüssigkeit leiten, wonach die veränderten Metall- 
flächen vollständig von der Flüssigkeit genetzt werden (experim. 
research. 588. 633). Hatte eine solche Änderung des Ober- 
flächenzustandes der Elektroden auch durch den Entladungs- 
strom der leydener Batterie statt gefunden, so diente das Ab- 


reiben mit Sandpapier dazu, den früheren Zustand der Ober- 


4 
3 
. 
| 


vom 22. Mai 1856. 253 


fläche wieder herzustellen, und das Benetzen durch die Flüs- 
sigkeit zu erschweren. Hierzu gab es aber ein einfacheres 
Mittel, das Bestreichen der Elektroden mit Olivenöl, und dies be- 
währte sich auf das Vollkommenste. An den Platinelektroden, 
welche, nach vorangegangenen Entladungen nur die continuir- 
liche Ladung gestatteten und daher im Thermometer keine 
merkliche Erwärmung hervorbrachten, wurden die Endflächen 
mit einer dünnen Ölhaut bekleidet, indem sie mit einem frisch 
geölten Papiere gerieben wurden. In das Wasser gebracht, 
gaben diese Elektroden in 10 kurz nach einander angestellten 
Versuchen die Funkenentladung, und dabei wurden im Ther- 
mometer folgende, durch ihre Übereinstimmung bemerkens- 
werthe Stromstärken beobachtet: 91 89 85 86 84 84'82 86 
89 83. Hierauf wurden die Elektroden aus dem Wasser ge- 
nommen und durch Fliefspapier von ihrer Ölhaut befreit. Die 
nächsten 3 Beobachtungen gaben die Stromstärken 71,5 0 0; 
in den beiden letzten Fällen war wiederum die normale Ent- 
ladung eingetreten. Die Ölhaut wirkt eine längere Zeit hin- 
durch, wird aber durch wiederholte elektrische Entladungen 
entfernt. Ich liels die mit Öl gestrichenen Elektroden im 
‚Wasser, und entlud durch sie die Batterie in langen Zwischen- 
räumen. Nach der 10ten Entladung, die 70 Stunden nach der 
ersten statt fand, blieb die Wirkung des Öles aus. Die Wirk- 
samkeit des Öles wird noch viel auffallender, wenn man sie 
unter Umständen prüft, die sonst keine Funkenentladung zu- 
lassen. Es ist seit Cadogan Morgans Versuchen bekannt, 
dals, um bei gegebener Entfernung der Elektroden Funken in 
einer Flüssigkeit zu erzeugen, eine desto stärkere Ladung der 
Batterie erfordert wird, je besser leitend die Flüssigkeit ist. 
In den oben mitgetheilten Versuchen war die Dichtigkeit der 
Elektricität so gewählt, dafs nur in der schwächsten Salzlösung 
eine discontinuirliche Entladung statt fand. Es war daher bei 
Anwendung der stärkeren Salzlösungen kein Funke erschienen, 
Als hingegen die Flächen der Elektroden mit einer Ölhaut be- 
deckt wurden, erhielt ich Funken in allen angewandten Lö- 
sungen '). Der Unterschied der Stromstärken bei continuir- 

") Noch wirksamer als Olivenöl ist starres Fett. Als die Flächen der 
Elektroden mit Butter oder Schweineschmalz gestrichen waren, ging die 


254 Gesammisilzung 


licher und discontinuirlicher Entladung war desto geringer, je 
eoncentrirter die Lösung war, was dahin deutet, dafs es mehr 
und weniger discontinuirliche Entladungen gibt. So fand ich bei 


eontinuirliche discont. Ent. 
Wass. mit 0,16 pr. Kochsalz dieStromstärken 7,3 7,3 43 40;7 
” „» 0,66 5 ) ” „ 20 19,6 26,7 31,7 


Diese Versuche, die weiter auszuführen hier nicht der Ort 
ist, bestätigen auf lehrreiche Weise die Vermuthung, die ich 
früber (Pogg. Annal. 78. 445) über den Mechanismus der dis- 
continuirlichen Entladungsart geäufsert habe. Das Wesen die- 
ser Entladungsart wurde dahin bestimmt, dafs die Entladung, 
die bei der normalen Art von einem Querschnitte des Strom- 
leiters zu dem nächst folgenden continuirlich fortschreitet, an 
einem Querschnitte stockt, der dadurch eine grölsere elek- 
trische Dichtigkeit erhält, als früher, und dafs sich in Folge 
davon die Entladung von diesem Querschnitte zu einem ent- 
fernter liegenden stofsweise fortpflanzt. Bei grofser Dichtig- 
keit der in der Batterie angehäuften Elektricität findet diese 
Entladungsweise in jedem Körper unbedingt statt. Wir sehen 
nun in den mitgetheilten Versuchen die Bedingung zu dieser 
Entladung in destillirttem Wasser durch die Dichtigkeit der 
angehäuften Elektricität gegeben, aber dennoch die Entladung 
nicht statt finden, wenn nicht eine äufsere Veranlassung des 
Stockens der Entladung hinzukommt. Diese in gewisser Be- 
ziehung zufällige Veranlassung gibt die vorhandene Unreinbheit 
der Elektrodenflächen, der zufolge diese Flächen mit dem näch- 
sten Querschnitte der Flüssigkeit nicht in unmittelbare Berüh- 
rung kommen. Wird diese Veranlassung durch eine Wirkung 
der discontinuirlichen Entladung selbst gehoben, kommt die 
Elektrode in innige Berührung mit der Flüssigkeit, so tritt 
wieder die continuirliche Entladung ein. Ein weit kräftigeres 
Hindernils für die Fortschreitung der Entladung, als die natür- 
liche Unreinheit der Metallfläche, und daher eine wirksamere 
Einleitung der discontinuirlichen Entladung bietet der dünnste 


hier gebrauchte Ladung der Batterie mit Funken durch eine Salzlösung mit 
9,4 proc. Kochsalz (eine stärkere Lösung habe ich nicht versucht). Der 
Funke war röthlich und das ihn begleitende Geräusch schwach. 


vom 22. Mai 1856. 255 


Überzug mit einer Ölhaut, wobei es sehr merkwürdig ist, dafs 
auch in den Salzlösungen, für welche die gebrauchte Dichtig- 
keit der Ladung tief unter der Gröfse stand, mit welcher die 
Entladung in der Lösung intermittiren würde, eine disconti- 
nuirliche Entladung eintrat, wenn die Ölhaut das erste Stocken 
der Entladung veranlalst hatte. Diese Thatsache schlielst sich 
der früher von mir angeführten Erfahrung an, dals wenn eine 
in Luft intermittirende Entladung (ein Funke) eine Metallfläche 
trift, die Entladung auch noch in einer mefsbaren Tiefe im 
Metalle discontinuirlich statt findet, wie sich an der daselbst 
nach längerer Einwirkung sehr deutlichen Veränderung des 
Metalles zeigen lälst. Auch scheint mir damit, wie hier bei- 
läufig erwähnt wird, die Ursache von Erscheinungen deutlich 
zu werden, die anderen Gebieten der Elektricitätslehre ange- 
hören. An einer mächtigen voltaischen Batterie, wie mir Hr. 
Magnus vor längerer Zeit zu zeigen die Güte hatte, ist ein 
mit dem einen Pole verbundenes Geldstück leicht zu schmel- 
zen, wenn demselben das Ende des ändern Poldraths bis zu 
einer kleinen Entfernung genähert wird. An einem Magneto- 
Inductionsapparate kann man sich leicht davon überzeugen, dals 
von 2 dünnen in die inducirte Schlielsung eingeschalteten 
Platindräthen, das Ende des einen (mit dem negativen Pole 
verbundenen) Drathes zum Glühen und Schmelzen kommt, wenn 
es etwa 4 Linie von dem andern Drathende entfernt ist, wäh- 
rend beide Dräthe dunkel bleiben bei Berührung ihrer Enden. 
Ich glaube, dals in diesen Versuchen der Luftzwischenraum 
dieselbe Rolle spielt, wie die Ölhaut in den Versuchen an der 
leydener Batterie. So wie eine elektrische Ladung, die in 
einer Salzlösung continuirlich entladen würde, durch die Öl- 
haut an den Elektrodenflächen veranlafst wird, discontinuirlich 
überzugehen, so wird in den Schmelzversuchen der Luftraum 
zwischen den Elektroden die Veranlassung einer discontinuir- 
"lichen Entladung in der nächsten Metallstrecke, und in Folge 
davon des Glühens und Schmelzens derselbens. 


Änderung der Entladung durch verdünnte Laft. 


Es ist lange Zeit eine Streitfrage gewesen, die viele zum 
Theil schwierige Versuche veranlafst hat, ob die Luft durch 


256 Gesammtsilzung 


Verdünnung an Leitungsvermögen für Elektricität gewinnt oder 


verliert. Die Schwierigkeit der Beantwortung dieser Frage 


entstand dadurch, dafs die Verschiedenheit der elektrischen Ent- 
ladung nicht berücksichtigt wurde. Die Luft bat in Bezug auf 

die continuirliche, lichtlose Entladung, die gewöhnlich Zer- 

streuung der Elektricität genannt wird, ein sehr geringes Lei- 

tungsvermögen, das mit Verdünnung der Luft abnimmt. Aber 

die discontinuirliche, leuchtende, Entladung kommt in Luft 

leicht zu Stande, leichter als in Wasser und Metall, und zwar 

um desto leichter, je dünner die Luft ist. Eine Elektricitäts- 
menge von gegebener Dichtigkeit, die in einem Luftraum von 
gewöhnlicher Dichte nur die Zerstreuung erfährt, kann bei 
Verdünnung der Luft entladen werden, wenn durch diese Ver- 
dünnung die Entladungsart verändert wird. Dieser sehr be- 
kannte Fall ist ganz analog dem im vorigen Abschnitte beban- 
delten, wo in einer starken Salzlösung die Entladung conti- 
nuirlich erfolgte, und discontinuirlich in einer verdünnten Lö- 
sung. Aber bei der Luft tritt noch die Verwickelung hinzu, 
dafs es nicht nur verschiedene Arten der discontinuirlichen 
Entladung gibt, die je nach der Verdünnung der Luft wech- 
seln, sondern dals, bei gewisser Beschaffenheit der Elektroden, 
die Entladungsart durch die Richtung des zu entladenden Stro- 
mes bedingt wird. Von den verschiedenen discontinuirlichen 
Entladungen in Luft werden die sogenannten Funken-, Bü- 
schel- und Glimm-Entladungen in verschiedenen, und zwar in 
dieser Ordnung zunehmenden Zeiten ausgeführt, so dals, wenn 
eine gegebene Elektricitätsmenge durch Funken entladen wird, 
im Schlielsungsbogen die stärkste, wenn durch Glimment- 
ladung, die schwächste Stromstärke bemerkt wird. Wenn ein 


Schlielsungsbogen durch einen Luftraum von gewöhnlicher 
Dichte unterbrochen ist, den die angewandte elektrische La- 
dung unter Funkenerscheinung durchbricht, so ist die Strom- 
stärke nur wenig geringer, als wenn der Luftraum fehlt. Bei 
allmählicher Verdünnung der Luftmasse würde die Stromstärke 
zunehmen, wenn nicht diese Verdünnung zugleich bewirkte, 
dafs die Funkenentladung in eine andere Entladungsart über- 
geht, die eine geringere Stromstärke zur Folge hat. Je nach 
Gestalt und Entfernung der Elektroden überwiegt bei gegebener 


vom 22. Mai 1856. 257 


Luftdichte die eine oder andere Wirkung auf die Stromstärke, 
die aber, selbst bei grolsen Unterschieden der Luftdichte, sehr 
klein bleibt, und nur einer Reihe von Beobachtungen entnom- 
men werden kann. Wenn hingegen bei fortgesetzter Ver- 
dünnung, was unter gewöhnlichen Umständen stets geschieht, 
die Glimmentladung eintritt, so ist damit eine niemals zu ver- 
kennende Schwächung der Stromstärke gegeben. Dieser Gang 
der Stromstärke, bei dem Durchbrechen einer Luftschicht ver- 
schiedener Dichte durch eine constante Batterieladung, ist in 
der folgenden Versuchsreihe sichtbar, welche der bequemeren 
Ausführung wegen, in umgekehrter Ordnung angestellt worden 
ist. Es wurde mit der grölsten Luftverdünnung begonnen und 
so lange mit Zulassen von Luft fortgefahren, als die Ladung 
leuchtend überging. Die Batterie bestand aus 3 Flaschen, die 
stets mit der Elektricitätsmenge 10 der früher angegebenen 
Einheit geladen wurden. Die Elektroden waren Messingkugeln 
von 4% Linien Durchmesser, die, 5 Linien von einander ent- 
fernt, an Messingstielen in einem Glascylinder von 3& Zoll 
| Höhe, 1 Zoll 5% Lin. Weite einander gegenüberstanden. Die 
stärken sind Mittel aus 3 Beobachtungen des Thermo- 
| meters. 
Quecksilberdruck 
der Luft. Linien 1 5 10 20 40 60 80 100 
Stromstärke im 
Schlielsungsbogen 29,2 34,2 36,6 37,3 39,5 37 38,5 keine Entl. 
Bei Veränderung der Luftdichte von 80 bis 20 Linien 
Druck erlitt die Stromstärke im Schlielsungsbogen eine nur 
geringe Änderung, nahm dann stetig ab, und wurde bei Ver- 
minderung des Druckes von 5 bis 1 Linie bedeutend verrin- 
gert. Diese Schwächung war noch etwas gröfser, als sie er- 
schien, da nur bei 1 Linie Luftdruck die Batterie vollständig 
‚entladen wurde und bei den übrigen Versuchen ein kleiner 
Rückstand darin blieb. Dals die Abnahme der Stromstärke mit 
‚ Verdünnung der Luft wirklich der Änderung der Entladungs- 
\art zuzuschreiben ist, und nicht durch die Annahme eines ab- 
\nehmenden Leitungsvermögens der Luft erklärt wird, läfst sich 
leicht zeigen. Wäre diese Annahme begründet, so mülste der- 
selbe Gang der Stromstärke bemerkt werden, was auch für 
[1856.] 19 


| 


258 Gesammtsitzung 


Elektroden angewendet würden. Ich nahm zur oberen Elek- 
trode einen Platindrath von + Millimeter Dicke, der durch die 
Deckplatte des Glaseylinders hindurchging und in der Fläche 
der Platte endigte, so dals nur ein Querschnitt des Drathes 
mit der Luft im Cylinder in Berührung kam. Eine gleiche‘ 
Elektrode wurde angebracht in einer Glasscheibe von 1 Zoll‘ 
Durchmesser, die auf dem untern Metallstiele im Cylinder be- 
festigt wurde. Die Entfernung der beiden kleinen Platinflächen 
von einander, zwischen welchen die Entladung durch Luft statt 
fand, betrug 5 Linien, die Ladung der Batterie war die frühere. 


Quecksilberdruck d. Luft. Linien 1 55’ 40° 220 720 


Stromstärke 35,3 36,2 35,4 39,6 34,8 
Quecksilberdruck. Linien 80 420 160 200 240 
Stromstärke 33,7 33,8 338 32 keineEntl. 


Die Stromstärke, die bei 200 Linien Druck 32 betrug, 
stieg durch Verdünnung der Luft, und betrug bei 1 Lin. Druck‘ 
35,3, sie befolgte also den entgegengesetzten Gang von dem 
in der vorigen Reihe. Den Grund hiervon gibt die Erfahrung, 
die ich in den Berichten d. Akad. 1855 S. 400 mitgetheilt 
habe, dafs keine glimmende Entladung statt findet, wenn im 
sehr dünner Luft die negative Elektrode eine geringe Aus- 
dehnung besitzt. Es fiel demnach hier die Bedingung der 
Schwächung des Stromes fort: die Verwandlung der Funken- 
Entladung in die glimmende. Dieser, je nach der Grölse der 
negativen Elektrode, entgegengesetzte Einfluls der Verdünnung 
der Luft auf die Stromstärke lälst sich bequemer aufzeigen, 
wenn man zwei verschieden grolse Elektroden anwendet, und 
die Entladung abwechselnd in entgegengesetzter Richtung durch 
den Cylinder gehen lälst. Es wurde zur oberen Elektrode die 
kleine Platinfläche in der Deckplatte des Cylinders, zur unteren 


die früher gebrauchte Messingkugel genommen, zwischen bei- 
den ein Zwischenraum von 5 Linien gelassen. Die Ladung 
der Batterie war die frühere. Bei jeder Luftdichte wurde der 
Cylinder geschlossen, auf eine isolirende Platte gestellt, und 
das Innere der Batterie erst mit der oberen, dann mit der un- 
teren Elektrode in Verbindung gesetzt. Folgende sind die aus 


3 Beobachtungen hergeleiteten Stromstärken. 


vom 22. Mai 1856. 259 


Luftdruck in Linien 1 5 10 20 40 
"Stromstärke bei positiver Fläche 23,4 26,9 30,9 30,4 30,2 
Fri Pr ” Kugel 32,5 32,2 31 30,3 29,6 
Luftdruck in Linien 80 120 160 200 
Stromstärke bei positiver Fäcke 30 30,3 30,7 keineEntl. 
n B4 2 Kugel 30, 30, 30,6 keineEntl. 


Durch Verdünnung der Luft ist die Stromstärke 30,7 bei 
positiver Fläche bis 23,4 gesehwächt, bei positiver Kugel bis 
32,5 gestärkt worden. Eine Folge hiervon ist die in meiner 
früheren Mittheilung untersuchte grolse Differenz der Stärke 
eines Entladungsstromes, wenn seine Richtung in sehr dünner 
Luft gewendet wird. Diese Differenz ist je nach der Entfer- 
nung der Elektroden nur bis zu einer gewissen Luftdichte 
merklich; hier ist sie schon bei Luft von 10 Linien Druck 
nicht mehr sichtbar, während sie in dem früher gegebenen 
Beispiel, wo die Elektroden 10 Linien von einander entfernt 
waren, erst bei 30 Linien Druck verschwand. 

Der oben angeführte Satz, dals die discontinuirliche Ent- 
ladung in verdünnter Luft leichter als in Metall zu Stande 
kommt, wird durch folgende Versuche bewiesen. In dem bis- 
her gebrauchten Glascylinder wurden die Elektroden durch 
einen 2 Zoll langen, 0,119 Linie dicken Platindrath mit ein- 
ander verbunden, und bei möglichst verschiedener Dichtigkeit 
der Luft im Cylinder die Stromstärken im Schlielsungsbogen 
bestimmt, welche durch Entladung von 4 Flaschen erhalten 
wurden. Die Flaschen wurden mit verschiedenen Elektricitäts- 
mengen geladen; neben der beobachteten Erwärmung ist die 
berechnete (a) angegeben, die für die Einheit der Ladung gilt. 


Luftdruck 27%, Zoll. Luftdruck 1 Linie. 
Elektrieitätsmenge. Erwärmung a Erwärmung a 
12 24,8 0,69 26 0,72 
16 42 0,66 41,6 0,65 
20 65,5 0,66 66,7 0,67 
24 96,6 0,67 97,5 0,68 
Mittel 0,67 Mittel 0,68 


Die beiden Mittel der Erwärmung zeigen, dafs die Strom- 
stärke im Schlielsungsbogen nicht wesentlich verschieden war, 
198 


260 Gesammtsitzung 


der eingeschaltete Platindrath mochte in Luft von gewöhnlicher 
Dichte oder von 1 Linie Quecksilberdruck stehen. Wie die 
Werthe von a lehren, war auch die stärkste der angewandten 
Ladungen noch mit continuirlicher Entladung durch den Drath 
gegangen. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, wird der 
Unterschied der Stromstärken sehr grols, je nachdem die den 
Drath umgebende Luft dicht oder dünn ist. Um, wie überall 
in dieser Abhandlung, bei zu vergleichenden Versuchen die 
Ladung der Batterie constant erhalten zu können, wurde der 
Platindrath im Glascylinder durch einen dünneren ersetzt 
(0,042 Lin. Dicke). Die Wiederholung der vorigen Versuchs- 
reihe gab folgende Stromstärken. 


Luftdruck 27% Zoll; Luftdruck 1 Linie. 
Elektricitätsmenge. Erwärmung t) Erwärmung a 
12 19,7 0,55 19,4 0,54 
16 32,1 0,50 34,5 0,54 
20 44,5 0,45 62,7 0,63 
24 35 0,33 104 0,72 


Die stetig abnehmenden Werthe von a für die Versuche 
bei vollem Luftdrucke lehren, dafs hier die Entladung discon- 
tinuirlich geschah, wie auch der Anblick des Drathes lehrte, 
der bei Entladung der Elektricitätsmenge 24 dunkel glühte. 
War die den Drath umgebende Luft bis 1 Linie Druck ver- 
dünnt, so ergab die erste Beobachtung dieselbe Stromstärke 
wie vorher, zum Zeichen, dals hier noch die continuirliche 
Entladungsart statt fand, bei den folgenden Versuchen nahm die 
Stromstärke bedeutend zu und erreichte in der letzten Beob- 
achtung fast das Doppelte des früheren Werthes. Die grölsere 
Stromstärke konnte nur dadurch herbeigeführt sein, dafs die 
Entladung gleichzeitig durch den Metalldrath und die ihn um- 


1) Beiläufig sei bemerkt, dafs hier nur die Verhältnisse der Erwär- 
mungen bei dünner und dichter Luft, nicht die Erwärmungen selbst mit 
denen der vorigen Tafel verglichen werden dürfen. Diese wurden zwar 
an demselben Thermometer beobachtet; es hatte aber zu seinem Schutze 
an den Schlielsungsbogen ein Kupferzweig angelegt werden müssen, der 
das Thermometer umgab. Der Zweig hatte bei den Versuchen der vorigen 
Tafel 29 Zoll Länge bei % Linie Dicke, bei den hier angeführten 45 Zoll 
Länge bei $ Linie Dicke. 


vom 22. Mai 1856. 261 


gebende dünne Luft statt fand, wie auch der Augenschein dar- 
that. Es folgt hieraus, dals so lange eine gegebene Elektrici- 
tätsmenge sich in einem Drathe continuirlich fortpflanzt, die 
Entladung nur durch den Drath geschieht, und die ihn umge- 


. bende dünne Luft sich als Isolator verhält; dafs hingegen, wenn 


die Entladung im Drathe discontinuirlich geschieht, sie auch in 
einer Zweigbahn durch die Luft geht, diese also die Rolle eines 
Leiters spielt. So ist die von Harris gemachte Erfahrung erklär- 
lich, dafs es einer viel gröfseren Ladung der Batterie bedarf, um 
einen Drath in dünner, als in dichter Luft zum Glühen und 
Schmelzen zu bringen. Als die Elektricitätsmenge 28 durch 
den zuletzt gebrauchten Drath in dünner Luft entladen wurde, 
erschien der Glascylinder mit Licht erfüllt, und der Drath blieb, 
bis auf eine schwache Einbiegung, unversehrt. Als ich den 
Versuch bei vollem Luftdrucke wiederholte, wurde der Drath 
hellglühend in mehrere Stücke zerrissen. 

Die Versuche dieser Abhandlung sind möglichst einfach 
gehalten, und deshalb die Änderungen der Entladungsart allein 
durch Dicke und Beschaffenheit der Stromleiter bewirkt wor- 
den. Zum Schlusse will ich einen zwar verwickelten und kei- 
ner Genauigkeit fähigen, aber in mehrfacher Beziehung lehr- 
reichen Versuch beschreiben, in welchem die Entladungsart in 
freier Luft durch den Abstand der Elektroden geändert wird. 
Dals bei constanter Dichtigkeit der Luft die Entladungsart und 
Stromstärke geändert wird durch die Entfernung der Elektroden, 
ist an der Batterie mit Hülfe von 2 Metallspitzen zu zeigen, 
die in freier Luft in den Schlielsungsbogen eingeschaltet und 
in verschiedenen Abstand von einander gebracht werden. An 
dem Conductor der Elektrisirmaschine bedient man sich zu 
gleichem Zwecke einer stumpfen Metallspitze, die dem Con- 
ductor genähert und durch einen Drath, in den ein elektrisches 
Thermometer eingeschaltet ist, mit der Erde verbunden wird. 
Besonders auffallend wird aber dieser Versuch, wenn man da- 
bei die Erfahrung benutzt, die Gros gemacht und nach sorg- 
fältiger Beobachtung in einer eigenen Schrift‘) beschrieben 
hat, derzufolge man von dem Conductor mittels eines eigen- 


‘) Elektrische Pausen von Johann Friedrich Grofs.* Leipzig 1776. 


262 Gesammisitzung 


thümlich geformten Metallstückes kurze und lange Funken er- 
hält, aber keine von dazwischen liegender Länge. Ich schraubte 
an das Ende des Conductors einer Elektrisirmaschine einen im 
Winkel gebogenen Messingdrath, dessen freier, 8 Zoll langer, 
2+ Linie dicker, Schenkel horizontal lag und mit einer Mes- 
singkugel von 1 Zoll Durchmesser endigte. In der Verlänge- 
rung des horizontalen Schenkels war ein 2% Linie dicker Mes- 
singdrath in einer Metallhülse verschiebbar und endigte, der 
Kugel gegenüber, in einem Metallstück, das die Form eines 
geraden Cylinders hat, auf den ein abgestumpfter gleichseitiger 
Kegel aufgesetzt ist. Der cylinderförmige Theil des Metall- 
stückes ist 84 Linie breit, 24 Lin. hoch, die Seitenlinie 
des abgestumpften Kegels beträgt 7-- Lin., der Durchmesser 
des Abstumpfungskreises I Linie. Die Metallhülse war auf 
einem Glasstabe an der Kante eines Tisches befestigt, so dals 
der Raum zwischen der Kugel und dem Metallstücke von dem 
Tische entfernt war. Von der Hülse war ein Drath, in den 


ein elektrisches Thermometer eingeschaltet war, zu der allge- 
meinen Ableitung geführt, mit der auch das Reibzeug der Ma- 
schine verbunden war. Die Maschine wurde gleichförmig so 
lange gedreht, bis die Flüssigkeit im Thermometer ihren tief- 
sten Stand erreicht hatte. Ich erhielt in einer Versuchsreihe 
die folgenden Werthe der Erwärmung bei allmählig vergrölserter 
Entfernung des beschriebenen Metallstückes von der Kugel am 
Conductor. 


Entfernung d.Elektroden. Zoll + 4 4 1 1; 2 
Erwärmung 10«, N, m2 Ps 
Entfernung d. Elektroden. Zoll 25 3 35 4 4, 4; 
Erwärmung Bin eier y 14 van 


Diese bei zunehmender Entfernung der Elektroden beob- 
achteten Erwärmungen (deren absolute Zahlenwerthe begreif- 
lich nur als ein Beispiel gegeben sind und mit der Wirksam- 
keit der Maschine variiren) befolgen einen sehr aufallenden 
Gang. Wenn die Funken zwischen zwei Kugeln übergehen, 
so nimmt bis zum Abstande der Kugeln von 1 Zoll, die Er- 
wärmung im Drathe eher zu als ab, weil mit vergröfserte 
Abstande die übergehende Elektricität zwar an Menge geringer 


vom 22. Mai 1856. 263 


wird, aber an Dichtigkeit zunimmt. Hier sieht man in den 
ersten 3 Beobachtungen die Erwärmung schnell sinken, zum 
Zeichen, dals die Entladungsart, der erscheinenden Funken un- 
geachtet, sich immer mehr der Büschelentladung nähert. Bei 
4 Zoll Abstand erscheint diese Entladungsart auch dem Auge, 
und damit hört jede Spur von Erwärmung auf. Das Ausbleiben 
von Funken und Erwärmung dauert bei 14 und 2 Zoll Ab- 
stand fort. Bei 24 Zoll tritt wieder die Funkenbüschel-, und 
bei 3 Zoll die reine Funken-Entladung ein, die bis 44 Zoll 
die beobachteten Erwärmungen erklärt. Man hat also hier das 
überraschende Beispiel, dals bei fortdauernd steigender Entfer- 
nung der Elektroden die Funken- in die Büschel-Entladung und 
diese wiederum in jene übergeht. Verwickelt sind die Ver- 
suche dadurch, dals sie durch die spezielle Anordnung der Elek- 
tricität auf der Kugel bedingt sind, welche durch die Nähe des 
gerade so und nicht anders abgestumpften Kegels hervorge- 
bracht wird, und bei verschiedener Entfernung der Elektroden 
eine sehr verschiedene ist. Ändert man bei einer Entfernung, 
welche die Büschel-Entladung gibt, die elektrische Anord- 
nung auf den Elektroden durch Annäherung eines Leiters, so 
wird damit die Entladungsart und die Erwärmung geändert. 
Aus diesem Grunde konnte Grol[s bei den Entfernungen der 
Elektroden, welche keine Funken gaben, diese wieder erhalten, 
wenn er einen fremden Körper in die Nähe des Schlagraumes 
brachte. In den oben mitgetheilten Versuchen wurde bei Ent- 
fernung der Elektroden von 1 Zoll keine Erwärmung erhalten. 
Als ich ein kleines Brett in dem Abstande von 2 Zoll unter 
dem Schlagraume befestigte, wurde im Thermometer eine Er- 
wärmung von 7 Linien beobachtet. Die Büschel-Entladung 
war in eine aus Büscheln und Funken zusammengesetzte Ent- 
ladung übergegangen. 


Hr. H. Rose berichtete über eine Arbeit des Hrn. Heintz 
„über die Einwirkung des Chlorschwefels (SEI) auf 
einige Salze organischer Säuren.” 

Wenn dieser Körper mit ameisensauren Baryt zusammen- 
gebracht wird, so beobachtet man eine Gasentwickelung. Das 


264 Gesammtsitzung 


sich bildende Gas ist reines Kohlenoxydgas. Zugleich entsteht 
Ameisensäurehydrat, Chlorbaryum, schwefelsaure Baryterde und 
Schwefel scheidet sich ab gemäls der Formel 4(C? HO°’+ BaO), 
3€1S=2S, SO’+Ba0, 3 ElBa, 4 CO, 2(C?E0°’ +HO. 
Hierauf kann eine Methode gegründet werden, um Ameisen- 
säurehydrat zu gewinnen. Mischt man nämlich allmälig 3 Äqui- 
valente Chlorschwefel mit einer Mischung von 4 Äquivalenten 
eines trocknen ameisensauren Salzes und 4 Äquivalenten Was- 
ser, so erhält man durch Destillation der Mischung bei einer 
Temperatur von 110—120° C. reines Ameisensäurehydrat. Die 
Methode von Melsens zur Darstellung des Essigsäurehydrats 
läfst sich auf die Ameisensäure nicht anwenden, weil es nicht 
gelingt, saure ameisensaure Salze darzustellen. — Das wasser- 
freie essigsaure Natron giebt unter der Einwirkung des Chlor- 
schwefels zur Bildung wasserfreier Essigsäure Anlals gemäls 
der Formel 4(G? HE? 0’+Na 0), 3E1S=3£1Na, SO’+NaO, 
28, 4C*H? O°. Indessen bilden sich hierbei Nebenprodukte, 
namentlich solche, welche Schwefel enthalten, und diese ma- 
chen es unmöglich, den Chlorschwefel zur Gewinnung reiner 
wasserfreier Essigsäure anzuwenden. Schüttet man das trockne 
essigsaure Natron allmälig in den Chlorschwefel ein, so bildet 
sich aulserdem noch eine geringe Menge einer mit Wasser 
nicht mischbaren Flüssigkeit, die leichter flüchtig als Wasser 
ist, und darin untersinkt, und deren Natur Hr. Heintz wegen 
der zu geringen Quantität, welche er erhielt, bis jetzt noch 
nicht auszumitteln vermochte. — Hr. Heintz versuchte durch 
trockne Destillation des essigsauren Quecksilberoxyduls bei 
möglichst niedriger Temperatur wasserfreie Essigsäure zu ge- 
winnen. Allein um die Zersetzung einzuleiten ist eine Tem- 
peratur von 250? bis 300° C. nöthig und dafür wird bei die- 
ser Zersetzung nicht wasserfreie Essigsäure, sondern ein Ge- 
misch von Essigsäurehydrat mit Aceton und einer sauerstoff- 
reichern Substanz, die aber nicht Ameisensäure ist, gebildet. 

Bei Einwirkung des Chlorschwefels auf wasserfreies ben- 
zo@saures Natron bildet sich zuerst Benzoylchlorid neben Chlor- 
natrium, schwefelsaurem Natron und Schwefel gemäls der 
Formel 


{ 


vom 22. Mai 1856. 265 
2(C'*#?’0°’+-Na0)+3€1$=2S, SO’+Na0, 
2 
EINa, 2 (ca {Cı) 


Hat man aber einen Überschuls von benzo&saurem Natron 
angewendet, und erhitzt man die Mischung so lange bei 150° C., 
bis der Geruch nach Benzoylchlorid verschwunden ist, so ent- 
hält die Mischung wasserfreie Benzo&säure. Diese Zersetzung 
ist durch folgende Formel ausdrückbar: 

c“ en *#’0°’+-Na0=2C''H? 0°, EINa. 

Die wasserfreie Benzo&säure lälst sich nach dieser Methode 
sehr leicht rein darstellen. Hr. Heintz schreibt vor, die 
Masse durch Wasser, dem etwas kohlensaures Natron beigefügt 
ist, auszuziehen, sie dann mit Wasser zu waschen und auszu- 
pressen. Man macht sie dann im Wasserbade flüssig, fügt Al- 
kohol von der Temperatur von 50°C. hinzu, bis, abgesehen 
von dem vorhandenen Schwefel, die Auflösung vollkommen ge- 
schehen ist. Dann filtrirt man und läfst das Filtrat kalt stehen. 
Die wasserfreie Benzo@säure krystallisirt dann heraus. Aus der 
davon geschiedenen Flüssigkeit können durch Vermischen der 
Lösung mit etwas kochendem Wasser und nochmaliges Er- 
kalten noch mehr dieser Krystalle erhalten werden, die ganz 
rein sind. Die zuerst gewonnenen Krystalle enthalten noch 
etwas Schwefel, von dem sie dadurch befreit werden können, 
dals man sie im Wasserbade schmilzt, und von den leicht zu 
Boden sinkenden Krystallen des Schwefels abgielst. Sollte die 
Substanz noch etwas gelb erscheinen, so kann man sie noch- 
mals auf dieselbe Weise in Auflösung bringen, der warmen 
Lösung etwas frisch geglühte, mit Säuren ausgelaugte Thier- 
_ koble hinzufügen, und nun filtriren. Die nun anschiefsenden 
_ Krystalle sind vollkommen farblos. 
Bei Gelegenheit der Untersuchung des Rückstandes, wel- 
| cher namentlich bei Einwirkung des Chlorschwefels auf essig- 
saures Natron nach vollendeter Destillation bleibt, beobachtete 
Hr. Heintz, dals aus der heifsen alkoholischen Hände neben 
rhombenocta@drischem Schwefel lange feine nadellörmige Kry- 
stalle entstanden. Er fand jedoch, dafs diese Krystalle auch 
Schwefel sind, die sich erzeugen lassen, wenn man aus Schwe- 


266 Gesammtsitzung 


felleber frisch gefällten Schwefel mit Alkohol kocht und die 
Lösung heils filtrirt. Gewöhnliche Schwefelblumen, so wie 
vor längerer Zeit präcipitirter Schwefel gaben diese nadel- 
förmigen Krystalle nicht. 


Hr. Alexander von Humboldt legte der Akademie die 
neuesten Erzeugnisse der Photographie auf Copieen von ar- 
chitectonischen Ornamenten und Inschriften in sehr grolsem 
Maalsstabe bezüglich in 3 Blättern vor. 


Hr. Klotzsch berichtete über die in der physikalisch- 
mathematischen Klasse bereits vorgelegte Abhandlung des Hrn. 
Dr. Schacht über „den Vorgang der Befruchtung bei 
Gladiolus segetum.” 

Das Verlangen, einen grofsen Irrthum, in dem ich lange, 
jedoch nicht ohne Grund, befangen war, berichtigen zu kön- 
nen, veranlalst mich zunächst zu dieser Mittheilung, denn nicht 
im Pollenschlauch entsteht, wie ich bisher geglaubt, die erste 
Zelle des Pilanzenkeims, derselbe veranlalst vielmehr, 
in einer höchst eigenthümlichen Weise, die Bil- 
dung dieser ersten Zelle, aus einer im Embryosack 
schon vor der Befruchtung vorhandenen, membran-. 
losen, Körnermasse. Ich war so glücklich im Gladiolus 
segetum, einem sehr gemeinen Unkraut der Getreidefelder Ma- 
deira’s, eine Pflanze zu finden, welche das Freilegen der Em- 
bryosackspitze und des Pollenschlauches in allen Stadien vor, 
während und nach der Befruchtung zuläfst, so, dafs es mir 
gelungen ist die Beziehungen der betreffenden Theile zu ein- 
ander, Schritt für Schritt kennen zu lernen. Die Sache ver- 
hält sich folgendermalsen: 

Kurz vor dem sich die schöne blau-rothe Blüthe entfaltet, 
findet man im Fruchtknoten die umgewendete (anatrope) Saa- 
menknospe mit einem Embryosack versehen, der in der Spitze 
des Knospenkerns entstanden, das Gewebe des letzteren über 
sich bereits resorbirt hat, so, dafs er frei unter der inneren 


vom 22. Mai 1856. 267 


Knospenhülle (integumentum internum) liegt (F. 1.). Am un- 
teren Ende (Chalaza-Ende) des Embryosacks liegen um diese 
Zeit 2, seltener 3 Zellen mit körnigem Inhalt und einem 
Zellenkern versehen, welche von einer festen Membran be- 
kleidet sind, die sich beim Gerinnen des Inhalts durch Wasser 
oder Salzlösungen von dem letzteren abhebt. Die Basis dieser 
Zellen verliert sich in eine fadenförmige Verlängerung des 
Embryosacks, welche schwer sichtbar zu machen ist. Am an- 
deren Ende des Keimsacks (Mikropyle-Ende) erblickt man um 
dieselbe Zeit eine Anhäufung körniger Stoffe, welche in der 
Regel die Gestalt zweier Zellen verräth, jedoch keine hinrei- 
chend scharfen Umrisse zeigt. Durch sorgfältiges Präpariren 
mit der Nadel, bei 30facher Vergröfserung gelingt es bis- 
weilen die Spitze des Embryosacks so frei zu legen, dals diese 
Körnermassen unverändert bleiben; man sieht alsdann 2 keil- 
förmige Körperchen, dicht neben einander liegend, mit ihrer 
Spitze frei über die Membran des Embryosacks hervorragen 


(F. 2—4.). Die obere Hälfte dieser Körperchen ist scharf um- 


* 


grenzt, sie zeigt eine zarte Längsstreifung (F. 4. x) und bricht 
das Licht im hohen Grade, während die untere Hälfte aus jener 
körnigen Masse besteht (F. 4. y), die man schon vor dem Frei- 
legen des Embryosacks wahrnehmen konnte. Häufig zergeht 
die Körnermasse schon bei der leisesten Berührung, so, dafs 
nur die obere festere, bis dahin unsichtbare Hälfte der Kör- 
perchen mit der Membran des Embryosacks verbunden bleibt 
(F. 2. u. 3.), noch häufiger trennt sich aber auch diese von 


- der Membran und bleibt beim Präpariren im Mikropyle- Kanal 


hängen. Nicht selten gelingt es aber auch das eine oder beide 


dieser Körperchen vollständig zu isoliren (F. 5.). Zerreilst 


man ein solches mit Hülfe der Nadel, so erscheint der obere 
gestreifte glänzend durchsichtige Theil aus einer Menge zarter 


76 Millimetre langer Fäden zusammengesetzt, welche schwach 


eontourirt sind und durch Jod gelb gefärbt werden. Auch die 
Körnermasse, welche den unteren Theil dieser Körperchen bil- 
det, nimmt solche Färbung an. Jod und Schwefelsäure be- 
wirken keine wesentliche Veränderung, sowohl der Fäden als 
der Körner, Zucker und Schwefelsäure rufen dagegen eine hell- 
rolhe Färbung hervor. Genannte Körperchen sind dasjenige 


268 Gesammtsitzung 


was Amici, von Mohl, Hofmeister und Radlkofer 


Keimbläschen nennen, dieselben werden von ihnen als Zel- 


len beschrieben, die einen Kern und körniges Protoplasma ent- 
halten sollen. So sehr ich nun nach meinen eigenen bishe- 
rigen Untersuchungen, dergleichen nach denen genannter Her- 
ren, geneigt bin, anzunehmen, dafs jene Körperchen zu einer 
bestimmten Zeit wirklich Zellennatur, d. h. eine Membran und 
einen Zellkern zeigen, so muls ieh doch, wenigsten für Gla- 
diolus segetum, aufs bestimmteste behaupten, dals ihnen zur 
Zeit der Befruchtung der Charakter einer Zelle abgeht, indem 
sie weder eine feste Membran noch einen Zellkern besitzen, 
dagegen im oberen Theil mit jenen Fäden versehen sind, 
welche vor mir noch kein Beobachter wahrgenommen hat. 
Die Entwickelungs-Geschichte dieser Körperchen im Embryo- 
sack ist mir leider dunkel geblieben, weil es mir niemals ge- 
gelingen wollte, denselben in einem noch früheren Zustande ohne 
Verletzung der betreffenden 'Theile freizulegen. Der Mangel 
einer festen Membran um die körnige Protoplasma-Masse jener 
Körper zeigt sich hier beim Vergleich der im entgegenge- 
setzten Ende des Embryosacks gelegenen Zellen (F. 2. z), bei 
denen sich eine solche durch Einwirkung von Wasser oder 
Salzlösungen abhebt, um so deutlicher. 

Der unbefruchtete Embryosack enthält weiter keine Zellen, 
wohl aber ist sein Zellsaft mit feinkörnigen Stoffen, die na- 
mentlich im Umkreis desselben reichlicher vorhanden sind, unter- 
mengt, auch kommen bisweilen freie Zellkerne vor. Das in 
der Resorption begriffene Zellgewebe des Knospenkerns, wel- 
ches den Embryosack umgiebt, enthält runde Stärkemehlkörner. 

Bestäubt man die sich öffnende Blüthe, deren 3lappige 
Narbe sich um dieselbe Zeit entfaltet, so haften die Pollen- 
körner sofort an den langen walzenförmigen Narbenhaaren, 
welche von einer stark lichtbrechenden Flüssigkeit strotzen und 
in 2 Längsreihen den Rand der Narbe zieren. Schon am 3ten 
Tage nach der Bestäubung findet man die Pollenschläuche in 
der Fruchtknotenhöhle, sie haben demnach den ziemlich langen 
Weg (der Staubweg mifst 36—40 Millimetres) in verhältnifs- 
mälsig kurzer Zeit zurückgelegt. Am 4ten Tage erblickt man 
‘in der Regel im Knospenmunde jeder Saamenknospe einen oder 


vom 22. Mai 1856. 269 


mehrere (bis 3) Pollenschläuche, aber schon am 3ten Tage sind 
einzelne Saamenknospen befruchtet. In der Regel verwelkt die 
Blüthe schon am 2ten Tage nach der Bestäubung. Für die 
letzten mufs der Wind nothwendig sein, denn Blüthen, welche 


von mir im Zimmer gebalten wurden, waren nicht bestäubt, 
während die Narben anderer auf den Feldern mit Pollenkörnern 
übersäet erschienen; fast jede Saamenknospe wird alsdann be- 
fruchtet. 

Das Pollenkorn ist unter Wasser gesehen kugelrund und 
mit sehr feinkörnigem Inhalt, der seinen Zellkern verdeckt, 
erfüllt, es hat nur eine verdünnte Stelle zum Austritt des 
Pollenschlauchs, welche beim trocknen Korn, wie bei der Mehr- 
zahl der Monocotyledonen, in einer Längsfalte liegt. Schwe- 
felsäure färbt den Inhalt dunkel-rosenroth, Zucker und stick- 
stoffhaltige Substanz sind demnach reichlich vorhanden, Öl und 
Stärkemehl fehlen dagegen, indem durch Jodlösung keine blaue 
Färbung erfolgt und auch die Schwefelsäure keine Öltropfen 
frei macht. Die Pollenschläuche sind zwar zart, aber dennoch 
ziemlich derber Natur, sie steigen in groflser Anzahl in dem 
ziemlich weiten Staubwegkanal hinab und werden vom leiten- 
den Gewebe der Saamenträger den Saamenknospen zugeführt. 

 Verzweigte Pollenschläuche sah ich aulserhalb der Saamen- 
knospe nicht. 

Untersucht man nun am 3ten Tage nach der Bestäubung 
die Saamenknospen wieder, so findet man im Embryosack die 
oben beschriebenen Verhältnisse, gleichgültig, ob schon ein 
Pollenschlauch in den Knospenmund eingedrungen ist oder 
nicht. Gelingt es jetzt, oder am 4ten Tage nach der Be- 


\stäubung, die betreffenden Theile unversehrt freizulegen, so 
findet man den Pollenschlauch in inniger Berührung mit den 
frei aus der Spitze des Embryosacks hervorragenden Körperchen. 
Bisweilen läfst sich derselbe noch von ihnen trennen, häufiger 
dagegen sind sie schon so fest mit einander verbunden, dals 
jene Körperchen nicht unversehrt vom Pollenschlauch entfernt 
werden können, vielmehr die Fäden derselben an ihm hängen 
bleiben und man die beste Gelegenheit erhält ihre Gestalt und 
Gröfse kennen zu lernen (F. 9. x! u. x), seltener zieht man 
die am Pollenschlauch hängenden Körperchen mit ihm aus dem 


270 Gesammtsitzung 


Embryosack hervor (F. 8.), wobei die körnige Protoplasma- 
Masse des untern Theils derselben in der Regel verloren geht - 
(F.8. x). Die Pollenschlauchspitze ist um diese Zeit mit 
einem feinkörnigen Inhalt erfüllt, welcher durch Jod gelb ge- 
färbt wird und durch Zucker und Schwefelsäure eine rothe 
Färbung annimmt, grölsere Körner und Öltropfen sind auch 

hier nicht bemerkbar, ihre Membran ist zart, sie scheint überall | 
vollständig geschlossen zu sein. Einmal gelang es mir den 

Pollenschlauch mit einem durchaus unverletzten Keimkörper- 
chen') aus einer vor 3 Tagen bestäubten Blüthe freizulegen, 
während das andere durch die Nadel verletzt war (F.8.). Die 
Protoplasma-Masse erschien hier schon an einigen Stellen schär- 


fer contourirt. 

Ist nun die Saamenknospe befruchtet, so erblickt man als 
erstes Kennzeichen dieses Vorganges (am 4ten oder dten Tage 
nach der Bestäubung) eine feste Membran um die Plasma-Masse 
der Keimkörperchen. Diese Wahrnehmung trügt nie- 
mals und man erkennt sie schon auf gelungenen Längsschnitten 
vor Entfernung der Knospenhüllen. Selbst da, wo der Pollen- 
schlauch im Knospenmund nicht sichtbar ist, findet man ihn in 
allen Fällen beim Freilegen der Spitze des Embryosacks 
mit einem oder häufiger mit beiden Keimkörperchen fest ver- 
bunden, sobald dieselben eine durch Wasser oder durch Salz- 
lösungen sich abhebende Membran besitzen. Das Pollenschlauch- 
Ende ist jetzt in der Regel mehr oder weniger angeschwollen, 
auch erscheint es stärker verdickt, sein körniger Inhalt ist ver- 
schwunden (F. 10., 12., 13., 20., 22., 23., 24., 25. u. 26.). 
Die Keimkörperchen lassen sich jetzt ohne Zerreilsung nicht 
mehr vom Pollenschlauche trennen, wohl aber gelingt es die- 
selben mit ihm verbunden zu isoliren, wie die Figuren 14., 
15. und 17. beweisen können. Welcher Art die Verbindung 
des Pollenschlauchs mit der Spitze der Keimkörperchen ist, 
kann ich zwar nicht angeben, jedenfalls ist sie aber eine sehr 
innige und auf beide Theile zurückwirkende, denn das Keim- 


1) Ich würde gern die Benennung Keimbläschen beibehalten, wenu 
sie mit der Natur der Körperchen, die keine Bläschen sind, vereinbar wäre, 
so aber ziehe ich vor sie Keimkörperchen zu nennen. 


vom 22. Mai 1856. 271 


körperchen erhält erst, nachdem sie erfolgt ist, seine Mem- 
bran und wenig später im Innern seiner Plasma-Masse einen 
Zellkern, während das Pollenschlauch-Ende anschwillt, seine 
Wand verdickt und seinen körnigen Inhalt verliert. Ganz ent- 
schieden haben jene Fäden, welche schon vor der Befruchtung 
die Spitze der Keimkörperchen bilden, hier eine wesentliche 
Bedeutung, denn sie fehlen niemals und bewirken augen- 
scheinlich die directe Berührung und den innigen Zusammen- 
hang des Pollenschlauchs mit genannten Körperchen. In wel- 
cher Weise sie aber den Übergang des Pollenschlauch-Inhaltes 
in die Plasmamasse der Keimkörperchen vermitteln, kann ich 
so wenig angeben, als ich über ihren direkten Antlıeil an den 
weiteren Vorgängen im Innern dieser Masse zu entscheiden 
vermag. Eine Bewegung der Fäden habe ich niemals gesehen 
und doch müssen selbige, wenn überhaupt bei den Phanero- 
gamen sogenannte Spermatozoen gefunden werden sollen, deren 
Analoga sein, denn im Pollenschlauch selbst sind solche, zum 
wenigsten bei Gladiolus segetum zur Zeit der Befruchtung 
sicher nicht vorhanden. Wunderbar wäre es alsdann, dafs 
diese Fäden im entschieden weiblichen Theile, im Keimkör- 
perchen selbst, vorkommen.') Die Befruchtung durch den 
Pollenschlauch kann, wie ich nach obigem glaube, nicht wohl 
durch einfache Diffusion erklärt werden, wie dies von Mohl, 
Hofmeister und Radlkofer geschehen ist, weil die Dif- 
fusion eine Zellwand der Keimkörperchen, welche sicher fehlt, 
voraussetzt, dagegen gelang es mir auch nicht mit Sicherheit 
Öffnungen im Pollenschlauche zu finden, Andeutungen derselben 
habe ich allerdings gesehen (F. 19.). 

Die junge Membran, welche um das Keimkörperchen ent- 
steht, umfasst dasselbe, wie es scheint, vollständig, doch hebt 
sie sich nur im unteren Theile von dem Inhalt ab, während 
sie sich der Spitze, immer zarter werdend, dicht anlegt (F. 14. 
u. 16.). In der Regel werden beide Keimkörperchen durch 
einen Pollenschlauch befruchtet, da sie schon wegen ihrer 
Lage beide mit demselben in Berührung kommen (F. 12., 
13., 14., 15., 22., 25. u. 26.), beide erscheinen deshalb in 


*) Ich werde diese Fäden vorläufig Befruchtungsfäden nennen. 


272 Gesammtsitzung 


den citirten Fällen von einer festen Membran bekleidet und 
hängen, wenn es gelingt den Pollenschlauch mit ihnen von der 
Haut des Embryosacks zu befreien, als kegelförmige Säckchen 
an demselben (F. 14. u. 16... Nach der Lage des Präparates 
unter dem Mikroskop kann es nun bisweilen scheinen, als ob 
diese befruchteten Keimkörperchen im Pollenschlauch selbst 
entstandene Zellen wären, welche später durch Abschnürung 
oder durch das Entstehen einer Scheidewand wieder von ihm 
getrennt wurden (F. 17.). 

Sehr häufig dringen 2 Pollenschläuche bis zum Embryo- 
sack hinab und treffen dort auf die frei aus ihm vorsehende 
Spitze der Keimkörperchen; der Erfolg ist deshalb kein an- 
derer (F. 21.). Nicht selten verzweigt sich auch der Pollen- 
schlauch im Knospenmund (F. 11.), ja, ich fand sogar einmal 
den höchst interessanten Fall, dafs beide Keimkörperchen durch 
einen Pollenschlauch befruchtet waren und ihrerseits beide 
bedeutende Aussackungen gebildet hatten, so, dals bei ober- 
flächlicher Betrachtung 4 befruchtete Keimkörperchen im Em- 
bryosack zu liegen schienen (F. 20.). 

Wenn nun durch Berührung mit dem Pollenschlauch beide 
oder in seltenen Fällen nur ein (F. 24.) Keimkörperchen be- 
fruchtet und in Folge dessen von einer Membran umkleidet 
wird, so erscheint bald darauf (den Tag vermag ich nicht zu 
bezeichnen) im unteren Theil der Protoplasma-Masse ein Zell- 
kern (F. 14. u. 15.) und wieder etwas später erblickt man über 
demselben eine zarte Scheidewand (F. 21—24.). Jetzt ist die 
erste Zelle des Keimes fertig; der über ihr gelegene Theil (y) 
des befruchteten Keimkörperchens wird zum Embryoträger, 
während die Spitze x noch lange mit dem Pollenschlauch-Ende 
in Berührung bleibt. Allmälig werden die Fäden dieses Thei- 
les undeutlicher und zuletzt erblickt man statt ihrer nur eine 
glänzende, formlose, bisweilen gelblich gefärbte Masse, welche 
die Spitze des Embryosacks, desgleichen das auf ihn ruhende 
Pollenschlauch-Ende umgiebt (F. 23. U u. 26. x! u. z]I). Jetzt 
trennen sich in der Regel beide Theile leicht und ohne Zer- 
reilsung von einander und es gelingt nicht mehr, wie vorhin, 
den jungen Embryo mit dem Pollenschlauch in Verbindung aus 
dem Embryosack hervorzuziehen, derselbe ist vielmehr durch 


vom 22. Mai 1856. 273 


‚seinen Träger mit dem letzteren, der sich sichtbar verdickt 
hat, innig verbunden. Obschon in der Regel beide Keim- 
körperchen befruchtet werden, so wächst doch immer nur 
Eins derselben weiter, während das Andere, so weit ich beob- 
achtet habe, niemals bis zur Bildung der ersten Scheidewand 
gelangt; für lange Zeit ist es noch als Zelle neben der sich 
‘weiter ausbildenden Embryo- Anlage bemerkbar; bis es durch 
die Bildung des Saameneiweilses unkenntlich wird (F. 27. u. 28.). 

Nachdem nun die erste Zelle des Keimes entstanden ist, 
theilt sich darauf dieselbe nochmals in wagerechter Richtung 
(F. 25. u. 26.), dieselbe Theilungsweise mag sich vielleicht 
‚noch einmal wiederholen und darauf in der untersten Zelle in 
'senkrechter Richtung stattfinden, wie F. 27. vermuthen läfst. 
Während die Saamenknospen bedeutend wachsen, bildet sich 


‚darauf der Embryo in ihnen nur sehr langsam weiter (F. 28.). 
| in anfänglich durch freie Zellenbildung vom Umkreis des Em- 
!bryosacks aus entstandenes Saameneiweils, dessen Zellen klaren 


| 


Saft enthalten, umgiebt denselben. Ich hatte bis jetzt nicht 
| ” ” 
Gelegenheit reife Saamen zu untersuchen. 


Blicken wir jetzt auf das Beohachtete zurück und versuchen 
wir, dasselbe mit meinen früheren Wahrnehmungen, desgleichen 
mit den Angaben anderer Forscher in Einklang zu bringen. 
Bei Gladiolus segetum dringt der Pollenschlauch nicht in den 
Embryosack, er kommt aber dennoch mit den Keimkörperchen 
in directe Berührung, weil diese mit ihrer Spitze frei aus 
dem Embryosack hervorragen. Das Hervorwachsen jener Kör- 
'perchen vor der Befruchtung erklärt nun vollständig das freie 
ervorragen des schlauchförmigen Embryoträgers von Pedicu- 
aris und Zathraea, wie ich dasselbe für genannte Pflanzen 
nachgewiesen babe, und welches mich in vielen Fällen (Flora 
855 Taf. II F. 4., 5. u. 7.; desgleichen Taf. XVI F. 13.) 
nothwendig zu der Ansicht führen mulste, dafs dieser schlauch- 
örmige Embryoträger eine directe Verlängerung des einge- 
drungenen Pollenschlauchs sei. Die Membran des Embryosacks 
‚bedeckt auch hier den hervorragenden Theil des Embryoträgers 
nicht, wie meine Präparate mit Sicherheit beweisen. Das- 
selbe Verhältnifs ist auch für Szachys silvatica nicht selten. 
[1856.] 20 


274 Gesammtsitzung 


Beide Keimkörperchen werden nun durch einen Pollen- | 
schlauch befruchtet, aber nur Eins derselben entwickelt sich 
weiter. Dieses Verhältnifs wirft ein Licht auf Radlkofer’s 
Beobachtung an Euphrasia Odontites, bei welcher Pflanze nach | 
ihm nur dasjenige „‚Keimbläschen” befruchtet werden und einen 
Keim ausbilden soll, welches mit dem Pollenschlauch nicht 
direct in Verbindung trat. Auch hier werden aller Wahr- 
scheinlichkeit nach beide Körperchen befruchtet, aber nur das 
Eine entwickelt sich weiter. Ich habe nämlich allen Grund 
anzunehmen, dafs auch hier der Vorgang der Befruchtung dem | 
von Gladiolus segetum ähnlich ist und dafs Radlkofer das 
wahre Verhältnils der Keimkörperchen (Keimbläschen) zur Zeit 
der Befruchtung und den Vorgang des letzteren selbst nicht 
wahrgenommen hat. Dafs beide Keimkörperchen später eine 
feste Membran besitzen, bürgt mir schon dafür, dafs beide 
befruchtet wurden, ich mufs deshalb annehmen, dafs beide mit 
demselben Pollenschlauch, in der für Gladiolus beschriebenen 
Weise, in Berührung traten. Übrigens sind diejenigen Fälle 
für Pedicularis und Lathraea, wo nach meiner frühern Deu- 
tung nur ein Pollenschlauch eingedrungen war (Flora 1855 
Taf. II F.+4., 5., 7. und Flora 1855 Taf. XVI F. 11. u. 12.), 
hinreichende Bewerte dals auch bei diesen Pflanzen bisweilen 
nur ein Keimkörperchen befruchtet wird. 

Bei Canna soll nach einstimmiger Angabe Aller, die sich 
mit der Befruchtung dieser Pflanze beschäftigt haben, der Pol- 
lenschlauch wirklich in den Embryosack eindringen. Ich selbst 
glaube dasselbe durch ein sehr gutes Präparat beweisen zu 
können '), bin aber jetzt entschieden überzeugt, dals auch hier 
der Pollenschlauch nicht selbst des Keimes erste Zelle bildet, 
vermuthe jedoch, dafs hier, sowie in allen Fällen wo die Keim- 
körperchen nicht frei aus dem Embryosack berwOr Is, ein 
Eindringen des Schlauches nothwendig ist. Eine innige Ver- 
bindung desselben mit den Keimkörperchen findet sähe statt, 
denn es ist mir früher mehr als einmal gelungen, den Pollen. 
schlauch im Zusammenbang mit den ersten Zellen des Keime 
freizulegen. Bei Yiscum album soll auch nach Radlkofe 


?) Meine Preisschrift. Taf. VILF. 3. 


vom 22. Mai 1856. 275 


der Pollenschlauch in den Embryosack dringen; ich glaube das- 
selbe bestätigen zu müssen (Flora 1855 Taf. II F. 15. u. 16.). 
Nur das Präparat, welches Deecke von Pedicularis silvatica 
erhalten hat (Flora 1855 Taf. II F. 2. u. 3.), bleibt zur Zeit 
räthselhaft. Ich kann es nicht mit Hofmeister und Radl- 
kofer für ein „Kunstprodukt” erklären, weil Deecke selbst, 
in Folge jener Behauptungen, später versucht hat, den Schlauch 
vor- oder rückwärts zu ziehen, was in keiner Weise möglich 
war; wonach derselbe wirklich, wie ich es früher angenommen 
habe, mit der Membran des Embryosacks verwachsen zu sein 
scheint. Der Fall ist überhaupt abnormer Art und es wäre 
immerhin möglich, dafs hier der Embryoträger sich nach aulser- 
halb des Keimsacks verlängert hätte, wie ich einen solchen Fall 
für Lathraea (Flora 1855 Taf. II F.7.) beweisen kann. Ab- 
normitäten kommen, wenn man viel und sorgfältig untersucht, 
mehr oder weniger bei jeder Pflanze vor; F. 20. des Gladiolus 
mag hier als Beispiel dienen. 

Ich muls wie früher darauf bestehen, dafs zur Lösung die- 
ser so überaus schwierigen Frage ein vollständiges Frei- 
legen der betreffenden Theile durchaus nothwendig ist, 
habe mich jetzt aber überzeugt, dals auch dies nicht aus- 
reicht und dals eine vollkommen lückenfreie Folge der 
Zustände nach einander, vor, während und nach dem Zu- 
sammentrelfen des Pollenschlauchs mit dem Embryosack durch- 
aus unerlälslich ist. Lücken in der Reihenfolge der Ent- 
wickelungs- Zustände und namentlich Unkenntnils der feineren 
Verhältnisse unbefruchteter Saamenknospen waren die Ursachen 
meines bisherigen Irrthums. Aber nicht viel besser erging es 
meinen Gegnern, die zum Theil einen andern Weg der Unter- 
‚suchung verfolgten und von dem Freilegen abstanden. Selbst 
Radlkofer hat, wie ich hier nachgewiesen habe, das Wahre 
nicht getroffen, obschon seine Untersuchungen über das Ver- 
halten des unbefruchteten Embryosacks von Euphrasia schon 
etwas mehr Licht verbreiten. Die Schwierigkeit der Unter- 
suchung selbst trägt zunächst die Schuld der Irrthümer, in 
welche beide Parteien gefallen sind; doch darf ich jetzt er- 
warten, dals sich beide, von wahrem Eifer für die Wissen- 

20* 


276 Gesammtsitzung 


schaft beseelt, vereinigen und mit erneueter Kraft auch diese 
Frage zum guten Ende führen werden. 

Mit der Erkenntnifs meiner Irrthümer, über welche ich 
mich doppelt freuen mufs, da mir das Glück die rechte 
Pflanze zuführte und damit die Gelegenheit gab, die Frage 
selbst ihrem Ziele näher zu bringen und bis dahin unlösbare 
Räthsel zu entwirren, fallen natürlich auch meine früheren 
Ansichten über die Befruchtung der Phanerogamen, obschon 
die Thatsachen, auf welchen sie sich gründeten, stehen bleiben, 
soweit selbige sich nämlich auf Untersuchungen beziehen, wo 
Embryosack und Pollenschlauch freigelegt wurden. Auf Beob- 
achtungen, welche dieser Anforderung nicht entsprechen, kann 
ich dagegen, sie mögen nun von mir selbst oder von anderen 
Forschern herrühren, wie früher, kein Gewicht legen, weil 
man wol niemals im Stande ist über so zarte Verhältnisse, wie 
sie hier vorkommen, ohne ein gänzliches Freilegen der betref- 
fenden Theile mit einiger Sicherheit zu entscheiden. Und so 
biete ich denn meinen bisherigen Gegnern in dieser Sache 
gern und ohne Rückhalt die Hand zur Versöhnung, indem ich 
alles zurücknehme, was ich früher, als ich mich gegen sie im 
Rechte glaubte, wider ihre Untersuchungen gesagt habe, er- 
warte aber, dals auch sie rechtlicher Weise meine ernsten Be- 
strebungen in dieser Frage anerkennen werden. 

Und nun zum Schluls ein kurzes Resume: 

Im unbefruchteten Embryosack von Gladiolus segetum lie- 
gen, dem Mikropylekanal dicht angeklemmt, zwei Keimkör- 
perchen, welche im oberen Theil aus einem Bündel zarter 
Fäden, im unteren dagegen aus einer körnigen Protoplasma- 
Masse bestehen. Diese Keimkörperchen sind zur Blüthezeit 
von keiner festen Membran umhüllt, ihre Spitze ragt frei 
aus dem Embryosack hervor. Am öten oder 4ten Tag nach 
der Bestäubung trifft der Pollenschlauch auf die Keimkörperchen 
und verbindet sich innig mit ihnen und als erstes Produkt des 
Zusammentreffens entsteht um letztere eine feste Membran. 
Das Pollenschlauch-Ende schwillt dabei an, verdickt sich und 
verliert seinen körnigen Inhalt. Beide Keimkörperchen wer- 
den in der Regel durch einen Pollenschlauch befruchtet, aber 
nur Eines derselben entwickelt sich weiter, indem in seiner 


vom 22. Mai 1856. 277 


Plasma-Masse ein Zellkern und bald darauf über demselben eine 
wagerechte Scheidewand auftritt. Die so entstandene erste 
Zelle der Keimanlage wächst allmälig zum Embryo heran, wäh- 
rend der über ihr gelegene Theil des früheren Keimkörper- 
chens zum Embryoträger wird, der mit der Wand des Embryo- 
sacks fest verbunden scheint. Nicht selten treten zwei oder 
drei Pollenschläuche herab, ohne dadurch wesentliche Ände- 
rungen hervorzurufen; desgleichen verzweigt sich der Pollen- 
schlauch bisweilen im Knospenmunde, und ebenso verzweigen 
sich, jedoch gar selten, auch die befruchteten Keimkörperchen 
im Embryosack. Der Pollenschlauch wirkt darnach befruch- 
tend, aber nicht, wie ich früher angenommen habe, direct 
keimbildend, denn in seinem Innern entsteht nicht die erste 
Zelle des Keimes, es bildet sich vielmehr durch seine Vermit- 
telung aus einer körnigen Plasma-Masse, die schon vor der Be- 
fruchtung im Embryosack vorhanden ist, erst diejenige Zelle, 
aus welcher allgemach der Embryo so wie sein, Träger her- 
vorgehen. Jene Fäden (Befruchtungsfäden), aus welchen 
die Spitze der Keimkörperchen besteht und die ich stets un- 
beweglich fand, sind für den Befruchtungsakt durchaus wesent- 
lich, doch scheinen sie direct an der Bildung der ersten Zelle 
des Keimes keinen Theil zu nehmen. 


Erklärung der Abbildungen. 


Sämmtliche Figuren sind nach unter Chlorcaleium aufbewahrten Präpa- 
raten, welche sämmtlich noch jetzt vorhanden sind, und mit denselben 
verglichen werden können mit Hülfe der Camera lucida entworfen, und 
überdies mit gröfster Sorgfalt ausgeführt, sie geben ein durchaus ge- 
treues Bild der Präparate. Die Vergrölserung ist durch Bruchzahl neben 
jeder Figur angegeben. Überall sind für gleiche Theile dieselben Be- 
zeichnungen gewählt; wo in einer Figur zwei gleiche Theile vorkommen, 
sind sie mit I und II bezeichnet. Die Benennungen sind folgende: 


ch. Chalaza, 

em. Embryo. 

ie, Integumentum externum. 
ü,  Integumentum internum, 
nc. Nucleus. 

ra. Raphe. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 10., 


Fig. 11. 


Fig. 14., 


Gesammtsitzung 


Sacculus embryonalis. 

Tubus pollinis. | 

Der obere "Theil des Keimkörperchens, sowie die Fäden desselben. 
Der untere Theil, sowie dessen Protoplasma-Masse. 


.1. Längsschnitt durch eine Saamenknospe, 3 Tage nach der Be- 


stäubung; im unteren Ende der Embryosacks liegen 2 Zel- 


len (z). 


.2. DerEmbryosack aus einer Saamenknospe kurz vor der Blüthe- 


zeit. Im unteren Ende desselben 2 Zellen (z), im oberen 
2 Keimkörperchen (a! u. zII ). 


.3. Die Spitze des Embryosacks aus derselben Zeit, die Keim- 


körperchen sehen weit hervor. 


.4. Die Spitze eines anderen Embryosacks, am dritten Tage nach 


der Bestäubung. 

Ein unbefruchtetes Keimkörperchen gänzlich freigelegt. 

Das auf Fig. 4. dargestellte Präparat stärker vergrölsert. 

Ein Pollenkorn; welcher anfängt seinen Schlauch zu treiben. 
Zwei Pollenschläuche aus einer Saamenknospe, am 3ten Tag 
nach der Bestäubung, freigelegt. Der eine Schlauch (pl! ) 
desgleichen das eine Keimkörperchen (zII) ist beim Präpa- 
riren verletzt wurden. 


nn a et 


9. Zwei Pollenschläuche aus einer Saamenknospe desselben 
Fruchtknotens; die anhängenden Fäden (r), welche sich 
unter Chlorcaleciumlösung vorzüglich gut erhal- 
ten, sind hier besonders deutlich. 


12. u. 13. Präparate, am Äten Tag nach der Bestäubung erhalten. 
Die Spitze des Embryosacks vollständig freigelegt. 


Zwei Pollenschläuche aus dem Knospenmund einer Saamen- 
knospe, von denen einer verzweigt ist. 

15., 16. u. 17. Pollenschläuche mit ihren fest anhängenden, durch 
sie befruchteten, Keimkörperchen. Fig. 15. u. 16. stellt das- 
selbe Präparat in verschiedenen Lagen dar. Bei Fig. 17. ist 
das zweite Körperchen im Embryosack zurückgeblieben. 


Fig. 18.u. 19. Isolirte Pollenschlauch-Enden aus etwas späteren Zuständen, 


Fig. 20, 


Fig. 21. 


wo sich derselbe vom befruchteten Keimkörperchen trennen 
läfst. Bei Fig. 18. liegt im Pollenschlauch ein glänzendes 
Körperchen a, bei Fig. 19. scheint dagegen eine Öffnung (b) 
in der Wand desselben vorhanden zu sein. 

Ein seltenes Präparat, die beiden befruchteten Keimkörper- 
chen haben sich verzweigt. 

Zwei Pollenschläuche berühren den Embryosack. 


vom 22. Mai 1856. 279 


Fig. 22—26. Etwas spätere Zustände, mit dem Vorgang der Bildung der 
ersten Zelle des künftigen Keimes. Auf Fig. 24. ist nur ein 
Körperchen befruchtet worden. 

ig. 27.u.28. Weitere Entwickelungsstufen des jungen Embryo. 

Funchal, den 2. Mai 1856. 


= 
= 


Hr. Poggendorff übergab eine Mittheilung des Hrn. 
Prof. Helmholtz „über die Combinationstöne.” 

Ich erlaube mir der Akademie folgende Resultate meiner 
Untersuchungen über die Combinationstöne mitzutheilen: 

Wenn wir mit m und n ganze Zahlen bezeichnen, welche 
keinen gemeinschaftlichen Theiler haben, so stand schon lange 
fest, dals zwei Töne von den Schwingungszahlen mr und 
(m +1)? den Combinationston A geben. Für zwei Töne da- 
gegen von den Schwingungszahlen m? und n? im Allgemeinen 
hatten W. Weber und M. Obm die Meinung aufgestellt, 
dals der Combinationston ebenfalls die Schwingungszahl % habe; 
während Hällstroem als ersten Combinationston den Ton 
(m — n) ? aufstellte, zugleich aber auch eine Reihe anderer Com- 
binationstöne höherer Ordnung annahm von den Schwingungs- 
zahlen (an — m)?, (m — 2n)A, u. s. w. Die Combinations- 
töne höherer Ordnung sollten durch Combination eines Com- 
binationstones niederer Ordnung mit einem der ursprünglichen 
Töne sich bilden. Dem schlossen sich Scheibler und Roe- 
ber in ihren Untersuchungen über die Zahl der Schwebungen 
an; aber mit Recht stellte hierbei Poggendorff die Frage, 
ob Jiese sogenannten Combinationstöne höherer Ordnung nicht 
etwa Combinationstöne der höheren Nebentöne sein könnten, 
welche bei den Tönen fast aller musikalischen Instrumente 
vorkommen. 

Um darüber entscheiden zu können, handelte es sich zu- 
nächst darum, Töne herzustellen, denen die höheren Neben- 
töne ganz fehlen, also Töne, bei denen die Elongationen der 
schwingenden Theilchen als Function der Zeit 2 durch ein ein- 
ziges Glied von der Form 4 sin («2 + c) ausgedrückt werden, 
und nicht, wie es gewöhnlich der Fall ist, durch eine Summe 
solcher Glieder mit verschiedenen Werthen von «. Wir wol- 


280 Gesammtsitzung 


len solche Töne nach Analogie der einfachen Farben des 
Spectrums einfache Töne nennen, im Gegensatz zu den zu- 
sammengesetzten Tönen der musikalischen Instrumente, welche 
eigentlich Accorde mit dominirendem Grundton sind. 

1) Einfache Töne kann man nach folgender allgemeinen Me- 
thode herstellen: Man nehme einen tönenden Körper, dessen 
Schallschwingungen nicht leicht an die Luft übergehen, und 
errege durch Resonanz die Schwingungen eines zweiten elasti- 
schen Körpers, der seine Schwingungen leicht an die Luft ab- 
giebt, dessen Grundton mit dem des primär schwingenden 
Körpers genau übereinstimmt, dessen höhere Obertöne aber 
von denen des letzteren hinreichend verschieden sind; so wird 
der resonirende Körper nur im Grundtone stark mitklingen, 
und diesen an die Luft abgeben, die höheren Obertöne des 
Schallerregers werden ausgeschlossen bleiben. Praktisch aus- 
führbar ist dieses Princip mittels einer Stimmgabel, als Schall- 
erregers, deren Töne man entweder durch die Resonanz eines 
Luftraums oder einer Saite, auf welche man die Gabel in einer 
bestimmten Entfernung von ihrem Ende aufsetzt, verstärkt. 
Der Luftraum darf aber nicht die einfache Gestalt einer ganz 
offenen oder ganz gedackten Orgelpfeife haben, und das re- 
sonirende Stück der Saite muls in einem Punkte seiner Länge 
eine kleine Belastung haben, damit die höheren Nebentöne 
dieser Resonatoren nicht harmonisch zum Grundton seien, wie 
das bei den Orgelpfeifen und unbelasteten Saiten der Fall ist. 
Die Stimmgabeln geben nämlich, wie ich gefunden habe, aulser 
den seit Chladni bekannten unharmonischen höheren Bei- 
tönen, welche mit Bildung einer grölseren Zahl von Knoten- 
stellen entstehen, auch schwache harmonische Beitöne, welche 
dadurch ausgeschlossen werden müssen, dals man die höheren 
Beitöne der resonirenden Körper unharmonisch macht. Die 
Octave des Grundtons war bei allen Stimmgabeln, welche ich 
geprüft habe, immer deutlich nachzuweisen. 

Indem ich zwei einfache Töne dieser Art erklingen liels, 
war ich immer nur im Stande einen einzigen tieferen Ton 
deutlich zu hören, und zwar den von der Schwingungszahl 
(m —n) }, also Hällstroem’s ersten Combinationston. 


vom 22. Mai 1856. 281 


Ich konnte mittels meiner Stimmgabeln, die mit Hülfe der 
Schwebungen genau nach den angegebenen Zahlenverhältnissen 
gestimmt waren, folgende Combinationen bilden. 


Zahlenverhältnifs 


Primäre Töne. Seahier der primären Töne | des Combina- 
tionston. unter einander. tionstons. 
es re 2:3 se, 
fr 7. B 3:4 A 
b d B 4:5 1 
Pr B 5:6 1 
fa B 6:7 1 
b g es 3:9 2 
das B 5:7 2 
u alas 5:8 3 


In den letzten drei Fällen war ich nicht im Stande, den von 
Weber und Ohm geforderten Ton 1 zu hören, eben so we- 
nig, als es mir bei allen diesen Versuchen gelang irgend einen 
von Hällstroem’s Combinationstönen höherer Ordnung zu 
erkennen. Andrerseits ist zu bemerken, dals, wenn man die 
Stimmgabeln durch Aufkleben von Wachs ein wenig ver- 
stimmt, man sehr leise die Schwebungen hört, welche Scheib- 
ler und Roeber aus dem Vorhandensein der Combinations- 
töne höherer Ordnung erklärt und berechnet haben. 

Ebenso fand ich immer, dals die Combinationstöne (m—n)A 
auch bei zwei Tönen von Orgelpfeifen oder der Sirene die 
am stärksten hörbaren waren. 

2) Um die Combinationstöne deutlich zu hören, müssen 
die ursprünglichen Töne stark sein. Die Stärke des Combi- 
nationstons wächst in einem viel stärkeren Verhältnisse als die 
der primären Töne, so dals endlich bei grolser Stärke diese 
neben dem Combinationstone fast verschwinden können. 

Ich habe nun gefunden, dafs bei hinreichend starken Tö- 
nen von den Schwingungszahlen » und y neben dem bisher 
bekannten Combinationstone a —g zunächst am deutlichsten 
ein höherer Ton » + g hervortritt, dessen Existenz ich noch 


282 Gesammtsitzung 


nirgends erwähnt gefunden habe. Die durch Luftresonanz ver- 
stärkten Töne der Stimmgabeln waren nicht stark genug, um 
diesen Ton leicht hören zu lassen; doch habe ich ihn bei die- 
sen zuerst wirklich gehört, nachdem ich durch theoretische 
Untersuchungen zu der Überzeugung gekommen war, dals er 
da sein müsse. Ich war im Stande neben 5 und f (2% und ie 


den Ton @ (5%) und neben f und 5 (3% und 4?) den Ton as 
(7?) zu hören. Dagegen ist bei der mehrstimmigen Sirene 
und bei Orgelpfeifen, wenn man das Ohr den Lippen der Pfei- 
fen nähert, der Ton sehr leicht mit gröfster Bestimmtheit zu 
hören. Eine Verwechselung mit den höheren Beitönen der 
primären Töne ist nicht möglich, weil er von diesen immer 
verschieden ist, wenn nicht n selbst ein Multiplum von m ist. 

3) Was die Theorie der Combinationstöne betrifft, so lei- 
den die bisher aufgestellten Erklärungen an grolsen Schwie- 
rigkeiten, sobald man den Ton nicht als eine Reihe getrennter 
Stölse, sondern als eine regelmälsige Wellenbewegung be- 
trachtet; sie müssen aufserdem noch dem Ohre eine besondere 
Eigenschaft zuschreiben, wonach es zusammentreffende Stöfse 
nicht blos als Summe der beiden einzelnen auffalst, sondern 
diese Doppelstölse noch besonders combinirt, und endlich wür- 
den jene Theorien schwerlich im Stande sein, die Entstehung 
des Tones p + g genügend zu erklären. Ich erlaube mir da- 
her der Akademie eine neue Erklärung vorzulegen, welche 
nicht nöthig macht, dem menschlichen Obre besondere Eigen- 
schaften beizulegen, sondern sich ganz auf eine weitere Ent- 
wickelung bekannter mechanischer Sätze stützt. 

Es ist bekannt, dals das Princip von der ungestörten Su- 
perposition oscillirender Bewegungen im Allgemeinen nur so 
lange gilt, als die Bewegungen klein sind, so klein, dals die 
Bewegungskräfte, welche durch die Verschiebungen der klein- 
sten Theile des schwingenden Mittels gegen einander hervor- 
gerufen werden, diesen Verschiebungen selbst merklich pro- 
portional sind. Es lälst sich nun zeigen, dafs Combina- 
tionstöne entstehen müssen, sobald die Schwin- 
gungen so grols werden, dals auch noch das Qua- 
drat der Verschiebungen auf die Bewegungen Ein- 
flufs erhält. Es möge für jetzt genügen, als einfachstes 


[ 
4 


vom 22. Mai 1856. 283 


Beispiel die Bewegung eines einzelnen Massenpunktes unter 
dem Einfluls eines Wellenzuges zu betrachten, um das Re- 
sultat daran zu entwickeln. Nach einer ganz ähnlichen Me- 
thode lassen sich auch die Bewegungen der Luft und anderer 
elastischer Medien behandeln. Ein Punkt von der Masse m 
soll in Richtung der x Axe oscilliren können. Die Kraft, 
welche ihn in seine Gleichgewichtslage zurückzuführen strebt, sei 
= ax + bx? 

Es mögen auf ihn zwei Schallwellenzüge einwirken mit 
der Kraft f sin (pt) und g sin (gt + c), so ist seine Bewegungs- 
gleichung 

ms = ar + ba + / sin (pt) + g sin (gt + ec) 

Diese Gleichung kann man durch eine Reihe integriren, 

indem man darin setzt 

z=.a, te’, + &’x, + etc. 

I=Jı 

5 — 85 
und die mit gleichen Potenzen von = multiplieirten Glieder 
einzeln gleich Null setzt, also: 


d’x : ä 

1) ax, +m er =— f, sin (pt) — g, sin (dl + e) 
d’x 

2) ax, +m Zee 
d’x 

3) ax; +m "= — 2bx,x, etc. 


dt 2 
Aus der ersten Gleichung ergiebt sich 


2; = 40/2 +5) + u sin (pf) + v sin (gt + ec) 


wobei zwar un und v= = 
mp” — a mg’ —a 


Es ist dies das bekannte Resultat für unendlich kleine 
Schwingungen, wonach der mitschwingende Körper nur seinen 


eigenen Ton VE und die ihm mitgetheilten > und g angiebt. 


Da der Eigenton hierbei schnell verschwindet, können wir 
4=0 setzen. Dann giebt die Gleichung 2 


284 Gesammtsitzung 


u? 


b 
EN Pin LinR ERRE Er Me 
ze au an 2 (4 mp* —.a) 


cos (2 pt) 


cos2(g+c)+ eos[(r—g)—c] 


v uv 
2(4ämy’— a) m(p—g)’—a 


uv 
_ — — 005 [pP +) t+e 
m (p 4 g)” Ei [( q) ] 
Dieses zweite Glied der Reihe für x enthält, wie man 


sieht, aulser einer Constanten, die Töne 2p, 29, (r—g) und 


(eg). Ist der Bigenton// = des mitschwingenden Körpers 


tiefer als (r—g), wie man es für das mit den Gehörknöchel- 
chen verbundene Trommelfell des Ohres in den meisten Fäl- 
len wird voraussetzen dürfen, und sind die Intensitäten u 
und v nahe gleich, so wird von den einzelnen Gliedern von 
x, der Ton (p —g) die gröfste Intensität haben; er entspricht 
dem bekannten tiefen Combinationstone. Der Ton (p + y) wird 
viel schwächer sein, und die Töne 2p und 2g werden als 
schwache harmonische Obertöne der primären schwer zu hö- 
ren sein. 

Das dritte Glied der Reihe x, enthält die Töne 37, 3g, 
2p +9 2p—g, p+2q, p—2g, p und g. Von diesen ist 27—q 
oder 29 —p ein Combinationston zweiter Ordnung nach Häll- 
stroems Bezeichnung. Ebenso giebt das vierte Glied x, Com- 
binationstöne dritter Ordnung u. s. w. 

Wenn wir nun annehmen, dafs bei den Schwingungen 
des Paukenfells und seiner Annexa das Quadrat der Elonga- 
tionen auf die Schwingungen Einfluls gewinnt, so geben die 
ausgeführten mechanischen Entwickelungen einen vollständigen 
Aufschlufs über die Entstehung der Combinationstöne. Nament- 
lich erklärt die neue Theorie ebenso gut das Entstehen der 
Töne (p +9), wie der Töne (»— g), und läfst einsehen, warum 
bei vermehrter Intensität u und v der primären Töne die der 
Combinationstöne, welche proportional uv ist, in einem schnel- 
leren Verhältnisse steigt. 

Aus der Voraussetzung über die Gröfse der wirkenden 
Kraft, welche wir oben gemacht haben: 

k=ax + bx? 
folgt, dals, bei einem Zeichenwechsel von x, k nicht blos sein 


vom 22. Mai 1856. 285 


Zeichen, sondern auch seinen absoluten Werth ändert. Diese 
Annahme pafst also nur auf einen elastischen Körper, der sich 
gegen positive und negative Verschiebungen nicht symmetrisch 
verhält; nur bei einem solchen kann das Quadrat der Elonga- 
tionen Einfluls auf die Bewegungen haben, und die Combina- 
‚ tionstöne erster Ordnung hervorrufen. Unter den im Ohre 
des Menschen vorhandenen schwingenden Theilen ist nun be- 
sonders das Trommelfell durch seine Asymmetrie ausgezeichnet, 
indem es durch den Stiel des Hammers stark nach innen ge- 
zogen ist, und ich glaube deshalb die Vermuthung aufstellen 
zu dürfen, dals namentlich diese eigenihümliche Form des Trom- 
melfells das Entstehen der Combinationstöne bedinge. 

Es folgt aus den gegebenen Entwickelungen, dafs Combi- 
nationstöne nicht nur im Ohre, sondern auch aulserhalb des 
Ohres objeetiv entstehen können. Es ist mir bisher erst in 
einem Falle gelungen, die objective Existenz der Combinations- 
töne nachzuweisen, nämlich an der von Dove beschriebenen 
mehrstimmigen Sirene, wo sie bekanntlich in aufserordentlicher 
Stärke auftreten. Ich fand, dafs die Töne (p+-g) dieses In- 
struments im Stande sind eine Membran, deren Grundton mit 
ihnen übereinstimmt, in Mitschwingung zu versetzen. Aufser- 
dem beobachtete ich an einer ähnlichen Sirene, welche ich 
habe construiren lassen, und welche auf derselben Axe zwei 
Scheiben mit je vier Löcherreihen trägt, und für jede Scheibe 
einen besonderen Windkasten hat, dals die Combinationstöne 
nur dann ungewöhnlich stark sind, wenn beide primäre Töne 
an derselben Scheibe, nicht aber, wenn jeder an einer anderen 
Scheibe angegeben wird. Die Beziehung des Ohrs zu den 
beiden Tönen wird dadurch nicht geändert, dals ihre Erregungs- 
stellen entfernter von einander liegen, wohl aber wird dadurch 
vermieden, dals die am stärksten schwingenden Centra der bei- 
den Wellenzüge in einander greifen. Auch daraus ergiebt sich 
die objective Natur dieser Combinationstöne. 


286 Gesammisitzung 


Hr. Braun legte von Hrn. Prof. Hartig in Braun- 
schweig zu diesem Zwecke eingesandte „Proben des von 
demselben entdeckten Kleber-Mehls” vor. 


Durch Hrn. Gerhard machte Hr. Curtius aus einem 
Briefe des Hrn. Dr. OÖ. Frick aus Constantinopel vom 21. April 
1856 in Betreff des Denkmals auf dem Hippodrom (s. S. 162 ff.) 
folgende nachträgliche Mittheilung. 

Nach wiederholter Besichtigung des Denkmals ist auf dem- 
selben nicht ®%ıxarıor, sondern SAsıcrıcı zu lesen; ein Rils 
in Gestalt eines I hatte bei den früheren Lesungen getäuscht. 
Ferner ist in der ersten beschriebenen Windung, dicht ober- 
halb des Namens KogivwSror, AA von Arzedauovıo: sichtbar ge- 
worden. Ferner ist der metallene Stil, vermittelst dessen die 
Säule in das Postament eingelassen zu sein schien, aus dem- 
selben herausgenommen worden und dabei hat sich ergeben, 
dafs es das Bruchstück einer schweren, bleiernen Röhre sei, 
einer Dachrinne ähnlich, aber geschlossen, etwa 3 Fuls lang, 
an beiden Enden verstümmelt, stark verbogen, und voller Beu- 
len. Darauf steht in deutlichen, erhaben gearbeiteten Schrift- 
zügen die Inschrift 

AN---ATWNMATPIKIOVKENAPXOVPWA 

Die Buchstaben sind einen Zoll hoch. Den Anfang er- 
gänzt Hr. Dr. Frick Sler[evru]arwv; also etwa: &# damavnae- 
TuWv Ilergıziou za "Eragy,ov “Puwuns. 

Auch das Postament ist nun zum grofsen Theile blolsge- 
legt; es ist ein roh behauener Granitwürfel von etwa 2 Fuls 
Höhe, dessen kunstlose Gestalt befremdet; er ist ohne In- 
schrift. Die Säule selbst war von oben bis unten mit lauter 
kleinen Steinchen gefüllt, welche jetzt, aus einer Öffnung am 
Fufsende herausgefallen, die Grube, in welcher sie steht, an- 
füllen. Nach türkischem Aberglauben wurden solche Steine 
von denen, die mit einer Krankheit behaftet waren, hineinge- 
worfen; man glaubte so die Dämonen der Krankheit in die 
Säule bannen zu können. 

Übrigens hat die Untersuchung der Schlangensäule zu 
weiteren Nachforschungen Anlafls gegeben. Das englische Gou- 


vom 22. Mai 1856. 287 


vernement hat auch das Postament des durch Theodosius auf- 
gerichteten grolsen Obelisken auf demselben Platze blofslegen 
lassen. Während früher auch das eigentliche Piedestal nicht 
völlig sichtbar war, ist jetzt ein grolser, quadratischer Un- 
terbau frei geworden, so dals das Ganze einen imposanten An- 
blick gewährt, dadurch sind auch die an zwei Seiten befind- 
lichen Inschriften, die lateinische wie die griechische, ganz 
lesbar geworden; sie enthalten eine panegyrische Lobpreisung 
des Theodosius und seines Baumeisters Promlos [sic] der innerhalb 
32 Tage dieses &ySos Zmı %Sovi zeinevov aufgerichtet habe. — 

Der vorstehenden Mittheilung ist endlich noch eine andere 
desselben Berichterstatters nachgefolgt, auf dessen Zeugnils 
Hr. Curtius von Göttingen aus (d. d. 22. Mai) auch diesen 
neuesten Fund der Akademie mittheilt. 

Es hat sich nämlich bei nochmaliger Nachgrabung von Sei- 
ten des englischen Gouvernements ergeben, dals gerade unter 
dem Granitwürfel, welcher der Säule als Postament dient, 
ehemals eine Wasserleitung entlang führte, welche unzweifel- 
haft (was ohne Umsturz des ganzen Monuments nicht zu er- 
kennen ist) in das Innere der gewundenen Säule hineinreichte. 
Somit erscheint jenes neu entdeckte Bruchstück, welches Dr. 
Frick einer Dachrinne verglich, als eine mit jener Wasser- 
leitung in Verbindung stehende Röhre und das Ganze in der 
Kaiserzeit als Springbrunnen gedient zu haben. 


Hr. Ehrenberg theilt endlich aus einem an ihn gerich- 
teten Briefe des Reisenden in Afrika, Dr. E. Vogel, d. d. 
Kuka 11. Dec. 1855 einiges Hervorzuhebende mit und’ legte 
eine dabei eingesandte Skizze über die dortigen Wassersysteme, 
sowie erbetene Proben des Oberflächenstaubes von Kuka, des 
Grundschlammes des Tschad Sees und der aus tiefen Brunnen 
genommenen Erde vor, über deren bereits mannigfach hervor- 
tretenden Reichthum an organischen Bestandtheilen er später 
specielle Mittheilungen machen wird. 


| 
| 
288 Gesammtsilzung | 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


G. C. Berendt, Die im Bernstein befindlichen organischen Reste der 
Vorwelt. 2. Band. Berlin 1856. folio. 

Statistigue des hospices et des bureaur de bienfaisance de Belgique. 
Bruxelles 1856. folio. Mittelst Ministerialreseripts vom 13. Mai 
1856. 

(v. Chlumecky) Die Landtafel des Markgrafthums Mähren. Lieferung 
4—6. Brünn 1856. folio. 

Rudolf Freiherr von Stillfried und Traugott Märcker, Monumenta 
Zollerana. 2. Band. Berlin 1856. 4. Mit Schreiben der Hrn. 
Herausgeber vom 20. April 1856. 

Memoires de la societ€ de physique de Geneve. Tome XIV, Partie 1. 
Geneve 1855. 4. 

J. Fr. Ludw. Hausmann, Über die durch Molekularbewegungen in star- 
ren leblosen Körpern bewirkten Formveränderungen. Göttingen 


1856. 4. 
37. und 38. Publication des Literarischen Vereins in Stuttgart. Tübingen 
4856. 8. 


Verhandlungen der phys.-mediz. Gesellschaft in Würzburg. WI. Band, 
3. Heft. Würzburg 1856. 8. 

Annales des mines, Tome VI, Livr. 3. Paris 1855. 8. Mittelst Mi- 
nisterialrescripts vom 8. Mai 1856. 

Mnemosyne. V. Deel, 2. Stuk. Leiden 1856. 8. 

Nyt Magazin for Naturvidenskaberne. Bind IX, Heft 1. Christiania 
1838.),.8: 

Aubert, Beiträge zur lateinischen Grammatik. Christiania 1856. 8. 

Th. Kjerulf, Om Dannelsen af de uskiktede Bjergarter. (Christiania 
1856.) 8. 

Universitetes Budget for 1854—57. Christiania 1856. 8. 

E. Sundt, Om Giftermaal i Norge. Christiania 1855. 8. 

V. Malacarne, ARettificazione della periferia del circolo. WVicenza 
1856. 8. 

Lorenzo Leonii Memorie storiche di Todi. Dispensa I. Todi 1856. 8. 

Athenaeum frangais, no. 19—21. Paris 1856. 4. 


Zuerst empfing hierauf die Akademie im Auftrage Sr. Ma- 
jestät den 2ten Band der Monumenta Zollerana, welches Ge j 


vom 29. Mai 1856. 289 


schenk und Zeichen allerhöchster Huld mit ehrfurchtsvollstem 
Danke entgegen genommen wurde. 

Hierauf kam noch zum Vortrage ein Dankschreiben Sr. 
Excellenz des vorgeordneten Hrn. Ministers v. Raumer für 
die Übersendung des 1. Supplementbandes der Verhandlungen der 
Akademie von 1854. 


29. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Pertz las den ersten Abschnitt seiner Abhandlung 
„über den genuesischen Geschichtsschreiber Caf- 
farus und seine Fortsetzer.” 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

J. de Witte, Description des medailles et antiquites du cabinet de M. 
Vabbe H. G.*** Paris 1856. 8. 

Memoires de ! Academie imperiale des sciences de Dijon. Tome IV. An- 
nee 1855. Dijon 1856. 8. 

Journal d’agrieulture publie par le comite central d’agrieulture de la cöte 
d’Or. 18me annee. Dijon 1855. 8. Mit Schreiben des Biblio- 
thekars der Gesellschaft, Hrn. Larrey, d. d. Dijon 16. April 1856. 

Congres scientifique de France. Session 21. Dijon 1855. 8. 

Annales de chimie et de physique. Tome 46. Paris 1856. 8. 

Lucae, Schädel abnormer Form. Yrankfurt a. M. 1855. 4. 

Crelle, Journal für Mathematik. 52. Band, Heft 1. 2, Berlin 1856. 4. 

Gemeinnützige Wochenschrift, no. 1—18. Würzburg 1856. 8. 

L Institut, no. 1166—1167. Paris 1856. A. 


Die Akademie beschlols hierauf dem Visirer im Zollamte 
zu Rotterdam, Hrn. Wolters, welcher die vom verstorbenen 
holländischen Artillerie-Officier Wolfram der Akademie als 
Vermächtnifs hinterlassenen, durch Lambert bezeichneten lo- 
garithmischen Manuscripte in den Besitz der Akademie gebracht 
hatte (S. Monatsbericht 1854 p. 170), eine silberne und eine 
bronzene Leibniz-Medaille als Dank zu übersenden. 


— II 
[1856] 21 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 
im Monat Juni 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 


2. Juni. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Homeyer las „über die unächte Reformation 
Kaisers Friedrichs des Dritten.” 

Dieses Schriftstück ist bekanntlich von Melchior Goldast 
in die deutsche Rechtsgeschichte eingeführt worden. Schon im 
J. 1607 hatte er in dem Rationale constitt. Imper. p. 113—115 
einen Auszug davon aus dem polemischen Werke des Max. 
Philon von Trier: Examen und Inquisition der Papisten und 
Jesuiten, aufgenommen. Philon giebt nemlich — wenigstens 
in der mir vorliegenden Ausgabe von 1607 — schon auf dem 
Titel an ,„darbey K. Friderici III Reformation, Von Noth- 
durft Teutscher Nation, als dieser Zeit hoch nothwendig 
inserirt”, und liefert dann S. 194—199 als ‚„Kurzen Auszug” 
aus dieser Reformation, welche unter jenem Namen gedruckt 
ausgegangen sei, die gegen die Geistlichen gerichteten Artt. I 
mit Decl. 1—4, IV D. 2, VID. 1, 2, 3, 4, XIII D. 1 und 
den Beschlufls. Goldast theilt nun diesen Extract als ein Stück 
der reformatio ecclesiastica, gegenüber der politischen Refor- 
mation des Kaisers, (dem Reichsabschiede von 1442) mit, unter 
dem Bemerken, dafs der von Philon erwähnte Druck ihm noch 

[1856.] 22 


2. 


292 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


nicht zu Gesicht gekommen sei. Zwei Jahre später gab er in 

den „Reichssatzungen” (Ausgahe von 1712 S. 166 ff.) den voll- 

ständigen Aufsatz unter dem von ihm zugefügten Titel: 
Kayser Friderichs des Dritten Reformation. Im H. 
Römischen Reich fürgenommen und proponirt auf dem 
Reichstag zu Mentz Anno D. MCCCCKLI. 

Es fragt sich woher. Eichhorn RG. $ 408 nimmt an, aus 
dem Mainzer Archiv. Mit Bestimmtheit sagt Goldasts „Anzei- 
gung, woher die Reichssatzungen genommen seien” S. 312, 
313, dies nicht. Er vertheidigt die Ächtheit der Reformation 
damit, dafs er bei den Churfürstlichen Canzleien die Originalien 
gesehen habe. Wolle ein Prälat, wie schon geschehen sei, 
daran zweifeln — wohl wegen jener von Philon bekannt ge- 
machten Artikel — und fürchte er sich, an die Pfälzische oder 
Sächsische Canzlei zu gehen, so möge er sich an die Mainzi- 
sche wenden und sich bei dem Registrator um die Wahrheit 
der Reformation erkundigen. Dann heilst es noch „die Ori- 
ginalia so mir zu sehen vergont worden, haben folgende 
Überschrift: 

Dieser Auszug von Kayser Friderichs des Dritten für- 
gencemmenen Reformation im H. R. R. Teutscher Na- 
tion wird mit nachfolgenden zwölff Hauptartikeln und 
ihren Declarationen mit sampt dem dreyzehenden Be- 
schlufsartikel hierin klärlich angezeigt.” 
Immerhin ist anzunehmen, dafs Goldast eine archivalische Hand- 
schrift benutzte, nicht den alten Druck, dessen er auch hier 
als von Philon extrahirt erwähnt, den er aber gesehen zu ha- 
ben nicht behauptet. 

Er bemerkt ferner, das Werk sei wohl von den Reichs- 
städten erst auf einem Städtetage gemacht und hernach auf dem 
Reichstage dem Kaiser als ihr Bedenken übergeben worden, zul 
welchem schon K. Siegmund, behufs Stillung der Unruhen im 
Reiche, sämmtliche Stände aufgefordert babe. Aber der Pabst 
habe ‚‚die Saw mit seinem Pörer dermassen geschoren, dals die 
Teutschen aus viel Geschrey wenig Wollen bekommen”. Denn 
von der Reformation, die nach vielen Verhandlungen 1442 z 
Stande gekommen (jenem Reichsabschiede), müsse man sage 
parturiebant montes etc. 


vom 2. Juni 1856. 293 


Über die eigentliche Bedeutung der somit zur allgemeinen 
Kunde der Rechtsgelehrten gebrachten Schrift giengen die Ur- 
 theile nach beiden Seiten hin gar weit auseinander. Manche 
| Juristen, empört über die dem Kaiser in den Mund gelegten 
Äufserungen wider die Doctoren und das römische Recht, sahen 
darin eine nichtswürdige Erdichtung '), Andre einen wirklich 
zu Stande gekommenen Beschlufs, wie z. B. die Vorrede Coc- 
ceji’s zu dem Project des Corp. Jur. Fridericiani 1750 $ 20 
erzählt: „‚dahero ist K. Friedrich III ... bewogen, solches (das 
römische Recht) durch einen öffentlichen Reichsschlufs 1441 
auf gewisse Art abzuschaffen”. Dazwischen liegt eine Reihe 
von Mittelmeinungen, als Schattierungen jener Äufserung Gold- 
asts, dals das Document ächt, aber nur als ein Entwurf zu be- 
trachten sei. So nennt z. B. Pütter, Entwickelung der Staats- 
Verf. I. 300, es einen Vorschlag auf Friedrichs erstem Reichstage 
im J. 1441. 

Der Zwiespalt der Ansichten dauerte im gegenwärtigen 
Jahrhunderte fort. Georg Wilhelm Böhmer widmete der 
Frage eine eigne Schrift mit dem pomphaften Titel 

K. Friedrichs IH Entwurf einer Magna Charta für 

Deutschland, Göttingen 1818, 
deren Verdienst nur in der Angabe der Literatur des Gegen- 
standes besteht. Im übrigen giebt sie nach Goldast die Ar- 
tikel nebst Auszügen aus den Declarationen und eignen Er- 
läuterungen im Sinne des Titels, und mübt sich mit der Aus- 
führung, das Werk sei in seinem ganzen Umfange auf unmit- 
telbaren Befehl des Kaisers in seinem Cabinet verfalst worden. 

Als nun Eichhorn in der dritten Ausgabe seiner Rechts- 
geschichte 1822 bis zu dieser Periode gelangte, entgieng es 
seiner unbefangenen und gründlichen Prüfung nicht, dafs hier 
auch nicht einmal von einem Vorschlage, sei es des Kaisers 
\ oder der Städte die Rede sein könne. Er beurtheilte & 408 
die Schrift als einen Privataufsatz, der schwerlich je Gegen- 


*) Silberrad z. B. Vindiciae iuris Romani contra reform. de a. 1441, 
Argent. 1748 nennt sie p. 37 infame carmen, p. 70 foetum monstrosum, 
19. F. Eisenhart de Friderico IH ab odio in Jureconsultis vindicato 1764, 
urtheilt istam spuriam esse et inter figmenta referendam. 

22° 


294 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


stand einer Reichsberathung geworden, und der auch erst in 
das Ende der Regierung Friedrichs II (+ 1493) falle. Er 
zeigte wie lächerlich es sei, einen Vorschlag, der das Handels- 
capital eines Kaufmanns auf 10000 Al. beschränken wollte, den 
Reichsstädten zuzuschreiben ; ferner in wie phantastischer Weise 
der Autor, der als einzelne Person spreche, den empfundenen 
Übelständen mit allgemeinen Phrasen abzuhelfen trachte, wie 
die Klagen über den Einflufs der Doctoren der Mitte des 1öten 
Jahrh. noch gar nicht angehören könnten. Und da die erste 
Ausgabe im J. 1523 gedruckt sein solle, würde man nach dem, 
was über die Geistlichkeit vorkomme, den Aufsatz füglich in 
diese Zeit setzen dürfen, wenn nicht die Vorschläge über die 
Einrichtung des Reichs-Kammergerichts annehmen liefsen, dafs 
dem Verfasser die Ordnung von 1495 noch unbekannt gewesen. 

Einige Jahre später gab Ferd. Friedr. Öchsle mit seinen 
„Beiträgen zur Geschichte des Bauernkrieges 1830” der Frage 
eine andre Wendung. Er theilte nemlich aufser den zwölf 
bekannten Artikeln, durch welche die Aufständischen eine Ab- 
hülfe der grade den Bauerstaud drückenden Lasten suchten 
(246 ff.), auch die bis dahin fast unbekannten viel weiter grei- 
fenden Pläne der Bauernführer zur Änderung der ganzen deut- 
schen Verfassung mit. Zunächst die Reformvorschläge des 
Friedrich Weigant, Kellers in Miltenberg (S. 156—159), so- 


dann den Entwurf der Männer, welche der grolse Bauernrath 
„des hellen christlichen Haufens des Odenwaldes und Neckar- 
thales” zu Würzburg im Mai 1525 nach Heilbronn zur Berath- ' 
schlagung mit den Abgeordneten der übrigen Haufen gesendet 
hatte, einen Plan, der dem Wendel Hipler insbesondre zu- 


zuschrieben sei (S. 152, 153, 163—174). Öchsle giebt ihn 
S. 283—292 nach zwei Hdsch. des Hohenlohischen Archivs 
zu Öhringen, und einer des Staatsarchivs in Stuttgart'). Eine 
nahe Beziehung zu unsrer Reformation liegt in ihm deutlich | 
vor. Der äulsere Zuschnitt und der durchaus charakteristische 


| 


1) Er ist, wie Öchles Vorrede XIX nachträglich bemerkt, schon in 
Stumpf, Denkwürdigkeiten der D. Geschichte Heft 2, Erfurt 1802, doch 
unvollkommen gedruckt worden, und wie es scheint unbeachtet geblieben. 
Stumpf legt ihn, doch nach Öchsle grundlos, dem Friedrich Weigant zu. 


j 


j 


| 


vom 2. Juni 1856. 295 


Inhalt ist wesentlich derselbe. Öchsle äufsert daher auch, dafs 
Hipler unverkennbar seiner Arbeit die sog. Reformation K. 
Friedrichs III. bei Goldast zum Grunde gelegt habe, Vorr. XX 
Note, S. 163. 

Nach diesen Mittheilungen änderte Eichhorn in der vier- 
ten Ausgabe der Rechtsgeschichte 1837 seine Ansichten. Er 
gab die Meinung, dafs das Document noch ins 15te Jahrh. 
falle, auf, denn dem Autor könne wohl zugetrauet werden, 
dafs er der Reichs-Kammergerichtsordnung von 1495, war 
sie gleich schon vorhanden, doch keine Rücksicht schenke. Die 
Arbeit sei in die ersten Jahre nach der Reformation zu setzen. 
Und sollte sie wirklich schon 1523 zu Zwickau gedruckt sein, 
so könne man sie für einen Entwurf der Schwärmer halten, die 
dort 1522 mit Thomas Münzer auftraten. Diesen Entwurf habe 
dann Hipler in Franken dergestalt benutzt, dals er einiges von 
den geistlichen Zuthaten wegliefs, andres Praktische hinzufügte. 
Falle dagegen der Abdruck in spätere Zeit, so seien allerdings 
Hipler und seine Freunde für Verfasser des Entwurfes, den sie 
schon im April 1525 verbreiteten, zu halten. Immerhin recht- 
fertige sich Goldasts Conjectur über den Ursprung des Auf- 
satzes nicht durch die Überschrift, welche er im Mainzer Ar- 
chiv gesehen. 

Später haben sich noch über die Frage näher ausgespro- 
chen: Ranke, D. Geschichte im J. der Reformation 1839 
Bd. II S. 203 und zwar in der ersten der obigen Alternativen. 
Die Gedanken in den Verfassungsplänen der Bauern seinen 
schon in einer 1523 erschienen Schrift geäufsert, dann aber 
von den Bauernführern ausgebildet worden. Goldast habe übri- 
gens nicht zuerst das Werkchen Friedrich dem Illten zuge- 
schrieben, denn nach Panzer weise wirklich der Titel des alten 
Druckes auf diesen Kaiser hin. — Hagen, Geist der Refor- 
mation 1843 I S. 338 theilt die Vermuthung Eichhorns nicht, 
dals Thomas Münzer der Verfasser sein könne, weil die Re- 
formation dafür zu klar und verständig gehalten sei. Eher 
könnten die Verfasser des Heilbronner Entwurfes auch die Re- 
formation verfalst haben. 

Eichhorns Zweifel über den Ursprung des Werkes er- 
wuchsen nach dem Obigen daher, weil er eben so wenig als 


296 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


seine Vorgänger des alten Druckes ansichtig geworden. Die- 
sen citiert Goldast nach Philon ohne Angabe von Ort un 
Jahr. Böhmer, der sich vergeblich um ihn bemühte, führt 
S. XIV den Druckort Zwickau ohne Jahr, dann S. CX nach 
Lipenius das J. 1523 aber ohne Ort an; Eichhorn combinirt: 
die Schrift solle 1523 zu Zwickau gedruckt sein. Diese ver- 
schiedenen Angaben lösen sich schon durch Panzer, dessen 
Annalen II S. 226 zwei Drucke aufführen, Nr. 2062 mit 1523 
ohne Druckort, Nr. 2063 ohne Jahrszahl mit dem OrteZwickau.') 
Ich kann nun der Akademie diese beiden Drucke vor- 
legen; den letztern erwarb ich selber vor kurzem, der erstere ° 
ergab sich auf mein Nachfragen auf der hiesigen K. Bibliothek. : 
Ihre Vergleichung untereinander, dann mit der Goldastischen 
und der Hiplerschen Form hilft allerdings die Sachlage auf- 
klären. 
1. Beide alte Drucke sind in kl. 4, zählen 5 Baden; ' 
Blatt- oder Seitenzahlen fehlen. Mein Exemplar ohne Jahrs- 7 
zahl, weiches auf dem Titel einen Geharnischten als Verzie- 
rung zeigt, hat a. E. 
Gedruckt zu Zwickaw durch Jörg Gastel defs Schön 
[pergers diener von Auglpurg. % 

Dieser „Diener” der berühmten Augsburger Firma hat, wie 
mich Dr. Schrader belehrt, von 1523 bis 1525 gedruckt. 
Das Exemplar der K. Bibliothek ohne Druckort zeigt frei- 

lich die Zahl 1523, aber sie steht in dem Holzschnitt, der 
als breite und reiche Verzierung den Titel umgiebt, auf einem 
Stein, an welchen sich ein sitzender Posaunenengel lehnt. Sie 
beweist nur, dals diese Verzierung, welche in ihrer Dar- 
stellung eines Zuges geflügelter Knaben gar keine besondere 
Beziehung auf den Inhalt bietet, im J. 1523 geschnitten ist, 
mithin der Druck nicht früher fällt; sie gewährt aber keinen 
Belag für jenes Jahr als das Druckjahr selber. Nach Dr. Schra- 
ders Urtheil gehört auch dieser Druch dem niedern eder mitt- 
lern Deutschland an. 


‘) Hagen a. a. O. nennt eine ihm vorliegende Ausgabe als s. |. ge- 
druckt, giebt aber auch kein Jahr an; es steht dahin, welcher der beiden 
Drucke, oder ob gar ein dritter ihm zur Hand war. 


vom 2. Juni 1856. 297 


Den Zwickauer Druck halte ich für den ältern. Zunächst 
ist klärlich die eine Ausgabe der andern nachgedruckt. Nicht nur 
stimmt der Inhalt Wort für Wort, sondern von Bl. 4 bis 16 

"fällt auch Seite genau auf Seite. Nun palst aber doch die 
Anonymität besser für einen Nachdrucker. Auch bemüht der 
namenlose Drucker, der anfangs ein Paar Zeilen voraus hat, 
sich auf Bl. 3 v. sichtlich, durch breiteren Raum zwischen den 
Absätzen, mit dem Zwickauer Druck ins Gleiche zu kommen. 
Die Orthographie sodann, welche vielfach abweicht, ') giebt 
zwar keinen entschiedenen Ausschlag, wo es sich nur um einen 
Unterschied weniger Jahre handeln kann, doch spricht das häu- 
figere i statt y, nn statt n im Drucke s. I. einigermafsen für 
eine jüngere Zeit. Endlich begegnen in diesem Drucke man- 
cherlei Febler, z. B. heucher für heuchler Art. VIII D. 1, 
geapoliert für geappelliert VII 4, allafenz für allefanz VIII 3, 
syber für silber XI 2 u. s. f., die ich doch eher der Nach- 
lässigkeit des Nachdruckers zuschreiben möchte. 

Immerhin ergiebt sich, dals das Jahr 1523 für die erste 
Ausgabe nicht festzuhalten ist, dals diese auch in das J. 1525, 
in die Zeit des Bauernaufstandes fallen kann. 

2. Die Vergleichung sodann dieser alten Drucke mit der 
Gestalt bei Goldast zeigt, abgesehen von dem Titel, noch 
folgende Abweichungen. 

a. In dem Eingangsgebet, der sog. Vorrede, heilst es a. E. 

bei Goldast: 2 
Das dritt ist, die Bewarung u. Handhabung aller Rech- 
ten, auch guter Ordnung u. statuten, wie die zum theil 
mit zwölff Artickeln ihrer Declaration und Erklärungen 
hernachfolgend verzeichnet seynd. 

Hier aber nach „‚statuten”: 
wie solchs zum tayl von keyser Fridrich dem 


‘) So schon auf dem Titel, der im Zwickauer Druck zu lesen: 
Teütscher Nation notturfft: Die Ordnung vn Reformation aller Stendt ym 
Römischen Reych. Durch kayser Fridrich den dritte, Gott zu lob, der 
| gantzen Chriftenheyt zu nutz vnd saligkeyt fürgenommen. In dem an- 
dern: Teütscher Nation nodturfft. Die Ordnung vnnd Reformation aller 
Stend im Romischen Reich. Durch keyser Fridrich den dritten Gott zu 
lob, der gantzen Chriftenheyt zu nutz vnd [eligkeyt fürgenomen. 


298 


b. 


die 


Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


dritten im heyligen Römischen Reych Teutscher Na- 
tion durch nachfolgent zwölf artickel etc. 
Ähnlich wird in der Überschrift nach dem Eingange, statt 
wie bei Goldast: 
Folgend stond die zwölff Hauptartikel wie die in des 
H. R. Ordnung betracht seynd fürzunemen und zu be- 
stetigen, 
hier gelesen: 
zwölff H. mit yedes sonderlicher erklerung, wie die 
durch k. Fridrich den dritten zu des H. R. Ord- 
nung betracht für zunemen etc. 


. Während bei Goldast erst die zwölf Hauptartikel zusammen 


stehen, dann deren Declarationen folgen, endlich der 13te 
Artikel mit seinen Declarationen angehängt ist, sind hier 
jedem Artikel sofort seine Erklärungen beigegeben. 


. Der „Beschlufs” des Ganzen, der sich drohend an die Geist- 


lichen wendet, lautet bei Goldast: 
Nun kumbt die Zeit, dals euere Güter als der Feind 
Güter gebeut und aufsgetheilt werden. Wann als ihr 
die Gemein beschwert haben, also wird sie auch über 
euch uffstehen, dafs ihr kein bleibende statt ninders 
wissent. Nach diesen dingen werden erst die zwölff 
Haubtartickel ... ihren Anfang nehmen mit einer recht- 
mälsigen Ordnung und ‚Reformation. 
Die alten Drucke schliefsen dagegen nach einer Anführung 
aus Matth. 3: Es ist schon die Axt den Bäumen an die 
Wurtzel gelegt, und Joh. 15: Ein yetzliche reb an mir die 
nit frucht bringt ect., mit 
Wie dann durch vor gesetzt ordnung gewilslich be- 
schehen wirt. Welcher orn hab zu hören der hör. 
Endlich steht 


. vor diesem „Beschlufs” nach der letzten Declaration des 


Art. XIII in den alten Drucken noch: 
Georg Rixner genant Jherusalem Römischer kaiser- 
licher Mayestat vn des heyligen reychs Ernholt. 
Die von Goldast gegebene Gestalt stellt sich hienach als 
frühere dar. Die in ihrer Überschrift enthaltene Hinwei- 


sung auf K. Friedrichs Reformation, s. oben S. 292, lautet in 


vom 2. Juni 1856. 299 


dem Titel der alten Drucke bestimmter, und wird in ihnen 
noch zweimal, am Schlusse des Einganges und in der Über- 
schrift nach dem Eingange wiederholt. Schwerlich aber konnte 
eine solche Bezugnahme auf des Kaisers Autorität in einer 
spätern Umbildung abgeschwächt und verkürzt werden. Auch 
steht, nach c, in der Anordnung bei Goldast der 13te Artikel 
noch wie ein Anhang da, während die Behandlung in den 
Drucken alle 13 Artikel gleich stellt. 

3. Als früheste Form aber ist die von Öchsle bekannt 
gemachte zu betrachten. Sie trägt gegen jene beiden im Gan- 
zen den Charakter eines noch ungeordneten, losern Entwurfes 
an sich. Zuvörderst in der äufsern Einkleidung. Sie giebt die 
Absätze ohne Überschriften, setzt ihren 12 Artikeln Items von 
ungleicher Zahl nach, und bezeichnet sie nur bei Art. 1, 2, 4 
als Declarationen. Dagegen halten jene Gestalten einen be- 
stimmten Zuschnitt strenge ja pedantiseh fest, indem sie nach 
derjenigen Zahl der Declarationen, die dort den Artikeln 1 u. 2 
folgen, jedem Artikel vier Declarationen zutheilen, welche 
gleich den Artikeln selber eine umständliche Überschrift und 
einen dieselbe wiederholenden Eingang an sich tragen, z. B. 
zu VIII. 2: „Über den achten Artikel die andere Erklärung 
derselben Declaration. Die andere Erklärung über den achten 
Artikel seiner Declaration die wird also fürgenommen”. Fer- 
ner ist bei Öchsle die ganze Darstellung weniger ausführlich; 
nicht minder fehlt dort der Art. 13 so wie Eingang und Be- 
schlufs. Sodann wird zuweilen nur anrathend gesprochen, wo 
die beiden andern Formen positiv bestimmen. So lautet es 
dort z. B.: Zum fünften wär gut, dals kain geweihter ... in 
des Reichs Rath ... getzogen wurden. Hier aber (Art. VI): 
Alle geweyehten ... söllen nun fürbafs hyn nit mer in des 
Reichs radt ... getzogen werden. 

Bezeichnend ist für die Priorität auch folgende Abwei- 
chung im Inhalt. Bei Öchsle heifst es, nachdem S. 290 er- 
wähnt worden, dals XXI Münzschmiede im Reiche genügen 
würden: „Item die obgesagten Munzschmitten sollen in nach- 
wolgenden Lendern vnd Grentzen gethailt werden. Nemlich 
osterreich. Baiern. schwaben. francken. oberreinstrom”. Des 
Niederrheins also, des Landes zu Sachsen, überhaupt Nord- 


300 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


deutschlands wird nicht gedacht. Goldast und die alten Drucke 
haben dafür: „Das man .... XXI muntzschmidt halten soll, 
der sollen funf in die oberland geteylt werden als Beyrn, 
Schwaben, Francken, Oberreynstrom u. Österreich mit jrn zu- 
gehörenden Landen”. Sie beschränken zwar nicht wie dort 
die Einrichtung auf die Oberlande, aber erwähnen doch nur 
dieser Lande bei der Vertheilung der Zahl der Münzschmiede, 
und diese Vertheilung geschieht so auffallend, dafs sie wobl 
nur als Corruption jener ursprünglichern Bestimmung zu er- 
klären ist. 

Besonders lege ich für den fraglichen Punkt darauf Ge- 
wicht, dafs in der Form bei Öchsle jede Beziehung auf Frie- 
drich II fehlt. Die Überschrift lautet hier nemlich: 

Welcher gestalt ain ordnung Reformation zu nutz vnd 
fromen vnd Wolfahrt aller Cristen bruder zu be- 
greyffen vnd- vffzurichten sey. 
Das oben gebrauchte Argument trifft hier noch stärker zu. 
Wie wäre es glaublich, dals die Bauernführer den ungeheuren 
Vorschub, welchen der Name des Kaisers ihren Reformplänen 
gewähren mulste, verkannt und beseitigt hätten. 

Von andern Abweichungen in Einrichtung und Inhalt, die 
für die Priorität nicht entscheiden, sind noch hervorzuheben. 
Aufser dem dreizehnten Kapitel fehlt bei Öchsle noch der 
vierte; dagegen ist sein neunter in den andern Formen zur 
Decl. VIII 4 gemacht. Die einzelnen Bestimmungen sind bei 
ihm zuweilen milder. Zu Art. 3 z. B. wird nur eine Ablö- 
sung des Bodenzinses mit dem zwanzigfachen Betrage ange- 
ordnet, dagegen ist bei Goldast und in den alten Drucken von 
einer völligen Freiheit der Grundstücke die Rede, so dals nur 
von den natürlichen Früchten (was Gott giebt) — oder nach 
Umständen 4, 4, + für Herrn Gült geachtet werden soll. 
Auch sind in der Umarbeitung einzelne Specialitäten des er- 
sten Entwurfes weggeblieben. So steht bei Öchsle S. 287 als 
Argument gegen die Theilnahme der Geistlichen an weltlichen 
Geschäften noch: „Item der Bischoff von Maintz hatt nach 
Natiuitatis Maria nechst vergangen mitt allen suffraganien vnnd 
bischoffen .... der XII sein zu Aschaffenburg ein versamlung 
Ir vnd anderer Babtisten doctores gehabt vnd Rath gehalten. 


vom 2. Juni 1856. 301 


Es ist aber kain weltlicher In den rath nie gefordert worden”. 
Und zum Art. 12 werden unter den abzustellenden Gesell- 
schaften die „„Focker, Hoffstetter, Welser” namentlich auf- 
geführt. 

Auch die einzelnen von Öchsle benutzten Handschriften 
zeigen noeh Abweichungen. Namentlich hat die Stuttgarter 
gegen das Ende einen eignen auch bei Goldast u. s. w. feh- 
lenden wichtigen Satz, wonach der Adel hinfort kein Lehn von 
Geistlichen, sondern nur von Weltlichen tragen soll. 

4. Nach der bisherigen Ausführung ist also der ursprüng- 
liche Gedanke der Reformation und dessen erste Gestaltung 
jenem Heilbronner Convent zuzuschreiben. Ob diesem auch 
noch die Ausbildung und festere Ordnung beizulegen sei, welche 
die zweite von Goldast mitgetheilte Form zeigt, bleibt vorerst 
ungewils. Dagegen lälst sich die dritte Gestalt, die der alten 
Drucke, in Verbindung mit einer bestimmten Persönlichkeit 
bringen. 

Jene Notiz nemlich nach der letzten Declaration des letz- 
ten Artikels kann den Georg Rixner doch nur als Heraus- 
geber bezeichnen wollen, vielleicht mit dem besondern An- 
spruche, dals der Reichsherold auch hier das kaiserliche Wort 
verkündigt habe. So begegnet man hier einen Namen, der ja 
zu den berüchtigtsten in der deutschen Literargeschichte zählt. 
Im J. 1530 erschien bei Hieronymus Rodler zu Simmern in 
prachtvoller Ausstattung das später häufig aufgelegte Werk 
„Anfang, Ursprung und Herkommen des Thurniers in Teut- 
scher Nation”, welches Heinrich den I als Gründer der Tur- 
niere nennt, ausführlich die Abfassung der ersten Turnier- 
gesetze unter ihm schildert, und dann 36 Turniere bis zum 
J. 1395, unter Aufführung der dabei erschienenen Edeln, be- 
schreibt. Welchen entschiedenen und störenden Einfluls das 
Werk Jahrhunderte lang auf die Darstellung der allgemeinen 
Begebenheiten unter Heinrich und auf die Geschichte des Tur- 
nierwesens geübt hat, weist Waitz in den Jahrb. des D. 
Reichs I 14 S. 191 näher nach; eben so ist bekannt, welche 
Verwirrung es bis in die neuesten Zeiten hin in Alter und 
und Genealogie der einzelnen Geschlechter gebracht hat. 


302 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Eine Zueignung des Autors im Eingange besagt: 

Dem Fürsten .... Johannsen Pfalzgrauen bei Reine 

. meinem gnedigen Herren embeute ich Georg Rüx- 
ner genannt Hierusalem Eraldo vnd Khündiger der 
Wappen u. s. w. - 

Die Vorrede erzählt: Weil das Buch bei Johann, Pfalz- 
graf von Rhein und Erzbischof von Magdeburg (1464—1475) 
„in Behalt erfunden”, so habe Georg Rixner Heroald es nicht 
unbillig jenem Brudersenkel des Erzbischofes gewidmet. Ein 
Bürger zu Augsburg Max Wirsung habe ein Tractätlein über 
Turniere drucken lassen '). Rixner halte es für seine Pflicht das- 
selbe zu corrigiren, ‚nach Erkenntnis des rechten Originals”, 
welches er selber bei Johann Kirchberger, Vicar des Stiftes 
der Moritzkirche zu Magdeburg und Kaplan des Erzbischofes 
Johann gesehen und unter seiner Hülfe mit grofser Mühe aus 
ihrem „‚kurzen Teutsch” ins Hochdeutsche gebracht habe. Dann 
heilst es „‚darumb diser Herr Johanns dils buch nach seiner 
Fürstlichen Gnaden abgang ... in sein gewalt gebracht hat, 
welches vor alter gar nahe verblichen was, vnd als mir solch 
buch von jme ward, begert ich an jne, das nymant weiter zu 
vergünnen, des er mich unter augen gewart, vnd warff es in 
meinem ansehen jn ein feuer, darumb ich weils solch Ritter- 
spiel von nymandt andern den mir in dils hochteutsch gezung 
verwandelt vnd an tag bracht ist”. 

Dieser seltsame Bericht erregte schon Goldasts höchsten 
Verdacht. Er giebt zwar in den Reichssatzungen S. 4 Hein- 
richs des Finklers Turnierordnung, aber bemerkt dazu $. 305: 
nicht zwar dafs ich wölle die Thurniere gehalten zu seyn ver- 
neinen, sondern die Form, Weils vnd Umbständ, wie sie im 
gemeldtem Buch beschrieben, halt ich, seyn aus des Ruexners 
wahnsinnigem Hirn erdacht und gespunnen worden. Und als 
B. G. Struve in seiner Abhandlung de doctis impostoribus 1703 
die Personen dieses Gelichters zu classificiren unternahm, hat 
er dem Autor des Turnierbuchs den gebührenden Platz nicht 
vorenthalten. Er erzählt auch von ihm: notum est, quod saepe 
genealogias finxerit, quae latius exponere meditabatur Caspar 


‘) Im J. 1518, 4, s. Finauer baiersche gel. Gesch. unter Rixner. 


Y 


vom 2. Juni 1856. 303 


Sagittarius in Ruxnero exenterato. Wie weit es unser „Ern- 
halt’”’ auch hierin trieb, zeigt Spangenberg, der in seiner Henne- 
bergischen Chronica 1599, S. 10 mit Entrüstung einen Stamm- 
baum mittheilt, in welchem Rüxner die Grafen von Henneberg 
von Geschlecht zu Geschlecht bis zum Jahr 311 n. Chr. G. 
zurückführt. 

Leider habe ich über die sonstigen Lebensumstände des 
frechen Mannes nichts ermitteln können. Finauer (s. S. 302 
Note) weils nur zu sagen, dals er in Baiern geboren sein werde, 
weil Vigiläus Hund, Vorrede zum baierschen Stammbuch, ihn 
für seinen Landsmann anerkenne. Sonst haben er und Kobolt, 
der ihn ausgeschrieben, so wie Jöcher, Struve u. a. nicht 
mehr, als was die Vorrede zum Turnierbuche ergiebt. Das 
K. Privilegium für den Verleger dieses Buches ist vom J. 1527; 
damals also war das Werk wohl fertig. Der ,„Teutschen Na- 
tion Nothdurft” zeigt ihn uns wenige Jahre früher, aber auf 
gleich fahlem Pferde. Wie weit er, dem das schlimmste zu- 
getrauet werden darf, auch hier in Lug und Trug gegangen, 
ist freilich nicht genau zu sagen. Es mag sein, dals er, der 
sich in der Zueignung zum Turnierbuch nur ‚,‚Eraldo und 
Khündiger der Wappen” nennt, wirklich „„Römischer Kaiser- 
licher Mayestät und des heiligen Reiches Ernhalt” gewesen, 
denn auch damals war dies schwerlich eine Würde von beson- 
derer Bedeutung '). Beim Einschieben des kaiserlichen Namens 
und einer für das Reich ergangenen Ordnung hat ihm eine 
Aufschrift, ähnlich der von Goldast aufgeführten, wohl schon 
den Weg gewiesen. Im Dunkeln bleibt, ob er auf eigne Faust 
oder im Einverständnils mit den Bauernführern ihrem Entwurfe 
eine grölsere Öffentlichkeit und entschiedner den Schein der 


‘) J. Spener sagt in der insignium theoria Fef. 1690 fol., Prolegom. 
p.9. Ex aula imperiali didici, quinque esse feciales, non aliam eorum 
functionem, quam quod solennitatibus aulicis ... assistant eta Caesare 
per eos... statibus sententiae insinuentur. Unde ipsi sub aulae praefecto 
sunt, ... neque aliquis inter eos rex armorum ... est; ita et inspectio in 
arma nobilitatis ad eos non spectat... Tum nobiles quam ignobiles ad 
hanc dignitatem creantur. An olim diguitas huius ordinis major fuerit, fa- 
teor me ignorare, 


304 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


höchsten Autorität zu geben suchte, auch, ob er diesen Schritt 
vor oder nach der Dämpfung des Aufstandes — Mai und Juni 
1525 — wagte. Noch mag nicht unbemerkt bleiben, dafs sein 
Name vor dem „Beschlusse’” steht, der sich noch einmal mit 
Eifer gegen die „Geweychten” richtet, und dals in dieser 
Schlufsrede selber die letzte drohende Voraussagung, s. oben 
S. 298, etwas milder als bei Goldast gefalst ist. 

Das Ergebnifs der Untersuchung ist dahin zu fassen. Nach 
Öchsles Mittheilungen war durch Eichhorn der richtige Stand- 
punkt für die Beurtheilung des Documents im Wesentlichen 
schon gegeben. Dasselbe wurde bestimmt aus der Reihe der 
wirklichen Rechtsquellen oder auch nur der Reichstagsentwürfe 
und aus dem 4öten Jahrhundert entfernt, und dagegen den 
Plänen der Volksführer in der gährenden Zeit nach der kirch- 
lichen Reformation zugewiesen. Nach der nunmehrigen Ein- 
sieht in die alten Drucke darf sowohl die Annahme Öchsles 
und Rankes, dafs dem Verfassungsentwurfe der Bauernführer 
ein schon von ihnen u. d. N. Reformation Friedrichs II vor- 
gefundener Aufsatz zum Grunde gelegen, als auch die Ver- 
muthung Eichhorns für beseitigt gelten, dals die Schrift von 
den Zwickauer Schwärmern, namentlich von Thomas Münzer — 
gegen dessen wilde Pläne die Reformation so bedächtig und 
milde erscheint — herrühren könne. Es waren dies Annahmen, 
die, wie hart sie auch gegen die Lage der Dinge und den 
Charakter der Personen verstolsen, doch durch das vermeint- 
liche Datum 1523 des Druckes jenen Forschern aufgezwungen 
wurden. Der Umstand, dafs diese Jahrzahl nur der Buch- 
druckerverzierung angehört, hebt diese Nöthigung auf und giebt 
einer natürlichern Auffassung über die Stellung der verschiedenen 
Formen des Werks freien Raum. Zugleich wird die öffent- 
liche und entschiedene Ausschmückung des Documentes mit 
einem kaiserlichen Urheber nun an einen Namen geknüpft, zu 
welchem man sich des kecksten literarischen Truges wohl ver- 
sehen darf. 


vom 2. Juni 1856. 305 


Hr. Bekker gab, als Nachtrag zu seiner Ausgabe des 
Phrantzes, die Disputation des Patriarchen Gennadios mit Sul- 
tan Muhammed II, in türkischer Sprache, aus der griechischen 
Schrift, worin Alter sie gedruckt hatte, auf Friedrich Wilkens 
Bitte in arabische übertragen und mit Sprachbemerkungen be- 
gleitet von Hrn. von Hammer-Purgstall. 


! 
siu> (1) > 5 A 8 Ay role 
dm Ss 5 um 
> ul an dar > eh > (}) de 8 > 2 
Ani, DM le lu Ds le IK 
sel} (4) io „Uhl 55 äl „Sole 0. 9 ul 3 0 
Ey zur rät all ei 5° ka 
ah 8 Si 
r 


„> gu> BU 2 sam (?) ul, „le u 


(') xadızı mit dem Jai Isafet, welches hier gar nicht 
statt findet, aber vom griechischen Abschreiber häufig Wörtern 
angehängt wird, denen es nicht zukömmt. 

(2) @zır die Vulgaraussprache für Aakl, ves, nicht ‚Ne 
was vorros. 

(?) Sehr verderbt in ravızz. 

(*) suberrsg ganz richtig, in der Folge entweder durch 
Schreibfehler oder als doppelter nicht unüblicher Plural Ssi- 
fatler wie Ulemalar. 

(°) %srım möchte man des = willen für ‚5° halten, aber 
das unten vorkommende yiaız „I> zeigt, dafs jenes Halim 
gelesen werden müsse. 


306 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 
(!)w8 ss „> „Ju> O\SSP) Pr) mr AA 

_lI> Ms 0 ar E38} BER HER SCHe a peR) By 
DB SCHE „? male ES „> > EB SCHE BEN) RESP) } 
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Az: 176) a6 er, „2 sy; Sig jealie fe 
2 a ea (ya ze wl> > (3) aliwo 
oß,> Ne) Pu sl a RE) ws ee) BER H) 
re il LI Si (FM) ud yo 
Ko 


(') MayAszzvredre, unten ueyAszsvrare, sollte eigentlich 
nayAsszvrero sein, weil das erste »5 (de) die Partikel in, das 
zweite 55 (da) das zusammengezogene Dachi (auch). 

(?) rg. das ı ist hier ganz überflüssig zugesetzt; das 
Türkische zeigt überall wie der verderbte griechische Text 
richtig herzustellen, also hier &r$ sıdar Pagrep u. s. w. wie 
z. B. das folgende 

(?) Er&nsı der Asyeirzg richtig zu verbinden ist als #2 sı- 
derie Yeıraa. 

(*) Wiewohl das griechische Wort nichts als (2, zu sein 
scheint, so ist dieses doch schwerlich richtig, da dasselbe kei- 
neswegs den Sinn des griechischen «aröiws &v äaurs giebt. 

(?) Fehlt im Alter, steht aber in der Pariser Hand- 
schrift als ’wriger. 


vom 2. Juni 1856. 307 
r 

ya lb Rn Ss BE SSHR) Sy zealäiel ee 
al al AP he m Ay ee > (2) 
SOAP 6,0 re er wu 5 ey Ale 5 
(> Ne sul Sol POS g SS 5,0 ER a) > 
auLE> KNl> ORDER EEENESN () gie wohl, Nie 
a wo 5 all Je aikls Sl an ®> 20er R- 
MR> Sul Lu ya) ei AN he 
a ze ie 
wol, PP Me) ... (+) ESP exe Be) Se Kst 
AED > Kur Kb 2 
> Ku 


(') Sehr verderbt, aber doch erkennbar in &ytgzırdın. 

(?) ör2v scheint auf den ersten Anblick BES Odun 
d. i. Holz zu sein, ist aber der Genitiv von Ud d. i. Feuer, 
amo TE mugos. 

(°) «za. hier stellt das : keineswegs, wie so oft, das 
Isafet vor, sondern das Jai nisbet, wodurch aus Aakl vsr 
(Vernunft) Aakli voyrös (vernünftig) wird. 

(*) Das Weggelassene ist im Alter doppelt. 

(?) Wie reruzdis als zur de rZro türkisch geschrieben 
werden müsse, bleibt noch zu errathen, vielleicht dafs andere 
Handschriften hierüber Aufschlufs geben. | 

[1856.] 23 


308 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sh IT ni> sont alle de te en he 
u 0 Ko A a ee? 
ey ee N ed er 
5b we dl 0 all lt ul N am (1) Lab 9 


BE u 


[0] 
„ah ALS 2 y oläel 
m Po te ae os al ee 
0 a A re et u Ku 
wol> 2 re N 5 5 (9) 


5 We def ey BE St a) 5 ES 


(„äyi) RE > Sa 5 Lei, Ss all 


RUSS rn RA Kl (d) ae 
R-e AN Gi Tr re Zn oliel 
öl sh u Zeil oliiet sell soul ie () ij 


2 re ee el lb 


(') ran %errev scheint freilich .,s EX zu sein, 
allein &:ö:ws kann nur Daima heifsen und :z 72 @:2 Hakkdan. 

(?) Fehlt im Alter steht aber in der Pariser Handschrift. 

(?) »urng&g für zußegv& ist weder mit Kadirdur noch mit 
Takdır eder ‚A, PS richtig übersetzt, es sollte „5 Ted- 
bir eder heilsen. 

(*) Fehlt im Alter, steht aber in der Pariser Handschrift. 

(°) Das z: ist überflülsiger Zusatz wodurch die Phrase: 
auf der Erde zum Participiensatze: das auf der Erde 


Existirende, würde. 


vom 2. Juni 1856. 309 


um art ul Silb u Ki KH  Slb 
a Sl il A Tr (!) he zo) 
was Fr us Er 
4 

al! m cu» als) Ve A, yo go) EN 6x 
nee ie a he 
al; Re u wu>las ui) „> ol a m 
u Ss lol Dub out sl side all Ley 
DI On me I oläiet all, el 
alu) 9a lt u doll all de nu) ee se 
5 (?) KO m I; syn) ie) > u al 
Br re a ie > er 
Ba nr dl Al rss 
MT ee > es de 
ya) yes a Sh et Sr ui, 
zanl oliiet Alt ya) Syria (al opa> ühle 

(") vevoregı ist vielleicht noch richtiger „Ins zu schrei- 
ben, denn Nefs u hawa ist der gewöhnliche Ausdruck für 
Lust und Begier. 

(?) zerıg könnte sowohl AS als „2% heilsen, das letzte 
ist aber hier das wahrscheinlichere. 

(?) Fehlt im Alter, steht aber in der Pariser Handschrift 


als “N. 
23° 


310 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 

obs} ul ums z»> om) CF) all EEE zu Hals 

Sie) m) re UT ee, Fl 

Mars 2 > Da u 
AIWERO (» Je) He et 3} Nie m) 


v 


sl m AM m 2 ig) Sn zeoliel im 


au Te rt he ei 


ph äu> I lu ul Ss mus 0) (ms 
But ur 
A 
ey in zeliiel Fe 
ERS Sen u Ga FE TETE SUN Be upper ur 
I en Dr AD 5 ralie 
0 6 u rn et ee 
ET N Lu > u Küy 2 Ch 
Bin 5 polie sh) me Am et ee 


(') arayı ist vielleicht | zu schreiben, wenn man es 
als Accusativ von dem vorhergehenden Ittikad ederis gelten 
lassen will. 

(2) Ist mit £= zu suppliren, so auch das folgende. 

(?) sayırreon scheint freilich zasls zu sein, allein das 
Wort für Jünger ist Schagird. 

(*) Sehr verderbt als »razvıyı wiewohl oben richtig 
yıavız das vorhergehende vasıg einer Person ähnlich, ist keine 
treue Übersetzung des Textes. 

(?) azızaryrı in der folgenden Zeile richtiger gazızarıı. 

(°) &zgigre verderbt statt angıyr: durch die häufige Ver- 
wechslung des = mit 7. 


W 


vom 2. Juni 1856. 311 


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u 9 ah ee) 
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u LK I ale (iz te 
ee TI Th ya (2) 
2 um st 
1. 
el 2 eliel u 
a le A „il, „el Ju 
ya DS ei „plas 
BD N PL () er AUS Sr 


(') £ßer Zar scheint für „0 auf zu stehen, was aber 
dem griechischen Texte nicht entspricht. 

(?) urevev als Se gäbe keinen Sinn. 

() v0 Pansı zıwmagı ist die Vulgaraussprache Schol 
wakit kim statt Schol wakt kim vo Bazr zım ragt. 

(*) aösner kann nicht surdl sein, da im Texte 70 ülos 
steht. Eben so kann das folgende seuzarıwı nur als Schewke- 
tini gelesen werden, da es der övvanıs des Textes entspre- 
chen mufs. 


312 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


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355) 2) P.SSP) Dar Url a sus Sp LTD 


(!) rgagmıy, orvrı als (san) zu „> d. i. crux fuit würde 
keinen Sinn Beben, während Tscharmichlendi wörtlich das 
griechische &saugw>r. 

(?) Im Alter 28 sl}Ölündsch mortuus vr Or 

was in der Pariser Handschrift richtig ZAvrı. 


vom 2. Juni 1856. 313 


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M 
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(') Mövre giebt als süslıs gelesen den Sinn, dafs das 
Paradies in der Mitte (zwischen Himmel und Erde), allein 
ı Kökde scheint im Gegensatze mit Jerde das richtigere. 

(?) rgauizsı sehr verderbt wie das unten folgende Taa- 
Simat und sayarır statt Schehadet, und dann wrigrırıyeueg 

statt umis sırıyeuss Bis dedügümes kibi. 


314 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


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DV al> Al (+) Sum imgule 
> 


(') Pe rSıy Stv gäbe als „Ag>, keinen Sinn, und wird 
augenscheinlich durch das folgende muchalif nesne als Bir 
dschihetden zu lesen bestimmt. 

(?) Üserinde wäre richtiger. 

(?) movergirsg sehr verstümmelt statt Mudschiseler. 

(*) Mesluk ola ist unrichtig statt Salik ola oder So- 
luk ede su} Sul es mülste denn vielleicht Meschghul 
Jezär zu lesen sein, was aber nicht wahrscheinlich. 


vom 2. Juni 1856. 315 
Ist all Sole alt ale alt alle le Ks it 
Fr Jalb lin m N Sr > el Kl; 
A re ea ot lol et Elm 
au u u, A 


Ri „Lei! sul ze A er ze 
ES CN pi ABcaR 


Dieser Schlufs fehlt im Alter. Wenn die neue Ausgabe 
Phrantze’s die Orientalisten ganz befriedigen soll, so wäre 
aulser der Herstellung des mit griechischen Buchstaben ge- 
schriebenen türkischen Textes in der richtigen Verbindung der 
Sylben und Wörter (welche aus dem vorliegenden türkisch ge- 
schriebenen ersichtlich) auch die Aussprache des Türkischen 
mit lateinischen Buchstaben erwünscht, weil z. B. sonst der 
Hellenist nicht weils, dals vevsav: als nefsani, rZiurs als 
dschumle, ixrızarınds als ittikadümüs, zum als kibi, 
Yovrge (xourge) als hudschet, reyı.r als deül oder deil, 
»aum2r als kabul u. s. w. auszusprechen ist. 


Bemerkungen zur türkischen Umschrift der Dispu- 
tation des Patriarchen Gennadios mit Mohammed II 
aus der Ausgabe Phrantze’s von Alter. 


Aus der gänzlichen Übereinstimmung des griechisch ge- 
schriebenen türkischen Textes bei Alter mit dem von Crusius 
in seiner Turco-Graecia gegebenen (eine Übereinstimmung, 
welche sich bis in die augenscheinlichsten Schreib- oder Druck- 
fehler bewährt), scheint es, dafs Alter diesen Theil des Tex- 
tes unmittelbar aus der Turco-Graecia habe abdrucken lassen, 
und in jedem Falle ist es erwünschlich, dafs von mehreren an- 
deren Handschriften Phrantze’s (deren eine zu München, eine 
zu Mailand, zwei zu Turin), derselbe griechisch geschriebene 
türkische Text mitgetheilt werden möge. Von dem vorlie- 
genden doppelten des Crusius und Alters (welche identisch) 
und dem der Pariser Handschrift ist der erste der bei wei- 
tem mit grölserer Kenntnils des Türkischen geschriebene, in 
welchem nur hie und da einige Wörter fehlen, welche so wie 


316 Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 2. Juni 1856. 


die letzte Zeile des Schlulses aus der Pariser Handschrift zu 
suppliren sind, während im Absatze ö bei Alter eine Zeile 
doppelt geschrieben, und deshalb im Drucke wegzulassen ist. 
Dieser nun bald vierhundert Jahre alte in griechischer Aus- 
sprache geschriebene türkische Text zeigt, dafs sich die letzte 
in vier Jahrhunderten nicht im geringsten geändert, und dals £ 
trotz aller seitdem und besonders seit dem Beginne dieses Jahr- 
hunderts in der Türkei vorgefallenen Veränderungen und Re- 
formen die Aussprache ganz dieselbe geblieben ist. In dieser 
ist vorzüglich der von so vielen Orientalisten für gleichgültig 
erachtete Unterschied des e und a zu bemerken, welcher auch 
hier durchaus dem Gesetze der weichen und harten Buchstaben 
folgt, so durchaus Eb der Vater nicht Ab (was vulgare ara- 
bische Aussprache), weil das Hemse (nicht Hamsa, was der 
eigene Name eines Mannes) immer wenn mit Feth vocalisirt 
e und nicht a lauten muls; also Ebul-chair und nicht Abol- 
chair, Ibn und nicht Ebn, wie nur die englischen Orien- 
talisten recht schreiben, weil im Englischen das e als i ausge- 
sprochen wird. »5 ist als Präposition (oder vielmehr Postpo- 
sition) immer De und nur dann als Da auszusprechen, wenn 
dasselbe zusammengezogen für ES Dachi (auch) gebraucht 
wird. Die Art und Weise womit in Phrantze das griechische 
Alphabet zur Bezeichnung türkischer Buchstaben verwendet 
wird, ist ganz und gar die noch heute übliche der Neugriechen ; 
die Buchstaben und „ werden beide mit %, geschrieben, 
nicht weil die Aussprache dieselbe (indem dieselben durchaus 
wie das deutsche H und Ch lauten), sondern weil das Neu- 
griechische den reinen H-Laut nicht kennt; die wahre Aus- 
sprache des = und „ ist ebenso von einander unterschieden, 
als die des ;5KafıS Kjef und $ Gjef: das erste wird durch 
das einfache =, das zweite durch ze wie \uß zeamiaA, das 
dritte durch yzı wie NEST yzroguzswrw ausgedruckt. Dals 
das Dal (D) anders als das griechische ö laute, erhellet dar- 
aus, dafs jenes immer mit vr bezeichnet, dieses nur als Sub- 
stitut des 5 und des _b gebraucht wird: vadag für » und 
drzıg für FF Für „ wird überall &, für & (weil der B-Laut 
dem Neugriechen als einfacher Buchstabe in der Schrift fehlt) 


Gesammtsitzung vom 5. Juni 1856. 317 


jr gebraucht; das ; findet seinen natürlichen Stellvertreter im 
&, so dals die Franzosen vollkommen Recht haben , mit z zu 
schreiben, welches bei ihnen der lindeste Sauselaut, während 
die deutschen ÖOrientalisten sehr Unrecht haben dafür das Z, 
welches im Deutschen das Zeichen des schärfsten Sauselauts, 
zu gebrauchen. Mit grölserem Fuge könnten sie dasselbe statt 
tsch verwenden, welches der Grieche, der diesen Laut 


durchaus nicht aussprechen kann, mit r$ ersetzt. Den Laut 
des Ain, welches im arabischen Alphabete (Ebdsched hewes) 
dieselbe Stelle einnimmt, wie das O im griechischen, wird wie 
der Laut des H ebenfalls mit % substituirt, also ıyrızarzuds 
für ssläie} und soyAs für lei. Da der Neugrieche den 
Sche-Laut ebenso wenig kennt, als den H-Laut, so gebraucht 
er auch für S und Sche immer nur das «: soyAs stat Schoole 
die Flamme und sov&v statt Schunun; den Laut des J drückt 
er mit yı aus, also durchaus Tievı für Ri den ihm endlich 
ganz fremden Nasenlaut des [saghir Nun $ sucht er durch 
Verdoppelung des Vocales auszudrücken, also statt >) tanri 
(auf französisch ausgesprochen) «ag, wofür derMongole Tengri 
sagt. Dieses sind die Anhaltspunkte der von dem Neugriechen 
befolgten Rechtschreibung des Türkischen; die meisten Ab- 
weichungen sind augenscheinliche Schreib- oder Druckfehler, 
wie z.B. Yovger für ouder vr oder exAerı statt eyAerı Ne 
und dergleichen mehr. 


5. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Trendelenburg las „über Herbarts prakti- 
sche Philosophie und die Ethik der Alten.” 


Hr. Encke machte folgende Mittheilung: 

Für die diesjährige Opposition der Flora hatte ich selbst 
\ sorgfältig den Ort aus den Brünnowschen Tafeln berechnet, 
und liels ihn zur Sicherheit ebenfalls von meinem Gehülfen, 
Hrn. Bruhns, herleiten. Die Vergleichung mit der Beob- 
achtung war folglich hier ein sicherer Prüfstein. 


318 Gesammtsitzung 


Hr. Bruhns hat die Flora jetzt an zwei Abenden jedes- 
mal im Meridian und mit dem Refraktor beobachtet. Die Me- 
ridianbeobachtungen gaben 


MBZ @& ö ' 

A ’ ” h ’ ” o ’ „ 
1856 Juni2. 13 11 4,6 17 57 39,04 —18 44 30,32 
3.13 6 10,6 17 56 40,74 18 45 55,75 


Die Refraktorbeobachtungen, bei denen beiden derselbe Ver- 
gleichstern gebraucht ist, gaben 
MBZ & ö 
A ! „ h ı „ o ’ » 
1856 Juni 2. 13 38 25,4 17 57 37,72 —18 44 34,71 
3.12 41 59,1 17 56 41,32 —18 45 57,20 ° 


Der Unterschied der Berechnung im Jahrbuch von 1858 
gegen die Beobachtung, die letztere subtractiv genommen, ist 
bei den ersteren 


ina. Juni 2 — 0,01 ind + 1,4 
3. — 0,07 +1,4 
bei den letzteren 
eg ae rn 
3. + 0,37 + 3,9 


Da die genaue Bestimmung des Vergleichsterns jetzt noch 
nicht geschehen konnte um die Flora nicht zu versäumen, so 
ist die Übereinstimmung beider Beobachtungsarten so gut als 
man erwarten kann und die Tafeln leisten Alles was gewünscht 
werden kann. 


Hr. Homeyer übergab eine Nachricht „über Klenkok 
wider den Sachsenspiegel,” wobei er auch einen An- 
hang zu seiner im vorigen Jahre gelesenen Abhandlung bean- 
tragte. 

Er theilte mit, dafs er von den Hrn. Prof. Stenzler 
und Archivar Dr. Wattenbach in Breslau einige schätz- 
bare Nachträge zu seiner am 22. März 1855 gelesenen Ab- 
handlung: ,Klenkok wider den Sachsenspiegel” erhalten habe. 

Der erste besteht in einem lateinischen Aufsatze, aus der 
Hädschr. der K. Centralbibliothek zu Breslau IV F. 57 S. XV, 


vom 5. Juni 1856. 319 


worin Klenkok gleichwie in der deutschen Schrift, Abhdl. 
S. 383, 416 ff., dem Magdeburger Rath gegenüber seine An- 
griffe auf die Irrthümer des Ssp. vertheidigt. Der neu aufge- 
fundene Aufsatz erscheint als der ältere und enthält, obwohl 
in der Hauptsache mit dem deutschen stimmend, doch mehrere 
eigne für die Geschichte des ganzen Streites erhebliche Züge. 
So erklärt sich die der Ausführung Klenkoks gegen das Rechts- 
buch gegebene Bezeichnung Decadicon (Abhdl. S. 388 N. 15) 
jetzt in der That daraus, dafs der Verf. ursprünglich nur zehn 
Hauptirrthümer des Ssp. hervorgehoben hatte. Bemerkens- 
werth ist ferner die Erwähnung einer Abrede Klenkoks mit 
Kerlinger, Abhdl. S. 383, dafs dieser die aufgedeckien Irr- 
thümer dem Pabste anzeigen solle. Endlich ergiebt sich nun, 
dals die Zeit, da Klenkok zuerst wider den Ssp. auftrat und 
die Schritte Magdeburgs gegen sich hervorrief, später als bald 
nach 1330, Abhdl. S. 384, falle. Denn einerseits erzählt hier 
Klenkok: anno praeterito dum essem Erfordie quosdam 
errores .... in quodam libello qui nuncupatur Saxoniae spe- 
culum insertos ... reperi, andrerseits gedenkt er schon als 
„dominus meus” des (Albertus) Halberstadensis, welcher erst 
im J. 1390 starb. 

Der zweite Beitrag liegt in der Hinweisung auf eine 
künftig weiter zu verfolgende Notiz, welche Dudik Iter Ro- 
manum, II 125 aus den Päbstlichen Regesten dahin giebt: 
1356. 16. Oct. Innocent. VI. Karolo imp. notificat excommu- 
nicationem at prohibitionem scriptorum quae leges seu Spe- 
eulum Saxonicum appellantur et rogat ut huic mandato invi- 
gilat. d. Avin. Idib. Oct. an. 4. Ut supra epist. 370. Es wird 
nach jenem Aufsatz glaublich, dafs auch diese, um 18 Jahre 
der Bulle Gregors XI vorangehende Verurtheilung des Ssp. 
durch Klenkoks Angriffe herbeigeführt wurde. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 
R. v. Carnall, Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen. 
4. Band, 1. Lieferung. Berlin 1856. 4. 
Athenaeum frangais. no. 22. Paris 1856. 4. 


320 Gesammtsitzung 


L’Institut. A. Section. no. 1168. Paris 1856, 4. 
Corrispondenza scientifica in Roma. no. 37—39. Roma 1856. 4. 
Revue archeologique. 13me annee, Livr. 2, Paris 1856. 8. 
Geschichtsblätter aus der Schweiz. 2. Band, 4. Heft. Luzern 1856. 8. 
Würtembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte. 12. Jahrg., 2. Heft. 
Stuttgart 1856. 8. 
Mittheilungen der Geschichts- und alterthumsforschenden Gesellschaft des 
Osterlands. 4 Bd., 2. Heft. Altenburg 1856. 8. 
Einige Actenstücke zur Geschichte des sächsischen Prinzenraubs. Alten- 
burg 1855. 8. 
Back, Über Wetterläuten und Wetterkorn. Altenburg 1856. 8. 
The quarterly Journal of the chemical society. no. 33. London 1856. 8. 
Schleicher, Zifauische Grammatik. Prag 1856. 8. Mit Begleit- 
schreiben des Hrn. Verfassers d. d. Prag 5. Mai 1856. 
Th. Lawson, Army Meteorological Register for twelve years from 1843 
—1854. Washington 1855. 4. Mit Ministerialrescript vom 
3. Juni 1856. | 
Walz und Winekler, Jahrbuch der Pharmacie. 5. Bau Her 7 Ti 
Speyer 1856. 8. 


Aufserdem kamen zum Vortrage zwei Rescripte des vor- 
geordneten Hrn. Ministers vom 28. und 31. Mai a. c., welche 
die Genehmigung der von der Akademie bewilligten Summen 
von 200 Rthlr. an Hrn. Prof. Theodor Schönemann in 
Brandenburg und von 200 Rithlr. an Prof. Dr. Curtius in 
Göttingen für wissenschaftliche Unternehmungen und Leistungen 
aussprechen. 


42. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Dieterici las „über das Verhältnils der neu- 
geschlossenen Ehen zu der Anzahl der gleichzeitig 
Lebenden in den verschiedenen Staaten Europa’s.” 

Anknüpfend an einen früheren Vortrag in der Sitzung der 
philos.- histor. Klasse, in welchem das Verhältnifs der neuge- 
schlossenen Ehen zur Bevölkerung im Preufsischen Staat ausge- 
führt war, und dargethan wurde, dafs in den letzten Decennien 


vom 12. Juni 1856. 321 


auf resp. 113, 109, 116 Personen eine neue Ehe geschlossen 
worden, während in den letzten Jahren 18% nur auf je 121 Per- 
sonen eine neue Ehe sich berechnete, wurden die ähnlichen 
Verhältnisse in Bezug auf diejenigen Staaten Europa’s bespro- 
chen, von denen in den officiellen statistischen Tabellen und 
sonst in glaubwürdigen Schriften über die Verheirathungen 
sichere Nachrichten vorliegen. Abgesehen von den vielen Ab- 
weichungen und Verschiedenheiten, die sich nach einzelnen 
Provinzen und Landesgebieten zeigen, und wenn man die letz- 
ten Jahre 1353 und 1854 fortläfst, welche bei den hohen Ge- 
treidepreisen in ganz Europa und dem Kriege zwischen Rufs- 
land und den Westmächten fast in allen Staaten unverhältnils- 
mälsig wenig neu geschlossene Ehen zeigen, ergeben die un- 
gefähren Durchschnitte oder sonstige Mittelzahlen in den letzten 
dreilsig Jahren bis etwa 1850 oder 1851 im Ganzen folgende 
Verhältnisse: 
1. Bayern nach der Zählung von 1843. — 1: 150. 
2. Schweden 1 :138 bis 140. 
3. Württemberg, Baden, beide Hessen, Thüringen 1 : 130 
bis 140. 

4. Belgien, die italienischen Staaten, Hannover 1 : 130 
bis 135. 

5. Frankreich etwa 1 : 125 bis 127. 

6. England (Engl. und Wales, da von Schottland und 
Irland die Nachrichten fehlen) 1 : 122 bis 125. 

7. Die Niederlande 1:121 bis 124. 

8. Dänemark and Norwegen 1:115 bis 122. 

9. Die österreichischen Staaten 1 : 115 bis 120. 

10. Königreich Sachsen und der Preufsische Staat 1 :115 

bis 118. 

Wie Vieles noch schwankend und unsicher bei diesen 
Übersichtszahlen bleibt, da nicht von allen oben angeführten 
Staaten vollständige Zahlenreiben verglichen werden konnten, 
so sind doch einige Resultate, wie dies bei der Behandlung 
der einzelnen Länder näher ausgeführt wurde, nicht zweifel- 
haft. Es stellt sich zunächst heraus, dals bei dem Verhältnils 
der neuen Eheschlielsungen zur Bevölkerung nicht so grolse 


322 Gesammtsitzung 


Differenzen in den verschiedenen Staaten hervortreten, als bei 
den Todesfällen und den Geburten. Die von Sülsmilch 
vertheidigte Meinung, je mehr die Bevölkerung steige, um se 
mehr stiege die Zahl der neuen Ehen, ist nicht richtig; eher 
steht es umgekehrt: mit gröfserer Dichtigkeit der Bevölkerung 


| 


wird unter sonst ganz gleichen Verhältnissen die Verbältnifs- 


zahl der neu geschlossenen Ehen etwas geringer. Indessen 
kommt es sehr oft vor, dals dichtere Bevölkerungen mehr neue 
Eheschliefsungen zeigen, als noch weniger dicht bewohnte Ge- 
genden. Die grolsen Städte zeigen verhältnilsmälsig mehr neue 
Eheschliefsungen als das platte Land, viele Fabrikgegenden, 
insbesondere wenn die Fabrication nicht sowohl in ihren alten 
Gränzen steht, als wenn sie in raschem Aufschwung sich be- 
findet, haben ebenfalls mehr neue Eheschliefsungen, als Ge- 
genden, in denen blos Ackerbau in vielleicht nicht besonders 
günstigem Betriebe sich findet. Nicht blos danach, ob eine 


Gegend schon voll mit Menschen besetzt ist, als vielmehr auch. 


danach, ob menschliche Thätigkeit im Aufschwung von Handel, 
Gewerbe, Fabrication und Landbau Mittel findet, einen neuen 
Hausstand zu begründen, richtet sich das Verhältnils der neu 
geschlossenen Ehen zur Bevölkerung; und auch die Besorgnis 
vor zu viel leichtsinnig geschlossenen Ehen bestätigt die sta- 
tistische Vergleichung nicht; denn auffallend genug fallen die 
Zahlen bei hohen Getreidepreisen, wenn Cholera oder andere 
Krankheiten herrschen, sofort, und in Gegenden und Ländern, 
die notorisch nicht im grolsen Fortschritt im Landbau, Industrie 
und Handel begriffen sind, zeigen sich wenige neue Ehe- 
schlielsungen; so dafs die Annahme sich zu rechtfertigen scheint, 
nicht positive Gesetze, sondern die Natur der Dinge, der eigene 
Verstand der Bevölkerungen, wenn Ordnung, Sittlichkeit, Bil- 
dung und Thätigkeit in ihnen voranschreiten, regeln am besten 
das Verhältnils der neuen Eheschlielsungen zur Bevölkerung. 


vom 12. Juni 1856. 323 


Hr. Ehrenberg las hierauf „über das mikroskopi- 
sche Leben der centralen Landflächen Mittel-Afri- 
ka’s,”’ nach Dr. Vogels Materialien. 

Das mikroskopische, durch keinen Flufslauf zur Küste ge- 
führte Leben des centralen Flachlandes in Mittel-Afrika ist noch 
von keinem Auge gesehen worden. Meine Bemühung von den 
ausgezeichnet muthigen Reisenden Barth und Overweg Ma- 
terialien vom Tschad-See zu erlangen, blieben erfolglos, da 
Overweg so bald den feindlichen Einflüssen sterbend unter- 
lag und meine an Dr. Barth nachgesendeten Briefe erst in 
Tripolis dann in seine Hände kamen, als dieser von der Vor- 
sehung wunderbar gerettete Reisende zur Rückkehr sich wie- 
der dort einfand. Nur einige Erden von Tripolis selbst, der 
Umgegend des alten Carthago und der Oase Fezzan sind in 
der Mikrogeologie aus Barth und Overwegs Materialien 
analysirt und meinen eignen schon 1820 mit Dr. Hemprich 
gesammelten Kenntnissen dieser Art zugefügt worden. Die von 
mir selbst aus der Ammons-Oase von Siwa mitgebrachten Mate- 
rialien hatten für die Mikrogeologie 1854 80 Formen -Arten 
des kleinsten afrikanischen Wüsten-Lebens ergeben: 35 Poly- 
gastern, 29 Phytolitharien, 15 andere kleine Formen, 1 unor- 
ganische. Die aus Fezzan und Tripolis durch jene Reisenden 
erlangten Formen betrugen 71 Arten: 16 Polygastern, 41 Phy- 
tolitharien, 7 andere organische und 7 unorganische Formen. 
Im Ganzen betrug die Summe der Formen aus den nordafri- 
kanischen Wüsten 131 Arten. 

Zwar sind nun für die Mikrogeologie auch aus Mittel- 
Afrika bereits ansehnliche Formenreihen zur Übersicht ge- 
kommen, indem ich selbst in Habessinien und im Sudan’ am 
Nile war, und durch die HH. Werne, Rufsegger und 
Lepsius vom oberen Nillaufe viele Materialien zur Dispo- 
sition erlangt habe, auch vom Senegal und Bonny-Niger Was- 
ser und Schlamm analysiren konnte, so dafs sich aus Mittel- 
Afrika bereits 242 Formen in der Mikrogeologie verzeichnet 
finden: 105 Polygastern, 134 Phytolitharien, das übrige, we- 
niger Bedeutende aus andern Abtheilungen. Noch fehlte aber 
‚das eigentliche grolse Centralland um den Tschad-See. 

[1856.] 24 


324 Gesammtsitzung 


Die Central-Ebenen des mittleren Afrika’s, die Wüsten 
und Steppen in Bornu, um Kuka und den Tschad-See ent- 
halten aufser der Formen-Eigenthümlichkeit besonders noch das 
hohe Interesse der Erläuterung der so ausgebreiteten und ein- 
flufsreichen Staubnebel im atlantischen Ocean, worüber ich seit 
1844 der Akademie Mittheilungen gemacht habe und die 1849 
in der Abhandlung über Passatstaub und Blutregen zusammen- 
gefalst wurden. Es war sehr wünschenswerth allmälig festzu- 
stellen, ob wirklich das centrale Nord-Afrika im Stande oder 
aulser Stande sei den zimmtfarbenen Meteorstaub zu liefern, 
welcher in unmelsbarer Menge seit mehr als 900 Jahren ge- 
schichtlicher Aufzeichnung, wahrscheinlich aber seit unge- 
zählten Jahrtausenden an der Westküste von Afrika das Dunkel- 
Meer bildet und darin abgelagert wird. Ja ob wirklich den 
Passat- oder Monsun-Winden ähnliche Luftströmungen im cen- 
tralen Afrika überhaupt nur eine solche Staubbewegung in so 
unbegreiflichem Maafsstabe begünstigen könnten. 

Ferner war es nicht unwichtig festzustellen, ob der 
Tschad-See wirklich sülses Wasser oder brakisches Wasser 
führe, welches immerhin die Bewohner und Reisenden für 
Sülswasser halten konnten, dessen Natur aber die darin leben- 
den Organismen schärfer bestimmen lielsen. Selbst auf den 
Karten des Stielerschen Atlasses von 1830 ist beim Tschad- 
See die Bezeichnung Sülswasser-See fraglich beigefügt. Nährte 
das brakische Wasser Salzwasser-Organismen, so mülsten der- 
gleichen auch im umgebenden Sande und Staube sein und beides 
sich gegenseitig erläutern. 

Aus diesen Anregungen schrieb ich im Jahre 1854 einige 
Briefe auch an den astronomischen Reisenden, welcher den 
geographischen Eroberungen der heldenmüthigen, meist als Opfer 
gefallenen früheren Reisenden durch genaue Ortsbestimmungen 
die geographische Festigkeit zu geben im Begriff ist, Hrn. 
Dr. Eduard Vogel nach Kuka und bat denselben diesem Ge- 
sichtspunkt einige Aufmerksamkeit zuzuwenden, was durch Zu 
senden von Erdproben ganz entscheidend unterstützt werde 
könnte. 

So ist denn durch die in der Sitzung am 22. Mai der 
Akademie, am Tage ihrer Ankunft direct aus Kuka, vorgelegte 


vom 12. Juni 1856. 325 


neuesten Nachrichten und Sendungen des Hrn. Dr. Eduard 
Vogel ein reiches Material gerade von dem interessantesten 
Punkte, vom 'Tschad-See, aber auch ein vergleichbares von dem 
bisher ganz unbekannten Gongola-Flusse, einem Zuflusse des 
Beno@ zugänglich geworden. 

Das mannichfach sehr interessante Schreiben des Hrn. Dr. 
Vogel aus Kuka vom 11. Dee. 1855, welches ich am 22. Mai 
1856 vorlegte, ist seitdem in der Berliner Zeitschrift für 
Allgemeine Erdkunde im Mai-Hefte des 6ien Bandes be- 
reits ausführlich und mit dem sehr anschaulich die Flufsver- 
hältnisse erläuternden Kärtchen des Dr. Vogel Seite 483—487 
gedruckt worden. Ich erlaube mir hier nur ein paar kleine 
Stellen ebenfalls einzuschalten, welche zur speciellen Erläu- 
terung der zu betrachtenden Verhältnisse dienen. Dr. Vogel 
schreibt: 

„Bei den Untersuchungen, die Sie über den Sciroceo-Staub 
angestellt haben, wird Sie vielleicht folgende Bemerkung über die 
an der Nordküste Afrika’s [ Tripolis ?] webenden Südwinde (Gibli ') 
genannt) interessiren. Der Gibli fängt Morgens gegen Sonnen- 
aufgang im Westen an mit getrübtem Himmel, die Sonne roth 
färbend. Während des Vormittags geht er nach Süd herum 
und weht aus dieser Himmelsgegend von etwa 11 a. m. bis 
3. p. m. mit erstickender Hitze, dichte Staubwolken, die es 
unmöglich machen einen Gegenstand auf 100 Schritt zu er- 
kennen, vor sich hertreibend, Nachmittags schlägt er nach Ost 
herum und schwächer und schwächer werdend weht er um 
Mitternacht ganz gelinde aus Norden. Hier in Kuka ist be- 
4 sonders bei heftigem Ostwinde die Atmosphäre fortwährend 
getrübt durch ungemein feinen Staub. Ich habe dergleichen 
in Bantschi nicht wahrgenommen, wo Höhenrauch ganz mit 
allen den Erscheinungen begleitet, die ich in Thüringen so 
oft beobachtet habe, ein sehr gewöhnliches Phänomen ist.” 
J In einer Note sagt Dr. Vogel: „Hagel, die Körner bis 1” 
Durchmesser habe ich zweimal im April und Juli in Bantschi 


‘) Gibli kommt von Gebl (Dschebl) oder Gibl Berg. Die Araber 
bezeichnen häufig dansit landeinwärts, stromaufwärts, nach der Höhe hin. 
Gibli ist also Landwind, in Nord-Afrika Südwind, Auster, Notos. E. 

24° 


326 Gesammtsitzung 


beobachtet. Beide Male fiel das Thermometer plötzlich um 
etwa 20° Fahrenh.” 
In einem Schreiben an seinen Vater sagt Dr. Vogel 


gleichzeitig: ,‚‚Höhenrauch ist in den bergigten Gegenden 


Bantschis sehr häufig ganz wie in Thüringen, mit dem näm- 
lichen jodartigen Geruch. Oft erfüllt er 3—4 Tage die ganze 
Gegend bis ein heftiges Gewitter ihn niederschlägt.” 

Da ich in meinen Vorträgen über den Passatstaub und 
Blutregen meinen Erfahrungen des Mangels jedes passat- oder 


monsunartigen Windes im Innern Nord- Afrika’s ein Gewicht _ 


bei der Erscheinung des Passatstaubes beilegen mufste, so mö- 
gen nun diese neuesten Mittheilungen aus dem Herzen Nord- 
Afrika’s, welche den gleichen Mangel bezeichnen, das Bild 
weiter führen. 

Den schriftlichen Nachrichten des Dr. Vogel sind 4 Pro- 
ben der dortigen Erd- und Luftstaub-Verhältnisse beigefügt, 
deren Erläuterungen der eigentliche Gegenstand meiner Mit- 
theilung ist. Es sind: 

41. Staub, welcher die Ebene von Kuka bedeckt, vom 9. Dec. 
1855. 

2. Sand aus einem (doch wohl neuen) Brunnen bei Kuka, 45’ 
unter der Oberfläche; am gleichen Datum entnommen. 

3. Schlamm aus dem Tschad-See bei Moadori am 9. Dec. 
1855. 

4. Sand mit Gold-Glimmer aus den Quellen des Gongola, 
eines Nebenflusses des Beno&@ von Serkin’-yemma, 30 Mei- 
len W.S.W. von Jakoba. 


4. Staub der Ebene bei Kuka am Tschad-See. 


Es ist ein grau-brauner feiner Quarzsand, feiner als ge- 
wöhnlicher Streusand, doch wenig stäubend. Mit der Lupe 
erkennt man viele weilse und schwärzliche, braune, auch gelb- 
liche Theilchen. Bringt man einen Theil davon unter Wasser, 
so schwimmen die gelblichen und schwarzen oder braunen 
Theilchen und die übrigen gleichfarbigen mit den weilsen 
halten sich an der Oberfläche eines compact zu Grunde lie- 
genden feinen durchscheinenden gelblichen Sandes, so dafs man 
sie abschlämmen kann. Zusatz von Salzsäure bewirkt ein 


vom 12. Juni 1856. 327 


schwaches Brausen, wobei besonders alle weilsen Theilchen 
lebhafter brausen und verschwinden. Beim Glühen schwärzt 
sich erst der Staub und wird dann wieder gleichfarbig, nur 
wenig gelblicher. Bei 10 Analysen der abgeschlämmten Masse 
ergaben sich 65 nennbare Bestandtheile: 25 Polygastern, 34 
Phytolitharien, Fragmente von Sülswassermuscheln und von 
kleinen Krebsschaalen (Entomostraceen), verschiedenes zahl- 
reiches Pflanzenparenchym, Quarzsand und Kalkmulm, kein 
Glimmer. Die organischen Formen sind nicht das Vorherr- 
schende der Masse, sie sind nur zahlreich eingestreut in einen 
quarzigen Sand mit etwas Kalkmulm. Am zahlreichsten, so 
dals öfter mehrere bei 300 Vergrölserung gleichzeitig in einem 
Sehfelde liegen, sind Eunotiae und Gallionellae. Die meisten 
Formen sind weit verbreitet oder schon unter den von mir in 
der Mikrogeologie verzeichneten Arten. Bemerkenswerth oder 
ganz neu sind unter allen 65 Formen nur 6 Polygastern Ar- 
cella Nigritarum, Eunotia Microstigma, Gloeonema Arcus, Fragilaria 
Oxyrhombus, Lysicyclia Vogelii, Stauroptera trinodis, und nur 4 Phy- 
tolitharien: Amphidiscus amblytrachys, Lithodontium tridenta- 
tum, Lithostylidium foveolatum und Spongolithis tracheogongyla. 
Am entschiedensten charakteristisch ist Zysicyclia Vogelii, eine 
in Bornu häufige Form, welche noch nie im Passatstaube 
deutlich geworden ist. 


2. Sand aus 45’ Tiefe eines Brunnens bei Kuka. 


Es ist ein gelblich-weilser Sand, etwas gröber als ge- 
wöhnlicher Streusand, nicht stäubend. Schon mit blofsem Auge 
erkennt man selten eingestreute schwärzliche und weilse Theil- 
chen, welche sich ebenso wie in dem Oberflächen-Staube -ver- 
halten. Durch Glühen wird er aschgrau, dann etwas gelblicher 
als vorher. Bei 10 Analysen der im Wasser abgeschlämmten 
feinsten Theile fanden sich auch hier viele organische Bei- 
mischungen sehr ähnlicher Art. Es konnten 45 verzeichnet 
werden: 11 Polygastern, 29 Phytolitharien, 2 organische Kalk- 
theilchen des Sülswassers, Pllanzenparenchym und Quarzsand 
als abgeriebener daher weilslicher Rollsand aus wasserhellem 
Quarz. Die Polygastern sind nur dieselben der Oberfläche, 
darunter Zysicyclia Vogelii. Unter den Phytolitharien sind einige 


328 Gesammtsitzung 


’ 


auffallende vielleicht charakteristische Formen: Amphidiscus 
asterocephalus, Lithostylidium cristatum. 


3  Boden-Schlamm aus dem Tschad-See. 


Die Probe ist ein noch etwas gröberer grau-brauner Sand 
mit groben braunen und schwärzlichen Pflanzenresten, die sich 
oft deutlich als Grastheile oder Wurzelwerk schon mit blofsem 
Auge erkennen lassen. Durch Schlämmen sondern sich alle 
leichteren vegetabilischen 'Theile von dem schwereren Quarz- 
sand und dem feineren Mulme. Letzterer besteht in 10 Ana- 
Iysen aus 69 Formen: 17 Arten Polygastern, 41 Arten von 
Phytolitharien, 6 Arten von Grünsandkörnern, vermuthlich aus 
Polythalamien der urweltlichen Gebirgsmassen, Pfanzentheil- 
chen und quarzigem, farblosen oder röthlichen Rollsand. Unter 
den Polygastern sind Fragilaria mesogongyla und Lysicyclia Vogeli, 
die Charakterformen der Gegend. Lithostylidium Amphiacanthus 
ist eine andere Charakterform. Kalktheile und Glimmer sind 
nicht vorgekommen und mit Säure entstand auch kein Brausen 
im Sande. 


4. Sand mit Goldglimmer aus den Quellen des 

Gongola-Flufses. 

Dieser Sand ist etwas gröber als gewöhnlicher Streusand 
von gelblicher Farbe und enthält viele feine schwarze Theil- 
chen (Magneteisen) und sehr viele Blättchen von Goldglimmer 
eingestreut. Er zeigt kein Brausen mit Säure und wird beim 
Glühen erst schwarzgrau, dann ins Rostrothe ziehend. In 
10 Analysen der feinsten abgeschlämmten Theilchen waren 
62 namhafte Formen: 16 Polygastern, 41 Phytolitharien, Pflan- 
zenparenchym, Magneteisensand, quarziger Rollsand und Glim- 
mer. In dieser Gebirgs-Ablagerung fehlt die Lysicycha Wogelii 
der Ebenen, aber die Gallionellen waren gleichartig, Navicula 
umbilicata erscheint als neue Art. Zwei grolse Coeconemata 
habe ich als C. Zanceolatum und asperum verzeichnet. Die 
grölste Zahl der Formen ist mit den schon aus Afrika be- 
kannten übereinstimmend. 

Hr. Dr. Vogel sagt in seinem an mich gerichteten Briefe 
in Rücksicht auf den Glimmersand des Gongola-Flufses folgen- 


vom 12. Juni 1856. 329 


des: „Die Gebirge Bantschi’s sind lediglich grobkörniger Gra- 
nit mit grolsen Quarzblöcken und Überflufs an Blei und Zink. 
Eisen findet sich mit dem gewöhnlichen versteinerungslosen 
Sandstein östlich von Jacoba in Menge, dagegen feblen Zinn, 
Kupfer und Silber. Die Eingebornen halten dafür, dals die 
Flüsse Gold führen, der dem Sand beigemischten Glimmer- 
blättchen wegen, von denen Ew. durch meinen Vater eine 
Probe erhalten werden. Das Salz von Beno&@ (bei Dschebscheb 
und Bu Manda) ist lediglich ein Produkt aus der Asche des 
20 bis 25 Fufs hohen Grases, welches die Steppen dort be- 
deckt und so wie es trocken, in Brand gesteckt wird, So wie 
es niedergebrannt ist, schabt man die obersten Schichten der 
Erde ab, laugt sie aus und kocht das Produkt ein, wobei man 
ein graues wenig scharfes Salz erhält, was ziemlich theuer 
verkauft wird, da man damit alle Länder südlich von Beno& 
und auch zum grofsen Theil Bantschi versorgen muls. Ein 
Pfund kostet 250 Wodda, etwa 3 Sgr. Einen Zoll unter der 
Boden-Oberfläche findet man keine Spur von Salz.” 

In Beziehung auf diese interessanten Nachrichten über = 
eigentlichen Goldgehalt des Sandes habe ich einige Prüfungen 
auf kleine Mengen und auf die Charaktere des Goldsandes an- 
gestellt. Wenn man den Glimmersand mit Wasser übergielst und 
horizontal schüttelt, so sammeln sich die goldfarbenen Schüpp- 
chen alle an der Oberfläche des Sandes und sie lassen sich durch 
Schlämmen leicht absondern, während der Quarzsand zurück- 
bleibt. Da also die Schüppchen nicht schwerer, sondern leich- 
ter sind, als der Quarzsand, so ergiebt sich daraus, dafs sie 
kein Gold sind. Wenn man ferner diesen Goldblättchen-Sand 
glüht, so werden die goldfarbenen Schüppchen weils, wie es 
das wabre Gold nicht wird und verhalten sich wie Glimmer. 
Hiernach könnte es scheinen als ob entschieden kein Gold in 
dem Sande sei. Dessenungeachtet ist die Mischung dieses San- 
des den ergiebigen Goldsanden der verschiedensten Erdgegenden 
darin ähnlich, dals sie vielen schwarzen Magneteisensand, der 
vom Magnet angezogen wird, mit vielen grünlichen, gelben 
und weilsen quarzigen Krystallen enthält, welche ganz in dem 
Zusammenvorkommen und der Gestaltung jener Abbildung glei- 
chen, die in der Mikrogeologie als charakteristisch für Gold- 


330 Gesammtsitzung 


sand gegeben worden ist. Es mag mithin an einzelnen Ört- 
lichkeiten jener Gegend wohl Gold zu gewinnen sein, auch 
wenn der Glimmer als solcher unbeachtet bleibt. 


Resultate. 


Folgende übersichtliche und allgemeinere Ergebnisse sind 
aus diesen Mittheilungen zu entnehmen: ' 

1. Die ganze Formenzahl der aus den von Hrn. Dr. Vo- 
gel gesandten Materialien des centralen Mittel-Afrika’s ermit- 
telten namhaften mikroskopischen Körper, beträgt 133 Arten, 
46 Polygastern, 72 Phytolitharien, Paludinen- Fragmente, En- 
tomostraceen-Fragmente, 6 Arten Polythalamien- Grünsand, 
3 Arten weiche Pflanzentheile, 4 unorganische Formen. Alle 
diese Formen sind in der von mir üblichen Weise in Präpa- j 
raten aufbewahrt und jeder specielleren Vergleichung zugäng- , 
lich gemacht. Sie werden hierbei vorgelegt. 

2. Keine einzige der 69 vom Tschad-See allein bekannten 
mikroskopischen Formen gehört zu den Salzwasser- Gebilden. 
Mithin ist das Wasser des Tschad- See’s, welches als trinkbar 
schon bekannt ist, auch in dieser Beziehung ohne allen braki- 
schen Charakter. Diefs und die durch Dr. Vogel gemeldete 
Salzgewinnung in jener Gegend entscheidet völlig über den 
reinen Süfswasser-Charakter des See’s. 

3. Der Oberflächen-Staub des centralen Mittel- Afrika’s 
ist in Bornu nicht roth, sondern graufarbig und ist dieser 
Farbe nach in keiner Weise geeignet, den zimmtfarbenen Pas- 
satstaub und Blutregen zu liefern, welcher offenbar seit vor- 
historischen Zeiträumen, und seit den geschichtlichen überein- 
stimmend, das Dunkelmeer der afrikanischen Westküste bedingt. 

4. Noch bedürfen zwar die täglichen und periodischen 
Luftströmungen und Winde im centralen mittleren Afrika eine 
bestimmtere Erläuterung, allein aus den gewonnenen Mitthei- 
lungen geht schon hervor, dals ein fester Typus, dem des 
Passates oder des Monsuns gleich, welcher die constanten 
Staubnebel des Dunkelmeeres zu erklären geeignet wäre, im 
Central-Lande nicht vorhanden ist. 


vom 12. Juni 1856. 331 


9. Was die kleinen Lebensformen anlangt, so sind aus 
den Materialien, ungeachtet bereits 133 Formen ermittelt wer- 
den konnten, doch noch nicht viele lokale Charakterformen 
hervorgetreten. Mehrere zum Theil höchst massenhafte Cha- 
rakterformen aber, welche erlangt worden sind, wurden bisher 
niemals im Passatstaube gesehen und mehrere Charakterformen 
des Passatstaubes sind zwar zum Theil als in Guiana Süd-Ame- 
rika’s massenhaft lebend, aber noch immer nicht lebend aus 
Afrika nachweisbar geworden. Die beigegebenen Zeichnungen 
werden geeignet sein eine Vergleichung des Passatstaubes mit 
wissenschaftlicher Schärfe immer spezieller durchzuführen. 

6. Es kann in der Umgegend des Tschad-See’s und in 
den Quellengebieten der ihn speisenden Flüsse im Süden und 
Westen wohl kein Kreidegebirge geben, weil keine Kalk-Po- 
Iythalamien der Kreide in den eingesandten, freilich lokalen 
und geringen, Materialien erkennbar sind. Allein es muls wohl 
polythalamische tertiäre Kalkgebirge in jenen Verhältnissen ge- 
ben, aus welchen sich die polythalamischen Grünsandkörner 
ableiten lassen, welche im Schlamme des Tschad-See’s liegen. 

7. Die sandigen Bodenverhältnisse am Tschad-See sind 
bis zu 45 Fuls Tiefe gleichartig, nur ist der untere Sand nicht 
wie der obere schwärzlich und grau, sondern durch Ver- 
schwinden der verrotteten Pflanzen- und Thier-Stoffe (Humus) 
weilslich, wobei die unauflöslichen organischen Kiesel- und Kalk- 
theilchen entfärbt zurückgeblieben sind. Die Gleichartigkeit 
in der Mischung der unlöslichen organischen Theile der unte- 
ren weilsen wie der oberen grauen Sandschichten deutet an, 
dals sich eine früher tiefere Einsenkung des Landes allmälig in 
stets gleicher Weise ausgefüllt hat, deren Erkenntnils vorläufig 
auf 45 Fuls reicht. Jene Mischung als Infiltration in alten Sand zu 
denken, ist durch die Gleichartigkeit des Rollsandes, die ver- 
bältnilsmälsig ansehnlichen Gröfsen- Verhältnisse der beige- 
mischten Stoffe und das bekannte Filtrations-Vermögen des 
Sandes behindert, von dem schon eine nur wenig Fuls dicke 
Schicht nur reines Wasser durchläfst. Auch kann an tiefgehende 
Risse im Sande nicht gedacht werden. 

8. Es ist auffallend, dals im Gebiete des Tschad - See’s 
höchst selten deutliche Spuren von Glimmer in den Boden- 


332 Gesammtsitzung 


Verhältnissen, gar nicht im Oberflächen -Staube vorgekommen. 
Die vielen grünlichen und bräunlichen Sandtheilchen scheinen 
mir überall dem Grünsande anzugehören, auch wenn sie un- 
regelmälsig waren. Daher ist auch das Zithostylidium lacerum 
in diesen Verhältnissen wohl nicht als Bimstein- (Schaumstein-) 
Spur zu betrachten, welcher Zweifel in anderen Fällen unerle- 
digt bleibt. In dem Quellsande des von Kuka westlichen Gongola- 
Flusses ist Glimmer sehr massenhaft und im östlich am weilsen 
Nil gelegenen Lande Bari, bei Scheibun im goldführenden 


Alluvium, wie im Nilschlamm, sind dort überall sehr viel, öfter 


ganz massenhafte Glimmertheilchen, welche die Ostwinde also 
nicht in das Centralland nach Kuka führen. Siehe d. Mikro- 
geologie Seite 205, 206. 

9. Dals die von Hrn. Dr. Vogel aufgenommenen und 
eingesandten Bodenverhältnisse des Tschad-See’s an Sand über- 
wiegenden Staub und Schlamm betreffen, daher vorherrschend 
unorganisch sind, ist zwar für manche vorherrschende Charak- 
tere der dortigen Verhältnisse erläuternd, allein für die Kennt- 
nils des Wirkens des dortigen mikroskopischen Lebens ist die- 
ses Verhältnils weniger günstig. An vegetationsreicheren Stel- 
len, an den mit Siratiotes oft wuchernd überdeckten Lachen 
und Sümpfen, welche der Reisende selbst angiebt, da wo man 
Reis oder Durrah (Gafuhli) baut und auf den vegetationsreichen 
Inseln des See’s mag es dort einen feinen schwärzlichen fast 
sandlosen Humus geben, der im nassen Zustande moderartig 
erscheint und welcher beim Anfühlen sich weich wie Seife ver- 
hält, während jede Sandmischung durch das Gefühl der Finger 
beim Reiben als harte Theilchen bemerkbar ist. Solche Hu- 
mus-Anhäufungen als Moor oder schwarzer Schlamm pflegen 
in unseren Seen der Sandgegenden in gewissen tieferen und 
besonderen oft in weit ausgedehnten Stellen sich ansehnlich am 
Ufer, gewöhnlich mit Schilfbildung, zu entwickeln und in ihrer 
Nähe das bessere Culturland zu bedingen. Am Tschad-See wird 
das nicht anders sein und die Proben solchen sandlosen Humus- 
Moores werden künftig den Formen-Reichthum des unsichtbar 
kleinen, in seinen Wirkungen aber überall riesenhaft grolsen 
Lebens noch weit ansehnlicher aufzuschliefsen geeignet sein. 


vom 12. Juni 1856. 


Übersicht der 133 mikroskopischen Formen 


aus Bornu. 


Die Sternchen bezeichnen neue Formen. 


Oberflächen- 
Staub Kuka 


Polygastern: 45—46. 
Amphora libyca 
Arcella Enchelys 
Globulus 
Megastoma 
* Nigritarum 
Cocconeis undulata 
Cocconema asperum 
lanceolatum 
Leptoceros 
Difflugia Oligodon 
Eunotia amphioxys 
gibba 
gibberula 
* Microstigma n. Sp. 
longicornis 
zebrina 
Fragilaria pinnata 
Rhabdosoma 
* ? mesogongyla n. sp.? 
* ? Oxyrhombus n. sp.? 
Gallionella coarctata 
erenata 
decussata 
distans 
granulata 
procera 
tenerrima 


Pa ea ee Fe ee ee Be Be ee ee ge" 


Gloeonema Arcus 


Brunnen-Sand 
Kuka. 


Ii+++ +41 | 


I+++ ++ +++ 


[EEE 


r3 


I +++ 


Tschad-See- 
Boden, 


I ++ 


++ ++ 


333 


| (Beno£) 


++ 


+++ 


334 Gesammtsitzung 


Gomphonema gracile 
Himantidium gracıle 


—? 


* Lysicyclia Vogelii nov. Gen. 


Navicula Amphisbaena 


* umbilicata n. Sp. 

Pinnularia amphioxys 
inaequalis 
viridula 


Pleurosiphonia affınis 
Stauroneis dilatata 
‚Stauroptera trinodis 
Surirella clathrata 

Craticula (major) 
Synedra acuta 

Entomon 

Ulna 
Trachelomonas laevis 


Phytolitharien: 


Amphidiscus clavatus 
obtusus 
asterocephalus? 
amblytrachys 

Assula umbonata laevis 

aspera 

Lithodermatium gyrosum 

Lithodontium Aculeus 

angulatum 
Bursa 


curvalum 


* denticulatum n. Sp. 


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— 
-|-|-|+ 
+++ 
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-|—-|-|+ 
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+/+ 
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+! -|!-|+ 
_—i—|+ 
1219 
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| 25 [11 | 17 | 16 
72. | 
u 
+ —-|+ 
—|+ 
+ -|+ 
| + 
-—|-| + 
| — | — 
-|+|+ 
—|+ 
+ -|+ 
+|-|+|J+ 
"Ira 


Oberflächen- 


Staub Kuka. 


Brunnen-Sand 
Kuka. 


Tschad-See- 
Boden. 


Gongola (Benot). 


vom 12. Juni 1856. 


Lithodontium falcatum 


furcatum 
nasutum 
Platyodon 
rostratum 
Scorpius 
tridentatum 


homesites ornatus 


Pecten 


ithosphaeridium irregulare 


ovalum 


ithostylidium Amphiacanthus 


Armnphiodon 
angulatum 
bicalcaratum 
biconcavum 
calcaratum 
Catena 
clavatum 
Clepsarnmidium 
cristatum n. Sp. 
costatum 
crenulatum 
curvalum 


denticulatum 


foveolatum n. sp. 


Jusiforme 
granulosum 
irregulare 
lacerum 
laeve 
obliguum 
oblongum 


D 
e 
© 
„a 

[2 
Br} 
€ 

o 
e-] 
° 


Staub Kuka. 


E 
— 
+ 
+ 
+ 
+ 
+ 
+ 
+ 
- 
+ 
+ 
+ 
+ 


Brunnen-Sand 
Kuka. 


+++ 1 #1 


+| 


Herr) 


Tschad-See- 
Boden 


+1 +++ 
+ + + + Gongola (Benot). 


+ +++t++H+ + | 


333 


++ +++ 


4+t+t++4++ +44+ +++ 


336 Gesammtsitzung 


Oberflächen- 
Staub Kuka, 


Brunnen-Sand 
Kuka 


Tschad-See- 
Boden. 


Gongola (Benoe). 


Lithostylidium Ossiculum 
ovatum 
Des 
quadratum 
Rajula 
Rhomboides 
Rhombus 
rude 
sculptum 
Serra 
Spathula 
spiriferum 
Subula 
Trabecula 
Trapeza 
zriquetrum 
unidentatum 
ventricosum 
Spongolithis acicularis 
amphioxys 
aspera 
‚fistulosa 
mesogongyla 
obtusa 
robusta 
tracheogongyla 
Thylacium foveolatum 


IH HIHI FIT FF TI FF TFT N 


En ve en 8 PR: DE ER Ar I U © 


Th L—— 20200 


++ +++ H+ ++ HI 4+ +rH HH 


+++ 


4444444 +++ ++ 


+ 


Paludinae? testula 

Cypridis testula 

Grünsand Halbscheibe 
Helm 


Beni d. Akademie: Funi 1866 5.337, 


ER in ra 


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to CEMWeber 


Das bleinste Lebenam Tschad See. 


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vom 12. Juni 1856. 


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Grünsand Niere -|-|-r 
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Viereck —-i—|+ 
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Pflanzenparenchym von Monocotylen Fee 
Dicotylen Fk) HI + 
Gliederhaar — | —- | + 
Summe des Organ. 129 | 63 | 44 | 67 | 59 
Magneteisen -—|—|!1—- | + 
Glimmer -|—-|+/+ 
Quarzsand +++ + 
Kalkmulm + 


Ganze Summe 133 | 65 | 45 | 69 | 62 


Erklärung der Abbildungen. 


Die Tafel enthält nicht alle Formen abgebildet, vielmehr nur die Poly- 
gastern und einige ausgezeichnete Phytolitharien. Die ersteren sind 
sämmtlich in der Art dargestellt, dafs sie meinen früheren Mittheilungen 
und den Abbildungen derselben Formen der Mikrogeologie direct vergleich- 
bar sind, nämlich bei 300maliger Linear-Vergrölserung. Im Ganzen giebt die 
Tafel den Total-Eindruck des dortigen selbstständigen Lebens vollständig 
so weit er ermittelt ist. 

Im untern Kreise ist eine Ansicht der Masse der feinsten Theilchen 
des Oberflächenstaubes bei Kuka. 


Fig. 1. Amphora libyca. Fig. 9. Coeconema asperum. 
_ —? 10. Difflugia Oligodon. 
2. Arcella Enchelys. 11. Eunotia amphioxys. 
3. —  Megastoma. 12. —  Mierostigma n.sp. 
4, —  Globulus. 13. —  gibba. 
5 —  Nigritarum n. sp. 14. —  gibberula. 
6. Cocconeis undulata. 15. —  longicornis. 
7. Cocconema Leptoceros. 16. — _ zebrina. 
8 - lanceolatum. 17. Fragilaria pinnata. 


338 


Fig. 18. 
19, 
20. 
21. 
22. 
23. 
24. 
25. 
26. 
27. 


28. 


29. 


30. 
31. 
32. 
33. 
34. 
35. 
36. 
37. 
38. 
39. 
40. 
4. 


Gesammtsitzung vom 12. Juni 1856. 


Fragilaria Rhabdosoma. 
Gallionella crenata. 

—_ coarclata. 

_ distans. 

-- decussata. 

u granulata. 

_ procera. 

—_ tenerrima. 
Gloeonema Arcus. 
Gomphonema gracile. 
Himantidium gracile. 
Lysieyclia Vogeli a—|1 
nov. Genus. 

Navicula umbilicata. 

— Amphisbaena. 
Pleurosiphonia affınis. 
Stauroptera trinodis. 
Pinnularia amphiozys. 

— inaequalis. 

—  _ viridula. 
Stauroneis dilatata. 
Surirella clathrata. 

_ Craticula major. 
Synedra acuta. 

_ Entomon. 


Fig. 42. 
43. 


44. 


45. 
46. 
AT. 
48. 
49, 
50. 


51. 
52. 
53. 


54, 


30: 
56. 


37. 


58. 
59. 
60. 


Synedra Ulna. 
(Tabellaria?) Fragilaria 
Fusus n. sp. 
(Tabellaria?) Fragilaria 
Oxyrhombus n. sp. 
Trachelomonas laevis. 
Amphidiscus amblytrachys. 
= asterocephalus. 
Lithodontium furcatum. 
— denticulatum. 
Lithosphaeridium irregu- 
lare. 
Lithostylidium granulatum. 
— sculptum. 
_ Amphiacan- 
thus. 
— Clepsammi- 
dium. 
— cristatum, 
_ JFoveolatum. 
_ Subula, va- 
gina inclusum. 
Spongolithis amphioxys. 
— _ mesogongyla. 
— obtusa. 


Die Akademie empfing hierauf zuerst die betrübende Nach- 
richt von dem gestern den 11. Mai Mittags erfolgten Ver- 
scheiden ihres langjährigen ordentl. Mitgliedes der philos.-hist. 
Klasse des Hrn. von der Hagen. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Fürst v. Salm-Horstmar, Versuche und Resultate über die Nahrung 


der Pflanzen. 


Braunschweig 1856. 8. 


Mit Begleitschreiben des 


Hrn. Verfassers, d. d. Coesfeld 4. Juni 1856, überreicht im Auf- 


trage des Fürsten von Hrn. E hrenberg. 


d’Avezac, Grands et petits geographes grecs .et latins. Paris 1856: 8. 


Sitzung der physik.-math. Klasse vom 16. Juni 1856. 339 


Lucae, De symmetria et asymmetria Cranii. Marburgi 1839. 4. 
Zuchold, Bibliotheca historico-naturalis. V,2. Göttingen 1855. 8. 
L’Institut. 1. Section, no. 1169. Paris 1856. 4. 

Athenaeum frangais, no. 23. Paris 1856. 4. 

Pratobevera, Die Äheltischen und römischen Antiken in Steiermark. 
Gratz 1856. 8. 

Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark. 6. Heft. Gratz 
1855. 8. Mit Schreiben der Direction des Vereins vom 20. April 
1856. 

Renard, Aapport sur la scance solennelle du 28. Dec. 1855 de la societe 
des naturalistes de Moscou. Moscou 1855. 8. 

Comptes rendus de lacademie des sciences. Tome XLII, no. 18—21. 
Paris 1856. 4. 

Zeitschrift des Ferdinandeums. 3. Folge, 5. Heft und 26. Jahresbericht. 
Inspruck 1856. 8. 

Andre Papadopoulo Vretos, La Bulgarie ancienne et moderne. St. Pe- 
tersbourg 1856. 8. Im Namen des Hrn. Verfassers überreicht 
durch Hrn. Böckh. 


16. Juni. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Hagen las „über die Fluth- und Boden-Ver- 
hältnisse des Preufsischen Jade-Gebietes.” 

Die Veränderungen, denen die Ufer der Jade noch gegen- 
wärtig ausgesetzt sind, lassen keinen Zweifel, dals im Laufe 
der Zeit hier wesentliche Umformungen des Landes statt ge- 
funden haben. Zwischen Weser und Jade giebt es nur hin 
und wieder eine natürliche Wasserscheide. Die Hochwasser 
beider Ströme würden das zwischenliegende Land überfluthen 
und überströmen, wenn nicht die Deiche an beiden Seiten die- 
ses verhinderten. Die tieferen Rinnen, welche beide Strom- 
gebiete früher verbanden, bestehen noch. 

In dem ausgedehnten Busen der Jade liegen einige Inseln, 
namentlich die Oberahnschen Felder, die von Jahr zu Jahr wei- 
ter abbrechen. Sie sind die Reste älterer Landestheile, die mit 

[1856.] 25 


340 Sitzung der physikalisch- mathematischen Klasse 


den Ufern zusammenbingen. Andrerseits findet beinahe rings 
um den ganzen Busen eine starke Verlandung statt, welche 
Gelegenheit giebt, die Eindeichungen nach und nach immer 
weiter auszudehnen und dadurch die Wasserfläche in festes Land 
zu verwandeln. 

Die historischen Überlieferungen bestätigen diese Verän- 
derungen. Ein grolser zusammenhängender Busen der Jade 
entstand erst, als das Land bereits eingedeicht war, bei einer 
Sturmfluth im November 1218, wobei sieben Kirchspiele theils 
zerstört, theils vom festen Lande getrennt wurden. Die Ver- 
wüstungen setzten sich besonders in den nächsten Jahren fort, 
alsdann scheinen sie lange Zeit hindurch nicht vorgekommen 
zu sein, bis der Busen in der berüchtigten Antoni-Fluth 1511 
ungefähr seine jetzige Gestalt annahm und besonders an der 
westlichen Seite sich ausdehnte. 

Seit dieser Zeit haben keine bedeutende Einbrüche mehr 
stattgefunden, wenn auch an der nördlichen Seite des Bu- 
sens die Deiche weiter zurückgelegt werden mufsten, weil 
sie beim fortgesetzten Abbruche der Ufer nicht zu halten wa- 
ren. Das südliche, östliche und besonders das westliche Ufer 
sind dagegen in starkem Anwachse begriffen. Im letzten Jahr- 
hunderte ist im Ganzen hier etwa ein Drittel Quadratmeile 
neu eingedeicht. Die Verbindungen der Jade mit der Weser 
wurden schon im 16ten Jahrhundert vollständig geschlossen. 

Bei allen Zerstörungen und Verlandungen ist die Fluth 
und Ebbe vorzugsweise wirksam. Wenn ein Seedeich bricht 
und die Fluth sich in die dahinterliegende Marsch ergielst, so 
treten Verwüstungen ein, die ohne Vergleich viel grölser sind, 
als wenn ein Flufsdeich durchbrochen wird. Die Niederung 
wird in diesem Falle nicht nur einmal mit Wasser überdeckt, 
vielmehr strömt dieses an jedem Tage zweimal aus und ein. 
Der Boden wird also immer von Neuem angegriffen und aus- 
gespült, bis die Öffnung sich so verbreitet und vertieft hat, 
dafs ohne heftige Strömung die Fläche dahinter sich sanft fül- 
len und entleeren kann. 

Aufserdem führt die Fluth aber auch die erdigen Theil- 
chen, welche das neue Land bilden, dem Jade-Busen zu. Das 
aus dem Binnenlande eintretende Wasser, auf einer kleinen 


vom 16. Juni 1856. 341 


Fläche gesammelt, und in den Entwässerungsgräben der Nie- 
derung zugeführt, enthält keine, oder doch nur sehr wenige 
Erdtheilchen. 

Der Jade-Busen, soweit er bei gewöhnlichen Fluthen mit 
Wasser angefüllt wird, nimmt gegenwärtig eine Fläche von 
3% preulsischen Quadratmeilen ein. Das gewöhnliche niedrige 
Wasser bedeckt in ihm dagegen noch nicht eine halbe Qua- 
dratmeile. Am Ende der Ebbe ist eine Fläche nahe 2 Meilen 
grols, ein unzugänglicher Sumpf, der aus weichem Schlamme 
besteht. Indem der Fluthwechsel über 11 Fufs beträgt, so 
läfst sich übersehn, welche grolse Wassermasse bei jeder 
Fluth aus dem Meere diesem Busen zuströmt, und bei jeder 
Ebbe wieder zurüekflielst. Hieraus erklärt es sich, dals der 
Schlauch der äufsern Jade, in welchem diese Strömung erfolgt, 
wenn derselbe auch nicht regelmälsig begrenzt und sogar über 
5 Meilen lang ist, dennoch in einer grolsen Breite und Tiefe 
sich dauernd erhält. 

Ich gehe zunächst zur Beschreibung der Fluthverbält- 
nisse über. 

Zum Beobachten der Wasserstände wurde im westlichen 
Jade-Gebiete und zwar auf der Ecke zwischen dem nördlichen 
Ufer des Busens und dem westlichen Ufer der äufsern Jade ein 
Pegel aufgestellt, und dessen Nullpunkt mit andern Festpunkten 
verglichen, um den Maafsstab, falls er zerstört werden sollte, 
immer in gleicher Höhe wieder aufstellen zu können. Dieser 
Nullpunkt entspricht ungefähr dem Niedrig-Wasser zur Zeit 
der Springfluthen. 

Seit dem 1. Juni 1854 sind alle Hoch- und Niedrig- 
Wasserstände, mochten sie bei Tage oder bei Nacht eintreten, 
gemessen worden. Nur in den beiden Wintern traten einige 
Unterbrechungen ein, indem zweimal der Pegel durch das Eis 
zerstört wurde, und zuweilen das Eis während der Ebbe sich 
so dicht stellte, dafs die Beobachtung des niedrigen Wassers 
nicht möglich war. 

Aus den Messungen bis Ende Mai 1856 ergiebt sich der 
mittlere Stand, d. h. das arithmetische Mittel aller Wasser- 
stände 

23% 


342 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


des Hochwassers 12 Fuls 2,75 Zoll 
des Niedrigwassers 1.0 =19 44300014 
daher der Fluthwechsel 11 - 1,5 - 


Sucht man dagegen aus diesen Beobachtungen den ge- 
wöhnlichen oder wahrscheinlichen Wasserstand, das heifst den- 
jenigen, der eben so oft überschritten, wie nicht erreicht wird, 
so findet man 


das Hochwasser 42 Fuls 4 Zoll 
das Niedrigwasser Atze are 
also den Fluthwechsel 11 - 4 - 


Die äufsersten Grenzen des Hochwassers während dieser 
Beobachtungszeit sind 7 Fuls 3 Zoll und 23 Fuls 9 Zoll, und 
die des Niedrigwassers 1 Fuls 11 Zoll unter Null und 8 Fuls 
5 Zoll über Null. Es ist also in diesen Jahren ein Unterschied 
im Wasserstande von 25 Fuls 8 Zoll vorgekommen, und das 
kleinste Hochwasser ist 1 Fuls 2 Zoll unter dem höchsten Nie- 
drigwasser geblieben. Die höchsten bekannten Wasserstände 
traten bei Sturmfluthen am 25. December 1717 und am 3. Fe- 
bruar 1825 ein. Sie erhoben sich 13 Fufs und 13 Fuls 1 Zoll 
über gewöhnliches Hochwasser. Die anhaltend niedrigen Flu- 
then im März dieses Jahres (1856), die einmal sogar nur die 
Höhe von 7 Fuls 3 Zoll erreichten, scheinen zu den niedrig- 
sten zu gehören, die je vorgekommen sind. 

Berechnet man die mittleren und gewöhnlichen Wasser- 
stände für kürzere Zeiträume, so ergeben sich Resultate, die 
von den obigen etwas verschieden sind. Bemerkenswerth ist 
es dabei, dafs der Fluthwechsel oder der Unterschied zwischen 
Hoch- und Niedrigwasser im Sommer etwas grölser, als im 
Winter ist. Doch zeigt sich noch eine andre auffallende Ab- 
weichung. Im Jahre 1855 war der Fluthwechsel durchschnitt- 
lich um 4 Zoll gröfser, als 1854, und vergleicht man die sechs 
Monate Juni bis November in beiden Jahren, so ergiebt sich 
sogar, dals der Fluthwechsel im Jahre 1855 um 8,4 Zoll grölser 
als 1854 gewesen ist. Diese Differenz bildet sich dadurch, 
dafs 1855 das Hochwasser im Mittel um 1,6 Zoll höher, und 
das Niedrigwasser um 6,8 Zoll tiefer war. 

Man darf die Ursache dieser Erscheinung kaum in der ver- 
schiedenen Richtung und Stärke des Windes suchen, denn die 


vom 16. Juni 1856. 343 _ 


Beobachtungen ergeben sehr deutlich, dafs das Hochwasser eben 
so, wie das Niedrigwasser, davon gleichmälsig abhängig ist. 
Beide Linien, wodurch man die einzelnen Beobachtungen der 
Fluth und Ebbe verbindet, bleiben fast parallel. 

Um zu erfahren, ob vielleicht an andern Orten ein ähn- 
licher Unterschied auch bemerkt sei, wendete ich mich an Hrn. 
Baudirector Hübbe in Hamburg. Nach dessen Mittheilung 
ergiebt sich aber aus den in Cuxhaven angestellten Beobach- 
tungen für dieselben Monate in beiden Jahren nur die geringe 
Differenz von 1,7 Zoll, indem dort 1855 das Niedrigwasser 
durchschnittlich um 1,8 Zoll tiefer sich stellte, als im vorher- 
gehenden Jahre, das Hochwasser dagegen gleichfalls um 0,1 Zoll 
niedriger blieb. 

Bei den wesentlichen Veränderungen, welche in dem Fahr- 
wasser der untern Weser ohnfern ihrer Verbindung mit der 
Jade in diesen beiden Jahren eingetreten sind, darf man viel- 
leicht voraussetzen, dals 1854 die untere Jade stellenweise 
durch Sandbänke verengt war. Hieraus würde es sich er- 
klären, dals damals die Wasserstände der See sich in dem 
Jade-Busen nicht so vollständig darstellten, so wie auch dals 
der Unterschied bei niedrigem Wasser viel bedeutender war, 
als bei Hochwasser. - 

Im Vorstehenden ist nur von den durchschnittlichen Fluth- 
höhen die Rede gewesen, ohne dafs dabei auf den Stand des 
Mondes gegen die Sonne Rücksicht genommen wäre. Auch 
an der Jade zeigt sich unverkennbar ein Unterschied zwischen 
Springfluthben und todten Fluthen, doch ist derselbe 
bei Weitem geringer, als an der französischen und englischen 
Küste. Während am Atlantischen Ocean, am Canale und zum 
Theil auch an der englischen Küste der Nordsee der Fluth- 
wechsel bei Springfluthen ungefähr das Doppelte von dem der 
todten Fluthen beträgt, so sind an der Jade, wie auch an der 
Weser und Elbe diese Differenzen nur etwa dem sechsten 
Theile des mittleren Fluthwechsels gleich. Die höchsten Spring- 
futhen pflegen hier in der dritten Flutb nach Neu- und Voll- 
mond einzutreten, und eben so die todten Fluthen 14 Tage 
nach dem ersten und letzten Viertel. Legt man diese dritten 


344 Sitzung der physikalisch-malhernatischen Klasse 


Fluthen zum Grunde, so findet man durchschnittlich für das 
Jahr 1855 


für Springfluthen, Hochwasser 13 Fuls 2,3 Zoll 
Niedrigwasser TER, 
also Fluthwechsel 43mm aim 
für todte Fluthen, Hochwasser 12 - I - 
Niedrigwasser 0 +20 MO5ED= 


also Fluthwechsel 14,0 rue VireıS 

Die Hafenzeit oder die Zeit des Hochwassers bei Voll- 
und Neumenden, fällt nahe auf 12 Uhr, doch gaben die bis- 
herigen Beobachtungen zur sichern Bestimmung derselben keine 
Gelegenheit. 

Aufser den erwähnten Beobachtungen wurden noch viel- 
fach ganze Fluthwellen gemessen, indem während einer 
Fluth und der folgenden Ebbe von 10 zu 10 Minuten der 
Wasserstand abgelesen wurde. In ähnlicher Weise hatte 
Brahms (Anfangsgründe der Deich- und Wasser-Baukunst) 
bereits vor hundert Jahren eine Fluthwelle der Jade beob- 
achtet, die sich sehr genau dem Gesetze anschlielst, welches 
später Laplace für die Fluthen im offenen Meere entwickelt 
hat. Den Beobachtungsort hat Brahms nicht näher bezeichnet, 
wahrscheinlich lag er viel weiter seewärts, als der jetzige Pegel. 

Die neuern Messungen zeigen unter sich auffallende Ver- 
schiedenheiten. In einzelnen Fällen ist die Curve der Fluth- 
welle regelmälsig und ziemlich symmetrisch, gewöhnlich findet 
dieses aber nicht statt, besonders wenn die vorhergehende 
und folgende Ebbe nicht gleich tief herabsinken. 

Um die mittlere Form der Fluthwelle zu bestimmen, 
wählte ich unter den sehr zahlreichen Messungen dieser Art 
siebenzehn aus, die bei ruhiger Witterung angestellt, und so- 
weit ausgedehnt waren, dafs die Zeit und Höhe des Niedrig- 
wassers sowol am Anfange, als am Ende der Beobachtungsreihe 
sich hinreichend sicher entnehmen liels.. Nachdem die einzelnen 
Ablesungen graphisch dargestellt, und durch eine möglichst an- 
schliefsende Curve verbunden waren, wurde die Niveau - Diffe- 
renz zwischen dem Scheitel des Hochwassers und dem des vor- 
hergehenden Niedrigwassers in 20 gleiche Theile getheilt. Die 
Zeichnung ergab alsdann die Zeit, in welcher jeder einzelne 


vom 16. Juni 1856. 345 


dieser Höhentheile erreicht wurde, In gleicher Art wurde 
hierauf auch der abfallende Schenkel, der die Ebbe darstellt, 
behandelt. Aus der Verbindung aller Beobachtungsreihen er- 
gaben sich die Zeiten, in welchen vor und nach dem Eintritt 
des Hochwassers diese verschiedenen Höhen bei der Fluth und 
Ebbe erreicht wurden. Die folgende Tabelle enthält dieselben. 


Zeitabstände vom Hochwasser 


Höhen über Niedrigwasser. hei ‚Flath. | bei Ebbe. 
Niedrigwasser 0,00 6St. 14,5 M. | 6St. 5,9M. 
0,05 5- 375- |5- 25 - 
0,10 2 yes a se 1 gr 
0,15 Er Be BE u ae a 
0,20 4- 494- |4- 23,6 - 
0,25 ee an - 
0,30 d - ZA | rad 
0,35 4- 1,5- |3- 36,4 - 
0,40 3- 596 - |3 - 222 - 
0,45 3- Ma- |3- 81- 
0,50 3 - 345 - |2- 941 - 
0,55 3.= 213 = 17202 AT 362 
0,60 3- 79- |2- 274 - 
0,65 2- 5358- |2- 159 - 
0,70 2- 3839--|2- 02- 
0,75 2 - 23,1-']1- 463- 
0,50 2.7965 -" I 7-0 8268 
0,35 5 BR Re be Me Se 
0,90 Ba Bde 1 Be a RZ a 22 
0,95 0- 535,5 - |0- 426 - 
Hochwasser 1,00 1 Da Eau BE 


Es ergiebt sich hieraus, dafs die Dauer der Fluth etwas 
länger, als die der Ebbe ist und zwar nach diesen Beob- 
achtungen um 8,6 Minuten. Der Schenkel der Fluth ist von 
dem der Ebbe besonders in der Nähe des Scheitelpunktes merk- 
lich verschieden, indem die Fluth in gleichem Abstande von 
letzterem viel langsamer steigt, als die Ebbe fällt. Wahr- 
scheinlich rührt dieses von den ausgedehnten Wattgründen in 


346 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


dem Bassin der Jade her, die eine schnelle Ausgleichung des 
Wasserspiegels verhindern. Gegen Ende der Fluth ergielsen 
sich deshalb noch grofse Wassermassen über diese Untiefen, 
während beim Beginne der Ebbe dieselben nicht schnell genug 
abfliefsen können, und es dadurch möglich machen, dafs der 
Wasserstand vor dem Pegel anfangs stärker sinkt. Dieser 
Mangel an Symmetrie zeigt sich ohne Ausnahme und zwar in 
gleichem Sinne in allen Beobachtungsreihen. 

Demnächst untersuchte ich den Schlickgehalt, oder die 
Quantität der im Wasser schwebenden erdigen Theilchen. 
Das Jade-Wasser ist niemals klar, doch ist seine Trübung nicht 
so stark, als die des Weser-Wassers. Schon die Fischer und 
Lootsen dortiger Gegend hatten bemerkt, dafs das Wasser im 
Allgemeinen beim Beginne der Fluth die meisten erdigen Theil- 
chen enthält. Dieses erklärt sich durch die grolse Ausdehnung 
der seewärts liegenden Kiaibänke, die sich über Wangeroog 
hinaus erstrecken. Aus der Eingangs erwähnten allmähligen 
Verlandung des Jade-Busens ergiebt es sich auch, dals mit der 
Fluth mehr erdige Theilchen eintreiben, als mit der Ebbe 
hinausgehen. 

Um den Erdgehalt des Wassers in allen Perioden der 
Fluth und Ebbe zu ermitteln, lies ich wiederholentlich von 
Stunde zu Stunde während einer Fluth und Ebbe Wasser 
schöpfen. In zwei Fällen geschah dieses aber nicht nur an 
der Oberfläche, sondern auch 6 Fuls über dem Grunde. Die 
Wassertiefe betrug an dieser Stelle beim kleinsten Wasser 
etwa 30 Fuls. 

Zum Schöpfen des Wassers in der angegebenen Tiefe be- 
diente ich mich eines Blecheylinders, der oben mit einer Öff- 
nung versehen war. Diese Öffnung wurde durch ein von in- 
nen aufstolsendes Ventil geschlossen, und an dem Stiele des 
letzteren, der sich auswärts fortsetzte, hing das Apparat. Der 
Blecheylinder war unten mit einer Oese versehn, woran ich 
die Leine eines schweren Lothes befestigte, das so tief unter 
der Öffnung schwebte, als man über dem Grunde Wasser 
schöpfen wollte. Die Wirksamkeit des Apparates ergiebt sich 
aus dieser Zusammensetzung. So lange das Loth schwebt, ist 
der Cylinder geschlossen, und sobald es auf dem Grunde liegt, 


vom 16. Juni 1856. 347 


öffnet sich das Ventil. Letzteres wurde überdiefs durch eine 
Feder aufgedrückt, weil es sich sonst zuweilen nicht öffnete. 

Ich versuchte zunächst, den Schlickgehalt aus dem speci- 
fischen Gewichte des Wassers zu bestimmen, doch führte die- 
ses zu keinem Resultate, weil die Erdmasse zu unbedeutend 
war. Es wurde daher das gewöhnliche Verfahren gewählt, das 
Wasser zu filtriren und die erdigen Rückstände zu wiegen. 
Das Volumen der Wassermasse betrug jedesmal 12 bis 25 Ku- 
bikzoll, und wurde durch Abwiegen der gefüllten Flasche er- 
mittelt. Die Filtra, die immer gleiche Gröfse hatten, waren 
vor dem Gebrauche einzeln lufttrocken gewogen und zwar 
zweimal und in umgekehrter Reihenfolge, um den Einfluls einer 
verminderten oder vergrölserten 'Trockenheit während des Ab- 
wiegens zu beseitigen. Jedesmal zeigte sich auch wirklich und 
ganz regelmälsig eine geringe Änderung der Gewichte. Diese 
Vorsicht war nothwendig, da der in den Filtern aufgefangene 
trockene Erdgehalt nur 10 bis 30 Milligramme wog. 

« Nach Beendigung der Filtration wurden die Filtra sorg- 
. fältig zusammengelegt, damit der darauf liegende Schlick beim 
Auslaugen nicht entweichen möchte. Alsdann wurden sie in 
einem geräumigen Glasgefälse mit destillirtem Wasser über- 
gossen. Letzteres wurde nach einer Stunde mit einem Heber 
abgezogen, und durch frisches ersetzt, bis es zuleizt so rein 
abflols, dals es beim Verdampfen keinen sichtbaren Rück- 
stand liels. 

Da jedoch nicht vorausgesetzt werden durfte, dals die 
Filtra beim späteren Wiegen denselben Grad der Trockenheit 
haben würden, wie beim ersten, vielleicht auch ein kleiner 
Rest Salz darin zurückgeblieben war, so wurden jedesmal noch 
zwei bis drei Filtra hinzugefügt, die im Übrigen eben 'so be- 
handelt wurden, wie die andern, durch welche jedoch eine 
gleiche Quantität bereits filtrirtes Seewasser hindurchflofs. Die 
Zunahme ihres Gewichtes ergab demnach die Änderungen, von 
denen man annehmen durfte, dafs sie bei allen Filtern einge- 
treten seien. Nachdem die Filtra lufttrocken waren, wurden 
sie wieder und zwar zweimal und in umgekehrter Reihenfolge 
gewogen. 


348 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Aus dieser Untersuchung ergab sich das Gewicht der im 
Seewasser enthaltenen erdigen Theilchen, und es kam darauf 
an, das Volum derselben zu bestimmen. Der Schlick zeigt 
aber in seiner natürlichen Ablagerung eine sehr verschieden- 
artige Beimengung von Wasser. Seine obern Lagen sind 
dünnflüssig, weiter abwärts werden sie fester und sind in 
grolser Tiefe sogar sehr hart. Mit Rücksicht auf den tech- 
nischen Zweck dieser ganzen Untersuchung schien es ange- 
messen, eine breiartige Consistenz zum Grunde zu legen, der- 
jenigen des zubereiteten Töpferthones entsprechend. Es er- 
gab sich, dals 1 Gramm luftirockener Schlick, also eben so 
trocken, wie er in den Filtern gewogen war, wenn er durch 
Zusatz von filtrirtem Seewasser in einen Brei von der Con- 
sistenz des Töpferthons verwandelt wird, 0,052633 preuls. Kubik- 
zoll milst. Hiernach liels sich der gefundene Schlickgehalt in 
Theilen der Wassermenge, worin er enthalten gewesen, aus- 
drücken. Die folgende Tabelle giebt in dieser Weise die 
Mittelwerthe des Schlickgehaltes für jede Stunde der Fluth und 
Ebbe an. Die Zahlen darin bezeichnen zugleich die Höhe des, 
Niederschlages in der zum Grunde gelegten Consistenz, der 
aus einer Wassersäule von der Höhe = 1 bei vollständiger 
Klärung zu Boden sinkt, 


Schlick-Gehalt 


2: in der Oberfläche. 6 F. über d. Grunde. 
Niedrig-Wasser 0,00014 0,00016 
4 Stunde Fluth 0,00019 0,00023 
2 - - 0,00019 0,00026 
3 - - 0,00015 0,00024 
4 - - 0,00012 0,00020 
5 - - 0,00011 0,00016 
Hoch-Wasser 0,00010 0,00013 
4 Stunde Ebbe 0,00010 0,00012 
2 - - 0,00010 0,00012 
3 - - 0,00010 0,00012 
4 - - 0,00012 0,00012 
5 - - 0,00013 0,00013 


Niedrig-Wasser 0,00044 0,00016 


vom 16. Juni 1856. 349 


Der Schlickgehalt ist sonach in der Nähe des Grundes um 
4 bis + gröfser, als an der Oberfläche. Während der Fluth 
ist er grölser, als während der Ebbe, und sein Maximum er- 
reicht er in den ersten Stunden der Fluth. Bei den höchsten 
Wasserständen vermindert er sich, sowol während der Fluth, 
als Ebbe. Letzteres rührt ohne Zweifel davon her, dafs die 
Wattgründe alsdann weniger von der Wellenbewegung ange- 
griffen werden. 

Die Messungen, deren Resultate bier mitgetheilt sind, wa- 
ren sämmtlich in einer Zeit angestellt, wo schwache südliche 
und östliche Winde herrschten, wobei also das Wasser im 
Jade-Busen verhältnilsmälsig stärker bewegt war, als das äulsere 
Wasser. 

Um diese Beobachtungen bequem fortsetzen zu können, 
ohne jedesmal die erwähnten, sehr zeitraubenden Operationen 
vornehmen zu dürfen, richtete ich noch einen andern Apparat 
vor. Ich suchte nämlich aus einer grolsen Anzahl cylindri- 
scher Flaschen von weilsem Glase achtzehn Stück aus, die 
gleiche Weite hatten. Sechzehn derselben füllte ich mit Mi- 
schungen an, deren Schlickgehalt 0,00005 . . . 0,0000... . 0,00015... 
u. s. w. betrug. Sie wurden aber nur zu zwei Drittel ihres 
Inhaltes angefüllt, damit sie vor dem jedesmaligen Gebrauche 
gehörig geschüttelt werden konnten, alsdann wurden sie her- 
metisch verschlossen. Zwei dieser Flaschen sind dagegen zur 
Aufnahme des zu untersuchenden Wassers bestimmt, und müs- 
sen in gleicher Höhe gefüllt werden. Die Probegläser lassen 
zwar nur schwache, aber bei scharfer Vergleichung doch merk- 
liche Unterschiede in ihrer Durchsichtigkeit erkennen, sie bie- 
ten also ein Mittel, um den Schlickgehalt des geschöpften 
Wassers sogleich annähernd zu schätzen. 

Zwei Versuche, die hiermit angestellt sind, haben ergeben, 
dals auch bei westlichen Winden der stärkste Schlickgehalt im 
Anfange der Fluth vorkommt: nach einer Beobachtung soll 
derselbe 0,00035 betragen haben. 

Aus dem Schlickgehalte und dem Steigen des Wassers in 
jeder Stunde der Fluth läfst sich leicht die Höhe des Nie- 
derschlages während einer ganzen Fluth ermitteln. Es ist 
zwar nicht anzunehmen, dals in einem Bassin, in welches die 


350 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Fluth frei eintritt, das Wasser vollständig geklärt werden sollte, 
so dals es bei der Ebbe ganz rein abflielst. WVenn diese Vor- 
aussetzung aber auch gemacht wird, so ergiebt sich dennoch 
aus den vorstehenden Tabellen, dafs der Niederschlag in jeder 
Fluth nur 0,001572 oder 0,002633 Fuls hoch ist, je nachdem das 
an der Oberfläche, oder das in der Tiefe geschöpfte Wasser 
in Rechnung gestellt wird. Der Niederschlag in einem Jahre 
oder während 705 Fluthen beträgt also 1,32 oder 1,86 Fuls. 
In der Wirklichkeit dürfte diese Höhe sich wohl nicht dar- 
stellen, weil die Ebbe einen grolsen Theil der im Wasser 
schwebenden Erdinasse wieder abführt, und am wenigsten dürfte 
bei starkem Wellenschlage auf merkliche Klärung des Wassers 
zu rechnen sein. Die Erfahrung zeigt auch, dals die Verlan- 
dungen nur bei ruhiger Witterung erfolgen, und bei anhal- 
tenden starken Winden sogar wieder abgespült werden. 

Nach den Erfahrungen über das Verlanden des Jade-Busens 
ist der Niederschlag in demselben ohne Vergleich viel geringer. 
Seit einem Jahrhunderte sind die Ufer, mit Ausschluls des 
nördlichen, das beinahe gar nicht anwächst, durchschnittlich in 
jedem Jahre etwa 40 Fuls vorgerückt. Am Dollart, wo die 
Verlandung mit sehr grolser Sorgfalt befördert wird, treten 
die Ufer in jedem Jahre durchschnittlich um 20 Meter oder 
64 Fuls weiter vor. 

Schon bei Bestimmung des Schlickgehaltes drängte sich 
die Frage auf, ob der Salzgehalt in allen Stunden der Fluth 
und Ebbe derselbe sei. Indem ich das Wasser, das während 
einer vollständigen Beobachtungsreihe sowol oben, als unten 
geschöpft war, in dieser Beziehung nach der Filtration unter- 
suchte, wobei durch sorgfältiges Zudecken das Verdunsten 
während des Filtrirens verhindert war, so ergab sich das spe- 
cifische Gewicht in allen Fällen sehr nahe gleich grols. Es war 
bei 8 Graden Reaumur im Maximum 1,02398 und im Minimum 
1,0235. Es schien, dals es etwa eine Stunde vor Hochwasser 
am grölsten sei, was sich dadurch erklärt, dals alsdann das 
reinste Seewasser vorbeiflielst, denn die Ebbe führt auch das 
sülse Wasser der Siele ab, dessen Masse freilich verglei- 
chungsweise überaus geringe ist. Ein Unterschied zwischen 
dem an der Oberfläche und in der Tiefe geschöpften Wasser 


vom 16. Juni 1856. 351 


liels sich in Beziehung auf das specifische Gewicht nicht er- 
kennen. 

Endlich wäre in Betreff der Fluthverhältnisse noch zu be- 
merken, dafs obwol mit grolser Sorgfalt die Richtung und 
Stärke der Strömungen gemessen wurden, die gleichzeitig 
an verschiedenen Stellen statt finden, dennoch keine merkliche 
Verschiedenheit darin wahrgenommen werden konnte, wie man 
solche in andern Meerbusen beobachtet hat. In den Umge- 
bungen des preufsischen Gebietes treten Fluth und Ebbe über- 
all gleichzeitig ein. 

Was die Bodenverhältnisse betrifft, so besteht das 
ganze preulsische Gebiet aus Marschland, das 8 bis 10 Fuls 
über dem Nullpunkte des Pegels, also 2 bis 4 Fuls unter den 
gewöhnlichen Fluthen liegt. Nur die aufserhalb des Deiches 
belegenen Wiesenflächen, oder die sogenannten Aulsen-Groden 
sind etwas höher und erheben sich über das mittlere Hoch- 
wasser. Das Terrain, welches das preulsische Gebiet umgiebt, 
hat nahe dieselbe Beschaffenheit. Nur in der Entfernung von 
mehr als einer Meile, und zwar in der Richtung nach Jever, 
trifft man auf eine sandige Geest. 

Unter der obern Dammerde findet sich ein sehr zäher 
reiner Thon, hier Klai genannt, der mit dem Niederschlage 
aus dem Jade-Wasser übereinstimmt. Dieser Niederschlag 
enthält nach der Analyse des Hrn. Dr. R. Hagen 

65,2 Kieselerde, 

4,2 Thonerde, 

6,9 Eisen- und Manganoxyd, 
3,5 Kalkerde, 

1,3 Bittererde, 

1,4 Kali, 

1,5 Natron, 

1,4 Chlor, 

14,3 Wasser, Kohlensäure und organische Substanzen. 
Aulserdem fand sich darin etwas Phosphorsäure, jedoch in so 
geringer Menge, dals eine quantitative Bestimmung derselben 
nicht möglich war. { 

Die Beschaffenheit des Untergrundes wurde schon im 
Jahre 1854 durch verschiedene Bohrungen untersucht, vorzugs- 


352 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


weise aber durch eine im Herbst 1855 begonnene Bohrung in 
grölserem Maalsstabe. Man hatte zu dieser eine Stelle ohnfern 
des Deiches und zwar innerhalb desselben gewählt, die durch 
frühere künstliche Anschüttung auf 18 Fuls am Pegel erhöht 
war. ÜUnter einer sehr dünnen Schicht Dammerde kam man 
in den Klai, der bis 8 Fufs unter Null oder das niedrige Was- 
ser herabreichte. Bis zu dieser Tiefe zeigte sich kein Wasser 
im Bohrloche, wiewohl in den Gräben daneben das Wasser 
15 Fuls höher stand. In der angegebenen Tiefe erbohrte 
man eine Dargschicht (Torf aus Schilf) die 24 Fufs mächtig 
war. Unter derselben befand sich feiner Sand, der beinahe 
in gleicher Beschaffenheit sich soweit fortsetzt, als gebohrt 
ist, nämlich bis 108 Fufs unter Null. Es fanden sich darin 
anfangs kleine Stückchen Braunkohle. In der Tiefe von eini- 
gen 70 Fufls unter Null brachte der Bohrer häufig Stückchen 
Grauwacke herauf, die 1 bis 4 Kubikzoll grols waren und 
von dem Bohrer zerschlagen zu sein schienen. Aufserdem 
zeigten sich durchweg in dem Sande eine grolse Menge Glim- 


mer-Blättchen. 
Als die Dargschicht durchdrungen war, füllte sich nicht 
nur das ganze Bohrioch, sondern zum Theil auch der Schacht 
darüber mit Wasser an: dasselbe stellte sich etwa auf 8 Fuls 
am Pegel, also auf 1 Fuls über den mittleren Stand der See, 
und auffallender Weise schwankte es, der Fluth und Ebbe ent- 
sprechend, einige Zolle auf und ab. 
Die von Hrn. R. Hagen ausgeführte Analyse des Sandes 
ergab als Bestandtheile der obern Lage 
88,1 Kieselerde, 
4,6 Thonerde, 
1,3 Eisenoxyd, 
2,3 Kalkerde, 
1,3 Kali, 
2,2 Kohlensäure, nebst Spuren von Bittererde und Chlor. 
In der Tiefe von 50 Fuls unter Null betrug der Gehalt a 
Kieselerde 87,6 p. €. 
Die Analyse des Sandes in 85 Fuls Tiefe ergab dagegen 
94,1 Kieselerde, 


vom 16. Juni 1856. 353 


3,0 Thonerde, 
1,1 Eisenoxyd, 
0,1 Bittererde, 
1,7 Kali, sowie Spuren von Kalkerde und Chlor. 


Es mufs jedoch erwähnt werden, dals die durch den Boh- 
rer ausgebrachte Sandmasse ungefähr das Zehnfache des Inhalts 
der Röhre betrug, woher bedeutende Höhlungen neben der 
Röhre sich gebildet haben, die ein Nachstürzen der oberen 
Schichten veranlassen mulsten. Das in grölserer Tiefe ausge- 
hobene Material bestand daher wahrscheinlich zum Theil aus 
solchem, das ursprünglich höher gelegen hatte. 


- Hr. Müller las „über neue CGrinoiden aus dem 
Eifeler Kalk”. 

Seit dem Berichte der Hrn. Wirtgen und Zeiler über 
die Crinoiden des Rheinischen Gebirges (Verhandlungen des 
naturbist. Vereins der preuls. Rheinlande 1855) hat sich die 
Kenntnils der Crinoiden des Eifeler Kalkes schon wieder erwei- 
tert. Auf einer Reise in die Eifel, die ich im vorigen Jahre 
mit Hrn. Regierungsrath Zeiler machte, lernten wir in den 
Privatsammlungen in Prüm mehrere neue Arten von Crinoiden 
kennen. Dieser Zuwachs hat sich durch Zusendungen und An- 
käufe von anderen Orten noch vermehrt. Hier folgt die vor- 
läufige Beschreibung der durch Abbildungen zu erläuternden 
Arten. 


4) Taxocrinus affinis. Mit diesem Namen wird hier ein Taxo- 
crinus des Eifeler Kalkes bezeichnet, der in der Gestalt 
und Zusammensetzung des Kelches und der Arme dem 
Taxocrinus tuberculatus der Obersilurischen Formation 
Englands gleicht, und damit zu vereinigen wäre, wenn 
man von der Verschiedenheit der Formationen absehen 
dürfte. Fundort: Gerolstein. Ein Exemplar im anat. Mus. 
zu Berlin, auch im zool. Mus. zu Bonn. 


354 Sitzung der physikalisch-maihematischen Klasse 


2) Hexacrinus ventricosus (Platycrinus ventricosus Goldf. Taf. 58 
Fig. 4). Bisher kannte man nur die Basis; die darauf 
stehenden Radialia sind sehr hoch. Die Gestalt des Kel- 
ches ist über der Basis zusammengezogen, dann wie ein 
umgekehrter Kegel, allmählig erweitert Von Hrn. Kröff- 
ges in Prüm mitgetheilt. 

3) Hexacrinus spinosus. Eine grolse Art. Der ganze Kelch 
mit sammt der Basis gleicht einem umgekehrten Kegel. 
Die Basalia, die Radialia und das Interradiale sind mit vie- 
len kleinen, spitzen, stachelartigen Erhabenheiten besetzt. 
Der Scheitel ist klein getäfel. Von Hrn. Kröffges 
mitgetheilt. 

4) Hexacrinus lobatus. Die Basalia und andern Kelchtafeln 
sind mit sehr grolsen von oben nach unten abgeplatteten 
breiten Knoten besetzt. Eine wunderliche Gestalt. Der 
Scheitel ist mit wenigen erhabenen Platten gedeckt, wo- 
von die mittlere die grölste sich in einen hohen Kegel 
erhebt. Von Hrn. Kröffges mitgetheilt. 

9) Hexacrinus limbatus. Die Basis ist dicht über dem Sten- 
gel durch einen erhabenen Ring ausgezeichnet, über wel- 
chem sich der übrige Theil der Basis kelchartig ausbreitet. 
Die Tafeln glatt oder wenig gerunzelt. Scheitel klein ge- 
täfelt.e. Diese Art hat mit dem AH. ventricosus einige ent- 
fernte Ähnlichkeit, bei dem jedoch die Basalia schon über 
dem Wulste aufhören, während sie beim ZH. limbatus sich 
hoch fortsetzen. Zwei Exemplare aus Gerolstein im ana- 
tom. Mus. Ein drittes von Hrn. Kröffges mitgetheilt. 

6) Poteriocrinus hemisphaericus. Kelch sehr niedrig, breiter 
als hoch, hemisphärisch. Die Parabasen sind mit flach er- 
habenen Riffen besetzt, welche nach den angrenzenden 
Platten sternartig auslaufen und sich darauf fortsetzen. 
2 Interradialia, das untere grols, das obere kleiner. Von 
Hrn. Baumeister Guichard in Prüm mitgetheilt. 


Trichocrinus. nov. gen. 


Basalia 3. Darauf ein geschlossener Kreis von wieder 
3 Stücken, wovon 2 bis zum Armgelenk reichen, das dritte 
aber nicht bis dahin reicht und 2 kleine Radialia über sich 


vom 16. Juni 1856. 355 


hat, mit der Bedeutung einer Parabase und eines Interradius 
zugleich. Es sind 3 kleinere Radialia aulser den 2 grolsen bis 
zur Basis herabreichenden Radialia. Von den kleinen Radialia 
ist eines zwischen die 2 grolsen Radialia oben eingesetzt, die 
2 andern kleinen Radialia liegen neben einander, nach unten 
zwischen ein grolses Radiale und das Parabasale eingreifend. 

Die Radialia bilden am obern Umfang des Kelches einen 
geschlossenen Kreis, der 5 Fortsätze nach dem Scheitel aus- 
schickt, zwischen denen in der Mitte die Höhle des Kelchs 
ausgeht. Jeder dieser 5 Fortsätze ist durch die interradiale 
Nath der Länge nach getheilt, so dals jeder der 5 Fortsätze 
von je zwei Radialia gebildet wird, wie beim Eugeniacrinus 
caryophyllatus. In den dreieckigen Vertiefungen zwischen den 
5 Fortsätzen waren die Arme auf ihrem Radiale eingelenkt. 

7) Trichoerinus altus. Der Kelch hoch, doppelt so hoch als 
breit, umgekehrt kegelförmig. Im anatom. Mus. zu Ber- 
lin. Von Hrn. Lehrer Fritsch in Kerpen. 

8) Trichocrinus depressus. Der Kelch sehr niedrig, breiter als 
hoch. Die Gelenkfläche für den Stiel an der Basis des 
Kelches ausgehöhlt, mit ebenem Grunde und runder Öff- 
nung des Nahrungskanales darin. 8 Exemplare im anatom. 
Mus. zu Berlin. Von Hrn. Fritsch in Kerpen. 1 Exem- 
plar in der Sammlung des Hrn. Ewald in Berlin. 


Nanocrinus. nov. gen. 


Basalia 5, darauf nur 4 Radialia, welche aneinander stolsen, 
ein kleines interradiale über und zwischen zweien der Basalia, 
da wo der fünfte Radius fehlt. 

9) Nanocrinus paradoxus. Das oberste Stengelglied mit vier- 
theiligem Nahrungskanal. Jeder der Radien besteht nur 
aus einem Radiale, welches an zweien Radien über sich 
ein Armglied hatte, an den zwei andern 2 Arme zugleich 
trägt. Der Scheitel ist mit nur wenigen Täfelchen ge- 
deckt, in der Mitte ein dicker Knollen. Von Hrn. Kröff- 
ges mitgetheilt. 

In der Sammlung des Hrn. Baumeister Guichard sahen 
wir ein prächtiges Exemplar des schon beschriebenen Potzerio- 
erinus curtus mit vollständiger zierlich gegliederter Mundröhre. 

[1356.] 26 


856 Gesammtsitzung 


In der Sammlung des Hrn. Kreisphysicus Dr. Bretz sahen 
wir auch den Myriillocrinus elongatus von Sandberger zum er- 
sten Mal aus der Eifel. 

Durch Untersuchung der Exemplare von Gasterocoma an- 
tigqua Goldf. aus den Sammlungen der Hrn. Dr. Bretz und 
Kröffges wurde festgestellt, dafs diese Gattung nicht unge- 
stielt war, wie Goldfuls angenommen oder vermuthet, dals 
dafs vielmehr das Stück in der Mitte der Basis das oberste 
Säulenglied und von einem 4schenkeligen Nahrungskanal durch- 
bohrt ist, wie bei Ceramocrinus, welcher nun Gasterocoma sehr 
verwandt ist, ohne dals man für jetzt berechtigt wäre, beide 
Gattungen und Arten zu vereinigen. Durch die Correction 
der Charaktere für Gasterocoma antiqua wird letztere jetzt 
auch dem Epactocrinus irregularis nahe gerückt, welcher nur 
durch die Schalttafeln von Gasterocoma antiqua abweicht, und 
wie schon früher angedeutet, vielleicht eine individuelle Aue 
normität ist. 

Unter den in der Gattung Cupressocrinus beobachteten 
individuellen Variationen verdient erwähnt zu werden, dafs der 
Stengel nicht selten statt des viertheiligen einen dreitheiligen 
Nahrungskanal besitzt. 


19. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Lepsius las „über die XXlU. Königs-Dynastie 
der Ägypter” und knüpfte daran Bemerkungen über die 
XXL, XXI. und XXVI. Dynastie. Siehe die nächste Num- 
mer des Monatsberichts. 


Hr. Müller machte hierauf eine Mittheilung „über ein 
Echinoderm mitschuppenförmigen Tafeln und Echi- 
nidstacheln im Eifeler Kalk”. 

Als ich bei einem Besuch der Eifel mit Hrn. Regierungs- 
rath Zeiler im vorigen Jahre in Prüm war, sahen wir unter 


vom 19. Juni 1856. 357 


den von den Hrn. Kreisphysicus Dr. Bretz und Lehrer Kröff- 
ges gesammelten Petrefacten des Eifeler Kalkes Stacheln von 
Rommersheim, welche Seeigelstacheln auffallend ähnlich sind. 
Obgleich mir damals die Platten, auf welchen diese Stacheln 
gestanden, noch nicht bekannt waren, so zweifelte ich doch 
nicht, dafs die fraglichen Stacheln einem Echinid angehören 
und schlols, dafs diese Thiere bis in die devonische Formation 
des rheinischen Gebirges hinabreichen. Kürzlich hat mir Hr. 
Dr. Bretz eine Anzahl fossiler Knochenplättchen geschickt, 
welche mit diesen Stacheln zusammen bei Rommersheim ge- 
funden worden sind, mit der Vermuthung, dafs es sich um See- 
igel handle. Eben solche Plättchen mit den gleichen Stacheln 
sind mir von Hrn. Kröffges mitgetheilt worden. Da die 
mehrsten der Knochenplättchen auf der Oberfläche aulser zer- 
streuten kleineren Knötchen mit einem besonderen grolsen 
Gelenkhöcker für einen Stachel versehen sind, der ganz zu der 
Basis der damit zusammengefundenen Stacheln palst, so ist es 


wohl gewils, dafs die Stacheln und die Knochenplätichen zu- 


sammengehören. Aber man muls erstaunen zu sehen, dals diese 
Knochenplatten nicht wie die Platten der Seeigel. verbunden 
waren, sondern wie Schuppen an ihren Rändern sich deckten, 
so zwar, dals die entgegengesetzten Ränder einer Platte sich 
verschieden verhalten. Legt man nämlich die Plättchen in al- 
ternirende Längsreihen wie die Interambulacralplatten eines 
Seeigels, so ist vom vordern und hintern Rande einer Platte 
der eine deckend und der andere gedeckt; der deckende Theil 
des Randes ist die ganze eine Hälfte des Umfanges der Platte, 
der gedeckte die ganze andere Hälfte des Umfanges. Die 
deckende Hälfte des Umfanges ist meist abgerundet, die ge- 
deckte Hälfte des Umfanges immer winklich, nämlich meist mit 
3 geraden Seiten, so dals man sich die ganze Platte als ein 
Sechseck vorstellen kann, an welchem die eine Hälfte ihre 
Ecken behalten, die andere Hälfte aber sie verloren hat. Wo 
der Rand deckend ist, hat er auf der unteren Fläche eine schief 
abgeschnittene Facette bis zur Zuschärfung des Randes. Wo 
ein Rand gedeckt ist, hat er die schief abgeschnittene Facette 
auswendig. Man bemerkt hin und wieder auf den Facetten der 
Ränder auch noch einige seichte parallele Eindrücke, wie an 
26° 


358 Gesammitsitzung 


den gewöhnlichen Nahtverbindungen von Platten bei Echino- 
dermen. Unter den vielen mir geschickten Platten sind gröfsere 
und kleinere, dickere und dünnere, alle ohne Ausnahme mit 
den entgegengesetzt zugeschärften Rändern. Die gröfsten ha- 
ben bis 4” in der längeren, gegen 3” in der kürzern Rich- 
tung, die mehrsten sind gegen 3” lang und eben so breit. 
Die gröfsten und dicksten Platten sind bis *” dick, viele sind 
jedoch viel dünner bis 4” dick. 

Die mehrsten Platten sind nahe sechsseitig. Legt man 
diese Schuppen in eine Längsreihe, so dals die 3 aulsen zu- 
geschärften Seiten an allen Platten der Reihe gleich gerichtet, 
z. B. nach hinten gerichtet sind, und legt neben diese Längs- 
reihe eine zweite Reihe in gleicher Richtung der Platten, aber 
alternirend an, so erhält man einen Panzer, der so genau zu- 
sammenschlielst, dafs alle Platten in einer Ebene liegen und 
das Verhältnifs der sich deckenden Ränder unsichtbar wird. 
Dieser Knochenpanzer bestand also nicht aus dachziegelförmigen 
Schuppen, sondern aus Stücken die überall durch Nähte, aber 
durch schiefe oder sogenannte Schuppennaht verbunden waren. 
An einigen Platten sind die 3 Seiten des Sechsecks, welche 
aulsen zugeschärft sind, sehr ungleich, die mittlere sehr klein 
und ebenso die entgegengesetzte Seite des Randes sehr klein, 
so dals die sechsseitige Platte nahe 'daran ist, in eine vier- 
seitige sich zu verwandeln, an welcher zwei entgegengesetzte 
Ecken etwas abgestutzt sind. Einige Platten (worunter meh- 
rere der grölsern Platten) sind sogar von ganz vierseitiger Ge- 
stalt mit zwei auf der äufseren Fläche und zwei auf der in- 
neren Fläche zugeschärften aneinander stolsenden Rändern. Da 
die vierseitigen Platten seltener sind und aus den sechsseitigen 
hervorgehen, so folgt, dals sie wie die sechsseitigen gelegen 
sein mufsten, d. h. dals der Winkel, den die beiden aufsen 
zugeschärften Seiten machen, nach vorn oder hinten, in un- 
serm Beispiel nach hinten gerichtet war, gleich wie die 3 ho- 
mologen Seiten der sechseckigen Platten. 

Nur wenige Platten, darunter einige der grölsten vier- 
seitigen, haben keinen grolsen Tuberkel für einen Stachel und 
nur die kleinen zerstreuten Knötchen, die ohne Zweifel wie 
bei den Echiniden zu ganz feinen Stacheln bestimmt waren. 


vom 19. Juni 1856. 359 


Der grofse Tuberkel ist über 4”” breit, flach convex und in der 
Mitte wie bei mehreren Seeigelgattungen perforirt. Um den 
Tuberkel ist ein glatter nicht erhabener und nicht vertiefter Um- 
kreis der Schale, wo die sonst vorkommenden zerstreuten klei- 
nen Knötchen der Platten fehlen. 

Die mikroskopische Structur der Platten ist wie bei allen 
Echinodermen netzartig und dadurch steht fest, dals wir es 
nicht mit einem Thier einer ändern Klasse zu thun haben. 
Die Stacheln haben den bei den Seeigeln gewöhnlichen Bau, 
man sieht in dem Schliff des Querschnitts abwechselnd dichte 
schmale Radien ohne Netz, gegen 120 rundum und dazwischen 
schmale Streifen lockerer von einer einfachen Löcherreihe ge- 
gitterter Substanz. Die Oberfläche der Stacheln ist fein der 
Länge nach gestreift, der Ausdruck der Radien. Der Knopf 
an der Basis der Stacheln ist wie bei Seeigelstacheln, die Un- 
terseite der Basis vertieft, über dem Gelenk ist die Basis an- 
geschwollen 4” breit. Die Stacheln waren mindestens 4”” lang. 
An Stacheln von dieser Länge ist immer noch die Spitze ab- 
gebrochen. 

Schuppenförmige Platten kommen bei den bekannten See- 
igeln nicht vor, mit Ausnahme der Mundplatten der Ci- 
daris, aber diese tragen nur Borsten und liegen dachziegel- 
förmig übereinander, ohne dem vorher beschriebenen Verhalten 
zu gleichen, wo nämlich die Platten in einer Ebene liegen. 

Aus der Kohlenformation sind mehrere Arten und Gat- 
tungen von Seeigeln bekannt, welche von den spätern und 
jetzigen Seeigeln durch die mehrfache Zahl der interambula- 
eralen Plattenreihen abweichen, deren nämlich 3, 5 oder wie 
bei Melonites selbst 7 sein können. Von besonderm Interesse 
sind unter diesen Seeigeln diejenigen der Gattung Archaeo- 
eidaris, weil nämlich Archaeocidaris Nerei (Cidaris Nerei von 
Münster) aufser der Kohlenformation von Tournay auch in der 
devonischen Formation von Regnitzlosau bei Hof durch v. Mün- 
ster beobachtet, also von gleichem Alter wie der Eifeler 
Kalk ist. 

Agalsiz versuchte diese Echiniden von den Seeigeln aus- 
zuschlielsen und unter dem Namen Echinocrinus den Crinoiden 
zuzuführen, bei denen es keine auf Tafeln wie bei den See- 


360 Gesammtsitzung 


igeln eingelenkte Stacheln giebt. Dafs die Seeigel der Kohlen- 
formation wirkliche Echiniden sind, ist jetzt anerkannt, ent- 
scheidend war von Anfang schon, dals Münster einen Kiefer 
von Cidaris Nerei von Tournay abgebildet. Unter den Bruch- 
stücken von Echiniden von Tournay, welche die K. mineralo- 
gische Sammlung Hrn. de Koninck verdankt und welche mir 
Hr. Beyrich mitgetheilt hat, befindet sich eine solche Kiefer- 
hälfte, wovon ich eine Abbildung vorlege, bei der ich mir er- 
laubt habe, die zweite Kieferhälfte zu suppliren. Dieser Kiefer 
stimmt gänzlich mit den Kiefern der Seeigel und unterscheidet 
sich von denen der gegenwärtigen Seeigel nur durch die 
gröfsere Krümmung der Spitze, aus welcher der Zahn hervor- 
ragte und verhältnilsmälsig geringere Höhe. Unter denselbigen 
Fragmenten befinden sich einige sechsseitige Tafeln des Cidaris 
Nerei mit ganz zugeschärften Rändern, so dals man nicht be- 
greift, wie diese Platten fest zu einer Schale mit einander ver- 
bunden waren, wenn sie sich nicht theilweise mit den Rändern 
deckten. Eine dieser Tafeln ist an der untern Fläche an allen 
Rändern zugeschärft, mit Ausnahme einer Seite des Sechs- 
eckes, wo die Zuschärfung sich auf der Oberseite befindet. 
Zwei Tafeln haben die Zuschärfung des Randes so, dafs die 
eine Hälfte des Randes, 3 Seiten umfassend, auswendig, die 
entgegengesetzte inwendig zugeschärft ist. Dies spricht dafür, 
dafs auch die Platten der Eifel einem Seeigel angehören. 

Unter den hiesigen Resten von Tournay und bei jenen 
Platten befinden sich zweierlei Stacheln, die nicht zu einem 
und demselben Thiere gehören kömnen, die einen sind länger 
eylindrisch und hohl, die Oberfläche ist am untern Theil über 
dem Gelenkknopf fein längsgestreift, weiterhin sind die erha- 
benen Streifen zu kurzen Zacken eingeschnitten; diese gehören 
wahrscheinlich zu Cidaris Nerei. Die andern Stacheln sind 
kürzer, mehr konisch, fein gestreift ohne Zacken, und durch 
und durch solid; sie gleichen sehr den Stacheln aus dem Ei- 
feler Kalke. 

"Allfällig wird für das bestachelte Echinoderm der Eifel 
der Name Lepidocentrus eifelianus geeignet sein. 

Die Tafeln der Jurassischen Asterias scutata Goldf. Sphae- 
rites scutatus Quenstedt haben einen sehr niedrigen, flach aus- 


vom 19. Juni 1856. 361 


gehöhlten Höcker, auf dem ohne Zweifel der von Quenstedt 
Handb. d. Petrefactenkunde Taf. 55 Fig. 37 abgebildete Stachel 
stand. In der Sammlung des Hrn. Ewald sah ich die Platten 
und Stacheln aus dem Coralrag von Ulm. Die Stacheln wei- 
chen von den Stacheln der Seeigel ebenso sehr ab, als die 
Stacheln des Eifeler Kalks mit Seeigelstacheln übereinstimmen. 
Sie sind einfach konisch und ohne den Gelenkkopf und Wulst, 
welcher alle durch Muskeln bewegte Seeigelstacheln auszeichnet. 
Die Basis des Kegels ist quer abgeschnitten und die Unter- 
fläche der Basis sanft vertieft. 

Hr. Steininger hat unter dem Namen Echinus Buchiü 
in den Mem. de la soc. geol. de France T. I. p. 1. 1833 
p- 349 pl. XXI Fig. 2 von Rommersheim einen sehr kleinen 
Seeigel (55”) abgebildet, der mit dem Gegenstand dieser Ab- 
handlung in keinem Zusammenhange steht und so sehr den 
tertiären Seeigeln gleicht, dafs dieser Vergleich bei der Be- 
schreibung ausdrücklich hervorgehoben und die Vermuthung 
ausgesprochen wurde, es könnte dieser Seeigel von Resten der 
Tertiärformation herrühren. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 
" Schirren, Die Wandersagen der Neuseeländer und der Mauimythos. 
Riga 1856. 8. 
Memoires de la societe royale des sciences de Liege. Tome X. Liege 
41855....8; 
- Annales de chimie et de physique. Tome 47, Livr. 4. Paris 1856. 8. 
Schröder, La rotation souterraine de la masse ignee. Paris 1856. 8. 
Mit Begleitschreiben des Hrn. Verfassers, d. d. Paris 10, Juni 1856. 
Athenaeum frangais, no. 24. Paris 1856. 4. 
Corrispondenza scientifica in Roma, no. 40. Roma 1856. 4. 
 E. und J. H. Halbertisma, Leed in Wille. De Flotgärzen, Dimter 
1854. 8. 


+ 


Aufserdem kam ein Schreiben der K. Akademie der Künste 
zu Berlin d. d. 17. Juni zum Vortrag, welches den Empfang 


362 Gesammtsitzung 


des 1sten Supplementbandes der Abhandlungen der Akademie 
von 1854 und der Monatsberichte von Juli bis December 1855 
anzeigt. 

Ein Schreiben der K. Akademie der Wissenschaften zu 
Lüttich zeigt d. d. 20. April den Empfang der Abhandlungen 
von 1853 und 1854, so wie der Monatsberichte von 1853 bis 
Juni 1855 an. 


26. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Homeyer las „über die Informatio ex spe- 
culo Saxonum”. 


Hr. Ehrenberg las hierauf einen kurzen Bericht über 
den Inhalt der im Druck vollendet vorgelegten er- 
sten Lieferung der Fortsetzung der Mikrogeologie, 
welche die Südstaaten Nordamerika’s abschlielst. 

In der letzten Sitzung des vorigen Jahres habe ich der 
Akademie über das Fortrücken des Supplementes der Mikro- 
geologie eine Mittheilung gemacht und mehrere Aushängebogen 
des Textes vorgelegt. Da jetzt eine Lieferung von 22 Bogen 
Text, in gleichem Folio-Formate und Drucke wie das Frühere, 
im Buchhandel ausgegeben worden ist, so erlaube ich mir, in- 
dem ich sie vorzulegen mich beehre, über die weitere Folge 
des Druckes einige Nachricht zu geben. 

Die Mikrogeologie sollte das Bild des kleinsten Erdlebens 
vom Standpunkte eines einzelnen Beobachters aus geben, wel- 
cher bei sich selbst allen Streit über Ansichten ausschlielst und 
wo er dann in Fehler verfällt, meist nur einerlei Fehler der 
Auffassung und Darstellung hat. Nach diesem Grundsatz sind 
die Tafeln der Mikrogeologie über die ganze Erde im Jahre 
- 4854 vollendet worden. Der Text wurde aber damals nur über 
den Südpol, Australien, Asien, Afrika, Süd- und CGentro-Amerika 
samt Mexico und die diesen Erdtheilen zugehörigen Inseln 
ausgeführt. Die Fortsetzung bezweckt die weitere Durchfüh- 
rung des speziell erläuternden Textes. Nebenbei soll das 
massenhafte Walten des unsichtbaren Lebens in jeder kleine 


vom 26. Juni 1856. 363 


Erdspur aller Zonen hervortreten, zuletzt sollen Charaktere der 
Land- und Meeres-Zonen, der Flüsse, der Kultur - Erden, der 
Gebirgsformationen und der Atmosphäre von selbst in die Au- 
gen fallen, praktischen Nutzen anbahnen und gewähren. 

Diese erste Lieferung der Fortsetzung enthält den Ab- 
schluls der sämmtlichen Süd-Staaten Nord- Amerika’s in ihrer 
mikrogeologischen Übersicht. Während die im December 1855 
vorgelegten Bogen die Staaten Florida, Georgia, Alabama, Lui- 
siana, Texas, Neu-Mexico und Cherokee Nation enthielten, 
schlielsen sich in den ausgegebenen folgenden noch die’ Staa- 
ten Arkansas, Missouri, Nebraska, Tennessee, Kentucky, Süd- 
Carolina, Nord-Carolina, Virginien und Maryland als Süd- 
Staaten an. Von 11 dieser 16 Staaten sind je über 100 For- 
men des kleinen Lebens von mir ermittelt und verzeichnet, 
von Florida zusammen 215, von Texas 310. Von 3 anderen 
Südstaaten sind je zwischen 100 und 80, von einem 61, von 
einem 32 festgestellt worden. 

Auch von den Nordstaaten werden in dieser ersten Lie- 
ferung bereits folgende 5, respective 7, in Übersicht gebracht: 
New-Jersey, Pennsylvanien, Ohio, Indiana, Illinois, Jowa und 
das Quellenland des Mississippi Minnesota. * 

Die Analysen betreffen fast ausschliefslich die das Kultur- 
land bildenden Erdarten und die Fluls-Trübungen samt den 
Humus-Ablagerungen der Flüsse und Wälder, welche den Na- 
men der Prairieen führen. Die zahlreichen mir von dort durch 
Hrn. Lieut. Maury seit Jahren übersandten Flufs-Filtra fast 
aller Haupt-Flüsse haben nun ihre Anwendung gefunden. Reiche 
Mischung an mikroskopischem Leben zeigt überall das reiche, 
das beste Kulturland an. Die Prairieen Nord-Amerika’s aus 
Waldhumus treten in gleichen Charakter und Werth mit der 
berühmt gewordenen Schwarz-Erde von Süd-Rufsland. 

Es kann nun ausgesprochen werden, dals die Süd- Staaten 
Nord-Amerika’s allein aus 281 von mir analysirten verschiedenen 
Boden- und Flufs-Verhältnissen 631 mikrokopische Formen als 
Mischungstheile kennen gelehrt haben, welche die Mischung 
aller Oberflächen-Verhältnisse und des Kulturlandes wesentlich 
charakterisiren. Überdiefs hat in neuerer Zeit Hr. Prof. Bai- 
ley in New-York, der einzige Naturforscher, welcher sich bis- 

[1856.] 27 


364 Gesammtsitzung vom 26. Juni 1856. 


her in dieser Beobachtungsrichtung mit Ernst und Erfolg be- 
theiligt hat, noch 299 Formen aus jenen Gegenden hinzugefügt, 
von denen aber nicht alle Sülswasserformen, auch nicht alle 
besondere Arten sind. 

Das Übersichtsverhältnifs der mikroskopischen erdbildenden 
Süfswasserformen im südlichen Nord- Amerika stellt sich nun 
abschliefsend folgendermalsen fest: 

Unter den von mir verzeichneten 631 Formen sind 504 
Sülswassergebilde, 122 brakische und Meeresformen als Bei- 
mischung der Küstenverhältnisse und älterer Gebirgstrümmer, 
nämlich: 

92 Meeres-Polygastern, 52 fossile Polythalamien, 12 Meeres- 
Spongolithe, 4 fossile Polycystinen, 2 kleine Bivalven. 

Unter den von Hrn. Bailey verzeichneten 299 Formen 
sind 252 Sülswassergebilde, 49 Meeresformen, letztere sämmt- 
lich kieselschalige Bacillarien. 

Von den 631 + 299 beobachteten und verzeichneten For- 
men sind nur 58 gleichnamige. Die ganze beobachtete Formen- 
zahl beträgt nach Abzug der Synonyme 875 Formen -Arten, 
darunter 20 unorganische. 

Von den 855 festgestellten organischen Formen der Süd- 
staaten sind 148, etwa zur Hälfte fossile zur Hälfte jetzt 
lebende, brakische und Meeresformen. Mithin beträgt die Ge- 
sammtzahl der beobachteten Sülswasserformen für jetzt 707 Arten. 

Sämmtliche von mir beobachtete Formen, mit geringen 
zufälligen Ausnahmen, sind in Präparaten aufbewahrt, mit Ein- 
schlufs dieser Lieferung. 

Die Gesammtzahl der von mir publicirten mikroskopischen 
Analysen von Erdverhältnissen aller Länder beträgt 1324. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


American Journal of science and arts. Vol. 21, no. 63. New-Haven 


1856. 8, 
Jahresbericht des physikalischen Vereins zu Frankfurt a. M., für 1854— 
1855. 8. 


Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskabs Shrifter. Naturv. och math. 
Afdeling. Wol. IV, 1. Kjöbenhavn 1856. 4. 


Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 30. Juni 1856. 365 


Oversigt over det Kongelige danske Videnskabernes Selskabs Forhand- 
linger i aaret 1855. Kjöbenhavn 1856. 8. 

Collectanea meteorologica sub auspiciis socielalis scientiarum danicae 
edita. Fasc. IV. Hauniae 1856. 4. 

Sabine, On periodical Laws discoverable in the Mean effects of the 
larger Magnetic Disturbances. No. 3. (London 1856.) 4. 

_— - Terrestrial Magnetism. Plate 23. 1 Blatt in folio. 

L’Institut. I, no. 1170. II,no. 244—245.. Paris 1856, 4. 

Athenaeum frangais, no, 25. Paris 1856. 4. 

Corrispondenza scientifica in Roma, no. 41. Roma 1856. 4. 

Steenstrup, Hectocotyldannelsen hos Octopod-slaegterne Argonauta 
og Tremoctopus. Kjöbenhavn 1856. 4. 


30. Juni. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Petermann las über den Inhalt des astrologischen 
Werkes der Mandäer ,„Asfar Malwäsche” oder das Buch der 
Zeichen des Thierkreises genannt. 


BaLIITT 2-08: 2,2: 0 -T PDT 


Berichtigung. 


p: 328 Zeile 14 v. oben ist für Fragilaria mesogongyla zu lesen Fragi- 
laria ? (Tabellaria ?) Fusus. 
p: 333 ebenso. 


p: 338 Zeile 12 v. oben ist für a— 1 zu lesen a— o, 


27° 


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Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 
im Monat Juli 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 


3. Juli. Öffentliche Sitzung zur Feier des 
Leibnizischen Jahrestages. 


Hr. Trendelenburg leitete die Feier mit einem Vor- 
trag über „Leibnizens Entwurf zu einer allgemeinen 
Charakteristik oder Universalsprache (lingua characte- 
rica universalis)” ein, soweit sich die Grundzüge zu diesem 
umfassenden Plan theils aus einzelnen Schriften Leibnizens, 
theils aus den hinterlassenen, auf der Königl. Bibliothek zu 
Hannover sich vorfindenden weitläufigen Vorarbeiten ergeben. 
Dabei wurden die unbekannt gebliebenen „Vorschläge zu einer 
nothwendigen Sprachlehre” 1811 als eine, wenn auch die Auf- 
gabe einschränkende, doch in Leibnizens Geist auf Kantischem 
Grunde entworfene Schrift bezeichnet und als der scharfsinnige 
Verfasser Justizrath Ludwig Benedict Trede genannt, wel- 
cher fast 90 Jahre alt, im Jahre 1819 zu Eutin verstarb. 

Nach diesem Vortrag, welcher mit den nöthigen Beilagen in 
den Denkschriften erscheinen wird, wurde Leibnizens mathema- 
tischer Briefwechsel mit den Bernouilli’s, herausgegeben von 
C. J. Gerhardt, als dritter Band von Leibnizens mathemati- 
schen Schriften (Erste Abtbeilung, Halle 1855. Zweite Ab- 
theilung, Halle 1856) vorgelegt. Vieles darin ist unedirt, an- 

[1856] 28 


368 Öffentliche Sitzung 


dres ist berichtigt und bereichert, und zwar nach den Manu- 
scripten der Königl. Bibliothek zu Hannover. Der gelehrte 
Herausgeber hatte diese Festgabe eingesandt und die Akademie 
dankte ihm für seine dem Geiste Leibnizens treu hingegebene 
erfolgreiche Thätigkeit. 

Es kam hierauf die Preisaufgabe zur Entscheidung, welche 
von der philosophisch-historischen Klasse zuerst im J. 1850 
gestellt, sodann im J. 1853 wiederholt war. Das Urtheil der 
philosophisch-historischen Klasse, welches Hr. Trendelen- 
burg verlas, lautet, wie folgt: 

Die philosophisch-historische Klasse der Akademie hatte 
am leibnizischen Jahrestage 1850 auf das Jahr 1853 nachste- 
hende Preisfrage bekannt gemacht: 

Welche philosophische Begriffsbestimmungen vom Staate 
sind von Bedeutung geworden für die Entwickelung staats- 
wirthschaftlicher Lehren? In wie fern gehört zu einer rich- 
tigen Auffassung vom Staate in den Begriff desselben auch der 
Gesichtspunkt, dafs neben allen übrigen im Staate zu verfol- 
genden Zwecken, in demselben die Menschen besser und leich- 
ter, als es ohne ihn möglich wäre, Wohlstand erwerben und 
im Wobhlstande fortschreiten? Ist der Ausgangspunkt der Lehre 
Ad. Smiths, die Arbeit macht wohlhabend, mit einer rich- 
tigen Auffassung von dem Wesen des Staats übereinstimmend 
oder nicht? Bei Prüfung und Beantwortung dieser Fragen ist 
der ethische Standpunkt besonders festzuhalten und sind von 
diesem aus auch die in neuester Zeit in Frankreich und Deutsch- 
land entstandenen und verbreiteten staatswirthschaftlichen Leh- ° 
ren und Theorieen einer näheren Prüfung zu unterwerfen. 

Es waren im Jahre 1853 fünf Schriften zur Beantwortung 
eingegangen. Keiner derselben konnte der Preis oder ein Ac- 
cessit zuerkannt werden. 

Da indessen die Aufgabe thätige Theilnahme gefunden hatte, 
so liefs die historisch-philosophische Klasse 1853 die Preisfrage | 
bestehen, und verkündigte in der öffentlichen Sitzung zur Feier | 
des Leibnizischen Jahrestags am 7. Juli 1853 die vorhin verlesene 
Preisfrage unter Verdoppelung des früher ausgesetzten Preises 
von Einhundert Dukaten auf Zweihundert Dukaten zur Be- 
antwortung auf das Jahr 1856. 


vom 3. Juli 1856. 369 


Es sind nun drei Schriften eingegangen. 

Die erste derselben hat das Motto: 

Am Menschen hängt ein menschlich unwägbar Gewicht, 
Vernicht’ ers durch wägbare Lasten nicht. 

Diese Schrift, historisch unvollständig, folgt einer Rich- 
tung, welche den Handel für eine Geburt der Unnatur erklärt 
und zwar Ad. Smith guten Glauben und Geschäftsverstand 
zuspricht, aber doch dafür hält, dafs er nur durch den Irrthum 
seiner Zeit und die Institutionen seines Landes zu seiner Lehre 
und namentlich zu dem Satz gekommen: „Arbeit mache wohl- 
habend”. Da die Schrift überdies die Preisfrage nur zur Ver- 
anlassung von Betrachtungen nimmt, aber nicht eigentlich zum 
Grunde legt, so hat sie das gestellte Ziel auf keine Weise 
erreicht. 

Die zweite Arbeit hat das Motto aus Aristoteles Poli- 
tik I. 1. genommen: 

eror 1asv oliv tour morırızdv var Dacırızdv zer oizovopızoV 
zu Ösrmorizöv eivan Tov aurov, 00 zaAWs Adyovcıv. 

In dem historisch kritischen Theil der Abhandlung, wel- 
cher die Erklärungen der Philosophen alter und neuer Zeit über 
den Staat enthalten soll, sind zwar die Ansichten der bedeu- 
tendsten Schriftsteller erwähnt; aber es ist mehr über dieselben 
gesprochen, als dafs der Inhalt der Lehren der verschiedenen 
Philosophen in strenger Beziehung zu der gestellten Aufgabe 
entwickelt wäre, Auch sind dabei die englischen Philosophen 
Th. Hobbes, J. Locke, D. Hume nicht genug gewürdigt, 
deren Ansichten in Bezug auf Eigenthum und Arbeit gerade 
für die Entwickelung staatswirthschaftlicher Lehren von be- 
sonderer Wichtigkeit geworden sind. Mit Vorliebe sind So- 
eialismus und verwandte Meinungen behandelt, und wenn auch 
gesagt wird, dals die Aufgabe des Staats in Förderung der Hu- 
manität zu suchen sei, so wird doch von Fourier, der die 
Glückseligkeit in Befriedigung der Begierden findet, hervor- 
gehoben, dals von ihm das erste Mal das Räthsel gelöst sei, 
warum der Mensch nach Beschäftigung und Arbeit strebe; es 
wird nachzuweisen versucht, dals Ad. Smith schon socialisti- 
sche Ansichten gehabt habe, weil er die Arbeit hochstelle, doch 
sei die aus dem Ad. Smithschen Werke gezogene Deutung 

28° 


370 Öffentliche Sitzung 


und Erklärung „die Arbeit macht wohlhabend” unvereinbar mit 
dem Wesen und der Idee des Staates. Der Werth des Eigen- 
thums ist in der Abhandlung verkannt. 

Wie hiernach diese Abhandlung die Lösung der Aufgabe 
verfehlt, so entspricht auch die Form der Darstellung nicht 
immer höherer Anforderung. Es kann ihr daher der Preis 
nicht zuerkannt werden. 

Die dritte Abhandlung hat zum Motto gewählt: 

Der Staat, welcher alle menschliche Zwecke schützt und 
fördert, soll für den Wohlstand seiner Bürger mehr 
thun, als Ad. Smith, weniger als die Socialisten 
wollen. 

In dem historisch kritischen Theil der Abhandlung, den 
Untersuchungen über die von den verschiedenen Philosophen 
und bedeutenderen Schriftstellern aufgestellten Begriffsbestim- 
mungen des Staats, geben sich Fleifs und Kenntnisse kund, und 
in der Auffassung des Staatszweckes wird von richtigen An- 
sichten ausgegangen, wenn es auch nicht immer gelungen ist, 
den inneren Zusammenhang, in welchem die Erstrebung des 
Volkswobhlstandes mit der Erreichung aller höheren Zielpunkte 
des Lebens der Völker steht, tiefeingehend darzulegen. 

Der Verfasser ist sehr belesen, aber die Citate sind an 
mehreren Stellen ungenau und unsicher. Der Verfasser hat 
offenen Blick für bedeutsame Thatsachen. Die Übersicht der 
Lehren ist indessen so angelegt, dafs der Zuschauer den Stand- 
punkt mehr neben als über ihnen hat und er sie mehr an sich 
vorüber ziehen sieht als von oben in den tieferen Zusammen- 
hang hineinblickt. 

Wo die Abhandlung ferner beweist, dafs unter die ver- 
schiedenen Zwecke des Staats auch die Förderung des Wohl- 
standes seiner Bürger gehöre, geht sie von einer universellen 
Ansicht über den Staat aus, dals er alle menschliche Zwecke, 
mithin auch den Wohlstand, schützen und fördern solle; die 
Frage aber, wie die Menschen den Wohlstand erwerben sol- 
len, behandelt der Verfasser so, dals er das eigene Erwerben 
der Menschen, nachdem vom Staate die Hindernisse des per- 
sönlichen Erwerbes hinweg geräumt worden, als das sich von 
selbst Verstehende, daher zu Übergehende hinstellt und näher 


vom 3. Juli 1856. 371 


beleuchtet, in wie fern der Staat durch seine eigene Wirk- 
samkeit positiv den Wohlstand zu befördern habe. Und doch 
enthält gerade die übergangene Frage reiche ethische Bezie- 
hungen; es war nachzuweisen, dafs eigene Thätigkeit der Men- 
schen die wahre Quelle des Nationalwohlstandes ist. 

Der Verfasser will zunächst nicht, wie Ad. Smith, freie 
Arbeit, sondern Regelung der Arbeit durch den Staat, und 
kommt dadurch, ähnlich den Socialisten, wie sehr er sich gegen 
diese erklärt, zu einer Lehre der Organisation der Arbeit, zu 
einer Leitung der Erwerbsthätigkeit der Einzelnen durch den 
Staat. Die Gefahr vor Übervölkerung, welche der Verfasser 
als nothwendige Folge der freien Arbeit darstellt, ist nirgend 
bewiesen und hat statistische Ermittelungen gegen sich. Der 
Verfasser will die Beschränkung von Auswüchsen der freien 
Arbeit und hält eine indirecte Förderung der Gewerbe dem 
Staate offen; wenn er aber im vierten Abschnitte zu den po- 
sitiven Vorschlägen übergeht, nach denen der Staat den Wohl- 
stand fördern soll, so giebt er hier nicht viel anderes, als was 
längst in den Lehrbüchern als Volkswirthschaftspflege ausge- 
sprochen ist, stellt auch nicht besondere, die Forschung för- 
dernde Gesichtspunkte auf. Ins Einzelne eingehend giebt er, 
wenn es sich nur um die Anerkennung des Allgemeinen han- 
delt, zu viel, und für die Forderungen des Besonderen und die 
Menge der einschlagenden Gegenstände zu wenig. 

Die vorliegende Abhandlung, mehr umblickend und kri- 
tisch aufnehmend, als philosophisch ableitend oder original, hat 
nach diesen Bemerkungen die gestellte Preisfrage nicht gelöst. 
Es kana ihr daher weder der Preis noch das Accessit zuer- 
kannt werden. 

Aber die Akademie erkennt gern an, dafs die vielseitige 
Schrift, welche keinem Extrem zugethan und in kein einseitiges 
ausschlielsendes System gebannt ist, wenn sie auch nicht das 
Richtige trifft, und in staatswirthschaftlicher Beziehung manche 
Irrthümer hat, doch gute Elemente enthält, die aber nur in 
einer ausgeführteren Darstellung und nach einer neuen gründ- 
lichen Durcharbeitung zu einer fördernden Schrift erwachsen 
würden. 


372 Öffentliche Sean 


Zur Anerkennung der von dem Verfasser der Aufgabe ge- 
widmeten Studien bewilligt hiernach die Akademie dem Ver- 
fasser den Werth des einfachen, ursprünglich ausgesetzt ge- 
wesenen Preises von 100 Dukaten. 

Nach den Statuten der Akademie ($. 68.) erlischt der An- 
spruch an diese Summe, wenn der Verfasser die Eröffnung des 
zu seiner Abhandlung gehörigen Zeitels nicht bis zum letzten 
März des Jahres 1857 verlangt hat. 

Im Interesse der Verfasser, um möglichen Mifsbrauch der 
Namen zu verhüten, verordnet $. 66. der Statuten, dafs die 
versiegelten Zettel, welche zu den zurückgestellten Abhand- 
lungen gehören, gleich nach Verkündigung des Endurtheils 
uneröffnet in der öffentlichen Sitzung verbrannt werden. In- 
dem daher der Zettel der zuletzt bezeichneten Abhandlung un- 
eröffnet bis weiter aufbewahrt wurde, traf diese Vorschrift den 
Zettel mit dem Motto: „Am Menschen hängt ein menschlich 
unwägbar Gewicht” u. s. w. und den Zettel mit dem Motto 
aus Aristoteles Politik I. 1.: ‚sro: mev ovv oovraı” u. Ss. w. 
Beide Zettel wurden, versiegelt, wie sie waren, verbrannt. 

Nach Erledigung der alten Preisaufgabe wurde folgende 
neue aus dem von Hrn. v. Miloszewski gestifteten Legate 
auf das Jahr 1859 verkündigt. 

In der philosophischen Litteratur giebt es noch immer 
eine Lücke, für deren Ausfüllung bis jetzt nur in einzelnen 
Richtungen der Anfang gemacht ist. Aus den verlorenen 
Schriften des Aristoteles finden sich im griechischen und 
römischen Alterthum, insbesondere bei den Commentatoren, 
Nachrichten und Bruchstücke zerstreut, welche sorgfältig 
gesammelt, kritisch gesichtet und mit dem vorhandenen 
Aristoteles verglichen, geeignet sein werden, unsere Kennt- 
nisse vom Aristoteles zu erweitern und zur Geschichte 
der Philosopbie und Litteratur einen wesentlichen Beitrag 
zu liefern. Die Akademie stellt hiernach 

eine vollständige kritische Sammlung der aristoteli- 
schen Fragmente 

als Preisaufgabe. 

Die Bruchstücke des Aristoteles und die Stellen, welche 
sich auf dessen verlorene Schriften beziehen, sollen aus 


vom 3, Juli 1856. 373 


dem griechischen und römischen Alterthum, insbesondere 
aus den Commentatoren, gesammelt, kritisch behandelt 
und, so weit sich Anknüpfungspunkte bieten, mit den vor- 
handenen aristotelischen Schriften verglichen werden. Was 
etwa noch die arabische und orientalische Litteratur für 
Aristoteles enthalten mag, bleibt für jetzt ausgeschlossen. 
Was bisher im Einzelnen für eine Sammlung geschehen, 
ist zu benutzen und zu berücksichtigen. Die Anordnung 
der Fragmente wird dem Urtheil der Bearbeiter überlassen ; 
aber es ist der Schrift ein doppeltes Register beizufügen, 
wovon das eine die Schriften und Stellen, aus welchen 
die Fragmente entnommen sind, genau aufführt, das an- 
dere die wichtigern Wörter und Gegenstände der Frag- 
mente alphabetisch verzeichnet. Die Arbeit kann zwar 
nach Wahl der Bewerber in deutscher, lateinischer oder 
französischer Sprache geschrieben werden, doch wird in 
diesem Falle eine lateinische Abfassung der Akademie er- 
wünscht sein. 

Die ausschlielsende Frist für die Einsendung der die- 
ser Aufgabe gewidmeten Schriften ist der 1. März 1859. 
Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Motto zu versehen 
und dieses auf dem Äufsern des versiegelten Zettels, wel- 
cher den Namen des Verfassers enthält, zu wiederholen. 
Die Ertheilung des Preises von 100 Dukaten geschieht in 
der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im 
Monat Juli des Jahres 1859. Überdies wird unter Bezug 
auf $. 67. der Statuten die philosophisch- historische 
Klasse, wenn die gekrönte Preisschrift sich zur Aufnahme 
in den noch rückständigen fünften Band der von ihr be- 
sorgten Ausgabe des Aristoteles eigenen sollte, nach nä- 
herer Verabredung mit dem Verfasser, Sorge tragen, dals 
dieser Beitrag noch angemessen honorirt werde. 


Hierauf hielt Hr. Rammelsberg als neu eingetretenes 
ordentliches Mitglied der Akademie folgende Antrittsrede. 

Indem Sie mich zum Mitgliede der physikalisch - mathema- 
tischen Klasse gewählt haben, wollten Sie meinen wissen- 


374 Öffentliche Sitzung 


schaftlichen Arbeiten die höchste Anerkennung zu Theil wer- 
den lassen, deren dieselben fähig sind; Sie wollten mir Gele- 
genheit geben, im Kreise hochverehrter und befreundeter Fach- 
genossen jene Studien weiter zu verfolgen, welche mich bis- 
her beschäftigt haben. Empfangen Sie für die Verleihung 
solcher Ehre meinen tiefgefühlten Dank, der sich bethätigen 
möge in dem Weiterstreben auf dem Felde der Wissenschaft, 
und in der Darlegung der gewonnenen Resultate. 

Bei der weiten Ausdehnung, welche das Gebiet der Che- 
mie in unseren Tagen erlangt hat, wird es immer schwerer, 
das Ganze gleichmälsig zu umfassen; selbst der universelle 
Geist glücklich begabter Forscher vermag kaum alle Einzeln- 
heiten festzuhalten, deren Kenntnils nöthig ist, damit die That- 
sachen ihr geistig verknüpfendes Band finden. Darum sehen 
wir jetzt die Kräfte der Einzelnen mit Vorliebe gewissen Rich- 
tungen zugewendet, und innerhalb engerer Grenzen ihre Thä- 
tigkeit entfalten. Gestatten Sie, dals auch ich, der Sitte fol- 
gend, den Kreis andeute, innerhalb dessen sich meine Arbeiten 
vorzugsweise bewegen. Es ist das Gebiet der Mineralchemie, 
die Erforschung der chemischen Natur der Mineralkörper, für 
welche gerade an dieser Stelle hochberühmte Namen, ältere 
und neuere, viel und Grofses geleistet haben. Da aber die 
Kenntnifs der chemischen Zusammensetzung nicht gedacht wer- 
den kann ohne Bezug auf die übrigen Eigenschaften irgend 
eines Körpers, so habe ich auch immer danach gestrebt, das 
Resultat der Mineralanalyse an jene anzuknüpfen. Dem Ideen- 
gange eines unsterblichen Meisters folgend, habe ich die Ver- 
bindungen des Mineralreichs immer in ihren Beziehungen zu 
den gesammten chemischen Verbindungen aufzufassen gesucht, 
denn es hat sich die Überzeugung immer mehr in mir geltend 
gemacht, dafs in der Chemie und in der Mineralogie die Me- 
thode der wissenschaftlichen Untersuchung eine und dieselbe 
sei, dafs Stoff und Form sammt den daraus herflielsenden phy- 
sikalischen Eigenschaften in beiden gleiche Berücksichtigung 
finden müssen, und dafs insbesondere der Zusammenhang zwi- 
schen der geometrischen Form und der chemischen Natur der 
Körper ein fruchtbares Feld für den Arbeiter noch auf lange 
Zeit sein werde. Darum habe ich den Versuch gewagt, die 


vom 3. Juli 1856. 375 


Beobachtungen trefflicher Forscher an den Krystallgestalten che- 
mischer Verbindungen mit eigenen zu einem Gesammtbilde 
zusammen zu fassen, welches, verglichen mit dem reichen Ma- 
terial der Mineralogie, schon jetzt von vielfachem Interesse für 
die Entwicklung der Formen ist, dessen zahlreiche Lücken aber 
nur zu deutlich zeigen, wie viel hier zu thun übrig bleibt. 

So weit schwache Kräfte dazu beitragen können, will ich, 
ermuntert und getragen von Ihrem anerkennenden Urtheil, die 
meinigen auch ferner dazu bieten. 


Hr. Ehrenberg als Sekretar der Klasse beantwortete 
diese Rede mit folgenden Worten: 

Schon lange vor Ihrer Wahl, Hr. Rammelsberg, war 
die Akademie auf Ihre sorgfältige wissenschaftliche Thätigkeit 
im Bereiche der Chemie aufmerksam und mehrere Ihrer Ar- 
beiten sind durch dieselbe erweckt und publicirt worden. Nur 
selten pflegen sich Chemiker in der Richtung, nach welcher 
hin Sie thätig sind, auszubilden und es ist Ihnen daher ge- 
lungen einen grolsen Schatz ungewöhnlicher Kenntnisse für 
die chemische Zusammensetzung der Mineralkörper, deren Ana- 
lysen man zu einem ansehnlichen Theile Ihrer eigenen For- 
schung verdankt, zur wissenschaftlichen Übersicht und Be- 
nutzung zu bringen. Mehrere von Ihnen herausgegebene viel 
Theilnahme findende Handbücher haben den Beweis geliefert, 
dals Sie, mit klarem Bewulstsein des vorhandenen Schatzes ihrer 
Wissenschaft, auch das Alte zu ordnen und stets nur gedie- 
genes Neues hinzuzufügen geeignet sind. So habe ich denn 
die erfreuliche Pflicht als Sekretar der physikalischen Abtheilung 
der Akademie Sie, das neueintretende Mitglied, im Namen der 
Gesammt- Akademie am heutigen "Tage einzuführen und ich 
bringe Ihnen den Gruls der Akademie hiermit öffentlich 
entgegen. 

In Ihrer vor 6 Jahren der Akademie mitgetheilten Unter- 
suchung über die Zusammensetzung der Turmaline haben Sie 
bereits Ihr Bestreben angedeutet und ihre Befähigung er- 
wiesen, den Zusammenhang der Krystall-Form der Mineralien 
und ihrer chemischen Natur zu erläutern. Auch heut noch 


376 Öffentliche Sitzung 


liegt dieses Bestreben Ihnen nahe. Freilich ist diels, so lange 
es in die Resultate positiver Beobachtungen eingeschlossen 
bleibt, ein Feld erspriefslicher und wichtiger Thätigkeit, wel- 
ches nur durch ungewöhnliche Sorgfalt in der Behandlung, wie 
Sie dieselbe bisher geübt haben, zugänglich ist. 

Schon längst hat man wohl auch sogar in den organischen 
Naturkörpern bis zu den Wirbelthieren und dem Menschen 
einen Zusammenhang der chemischen Mischung mit der Form 
nachweisen zu können geglaubt und einer der Coryphäen der 
Naturforschung hatte sogar 1828 ausgesprochen: 

Das Skelet der 'Thiere (welches von Knochen aus phos- 
phorsaurem Kalk gebildet ist und natürlich auch das des Men- 
schen) würde ganz anders geworden sein, hätte die Natur einen 
anderen als einen ungleichaxigen Stoff, wie der Apatit ist, zu 
bearbeiten gehabt, welcher Strablenbildung und Flächenbildung 
möglich macht, während z. B. der gleichaxige Flufsspath, statt 
Strahlen und Flächen, Massen gebildet haben würde, wobei das 
Skelet und somit das ganze Thier und seine Lebensthätigkeiten 
ganz anders geworden wären. — 

Es liegt auf der Hand, welche weite Anwendung solche 
Nataransichten als Ergebnisse der Chemie und der Krystalli- 
sation auf die Formbildung des organischen Lebens haben wür- 
den, wenn sie sich begründen lielsen. Allein die Physiologie 
kann sich diesen chemischen und krystallologischen Vorstel- 
lungen nicht öffnen. Die Kalktheile schielsen nämlich nirgends 
in Flächen oder in Strahlen an, um Knochenplatten oder Röh- 
renknochen zu bilden, vielmehr lagert sich der phosphorsaure Kalk ! 
des Skelets, wie der kohlensaure, in dicht geschlossenen weich- 
häutigen Zellen ab und längst vor der Anwesenheit des Apa- 
tites der Knochen oder auch des Kalkspathes der Schaalen, ist | 
schon in den weichen Zellen der organischen Körper der Grund ı 
zur Form des Ganzen gelegt, welches mit und ohne Kalk sich )) 
in ganz gleicher Form zu entwickeln fähig ist und wenn es 
überhaupt in chemischen Gesetzen einen Theil seiner Erläu- 
terung finden könnte, doch keineswegs durch Faserkrystalle | 
bedingt ist. Aber auch die weichen Zellhäute und die solche | 
Zellen umgebenden und erfüllenden Gallerten und Flüssigkeiten | 
haben nothwendig chemische Mischungsverhältnisse besonderer 


vom 3. Juli 1856. 377 


Art, deren Kenntnils hier und da erläuternd sein wird und all- 
mälig ermittelt werden muls, um dem grolsen Räthsel des Lebens 
uns überall näher zu bringen. Ich enthalte mich des weiteren 
Eingehens in die mit po@tischer Hast in der neueren Zeit ver- 
folgten, für das wissenschaftliche Bedürfnils viel zu wenig ge- 
sicherten und zu wenig verfeinerten chemischen Ermittelungen 
auch über Chitin, Gelin oder Chlorophyll der Tbiere u. s. w. 
und begnüge mich, darauf hinzuweisen, wie die von Ihnen ver- 
folgten und bereits mannichfach festgestellten derartigen Re- 
sultate eine viel mehr gesicherte Grundlage weiteren Forschens 
bilden. Sie haben beim Turmalin, dem Feldspath, Glimmer 
u. a. bereits direkt nachgewiesen, dals die Formengleichheit 
bei verschiedener chemischer Zusammensetzung durch das gleiche 
Verhältnifs der Proportionen der Mischungstheile eine Erläu- 
terung finde und haben somit einen ansprechenden Punkt ge- 
wonnen, von dem aus sich viele weitere Lichtblicke verbreiten 
können, ja vielleicht auch einst für das, seiner grolsen und fei- 
nen Zusammensetzung halber, schwierigste Formen -Verhältnifs 
des organischen Lebens einige neue belehrende Aufschlüsse 
ergeben. 
Seien Sie in unserer Mitte für immer willkommen! 


Hierauf hielt Hr. Kummer als neu eintretendes ordent- 
liches Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse folgende 
Antrittsrede: 

Der Königl. Akademie, als deren ordentliches Mitglied ich 
heut zum ersten Male öffentlich auftrete, habe ich zunächst 
für die hohe Ehre zu danken, deren ich durch die Aufnahme 
in diesen Kreis der wissenschaftlich hervorragendsten Männer 
gewürdigt worden bin. Ich habe aber aufserdem auch einer 
älteren Schuld der Dankbarkeit zu gedenken, durch die ich 
der Königl. Akademie verpflichtet bin, da Dieselbe bereits vor 
17 Jahren durch die Ernennung zu Ihrem correspondirenden 
Mitgliede mich über mein Verdienst geehrt hat. So wie ich 
diese früher mir gewährte Auszeichnung nur habe als einen 
Antrieb nehmen können durch Fortschreiten in der Wissen- 
schaft und durch gediegenere Leistungen mich derselben wür- 


378 Öffentliche Sitzung 


diger zu machen: so betrachte ich auch jetzt meine Aufnahme} 
in die Zahl der ordentlichen Mitglieder hauptsächlich als eine 
mir auferlegte höhere Verpflichtung, welche ich, im Bewulst- 
sein meiner eigenen Schwäche, nicht ohne Bangigkeit übernehme. f 

Die mathematischen Wissenschaften, an deren Fortent-f 
wickelung mitzuarbeiten ich durch Ihre Wahl berufen bin, 
haben in unserem Vaterlande seit mehreren Decennien einen 
neuen Aufschwung genommen. Der Deutsche Geist, getrieben 
von dem ihm eigenen Drange nach Erkenntnils, hat mit ver- 
jüngter Kraft den ewigen Formen und Gesetzen des Mathe- 
matischen sich zugewendet und in denselben ein reiches Feld 
seiner 'Thätigkeit gefunden. Es ist darum jetzt in der Mathe- 
matik, in ähnlicher Weise wie in den ihr verwandten Natur- 
wissenschaften, die wissenschaftliche Forschung die vor- 
herrschende Richtung, die Forschung welche weniger im Wis- 
sen, als im Erkennen ihre Befriedigung findet und darum in die 
Tiefe der Wissenschaft zu dringen sucht, wo sie die Lösung vor- 
handener Räthsel findet und wo neue Räthsel ihr entgegentreten. 

Zu dieser Richtung habe auch ich aus innerer Neigung 
mich hingezogen gefühlt, seitdem ich in den mathematischen 
Wissenschaften zu einiger Selbständigkeit gelangt war. Ich 
habe nach Maalsgabe der mir verliehenen Kräfte versucht in 
einzelnen Abhandlungen einzelne bis dahin unerkannte Punkte 
der Wissenschaft zu ergründen; wenn ich aber, wie es von 
den neu aufgenommenen Mitgliedern die Sitte verlangt, mei- 
nen wissenschaftlichen Standpunkt noch näher angeben soll, | 
so kann ich ihn füglich als einen theoretischen bezeichnen, | 
und zwar nicht allein darum, weil die Erkenntnils allein das | 
Endziel meiner Studien ist, sondern namentlich auch darum, 
weil ich vorzüglich nur diejenige Erkenntnils in der Mathe- | 
matik erstrebt habe, welche sie innerhalb der ihr eigenthüm- | 
lichen Sphäre, ohne Rücksicht auf ihre Anwendungen gewährt. " 
Die Mathematik hat auch als Hülfswissenschaft, namentlich in \ 
ihren Anwendungen auf die Natur, manche grolsartige Triumphe ! 
gefeiert, und es ist nicht zu leugnen, dafs sie diesen haupt- | 
sächlich die allgemeine Achtung verdankt in welcher sie steht, | 
aber ihre höchste Blüthe kann sie nach meinem Dafürhalten | 
nur in dem ihr eigenen Elemente des abstrakten reinen Quan- h 


vom 3. Juli 1856. 379 


tums entfalten, wo sie unabhängig von der äulseren Wirk- 
lichkeit der Natur nur sich selbst zum Zwecke hat. 

In diesem Sinne habe ich bisher die am meisten theore- 
tischen unter den mathematischen Disciplinen, die Analysis und 
die Zahlentheorie, mit besonderer Vorliebe studirt, und ich 
gedenke auch ferner in derselben Richtung, aber mit erhöhtem 
Eifer fortzuarbeiten, damit es mir gelingen möge das Ver- 
trauen, welches Sie in mich gesetzt haben, einigermalsen zu 
rechtfertigen. 


Dann hielt Hr. Borchardt, ebenfalls neueintretendes 
ordentliches Mitglied derselben Klasse, seine Antrittsrede: 

Indem Sie mich durch Ihre Wahl in diese Körperschaft 
beriefen, haben Sie mich einer Ehre für würdig gehalten, die 
ich glücklich sein würde mir in der Zukunft zu verdienen. 

Nach den beiden grofsen Meistern, die bis vor Kurzem 
die Analysis an dieser Akademie vertreten, und die ich zugleich 
als Lehrer und als glänzende Vorbilder verehre, wird es für 
den minder Begabten eine schwer zu lösende Aufgabe, das 
Mifsverhältnils zwischen der auszufüllenden Stelle und der Be- 
fähigung einigermalsen auszugleichen. Es bedarf für ihn der 
Anspannung aller Kräfte, wenn er, zugleich in der eigent- 
lichen Forschung und in der abgerundeten Darstellung des Ge- 
fundenen, solchen Mustern nicht ganz erfolglos nacheifern will. 
Dals ich in diesen beiden Bezieliungen die Erfordernisse frucht- 
bringender wissenschaftlicher Thätigkeit wenigstens nicht aus 
den Augen verloren habe, davon mögen Ihnen vielleicht meine 
Arbeiten Belege gewesen sein; und allein der Anerkennung 
hiervon darf ich ein Wohlwollen zuschreiben, für welches ich 
mich Ihnen zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet fühle. 

In Folge der innigen Berührung, in welche in diesem 
Jahrhundert die Analysis der continuirlichen Gröfsen mit der 
Theorie der Zahlen getreten ist, hat die letztere nicht nur 
selbst eine neue Entwickelung erlangt, sondern auch auf die- 
Analysis einen solchen Einflulfs gewonnen, dals man gegen- 
wärtig die analytischen Forschungen in zwei grolse Klassen 
trennen kann, je nachdem sie in ihren letzten Gründen auf 


380 Öffentliche Sitzung 


rein algebraischen oder auf zahlentheoretischen Prinzipien be- 


ruhen. Nur den hervorragendsten Geistern scheint es vorbe- 


halten zu sein, sich beider Richtungen mit gleicher Meister- 


schaft zu bemächtigen, während alle Anderen sich einer der- 
selben mit Vorliebe zuwenden. 

Der ersteren dieser Richtungen liegt die Algebra der ratio- 
nalen Ausdrücke zu Grunde, derjenige Theil der Mathematik, 
welchen man als ihre Logik bezeichnen kann und der sich aus- 
schlielslich mit Identitäten beschäftigt. In früherer Zeit hat 


man ihn als ein sich von selbst verstehendes Mittel zu den 


weiteren Untersuchungen angesehen, dessen man sich nur zu 


bedienen habe, ohne dafs es nöthig sei, ihn an sich zu stu- 


diren. Erst seitdem man gegen Ende des vorigen Jahrhunderts 
in die Construktion jener durch die ganze Analysis verbrei- 
teten algebraischen Verbindungen, deren Wichtigkeit sich fort- 
während an neuen Beispielen zeigt, tiefer eingedrungen war, 
konnte sich die Algebra ‚in ihrem heutigen Sinn als selbst- 
ständige Disciplin bilden. Wir sehen gegenwärtig in allen 


Ländern Mathematiker, die sich mit diesem formalen Theil der ' 


Wissenschaft beschäftigen, theils um ihm selbst eine grölsere 
Ausdehnung zu geben, theils um seine Anwendungen auf die 
übrigen Gebiete zu vermehren. 

Der wesentliche Nutzen dieser Richtung besteht darin, 
dals es durch dieselbe möglich wird, einfache Betrachtungen 
an die Stelle weitläuftiger Entwickelungen zu setzen. Anstatt 
die Operationen wirklich durchzuführen, richtet man sein Augen- 
merk nur auf ihre Definition und leitet daraus die Eigen- 
schaften der durch sie gebildeten Ausdrücke her. Mit diesen 
Eigenschaften vertraut führt man die Ausdrücke, unbekümmert 
um ihre wirkliche Darstellung, als Bausteine in den herzustel- 
lenden Bau ein, und während man auf direktem Wege in ein 
nicht zu entwirrendes Labyrinth mathematischer Zeichen ge- 
rathen war, ordnet sich jetzt Alles zu einer einfachen und 
übersichtlichen Gruppe von Grölsen. 

Dies ist der Weg, den auch ich bisher verfolgt habe, in- 
dem ich mich sowohl mit Aufgaben aus der Algebra selbst be- 
schäftigte als mit der Anwendung derselben theils auf Geo- 
metrie, theils auf jene Transcendenten, deren Theorie, auf dem 


vom 3. Juli 1856. 381 


unerschöpflichen Abelschen Theorem sich gründend, unter un- 
sern Augen eine so mächtige Entwickelung nimmt. 

Indem ich auf dem betretenen Wege fortschreitend, mei- 
nen Arbeiten eine weitere Ausdehnung zu geben hoffe, werde 
ich mich glücklich schätzen, wenn die Ergebnisse, zu welchen 
ich gelange, Ihren Beifall zu erwerben vermögen. 


Beide Reden beantwortete Hr. Encke als Sekretar der 
Klasse mit folgenden Worten: 

In keinem der Hauptfächer, in welche sich die Thätigkeit 
der Akademie verzweigt, hat sie so schwere Verluste erlitten, 
wie in dem Fache der Mathematik in den letzten 5 Jahren. 
Vor kaum 5 Jahren ward Jacobi, ein Mathematiker ersten 
Ranges, der wegen seiner früheren Anstellung in Königsberg, 
noch keine 8 Jahre als ordentliches Mitglied der Akademie an- 
gehört hatte, durch einen eben so unerwarteten als schmerz- 
lichen Tod uns entrissen und damit die Hoffnung uns geraubt, 
auch in unsern Schriften die Zeugnisse eines wahrhaft erfin- 
derischen und fruchtbaren Geistes, welche er in so reichem 
Maalse in Wort und Schrift ausgestreut hatte, einverleibt zu 
sehen. Eisenstein ein, man möchte sagen, jugendliches 
Talent, dem unser grolse Geometer Gauls die schönste Zu- 
kunft prophezeit hatte, und wie die zahlreichen Arbeiten der 
wenigen Jahre, welche das Schiksal ihm vergönnt hatte, be- 
weisen, mit vollem Rechte, hatte kaum seine Antrittsrede in 
der Akademie gehalten, als er ein Jahr später als Jacobi, 
vielleicht zum Theil den Anstrengungen erlag, denen er sich 
schonungslos hingegeben. Im vorigen Jahre beendigte auch 
Gauls, der Stammvater, möchte man ihn nennen, der neueren 
deutschen höheren Mathematik, seine irdische Laufbahn. “Wie 
hoch die Akademie die allerdings weniger enge Verbindung, 
in der sie mit ibm als ihrem auswärtigen Mitgliede stand, im 
Werthe schätzte, sprach sie nur wenige Jahre früher bei sei- 
nem Doctor-Jubiläum in einem besondern Glückwunschschreiben 
aus. Und wenn schon dieser unsere regelmälsigen Sitzungen 
nur entfernt berührende Verlust schmerzlich empfunden wer- 
den mulste, so ward er noch schmerzlicher für die Akademie 


382 Öffentliche Sitzung 


als er die Veranlassung gab, dals ein vieljähriges ordent- 
liches Mitglied im Fache der Mathematik, Hr. Dirichlet, als 
der würdigste Nachfolger von Gaufs uns entzogen ward, wo- 
für es nur ein unzureichender Ersatz genannt werden kann, 
dafs sein Name in der Reihe der auswärtigen Mitglieder an 
Gaulsen’s Stelle trat. Endlich ist es noch kein Jahr her, dals 
auch Hr. Crelle, der Begründer und eben so thätige als 
glückliche Leiter des ersten deutschen mathematischen Jour- 
nals, aus unserer Mitte schied, wahrscheinlich an den Folgen 
einer Verletzung, die er bei dem Besuche der akademischen 
Vorlesungen sich zugezogen hatte. 

Mit um so gröfserer Freude begrüfse ich heute in Ihnen 
beiden die würdigen Stellvertreter der Männer, welche das un- 
erbittliche Geschick uns raubte. Beide, wenn auch nicht die 
unmittelbaren Schüler der Männer, deren Namen hier genannt 
wurden, doch die geistigen Nacheiferer und Erben, deren 
Selbstgefühl ich nicht zu verletzen fürchte, wenn ich bei dem 
engen Bande, welches Sie mit jenen Vorgängern verband und 
dem Einflusse, den die Schriften derselben auf Sie ausübten, 
voraussetze, dals diese meine hohe Anerkennung in vollem 
Maalse von Ihnen getheilt wird. Wenn Gaufs seit dem An- 
fange dieses Jahrhunderts die neuere Mathematik in Deutsch- 
land gleichsam erst einführte, und namentlich einen Theil ge- 
wissermalsen erst schuf, dem er selbst einen entschiedenen 
Vorzug vor allen andern beilegte, so haben Jacobi und Di- 
richlet das Verdienst, in Preufsen diese bis dahin noch nicht 
zur vollständigen Blüthe gelangte Richtung für die jüngeren 
Kräfte zugänglich und fruchtbar gemacht zu haben, und wie 
die Lehrstühle unserer Universitäten jetzt zeigen, mit einem 
Erfolge, der ihre Wirksamkeit noch weit über die Dauer ihres 
Aufenthalts bei uns aufrecht und anerkannt halten wird. Es 
mögen jetzt einige zwanzig Jahre her sein, wo Sie, Hr. Kum- 
mer, in der Zeit des Dienstjahres, welches die Pflicht gegen 
das Vaterland Ihnen auferlegte, das lebhafte Erstaunen von 
Jacobi erregten, als Sie einen höchst werthvollen mathema- 
tischen Aufsatz als einjähriger Freiwilliger ihm einsandten und 
damit die engere schriftliche Verbindung anknüpften, in welche 
Sie später mit Jaeobi und Dirichlet traten. Gleich unter 


vom 3. Juli 1856. \ 383 


ihren ersten veröffentlichten Arbeiten erschien diese vortreff- 
liche Abhandlung von Ihnen, über die bekannte hypergeome- 
trische Reihe von Gauls, welche diese wichtige und berühmte 
Abhandlung von Gauls so erweiterte und ergänzte, dals der 
Mangel einer ähnlichen von Gaufs selbst herrührenden ge- 
hofften Ausführung, wenn auch immer schmerzlich empfunden, 
doch wenigstens nicht so fühlbar ward, wie bei manchen an- 
dern Untersuchungen, zu deren Fortführung und Beendigung 
die Zeit dem grolsen Manne gefehlt hatte. Es war aber nicht 
diese einzige Transcendente, auch andere beschäftigten Sie 
während der verschiedenen Amtsthätigkeiten, zu denen Sie be- 
rufen wurden. Vorzugsweise aber wandte sich Ihre Vorliebe 
den complexen Zahlen zu, diesem so wichtigen Fortschritte, 
den Gauls in seinem Lieblingsfache wenn gleich schon sehr 
früh erkannt und benutzt, doch erst später in das Leben ge- 
rufen hatte. So sehen wir in Ihnen denjenigen Gelehrten, der 
das Feld, was durch die grolsen Verluste der Akademie in den 
letzten Jahren hier etwas verwaist erschien, zu einer reichen 
Ausbeute sowohl sehon fruchtbar gemacht hat als auch künftig 
machen wird, und um so weniger konnte die Akademie sich 
die Gelegenheit mit Ihnen in nähere Verbindung zu treten 
jetzt entgehen lassen, wo Ihr bewährter Lehrerberuf Sie in 
unsere Stadt geführt hat, als schon vor 17 Jahren sie durch 
Ihre im Jahre 1839 erfolgte Erwählung zum Correspondenten 
das angedeutet hat, wovon wir heute die Erfüllung freudig 
begrülsen. 

Es ist eine der schönsten Eigenschaften der reinen Ma- 
thematik, dafs die Erzeugnisse des wahren Talentes zugleich 
immer die Keime neuer Entwickelung enthalten, und wenn 
man in die ununterbrochene Reihe der Schlufsfolge nur tief 
genug eindringt, um den wahren Kern, aus dem sie entspran- 
gen, zu erkennen, die verschiedensten Wege sich darbieten, 
auf welchen man dasselbe Ziel erreichen kann. Gerade diese 
Verschiedenheit gewährt dann auch die Anknüpfung zu Ver- 
bindungen mit andern Untersuchungen und eröffnet neue Bah- 
men. So haben auch Sie, Hr. Borchardt, in einer Abhandlung 
des Hrn. Kummer die erste Veranlassung zu weiterer For- 
Ischung gefunden. Jene Abhandlung betraf die direkte Ablei- 
[1856.] 29 


384 Öffentliche Sitzung vom 3. Juli 1856. 


tung der Bedingungen, an welche sich in der cubischen Glei-| 
chung, wodurch die Hauptaxen der Flächen zweiten Grades 
bestimmt werden, die Realität aller drei Wurzeln oder nur 
einer derselben oder die Gleichheit zweier derselben selbst bei 
imaginairen Coefficienten knüpft. Dasselbe Problem in Bezug 
auf die Realität der Wurzeln in den Gleichungen, aus welchen 
die Säcular-Änderungen der Elemente in der physischen Astro- 
nomie bestimmt werden, dessen Lösung aus derselben Quelle] 
entspringt, aber allgemeiner sämmtliche ähnliche Formen um-[ 
falst und daher die tiefere Erforschung des wahren Ursprungs. 
der Transformation in dem obigen speziellen Falle verlangt, 
haben Sie auf eine eben so neue als fruchtbare Art behandelt] 
und dabei ein Theorem, welches seiner Form nach nur fürf 
numerische Werthe bestimmt schien, auf allgemeine algebraische 
Ausdrücke angewandt. Diese Richtung, ebenfalls eine von 
denen, wodurch Jacobi, und zwar gerade auch in dem ange- 
führten Probleme, so sehr sich auszeichnete, hat seitdem vor- 
zugsweise Sie angezogen und die neuen Entwickelungen über 
eine seit Girard’s und Newton’s Zeit behandelte Klasse} 
von den interessantesten mathematischen Formen der symme- 
trischen Funktionen, oder allgemeiner derjenigen, welche über-| 
haupt bei gewissen Veränderungen ihrer Elemente ungeändert 
bleiben, geben das vollgültigste Zeugnils ab, dals auch Sie der 
Akademie den Ersatz darbieten werden, welchen die letzten 
schweren Jahre so dringend nöthig machten. 

Und als ob auch in jeder Beziehung die neuen Wahlen 
keine der Richtungen verwaisen lassen sollten, die durch die 
früheren Mitglieder mit segensreichem Erfolge eingeschlagenf 
waren, so begrülst die Akademie auch freudig in Ihnen, Hr.f 
Borcehardt, den künftigen Herausgeber des Journals, welches 


durch unser hingegangenes Mitglied Crelle vor dreilsig Jah- 
ren gegründet, so unendlich wohlthätig und man möchte fast 
sagen schöpferisch auf die gesammte Mathematik in Deutsch-f 
land eingewirkt hat. Wehr vielleicht als andere Wissenschaften 
bedarf gerade die abstraktere und von der Anwendung im Le- 
ben entfernter stehende reine Mathematik eines Organs, im 
welchem dem jüngeren Talente die Gelegenheit geboten wird,f 
sich zu zeigen und den älteren Coryphäen Veranlassung ge-# 


Gesammtsitzung vom 10. Juli 1856. 385 


geben, durch Andeutung der Wege auf welchen neue wich- 
tige Resultate zu erzielen sind, die Zukunft vorzubereiten, da- 
mit der schon jetzt so schön aufgegangene Saame auch später- 
hin fort und fort mit reichem Erfolge wuchern könne. Nie- 
mand verkennt das Opfer, welches Sie durch diese Verwendung 
Ihrer Zeit bringen, aber gestützt auf die Mitwirkung der hie- 
sigen und auswärtigen Talente, unter welchen besonders auch 
unsere Collegen Hr. Steiner und Kummer sich auszeichnen, 
werden Sie den für unser Vaterland so wesentlichen Erfolg 
Ihrer Bemühungen in ähnlicher Weise erringen, wie Hr. Crelle, 
dem durch die Gunst der Verhältnisse gleich bei dem Beginne 
seiner Herausgabe drei Männer wie Steiner, Jacobi und 
Abel in der Blüthe ihrer Jahre zur Seite standen. 

So heifse ich Sie denn im Namen der Akademie um so 
herzlicher willkommen als das enge Band der Freundschaft, wel- 
ches Sie beide verbindet, bei dem gleichzeitigen Eintritte in 
die Akademie die Gewähr einer schönen Vereinigung zu grolsen 
und edlen Zwecken darbietet. 


Zum Schlufs las Hr. Dove über das Klima von Preulsen. 


10. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. H. Rose las „über das Tantal und seine Ver- 
bindungen mit Chlor und Brom.” 

Zur Darstellung des metallischen Tantals diente die 
Verbindung des Fluortantals mit Fluornatrium, von welcher 
drei Theile mit einem Theile Natrium, in einem gut bedeckten 
eisernen Tiegel geschichtet, erhitzt werden. Bei dunkler Roth- 
gluht wurde derselbe, als die Einwirkung des Natriums auf das 
Salz erfolgte, plötzlich stark glühend. Es wurde dann nur noch 
kurze Zeit mit der äulseren Erhitzung fortgefahren und der 
Tiegel schnell erkaltet. Der Inhalt desselben war eine schwarze 
Masse aus der, in Wasser gebracht, sich ein schwarzes Pulver 
absondert, das mit Wasser ausgewaschen werden muls, so lange 
dasselbe noch Salz auflöflst; endlich aber mit sehr verdünntem 
Weingeist vollkommen ausgesülst wird. 

29° 


386 Gesammitsitzung 


Das schwarze Pulver ist metallisches Tantal, aber gewöhn- 
lich nicht von vollkommner Reinheit. Es enthält saures tan- 
talsaures Natron, mit welchem es weniger verunreinigt ist, 
wenn man bei der Bereitung eine schützende Decke von Chlor- 
kalium angewandt hat. 

Berzelius hat im Wesentlichen dieselbe Methode der 
Bereitung des Tantals angewandt. Nach ihm indessen ist das- 
selbe kein Leiter der Elektricität, während das von mir dar- 
gestellte Metall, obgleich es nicht ganz rein war, die Elek- 


tricität sehr gut leitet. An der Luft erhitzt, verbrennt es 


zwar mit lebhaftem Glanze, oxydirt sich aber doch etwas schwer 


und nur durch öfteres Umrühren mit einem Platindraht wäh- 


rend des Glühens zu weilser Tantalsäure. Von Chlorwasser- 
stoffsäure, von Salpetersäure und selbst von Königswasser wird 
es nicht angegriffen, selbst nicht durch längere Berührung und 
durch längeres Kochen, wie das auch schon Berzelius be- 
merkt hat. Mit Fluorwasserstoffsäure erhitzt wird es langsam 


und zum Theil unter Gasentwicklung gelöst; es bleibt aber 


auch nach längerem Erhitzen ein gräulicher Rückstand hart- 
näckig ungelöst. Hat man aber das Tantal mit Fluorwasser- 
stoffsäure übergossen und fügt dann Salpetersäure hinzu, so 
erfolgt bei Erhitzung eine schnelle Lösung unter Entwicklung 
von rothen Dämpfen. Von Schwefelsäure, auch selbst von 
concentrirter, wird das Tantal auch nicht beim Erhitzen ge- 
löst. Durch längeres Schmelzen indessen mit saurem schwe- 
felsauren Kali wird es zu Tantalsäure oxydırt. 

Berzelius fand, dafs das von ihm dargestellte Tantal 
durch Verwandlung in Tantalsäure durchs Glühen an der Luft 
eine Gewichtszunahme von 17,0; 15,34 und 15,33 Proe. erhielt. 
Hiernach würde die Tantalsäure 14,53; 13,69 und 13,29 Proc. 
Sauerstoff enthalten, während er selbst aber nur 11,51 Proc. 
darin annimmt. Er sehreibt die gröfsere Gewichtszunahme der 
Gegenwart des Kiesels in seinem Tantal zu. Von dem von 
mir dargestellten Tantal nahmen 100 Th. beim Glühen nur 
12,31 Th. Sauerstoff auf. Das entspricht einem Gehalt von 
11,36 Proc. Sauerstoff in der Tantalsäure, was zwar mit der 
Annahme von Berzelius mehr übereinstimmt, als dessen eigne 


Versuche, aber ein noch etwas unreineres Tantal voraus-. 


vom 10. Juli 1856. 387 


setzt, denn ich werde später zeigen, dafs der Sauerstoffgehalt 
der Säure ein weit grölserer ist, als Berzelius ihn festge- 
stellt hat. 

Wird über das metallische Tantal Chlorgas geleitet, so 
findet zwar bei gewöhnlicher Temperatur keine Einwirkung 
statt, aber beim gelinden Erwärmen erglüht das Metall im Chlor- 
gase und kann als Tantalchlorid abdestillirt werden, während 
eine oft nicht unbeträchtliche Menge von saurem tantalsauren 
Natron zurückbleibt, welches die Verunreinigung des Metalls 
ausmachte. Hiervon ist ein geringer Theil durch die Einwir- 
kung des Chlorgases in Chlornatrium verwandelt worden. 

Man kann das Tantal aus der Tantalsäure zu Metall redu- 
eiren, wenn man über das bis zur Rothgluht erhitzte tantalsaure 
Natron Phosphordämpfe leitet. Das Salz wird dadurch ganz 
schwarz, und wenn man nach dem Erkalten die schwarze Masse 
mit Wasser behandelt, so wird durch dasselbe phosphorsaures 
Natron aufgelöst. Aber dieses Tantal ist, ungeachtet seiner 
tief schwarzen Farbe, mit sehr vielem sauren tantalsauren Na- 
tron verunreinigt, so dals es ungefähr nur 6 bis 7 Proc. rei- 
nes Metall enthält, und daher auch ein Nichtleiter der Elek- 
tricität ist. 

Wenn man Tantalsäure oder Tantalchlorid bei erhöhter 
Temperatur mit Ammoniakgas behandelt, so erhält man nicht 
metallisches Tantal, sondern wie ich später ausführlicher erör- 
tern werde, Stickstoffverbindangen. 

Was die Bereitung des Tantalchlorids betrifft, so hat 
der Verfasser schon in früheren Abhandlungen über dieselbe 
sich ausführlich geäulsert, und auch erwähnt, dafs man bei der 
Darstellung desselben aus einem Gemenge von Tantalsäure und 
von Kohle vermittelst Chlorgas häufig auch die Bildung. von 
Hüssigem Zinnchlorid bemerkt, wenn die Tantalsäure nicht vor- 
her auf das sorgfältigste vom Zinnoxyd gereinigt worden ist, 
was nur durch Schmelzen mit einem Gemenge von Schwefel 
und von kohlensaurem Natron, und nicht durch blofses Dige- 
riren mit Schwefelammonium bewerkstelligt werden kann. 

Die Analysen des Tantalchlorids haben nicht so überein- 
stimmende Resultate gegeben, wie es wohl wünschenswerth 
gewesen wäre, um aus ihnen das Atomgewicht des 'Tantals mit 


388 Gesammtsitzung 


grolser Sicherheit bestimmen zu können. Es sind mehrere 
Ursachen, welche einer grofsen Genauigkeit im Wege stehen. 
Flüchtige Chloride vom festen Aggregatzustande, besonders 
wenn sie von einer voluminösen Beschaffenheit sind und nicht 
leicht zu Krystallen anschielsen, geben bei der Untersuchung 
ihrer Zusammensetzung nie so genaue Resultate, wie flüchtige 
flüssige Chloride oder feste Chloride von einer deutlich kry- 
stallinischen Beschaffenheit. Sie enthalten oft einerseits sehr 
kleine Mengen von überllüssigem Chlor, das schwer durch ein 
langes Darüberleiten von atmosphärischer Luft bei gewöhn- 
licher Temperatur fortgenommen werden kann, andrerseits oft 
etwas Acichlorid. 

Der Verfasser nimmt nicht als Mittel aller, sondern nur 
als Mittel von den wenigen Versuchen, welche die gröfste 
Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben, an, dafs das 
Tantalchlorid im Hundert besteht aus: 

Tantal 49,25 
Chlor 50,75 1 
100,00 
. Die Zusammensetzung der Tantalsäure ist dann: 
Tantal 81,14 
Sauerstoff 18,86 
100,0 - 

Diese Bestimmung weicht indessen sehr von der von Ber- 
zelius ab, nach welcher die Zusammensetzung der Tantalsäure 
in Hundert ist: 


Tantal 88,49 
Sauerstoff 11,51 
100,00 


Berzelius hat die Zusammensetzung der Tantalsäure aus 
der des Schwefeltantals bestimmt. Der Verfasser wird indessen 
später bei seinen Untersuchungen über das Schwefeltantal zei- 
gen, dals Berzelius sich in seinen Schlüssen geirrt hat, wäh- 
rend seine Versuche vollkommen mit denen des Verfassers 
übereinstimmen. 

Was die atomistische Zusammensetzung der Tantalsäure 
betrifft, so ist der Verfasser lange mit sich darüber uneinig 
gewesen. Berzelius nahm in der Tantalsäure 3 Atome 


vom 10. Juli 1856. 389 


] Sauerstoff gegen 2 At. des Metalls an, aber aus mehreren 
Gründen, die der Verfasser umständlich in seiner Abhandlung 
entwickelt, glaubt er sich berechtigt, die Tantalsäure als aus 
12 At. Sauerstoff gegen 1 At. Metall bestehend anzunehmen, 
wodurch namentlich die Zusammensetzung der meisten Ver- 
bindungen sich sehr befriedigend erklären läfst. Das Atom- 
gewicht des Tantals wird dadurch 860,26. 

Das Tantalbromid wird auf eine ähnliche Weise wie 
das Chlorid erhalten. Es ist gelblich, doch nur wenn es vom 
überschüssigen Brom, das ihm eine mehr braune Farbe mit- 
theilt, befreit worden, was etwas schwierig ist. 

‚Ein Jodid des Tantals lälst sich indessen nicht auf 
eine ähnliche Weise wie das Chlorid und Bromid bereiten. 
Auch durch Zusammenschmelzen von Jod mit metallischem 
Tantal konnte es nicht dargestellt werden. 


Hr. Müller las „einige Beobachtungen an Infu- 
sorien”. 

1. Bei einem Infusorium das durch seine Gestalt theils mit 
Loxodes rostrum E. theils mit Trachelius meleagris E. stimmte, 
habe ich eine lange Reihe von runden blasenförmigen Organen 
beobachtet, welche bei diesem Thierchen niemals fehlen. Die 
Reihe der Blasen erstreckt sich in dem meist ganz platten sel- 
ten geschwollenen Körper näher dem convexen Rande und 
ihm parallel, vom Vordertheil bis nahe zum Hinterende; sie 
sind ohne Zusammenhang mit einander. Diese nicht contrac- 
tiien Organe gleichen in der Reihenbildung den von Hrn. 
Ehrenberg bei Trachelius meleagris beobachteten Saftblasen, 
weichen aber von diesen dadurch ab, dafs der Inhalt der Bla- 
sen farblos ist, und dafs jede Blase ein centrales rundes Kör- 
perchen enthält, welches das Licht stark bricht und mit einem 
dunkeln Rande versehen ist, und welches niemals fehlt. Hr. 
v. Siebold erklärte die Blasen des Zrachelius meleagris für 
eine Reihe contractiler Blasen, was jedenfalls von unserm 
Fall gänzlich abweicht. Um über die beobachtete Thier- 
art nicht im Zweifel zu lassen, führe ich an, dafs das in 


390 Gesammtsitzung 


vielen Exemplaren den ganzen Sommer über beobachtete 
Thier sich durch einen dunkeln, ganz derben und festen Längs- 
streifen von leichter Sigmaförmiger Biegung an der Stelle, wo 
sich der Mund befindet, auszeichnet. Es ist ferner kenntlich fı 
durch ein netzartiges Aussehen der innern Körperwände, wel- 
ches entfernter Weise an die Zeichnung des Verdauungsorganes 
in Hrn. Ehrenbergs Abbildung von Trachelius ovum erinnert. 
Es giebt farblose jüngere Exemplare und ältere mit einem zar- 
ten Anflug von Braunroth. 

2. Die Stzentoren enthalten öfter in Hohlräumen ihres Kör- 
pers und an bestimmten Stellen desselben bewegliche den Ort 
verändernde Fäden. Ich sah diese sich schlängelnd bewegen- 
den freien Fäden zum erstenmal im April vorigen Jahres. Die f 
klaren Hohlräume befanden sich im vorderen Theile des Kör- 
pers in der Nähe der contractilen Blase, ohne Zusammenhang 
mit derselben. Es war mir nicht gelungen, die Fäden aus 
dem Sientor zu isoliren und ich habe damals nicht Gelegenheit 
gehabt die Beobachtungen fortzusetzen, habe aber nicht ver- 
säumt, die befreundeten jüngern Forscher, welche auf diesem 
Felde arbeiten, auf diesen Gegenstand aufmerksam zu machen. 
Die beweglichen Fäden sind auch in neuerer Zeit von Hrn. 
Lieberkühn, Lachmann und Claparede bei Sizentoren und 
zwar an derselben Stelle des Körpers wiedergesehen und es ist 
den Letzteren auch gelungen, die Fäden zu isoliren, wobei 
sich ihre Form bestimmter hat erkennen lassen, auch sich er- 
geben hat, dafs die Bewegungen der Fäden aufserhalb des Szen- 
tors im Wasser schnell erlöschen. Es liegt sehr nahe, diese, 
Fäden als Vibrionen zu deuten, welche durch den Mund des 
Stenior in das Verdauungsorgan eingedrungen sind. Es ist je- 
doch auch eine Beziehnng zu gewissen Fäden denkbar, deren 
Quelle im Infusorium selbst ist, welche nämlich im Körper 
mehrerer Infusorien zuweilen in einem bestimmten Organ zahl- 
reich unbeweglich vorkommen und darin ausgebildet werden. 
Ich meine das Organ, welches von Hrn. Ehrenberg Samendrüse, 
von den Neuern Kern genannt wird. In diesem Organ findet 
sich zuweilen eine Anhäufung von gekräuselten Fäden, welche 
von verschiedenen Seiten hieselbst nahe übereinstimmend ge- 
sehen sind. Hr. Lieberkühn hat nicht im Kerne selbst, sondern 


vom 10. Juh 1856. 391 


Jin dem sogenannten Kernkörperchen die Fäden beobachtet, und 
Izwar bei einem Infusorium aus dem Flufsschwamm, das bei 
der Gestalt von Kolpoda ren davon unterschieden war durch 
Idie Lage des Afters nahezu am hintern Ende des Körpers. 
Ich sah bei Paramaecium aurelia den ganzen Inhalt des ver- 
gröfserten Kerns oder der Samendrüse Ehrenbergs in einen 
Bausch von Locken gekräuselter Fäden formirt, wobei ich ein 
Kernkörperchen überhaupt nicht habe vom Kern unterscheiden 
können. Als ich diese Beobachtung Hrn. Lachmann und Cla- 
parede mittheilte, erfuhr ich, dafs sie die Erscheinung von Fä- 
den im Kern auch bei Chilodon eucullulus kannten. Bei Para- 
maecium aurelia zeigt sich die Erscheinung nichts weniger 


als häufig, vielmehr unter sehr vielen Exemplaren nur sehr sel- 
ten; sie fand sich aber unter den Paramaecien des Gefälses, 
welches das Material zu jener Beobachtung geliefert hatte, 
nochmals wieder und hat Hr. Claparede daraus ein Exemplar 
von Paramaecium aurelia erhalten, dessen Zustand man als die 
Fortsetzung dessen, was ich gesehen, betrachten konnte. Es 
hatte sich nämlich das Organ viel mehr vergrölsert und war in 
zwei grolse Massen getheilt, wovon die eine noch die gewöhn- 
liche Stelle des Kerns einnahm, die andere sich nach dem hin- 
tern Theil des Körpers über den Schlund weg ausgebreitet 
hatte. Im Innern dieser beiden Massen waren eine grolse 
Menge von discreten Fäden, welche aber nicht mehr wie im 
vorhergehenden Fall in Locken geordnet und dicht gepackt 
waren, sondern innerhalb der Grenzen des Organes in ver- 
schiedenen Richtungen locker zerstreut lagen. Auch im ge- 
wöhnlichen nicht gefaserten Zustande des Kerns ist derselbe 
bei diesem Infusorium häufig durch Einschnitte in Lappen ge- 
theilt, wie man bei Anwendung von Essigsäure deutlich. er- 
kennt. In Bewegung haben wir die Fäden des Kerns oder 
der Samendrüse niemals gesehen und fehlt dieses noch in der 
Reihe der Beobachtungen, dals direct ausgemittelt wird, ob die 
im Kern beobachteten Fäden später noch in Bewegung ge- 
rathen und mit den bewegt gesehenen Fäden der Stenzoren 
identisch sind. Eg ist unnöthig und vorzeitig, für jetzt wei- 
tere Schluflsfolgen aus diesen Beobachtungen zu ziehen. Doch 


392 Gesammisitzung 


leuchtet ein, dals das fragliche Organ doch mehr als der Kern 
einer Zelle sein muls. 

3. Hr. Lieberkühn hat kürzlich eine genaue Beschreibung 
des Verhaltens der Gefälse bei dem Spiel der’ contractilen Or- 
gane bei Bursaria flava E. und Ophryoglena flavescens E. ge- 
geben. Bei Paramaecium aurelia verdient noch die Action der 
birnförmigen Erweiterungen der Sternstrahlen eine besondere 
Erwähnung. Man kann hier zwei Schläge unterscheiden, wel- 
che abwechseln; erstens den Schlag systole der Blase und zwei- 
tens mit der diaszole der Blase gleichzeitig die syszole der birn- 
förmigen Erweiterungen der Sternstrahlen, welche sich entwe- 
der alle gleichzeitig entleeren oder auch gruppenweise hinter- 
einanderfolgend. Ehe die Blase ihren Schlag ausübt, wird sie 
oft schon kurz vorher etwas enger, wobei sich die Stern- 
strahlen weit erfüllen. Jetzt erst erfolgt dann zuweilen der 
Schlag der Blase, der sie gänzlich entleert, wobei die Stern- 
strahlen noch etwas weiter ausgedehnt werden, als sie es schon 
vorher waren. Mit der vollendeten Entleerung der Blase ver- 
schliefsen sich auch die Communicationen der Sternstrabhlen 
mit der Blase und bleiben die Sternstrahlen ein Weilchen bei 
entleerter Blase birnförmig erweitert. Dann erfolgt plötzlich 
die Entleerung der birnförmigen Erweiterungen der Stern- 
strahlen, indem in demselben Augenblick zusehends die Flüssig- 
keit aus den birnförmig erweiterten Strahlen in die leere Bla- 
se stürzt und sie wieder ausdehnt. Bei Paramaecium aurelia 
wächst also die entleerte Blase nicht ganz allmählig wie bei 
so vielen andern Infusorien, sondern sie nimmt plötzlich wie- 
der die Flüssigkeit aus den sich entleerenden Sternstrahlen auf. 
Ist die Systole der birnförmigen Erweiterungen der Sternstrah- 
len nichts anders als ein Überlaufen der Flüssigkeit aus diesen in 
die erschlaffende Blase unter einem gewissen Druck der Körper- 
wandungen? Oder ist es nicht vielmehr eine active Contraction der 
birnförmigen Erweiterungen ? mir ist das Letztere wahrschein- 
lich. Man kann das abwechselnde Spiel der Blase und ihrer 
erweiterten Ausläufer oder einzelner derselben nicht lange be- 
trachten ohne in der Ansicht bestärkt zu werden, dafs sowohl 
die Strahlen als die Blase ihre eigenen Wände haben müssen 
und mit ihren Wänden ihre Schläge ausüben. Hr. v.Siebold 


vom 10. Juli 1856. 393 


bemerkt bereits: bei dem Pulsiren verschwinden bald die Ster- 
ne vollständig, bald nur die mittleren runden Räume, bald nur 
die Strahlen. Es wird aber nicht angegeben, wie die Blase 
und dafs sie mit der Entleerung der Strahlen rückwärts gefüllt 
wird. 


Ferner legte Hr. Ehrenberg „eine am 1. Mai d. J. 
in China die Sonne verfinsternd in der Luft er- 
schienene Substanz” vor. 

Die von Hrn. Dan. Hanbury, Besitzer eines grolsen 
Droguerie-Geschäfts in London, an Hirn. Ehrenberg gesandte 
Probe, welche dessen Bruder in Shanghai selbst eingesammelt 
hat, ist nach Hrn. Ehrenbergs Urtheil reine Pappelwolle mit 
ihren vielen kleinen Saamen. Da im Begleitschreiben ange- 
zeigt ist, dafs Schmutz beigemischt war, so kann dieser 
Schmutz, welcher unbeachtet geblieben, eines jener erdigen 
Meteore gewesen sein, welche in China berühmt sind und 
dessen Interesse das des Pappelsaamens weit überwiegt. Die 
als sehr auffallend geschilderte Erscheinung, welche einem 
dicken weilsen Nebel in England verglichen wird, wird sich 
aus anderen Nachrichten späterhin wohl weiter in Übersicht 
bringen lassen. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Leibnizens Mathematische Schriften, herausgegeben von C. J. Ger- 
hardt. Band 3. Halle 1855—1856. 8. Mit Schreiben des 
Hrn. Herausgebers vom 2, Juli 1856. 

Kupffer, Annales de l’observatoire physique central de Russie. Annee 
1851 — 1852. Petersb. 1853 — 1855. 4, 

Acta soc. scient. fennicae. 'lomus IV. V, pars 1. Helsingfors 1856. 4. 

Öfversigt af finska Vetenskaps Societetes Förhandlingar. Vol. 1—3. 
ib. 1853 — 1855. 4. 

Observations magneliques faites a lobservatoire de Helsingfors. Vol. 1 
—4. ib.1850. 4. 

 Observations meleorologiques faites a lobservatoire de Helsingfors. Vol. 
1—4. ib. 1850. 4. 


394 Sitzung der physik.-math. Klasse vom 14. Juli 1856. 


Flora batava. Afl. 179. Amsterdam 1856. 4. 

Roziere et Chatel, Table generale et methodique des Memoires con- 
tenus dans les Recueils de ! Academie des inscriptions et belles-lettres 
et de l’ Academie des sciences morales et politiques. Paris 1856. 4. 

Brück, Electrieite ou Magnetisme du globe terrestre. Partie 1. Bruxelles 
1851. 8. 

Athenaeum frangais, no. 26. 27. 28. Paris 1856. 4. 

L’Institut. 1. Section, no. 1171— 1174. Paris 1856. 4. 

Revue archeologique. 13. Annee, Livr. 3. Paris 1856. 8. 

Jahrbücher des Vereins für Naturkunde im Herzogthum Nassau. 10. Heft. 
Wiesbaden 1855. 8. | 

Braun, Wiesbaden als Heilquelle und Kurort. Wiesbaden 1855. 8. 

Kirschbaum, Über Hoplisus punctuosus Eversm. Wiesbaden 1854. 8. 

Barges, Memoire sur le sarcophage d’Eschmounazar. Paris 1856. 4. 

Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft. 10. Band, Heft 
3. Leipzig 1856. 8. 

Göttinger Nachrichten, no. 8. 9. Göttingen 1856. 8. 

Cavedoni, Cenni cronologici intorno alla data precisa delle principali 
apologie e dei rescritti imperiali di Trajano e di Adriano. Modena 


1855. 8. 
Göbel, Untersuchung eines auf Ösel niedergefallenen Meteorsteins. Dor- 
pat 1855. 8. 


Astronomische Nachrichten. Band 43. Altona 1856. 4. 
Delesse, Notice sur les mines de cuivre du Cap de Bonne-Esperance. 
(Paris 1856.) 8. 


Ein Ministerial- Rescript vom 4. Juli genehmigt den von 
der Akademie dem Privatdocenten Dr. CGaspary in Bonn zu 
einer Revision von Herbarien in London und Paris bewilligten 
Reisekosten-Zuschuls von 200 Rihlr. 


14. Juli. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Poggendorff las eine Abhandlung des Hrn. Riels 
„über die elektrischen Pausen” in dessen Abwesen- 
heit vor. 


- 


Gesammtsitzung vom 17. Juli 1856. 395 


| Hr. Magnus theilte eine Abhandlung des Hrn. Dr. Krö- 
nig „über die mechanische Wärmetheorie” mit. 


17. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. du Bois-Reymond las „über Polarisation an 
der Grenze ungleichartiger Elektrolyte.” 

An der Grenze von Metallen und Elektrolyten erzeugt der 
elektrische Strom bekanntlich die zuerst von J. W. Ritter 
beobachtete elektromotorische Gegenkraft, deren Ursprung Volta 
sofort richtig in der elektromotorischen Rückwirkung der aus- 
geschiednen Zersetzungsstoffe suchte. An der Grenze verschie- 
dener Metalle tritt nach Peltier’s Entdeckung gleichfalls, 
wenn auch auf sehr verschiedenem Wege entsprungen, eine 
elektromotorische Gegenkraft auf. An der Grenze verschie- 
dener Elektrolyte dagegen fehlte es bisher an einer entspre- 
chenden Wahrnehmung. Durch die folgenden Beobachtungen 
wird diese Lücke ausgefüllt. 

Um diese neue Art von Polarisation nachzuweisen, bedarf 
es sehr kräftiger elektromotorischer und höchst empfindlicher 
stromprüfender Vorrichtungen. Ich bediente mich einer Säule 
aus dreilsig Grove’schen Gliedern der kleineren in meinen 
Untersuchungen ') beschriebenenArt, und meines Multiplicators 
von 24160 Windungen. 

Das allgemeine Princip der Beobachtung ist das nämliche, 
welches für die Ritter’sche und die oben bezeichnete Pel- 
tier’sche Polarisation gilt, und darin besteht, dafs der die 
polarisirbare Reihenfolge von Leitern enthaltende Kettentheil 4 
erst eine gewisse Zeit hindurch einen Theil des Säulenkreises 
bildet, dann aber, nach einer Zwischenzeit, die man gewöhn- 
lich möglichst abzukürzen strebt, zu einem Theil des Multi- 
plicatorkreises gemacht wird. Hiezu reicht aus, dafs, während 
der dem Säulen- und dem Multiplicatorkreise gemeinsame Ket- 
tentheil 4 mit der Säule verbunden ist, der Multiplicatorkreis 


1) Ba. 1. S. 446, 


396 Gesammisitzung 


an einer Stelle « geöffnet werde, wenn aber 4 am Multiplicatoıf 
auf secundär-elektromotorische Wirkung!) geprüft wird, die 
Lücke & geschlossen werde, unmittelbar nachdem der Säulen 
kreis an einer Stelle £ geöffnet wurde. Bei Anwendung so 
kräftiger Säulen indels und so empfindlicher Multiplicatorenf 
wie wir ihrer bedürfen, genügt diese Versuchsweise nicht. Es 
würden dabei am Multiplicator die von mir in meinen Unter- 
suchungen ?) beschriebenen Wirkungen störend auftreten, welche 
man wahrnimmt, wenn man eines seiner Enden, oder nac 
Einschaltung eines hinlänglichen Widerstandes, den die Ver- 
knüpfungsstelle nicht symmetrisch hälftet, auch seine beide 
Enden, mit dem einen Ende einer Säule verknüpft. Um diese 
und alle ähnlichen Störungen sicher abzuschneiden, wurde fol- 
gende Anordnung getroffen. 


Ss 


*) Unter secundär-elektromotorischer Wirkung verstehe 


ich in dieser und den folgenden Abhandlungen jede Art elektromotorischer 
Wirkung, 
Folge des Durchgangs eines Stromes, der der ursprüngliche genann 
wird, auftritt. 


2) Bd. II. Abth. 1. S. 496. 


welche in einer irgendwie beschaffenen Reihe von Leitern als 


vom 17. Juli 1856. 397 


In dem nebenstehenden Schema bedeutet 8 die Säule, M 
dden Multiplicator, 4 den polarisirbaren Kettentheil. ss, rs 
stellen demgemäfs zwei Lücken im Säulenkreise, m m, nn 
zwei Lücken im Multiplicatorkreise vor. Die beiden Kreise 
sind mit Inbegriff der acht Enden ihrer beiden Unterbrechungs- 
Istellen, m’ m, wu, s s, or, auf das vollkommenste von ein- 
ander isolirt. 77 W' ist eine Wippe, welche aus zwei Hälf- 
ten, W und W’ besteht, die zwar in einem Stücke bewegbar, 
doch jede für sich gleichfalls höchst vollkommen isolirt sind. Je 
nachdem die Wippe sich an s’s, « v’, oder an m’ m, uw an- 
lehnt, läfst sie den Strom der Säule durch 4 hindurch, oder 
macht die in 4 erzeugten secundär-elektromotorischen Wir- 


kungen am Multiplicator sichtbar. 

Da die Stärke der Polarisation wesentlich von der Dauer 
des Säulenschlusses und von der Zeit abhängt, welche zwischen 
Öffnung des Säulen- und Schliefsung des Multiplicatorkreises 
verstreicht, ist es zweckmälsig, um vergleichbare Wirkungen 
zu erhalten, die Wippe durch ein Uhrwerk bewegen zu las- 
sen, welches die Übertragung der Schlielsung vom einen Kreis 
auf den andern stets in hinlänglich gleicher, nach Belieben 
bald kürzerer, bald längerer Zeit vollführt, und aulserdem die 
Dauer des Säulenschlusses auch innerhalb so kurzer Zeiträume zu 
Iregeln erlaubt, dafs es ohne beträchtliche Fehler nicht gelingen 
würde, die Wippe mit der Hand umzulegen. 

In dem Schema bedeuten ferner die Kreise M, M’ meine 
gewöhnlichen Zuleitungsgefälse, mit Platinenden in gesättigter 
Kochsalzlösung. ©, © dagegen sind ähnliche Zuleitungsgefälse, 
in denen, um nicht die Beständigkeit der Säule zu gefähr- 
den, das Platin durch Kupfer, und die Kochsalz- durch gesät- 
tigte schwefelsaure Kupferoxydlösung ersetzt ist. 

H und AH’ endlich sind Hülfsgefäfse, die durch Heber- 
röhren mit den beiderseitigen Zuleitungsgefälsen verbunden 
sind. Auf Seiten des Multiplicators sind die Röhren mit 
Kochsalz-, auf der der Säule mit Kupferlösung gefüllt, und 
ihre in die Hülfsgefälse tauchende Mündung ist mit Blase ver- 
schlossen. Zwischen den Hülfsgefälsen kann man nunmehr, wie 
man sieht, heberförmige Röhren mit beliebigen Flüssigkeiten 
gefüllt anbringen, ja man kann die Hülfsgefälse selber mit be- 


398 Gesarmnmisitzung 


liebigen Flüssigkeiten anfüllen, ohne dadurch die Reinheit und 
Gleichartigkeit der in den Zuleitungsgefälsen befindlichen Lö- 
sungen, mit anderen Worten, ohne das Gleichgewicht im Mul- 
tiplicator- und die Beständigkeit des Stromes im Säulenkreise 
zu gefährden. 

Die mit Flüssigkeiten gefüllten Heberröhren zwischen den 
Hülfsgefälsen durften, wie eine spätere Folge lehren wird, 
nicht füglich mit Blase oder Flielspapier verschlossen werden. 
Die darin befindlichen Flüssigkeiten mufsten deshalb stets denen 
in den Hülfsgefälsen an Dichte nachstehen. Um die Röhren 
im gefüllten Zustande in die Hülfsgefälse umstürzen zu kön- 
nen, waren ihre Enden capillar ausgezogen '), wenn der Wi- 
derstand der Flüssigkeit es erlaubte, ihren Querschnitt stellen- 
weis dergestalt zu verkleinern. Im anderen Falle wurden Pa- 
pierscheiben auf die Mündungen der Röhren gelegt, die der 
atmosphärische Druck so gegen deren abgeschliffene Ränder 
prelste, dals man die Röhren umkehren und ihre Enden mit 
aller Ruhe in die Flüssigkeit der Hülfsgefälse eintauchen konnte, 
worauf die Papierscheiben wieder entfernt wurden. 

Man denke sich nun zunächst die Hülfsgefälse sowohl als 
die sie verbindende Heberröhre, gleich den Zuleitungsgefälsen 
des Multiplicators und den Heberröhren zwischen diesen und 
den Hülfsgefälsen, mit gesättigter Kochsalzlösung gefüllt. 
Die Wippe W W' ist gegen die Enden m’ m, u # ge- 
lehnt, und hält also den Multiplicatorkreis geschlossen. Die 
Nadel steht auf Null, und die Platinenden des Multiplicators 
sind so gleichartig, dafs auch nach mehreren Minuten Offen- 
stehen des Multiplicatorkreises beim Schliefsen desselben keine 
in Betracht kommende Wirkung erfolgt. Jetzt wird das Uhr- 
werk ausgelöst und überträgt durch Umlegen der Wippe die 
Schlielsung von den Enden des Multiplicatorkreises m’ m, u KW, 
auf die Enden des Säulenkreises s s, & c. Die Hülfsgefälse 
und die sie verbindende Heberröhre voll Kochsalzlösung wer- 
den von dem Strom der dreilsiggliederigen Grove’schen 


‘) Vergl. Walker in Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1825. 
Bd. IV. S. 319;* — Fechner ebendas. 1839. Bd. XLVIIL S.5;* — 
Becquerel in den Comptes rendus etc. 29 Mars 1847. t. XXIV. p. 505.* 


vom 17. Juli 1856. 399 


Säule durchkreist, ohne dals eine Spur davon ihren Weg in 
den Multiplicatorkreis fände. Wir lassen, durch Anhalten des 
Uhrwerks, die Kette beliebig lange Zeit geschlossen, voraus- 
gesetzt, wie gesagt, dals wir darauf rechnen können, dafs das 
Offenstehen des Multiplicatorkreises die Gleichartigkeit der Pla- 
tinplatten nicht zusehr gefährde, dann lösen wir wieder das 
Uhrwerk aus. Nach gegebener Zeit überträgt es im Nu die 
Schliefsung vom Säulen- auf den Multiplicatorkreis, die Nadel 
aber bleibt, wenn Alles in Ordnung ist, durchaus unbewegt. 
Dies dient beiläufig noch zum Zeichen, dafs, während des vor- 
hergehenden Zeitraumes des Versuches, kein Theil des Stromes 
seinen Weg auch nur bis durch die Platinenden des Multipli- 
cators hindurch gefunden hat, was ja hätte der Fall sein kön- 
nen, ohne dals der während jenes Zeitraumes davon abgeschnit- 
tene Multiplicator etwas verriethe. Aber nachträglich würden 
wir, wenn etwas der Art stattgefunden hätte, durch die auf 
den Platinenden entwickelten Ladungen am Multiplicator da- 
von Kunde erhalten. 

Nun wiederholen wir genau denselben Versuch, mit der 
einzigen Abänderung, dals wir das mit Kochsalzlösung gefüllte 
Heberrohr durch ein mit verdünnter Schwefelsäure ge- 
fülltes ersetzen. Läfst man jetzt den Säulenstrom auch nur 5” 
lang durch die Reihe der Elektrolyte, Kochsalzlösung, ver- 
dünnte Schwefelsäure, Kochsalzlösung hindurchgehn, so Hiegt, 
beim Schliefsen des Multiplicatorkreises, die Nadel mit Heftig- 
‘keit an die Hemmung, einen Strom in der Elektrolytenreihe 
von umgekehrter Richtung von der des Säulenstromes anzeigend. 
Der secundäre Strom ist innerhalb gewisser Grenzen, die ich 
noch nicht näher bestimmt habe, um so stärker, je gröfser 
Stärke und Dauer des ursprünglichen Stroms. Er ist nur von 
sehr kurzer Dauer. Läfst man, zwischen Öffnung des Säulen- 
und Schliefsen des Multiplicatorkreises, einen Zeitraum von nur 
10”, so erfolgt bereits nur noch ein sehr schwacher Ausschlag. 
Bei einer noch längeren Zwischenzeit bleibt die Nadel völlig 
in Ruhe. Ob diese Ausgleichung bei geschlossenem Kreise 


‘) HSO,:HO::1:8 dem Volum nach, Dichte etwa 1,13. 
[1856.] 30 


400 Gesammtsitzung 


noch schneller vor sich gehe, was wohl möglich wäre, habe 
ich noch nicht zur Entscheidung gebracht. 

Werden auch die Hülfsgef ıIse mit der verdünnten Schwe_ 
felsäure gefüllt, so ist der Erfolg der nämliche, als ob sie und 
das sie verbindende Heberrohr Kochsalzlösung enthielten, d.h. 
es findet keine secundär-elektromotorische Wirkung statt. Füllt 
man aber jetzt das Heberrohr mit Kochsalzlösung, wobei, wie 
gesagt, die Säure diesmal solche Dichte haben muls, dals die 
Lösung sicher darauf schwimmt '), so erfolgt ein Ausschlag von 
gleicher Richtung als ob die Hülfsgefäfse die Lösung und das 
Rohr die Säure enthalten hätten. 

Ähnlich der verdünnten Schwefelsäure verbielten sich hin- 
sichtlich der Richtung der Wirkung noch folgende Flüssig- 
keiten: Chlorwasserstoffsäure; gewöhnliche Salpeter- 
säure; dieselbe mit dem gleichen Volum destillirten Wassers 
verdünnt; Ammoniak; gesättigte Salpeterlösung?). Die 
Wirkung war aber schon bei der Chlorwasserstoffsäure schwä- 
cher als bei der verdünnten Schwefelsäure, und nahm bei den 
übrigen Flüssigkeiten noch mehr an Stärke ab, in der Ordnung, 
wie sie genannt sind. 

Man sieht, das mit einer dieser Flüssigkeiten gefüllte He- 
berrohr zwischen den Hülfsgefälsen voll Kochsalzlösung ver- 
hält sich, abgesehen von der freilich unvergleichlich geringeren 
Stärke der Wirkungen, nicht anders, als es ein an Stelle des- 
selben über die Hülfsgefälse gebrückter Streifen eines polarisir- 
baren Metalles, z. B. Platinblech, thun würde. 

Sehr verschieden gestaltet sich der Erfolg mit einigen an- 
deren Flüssigkeiten, nämlich mit concentrirter Kalihydrat- 
lösung, Brunnenwasser, destillirtem Wasser, Hüh- 
nereiweils und den hinsichtlich des Widerstandes und 
der elektrochemischen Beschaffenheit nabestehenden thierischen 
Säften. 

Zwar was die Umstände, die die Stärke der secundär- 
elektromotorischen Wirkung bestimmen, und deren zeitlichen 
Verlauf betrifft, so giebt sich kein Unterschied zu erkennen. 


!) Nämlich mindestens HSO, : HO:: 1:4, Dichte etwa 1,22, 
?) 4,1377 Dichte bei 17° C. 


vom 17. Juli 1856. 401 


Während aber bei den erstgenannten Flüssigkeiten die secundär- 
elektromotorische der ursprünglichen Wirkung entgegengesetzt 
ist, ist sie ihr hier gleich gerichtet. Bezeichnet man jene Art 
der Polarisation als die negative, so hat man es hier mit po- 
sitiver Polarisation zu thun, wozu im Gebiete der Ladungs- 
erscheinungen an der Grenze von Metallen und Elektrolyten 
höchstens die von Martens und Beetz an Eisen und von 
mir an verquicktem Zink beobachtete positive Polarisation ein 
Seitenstück bietet. Mit der Kalihydratlösung zwischen Koch- 
salz aber schien mir die positive Wirkung kaum weniger stark 
als die negative mit der verdünnten Schwefelsäure; mit dem 
Wasser und Hühnereiweils, besonders dem letzteren, ist sie 
zwar beträchtlich schwächer, doch vollkommen regelmälsig und 
ausgesprochen, und in Betracht des grolsen Widerstandes die- 
ser Flüssigkeiten ist es noch die Frage, ob wirklich die secun- 
där-elektromotorische Kraft eine bedeutend kleinere war. 

Auch mit den übrigen genannten Flüssigkeiten kann man 
natürlich dieselbe Versuchsreihe durchmachen, wie mit der ver- 
dünnten Schwefelsäure, nämlich nachweisen, dafs wenn die 
Hülfsgefälse dieselbe Flüssigkeit enthalten wie das sie verbin- 
dende Heberrohr, keine secundär-elektromotorische Wirkung er- 
folgt, dals dieselbe aber sofort, und in der gleichen Richtung 
wiederkehrt, wenn jetzt das Heberrohr mit Kochsalzlösung ge- 
füllt wird. 

Man kann, mit Beobaehtung gewisser Rücksichten, diesen 
Versuchen noch eine andere Gestalt geben, die zwar weniger 
vollkommen, dafür aber mehr geeignet ist, gewisse, zur 
Entscheidung einiger Punkte dienliche Abänderungen zuzu- 
lassen. Sie besteht darin, anstatt die Flüssigkeiten, deren Grenze 
der Sitz der Polarisation werden soll, in Röhren und Gefäfsen 
zu beherbergen, Fliefspapierbäusche damit zu tränken, und 
durch deren Berührungsstellen den Strom hindurchzusenden. 
Die Zuleitungsgefälse M, M’ nehmen alsdann die gewöhn- 
lichen, mit gesättigter Kochsalzlösung getränkten Zuleitungs- 
bäusche auf. Die Zuleitungsgefälse ©, © erhalten dergleichen 
mit gesättigter. schwefelsaurer Kupferoxydlösung getränkt. An 


‘) Untersuchungen u. s. w. Bd. 1. S. 236. 610. 
30* 


402 Gesammtsitzung 


Stelle der Hülfsgefälse treten Hülfsbäusche, welche für ge-- 
wöhnlich mit Kochsalzlösung getränkt sind, und nach Art des 
Schliefsungsbausches dauernd über die in M und © und die 
in M und © befindlichen Zuleitungsbäusche gebrückt wer- 
den. Von den mit Kupferlösung getränkten Bäuschen in © 
und © sind sie zur Verhütung dauernder gegenseitiger Ver- 
unreinigung durch Sicherheitsbäusche getrennt, d. h. durch 
einige Lagen Fliefspapier, die auf Seiten der Zuleitungsbäusche 
mit Kupfer-, auf Seiten der Hülfsbäusche mit Kochsalzlösung 
getränkt sind. 

Auf den Hülfsbäuschen können nunmehr, wie zwischen 
den Hülfsgefälsen die Heberröhren, balkenförmige Bäu- 
sche, d. h. vierseitig prismatische Bäusche, aus einer grolsen 
Anzahl Fliefspapierlagen bestehend, von etwa 60”=m Länge, 
145"m Breite, 10" Dicke, mit beliebigen Flüssigkeiten getränkt, 
angebracht werden. Die Hülfsbäusche schützt man abermals 
durch Sicherheitsbäusche gegen dauernde Verunreinigung mit 
den zu prüfenden Flüssigkeiten. Es versteht sich, dals man 
die Hülfsbäusche nach Bedürfnifs auch mit anderen Flüssigkeiten 
als mit Kochsalzlösung tränken kann, gerade wie man die Hülfs- 
gefälse mit dergleichen anfüllen kann; alsdann müssen sie auch 
von den Zuleitungsbäuschen des Multiplieators in M, M’ durch 
Sicherheitsbäusche getrennt werden. 

Mit Hülfe dieser Vorrichtung lassen sich alle obigen Ver- 
suche bequem und sicher mit dem nämlichen Erfolg ausführen. 
Ein balkenförmiger Bausch mit verdünnter Schwefelsäure ge- 
tränkt, zwischen den mit Kochsalzlösung getränkten Hülfs- 
bäuschen durchströmt, giebt negative Polarisation. Ein ähn- 
licher Bausch mit Kalilauge getränkt, an die Stelle jenes ge- 
setzt, giebt positive Polarisation u. s. w. 

Nur in dem Falle, dafs man die Bäusche mit verhältnifs- 
mälsig schlecht leitenden Flüssigkeiten, mit Wasser, Hühner- 
eiweils u. d. m. tränkt, giebt sich damit ein anderer Er- 
folg zu erkennen, als mit denselben Flüssigkeiten in Ge- 
fälsen und Röhren. Alsdann nämlich mischen sich secundär- 
elektromotorische Wirkungen einer ganz anderen Art ein, die 
den Gegenstand einer späteren Mittheilung ausmachen werden. 


vom 17. Juli 1856. 403 


Bei dieser Form des Versuches kann man nun auch so 
verfahren, dafs man, nach Entfernung der Hülfsbäusche, den 
balkenförmigen, z. B. mit Schwefelsäure getränkten Bausch un- 
mittelbar über die Zuleitungsbäusche der Säule in &, © brückt, 
auf denen in ihren oberen Schichten mit Kochsalzlösung ge- 
tränkte Sicherheitsbäusche ruhen. Nachdem der Strom einige 
Zeit hindurchgegangen, überträgt man den Schwefelsäurebausch 
rasch auf die Zuleitungsbäusche des Multiplicators, oder viel- 
mehr auf deren Sicherheitsbäusche, und beobachtet auch so die 
negative Polarisation des durchströmt gewesenen Bausches. 
Natürlich wird es hierbei nur selten gelingen, die Nadel nicht 
in der einen oder der anderen Richtung ausschlagen zu sehen, 
auch wenn der Schwefelsäurebausch gar keinem Strom ausge- 
setzt gewesen ist. Indessen ist es stets leicht, die Wirkung 
der Durchströmung nachzuweisen, und dafür hat dies Verfahren 
welches das der Übertragung heilsen mag, den Vortheil, 
dals es die Vorkehrungen zur Isolation des Säulen- und Multi- 
plicatorkreises, die Wippe, und die übrigen etwas künstlichen 
Vorrichtungen der ersten Versuchsweise entbehrlich macht. 

Da weder die Kochsalzlösung noch eine der in Berührung 
damit geprüften Flüssigkeiten an und für sich eine secundär- 
elekiromotorische Wirkung zeigt, so kann es nicht zweifelhaft 
sein, dals es die Grenze der beiden ungleichartigen Flüssig- 
keiten ist, die in Folge des Stromes der Sitz einer negativen 

| oder positiven elektromotorischen Kraft wird. Indessen ge- 
lingt es, bei der eben beschriebenen Methode des Übertragens, 
dies auch noch unmittelbar durch den Versuch darzuthun, in- 
dem man nämlich den polarisirten Schwefelsäurebausch derge- 
stalt auf die Multiplicatorbäusche bringt, dals er sie mit anderen 
| Stellen seiner Oberfläche berührt, als die, mit denen er auf 
den Säulenbäuschen auflag, oder indem man die Schichten 
Fliefspapier davon ablöst, mit denen er diese Bäusche berührte. 

Die durch den Säulenstrom bewirkte Ungleichartigkeit des 
Bausches ist also eine ebenso oberflächliche und örtliche wie 
die eines Platinstreifens sein würde, den man an Stelle des 
Bausches über die Säulenbäusche gebrückt hätte; und, wie hier, 
setzt sich ohne Zweifel auch dort die elektromotorische Wir- 


404 Gesammltsilzung 


kung aus zweien zusammen, die an den beiden durchströmten 
Grenzen ungleichartiger Elektrolyte ihren Sitz haben. 

Um dies durch den Versuch zu erhärten, dient eine An- 
ordnung, welche an Peltier’s thermodlektrisches Kreuz er- 
innert. In dem Schema oben $. 396 denke man sich die Zu- 
leitungsbäusche in © und M', also über’s Kreuz, durch einen 
baikenförmigen Kochsalzbausch, hingegen die in & und M durch 
einen eben solchen Schwefelsäurebausch verbunden. An der 
Kreuzungsstelle läfst man die beiden ungleichartigen Bäusche 
einander berühren. Dabei läuft die Gleichartigkeit des Multi- 
plicatorkreises keine Gefahr, da in demselben verdünnte Schwe- 
felsäure beiderseits gesättigte Kochsalzlösung berührt. Löst 
man aber das Uhrwerk aus und läfst die Wippe auch nur 
wenige Secunden lang die Säule durch die Berührungsstelle 
der beiden ungleichartigen Bäusche schliefsen, so erhält man 
eine kräftige negative Wirkung, gleichviel ob der Strom vom 
Salz zur Säure, oder umgekehrt flols. Ich habe den Versuch 
auch mit Brunnenwasser anstatt mit der Säure angestellt, 
was in diesem Falle aus gewissen Gründen, die später ein- 
leuchten werden, erlaubt war. Gleichviel ob der Strom vom 
Wasser zur Salzlösung, oder umgekehrt flols, es erfolgte 
ein schwacher positiver Ausschlag. Nach diesen beiden aller- 
dings nur unvollkommnen Erfahrungen zu urtheilen, würde die 
secundär - elektromotorische Kraft an der Grenze zweier un- 
gleichartigen Elektrolyte, gleich der an der Grenze von Me- 
tallen und Elektrolyten, nicht nur ihrem Zeichen, sondern auch 
ihrer Gröfse nach unabhängig sein von der Richtung des ur- 
sprünglichen Stromes. 

Hier war der Sitz der secundär-elektromotorischen Kraft 
auf eine einzige Grenze zweier ungleichartigen Elektrolyte be- 
schränkt. Umgekehrt vermag man aus ungleichartigen Elek- 
trolyten eine Ladungssäule gleich der Ritter’schen, nur frei- 
lich viel schwächer wirksam, aufzubauen. 

Dies gelingt gut genug, um die Richtigkeit des Prineips 
zu beweisen, mit Hülfe runder Pappscheiben, wie man sie, 
mit Flüssigkeit getränkt, als Zwischenleiter bei den Volta- 
schen Säulen alter Bauart anzuwenden pflegte. Man weicht 
eine Anzahl derselben in Kochsalzlösung, eine gleiche Anzahl 


vom 17. Juli 1856. 405 


in verdünnter Schwefelsäure auf, und baut auf jedem der Hülfs- 
bäusche eine Hälfte der Säule auf, indem man mit Salz be- 
ginnt, Säure folgen lälst, dann Salz, dann Säure, u. s. f. bis 
man mit Säure schlielst, und zuletzt beide Säulenhälften durch 
einen Salzbausch verbindet. Es hat keine Schwierigkeit, bei 
Gegenwart eines hinreichenden aulserwesentlichen Widerstandes, 
das Wachsen der secundär-elektromotorischen Kraft mit wach- 
sender Anzahl der Wechsel zwischen Salz und Säure nach- 
zuweisen. 

Eine Säule aus abwechselnd mit Kochsalz- und Kalıhydrat- 
lösung getränkten Pappscheiben aufgebaut, gewährt das merk- 
würdige Schauspiel einer Ladungssäule, deren Strom dem ur- 
sprünglichen gleichgerichtet ist. 

Es bleibt mir übrig, einen Begriff von der absoluten 
Stärke der hier stattfindenden Wirkungen mitzutheilen. Fol- 
gendes ist Alles, was ich in dieser Beziehung vermag. Ein 
auf den Hülfsbäuschen befindlicher, mit der verdünnten Schwe- 
felsäure von 1,13 Dichte getränkter balkenförmiger Bausch 
wurde eine Minute lang dem Strom der dreilsiggliederigen 
Grove’schen Säule ausgesetzt, und dann durch den Multi- 
plicator von 4650 Windungen entladen, dessen halbe Länge aber 
nur benutzt und dessen Empfindlichkeit aufserdem durch Vor- 
legen einer Nebenschlielsung sehr vermindert wurde. Es er- 
folgten 6° Ausschlag. Nachdem diese Wirkung unmerklich ge- 
worden war, wurde in den Multiplicatorkreis eine kleine Säure- 
Alkalikette mit Platinelektroden aufgenommen. Obschon sie 
den Widerstand des Kreises um ihren eignen vermehrte, trieb 
sie doch die Nadel im ersten Ausschlag bis auf 40°. Ihre 
elektromotorische Kraft ist also sehr viel gröfser, obschon bei 
der grolsen Schwingungsdauer der Nadel allerdings in An- 
schlag kommt, dafs die Kraft der Säure- Alkaliketie annähernd 
beständig bleibt, während die der Polarisation im schnellen 
Sinken begriffen ist. 

Vollends erscheint die secundär-elektromotorische Kraft an 
der Grenze der Elektrolyte klein im Vergleich zu der des ur- 
sprünglichen Stromes. Es würden Vorrichtungen von, wie ich 
glaube, bisher unerreichter Vollkommenheit dazu gehören, um 
diese neue Art der Polarisation bereits während der Dauer des 


406 Gesammtsüzung 


ursprünglichen Stromes, durch Veränderung seiner Stärke be- 
merklich zu machen, wie dies mit der Polarisation an der Grenze 
von Metallen und Elektrolyten der Fall ist, und es ist deshalb 
leicht erklärlich, dals dieselbe in den messenden Versuchen an 
Kelten mit mehreren flüssigen Leitern nicht in die Augen ge- 
fallen ist. 

Was die Ursache der neuen secundär - elektromotorischen 
Erscheinung betrifft, so könnte man vielleicht daran denken, 
ob nicht für die Elektrolyte etwas Ähnliches stattfinde, wie 
für die Metalle nach Peltier. Aber abgesehen davon, dals 
thermoelektrische Ströme bei Elektrolyten noch nicht nachge- 
wiesen sind — in den Versuchen von Nobili und mir') han- 
delt es sich um poröse Halbleiter, die mit Elektrolyten ge- 
tränkt sind — habe ich mich auch mittelst eines Thermometers, 
an dem ich 4° C. ablesen konnte, ganz unmittelbar überzeugt, 
dafs die Temperatur an der von dem Strom der dreilsiggliede- 
rigen Grove’schen Säule durchflossenen Grenze von Koch- 
salzlösung und verdünnter Schwefelsäure, von der Richtung des 
Stromes unabhängig ist. 

Es liegt denn auch wohl unstreitig näher, die neue Art 
der Polarisation in Beziehung zu seizen zur elektrolytischen 
Wirkung des Stromes, auf der ja auch die Polarisation der 
metallischen Elektroden beruht. Indem der Strom die Grenze 
zweier ungleichartigen Elektrolyte überschreitet, muls er die 
elektropositiven Bestandtheile der Flüssigkeit, die er verlälst, 
und die elektronegativen derjenigen, in die er eintritt, frei- 
machen, und die freigewordnen zur Verbindung antreiben, 
wenn dieselbe möglich ist. So kann zwischen den beiden 
Flüssigkeiten eine Schicht einer dritten entstehen, und die 
Möglichkeit einer mit Stärke und Dauer des ursprünglichen 
Stromes bis zu einer gewissen Grenze wachsenden secundär 
elektromotorischen Wirkung, liegt am Tage. 

Dafs wirklich etwas der Art statifinde, lehrt folgender Ver- 
such. Zwischen zwei Salzbäusche schaltete ich einen mit veil- 
chenblauem Lackmuspapier bekleideten Wasserbausch. Nach- 
dem der Strom der dreilsiggliederigen Grove’schen Säule 


‘) S. diese Berichte, 1852. S. 117. 


vom 17. Juli 1856. 407 


einige Zeit hindurchgegangen, fand ich das Lackmuspapier da, 
wo der Strom in dasselbe eingetreten war, entschieden gebläut, 
da, wo er dasselbe verlassen hatte, schwächer geröthet; Hum- 
phry Davy’s Behauptung zuwider, wonach Färbung von 
Reagenzpapieren durch Jonen nicht anders als an den Pol- 
drähten stattfinden sollte. 

In der That trifft an der ersten Stelle das mit dem posi- 
tiven Strom wandernde Natrium den gegen denselben wan- 
dernden Sauerstoff, der von der Zersetzung des Wassers her- 
rührt, und kann damit Natron bilden; während das elektronega- 
tive Chlor an der anderen Grenze mit dem Wasserstoff Chlor- 
wasserstoffsäure bilde. Das Natron und die Chlorwasserstoff- 
säure aber finden keine elektronegativen und -positiven Stoffe, 
mit denen sie sich verbinden könnten, und treten deshalb aus 
dem elektrochemischen Spiel der Molekeln aus, indem sie ihre 
Ladung beziehlich dem Wasserstoff und Sauerstoff übergeben. 

Es ist hienach wohl sehr wahrscheinlich, dals die ge- 
gebene Erklärung der Polarisation an der Grenze ungleich- 
artiger Elektrolyte im Allgemeinen die richtige sei. Meine 
Bemühungen aber, in der Ausführung dieser Theorie noch 
einen Schritt weiter zu thun, sind erfolglos geblieben. Ich 
wünschte nämlich eine Anordnung herzustellen, die in Be- 
zug auf diese neue Art der Polarisation dasselbe leistete, wie 
die Grove’sche Gaskette in Bezug auf die Ritter’sche 
Ladung. Als ich aber auf sehr mannigfaltige Art Ketten mit 
mehreren flüssigen Leitern nach dem Schema anordnete: Chlor- 
natrium, Chlorwasserstoffsäure, Wasser, Natron, Chlornatrium, 
erbielt ich stets einen Strom in der Richtung von der Säure 
durch das Wasser zur Basis, oder, wie man leicht sieht, nega- 
tiver Polarisation entsprechend, wenn man sich Säure und Ba- 
sis durch den Strom ausgeschieden denkt, während Wasser 
zwischen Chlornatriumlösung, wie wir eben fanden, vielmehr 
positive Polarisation giebt. 

Befremdend ist denn auch, vom Standpunkt der obigen 
Theorie aus, der Mangel an Übereinstimmung zwischen der 
elektrochemischen Beschaffenheit der Flüssigkeiten und der 
Richtung, in der sie, zwischen Kochsalz durchströmt, secundär- 
elektromotorisch wirken. Unter den Flüssigkeiten, die nega- 


408 Gesammtsitzung 


tive Polarisation gaben, befinden sich saure, neutrale und alka- 
lische; unter den positiv wirksamen, gleichfalls neutrale und 
alkalische. 

Unstreitig ist es jetzt noch nicht an der Zeit, eine in’s 
Einzelne gehende Deutung dieser verwickelten Erscheinungen 
zu geben, wo dieselben erst in so geringer Ausdehnung stu- 
dirt sind und die Lehre von der Elektroiyse überhaupt erst 
im Entstehen begriffen ist. Wenn ich aber diese Unter- 
suchung schon jetzt veröffentliche, so geschieht es, weil ich 
vor der Hand keine ‚Veranlassung habe, dieselbe weiter fortzu- 
setzen. Was ich selber dabei beabsichtigte, war nur, mich zum 
Zweck gewisser thierisch-elektrischen Versuche über die ver- 
schiedenen secundär-elektromotorischen Wirkungen zu unter- 
richten, die beim Durchströmen einer irgendwie beschaffnen 
Reihenfolge von feuchten Leitern stattfinden. Dies mag es 
entschuldigen, dals sich z. B. unter den obigen Zusammen- 
stellungen ungleichartiger Elektrolyte keine einzige findet, von 
der nicht Kochsalzlösung das eine Glied ausmachte !). 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 

: vorgelegt: 

Memoirs of the Royal Astronomical Society. Vol. II, 2. II,1. XXIV. 
London 1826. 1827. 1856. 4. 

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society. Vol. 1 —6. Lon- 
don 1831 — 1845. 8. Vol. XV. ib. 1855. 8. 

Astronomical and meteorological Observations, made at the Radcliffe Ob- 
servatory. Vol. XV. Oxford 1856. 8. 

A. de Longperier, Memoires sur la chronologie et l’iconographie des 
rois parthes Arsacides. Partiel. Paris 1853. 4. 

Notice des antiquites assyriennes .. du Musce du Louvre. 

Ed. II. Paris 1854. 8. 


!) Ich ergreife diese Gelegenheit auf einen sinnentstellenden Druck- 
fehler in meiner letzten Abhandlung in diesen Berichten, Jahrgang 1854, 
aufmerksam zu machen. S. 294 Z. 5 von unten sind nach dem Worte 
„angiebt” die Worte ausgefallen: „ein Ausschlag im Sinne der Ladungen 
des ersten Stromes, sondern abermals .. .”. 


vom 24. Juli 1856. 409 


Zambelli, Sul’ influenza politica dell’ Islamismo. Memoria XI. XII. 
(Milano 1856.) A4. 

Quellen und Erörterungen zur bayrischen und deutschen Geschichte. 
Band 1. München 1856, 8. 

Commercium epistolicum J. Collins et aliorum de analysi promota, ed. 
J.B. Biot etF. Lefort. Paris 1856. 4. Mit Begleitschreiben 
des Kaiserlichen Ministeriums des öffentlichen Unterrichts, d. d. 
Paris 26. Mai 1856. 

Delaire, Hydraulique et Hydrodynamique. Paris 1856. 8. Mit Be- 
gleitschreiben des Hrn. Verfassers an das Königl. Ministerium der 
geistlichen etc. Angelegenheiten, d. d. Paris 22. Juni 1856. 

Annales de chimie et de physique. 'Tome XLVII, Livr. 2. Paris 1856. 8. 

Journal of the Asiatie Society of Bengal. Vol. XXIV. Calcutta 1856. 8. 

A.L. Crelle, Journal für die reine und angewandte Mathematik. Bd. 52, 
Heft 3. Berlin 1856. 4. 

Verhandlungen des zoologisch- botanischen Vereins in Wien. Band 5. 
Wien 1855. 8. 

Bericht über die österreichische Literatur der Zoologie, Botanik und Pa- 
läontologie, aus den Jahren 1850— 1853. Wien 1855. 8. 

Rudolf Wolf, Mittheilungen über die Sonnenflecken. Zürich 1856. 8. 


Die Hrn. Boussingault und Mosander senden Dank- 
schreiben für ihre Ernennung zu correspondirenden Mitgliedern 
der Akademie. 

Die Akademie bewilligt auf den Wunsch des Directors 
der Kaiserlichen öffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg die 
Completirung von 6 daselbst fehlenden Jahrgängen ihrer Ab- 
handlungen. 


24. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. , 


Herr Peters las eine Abhandlung: „Ueber die syste- 
matische Stellung der Gattung Mormops Leach und 
über die Classification der Phyllostomata so wie über 
eine neue Art der Gattung Fampyrus“, von welcher hier 
- ein kurzer Bericht gegeben wird. 


410 Gesammtsitzung 


I. Ueber die Gattung Mormops. 

Die Gattung Mormops wurde zuerst von Leach (Trans- | 
actions of the Linnean society of London. XI. ı. p- 76. Taf. VII) 
vor 35 Jahren nach einem angeblich aus Jamaica stammenden 
Exemplar aufgestellt und beschrieben. Er gab an, dals sie ein 
aufrechtes, mit den Ohren verwachsenes, Nasenblatt besitze, dafs 
kein Fingerglied des Zeigefingers vorhanden, dafs der Mittelfinger 
aus 4 knöchernen Phalangen zusammengesetzt, die Ohren grols 
und verwachsen seien, der Schwanz kürzer als die Schenkelflug- 
haut sei und mit seinem Ende frei oberhalb derselben hervorrage. 
Die beigefügte Abbildung erläuterte den complicirten Bau der | 
Ohren, der Lippen und des Nasenbesatzes, des Gebisses und des 
Schädels. 

Neunzehn Jahre nach Leach ist dieselbe Gattung zum zwei- 
ten Male von Gray (Annals of natural history. IV, p. 3) nach 
einem in Weingeist aufbewahrten Exemplare aus Cuba untersucht 
worden. Seine Beschreibung weicht sehr von der Leach’schen 
ab. Er behauptet, dals sie kein Nasenblatt besitze, dafs sie daher 
nicht mit den Phyllostomen, sondern mit den Noctilionen zu ver- 
einigen sei, dals sie den Taphozous weit näher stehe, am näch- 
sten aber mit Chilonyczeris verwandt sei. Als Unterschied zwischen 
seinem Exemplar und der Leach’schen Zeichnung gibt er an, 
dals die beiden Anhänge vor der Scheibe in der Mitte des Kinnes 
bei dieser letzteren grölser und dafs die hintere Falte der hin- 
teren Membran vor dem Kinn einfach anstatt getheilt dargestellt 
seien. Er hat ferner eine Beschreibung des Thieres gegeben, ohne 
jedoch auf die Proportionen und die Färbung einzugehen. Seine 
Beschreibung der Lippen, des vor den unteren Schneidezähnen 
liegenden Wulstes, die Deutung sowohl des an den vorderen als 
des an den hinteren Ohrrand stofsenden Hautlappen, und die An- 
gabe, dals das letzte Glied des Schwanzes verlängert sei, weichen 
von der bildlichen Darstellung, welche Leach gegeben, ganz ab. 

« Es war daher eine neue Untersuchung dieser seltenen Gat- 
tung wünschenswerth. Drei dem hiesigen Museum gehörige in 
Weingeist aufbewahrte Exemplare aus Cuba lieferten hierzu ein 
hinreichendes Material. Sie zeigen in allen Theilen mehr Ueber- 
einstimmung mit der Leach’schen als mit der Gray’schen 
Darstellung. 


vom 24. Juli 1856. 411 


Auch das, was Gray an der Leach’schen Abbildung als 
Fehler des Zeichners tadelt oder als abweichend von seinem Ex- 
emplar angibt, nämlich das, was er Anhänge der Kinnplatte nennt 
und welche nichts weiter sind als die dunkel schattirten Stellen, 
neben denen sich die doppelte Kinnfalte mit der Kinnscheibe ver- 
bindet, so wie die Einfachheit der hinteren mittleren Kinnfalte 
finde ich unseren Exemplaren zufolge vollkommen naturgetreu, 
so dals nichts weiter übrig bleibt, als entweder anzunehmen, dafs 
Gray eine der Leach’schen verwandte neue Art unter Händen 
gehabt habe oder dals seine Darstellung die weniger richtige sei. 
Die zwischen den unteren Schneidezähnen und der warzigen Platte 
befindliche Wulst erscheint nicht dreieckig, wie Gray von seinem 
Exemplar angibt, sondern als eine einfache gekrümmte schmale 
Linie, wie es die Leach’sche Abbildung zeigt. Auch in Bezug 
auf das letzte kurze und nicht verlängerte (Gray) Schwanzglied 
stimmen unsere Exemplare mit Leach’s Abbildung überein. Was 
ferner die von Leach als „Ahinophyllus“ betrachtete Hautfalte 
anbetrifft, so scheint mir diese Deutung durchaus nicht zweifel- 
haft, wenn man die Bildung, welche man bei Nyczeris beobachtet, 
damit vergleicht, um so mehr, da die Vereinigung der inneren 
oder vorderen Ohrränder erst hinter dieser Hautfalte in derselben 
Weise wie bei Nyczeris wirklich stattfindet, wie es auch die 
Leach’sche Abbildung, wenn auch etwas undeutlich, angibt. Es 
gehört offenbar diese Falte ebenso wenig zum vorderen Ohrrand, 
wie der Theil der Lippen, welcher den Mundwinkel bildet, als 
„abgerundeter vorderer Lappen des unteren Ohrrandes“ (Gray) 
betrachtet werden kann. 

Obgleich Leach keine specielle Beschreibung der von ihm 
M. Blainvillii benannten Art gegeben hat, auch die Proportionen 
des Körpers und der Gliedmalsen sich nicht wohl aus der von 
ihm gegebenen Skizze des ganzen 'Thiers entnehmen lassen, ist 
doch die Uebereinstimmung mit der von ihm untersuchten’ Art 
so grols, dafs ich keinen hinreichenden Grund finde, dieselbe als 
eine von ihr verschiedene Art zu betrachten. 

Mormops hat gar nicht das plumpe Ansehen, welches man 
nach den von Leach gegebenen Detailansichten hätte vermuthen 
sollen, sondern gehört sowohl, was seine allgemeine Körpergestalt 
so wie seine Gliedmalsen anbetrifft, zu den schlankeren Formen. 


412 Gesammisitzung 


Der Kopf läuft in gleicher Flucht mit dem Körper, wie bei den 
Noctilio, Taphozous und Emballonura, denen er auch durch die 
Proportionen des aus der Rückseite der Schenkelflughaut hervor- 
ragenden Schwanzes sich nähert. Jedoch warnt die Zusammen- 
setzung des Mittelfingers nach Art der Phyllostomata schon vor 
einer Zusammenstellung mit diesen Gattungen. 

Die Form des Kopfes, der Bau der Ohren und der Lippen 
läfst sich sehr wohl in der Leach’schen Abbildung wieder 
erkennen. Die Ohren sind verhältnilsmäfsig nicht sehr grofs, da 
ihre gröfste Länge nicht * der Kopflänge übertrifft. Der vor- 
dere Rand beider Ohren wird durch eine über das Gesicht. hin- 
gebende Querleiste vereinigt, während ihre vordere Fläche mit 
der hinteren Fläche des Nasenbesatzes verwachsen ist, wie man 
deutlich erkennen kann. | 

Zwar findet sich bei Mormops keine vertiefte Gesichtsgrube 
und die kleinen Vorsprünge um die Nasenlöcher herum lassen sich 
nur schwer oder künstlich auf die vorderen Abtheilungen des | 
Nasenapparates von Nycteris oder anderer Gattungen zurückführen, 
aber die mit den Ohren verwachsenen Lappen sind deutlich als den 
hinteren die Gesichtsgrube bei Nyczeris begrenzenden Falten ho- 
mologe Gebilde wieder zu erkennen. Sie hängen sogar auch schond 
bei Nyczeris, wenn auch nicht so fest, mit den Ohren zusammen, 
so dafs mir kein Zweifel an der Richtigkeit der Leach’schen 
Deutung übrig zu bleiben scheint. 

Die Schleimhaut des Gaumens bildet acht wulstige Quer- 
falten, von denen die hinteren fünf in der Mitte getheilt sind. 
Der Körper ist fein und dicht behaart und die Behaarung der 
Bauchseite ist kaum kürzer als die der Rückenseite. Die vorderen 
Gliedmalsen sind sehr gestreckt. Der Oberarm ist um die Hälfte 
länger als der Kopf und der Vorderarm, welcher angelegt genau 
bis zum Ende der vorragenden Unterlippe reicht, ist 25 Mal so 
lang wie der Kopf. Der Daumen ist kurz, sein erstes Fingerglied 
an der Basis von der Flughaut umfalst. Das Mittelhandglied des 
Zeigefingers ist ein wenig länger als das des dritten Fingers und 
trägt an seinem Ende ein sehr kurzes (von Leach übersehenes). 
14 Mm. langes Fingerglied, von dessen Ende eine am Rande] 
der Flughaut verlaufende Sehne bis zum ersten Fingergelenke de: 
dritten Fingers hingeht. Das erste Fingerglied des Mittelfinger: 


vom 24. Juli 1856. 413 


ist um mehr als die Hälfte kürzer als das zweite, welches letztere 
um — länger ist als die letzte knöcherne Phalanx. Das Mittel- 
handglied des vierten Fingers ist etwa 4 Mm. kürzer als das des 
dritten Fingers, dagegen ist jedes seiner beiden gleich langen 
Fingerglieder um 4 länger als das erste Glied des dritten Fingers. 
Das Mittelhandglied des fünften Fingers ist um so viel kürzer als 
das Mittelhandglied des vierten Fingers, wie die Länge des ersten 
Fingergliedes vom Mittelfinger beträgt. Der Unterschenkel ist von 
der Länge des Kopfes, aber merklich kürzer als der Oberschenkel, 
(wie 11:43). Die Fülse sind zart, nicht halb so lang wie der 
Unterschenkel; die Zehen sind ziemlich gleich lang, am Grunde 
durch eine schmale Haut verbunden; ihr Bau zeigt nichts Unge- 
wöhnliches. 

Die Spornen, welche den Rand der Flughaut einnehmen, sind 
nur „5 kürzer als der Kopf. Der Schwanz hat dieselbe Länge wie 
der Oberschenkel und erreicht nur die Mitte der ausgestreckten 
Schenkelflughaut; bei der ruhenden Lage des Thieres ragen die 
letzten Glieder des Schwanzes frei aus der Rückenfläche der Haut 
hervor. Die Flughäute sind zwar sehr breit, lassen jedoch das 
untere Ende des Schienbeins frei. 

Die Rückseite des Thieres ist schön umberbraun, und erscheinen 
die Haarspitzen derselben dunkler, während die Bauchseite, deren 
Haarspitzen heller sind, braun mit grauem Anfluge erscheint. 

Die auffallende Gestalt des Schädels ist aus der Leach’- 
schen Abbildung sehr wohl zu erkennen. Er stimmt am meisten 
mit dem von Chilonycteris überein, nur ist er viel kürzer und 
der Schädeltheil viel mehr winklich gegen den Gesichtstheil ab- 
gesetzt, so dals das Foramen magnum nicht allein ganz nach hinten, 
sondern selbst noch ein wenig nach oben gerichtet ist. Den Zahn- 
bau hat Leach im Ganzen richtig geschildert, wenn er auch 
nichts von der wförmigen Bildung der Backzahnkrone und der 
Concavität der vorderen Fläche der oberen Schneidezähne erwähnt. 
Das übrige Skelet stimmt durch die Form der einzelnen Wirbel- 
abtheilungen, durch die Breite der Rippen, durch den Längskamm 
auf dem Brustbeinkörper, durch die Gestalt des hakigen Fort- 
satzes des Manubrium sterni, durch die Gestalt des Beckens, des 
Schulterblattes und des Oberarmbeins von den bekannteren Gat- 
tungen am meisten mit Glossophaga (amplexicaudata), durch die 


414 Gesammtsitzung 


breiten Schlüsselbeine am meisten mit Yampyrus überein, weicht 
aber durch die geringere Breite des Manubrium sterni und die 
gröfsere Breite der Darmbeine merklich von ihnen ab. Die Ulna 
ist sehr rudimentär und geht nicht über das erste Drittheil der 
Speiche hinaus. Das Wadenbein ist nur durch einen haarfeinen 
Knochen repräsentirt, aber selbst dieser geht nicht einmal bis zum 
Knie hinauf, sondern ist in seinem obersten Drittheil durch einen 
sehnigen Faden vertreten. Die Zunge ist wie bei den Pryllo- 
stoma und Fampyrus lang, an der Spitze abgerundet, mit platten, 
nach hinten gerichteten Schüppchen bedeckt, zwischen denen sich 
zerstreute linsenförmige Papillen auszeichnen. Die Eingeweide so 
wie die Begattungsorgane zeigen ebenfalls am meisten Ueberein- 
stimmung mit den Phyllostomata. 
Malse in Millimetern. 
Länge des Thieres von dem Ende des Kopfes bis zur 
Schwanzbasis 1. stil wir u Alan Dan Ihe 
Länge des Kopfes, 2 el an u nel lin 22 


«c «c Schwanzes « . . . ° . . . . . . 26 
« « sOberarmscd Han bla ah 
« « Vorderarms . . 53 


« « Daumens (Mittelh. 3. 1. Gl. 2. 2. Gl. 2). ie; 

Länge des 2ten Fingers (Mittelh. 485. 1. Gl.1z.) . . 50 
«  « Sten Fingers ( « 484 1.« 9 2.G1.225) 

3: @L447,2 461.2) ee zZ 

« « Aten Fingers (Mittelh. 45. 1.G1.12. 2.G1.12.) 69 

« « Öten Fingers ( « 35.1. «17. 2.« 115) 65 

« « Oberschenkels ee ee ie A 26 

« « Üpterschenkels; . 181 nes. rt Eh 
« « Kulsesaene il a een 

« der Spormen . . er 

« der Gebenkelfiüpbuit Baar re x 80 
Fassen wir nun die aus dem Khmtcheuiän gewonnenen Re- 
sultate zusammen, so ergibt sich, dafs die Gattung Mormops nicht 
allein durch ein deutliches Nasenblatt, sondern auch durch die 
Beschaffenheit ihrer vorderen Gliedmafsen, durch den Bau ihres 
Skelets und der Eingeweide sich von den Chiroptera gymnorhina, 
namentlich Taphozous, Emballonura und Noctilio entfernt, sich da- 
gegen in der Unvollkommenheit ihres Nasenblattes an Brachy- 


vom 24. Juli 1856. 415 


phyllum, in dem Bau der Zähne unter den Phyllostomen am näch- 
sten an Fampyrus anschlielst, dals sie jedoch mit der Gattung 
Chilonycteris am meisten verwandt ist und mit dieser am passend- 
sten eine an Brachyphyllum sich anschlielsende Gruppe bilden 
kann, welche dann unter den eigentlichen Pryllostomen dem Yam- 
pyrus am nächsten stehen würde. Das Herüberziehen der Gat- 
tung Chilonycteris in die Abtheilung der histiophoren Handflügler 
kann um so weniger Bedenken haben, als auch diese Gattung 
eine dicke wulstige Querfalte auf dem Nasenrücken hat, welche 
man wenigstens eben sowohl als ein Nasenblatt betrachten kann, 
wie die wulstigen Falten von Desmodus. Ihrem Wesen nach ist 
sie ja dasselbe, da auch die dünnhäutigen Nasenblätter anderer 
Gattungen aus einer Duplicatur der Haut zusammengewachsen sind. 


I. Ueber die Phyllostomata und eine neue Art der 
Gattung Fampyrus. 


Es wurde für die Classification der Pryllostomata die Form 
des Gebisses als das wichtigste Merkmal hervorgehoben und na- 
mentlich an den zu der Gattung Yampyrus (Geoffroy, Leach) 
gehörigen Arten gezeigt, wie durch die Eintheilung der Arten 
nach blols äufseren Merkmalen eine unnatürliche Trennung der 
am meisten verwandten Formen herbeigeführt werde. 

Dann wurde die Beschreibung einer mit (Yampyrus) Phyt- 
lostoma sylvicola und Ph. spectrum verwandten Art aus Mexico 
mitgetheilt. 


Yampyrus auritus n. sp.; maximus, cauda brevissima, pro- 


sthemate auriculisque longissimis; dentibus molaribus a 


molari spurio inferiore secundo altiore quam primo; supra fusco- 
brunneus, subtus cinereus. 

Long. corporis 0,12; caudae 0,009; antibrachii 0,08; auri- 
eulae 0,042; prosthematis 0,018; expans. al. 0,55. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 
Pictet, Materiaur pour la palcontologie suisse. Livr. 4. Geneyve 
1856. 4. 
[1856.] 31 


446 Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 28. Juli 1856. 


Rapport sur les travaux de la societe imperiale des naturalistes de Moscou. 
Moscou 1855. 4. 

Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft zu Zürich. Band VIUL, 
no.4.5. XI,no.1. Zürich 1856. 4. k 

Athenaeum frangais, no. 29. 30. Paris 1856. 4. 

Journal of the Royal Asiatie Society. Vol. XVI, 2. London 1856. 8. 

Journal of the Royal Geographical Society. Vol. XXV. London 1855. 8. 

Proceedings of the Royal Geographical Society, no. 1. 2. 3. London 

1856. 8. 

The 23. Annual Report of the Royal Cornwall Polytechnie Society. Fal- 
mouth 1855. 8. 

Verhandlungen der physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Wäürzburgg 
7. Band, Heft 1. Würzburg 1856. 8. 

Faraday, Experimental Researches in Electricity. (London 1855.) 4 

Faraday and Riess, On the action of non-conduceting bodies in electric 
induetion. (London 1855.) 8. 

Sallenave, Traite sur lepuisement pur et simple de !economie humaine. 
Paris 1855. 8. 

Charles Wilkes, Theory of the Winds. Philadelphia 1856. 8. 
Nebst Rescript des vorgeordneten Ministeriums vom 21. Juli 1856, 

Quarterly Journal of the geological Society. Vol. XII, Part 2. London 
1856. 8. | 

Comptes rendus des seances de FAcademie des sciences. Tome 42, 
no. 22— 26. Paris 1856. 4. 

Mittheilungen der numismatischen Gesellschaft in Berlin. Heft 1. 2. Ber- 
lin 1846— 1850. 8. Mit Schreiben des Schriftführers der Gesell- 
schaft, Hrn. Schlickeysen, vom 23. Juli 1856. 


Von Hrn. Sektionsrath Wilhelm Haidinger in Wien 
empfing die Akademie ein zum 100jährigen Geburtstage seines 
Vaters, des ehemaligen Bergrathes Karl Haidinger, aus- 
geführtes Portrait desselben. 


28. Juli. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Pinder las: „Geschichte des griechische 
Bücherdruckes und Vorschlag einer Verbesserung 
desselben.” 


Gesammtsitzung vom 31. Juli 1856. 417 


31. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Petermann las „über die Glaubenslehre der 
Mandäer.” 


Hr. Dirksen gab hierauf einen mündlichen Auszug; aus: 
‚einem Beitrage zur Auslegung der epigraphischen Urkunde 
iner Städte- Ordnung, für die latinische Bürgergemeinde zu 
Salpensa.” 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 

Iden vorgelegt: 

Jahrbuch der Kais. Königl. Central-Commission zur Erforschüng und Er- 
haltung der Baudenkmale. Wien 1856. 4. Mit Begleitschreiben 
des Commissions-Vorstandes d. d. Wien 4. Juli 1856. 

Nova Acta Academiae Naturae Curiosorum. Vol. XXV, Pars II, Vratisl. 
1856. 4. 

Athenacum frangais, no. 30. 31. Paris 1856. 4. 

L’Institut. 1. Section. no. 1176. Paris 1856. 4. 

Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. 
Philos.:historische Klasse, Band 17, 3.— 20, 1. Mathemi-naturw. 
Klasse, Band 18— 20, 1. Wien 1855 — 1856. 8. 

Denkschriften der Kaiserlichen Akademie der W issenschaften. Mathem.- 
naturw. Klasse, Band 10. 11. Wien 1856. 4. 

‚Notizenblatt, no.”1— 14. Wien 1856. 4. 

Almanach der Akademie. Wien 1856. 8. 

Kreil, Jahrbücher der Meteorologie. Band 4. Wien 1856. A4. 

Zeising, Das Normalverhältni/s der chemischen und morphologischen 
Proportionen. Leipzig 1856. 8. Mit Schreiben des Hrn. Verf. 
vom 7. Juli 1856. 

Th. v. Heuglin, Übersicht der Vögel Nord- Ost- Afrika's. (Wien 
1856.) 8. 

Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien. Neunte Versendung 
oder Lieferung 63— 75. Berlin 1856. folio max. 


31° 


418 . Nachtrag zur Gesammtsitzung 


Von Seiten des Rectorats der Universität war die Ein- 
ladung zur Erinnerungsfeier an König Friedr. Wilh. IM. 
den Stifter der Universität für den 3. August der Akademie 
übersandt worden. 


Nachtrag zur Gesammtsitzung der Akademie- 
vom 19. Juni. 


Hr. Lepsius las „über die XXII. Königs-Dynastie 
der Ägypter” und knüpfte daran Bemerkungen über die 
XXI. XXIII. und XXVI. Dynastie. 

Die von Hrn. Mariette entdeckten Apismonumente ge- 
währten nicht allein zwei bis dahin noch unbekannte Königs- 
namen der XXII. Dynastie, sondern auch neue Anhaltspunkte 
für eine richtigere Anordnung der übrigen Könige, als sie bis- 
her gegeben worden war. 

Die Reihenfolge der Könige der XXI., XXII. und XXIII. 
Dynastie wurde folgendermalsen aufgestellt: 

(Siehe Beilage.) 

Der unägyptische Charakter der königlichen Familiennamen 
in der XXII. Dynastie wurde nicht, wie dies von andern Ge- 
lehrten versucht worden war, auf eine enge Familienverbindung 
mit einem Assyrischen Herrscherhause, von welchem diese Na- 
men angenommen seien, zurückgeführt, sondern daraus erklärt, 
dafs die Bubastidische Familie, aus welcher Sesonk T., das Haupt 
der Dynastie, hervorging, Semitischen Stammes und von Asien 
her in Unterägypten angesiedelt war. Darauf wiesen aulser andern 
Gründen besonders die unterden Vorfahren desKönigs Sesonk I. 
sich bereits vorfindenden Namen Sesonk und Namurot deut- 
lich hin. 

In gleicher Weise wurden die ebenfalls unägyptischen 
Familiennamen der Saitiscen XXVI. Dynastie durch ihre 


Herkunft von einer ursprünglich Libyschen Familie erklärt 
Dasselbe wurde von der XXIV. und XXVII. Dynastie. 
welche gleichfalls aus Sais stammten, vermuthet. Diese drei 
Saitischen Familien sind nach des Verfassers Ansicht in der 
Listen der Manethonischen Auszügler verstümmelt und bildeter 


vom 19. Juni 1856. 419 


. 


bei Manethös ursprünglich die fortlaufende chronologische Kö- 
nigsreihe, neben welcher die Äthiopische und die Persische 
XXV. und XXVII. Dynastie als Nebendynastieen herliefen. Dafs 
die ersten Könige der XXVI. Dynastie mit der Äthiopischen 
gleichzeitig zu setzen sind, wie von dem Verfasser schon frü- 
her aufgestellt worden (Monatsbericht d. Akad. 1844. Novemb. 
p- 24 und Chronol. der Ägypter Band I, p. 313), fand sich 
durch eine Apisstele bestätigt, auf welche vor Kurzem deRoug£& 
zuerst aufmerksam gemacht hat. 


LED DE 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preufls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 
im Monat August 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 


4. Aug. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. du Bois-Reymond las über die innere Pola- 
risation poröser, mitElektrolyten getränkter Halb- 
leiter. (Siehe die nächste Nummer des Monatsberichts.) 


Hr. Magnus theilte den folgenden an ihn gerichteten 
Brief des Hrn. Wurtz in Paris mit: 

Erlauben Sie mir, Ihre Gefälligkeit in Anspruch zu neh- 
men, um der Akademie der Wissenschaften in Berlin einige 
Resultate mitzutheilen, die ich kürzlich erhalten habe, und die 
Sie vielleicht persönlich interessiren werden. 

Es ist mir nämlich gelungen, einen Körper darzustellen, 
der die Mitte hält zwischen dem Alkohol und dem Glycerin, 
und den ich deshalb Glykol nenne. Er wird künstlich aus öl- 
bildenden Gas erzeugt, und zwar auf folgende Weise. 

Äthylen- (Elayl-) Jodür (C* H* J?) wird mit 2 Äquivalenten 
essigsaurem Silberoxyd trocken vermischt. Sogleich entsteht 
eine heftige Reaction, die neben anderen Zersetzungsprodukten 
einen neutralen flüssigen Körper giebt, das zweifach essig- 

[1856] 32 


422 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


saure Glykol. Es entsteht durch doppelte Wahlverwandtschaft 
nach folgender Weise: 


Gare ER }o’= 2185..6 109):f0% 


Es wird durch | gewonnen; denn es ist ohne, 


E 


Zersetzung flüchtig. Im reinen Zustande stellt es eine wasser- 
helle, ganz neutrale, geruchlose Flüssigkeit dar. 

Es siedet bei 185°; seine Dämpfe haben einen schwachen 
Essiggeruch. Es ist schwerer als Wasser, in welchem es in 
grolsen Tropfen niedersinkt. Kali zersetzt dasselbe durch eine 
wahre Verseifung in essigsaures Kali und Glykol. Viel Was- 
ser, Alkohol und Äther lösen es auf. 

Seine Zusammensetzung wird durch folgende Formeln aus- 
gedrückt 


C* H* G: H’ Oo? 
G:18°.0°7:210% Soden ı 2.025 ‚he‘ Hso: 
C: 3 0: C°H?O 
je nachdem man für das essigsaure Äthyl die Formeln 
4 5 
er n 2 } 0 oder WO, CHO 
annimmt. 

Um das Glykol aus dem essigsauren Glykol darzustellen, } 
wird letztere Verbindung mehrere Stunden im Ölbade mit 
2 Äquivalenten frischgeschmolzenem und gepulvertem Kalihydratf 
bei 180° erwärmt und dann bei 250° destillirt. Das Glykol 
geht dann in flüssigen Tropfen über. Es stellt eine wasser- 
helle Flüssigkeit dar, die bei 195° siedet und unzersetzt 
übergeht. 

Ihre dickflüssige ölige Consistenz erinnert an die des Gly-f 
cerins, ebenso ihr sülser Geschmack. Sie löst sich in allen 
Verhältnissen im Alkohol und im Wasser auf. 


U>H 
Zusammensetzung: H? to: =C’H°0O°. Glykol un-fi 


terscheidet sich also vom Alkohol nur durch 2 Äquivalente 
Sauerstoff. 

Alkohol nimmt, um Essigäther zu bilden, die Elemente 
von einem Atom Essigsäure unter Ausscheidung von 2 Äqui- 
valenten Wasser auf. 


vom 4. August 1856. 423 


Glykol nimmt, um Glycol-Diacetat zu bilden, die Ele- 
mente von zwei Atomen Essigsäure unter Ausscheidung von 
4 Äquivalenten Wasser auf. 

Glycerin nimmt, um Triacetin zu bilden, die Elemente 
von 3 Atomen Essigsäure unter Ausscheidung von 6 Äquiva- 
lenten Wasser auf. 

Alkohol ist einatomisch, 

Glykol ist zweiatomisch, 

Glycerin ist dreiatomisch. 

Setzen wir für diese drei essigsauren Verbindungen fol- 
gende Formeln: 


370 HRG 


2) C: Wo? 
)  ajperms or 
3) CM? 03 
C* H’ O?’ C° H’ [0% 
GC? HB’ 0? 


so stellt sich hier zum ersten Male in der organischen Chemie 
das in der anorganischen angenommene Grundgesetz heraus: 
„dafs die Anzahl der Äquivalente einer Säure, die eine Base 
sättigt, in einem einfachen Verhältnisse zum Sauerstoff der 
Base steht.” 
Alle Silbersalze werden durch Äthylenjodür zersetzt. Diese 
Methode wird eine grolse Anzahl neutraler Körper liefern, die 
lin der Mitte stehen zwischen Äthern und festen Körpern. 
| Propylenbromür C° H° Br? wirkt auf essigsaures Silber- 
loxyd und liefert das essigsaure Propylglykol. 
| +43 03 
laus welchem durch Kali das Propyl-Glykol selbst, G° H? O%, 
wird erhalten werden. 
Acetal ist ein gemischter Äther des Glykols. Seine ra- 

Itionelle Zusammensetzung kann durch die Formel 

BE A 

cc: H>)? 10) 
ausgedrückt werden. Ich habe gefunden, dals bei der Bereitung 
des Aldehyds nach Liebigs Methode Acetal sich in nicht un- 


|bedeutender Menge bildet. 
32° 


424 Gesammtsitzung vom 7. August 1856. 


Ferner habe ich die Verbindungen 


c# 
CH 10% una: GE ‚}o° 
cm (C* H?) 


dargestellt. Ich habe sie durch Destillation von Gemischen aus 
Alkohol, Holzgeist, Mangansuperoxyd, Schwefelsäure und Was- ) 
ser erhalten. ! 

Es sind ätherartige, wohlriechende Flüssigkeiten, die sich 
vom gewöhnlichen Äther dadurch unterscheiden, dafs sie durch 
Kali nicht zersetzt werden. ; 

Die weiteren Details werde ich Ihnen in nächster Bälde 


mittheilen. 


7. August. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Haupt las den ersten Theil einer Abhand- 
lung über die Erzählung von Apollonius von Tyrus.; 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wurden 
vorgelegt: 

Gerhard, Denkmäler, Forschungen und Berichte. 30. Lieferung. Ber- 
lin 1856. A4. 

Revue archeologique. 13m® annee. Livr. 4. Paris 1856. 8. 

L’Institut. A. Section, no. 1177. Paris 1856. 4. 

Annales des mines, 1855, Livr. 4. Paris 1855. 8. Mit Ministerial- 
Rescript vom 2. August 1856. 

C. Fr. Plattner, Die metallurgischen Röstprozesse. Freiberg 1856. 
8. Im Auftrage des Hrn. Verfassers von der Verlagshandlung ein- 
gesendet. 

J. G. v. Hahn, Aphorismen über den Bau der auf uns gekommenen Aus- 
gaben der Ilias und Odyssee. Jena 1856. 8. Mit Begleitschreibenff 
des Hrn. Prof. v. Hahn in Jena vom 29. Juli 1856. 


Gesammtsitzung vom 14. August 1856. 425 


14. August. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Riedel las: Einige Beiträge zur Charakteri- 
stik des Churfürsten Friedrich I. 


Hierauf las Hr. Ehrenberg über 2 neue südameri- 
kanische Gebirgsmassen aus mikroskopischen Orga- 
nismen, eine aus Meeresorganismen in Chile und eine 
als mit gefritteten Sülswasserorganismen gemischten 
Fvulkanischen efsbaren Tuff aus Honduras in CGentro- 
Amerika. 

I. 

Über einen weilsen halibiolithischen Polirschiefer 
aus Chile. 


In der Sammlung geognostischer Felsproben aus der Wüste 
von Atacama in Chile, welche der schon durch seine früheren 
ausgezeichneten Arbeiten über die fossilen und jetzt lebenden 
Conchylien Siciliens so verdienstvolle Preufsische Naturforscher Dr. 
Reinhold Amandus Philippi, dessen Reisen in Chile neuer- 
lich grolses Aufsehen und allgemeine Anerkennung erregen, nach 
| Berlin gesendet hat, befindet sich ein Stück mit der Bezeichnung: 
„Zripel. Morro de Mejillones” Hr. Weifs, Mitglied der Aka- 
-) demie, hat mir Kenntnils davon und die Gelegenheit zur mikros- 
kopischen Prüfung desselben gegeben. 
Das Handstück ist 24 Zoll im Quadrat und von Zolldicke, 
von Farbe weils mit nur wenig ins Gelbliche ziehendem Farbe- 
| tone, leicht abfärbend wie Kreide, von blättrigem Gefüge, sehr 
leicht von Gewicht. Spuren von Einschlüssen organischer gröfse- 
.) rer Körper sind weder mit blolsem Auge, noch mit der Lupe 
zu sehen, doch sind auf den Blätterlagen hie und da rostbraune 
Färbungen, welche wohl weniger auf Infiltration als auf zersetzte 
Einschlüsse, in anderen Stücken vielleicht hie und da erhaltener, wei- 
cher, organischer Körper schlielsen lassen. Ein Tropfen Salzsäure 
darauf gebracht verursachte nirgends ein Brausen. Durch Glühen 
färbten sich kleine Bruchstücke erst blalsgrau, dann wieder weilser 


426 Gesammtsitzung 


als vorher und sie fritteten und schmolzen schon in der Spi- 
ritusflamme deutlich an. 

Da wo der ausgezeichnete Reisende in der kurzen bisher 
bekannt gewordenen Reiseskizze, welche zuerst in der Zeitschrift 
das Ausland No. 2. 35 u. 36 1854 gedruckt und in Hrn. Pe- 
termann’s Mittheilungen aus der Geographie, Gotha 
1856. II. p. 52 wiederholt ist, von dem Morro de Mejillones an 
der Küste von Bolivia oder Chile, der Grenze von beiden Staa- 
ten, nahe an 23° S. B. spricht, wird des Tripellagers nicht er- 
wähnt. Es fehlt daher bisher an einer näheren Bezeichnung der 
geognostischen Lagerung dieser Felsart. Nur soviel läfst sich 
aus Dr. Philippi’s Angaben und Gebirgsproben entnehmen, 
dafs der Morro de Mejillones, dessen Höhe an einer Stelle (wahr- 
scheinlich durch einen Druckfehler) 2400 Fuls, an einer anderen 
aber, offenbar mit dem Übrigen übereinstimmender auf 4000 Fuls 
angegeben wird, bis zur Spitze aus Syenit und Gneis besteht. 
Die Abhänge sind steil oder durch ungeheure Schuttmassen ab- 
schüssig gebildet. Zwischen dem 4000’ hohen Küstenfels des 
Festlandes und dem eben so hohen halbinselartig isolirten Morro 
de Mejillones ist eine nur 100 Fuls über das Meer sich erhe- 
bende Niederung, eine Sandebene. Hier an der Nordseite des 
Morro in traurigster Oede fand Dr. Philippi Leute mit Sam- 
meln von Guano beschäftigt. Ein gleiches Lager von dürftigem 
Guano zeigte die kleine Insel Isla blanca an der Südseite des 
Morro. 

Die mikroskopische Prüfung dieses südamerikanischen Tripels 
oder eigentlich Polirschiefer-Gesteins, hat ihn als ein vorherr- 
schend von unfühlbar feinen marinen Polygastern -Schalen gebil- 
detes Conglomerat ergeben, welches einige Polycystinen und 
Geolithien, aufserdem aber nur Schwamm-Nadeln von Meeres- 
Spongien mit seltenen Glimmerschüppchen und wenig Quarz- 
sand enthält. Aus 40 nadelkopfgrolsen Theilchen wurden bis- 
her 83 Formen erkannt: 

£ 57 Polygastern, 
7 Polycystinen, 
2 Gebolithien, 


vom 14. August 1856. 427 


15 Phytolitharien, 
2 anorganische Formen. 

Offenbar ist diese Mischung eine reine Meeresbildung wie 
bisher noch keine, den Guano ausgenommen, aus Süd- Amerika 
bekannt geworden ist. Sie zeigt keine Beimischung von Süls- 
wasser- oder Festland- Gebilden, aulser den Zithostylidium und 
Lithochaeta genannten Körpern, die daher doch Fragmente an- 
derer Art sein könnten. 

Sehr auffallend ist der völlige Mangel an Polythalamien und 
auch an Steinkernen von Polythalamien, wodurch diese Gebirgs- 
art sich von allen bisher bekannten mittelländischen, virginischen 
und russischen marinen Polirschiefern und Tripeln unterscheidet. 

Dagegen tritt eine sehr auffallende Verwandtschaft und fast 
Gleichheit mit den Guano-Lagern der peruanischen Küste her- 
vor, deren Formen sogar meist ganz übereinstimmen. Clado- 
gramma californicum und Rhaphoneis oregonica mögen im dor- 
tigen Meere weiter verbreitet sein. 

Es drängt sich daher in diesem Fall die Frage auf, ob nicht das 
vorliegende schön weilse, blättrige Gestein doch ein Product eines 
durch gesäuertes Wasser ausgelaugten Guano-Lagers sei. Die leichte 
Schmelzbarkeit ist ebenfalls auffallend und dadurch vielleicht erklär- 
bar. Der Umstand, dafs die Guano-Lager bisher nicht am Festlande, 
nur auf Inseln beobachtet worden, wird durch die Bemerkung des Rei- 
senden erledigt, dals er daselbst mit Guano-Sammeln beschäftigte 
Leute angetroffen. 

Die näheren Mittheilungen des geistvollen Reisenden werden 
hoffentlich weiteren Aufschluls zu geben im Stande sein. 


Übersicht 
der im Tripel von Morro de Mejillones beobachteten Formen. 


Polygastern: 57. Aectinocyclus Pallas. 
Actiniscus Pentasterias. Procyon. 
Tetras. Uranus. 
Actinocyclus vicenarius. Actinoptychus biternarius. 
; Luna. quatuordenarius. 


Mars. sedenarius. 


428 Gesammtsitzung 


Actinoptychus senarius. 
Amphitetras gemmata. 
Chaetotyphla —? 
Chaetoceros didymus. 
Cladogonium — ? 
Cladogramma. californicum. 
Coscinodiscus concavus. 
eccentricus. 
lineatus. 
minor. 
Oculus Iridis. 
radiatus. 
radiolatus. 
subtilis. 
—? 
Dicladia Capreolus. 
Dictyocha aculeata. 
Epiodon. 
Fibula. 
Speculum. 
Dictyopyxis cruciata. 
Diploneis Rhombus. 
Crabro. 
didyma. 
gemmala. 
Eupodiscus septenarius. 
Fragilaria —? 
Goniothecium Monodon. 
Grammatophora africana. 
oceanica. 
Tabellaria. 
Periptera —? 
Pinnularia diomphala. 
—? 
—? 
—? 


Pyxidicula aspera. 


Pyxidicula oblonga. 
Rhaphoneis oregonica. 
Stephanopyxis, 
Striatella —? 
Surirella —? 
Syndendrium Diadema. 
Synedra —? 
Triceratium Reticulum. 


Zygoceros —? 


Polycystinen: 7. 
Chlamidophora. 
Cycladophora. 
Dictyospiris. 

Eucyrtidium. 
Flustrella. 
Lithobotrys biloba? 


Lychnocanium. 


Geolithien: 2. 


Cephalolithis. 
Stephanolithis. 


Phytolitharien: 15. 


Amphidiscus brachiatus. 
sphaerophorus. 
—? 
Lithochaeta appendiculata. 
Lithostylidium angulatum ? 
Spongolithis acicularis. 
decus. 
aspera. 
Caput serpenlis. 
cenocephala. 
Clavus. 
fissa. 
Fustis. 


vom 14. August 1856. 429 


Spongolithis nodosa. Anorganische Formen: 2. 
robusta. Glimmer. 
tracheotyla. Quarzsand. 
II. 


Über einen vulkanischen elsbaren Polirschiefer 
aus Honduras. 


Der Königliche General-Consul in Mexico, Hr. Hesse, hat 
mir 1854 eine Gebirgsart aus der Nähe von Esquipalos in der 
Tierra del Sennor an der Grenze von Guatimala und Honduras 
übergeben, welche dort von Frauenspersonen während der Schwan- 
gerschaft und Reinigung viel genossen wird. Die Probe hat 
2 Zoll Durchmesser in der Länge und Breite und 1 Zoll Dicke. 

Diese Gebirgsart hat folgende Eigenschaften. Es ist eine 
ziemlich schwere, weilse, thonartige Masse, welche deutliche 
Schichtungen und Lagen von der Dicke eines Messerrückens zeigt. 
Die weilse Farbe hat einen ins Bräunliche ziehenden Ton. An 
einer Stelle findet sich ein eine Erbse grolser Einschluls von 
blauweilsem Schaumstein. Salzsäure bewirkt kein Brausen. Beim 
Glühen über der Spirituslampe wird die Farbe erst grau, dann 
wie früher, mit einem ins Isabellfarbene ziehenden, röthlich gelb- 
lichen Tone, ohne dafs Schmelzung eintritt. 

Unter dem Mikroskop bei 3U0maliger Vergröfserung zeigt 
sich als Hauptbestandtheil der Masse ein sehr feiner meist aus bim- 
stein- und schaumsteinartigen, blasigen Fragmenten gebildeter 
Sand mit einem noch feineren körnigen Mulm. Letzterer gleicht 
dem feinern Thonmulm. Beim polarisirten Lichte ist alles farb- 
los glasartig. In dem sehr feinen Glassande, dessen Theilchen 


‚ häufig kurzzellig und langzellig, oft auch, den Obsidiantrümmern 


gleich, solide, scharfe, verschiedeneckige Splitter darstellen, liegen 
viele vereinzelte Organismen und organische kieselerdige Frag- 
mente, welche nicht selten ganz wohl erhalten bekannten For- 
men angehören, oft aber auch deutlich so verändert erscheinen, 
wie starke Hitzegrade die Polygastern und Phytolitharien, nach 
den von mir seit 1836 mitgetheilten Experimenten, zu verändern 
pflegen. Es unterliegt keinem Zweifel, dafs diese beigemischten 
[1856.] 33 


430 Gesammtsitzung 


organischen Formen starken Hitzegraden ausgesetzt gewesen sind, 
wodurch vielleicht die Hauptmasse derselben allen organischen 
Charakter verloren hat und jenen scheinbaren Bimsteinsand bil- 
det, welcher den Hauptbestandtheil der Masse ausmacht. Im 
Ganzen sind bisher in 20 Analysen nadelkopfgrofser Theilchen 
37 Arten nennbarer Formen vorgekommen: 16 Polygastern, 
19 Phytolitharien, 2 anorganische Formen. 

Es ist auch in diesem Fall der auffallende Charakter ganz 
scharf und reich ausgeprägt, dals unter allen 37 Formen keine 
einzige Meeresform ist, alle vielmehr den Sülswasserverhältnissen 
angehören. 

Da die Probe ganz den Charakter einer massigen reinen Ge- 
birgsart hat, nicht aber den eines vielartig gemischten lokalen 
CGonglomerats, so wird eine weitere Aufklärung der geologischen 
Verhältnisse wünschenswerth. 


Übersicht 
der in dem elsbaren vulkanischen Polirschiefer von Esquipalos 
beobachteten organischen Formen. 


Polygastern: 16. Phytolitharien: 19. 
Cocconeis Pediculus. Amphidiseus —? 
stricta. Lithomesites Pecten. 
Eunotia amphioxys. Lithodontium Bursa. 
gibba. nasutum. 
Fragilaria —? Lithosphaeridium irregulare. 
Gallionella crenata. Lithostylidium angulatum. 
distans. calcaratum. 
granulata. clavatum. 
procera. Clepsammidium. 
Gomphonema truncaltum. crenulatum. 
Navicula —? curvaltum. 
Pinnularia (gefrittet). denticulatum. 
—? Hemidiscus. 
Surirella —? laeve. 
Synedra Entomon. Ossiculum. 


Trachelomonas laevis? quadratum. 


vom 14. August 1856. 431 


Lithostylidium rude. Anorganische Formen: 2. 
Serra. Bimsteinsand. 
Trabecula. Schaumsteinsand. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 


v. Siebold, Wahre Parthenogenesis bei Schmetterlingen und Bienen. 
Leipzig 1856. 8. Mit Begleitschreiben des Hın. Verf. d. d. Mün- 
chen 1. Juli 1856. 

Annales de chimie et de physique. Tome 47, Juillet. Paris 1856. 8. 

Bulletin de la socicte de geographie. Tome 11. Paris 1856. 8. 

Comptes rendus de ! Academie des sciences. Tome 43, no. 1—3. Paris 
1856. 4. 

Auguste Dumeril, /chthyologie analytique. Paris 1856. 4. 

—- Description des Reptiles nouveaux. Deuxieme Memoire. 
(Paris 1856.) 4. 

Rapport sur les travaux de la societe' d’acclimalion, en 
1855. Paris 1856. 8. 


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Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 
im Monat October 1856. 


Sommerferien. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Trendelenburg. 


16. Octbr. Öffentliche Sitzung zur Feier des 
Geburtstags Sr. Maj. des Königs. 


Die öffentliche Sitzung der Königl. Akademie der Wissen- 
schaften am 16. October, zur Nachfeier des Geburtstages Sr. 
Majestät des Königs, eröffnete der vorsitzende Secretar, Hr. 
Böckh, mit einer Einleitungsrede. Er stellte in kurzem dar, 
dals und in welcher Beziehung die Zeit der Regierung Frie- 
drich Wilhelms des Vierten eine denkwürdige und weltge- 
schichtlich bedeutende Zeit des Preulsischen Staates sei, und 
welchen Einflufs der Fürst auf die Entwickelung der Bildung 
habe, zumal für Kunst und Wissenschaft, endlich wie Sr. Ma- 
jestät der König diese seit seinem Regierungsantritt gefördert 
habe. Da nach dem Statute der Akademie an diesem hohen 
este derselben ein Überblick dessen gegeben werden soll, 
was von der Akademie im Laufe des Jahres geleistet worden, 
ing der Sprecher zunächst darauf über, dafs in diesem Jahre 
ie Ausgabe der Werke Friedrichs des Grolsen, mit welcher 
e. Majestät der König die Akademie betraut hat, zum Ab- 
[1856] 34 


434 Sitzung der philos.-hist, Klasse vom 20. October. 


schluls komme, und gab einen Überblick dessen, was dafür ge- 
leistet worden, worin besonders die Verdienste des Hrn. Prof. 
Preufs um dieselbe hervorgehoben wurden, der aus Begeiste- 
rung für den Helden des vorigen Jahrhunderts seine ganzen 
Kräfte an die Vollendung dieses Werkes gesetzt bat. Der 
Sprecher gab noch eine Übersicht der übrigen von der Aka- 
demie geförderten wissenschaftlichen Unternehmungen und der 
in ihren Versammlungen gehaltenen Vorträge. Hierauf las Hr. 
Pertz eine Abhandlung über den genuesischen Geschicht- 
schreiber Caffarus. | 


20. Octbr. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Buschmann las eine geographische Schilde- 
rung des Yutah-Gebiets. 


23. Octbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Braun las über Parthenogenesis bei Pflanzen. 

Nachdem derselbe der neueren und neuesten Resultate der 
Forschungen im Gebiete der Lehre von der geschlechtlichen 
Fortpflanzung der Gewächse Erwähnung gethan, nach welchen 
die durch zwei Geschlechter vermittelte Zeugung den Pflanzen 
ebenso allgemein zukomme, als den Thieren, und sich als ein 
das ganze Reich der organischen Natur charakterisirendes Lebens- 
verhältnifs darstelle, macht er auf den sonderbaren Widerspruch 
aufmerksam, in welchem zu diesem Ergebnils die Erfahrungen zu 
stehen scheinen, welche in jüngster Zeit unter dem Namen der 
Parthenogenesis, nicht im Sinne Owens, sondern im Sinne vo 
Siebold’s, bekannt geworden seien, und wirft die Frage auf, 
ob solche Erfahrungen nicht auch im Pflanzenreiche vorliegen. 
Die älteren in dieses Gebiet einschlagenden Beobachtungen und 
Experimente von Camerarius, Spallanzani, Henschel; 
Girou de Buzareinges, Ramisch, Bernhardi, so wie 
die neuerlich im Jardin des plantes zu Paris angestellten vor 


Gesammtsitzung vom 23. October 1856. 435 
Naudin, seien zwar nieht vollkommen beweisend, jedoch von 
solcher Art, dals ein unbefangenes Urtheil über dieselben im 
Allgemeinen zu Gunsten der Parthenogensis ausfallen müsse. 
Geeigneter zur Entscheidung der Frage sei eine blols in weib- 
lichen Exemplaren in den europäischen Gärten vorhandene exo- 
tische Pflanze, die von J. Smith beschriebene Caelebogyne 
üicifolia, ein neuholländischer Strauch aus der Familie der Eu- 
phorbiaceen, dessen Geschichte, soweit sie bisher bekannt war, 
der Vortragende mittheilte. Die Behauptung J. Smith’s, dals 
diese Pflanze ohne die Anwesenheit männlicher Blüthen oder 
irgend welcher Pollen erzeugender Organe nichts desto we- 
niger regelmälsig Früchte ansetze, welche normal gebildete 
und mit keimfähigem Embryo versehene Samen enthalten, und 
aus welchen der Mutterpflanze völlig ähnliche Sämlinge er- 
wachsen, bestätige sich im Berliner botanischen Garten voll- 
kommen, doch lasse die Beschreibung der Pflanze von J. Smith 
manche Lücken, welche der Vortragende auszufüllen suchte. 
Derselbe giebt insbesondere eine nähere Beschreibung der am 
Kelch und den Bracteen vorkommenden Drüsen, deren klebri- 
gem Safte Smith eine befruchtende Wirkung zuzuschreiben 
geneigt war, und zeigte, dals sie im Bau nahe übereinstimmen 
mit den Nectar absondernden Drüsen auf der Rückseite der 
Blätter von Prunus Laurocerasus und an den Blattstielen von 
Ricinus. Der Same der Caelebogyne unterscheide sich von dem 
der meisten andern Euphorbiaceen durch den Mangel einer 
deutlich abgesonderten Caruncula, habe übrigens im Bau der 
Samenhäute Ähnlichkeit mit dem Samen von ARicinus und an- 
dern Gattungen der Familie. Der Embryo bilde sich nach den 
auf seinen Wunsch im botanischen Garten gemachten Unler- 
suchungen von Hrn. Deecke in einem sehr verlängerten Em- 
bryonalsack, indem sich von meist zweien innerhalb der Spitze 
desselben vorhandenen ovalen Keimbläschen das eine entwickle 
und zwar zunächst durch eine horizontale Theilung in eine 
obere, der Spitze des Keimsacks zugewendete Zelle, welche 
einen kurzen, sich nicht weiter entwickelnden und bald ver- 
schrumpfenden Embryoträger darstelle, und in eine untere, frei 
in den Keimsack hineinragende, welche durch weitere Zellthei- 


lung zur Embryokugel anschwelle, die bald die ersten Anfänge 
34* 


436 Gesammtsitzung 


der zwei Cotyledonen zeige. Ein Pollenschlauch wurde bei 
sehr zahlreichen Zergliederungen ein einziges Mal beobachtet, 
dessen Vorkommen unzweifelhaft zufällig sei und von irgend 
einer fremden Pflanze herrühre. Dieses Resultat werde voll- 
kommen bestätigt durch die von Dr. Radlkofer ungefähr um 
dieselbe Zeit in London gemachten Untersuchungen, doch habe 
dieser nach briellichen Mittheilungen öfters 3 Keimbläschen und 
zuweilen eine Entwicklung zweier, ja selbst dreier Keimbläs- 
chen in demselben Oyulum gesehen. Einen Pollenschlauch 
habe er niemals, einmal jedoch ein ohne Zweifel fremdes Pol- 
lenkorn auf der Narbe gefunden. Die Frage endlich, ob Cae- 
lebogyne eine Pflanze sei, welcher das männliche Geschlecht 
ganz abgehe, wofür das Vorkommen blofs weiblicher Exemplare 
in den Gärten zu sprechen scheine, oder vielmehr eine diöcische 
Pflanze, deren männlicher Stock bisher unbekannt geblieben, 
erledige sich durch die Mittheilung von W.J. Hooker in Kew, 
der männliche Exemplare aus Neuholland im Herbarium besitze 
und die ähren- oder kätzchenförmigen männlichen Blüthenstände ı 
zur Untersuchung eingesendet habe. Die männliche Blüthe sei 
sitzend, habe einen kugelig geschlossenen, später wahrschein- 
lich viertheilig geöffneten Kelch und 8 Staubgefälse mit extror- 
sen Antheren, die einen Blüthenstaub enthalten, der dem von Mer- 
curialis annua ähnlich sei. Dadurch lasse sich die Gattung be- 
stimmter als bisher charakterisiren und werde als von allen sonst 
bekannten Euphorbiaceen wirklich generisch verschieden bestätigt. 


Hr. H. Rose las über die Verbindungen des Tan- 
tals mit Fluor. 

Das Hydrat der Tantalsäure löst sich schon bei gewöhn- 
licher Temperatur in wässriger Fluorwasserstoffsäure zu einer 
klaren Flüssigkeit auf. Die Auflösung trübt sich nicht durchs 
Erhitzen, auch nicht durchs Zusetzen von Schwefelsäure. Man 
kann die Lösung, mit Schwefelsäure versetzt, durchs Abdam- 
pfen concentriren, ohne dals Tantalsäure sich ausscheidet. Nur 
wenn sie zu einem kleinen Volumen gebracht worden ist, wird 
sie etwas trübe; beim ferneren Abdampfen aber, wenn die 


vom 23. October 1856. 437 


Schwefelsäure econcentrirt worden ist, löfst sich durch Erwär- 
men die ausgeschiedene Tantalsäure wieder auf. 

Wird die Lösung der Tantalsäure in Fluorwasserstoff- 
säure erhitzt und abgedampft, so verflüchtigt sich Tantaltluorid; 
es bleibt ein Rückstand, aus dem beim Glühen ein weilser 
Rauch von Tantalfluorid entweicht, während Tantalsäure zu- 
rückbleibt. — Auch wenn man zu der Lösung der Tantalsäure 
in Fluorwasserstoffsäure Schwefelsäure setzt, so kann durchs 
Abdampfen und durch Verjagung der Schwefelsäure nicht die 
ganze Menge der Tantalsäure wieder erhalten werden; es ist 
jedoch der Verlust nur ein sehr geringer. 

Geglühte Tantalsäure löst sich nicht in Fluorwasserstoff- 
säure auf. Wenn man sie damit abdampft, Schwefelsäure hin- 
zufügt und den trocknen Rückstand in einer Atmosphäre von 
kohlensaurem Ammoniak glüht, so erhält man die ganze Menge 
der angewandten Tantalsäure wieder. Mit Fluorammonium ge- 
mengt und geglüht, wird aber die geglühte Tantalsäure gänz- 
lich verflüchtigt. 

Das Tantaifluorid hat, wie das schon Berzelius hervor- 
gehoben hat, eine ausgezeichnete Neigung sich mit Fluorme- 
tallen zu Doppelverbindungen zu vereinigen. 

Mit Fluorkalium verbindet es sich in mehreren Verbält- 
nissen, und auch Berzelius hat keine einfache Verbin- 
dung, sondern Mengungen oder Zusammenkrystallisirungen von 
KF-+ TaF? und von KF+2TaF? erhalten. — Mit Fluor- 
natrium aber erhält man die Verbindung NaF + TaF?, welche 
freilich nicht dem neutralen tantalsauren Natron entspricht. 


Hr. J. Grimm las über die runische Inschrift am 
Löwen von Venedig. 

Von herrn Rafn in Kopenhagen, correspondierendem mit- 
gliede der akademie, geht uns eine gelehrte abhandlung zu be- 
titelt inseription runique du Piree, publiee par la societE royale 
des antiquaires du nord. Wer zu Venedig war, hat dort am 
eingang des arsenals einen marmornen löwen stehn gesehn, auf 
welchem bei näherer betrachtung schrift eingehauen erscheint. 
diesen löwen hatten die Venetianer im jahr 1687 bei der ein- 


438 Gesammtsitzung 


nahme von Athen aus dem Piraeus als siegszeichen heimgeführt 
und aufgestellt. im athenischen hafen am ufer war lange jahr- 
hunderte hindurch sein stand gewesen und der Piraeus führte 
davon den namen porto Leone. 

Auf die alte inschrift richtete sich die aufmerksamkeit erst 
spät, es ist nicht bekannt, dasz vor dem schwedischen reisenden 
Äkerblad am schlusz des verflossenen jahrhunderts irgend jemand 
sie betrachtet hätte, die sonne hatte die züge ausgebleicht, 
der regen ausgewaschen, wären griechische oder lateinische 
buchstaben hervorgetreten, so würden sie früher angezogen ha- 
ben. jener Schwede erkannte endlich darin nordische runen 
und nach seiner ungenauen, unsicheren abzeichnung wurden sie 
verschiedentlich herausgegeben und besprochen. es kam vor 
allem auf bessere, vollständigere copien an. im sommer 1834 
reiste deswegen Rafn mit dem bekannten runologen Finn 
Magnusen und mit Theophilus Hansen, der später bau- 
meister zu Athen ward, nach der inselstadt, anfangs konnten 
sie bei hellem tag gar keine schriftzüge auf dem löwen ent- 
decken, bis sie endlich nach sonnenuntergang in dem dämmern- 
den licht sichtbar wurden und sich abzeichnen lieszen. man 
versäumte nicht gipsabgüsse zu machen und mitzunehmen. 

Die allmäliche, wiederholte betrachtung aller zeichnungen 
und abdrücke hat, nachdem man erst nur die entzifferung ein- 
zelner wörter erwartet und erstrebt hatte, zuletzt so weit ge- 
führt, dasz es möglich wurde in den vollständigen sinn der in- 
schriften zu dringen und aus dem inhalt schlüsse auf ihre ur- 
heber und die zeit, in welcher sie eingehauen wurden, zu 
machen. 

Die inschrift auf des löwen linker seite besagt in altnor- 
discher sprache, dasz Hakon im verein mit Ulf, Asmund und 
Örn den hafen eroberten und dasz diese männer und Harald 
der hohe dem griechischen volk wegen eines aufstandes be- 
trächtliche geldbuszen auflegten; dann werden noch drei ihrer 
landsleute genannt, die wegen abwesenheit an der waffenthat 
keinen theil genommen hatten. Harald der hohe, anführer des 
zugs, scheint Harald Sigurdson halbbruder königs Olaf des hei- 
ligen. nachdem Olaf in der schlacht bei Stiklastad gefallen war, 
entfloh Harald nach Gardarike und dann nach Constantinopel, 


vom 23. October 1856. 439 


_ wo er im j. 1033 anlangte. zehn jahre lang blieb er als an- 

führer der Väringe in griechischen diensten, worauf er nach 
Gardarike zurückkehrend dort -Ellisif, die tochter des grosz- 
fürsten Jaroslaw heiratete und wieder in seine heimat reiste; 
erst mitregent Magnus des guten wurde er nach dessen tode 
im j. 1047 alleiniger könig. 

Die Väringe wurden von den Griechen in verschiednen 
theilen des reichs verwandt. in den jahren 1034—1035 hiel- 
ten sie winterquartier im Sen Opazyriuv, das die innern theile 
von Karien, Lydien und Phrygien umfaszte, wie Kedrenos mel- 
det. Unerschwingliche lasten, welche Joannes, minister des 
kaisers Michael, dem volk auferlegte, riefen misvergnügen und 
aufstände hervor. in einem aufstande der Bulgaren wurde Epi- 
rus und Achaia überzogen, alle städte der provinz Nikopolis, 
Naupaktos ausgenommen ergaben sich den aufrührern. Ins jahr 
4040 scheint die in der runenschrift erwähnte empörung des 
Griechenvolks und die dadurch herbeigeführte eroberung des 
Piraeus zu fallen. Der löwe musz schon damals dort gestan- 
den haben, die Nordmänner lieszen das andenken an ihre that 


darauf einhauen. 

Die runen auf der rechten seite nennen die namen der 
Nordmänner, welche sie auf Haralds befehl einhauten, obgleich 
die Griechen es untersagten. dieser auffallende letzte satz 
wird gelesen: puat Grikiar uf hugsapu auk banapu, obgleich 
die Griechen darüber nachdachten und es verbannten, mit bann 
belegten, untersagten. es ist jedoch von banapu das einzige 
erste a sichtbar, sonst kein buchstab und die vermutung hat 
gerade bei dieser anziehenden stelle weiteren spielraum. die 
deutlich vorhergehende conjunction poat, obschon, scheint al- 
lerdings ein folgendes wort des verbots zu rechtfertigen. Dasz 
den Griechen das eingraben der fremden inschrift anstöszig und 
zuwider war, läszt sich denken, doch die runen und deren sinn 
verstanden sie kaum. auch konnten sie die inschrift späterhin 
wieder tilgen und auslöschen, sie sahen wol nichts darin als 
eingegrabne eigennamen; vielleicht liesze sich der satz in an- 
derm sinn ergänzen. 

Herr Rafn verheiszt noch ein ausführlicheres werk über 
diese inschrift, schon wie es gegenwärtig vorliegt ergibt es 


440 Gesammtsitzung 


willkommne aufschlüsse für die geschichte und für die nordi- 

schen runen. Wir sind in den stand gesetzt hier einen ab- 
klatsch der inschrift linker seite, wie sie in dem dänischen buch 
gegeben ist, folgen zu lassen. 


vom 23. October 1856. 441 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 
Verhandlungen der allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für die ge- 
sammten Naturwissenschaften. 39. u. 40. Versammlung. St. Gal- 
len 1854. 1855. 8. 
Neue Denkschriften der allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für die 
gesammten Naturwissenschaften. Band 14. Zürich 1855. A4. 
Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Bern aus dem Jahre 
1855. Bern 1855. 8. 

Geschichtsblätter aus der Schweiz. 2. Band, 5. Heft. Luzern 1856. 8. 

Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Basel. 3. Heft. Ba- 
sel 1856. 8. 

Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen. 4. Band, Lieferung 2. 
Berlin 1856. 4. 

Journal für Mathematik, von Crelle. 52. Band, Heft 4. Berl. 1856. 4. 

Jahrbuch der K. K. Geologischen Reichsanstalt. 6. Jahrgang, Heft 4. 
Wien 1855. 4. 

Abhandlungen der math.-phys. Klasse der Sächsischen Gesellschaft der 
Wissenschaften. 5. Band, Seite 1—377. Leipzig 1855—56. 8. 

Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Gesellschaft der Wis- 
senschaften. Phil.-hist. Klasse. 1855, 3. 4. 1856, 1.2. Mathem.- 
phys. Klasse. 1854, 3. 1855, 1. 2. 1856, 1. Leipz. 1854—56. 8. 

Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft. 10. Bd., Hit. 4. 
Leipzig 1856. 8. 

Gemeinnützige Wochenschrift. 6. Jahrgang. no.1—35. Würzb, 1856. 8. 

The Quarterly Journal of the geological Society. Vol. XII, Part. 3. Lon- 
don 1856. 8. 

Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Vol. 146, 
Part 1. London 1856. 4. 

Proceedings of the Royal Society. Vol. VIII, no. 19—22. London 


1856. 8. 

Transactions of the Royal Irish Academy. Vol. XXIN, Part 1. Dublin 
1856. 4. 

Proceedings of the Royal Irish Academy. Vol. VI, Part 3. Dublin 
1856. 8. 


Report of the 25. meeting of the British Association for the advancement 
of seience. London 1856. 8. 

Astronomical Observations made at the Royal Observatory, Greenich, in 
the year 1854. London 1856. 4. 


The American Journal of science and arts. Vol. XXI, no. 64. New- 
Haven 1856. 8. 
> Bibliotheca indica, ed. Roer. Fasc.110—129. Calcutta 1855, 8. u. 4. 


442 - Gesammitsilzung 


Revue archeologique. A3m® annee, Livr. 5. 6. Paris 1856. 8. 

Comptes rendus des seances de FAcademie des sciences. Tome 43. no. 

4—12.. Paris 1856. 4. 

Bulletin de la sociele de geographie. Quatrieme serie, Tome 11. Pa- 
ris 1856. 8. 

Annales des mines. 5we Serie, Tome 8. Livr. 5. Paris 1855. 8. 

Annales des sciences physiques et naturelles. Zme Serie. Tome VII, Par- 
tie 1. Lyon 1855. 4. 

Annales de la societe Linneenne de Lyon. Nouvelle Serie. Tome II. 
Lyon 1855. 8. 

Annales de Facademie des sciences de Lyon. lasse des lettres. Tome 
4. Lyon 1854—1855. 8. Classe des sciences. Tome 5. 6. 
Lyon 1855 —1856. 8. 

Annales de chimie et de physique. Aoüt— Septembre. Paris 1856. 8- 

Mnemosyne, Vol. V, Fase. 3. Leyden 1856. 8. 

Natuurkundige Verhandelingen var de Hollandsche Maatschappij der W e- 
tenschappen te Haarlem. Deel XI. Haarlem 1856. 4. 

Rendiconto della Societa reale borbonica. Nuova Serie, Anno IV. Na- 
poli 1855. 4. 

Alti del® Accademia pontificia de Nuovi Lincei. Anno VI, Sessione 2-5. 
Roma 1855 — 1856. 4. 

Öfversigt af Kongl. Vetenskaps-Academiens Förhandlingar, 1853. Stock- 
holm 1856. 8. 

Kongl. Vetenskaps-Academiens Handlingar, för är 1853. 1854. Stock- 
holm 1855 —1856. 8. 

Resumea de las actas de la Real Academia de ciencias de Madrid, 1851— 
1853. Madrid 1853. 1854. 8. 

Memorias de la Real Academia de ciencias de Madrid. Tomo I, Parte 3. 
Tomo II, Parte 1. Madrid 1853 — 54. 4. 

Karl Müllenhoff, Über die Weltkarte und Chorographie des Kaiser 
Augustus. Kiel 1856. 4. 

Godard, Recherches sur les Monorchides. Paris 1856. 8. Mit Schrei 
ben des Hrn. Verf. d. d. Paris 7. Sept. 1856. 

Histoire secrete de Justinien par Procope, traduite par Isambert. Par- 
tie 1. 2. Paris 1856. 8. Mit einem Begleitschreiben des Hrn! 
Verf. vom 25. Juli 1856. 

v. Kokscharow, Materialien zur Mineralogie Rufslands. 21. Liefe) 
rung. Petersburg 1856, 8. 

Lowe, Natural history of Ferns. Part 1 — 16. London 1856. 8. 

(J.B. Monfalcon) Origines et bases de Vhistoire de Lyon. Vol. 
Lyon 1855. 4. 


vom 23. October 1856. 443 


Saalschütz, Archäologie der Hebräer. 2. Theil. Königsberg 1856. 
8. Mit Schreiben des Hrn. Verf. vom 24. Sept. 1856. 

Etudes agricoles de reforme de Ruysselede et de Beernem. \Vllm® Rap- 
port. Bruxelles 1856. 4. Mit Ministerialschreiben vom 23. Au- 
gust 1856. 

du Vivier de Streel, Za Cineide ou la vache reconquise. Bruxelles 
1854. 8. 

Poesies wallones. No.1.2. Liege 1842. 8. 

Giornale astronomico e meteorologico del Osservatorio di Palermo. Vol. 1. 
Palermo 1855. 4. 

C.F. Freitag, das mechanische Verhalten bei der Bewegung des W as- 
sers. Naumburg a.d.$. 1856. 8. NebstSchreiben des Hrn. Verf. 

"vom 31. Aug. 1856. 

Gianotti, Prove incontestabili della vera quadratura del circolo. Ca- 
sale 1856. 8. 

- Saggio di calcolo originale. Casale 1856. 8. 

Fr. Mandoj-Albanese, Corso di geomeltria elementare. Torino 
1856.. 8. 


Unter dem 19. August 1856 hat der vorgeordnete Hr. Mi- 
nister genehmigt, dafs die Akademie die botanischen Unter- 
suchungen des Dr. Schacht in Madeira durch die Summe von 
400 Rithlr. unterstütze. 

Hr. Encke berichtete, dals er am 15. September von Hrn. 
Alex. von Humboldt einen Abdruck des Briefes des Prin- 
zen Napoleon vom 20. Aug. 1856, welcher in den Comptes 
rendus de l’Academie des Sciences Tome XLIII. Seance du 
8. Sptbr. 1856 eingerückt ist, zugesandt erhalten habe, mit 
"dem Auftrage ihn dem Wunsche des Secretairs des Institut, 
Hrn. Elie de Beaumont, gemäls der Akademie mitzutheilen. 
Der Brief betrifft das Auswerfen von Flaschen auf der Fahrt 
der Reine-Hortense, an deren Bord der Prinz Napoleon 
die nordischen Meere besucht hat. Hr. Encke legte den Brief 
vor, und bemerkte dals für die Veröffentlichung desselben in 
deutschen Zeitungen, nach dem Wunsche des Hrn. Elie de 
Beaumont, Schritte gethan worden seien. 


444 Gesammtsitzung 


30. October. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Klotzsch hielt einen Vortrag über Philipp Schön- 
lein’s botanischen Nachlals auf Gap Palmas in West- 
Afrika. 
Derselbe berichtete ferner über eine Nachricht aus der in 
London erscheinenden Agricultural- Gazette vom 11. October 
d. J. no. 41, nach welcher es durch Samenregeneration, ohne 
künstliche Kreuzung des Pollens, in England gelungen ist, Avena 
sativa (den Saat-Hafer) auf dürftigem, unfruchtbarem Boden in ! 
Avena fatua (den wilden oder Wind-Hafer) und Avena fatua 
auf fruchtbarem Boden in Avena sativa überzuführen. 

Er fügte hinzu, dals es in zwei Richtungen von Wich- 
tigkeit werden dürfte, wenn sich diese Angabe bestätigen sollte. 
Einmal würde dem Landwirth hierdurch eine gute Gelegenheit 


geboten, aus der ursprünglichen Stammpflanze des Saat-Hafers 
eine Sorte zu erzielen, die vortheilhafter für manche Boden- 
arten und gewisse klimatische Verhältnisse werden können; 
zweitens würde die Pflanzen-Systematik alle der sogenannten 
Species, bis auf eine ledig, welche den Ökonomen unter dem 


Namen Rispen-Hafer bekannt sind. 


Hierauf trug Hr. Gustav Rose Bemerkungen über 
die Beschaffenheit und Lagerungsverhältnisse der 
Gesteine im Riesen- und Isergebirge vor. 

Das Riesengebirge und das Isergebirge bestehen zum gröls- 
ten Theil aus einer Gebirgsart, die man früher Granit genannt, 
die der Verfasser aber als eine eigenthümliche Gebirgsart un- 
terschieden und mit dem Namen Granitit bezeichnet hat, um 
auch in dem Namen die Verwandtschaft mit dem Granit anzu- 
geben. Sie ist ungeachtet ihrer grolsen Verbreitung doch von 
einer in Erstaunen setzenden Gleichförmigkeit, ein grobkörniges 
Gemenge von Feldspath, Oligoklas, Quarz und schwarzem 
Glimmer; die gänzliche Abwesenheit des weilsen Glimmers 
und die bedeutende Menge des Oligoklas unterscheidet sie vom 
Granit; dabei ist ihr Feldspath gewöhnlich von rother Farbe, 
und in grölseren Individuen als die übrigen Gemengtheile vor- 
handen, wodurch sie ein porphyrartiges Ansehen erhält. 


vom 30. October 1856. 445 


Granit findet sich auch im Isergebirge; er umgiebt den 
Granitit in einem 4 Meilen langen Streifen von Tannenwald 
bis Reichenberg, ist aber, obgleich an ihn angränzend scharf 
von ihm geschieden. Sein weilser Glimmer, der sich neben 
dem schwarzen bei ihm findet, zeichnet ihn gleich von dem 
Granitit aus; aulserdem ist sein Feldspath weils, Oligoklas nur 
in geringer und Quarz in grolser Menge und in grolsen Indi- 
viduen vorhanden; diese ragen auf der verwitterten Oberfläche 
der Felsen hervor, und machen den Granit sehon von fern 
kenntlich. Der Feldspath ist nicht in so grolsen Individuen 
vorhanden wie beim Granitit, die Struktur des Gesteins mehr 
gemeinkörnig. 

Die Gränze zwischen beiden Gesteinen ist auf der Karte 
genau zu ziehen, wiewohl man sie in der Natur gewöhnlich 
mit Dammerde bedeckt findet; doch kommen Stellen vor, wie 
in dem Flufsbette der Desse bei ihrer Vereinigung mit der 
Kamnitz, wo sie ganz entblölst ist, so dals man sie mit der 
Hand bedecken kann. Die Gränzfläche scheint hier senkrecht 
niederzuseizen, und ist auf diese Weise für die Bestim- 
mung der Altersverhältnisse des Granits und Granitits nicht 
entscheidend, doch ergiebt sich aus der Vergleichung aller Um- 
stände, dals der Granitit neuer, und später an die Oberfläche 
der Erde getreten sei, als der Granit. 

Auf der Nordseite umgiebt den Granitit ein grobflasriger 
Gneils, der aber stellenweise seine flasrige Struktur ganz ver- 
liert und grobkörnig erscheint, so dals man ihn in Handstücken 
leicht mit Granit verwechseln kann. In der Natur sieht man 
ihn aber in diesem Fall doch bald wieder in einen flasrigen 
und zuweilen ganz dünnschiefrigen Gneils übergehen, so. dafs 
man an die Gneilsnatur des Gesteins nicht zweifeln kann. Es ist 
daher kein Gneils-Granit, wie das Gestein von v.Raumer ge- 
pannt ist, sondern Granit-Gneils, wenn man es so nennen will. 
Es ist durch seinen blaugefärbten Quarz, bläulichweilsen Feld- 
spath, schneeweilsen Oligoklas und schwarzen Glimmer ausge- 
zeichnet. Es bildet den hohen Iserkamm, erhebt sich in der 
Tafelfichte bis zu einer Höhe von 3400 Fuls, fällt dann west- 
wärts plötzlich ab, setzt aber weiter fort durch die Lausitz und 
Sachsen bis zur Elbe. 


In diesem Gneils findet sich ein mächtiges Glimmerschie- | 
ferlager, welches auf der Ostseite in Voigtsdorf bei Warm- 
brunn anfangend in einem grolsen Bogen über Querbach, Gieh- 
ren, Flinsberg bis nach Raspenau bei Friedland über 5 Meilen 
weit fortsetzt, und an beiden Enden am Granitit abschneidet. 
Das Gestein desselben enthält in einiger Entfernung vom Gra- 
nitit gewöhnlich grünen, in grolsen in einander verfilzten Blät- 
tern krystallisirten Glimmer und ist gerade- und dünnschiefrig, 
so dals es in grolsen Platten bricht; nur in der Nähe des Gra- 


446 Gesammtsitzung 


nitits zeigt es merkwürdiger Weise eine ganz andere Beschaf- 
fenheit, indem der Glimmer kleinschuppig und braun geworden. 
ist. Dieselbe Beschaffenheit hat durchgängig auch ein kleineres 
Glimmerschieferlager, welches südwärts vom vorigen seiner gan- 
zen Länge nach an den Granitit gränzt, und zwischen ihm und 
dem Gneils gelegen, den schwarzen Berg, den Hochstein und 
den Preilselbeerberg bildet. Man sieht hier also offenbar eine‘ 
Einwirkung des Granitits auf den Glimmerschiefer, 
was, da er selbst ein krystallinisch schiefriges Gestein ist,' 
recht bemerkenswerth erscheint. 

Das grofse Glimmerschieferlager ist nun auf eine merk- 
würdige Weise durch Querthäler zerrissen, in seinem Zusam- 
menhang unterbrochen, und an den verschiedenen Stellen un- 
gleich gehoben und verschoben. Der Verfasser hat schon bei 
einer früheren Gelegenheit auf diels Verhältnifs bei Flinsberg 
aufmerksam gemacht. Der Queis, der in dem Gneils nord- 
wärts vom hohen Iserkamm nach N.W. flielst, wendet sich bei 
Flinsberg unter rechtem Winkel nach N.O. und durchschneidet 
das Glimmerschieferlager. Westlich vom Queis liegt hier der 
Hasenberg, dessen Schichten unter 40— 50° nach N. fallen, und 
auf den Queis zustreichen, aber ostwärts jenseits des Queis 
findet sich kein Glimmerschiefer, sondern der aus Gneils be- 
stehende Geiersberg, und Glimmerschiefer erst eine gute Vier- 
telstunde weiter nördlich bei Krobsdorf. Hier ist also der 
Geiersberg gehoben und der Glimmerschiefer von seiner Höhe 
fortgeführt. Dieselben Erscheinungen wiederholen sich mil 
fast noch auffallenderen Verhältnissen weiter westwärts im Thal 
der Schwarzbach, finden sich aber aulserdem in all den vieler} 
Querthälern, von denen das Glimmerschieferlager durchsetz’ 


vom 30. October 1856. A447 


wird; nie correspondiren sich die gegenüberstehenden Seiten, 
die Gränzen zwischen Gneils und Glimmerschiefer bilden einen 
förmlichen Zickzack; der Gneils dringt oft in spitzen Keilen 
tief in den Glimmerschiefer hinein, wie auf der Westseite der 
Tafelfichte, und unterbricht bei Raspenau das äufserste west- 
liche Ende lostrennend, den Zusammenhang des Lagers gänz- 
lich. Aber solche Zerreilsungen des Zusammenhangs und solche 

Veränderungen in der ursprünglichen Lage der Schichten zeigt 
' nicht blofs der Glimmerschiefer, sie finden auch beim Gneifs 
statt, denn der ganze hohe Iserkamm westwärts von dem wei- 
fsen Flins, der Cornelsberg, das Heufuder bis zur Tafelfichte 
enthält keinen festen Fels, das ganze Gebirge ist nur ein Hauf- 
werk von Blöcken und Trümmern. Weniger zertrümmert ist 
das dem Granitit unmittelbar anliegende Glimmerschiefergebirge, 
aber die Schichten desselben sind an der Gränze des Granitits 
stellenweise mauerartig in die Höhe gerichtet und bilden so 
die als Aussichtspunkte berühmten Stellen des Hochsteins und 
der Abendburg. Nichts zeigt wohl deutlicher den eruptiven 
Charakter des Granitits. Offenbar sind durch sein Hervordrin- 
gen alle diese Zertrümmerungen des Gneilsgebirges, und die 
Hebungen und Zerreilsungen des Zusammenhangs in dem Glim- 
merschieferlager hervorgebracht; Wirkungen, welche, wenn 
auch weniger merklich, sich noch in weiter Ferne von dem 
Granitit nachweisen lassen. Diese Zerreilsungen und Zertrüm- 
merungen kommen auch auf der S.W.seite bei dem Granite 
vor, woraus wohl auf das höhere Alter des Granits geschlossen 
werden kann. 

Auf der Nordwestseite des Granitits findet sich nun die 
grolse Basaltformation, deren Mittelpunkt der Schloßsberg 
von Friedland ist, von wo sie sieh nach allen Seiten verbrei- 
tet. Der Basalt derselben ist sehr fest und schwarz mit ver- 
hältnilsmälsig nur wenigen und kleinen Olivin- und Augitkry- 
stallen, und ist oft wie an dem Schlolsberg selbst in prächtigen 
Säulen abgesondert. Er durchbricht den oben geschilderten 
Gneils, mit dem man ihn oft hart aneinander gränzen sieht, wie 
“an der Wittich bei Kunnersdorf, findet sich aber aulserdem noch 
mit Phonolith und einer grolsen Ablagerung von Sand zusam- 
men, der in manchen Lagen fein, und dann theils weils theils 


448 Gesammtisitzung 


braun ist, sehr häufig aber als ein grober Kies erscheint, wo- 
rin sich aufser den vorherrschenden Quarzstücken Geschiebe 
von schwarzem Kieselschiefer, von Feuerstein und von nordi- 
schem Granit finden.*) Er ist hiernach wohl für nichts an- 
deres als für Diluvialsand zu halten, wenn gleich an einigen 
Stellen Braunkohlenlager unter ihm vorkommen, wie bei Wu- 
stung an der Wittich, oder Thonlager', die hier noch bitumi- 
nöses Holz enthalten wie bei Friedland**). Basaltgeschiebe 
finden sich in ihm in der Regel nicht; sie bilden aber oft über 


ihm eine mehrere Fufs mächtige Decke, wie besonders in der 


Kiesgrube südlich von dem Geiersberg bei Friedland, wo die 
Basaltgeschiebe oft Fulsgröfse haben; die wenigen, die zuwei- 
len in ihm vorkommen, scheinen von oben hereingekommen zu 
sein, denn man sieht oft in manchen Kiesgruben gerade Kanäle 
von ihnen bis zur Höhe sich hinziehen. 

Dieser Sand hat ganz den Anschein, als wäre er vom Ba- 
salt gehoben, daer oft ganz von ihm und dem Phonolithe ein- 
geklemmt wird, wie auf der West- und Südseite des Geiers- 
berges, und abgesonderte Parthien von ihm von dem Basalt- 
plateau getragen werden, wie auf der Südseite von Friedland. 
Dennoch wäre es aber noch zu voreilig, hieraus wie auch aus 
der Abwesenheit der Basaltgeschiebe in ihm auf ein jüngeres 
Alter des Basaltes zu schliefsen und denselben der Diluvialzeit 
zuzurechnen. 

Der Phonolith, der sich hier findet, bildet drei grolse 
Berge, den Priedlanzer Berg im Westen, und den Geiersberg 
und grofsen Hayn im Osten von Friedland, von denen der letz- 
tere der höchste und ausgedehnteste ist. Sie erscheinen als die 
östlichsten Ausläufer der grofsen Phonolithmassen des böhmi- 
schen Mittelgebirges, die sich durch Sachsen und die Lausitz 
bis hierher ziehen. Weiter ostwärts in Polen, Rufsland und 
Sibirien ist kein Phonolith bekannt. Er ist bei Friedland wie 
auch häufig an andern Orten von Basalt umgeben; das macht 


*) Aulser kleinen eingemengten Geschieben liegen erratische Blöcke 
von ganz bedeutender Grölse oft ganz auf der Höhe der Sandberge. 

*“) Die Braunkohlen von Wustung und die Thonlager bei Friedland 
werden abgebaut. 


% 


B 


vom 30. October 1856. 449 


schon seinen neuern Ursprung wahrscheinlich, der Verfasser 
hat hier aber noch bestimmtere Beweise für diese Meinung ge- 
funden. An der Südseite des Geiersberges nämlich treien an der 
Stralse nach Liebwerda bei der Steinwegbrücke noch einmal 
Phonolith und Basalt unter dem bedeckenden Sande hervor, sie 
sind in dem Chausseegraben schön entblöfst, und wenn auch 
schon verwittert, doch noch deutlich erkennbar, und hier sieht 
man den Phonolith Stücke von Basalt einschlielsen, so deut- 
lich, dals darüber kein Zweifel stattfinden kann. Hiernach ist 
also offenbar der Phonolith neuerer Entstehung als 
der Basalt. 


Hr. Encke legte photographische Zeichnungen 
des Mondes von Hrn. Secchi in Rom vor. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


|  Chronicon Placentinum et Chronicon de rebus in Italia gestis, ed. Huillard- 
Breholles. Parisiis 1856. 4. 
Bulletin de la societe des naturalistes de Moscou. Annee 1856, no. 2, 
| , Moscou 1856. 83. ; 
| ‚ Verhandlungen der phys.-medizinischen Gesellschaft in Würzburg. 7.Bd., 
Heft 2. Würzburg 1856. 8. 
Marignac, Hecherches sur les formes cristallines et la composition chi- 
mique de divers sels. (Geneve 1856.) 8. 
Studien des Göttingischen Vereins bergmännischer Freunde. 7. Bandes 
Heft 1. Göttingen 1856. 8. 
DelaRive, Des experiences de M. Volpicelli sur la polarite electrosta- 
tique. (Geneve 1855.) 4. 
Reinaud, /apport sur le tableau des dialectes de !’Algerie de M. Ges- 
lin. Paris 1856. 8. 
—- Deseription d’un fusil oriental. (Paris 1856.) 8. 
Vicomte de Rouge, Le po@me de Pen-Ta-Our. Paris 1856. 8. 
Corpus Inscriptionum Graecarum. 'Tomus IV, Fasc. 1. Berolini 1856. 
Folio. 
Elias Durand, Plantae Kaneanae groenlandicae. (Philad. 1856.) 4. 
Förhandlingar vid de Skandinaviske Naturforskames sjette möte i Stock- 
holm. Stockhulm 1855. 8. 


[1856.] 35 


450 Nachtrag 


Nachtrag zur Sitzung vom 4. August. 


Hr. du Bois-Reymond las „über die innere Pola- 
risation poröser, mit Elektrolyten getränkterHalb- 
leiter.” a 

In der am 17. Juli der Akademie gemachten Mittheilung 
habe ich eine neue Art von Polarisation beschrieben, welche 
ihren Sitz an der Grenze ungleichartiger Elektrolyte hat, die 
vermöge ihrer verschiedenen Dichte auf einander gelagert sind. 
Im Folgenden werde ich eine zweite Art von Polarisation be- 
schreiben, die sich in solchen Theilen von Kreisen bemerklich 
macht, welche scheinbar nur aus Elektrolyten bestehen, und 
die sich mit jener ersten Art, wenn nicht zu ihrer Scheidung 
besondere Vorkehrungen getroffen sind, algebraisch zu sum- 
miren pflegt. 

Die Vorrichtungen zur Beobachtung derselben sind im 
Wesentlichen ganz dieselben, die in der vorigen Abhand- 
lung vorkamen, eine vielgliedrige Grove’sche Säule, der Mul- 
tiplicator von 24160 Windungen, die beiden Paare von Zu- 
leitungsgefälsen, und die Wippe nebst dem sie in gegebenen 
Zeiträumen bewegenden Uhrwerk. Ebenso sind stets dieselben 
Vorsichtsmalsregeln wie dort, hinsichtlich der Isolation der 
beiden Kreise von einander, der Gleichartigkeit des Multipli- 
catorkreises u. d. m., als mit äulserster Sorgfalt getroffen zu 
denken. 

Man stelle sich nun die Vorrichtung in der oben S. 401, 402 
beschriebenen Gestalt vor, wo die beiden Paare von Zuleitungs- 
gefälsen mit Zuleitungsbäuschen versehen, und über dieselben 
gebrückte Hülfsbäusche an Stelle der Hülfsgefälse getreten sind. 
Wir wollen dies die Hförmige Anordnung nennen, da, 
wenn die Hülfsbäusche sowohl als der über sie gebrückte durch- 
strömte Bausch von der Art sind, die ich die* balkenförmige 
nenne (S. oben S. 402) und die hier die bequemste ist, die 
drei balkenförmigen Bäusche zusammen die Gestalt eines H bil- 
den, dessen Querstück der auf Polarisation zu prüfende, ab- 
wechselnd dem Säulen- und dem Multiplicatorkreis angehörige 
Leiter 4 der vorigen Abhandlung (S. oben S. 395) darstellt. 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 451 


Es wurde gesagt, dals man, bei dieser Form des Ver- 
suches, die Polarisation an der Grenze ungleicharliger Elek- 
trolyte mit Sicherheit nur dann beobachten könne, wenn der 
die Hülfsbäusche und den darüber gebrückten balkenförmigen 
Bausch tränkende Elektrolyt, ein verhältnilsmälsig gut leitender 
sei. Ist dies nicht der Fall, so treten Störungen auf, welche 
eben auf der neuen hier darzulegenden Art von Polarisation 
beruhen. 

Wird z. B. der das Querstück des H bildende balken- 
förmige Bausch, mit destillirtem oder Brunnenwasser getränkt, 
über die mit Kechsalzlösung getränkten, die Schenkel des H 
vorstellenden Hülfsbäusche gebrückt, so sollte eine rein posi- 
tive Wirkung erfolgen, nach dem zu urtheilen, was sich mit 
dem heberförmigen Wasserrohr zwischen den mit Kochsalz- 
lösung gefüllten Hülfsgefälsen zuträgt. (S.oben S.400, 401.) 
Man erhält aber einen negativen Ausschlag, dem ein stärkerer po- 
sitiver Rückschwung folgt. Die grölsere Stärke des Rück- 
schwunges beruht nicht etwa auf der Entladung der polari- 
sirten Platinenden des Multiplieators, denn lälst man eine ge- 
wisse Zeit zwischen Öffnung des Säulen- und Schlielsung 
des Multiplicatorkreises, so erfolgt ein rein positiver Ausschlag. 
Dasselbe ist der Fall, wenn die Dauer der Durchströmung eine 
gewisse Grenze überschreitet, endlich wenn man den balken- 
förmigen Bausch sehr kurz nimmt. Verlängert man ihn hin- 
gegen, so tritt die positive Wirkung mehr und mehr, zuletzt 
bis zur Unmerklichkeit, zurück. 

Es ist also klar, dals man es mit zwei secundär - elektro- 
motorischen Wirkungen zu thun hat, einer positiven, die wir 
schon kennen, an der Grenze des Wassers und der Kochsalz- 
lösung, und einer negativen, welche, flüchliger als jene, an- 
fangs schneller, dann langsamer mit der Dauer der Durchströ- 
mung wächst, und deren Stärke merkwürdigerweise von der 
Länge des durchströmten Wasserbausches abzuhängen scheint '). 


*) Dieser letztere Umstand erklärt, weshalb in dem oben S. 404 be- 
schriebenen Versuch nach dem Schema des Peltier’schen Kreuzes ein 
Wasserbausch ohne Gefahr vor Täuschung angewendet werden konnte, 
Da nur eine sehr kurze Strecke der vom Strom durchflossenen Hälfte des 

a 


452 Nachtrag 


Es gelingt leicht, diese neuhinzugetretene Wirkung von 
der ersteren getrennt darzustellen, indem man auch die Hülfs- 
bäusche mit Wasser statt mit Kochsalzlösung tränkt. Alsdann 
hat der Säulenstrom innerhalb der Strecke, die nachher zu einem 
Theil des Multiplicatorkreises wird, keine Grenze ungleichartiger 
Elektrolyte zu überschreiten, die erstere Art der Polarisation ist 
ausgeschlossen und mit Kochsalzlösung oder sonst einer gutlei- 
tenden Flüssigkeit in den Hülfsbäuschen und dem balkenför- 
migen Bausch erhält man, wie aus der vorigen Abhandlung 
hervorgeht, keine Spur von secundär-elektromotorischer Wir- 
kung. Mit Wasser dagegen erfolgt ein starker negativer Aus- 
schlag. 

Es giebt eine andere Art die neue secundär- elektromotori- 
sche Wirkung zu beobachten, welche man die Methode der 
vier Bäusche nennen kann, und welche geeignet ist, eine 
bessere Einsicht in die Natur derselben zu gestatten. Der 
durchströmte balkenförmige Wasserbausch ruht mit seinen bei- 
den Enden auf den Zuleitungsbäuschen der Säule auf. Die Zu- 
leitungsbäusche des Multiplicators sind mit Fortsätzen versehen, 
die ich die Keilbäusche nenne, und von denen es schwer ist, 
ohne Abbildung ein klares Bild zu geben. Es genüge zu sa- 
gen, dals sie, wagerecht frei in die Luft ragend, in senkrechte 
Schneiden von etwa 15"= Länge auslaufen. Diese Schneiden 
werden, mit Sicherheitsbäuschen bekleidet, an zwei beliebige 
Punkte des durchströmten Wasserbausches angelegt. Die Si- 
cherheitsbäusche bestehen aus einigen Lagen nach den Keil- 
bäuschen zu mit Salzlösung, nach dem Wasserbausch zu mit 
Wasser getränkten Fliefspapieres. Sie erfüllen hier den wichtigen 
Zweck, zu verhindern, dafs nicht Salzlösung von den Schnei- 
den der Keilbäusche aus in den Wasserbausch eindringe. Ge- 


Bausches sich nachmals im Multiplicatorkreise befand, mulste die secundär- 
elektromotorische Wirkung, die uns hier beschäftigt, verschwinden gegen 
die Polarisation an der Grenze des Wassers und der Kochsalzlösung. 
Die in diesem Aufsatze enthaltenen Erfahrungen sind es beiläufig, die mich 
bestimmten, die Heberröhren zwischen den Hülfsgefälsen (s. oben $.398) 
nicht mit Blase, Flie[spapier oder sonst einem Stoff der Art zu verschliefsen, 
obschon diels in vielen Fällen allerdings ohne Schaden hätte geschehen 
können. 


\ 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 453 


schieht dies, so mischt sich die Polarisation an der Grenze des 
Wassers und der Kochsalzlösung in das Ergebnifs ein, die man 
ja eben daraus zu verbannen sucht. Unter dem Schutz der 
Sicherheitsbäusche aber kann man nunmehr mittelst dieser Vor- 
richtung ein beliebiges Stück der Länge des Wasserbausches 
auf eine darin entwickelte secundär-elektromotorische Kraft prü- 
fen, und gelangt dabei zu folgenden Ergebnissen. 

Rückt man mit den in beständigem Abstande gehaltenen 
Schneiden dem balkenförmigen Wasserbausch entlang, so er- 
hält man, unter sonst gleichen Umständen, stets einen gleich 
starken negativen Ausschlag. 

Legt man die Schneiden zweien von der Mitte des Bau- 
sches gleich weit entfernten Punkten seiner Länge an, und 
wählt dabei ihren Abstand bald kleiner bald grölser, so wächst 
die Stärke der secundär-elektromotorischen Wirkung mit jenem 
Abstande, vorausgesetzt dafs ein hinlänglicher aulserwesent- 
licher Widerstand im Multiplicatorkreise zugegen ist. 

Die Stärke der seeundären Wirkung wächst bis zu einer 
Grenze, die ich noch nicht bestimmt habe, mit der Dauer des 
ursprünglichen Stromes und mit seiner Dichte im durchströmten 
Bausche, d. h. mit dem Quotienten aus dem Querschnitt des 
Bausches in die Stromstärke. Diese Wirkung ist, wie schon 
bemerkt, sehr flüchtiger Art; natürlich kann man sie um so 
länger nach Entfernung des Bausches aus dem Säulenkreise 
nachweisen, je grölser Dauer und Dichte des ursprünglichen 
Stromes waren. 

Aus alledem folgt dals hier jeder durchströmte Querschnitt 
der Sitz einer gleich grofsen secundär- elektromotorischen Kraft 
in der dem ursprünglichen Strom entgegengesetzten Richtung 
wird. Der Bausch wird zeitweise in eine Art von secundärer 
Säule aus gleichförmig in seinem Inneren vertheilten elektiro- 
motorischen Elementen verwandelt, und die neue Polarisation 
wird daher passend den Namen der inneren Polarisation 
erhalten, im Gegensatz zur äuflseren Polarisation der 
Elektrolyte, welche an der Grenze derselben ihren Sitz hat. 

Um die Natur jener secundär-elektromotorischen Elemente 
im Inneren des Bausches etwas näher kennen .zu lernen, wird 


454 Nachtrag 


es nützlich sein, unsere Versuche auf einige andere Körper 
auszudehnen. 

Beim Tränken des durchströmten Bausches mit Hühner- 
eiweils, Ammoniakflüssigkeit, Essigsäure, schwefelsaurer Kupfer- 
oxydlösung, nimmt man ebenfalls Zeichen innerer Polarisation 
wahr. Bei der letzteren Flüssigkeit sind sie fast unmerklich. 
Zusatz von Alkohol zum Wasser, wodurch der eigenthümliche 
Widerstand des letzteren erhöht wird, vermindert die Stärke der 
inneren Polarisation, und macht sie, bei wachsendem Alkohol- 
gehalt, zuletzt unmerklich. 

Keine von diesen Flüssigkeiten, und ebensowenig destil- 
lirtes und Brunnenwasser, zeigt an und für sich eine Spur von 
innerer Polarisation. Man kann dies mittelst des heberförmigen 
Rohrs zwischen den Hülfsgefälsen zeigen, indem man alle drei 
mit derselben Flüssigkeit füllt. Bequemer ist es, sich einer 
oben offnen Hförmigen Rinne aus Guttapercha zu bedienen, 
welche wagerecht zwischen den Zuleitungsgefälsen der Säule 
und des Multiplicators aufgestellt wird, gegen deren Zuleitungs- 
bäusche man ihre vier, mit Blase oder Flielspapier überbundenen 
Enden stolsen lälst. 

Offenbar mufs also die Substanz des Bausches selber, d. h. 
die Holzfaser des Papieres, hier eine Rolle spielen. Es mufs 
daher untersucht werden, ob auch andere, im trocknen Zustand für 
Nichtleiter geltende poröse Körper, wenn sie in ihren Hohlräumen 
Wasser oder verhältnifsmälsig schlecht leitende Flüssigkeiten 
enthalten, die Erscheinung der inneren Polarisation darbieten. 

Der Erfolg dieser Untersuchung ist, dals es fast schwerer 
hält, poröse Körper aufzufinden, die mit Wasser oder mit einer 
Flüssigkeit von entsprechenden Leitungsverhältnissen getränkt, 
keine innere Polafisirbarkeit zeigen, als das Gegentheil. Die 
innere Polarisirbarkeit stellt sich somit als eine 
sehr allgemein verbreitete Eigenschaft feuchter 
poröser Körper dar. 

Zur Untersuchung dienten vorzüglich zwei Methoden, die 
der vier Bäusche, und die der Hförmigen Anordnung, die man 
begreiflich noch mit anderen Materialien herstellen kann als mit 
Bäuschen. Doch versteht es sich von selber dals das erstere 
Verfahren bei weitem allgemeiner angewendet werden kann. 


zur Sitzung vom 4. August 1856 455 
Wo es anging, ertheilte ich den feuchten porösen Körpern die 
Gestalt eines Prisma’s von 50”= Länge und einem quadrati- 
schen Querschnitt von etwa 15”” Seite. Halbflüssige Körper 
wurden in der Hförmigen Guttapercharinne untersucht. 

Die auf innere Polarisirbarkeit geprüften Körper lassen 
sich in folgende vier Gruppen bringen: 

I. Unorganische Körper, als da sind Kreide, Kalk- 
stein, Sandstein, Thonschiefer, Trachyt, Bimsstein, Hydrophan, 
erhärteter Gyps, gebrannter Thon, plastischer Thon. Alle diese 
Stoffe, und noch manche ihnen ähnliche, zeigen mit Wasser getränkt 
ein mehr oder weniger hohes Maafs innerer Polarisirbarkeit. Der 
plastische Thon ') im lufttrocknen Zustande giebt nur eine sehr 
schwache, und mit dem achtfachen Gewicht Wassers ange- 
rieben, keine merkliche Spur von Polarisation. Dazwischen 
aber liegen alle Stufen der Wirksamkeit bis zur Erzeugung 
eines Ausschlages von beinahe 90°, den man mit dem Thon 
im guten plastischen Zustande erhält; so dals die Stärke 
des Polarisationsstromes, der durch ein gegebenes Prisma feuch- 
ten Thones in einem gegebenen Kreise erzeugt wird, ein Maxi- 
mum besitzt in Bezug auf den Wassergehalt des Thones. Aber 
noch ein ganz dünnflüssiger Thenbrei gab in der Hförmigen 
Guttapercharinne eine deutliche secundär-elektromotorische Wir- 
kung, welche ausblieb, wenn ich während der Übertragung der 
Schlielsung vom Säulen- auf den Multiplicatorkreis die Flüs- 
sigkeit in dem Querstück des H mit einem Glasstab umrührte. 

Mit Kochsalz-, mit Kalihydratlösung oder, wenn ihre Na- 
tur es erlaubte, mit Säuren getränkt, lielsen die aufgezählten 
Körper meist keine Spur innerer Polarisirbarkeit erkennen. 
Nur Bimsstein mit Schwefelsäure und Kreide mit Kalihydrat- 
lösung getränkt machen eine Ausnahme. 

Deutliche Zeichen innerer Polarisirbarkeit versagten hin- 
gegen auch mit destillirtem Wasser als Tränkungsflüssigkeit: 
Asbest (nach der Faserrichtung durchströmt), reiner Quarz- 
sand in seinem ursprünglichen Zustande, derselbe fein ge- 
mahlen und geschlemmt, wie er von der hiesigen Königl. 

‘) Es war derselbe Modellirthon der hiesigen königl. Porzellan- 


Manufactur, dessen ich mich zur Wiederholung der thermoelektrischen 
Versuche N obili’s bedient hatte. S. diese Berichte 1852. S. 117. 


456 Nachtrag 


Porzellan-Manufactur gebraucht wird‘), gebrannte Magnesia, 
Schwefelblumen. Die vier letzteren Stoffe wurden in Gestalt 
eines dicken Breies in der Hförmigen Rinne untersucht. 

Eis, Krystalle von schwefelsaurem Zink- und Kupferoxyd 
sind auch unwirksam; nicht zu verwundern, da man sie sich 
im Inneren als trocken zu denken hat, und wenn in den beiden 
letzteren Flüssigkeit enthalten wäre, diese doch zu den besser- 
leitenden würde zu rechnen sein. 

U. Organische, aber nicht organisirte Körper 
als: Geronnenes Hühnereiweils, geronnener Faserstoff, durch 
Schlagen des Blutes erhalten, Seife aller Art. Diese Körper 
zeigen innere Polarisirbarkeit. Die der Seife befolgt, in Be- 
zug auf den Wassergehalt, ein ähnliches Gesetz wie die des 
Thones. 

Blutkuchen, erstarrter Leim, seidene Schnur, Schweizer- 
Käse, krystallisirter Rohrzucker gaben keine innere Polarisation. 

III. Organisirte Pflanzentheile aller Art, oder pflanzliche 
Gewebe, gleichviel ob frisch, mit ihren natürlichen Säften gefüllt, 
oder nach der 'Trocknils, nach mannigfacher Verarbeitung erst 
mit Wasser getränkt, zeigen sehr starke innere Polarisirbarkeit. 
Stücke von Stengeln oder Blattstielen, von holzigen Zweigen, 
Prismen aus saftreichen Früchten, aus Wurzeln und Knollen 
geschnitten, warfen nach wenigen Secunden Aufenthalt im 
Kreise der dreifsiggliedrigen Grove’schen Säule die Nadel des 
Multiplicators für den Nervenstrom, ja oft die des Multipli- 
cators für den Muskelstrom (4650 Windungen) mit Heftigkeit 
an die negative Hemmung. Das sogenannte Albumen der Parä- 
Nufs (des Saamens von Bertholletia excelsa) gab allerdings keine 
Spur von Wirkung, schien aber auch fast vollständig zu isoliren. 

Hölzerne Stäbe aus verschiedenen Holzarten in Brunnen- 
wasser gesotten, von (Querschnitt zu Querschnitt zwischen den 
Zuleitungsbäuschen der Säule durchströmt, und mittelst der 
Keilbäusche abgeleitet, gaben erstaunlich starke Wirkung. Wur- 
den sie mit Salzlösung getränkt, so war zwar die innere Po- 
larisation noch wahrnehmbar, jedoch unvergleichlich kleiner als 
vorher. Wurde die Hförmige Guttapercharinne mit einem 


‘) Ich verdankte ihn der Güte des Hrn, Dr. Elsner. 


\ 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 457 


_ Brei vom Eichensägespänen und Brunnenwasser gefüllt, so gab 
sie lebhafte Polarisation. Wurde der Brei während der Über- 
tragung der Schlielsung vom Säulen- auf den Multiplicatorkreis 
umgerührt, so blieb die Wirkung aus. 

Hanfene Schnur, Baumwollendocht, geben kräftige Wir- 
kung, so dafs sich mit Hülfe dieses Verhaltens eben so sicher, 
aber freilich auch eben so umständlich, eine Verfälschung der 
Seide mit Baumwolle nachweisen lielse, wie nach Rousseau’s. 
Vorschlag eine Verfälschung des Olivenöls durch dessen ver- 
minderten Widerstand. 

Endlich bedarf es kaum der Erwähnung, dafs hieher die 
innere Polarisirbarkeit des Flielspapieres gehört, welche uns 
zum Ausgangspunkt für unsere ferneren Beobachtungen ge- 
dient hat. 

IV. Die vierte Gruppe von Körpern wird durch die thie- 
rischen Gewebe gebildet. Die secundär- elektromotorischen 
Erscheinungen derselben, mit Einschlufs der Nerven und Mus- 
keln, werde ich zum Gegenstande besonderer Mittheilungen an 
die Akademie machen, und begnüge mich hier mit der vorläu- 
figen Bemerkung, dafs man auch an diesen Körpern der inneren 
Polarisirbarkeit als einer weit verbreiteten Eigenschaft begegnet. 

Wir kehren zurück zur näheren Erforschung der Erschei- 
nung selber. Leider habe ich an unmittelbaren Ergebnissen 
der Beobachtung nicht viel mehr aufzuzählen. 

Was die absolute Gröfse der Wirkungen betrifft, so bin ich 
vor der Hand eben so wenig im Stande eine allgemein ver- 
gleichbare Bestimmung derselben mitzutheilen, als mir dies 
für die äulsere Polarisation der Elektrolyte möglich war. Doch 
muls ich es zweifelhaft lassen, ob nicht in günstigen Fällen 
die innere Polarisation der feuchten porösen Körper im Kreise 
der Säule selber, die sie hervorrief, bemerkt werden könne. 
Wenigstens lielse sich darauf der Umstand beziehen, der sich 
bei der obigen Versuchsreihe an verschiedenen porösen Körpern 
ergab, dals nämlich diejenigen darunter im Allgemeinen die 
stärkste innere Polarisation gaben, die, mit demselben Elektro- 
Iyten getränkt, den ursprünglichen Strom am meisten schwäch- 
ten. Der Unterschied in der Stärke des letzteren schien frei- 


458 Nachtrag 


lich oft zu beträchtlich, um auf die secundär- elektromotori- 
sche Kraft der inneren Polarisation gedeutet zu werden; auf 
der anderen Seite aber fehlt es, wie sich zeigen wird, an einer | 
nothwendigen Beziehung zwischen Widerstand und innerer 
Polarisirbarkeit der feuchten porösen Körper, wodurch jener 
Umstand erklärlich würde. 

Die innere Polarisation der feuchten porösen Körper zeigt 
dieselbe Abhängigkeit von der Temperatur, wie die gewöhn- 
liche Polarisation an der Grenze der Elektrolyte und der Me- 
talle. Ich stellte die ursprüngliche Vorrichtung mit den Hülfs- f 
gefälsen voll Wasser zwischen den Zuleitungsgefälsen der | 
Säule und denen des Multiplicators her, aber an Stelle des 
über die Hülfsgefälse gebrückten heberförmigen Rohres, des- 
sen wir uns zur Untersuchung der Polarisation an der Grenze 
ungleichartiger Elektrolyte bedienten, trat jetzt ein System 
von Röhren, dessen nach abwärts gebogenen mittleren wei- 
teren Theil ich mit Wasser und mit innerlich polarisirbaren 
Stoffen anfüllen und dann seine Temperatur bis zum Siede- 
punkt des Wassers erhöhen konnte. Es wurde Sorge ge- 
tragen, dals der Widerstand des erwärmten Theiles gegen 
den des übrigen Multiplicatorkreises annähernd verschwand, 
so dals die Verminderung dieses Widerstandes durch Er- 
höhung der Temperatur nicht in Betracht kam. Mit Baum- 
wollendocht und Fliefspapier gelang der Versuch nicht, in- 
sofern die innere Polarisation dieser beiden Körper sich als 
zu schwach erwies, um unter den Umständen des Versuches 
eine merkliche Wirkung am Multiplicator für den Nerven- 
strom zu erzeugen. Hingegen bei Gegenwart von Hanfschnur, 
von Thonschiefer oder von Badeschwamm in dem Rohr ergab 
sich bei 100° C. für die beiden ersteren Körper eine deutliche 
Verminderung, für den letzteren, der sehr starker innerer Po- 
larisation fähig ist, ein gänzliches Verschwinden der secundär- 
elektromotorischen Wirkung. 

Mit diesem, trotz den dauernden Bemühungen, die ich dem 
Gegenstande gewidmet habe, ziemlich kärglichen Material haben 
wir es nun zu unternehmen, uns eine Meinung über die Ur- 
sache der inneren Polarisation zu bilden. 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 459 


Zuerst will ich hier, wie bei der äufseren Polarisation der 
Elektrolyte, einige Vermuthungen kurz zurückweisen, auf die 
man beim ersten Anblick verfallen könnte. 

Hier, wie dort, kann zunächst nicht an Temperatur-Unter- 
schiede als an die Ursache der Polarisation gedacht wer- 
den. Zwar würde diese Hypothese hier mehr als dort be- 
rechtigt sein, insofern es nicht an Spuren fehlt, dals an der 
Übergangsstelle des Stromes aus einem besseren in einen 
schlechteren, und an der aus einem schlechteren in einen bes- 
seren Leiter, verschiedene Erwärmung stattfinde, und in sofern 
es sich hier um feuchte poröse Körper handelt, an denen 
Thermoströme wirklich nachgewiesen sind. Zu den "Tempe- 
raturströmen am menschlichen Körper und den Thonthermo- 
strömen Nobili’s kann ich jetzt beiläufig noch ganz ähnliche 
Ströme binzufügen, die ich an Fliefspapierbäuschen beobachtet 
habe. Allein hier so wenig wie bei der äulseren Polarisation 
ist es mir gelungen, unter den Umständen meiner Versuche, 
mittelst des oben S. 406 erwähnten Thermometers, einen Tem- 
peratur-Unterschied nachzuweisen, obschon nicht unmöglich 
wäre, dals bei einer anderen Anordnung ein solcher bemerk- 
lich würde; und aulserdem sprechen noch eine Menge Gründe 
gegen einen solchen Ursprung der neuen secundär - elektromo- 
torischen Kraft. 

Es handelt sich vielmehr sichtlich dabei, wie schon oben 
S. 453 bemerkt wurde, um die Erzeugung sehr kleiner nega- 
tiv elektromotorischer Kräfte auf dichtgedrängten Punkten des 
feuchten porösen Körpers, und die zur Erklärung dieser That- 
sache zuerst zu lösende Frage ist die nach den Eigenschaften, 
welche poröse Körper, und denen, welche Elektrolyte besitzen 
müssen, damit erstere, mit letzteren getränkt, innere Polarisir- 
barkeit darbieten. 

Man könnte, mit Hinblick auf die pflanzlichen und thieri- 
schen Gewebe, daran denken, dafs in einem innerlich polarisir- 
baren Körper ein häufiger Wechsel zweier Elektrolyte statt- 
finde, an deren Grenze negative äulsere Polarisation entwickelt 
wird. Diese Meinung ist unhaltbar gegenüber der inneren 
Polarisirbarkeit gewisser anderer Körper, z. B. des mit destil- 
lirtem Wasser getränkten Hydrophans. 


460 Nachtrag 


Die für die innere Polarisirbarkeit wesentlichen Eigen- 
schaften der feuchten porösen Körper können weder chemische 
noch mechanische sein. Zwischen Holzfaser, Kieselsäure, koh- 
lensaurem Kalk einerseits, und destillirttem Wasser andererseits, 
ist wohl an keine chemische Wechselwirkung, auch unter dem / 
Einflusse des Stromes, zu denken. Was aber ihre physische 
Beschaffenheit betrifft, so bieten die innerlich polarisirbaren 
Körper alle erdenklichen Abänderungen des festen Aggregat- 
zustandes dar, während innerlich polarisirbare und nichtpola- 
risirbare Körper mitunter ganz gleiche Aggregatzustände zu be- 
sitzen scheinen. Ich erinnere nur an Sandstein, Seife, geron- | 
nenen Faserstoff und Thonbrei, welche alle innere Polarisir- | 
barkeit besitzen, während Asbest, Käse, Leim und Magnesiateig 
die Erscheinung nicht zeigen. Das Einzige, was sich aus einer 
Betrachtung der mechanischen Eigenschaften der innerlich po- 
larisirbaren Körper entnehmen läfst, ist, dafs die Stärke der in- 
neren Polarisation einigermalsen gleichen Schritt zu halten 
scheint mit der Annäherung der festen Theilchen aneinander. 
Also z. B. ist die innere Polarisation des Kalksteins, des Hol- 
zes und des durch Schlagen gewonnenen Faserstoffes stärker 
als die der Kreide, des Fliefspapiers und des Blutkuchens. Auch 
gelang es mir durch einen während des Versuches passend 
ausgeübten Druck die innere Polarisirbarkeit des Flielspapieres 
scheinbar zu erhöhen; aber ich versuchte vergeblich, einem 
lockeren Haufwerk fester Theilchen, das mit Wasser getränkt 
keine innere Polarisirbarkeit zeigte, wie dem Teig von Schwe- 
felblumen oder gebrannter Bittererde, solche durch Zusammen- 
drücken zu ertheilen. 

Von eben so geringer Bedeutung ist für die innere Pola- 
risirbarkeit offenbar die elektrochemische Beschaffenheit der trän- 
kenden Elektrolyte. Wasser, insbesondere destillirtes, haben wir 
zur Tränkung der porösen Körper, welche innere Polarisation 
zeigen sollen, am meisten geeignet gefunden; aber auch Essig- 
säure, schwefelsaure Kupferoxydlösung und Ammoniakflüssigkeit 
lassen die Erscheinung in geringem Grade zu, während Koch- 
salzlösung, die Mineralsäuren, Kalihydratlösung, nur ausnahms- 
weise eine Spur davon wahrzunehmen erlauben. 

Dagegen drängt sich im Lauf der Versuche sofort die Be- 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 461 


merkung auf, deren denn auch gleich Eingangs Erwähnung 
geschah, dafs nämlich die Elektrolyte, mit denen getränkt po- 
röse Körper innerlich polarisirbar werden, sämmtlich ein ge- 
wisses, beträchtliches Maals eigenthümlichen Widerstandes be- 
sitzen. Dabei handelt es sich ganz bestimmt um den eigen- 
thümlichen Widerstand, und nicht etwa darum, dals der Wider- 
stand des innerlich zu polarisirenden Körpers einen grolsen 
Theil des Gesammtwiderstandes des Kreises ausmache. Dies 
geht daraus hervor, dals, trotz der grölseren darin herr- 
schenden Stromdichte, ein mit Salzlösung oder verdünnter 
Schwefelsäure getränkter Zwirnsfaden doch keine Spur von in- 
nerer Polarisation zeigt. 

Da die wesentliche Bedingung für das Zustandekommen 
innerer Polarisation von Seiten des Elektrolyten sich somit 
auf dessen elektrisches Leitungsvermögen bezieht, so erscheint 
es rathsam, auch einmal die innerlich polarisirbaren porösen 
Körper aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten. Und wirk- 
lich bietet sich dabei alsbald eine einfache und in den mei- 
sten Fällen ausreichende Erklärung der neuen Thatsachen dar. 

Zunächst ist es an der Zeit zu bemerken, dafs die secun- 
‚där-elektromotorischen Wirkungen der feuchten porösen Kör- 
psr ihrem Gesetze nach genau dieselben sind, die man erwarten 
sollte von einem Stück wohlausgeglühter, also metalläbnlich 
leitender Kohle, die mit irgend einem Elektrolyten getränkt, 
dem Strom ausgesetzt würde. Jedes beiderseits vom Elektro- 
Iyten bespühlte Kohlenplättchen, welches der Strom durchläuft, 
mülste wirken wie eine metallische Zwischenplatte, es müfsten 
sich daran die Anionen und Kationen ausscheiden, und in 
Folge davon das Plättchen der Sitz einer Polarisation der ge- 
wöhnlichen Art werden. 

Ich habe dies durch den Versuch bestätigt. Verkohlte 
Zweige vom Faulbaum (Prunus Padus) und von Erlen (4inus), 
wie sie zur Bereitung von Schielspulver gebraucht werden, die 
ich aber nachträglich ausgeglüht hatte, tränkte ich mit Was- 
ser, Kochsalzlösung, verdünnter Schwefelsäure, schwefelsaurer 
Kupferoxydlösung. Bereits nach kurzem Aufenthalt im Kreise 
eines einzigen Grove’schen Bechers gaben sie die kräftigsten 
Wirkungen ganz nach demselben Gesetze, wie der frische 


K2 


462 Nachtrag 


Zweig es gethan haben würde. So verhielten sich beiläufig 
auch Cylinder erstarrten Leimes, in dem Messingfeilspäne vertheilt. 
waren, und die ich mir dadurch verschaffte, dafs ich den mit] 
Feilspänen gemengten Leim in geölten Reagenzgläsern erstar- 
ren liels und das Glas über dem entstandenen Cylinder zer-| 
trümmerte. Verschiedene Kohlenstücke wirkten übrigens sehr 
verschieden kräftig, wie es ja seit langer Zeit bekannt ist, | 
dafs die Leitung der Kohle aufserordentlichen Schwankungen 
unterworfen ist. 

Unter anderen Unregelmäfsigkeiten, die hier für uns von 
keiner Bedeutung sind, bot sich aber eine dar, die wohl un- 
serer Aufmerksamkeit werth ist. Tränkte ich nämlich nach ein- 
ander ein und dasselbe Koblenstück mit Wasser und mit Koch- 
salzlösung, so sollte, erwartete ich, die durch gleich lange 
Schliefsung einer und derselben Kette bewirkte Polarisation im 
ersten Falle schwächer ausfallen als im letzteren. Keinesweges 
traf dies zu, sondern nicht selten war die Polarisation in der mit 
Wasser getränkten Kohle trotz der sehr viel geringeren Strom- 
stärke bedeutend stärker als in der mit Salzlösung. 

Man kann diese Erscheinung so auffassen, dafs man sich 
vorstellt, die in der Kohle oder dem mit Messingspänen er- 
füllten Leimcylinder stattfindende Polarisation, und die von uns 
sogenannte innere Polarisation der feuchten porösen Körper, 
hätten mit einander nichts gemein, als das Gesetz, wonach die 
secundär-elektromotorischen Kräfte im Inneren des Leiters ver- 
theilt sind. Ihre physische Ursache sei übrigens ganz ver- 
schieden; und man kann alsdann die Art der inneren Polarisa- 
tion, die den Gegenstand dieser Abhandlung bildet, die ächte, 
und die der Kohle und des Leimcylinders voll Messingspäne 
die unächte innere Polarisation nennen. Man kann sich vor- 
stellen, die sich oft zeigende stärkere innere Polarisation der 
Wasserkohle im Gegensatz zu der der Salzkohle beruhe darauf, 
dafs die Kohle in jenen Fällen noch zum Theil die ächte in- 
nere Polarisation des Holzes behalten habe, und dafs diese sich 
bei der Wasserkohle zur unächten inneren Polarisation hinzu- 
füge, welche bei der Salzkohle allein hervortrete. 

Viel einfacher und ohne Zweifel naturgemälser ist es wohl 
folgendermalsen zu schliefsen. Es giebt nur eine Art der in- 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 465 


neren Polarisation; die vermeintlich ächte der feuchten porösen 
Körper und die unächte der Kohle und des Leimcylinders be- 
ruhen auf derselben physischen Ursache. 

Die Körper, welche nur mit schlechtleitenden Elektrolyten 
getränkt, innere Polarisirbarkeit zeigen, gelten allerdings im 
trocknen Zustande gemeinhin für Nichtleiter, wenigstens im 
Gebiete des Galvanismus. Im Gebiete der Reibungselektricität, 
wo in dieser Beziehung schärfer unterschieden wird, gelten 
aber bereits viele derselben für Halbleiter. Berührt man damit 
den Knopf eines geladenen Elektroskopes, so fallen die Gold- 
‚blätter langsam zusammen. Jene Körper leiten also, wenn 
auch noch so schwach; und in sehr dünnen Schichten kann so- 
gar ihr Leitvermögen nicht ganz unbeträchtlich sein. 

Dabei ist anzunehmen, dafs sie nach Art der Metalle, 
physisch, nicht elektrolytisch leiten. Wenn sie folglich den 
Strom in einen Elektrolyten ein- oder aus demselben heraus- 
führen, so werden daran, wie an metallischen Elektroden, 
die Zersetzungsstoffe ausgeschieden werden; und es können, 
ja es müssen sogar dergestalt secundär - elektromotorische 
Kräfte in umgekehrter Richtung des ursprünglichen Stromes 
zu Stande kommen, ganz wie dies bei Zersetzung des Wassers 
zwischen Platinelektroden der Fall ist. 

Wollte man durch Elektroden aus irgend einem der obigen 
Halbleiter, die man in irgend einen Elektrolyten tauchen lielse, 
merkliche Ladungen zu Wege bringen, so würde dies aus 
leicht begreiflichen Gründen fehlschlagen. Keine Säule würde 
kräftig, kein Multiplicator empfindlich genug sein, damit eine 
Wirkung wahrgenommen würde. Leichter würde dies schon 
gelingen, wenn man, anstatt den schlechten Leiter in Gestalt von 
Elektroden in den Kreis zu bringen, ihm die Form einer aus- 
nehmend dünnen Zwischenplatte zu ertheilen vermöchte. Am 
zweckmälsigsten aber würde die Anordnung, wenn man nicht 
blols eine einzige solche dünne Zwischenplatte, sondern deren 
eine gewisse, nach den Umständen verschiedene Anzahl in 
den Kreis bringen könnte. 

Diese Anordnung leistet indels noch nicht ganz was sie 
soll. Man sieht nämlich, dafs dabei auch mit gutleitenden 
Elektrolyten Ladung eintreten mülste, ja sogar, wegen des 


464 Nachtrag 


geringeren Widerstandes, noch stärker, wenn man, wie wir 
dies in dieser Verhandlung bis auf Weiteres thun wollen, 
davon absieht, dafs ein und derselbe Strom an der Grenze ver- 
schiedener Elektrolyte und Halbleiter vermuthlich nicht stets 
einerlei secundär-elektromotorische Kraft erzeugt. Dies nun 
scheint mit unseren Versuchen im Widerspruch. 

Allein jetzt stelle man sich die halbleitenden Zwischen- 
platten von unzähligen kleinen Öffnungen durchbohrt vor, so 
dals der Elektrolyt frei durch dieselben zusammenhängt. Er 
wird nun eine Nebenschliefsung für den übrigen Theil der 
Zwischenplatten abgeben, und die Folge wird sein, dafs der 
Stromtheil, der noch durch die Zwischenplatten selber geht 
und der allein die secundär-elektromotorische Kraft erzeugt, 
abhängig wird von dem eigenthümlichen Widerstande des Elek- 
trolyten. Er wird um so kleiner, je besser der Elektrolyt lei- 
tet; und um so kleiner wird folglich die secundär - elektromo- 
torische Kraft. Es kommt aber noch hinzu, dafs die Wirkung, 
die diese Kraft nachher im Multiplicatorkreise hervorzubringen 
vermag, abermals geschwächt wird durch die Nebenschliefsung, _ 
die der durch die Öffnungen der Zwischenplatten zusammen- 
hängende Elektrolyt darbietet, und folglich um so kleiner wird, 
je geringer der eigenthümliche Widerstand des Elektrolyten, 
so dals sie, bei einem gewissen hohen Grade von Leitungs- 
fähigkeit desselben, gänzlich verschwinden kann. Freilich 
wird, mit abnehmendem Widerstande des Elektrolyten, auch 
die Stromstärke zunehmen. Allein man sieht, dafs die Ver- 
minderung der secundär - elektromotorischen Wirkung aus jenen 
Gründen ihre Vermehrung aus diesem Grunde leicht über- 
wiegen könne. 

Da nun andererseits mit einem Elektrolyten von unend- 
lich grolsem Widerstande die secundär-elektromotorische Wir- 
kung offenbar gleichfalls verschwindet, so ist deutlich, dafs ihre 
Stärke, bezogen auf den eigenthümlichen Widerstand des trän- 
kenden Elektrolyten, ein Maximum haben, und dafs dieses 
Maximum bei um so geringerem Widerstande des Elektrolyten 
stattfinden müsse, je geringer der Widerstand des porösen 
Halbleiters ist. 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 465 


Man sieht ferner, dals was hier vom eigenthümlichen Wi- 
derstande des Elektrolyten und des porösen Halbleiters gesagt 
wurde, auch Anwendung findet auf das Verhältnils der Grölse 
der Öffnungen in den Zwischenplatten zu der übrigen Ober- 
fläche derselben. Verschwinden die Öffnungen gegen die übrige 
Oberfläche, so muls dies für die secundär- elektromotorische 
Wirkung im Wesentlichen dieselbe Folge nach sich ziehen, 
als ob der eigenthümliche Widerstand des Elektrolyten ver- 
“hältnilsmälsig ein sehr grolser wäre. Verschwindet dagegen der 
stehengebliebene Theil der Zwischenplatten gegen die Öffnun- 
gen, so wird dies für die secundär-elektromotorische Wirkung 
‚so sein, als ob der eigenthümliche Widerstand des Elektrolyten 
‚gegen den des porösen Halbleiters verschwände. 

Mit Hülfe dieser Vorstellung hat es keine Schwierigkeit 
mehr, sich von den hauptsächlichsten Erscheinungen der in- 
neren Polarisation Rechenschaft zu geben. Dals dieselbe dabei 
wirklich die Gesetze befolgen müsse, die wir oben $. 453 ge- 
funden haben, und mit steigender Temperatur an Kraft ab- 
nehmen könne, braucht nicht erst bemerkt zu werden. So- 
dann ist deutlich, weshalb ein und derselbe poröse Körper, 
in welchem, wenn er vollständig getränkt ist, stets dieselbe 
räumliche Anordnung des Elektrolyten und des halbleitenden 
Gerüstes stattfindet, folgweise mit Flüssigkeiten von immer 
kleinerem Widerstande getränkt, bei einem gewissen mittleren 
Grade dieses Widerstandes die stärkste secundär - elektromoto- 
rische Wirkung giebt. So gab Flielspapier mit verdünntem 
Alkohol getränkt nur schwache innere Polarisation; starke mit 
destillirtem und Brunnenwasser; schwächere mit Essigsäure, 
Ammoniak, schwefelsaurer Kupferoxydlösung, unmerkliche end- 
lich mit Kochsalzlösung, Salpetersäure u. d. m. 

Hat man zwei poröse Körper, in denen man nahezu eine 
und dieselbe räumliche Anordnung des Elektrolyten und des 
halbleitenden Gerüstes annehmen kann, deren eigenthümlicher 
Widerstand aber sehr verschieden ist, so findet sich’s, in 
Übereinstimmung mit unserer Theorie, dals der besserleitende 
Körper Zeichen innerer Polarisation noch mit Elektrolyten von 
so kleinem Widerstande giebt, dals der schlechtleitende Kör- 
per damit ganz unpolarisirbar erscheint. So geben Holz und 

[1856.] 36 


466 Nachtrag 


mangelhaft geglühte Kohle mit Wasser stärkere innere Pola- 
risation als mit Kochsalzlösung, während wohlgeglühte Koble 
sich umgekehrt verhält. 

Natürlich giebt es einen Grad des Widerstandes des po- 
rösen Gerüstes, wo auch bei schlechtleitenden Elektrolyten kein 
merklicher Stromtheil hindurch kann, und deshalb die secundär- 
elektromotorische Wirkung verschwindet. So erklärt, sich’s, 
dals Quarzsand, Schwefelblumen, Seide keine innere Polari- 
sation wahrnehmen lielsen. Dafs die Kieselsäure im amorphen 
Zustande, wie im Hydrophan, besser leitet, als im krystalli- 
sirten, überrascht nicht nach dem ähnlichen Verhalten des Dia- 
mants und der Koble, des Zinnobers und des schwarzen 
Schwefelquecksilbers '). 

Erlaubt es die Beschaffenheit eines porösen Halbleiters, 
das Verhältnils der in einem gegebenen Raum enthaltenen Menge 
seiner eigenen Substanz und eines Elektrolyten nach Belieben 
abzusiufen, so bestätigt sich was oben hinsichtlich des Ein- 
flusses einer solchen Veränderung auf die Grölse der secundär- 
elektromotorischen Wirkung gesagt wurde. So haben wir an 
Thon und Seife bei einem möglichst kleinen sowohl, als bei 
einem sehr grofsen Wassergehalt die secundär - elektromotori- 
sche Wirkung vermisst, während sie bei einem gewissen mitt- 
leren Feuchtigkeitsgrad einen oberen Grenzwerth erreichte; und 
so fanden wir (S. oben S.460), dafs die innere Polarisirbarkeit 
des kohlensauren Kalkes, der Holzfaser und des geronnenen 
Faserstoffes mit der Verdichtung wuchs. 

Auf das verschiedene Verhältnifs der mit dem Elektrolyten 
erfüllten Hoblräume zum halbleitenden Gerüst könnte man ver- 
sucht sein, auch den oben S. 457 erwähnten Umstand zurück- 
zuführen, dafs von zwei mit demselben Elektrolyten getränkten 
Halbleitern, welche ungleich stark innerlich polarisirbar sind, 
derjenige sich in der Regel als der bessere Leiter im getränk- 
ten Zustand erweist, der die schwächere secundär- elektromo- 
torische Wirkung giebt. Der verschiedene Widerstand der 
Halbleiter selber kann der Grund nicht sein; denn alsdann 


’) Vergl. Riels, die Lehre von der Reibungselektricität. Berlin 
1853. Bd. 1. S. 37. $.30.* 


zur Sitzung vom 4. August 1856. 467 


käme gerade umgekehrt dem besseren Leiter die stärkere 
Polarisation zu. Aber auch die eben angedeutete Vermuthung 
scheint nicht zuzutreffen. Wenigstens fand ich dals von zwei 
gleich grolsen Stücken Kreide und Bimsstein, von denen letz- 
terer bei grölserem Widerstande die stärkere Polarisation zeigt, 
nach einstündigem Sieden das Stück Bimsstein die grölsere 
Wassermenge aufgenommen hatte. 

Wie dem auch sei, die gegebene Theorie schlielst sich 
den Thatsachen hinreichend an, um für die richtige gelten zu 
können. Immerhin bleiben schon aus dem Kreise meiner 
bisherigen Erfahrungen manche übrig, die sich derselben 
nicht zu fügen scheinen. Dahin gehört z. B. der Fall der 
Kreide, welche mit Kalihydrat getränkt beträchtlich stärkere 
innere Polarisation zeigt, als mit Wasser, während man das 
Gegentheil, ja ein völliges Verschwinden der Polarisation 
mit der Kalilauge erwarten sollte. Jedoch ist nicht zu ver- 
gessen, dals aulser den bereits angedeuteten Hülfsmitteln der 
Theorie zur Erklärung derartiger Abweichungen — verschie- 
dener Widerstand des Elektrolyten und des porösen Halb- 
leiters, und verschiedene räumliche Anordnung beider — noch 
ein Umstand in Betracht kommt, den wir bisher absichtlich 
aulser Spiel gelassen haben, der aber möglicherweise einen sehr 
bedeutenden Einfluls übt. Dies ist die mit verschiedenen 
Stoffen, vielleicht, ja unzweifelhaft, sehr verschiedene elektro- 
motorische Kraft der secundären Kette: Halbleiter, Anion, Elek- 
trolyt, Kation, Halbleiter, auf deren Erzeugung durch den ur- 
sprünglichen Strom die innere Polarisation beruht. Es mögen 
zwischen den Halbleitern selbst, in Bezug auf ihre Polarisa- 
tionsfähigkeit, Unterschiede stattfinden, wie zwischen den Me- 
tallen, und auch die verschiedenen Elektrolyte mögen, in Ver- 
bindung mit dem nämlichen Halbleiter, mehr oder weniger 
günstig wirken. 

Ich bemerke noch, dafs die Art, wie in dieser Theorie die 
_ Leitung des Stromes in den feuchten porösen Halbleitern zum 
ersten Mal von mir aufgefalst ist, überhaupt die richtigere sein 
dürfte, und geeignet scheint, einen Anhalt zu bieten zur bes- 
seren Beurtheilung der auffallenden elektromotorischen Erschei- 
nungen, die uns die Haut des Menschen gezeigt hat, der Ströme 


468 Nachtrag zur Sitzung vom 4. August 18506. 


wegen ungleichzeitiger Benetzung '), der Temperaäturströme?), 
der Ströme beim Andrücken von Bäuschen ?), die alle ihr Ent- 
sprechendes bei den Metallen haben. Auch die Nobili’schen 
Thonthermoströme, und die oben $. 459 erwähnten 'Thermo- 
ströme an Fliefspapierbäuschen dürften aus demselben Gesichts- 
punkte zu betrachten sein, d. h. nicht als Thermoströme der 
Elektrolyten, sondern als solche der metallisch, nicht elek- 
trolytisch leitenden Halbleiter, die mit den Elektrolyten getränkt 
sind. Dies ist deshalb wahrscheinlich, weil nach Nobili‘) 
nur mit Thon, nicht mit Kalk, Baryt und Gyps, diese schein- 
baren Hydro-Thermoströme erhalten werden, während der Elek- 
trolyt beliebig Wasser, Säure oder Salzlösung sein kann, ohne 
dafs der Strom aufhört, in derselben Richtung zu erscheinen ?). 


au AM 

2) S. diese Berichte 1852. S. 123. 

®) S. ebendas. S. 120. 

3) S. ebend. S. 125; — 1854 S. 288. 

%) Memorie ed Osservazioni edite ed inedite ec, Firenze 1834. 
vol. I. p. 81. 87.* 

°) Schon im ersten Bande meiner Untersuchungen, S. 377, habe 
ich unter dem Namen der „Peltier’schen Ladungen” einige mittelst 
der Methode der Übertragung gemachte Erfahrungen beschrieben, welche 
zum Theil auf die jetzt erkannte innere Polarisation feuchter poröser Halb- 
leiter zurückzuführen sind, und der Keim der jetzt entwickelten Theorie 
ist gleichfalls bereits dort zu finden. Doch sind jene Ergebnisse so un- 
vollkommen, auf so wenige Körper beschränkt und dermalsen mit ande- 
ren Wirkungen vermengt, deren Scheidung mir erst seitdem gelungen ist, 
z. B. mit der äufseren Polarisation der Elektrolyte, dafs ich bitten möchte, 
dieselben fortan als nicht vorhanden anzusehen, bis ich Gelegenheit gefun- 
den haben werde, sie von meinem jetzigen Standpunkt der Kenntnils aus 
zu erläutern. Dieselbe Bitte gilt in Bezug auf die in meinen Untersu- 
chungen u. s. w. Bd.1. S. 240, Bd. II. Abth. I. S.331 enthaltenen An- 
deutungen hinsichtlich der secundär-elektromotorischen Wirkungen der 
Muskeln, und auf eine Mittheilung, die ich darüber der British Associa- 
tion zu Belfast im September 4852 machte, und die sich im Report etc. 
p. 78 abgedruckt findet. So werde ich auch später nicht ermangeln, das 
Verhältnils der in dieser Abhandlung dargelegten Erfahrungen zu den von 
Hın. Munk af Rosenschöld in Poggendorff’s Annalen u. s. w. 
1838 Bd. XLUl. S. 207.* beschriebenen Thatsachen zu erörtern. 


——— 


Bericht 
über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preufs. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat November 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Trendelenburg. 


3.Novbr. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Peters las über eine neue durch ihre riesige 
Grölse ausgezeichnete 7T'aenia, deren Diagnose hier mit- 
"getheilt wird. 

Taenia gigantea n. sp.; caput magnum latum, globo- 
‚sum, quadrilobum, rostello brevi rotundato conico, bothridiis 
erassis, margine postico libero; collum subnullum; corpus cras- 
sum lanceolatum; articuli brevissimi et latissimi, marginibus 
postice excisis, angulis obtusis; aperturae genitales marginales 
‚secundae; penes filiformes, limbo globoso cincti. Long. tota 
0,120 m.; artic. max. 0,003; latit. max. 0,027 — 0,029; lat. capit. 
0,006; colli 0,005. 

Habit. Rhinoceros africanus Camper; in intestino tenui. — 
Mossambique. 

„ Hr.H.Rose sprach über eine Arbeit des Hrn. R. Schnei- 
der, das Dreifach-Jodwismuth betreffend. 

Das Dreifach-Jodwismuth, das bisher nur auf nassem Wege 
dargestellt worden war, kann leicht und sicher auf trockenem 
weT1856.] 37 


470 Sitzung der physik.-math. Klasse vom 3. Noobr. 1856. 


Wege erhalten werden, und zwar durch Erhitzen eines inni- 
gen Gemenges von 1 Äquivalent (32 Theilen) Dreifach-Schwe- j 
felwismuth und 3 Äquivalenten (47,5 Theilen) Jod in einem 
geräumigen, lose bedeckten Glaskolben. Die Masse schmilzt 


schon bei mäfsigem Erwärmen unter Verlust von wenig Jod; 
bei gesteigerter Temperatur geräth dieselbe in’s Sieden unter 
Ausstolsung rothbrauner Dämpfe, die sich in den kälteren Thei- 
len des Kolbens zu glänzenden Krystallblättern von Jodwismuth 
verdichten. — Es scheint hier eine einfache Verdrängung des 
Schwefels durch das Jod stattzufinden, denn setzt man das Ge- 
menge von Schwefelwismuth und Jod bei Luftabschlufs (in. 
einer Atmosphäre von Kohlensäuregas) einer langsam gestei- 
gerten Temperatur aus, so kann man bemerken, dafs der Schwe- 
fel sich vor dem Jodwismuth sublimirt. Wird schnell erhitzt 
und ist atmospbärische Luft im Kolben vorhanden, so geht der‘ 
Schwefel zum gröfsten Theil in schweflige Säure über; ein 
kleiner Theil scheint in Jodschwefel verwandelt zu werden. 

Das erhaltene Sublimat kann durch Erwärmen im Wasser- 
bade von etwa anhaftendem Jod vollständig befreit werden! 
Es ist dann reines Jodwismuth, genau dem Wismuthoxyde ent- 
sprechend zusammengesetzt. 

Dieses auf trockenem Wege dargestellte Jodwismuth ist 
eine Substanz von ausgezeichneter Schönheit. Es stellt grofse, 
dünne, schwarze, sehr lebhaft metallglänzende Krystallblätter 
dar, als deren Form eine regelmälsige, sechsseitige Tafel deut- 
lich erkannt wird. Bei freiem Luftzutritt erhitzt, verflüchtigt 
es sich gröfstentheils in braunen Dämpfen und hinterlälst dabei 
wenig basisches Jodwismuth von rothbrauner Farbe. Von kal 
tem Wasser wird es nicht bemerkbar verändert; damit gekocht 
verwandelt es sich in basisches Jodwismuth. — Die wässriger 
Lösungen ätzender Alkalien wirken schon in der Kälte, noch 
schneller beim Erwärmen, zersetzend darauf ein unter Abschei- 
dung von Wismuthoxyd. Schwefelalkalimetalle zersetzen di 
Verbindung gleichfalls schnell und leicht unter Ausscheidun 
von Schwefelwismuth, das die krystallinische Beschaffenheit de 
ursprünglichen Substanz beibehält. 


Gesammtsitzung vom 6. November 1856. 474 


Hr. Poggendorff legte einige Aräometer und Alkoholo- 
meter vor, welche noch von Richter selbst angefertigt und 
mit seinem Namen versehen waren, Hr. Splittgerber hat 
sie als werthvoll für die Kenatnils der damals angewandten In- 
strumente der Akademie zum Geschenk gemacht. Es wird dem- 
selben dafür der Dank der Akademie ausgesprochen. 


Hr. Ehrenberg legte der Akademie 5 Proben des tiefen 
Meeresgrundes aus der Telegraphen-Linie von Nord-Amerika 
nach England vor, welche ihm so eben von Hrn. Alexander 
von Humboldt zur Analyse übergeben worden. Sie sind 
aus 440—1930 Faden (d. i. 2460 — 11580 Fufs) Tiefe und ha- 
ben schon vorläufig im Mikroskop erkennen lassen, dafs überall 
vorherrschend oft sehr wohl erhaltene kalkschalige Polythala- 
mien die schlammige Oberflächenschicht des tiefen Meeres- 
grundes bilden. Ein specieller Bericht kann erst später er- 


folgen. 


6. Novbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Pinder las: Beitrag zur Münzkunde Asiens, 
insbesondere des parthischen Reichs. 


Hr. Encke trug Folgendes vor: 

Der Berg-Ingenieur Hr. E. Mayer, welcher als Geologe 
die Expedition des Hrn. Grafen d’Escayrac de Lauture 
zur Aufsuchung der Nil-Quellen begleitet, hat der Akademie 
einen Bericht über das Erdbeben eingesandt, welches in der 
Nacht vom 11. auf den 12. October 1856 in Bulak und Cairo 
stattgehabt hat. Gleichfalls hat der Hr. Baron von Neimans, 
welcher auf einer Reise in das Innere von Afrika begriffen ist, 
einen Bericht für die Akademie bestimmt, welchen er an Hrn. 
Magnus eingeschickt hat. Folgende Zusammenstellung aus 
beiden Erzählungen wird von dem Hergange eine Vorstellung 


geben. 


3° 


472 Gesammtsitzung 


Hr. v. Neimans, der in Cairo war, fühlte eine länger 
anhaltende Erschütlerung in seinem Bette um 3 Uhr 15 Min. 
Morgens und zwei oder drei Minuten darauf eine ununterbro- 
chene gleichartige Reihe von Stölsen, die so rasch wie die 
Pulsschläge etwa sich wiederholten. Er zählte vielleicht zwan-- 
zig. Zwei von diesen waren auffallend stark und von einem 
unterirdischen donnerähnlichen Getöse begleitet. Hr. Mayer, 
welcher in Bulak im Palast Mehemet Ali Pascha war, fühlte 
um 3 Uhr 15 Min. einen ersten von unterirdischem Rollen be- 


gleiteten Stols mit schwacher wellenförmiger Bewegung, der 


j 
* 


14 Minute dauerte. Vier Minuten später erfolgte ein zweiter 
ähnlicher aber schwächerer von etwa 30 Secunden Dauer. 
Nach kurzer Pause erfolgte um 3 Uhr 20 Min. der dritte hef- 
tigste Stols, der 2 Minuten anbielt. Er bestand in einem so 
heftigen Vibriren, dals man keine Richtung fühlen konnte. Die 
eingestürzten Minarets und Häuser beweisen indessen, dafs auch 
hier, wie es bei den ersten Stölsen schon bemerkt war, die 
Richtung OSO. nach WNW. war. Das begleitende Geräusch 
beschreibt Hr. Mayer wie wenn ein heftiger Hagelsturm auf 
ein Blechdach niederfährt. Eingestürzt sind nur solche Mauern 
welche von $. nach N. gebaut waren; die von Ost nach West 
gebauten zeigen sich vielfältig gespalten. Eine von dem Zeich- 
ner der Expedition, Hrn. de Bar, entworfene Zeichnung einer 
eingestürzten Moschee, von der eine Gopie beigelegt ist, ver- 
anschaulicht die Zerstörung. In Bulak, dem Aufenthalte von 
Hrn. Mayer, sind beträchtlich mehr Einstürzungen erfolgt, als 
in dem viel grölseren eine halbe Stunde entfernten Cairo. Der 
Stofs mufs dort heftiger gewesen sein. Nach Hrn. v. Nei- 
mans ist übrigens nur ein Menschenleben verloren gegangen; 
das Baumaterial zu den leichten arabischen Häusern mindert die 
Gefahren der Bewohner beim Einsturze und giebt ihnen Zeit‘ 
zur Rettung. 

Die meteorologischen Aufzeichnungen, welche Hr. v. Nei- 
mans seit dem 29. September dem Tage seiner Ankunft inf 
Cairo gemacht hat, gaben keine Andeutung des Ereignisses. 
Auch unmittelbar nach den Stölsen gab das Barometer 28” 0,4 
Par. M. bei 24° Celsius, welches auf 0° reducirt einer Baro- 
meterhöhe von 7555’”679 entspricht. Auffallender Weise stand/f 


vom 6. November 1856. 473 


nach demselben Beobachter das Barometer während des Erd- 
bebens höher als gewöhnlich, stieg auch bis 9 Uhr Morgens 
Bis auf 28 4”. 

In der folgenden Nacht bemerkte Hr. Mayer um 10 Uhr 
und 11% Uhr Abends noch drei schwache Stöfse, bei welchen 
sich ähnlich wie bei dem ersten Erdbeben eine ungemeine Un- 
ruhe bei den Hausthieren und Vögeln zeigte. In Cairo über- 
spülte der durch die Stadt flielsende Canal, Calitsch genannt, 
an einigen Stellen seine Steinufer. bis zur Höhe eines Mötres. 
An andern zeigte sich keine Veränderung. Noch in der Nacht 
vom 13. auf den 14. October ist das Minaret von der Moschee 
Daud Pascha eingestürzt. 

Der Ingenieur Hr. Linant Bey in Cairo will seit 18 Jah- 
ren 6 Mal Erdstölse in Ägypten wahrgenommen haben, nähere 
Mittheilungen kann er jedoch nicht machen. Der bedeutend- 
ste derselben, fast so stark als der letzte, soll vor 8 bis 9 Jah- 
ren in der Mittagszeit eines Julitages stattgefunden haben. 
Keiner hat sich im Laufe des Tages wiederholt, alle haben sich 
auf einige mehr oder minder heftige Stölse beschränkt. Das 
eben erwähnte Erdbeben (etwa 1847 oder 1848) hatte ver- 
schieden von dem diesjährigen die Richtung von N. nach S. 
Es fiel damals in den Monat Rhamadan. 

Der erste Rhamadan war im Jahre 1847 Aug. 13., 1848 
Aug. 1., 1849 Jul. 21. 


Am 1. October d. J. starb nach eilftägiger schwerer Krank- 
"heit zu Eger Hr. Christian Samuel Weils. Die Aka- 
demie betrauert in ihm ein um die Wissenschaft wie um die 
gemeinsamen Angelegenheiten hochverdientes Mitglied, das ihr 
mehr als vierzig Jahre angehörte und in edler und fester Ge- 
sinnung zugethan war. 

Die Theilnahme an diesem Verluste spricht in einem Schrei- 
‘ben vom 3. November im Namen der K. Sächsischen Gesell- 
schaft der Wissenschaften Hr. E. H. Weber, geschäftsfüh- 


"render Sekretair derselben, aus. 
H 


3 


474 Gesammtsitzung 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben 
den vorgelegt: 


Memoires de !academie de medecine. Tome20. Paris 1856. 4. 
Bulletin de lacademie de medecine. Tome 21. Paris 1856. 8. 
Revue archeologique. 13me annee, livr. 7. Paris 1856. 8. 
Ephemeris archaeologiea, no. 42. Athen 1856. 4. Mit Ministerial- 
schreiben vom 31, Octbr. 1856. 
Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preu/sischen Reheinlande. 
13. Ge Heft 2.3. Bonn 1856. 8. 
Gerhard, Denkmäler, Forschungen und Berichte. Lieferung 31. Ber 
lin 1856. 4. 
Kupffer, Annales de l’observatoire central de Russie. Annee 1853. 4. 
Brücke, Grundzüge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute. { 
Wien 1856. 8. 
Mnemosyne. Vol. V, Stuk 4. Leyden 1856. 8. 
Troschel, das Gebifs der Schnecken zur Begründung einer natürlichen 
Classification. Erste Lieferung. Berlin 1856. 4. (Im Namen des 
Hrn. Verfassers von Hrn. Müller übergeben.) 


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13. Novbr. Gesammisitzung der Akademie, 


Hr. Müller las über die Thalassicollen, Polycy- 
stinen und Acanthometren des Mittelmeeres. 

In einer frühern Abhandlung über Sphaerozoum und Tha-| 
lassicolla, Monatsb. 1855 April, gab ich Kenntnils von einer 
eigenthümlichen Gattung von pelagischen Naturkörpern mit 
Kieselstacheln, welche ich Acanthometren nannte, ich beschrieb# 
daselbst auch zarte weiche Fäden, welche von dem Körper der 
Polyeystinen strahlenförmig ausgehen und welche ich bei den 
Acanthometren wiederfand.. Auf den Grund dieser Beobach- 
tung und der gleichzeitig in den Skeleten der Thalassicollen 
von mir nachgewiesenen Kieselerde, auch analoger Zellenbil-F 
dungen, welche sich in diesen Formen wiederholen, stellte ich 
die Thalassicollen, Polyeystinen und Acanthometren als ver-N 
wandte Organismen zusammen, die Frage von ihrer Natur und 
Stelle im System der organischen Körper offen lassend, doch 
durfte ich die formelle Analogie der weichen Strahlen der) 


vom 13. November 1856. 475 


canthometren mit den Strahlen der Actinophrys nicht uner- 
wähnt lassen. 

Über tbierische Lebensbewegungen an diesen Körpern 
agen damals nur die Angaben Meyen’s von Contractionen 
it Formveränderung seines Sphaerozoum, die ich nicht be- 
tätigen konnte, und die Beobachtung Huxley’s an seiner 
Thalassicolla nucleata vor, an deren strahligen Fäden er eine 
nregelmälsige Bewegung sehr kleiner Körnchen in wechselnder 
Richtung an der äufsern Oberfläche der Fäden entdeckt hatte. 
Thalassicolla nucleata war mir im J. 1853 in Messina nicht vor- 
gekommen; auch waren mir damals die Beobachtungen dieses 
Forschers über die Thalassicollen überhaupt noch unbekannt. 
Die Zusammenstellung der Z’halassicolla nucleata mit der Nocti- 
luca durch Huxley selbst hinderte mich, aus einer Vorsicht, 
welche jetzt nicht mehr gerechtfertigt erscheint, die Beob- 
achtung Huxley’s über die Körnerbewegung an den Fäden der 
Thalassicolla nucleata für die Beurtheilung der Natur aller die- 
ser Körper schon an die Spitze zu stellen. Seitdem hat Ar. 
Clapare&de, der schon eine Strömung in den Fäden der Aci- 
nophrys wahrgenommen hatte, die Körnchenbewegung an den 
Fäden lebendiger Acanthometren Norwegens, auch die Bewe- 
gung ihrer Fäden selbst entdeckt. Monatsb. 1855, November. 
Es wurde dadurch zum voraus wahrscheinlich, dafs ähnliche Be- 
wegungen auch an den Fäden der anderen Thalassicollen und 
der Polycystinen zur Beobachtung kommen würden, sobald es 
gelänge, binreichend lebenskräftige Exemplare darauf zu unter- 
suchen. Ein sechswöchentlicher Aufenthalt am Mittelmeer in 
Cette und Nizza bot die erwünschte Gelegenheit diesen Gegen- 
stand wieder aufzunehmen und zugleich die Kenntnils der jetzt 
lebenden Formen des Mittelmeeres aus diesem Gebiete zu er- 
weitern. 

Thalassicolla nucleata H., welche bei Nizza öfter vorkam, 
unterscheidet sich von Nocziluca schon dadurch, dafs die Fäden 
mit Körnchenbewegung bei Noctiluca ein innerliches von der 
Haut des Thieres eingeschlossenes Gewebe sind. Am ganzen 
äulsern Umfang der T’halassicolla nucleata sind nur die frei aus- 
laufenden Enden der strabligen Fäden zu erkennen, Während 
diese an einem Exemplar in einer Gallertmasse eingebetiet sind, 


476 Gesammtsitzung 


fehlt diese Gallerte zwischen den Ausläufern an einem andern 
Exemplare gänzlich. An beiden war die Bewegung der Körnchen 
an der Oberfläche der Fäden sehr lebhaft, an dem Faden bald 
auf- bald abwärts, an verschiedenen nahe gelegenen Stellen oft 
in verschiedener Richtung, überall leicht wechselnd. Sie gleicht 
ganz der Körnchenbewegung an den Fäden der Polythalamien. Die- 
selbe Bewegung sah ich nun an den Fäden einzelner seltener 
dazu geeigneter Exemplare der zusammengesetzten Thalassicollen, 
Thalassicolla punctata H. und Collosphaera Huxleyi M, bei wel- 
chen sie bisher nicht gesehen war. Da die Thierheit dieser 
Wesen jetzt feststeht, so tritt der von mir früher vorgesehene 
Fall ein, den von dem ersten Beobachter Meyen gegebenen 
Namen Sphaerozoum für die von ihm beobachtete Form zu- 
sammengesetzter Thalassicollen wieder herzustellen. Es wird 
daher die Thalassicolla punctata Huxley nunmehr Sphaerozoum 
punciatum zu nennen sein. Die andere zusammengesetzte Form 
mit Gitterschalen der Nester kann den von mir ihr beigelegten 
Namen Collosphaera behalten. Dagegen wird der Name Tha- 
lassicolla zweckmälsig auf die nicht zusammengesetzten Formen 
ohne Kieselgebilde wie Thalassicolla nucleata H. und verwandte 
neue solitäre Formen zu beschränken sein, welche sich von 
den Polycystinen durch den Mangel der Kieselschale, von den 
Acanthometren durch den Mangel der Kieselstacheln unter- 
scheiden. 

Bei Thalassicolla nucleata, deren dunkler Kern ohne die Fäden 
5—3" milst, ist die häutige dicke Capsel, von welcher die 
Fäden abgehen, zwischen den Fäden mehr oder weniger hoch 
von einer Masse grolser durchsichtiger Blasen umlagert, 
welche an Durchmesser zuweilen die Gröfse der Capsel selbst 
erreichen. Zuweilen enthalten diese Blasen wenigstens theil- 
weise noch eine zweite ganz ähnliche kleinere Zelle, die 
dann eine hell glänzende schön orangefarbene kleinere Ku- 
gel in sich hat. Deswegen können diese Blasen nicht Erwei- 
terungen von Pseudopodien sein. Au einem andern Exemplar 
waren die Blasen einfach und vermilste ich die Einschlüsse in 
denselben ganz. Zwischen den Fäden näher der Capsel und 


150 


zwischen diesen Blasen liegen auch gelbe Zellen von Kern 
Durchmesser sehr zerstreut, in deren gelbem Inhalt sich’ ein 


u en. 


pn 


 - 


vom 13. November 1856. 477 


paar grölsere und kleinere Körnchen bemerklich machen. Am 
nächsten der äufseren Fläche der Capsel liegt eine sehr dunkle 
Lage von Pigmentkörnern zwischen den Basen der Fäden, wel- 
cher Überzug der Capsel fast ein schwarzbraunes Ansehen 
giebt. Bei der Vergrölserung unter dem Deckplättchen lösen 
sie sich in blaue und rothe Körnchen auf. Innerhalb der farb- 
losen Capsel ist der nächste Raum von dichtgedrängten Kugeln 
und Körnern ausgefüllt, die wie Ölkugeln und Fettkörnchen 
aussehen. Darauf folgt die centrale bei Thalassicolla nucleata 
vorkommende Zelle, diese ist sehr durchsichtig und dünnwan- 
dig und enthält noch wieder viele äulserst blasse und durch- 
sichtige und daher sehr schwer sichtbare kleine sphärische Kör- 
perchen. Die Fäden verlaufen in Bündeln zwischen den Auf- 
lagerungen der Capsel, sie scheinen sich auch zu theilen und 
es sind mir auch Anastomosen vorgekommen, die ich hin und 
wieder auch bei Sphaerozoum sah, während- ich sie an man- 
ehen typischen Polyeystinen wie Haliomma, Eucyrtidium, Podo- 
cyrtis u. a. nicht bemerkt habe. 

Bei einer andern neuen Art der Gattung Thalassicolla in 
der vorher bezeichneten Begrenzung auf solitäre ausgebildete 
Formen, 7h. morum M., die leider nicht vollständig beobachtet 
werden konnte und in Nizza nur einmal gesehen ist, ist die 
häutige Capsel, von gelblichem Inhalt, zwischen den von ihr 
ausstrahlenden Fäden mit einer geringen Anzahl ungleich gro- 
[ser beerenförmiger, dunkler, livider Körper besetzt, welche 
wie Aggregate von kleinen Sphären erscheinen. Das Thier 
zeigte deutlich eine äufserst langsame Ortsbewegung durch 
Wanken und Drehungen nach verschiedenen Seiten, wie die 
Acanthometren. 

Aulser dem Sphaerozoum punctatum, mit welchem Sph. 
fuseum Meyen gleiche Spicula hat, wurden jetzt noch zwei an- 
dere Arten mit Kieselspiceula oft bei Nizza beobachtet. Die 
eine ist die schon früher von mir angezeigte Form mit ein- 
fachen leicht gebogenen beiderseitig spitzen nadelförmigen Spi- 
eula, Sph. acuferum M.; eine andere hat gerade nicht zuge- 
spitzte Nadeln von ;5”' Länge, von welchen in ganzer Länge 
zahlreiche kurze Seitenäste unter rechten Winkeln abgehen, 
Sph. spinulosum M. Von den Sphaerozoen ohne alle Kiesel- 


478 Gesammtsitzung 


bildungen mufs ich es für jetzt ungewils lassen, ob sie eine 
eigene (S. inerme?) oder gar mehrere eigene Arten bilden. 
Wenn die Arten mit verschiedener Gestalt der Spicula auch 
ohne Spicula vorkämen, so wären diese Exemplare gar nicht 
auf die Identität der Species mit den Spiculosen zu erkennen. 
Man findet die Sphaerozoen ohne Spicula mit sehr abweichen- 
den Nestern, welche auf Entwickelungsstadien schwer zu deu- 
ten sind. Auffallend ist schon die langgezogene Form der 
Nester in manchen Meerqualstern ohne Spicula, während sie 
in andern Fällen die gewöhnliche sphärische Form besitzen. 
Mehrmals sah ich eine andere Form von Meerqualster ohne 
Kieselbildungen, bei welcher jedes Nest aus 2 sehr durchsich- 
tigen in einander eingeschachtelten dünnwandigen Zellen be- 
stand, von welchen die innere den bei Sphaerozoum gewöhn- 
lichen Öltropfen enthielt. Also ein Sphaerozoum bicellulare, ver- 
gleichbar der auch bicellularen Thalassicolla nucleata. Die äu- 


arm 
30 


enthielt in ihrem durchsichtigen Inhalt einzelne zerstreute 


fsere Zelle des bicellularen Sphaerozoum hatte gegen und 
Körnchen, von welchen aber eine ganze Lage die innere Zelle 
bedeckte. Letztere war um —% kleiner und hatte einen fein- 
körnigen trüben Inhali. Wenn hieraus geschlossen werden 
könnte, dafs die Sphaerozoen vielleicht überhaupt in einem ge- 
wissen Entwickelungsstadium zwei in einander eingeschachtelte 
Zellen enthalten oder bicellular sind, so steht dieser Annahme 
die Beobachtung eines Meerqualsters entgegen, in dem kleine 
und sehr kleine Nester ganz in der Nähe der gröfsern Nester 
gelagert waren, welche sich durch den Inbalt des Öltropfens 
schon als junge Abkömmlinge derselben unicellularen Colonie 
zu erkennen geben, aber nur aus einer einzigen Zelle, wie die 
erwachsenen Nester dieser Colonie bestehen. 

Was die gelben Zellen im Umfang der Nester oder zwi- 
schen denselben bei allen Sphaerozoen betrifft, so wurde ihre 
Vermehrung durch Theilung wiedergesehen, Als Keime von 
neuen Nestern sind sie nicht zu betrachten, welche vielmehr 
nur in den schon erwähnten jungen farblosen Abkömmlingen 
in einer Colonie unzweideutig zu erkennen sind. 

Es entsteht die Frage, ob es auch solitäre Individuen von 
Sphaerozoum also aulser einer Colonie giebt, die als Quelle der 


vom 43. November 1856. 479 


Colonien angesehen werden könnten. Es ist mir einzigesmal 
eine solche Form vorgekommen. Es war eine mit wenigen 
Fäden besetzte farblose Zelle von 
tropfen enthaltend und auswendig mit einigen gelben Zellen 


’” Durchmesser, einen Öl- 


besetzt. Ein Sphaerozoum punctatum mit Nestern, deren In- 
halt aus einer sehr grolsen Menge überaus kleiner Crystalle 
bestand, hatte ich schon in Messina gesehen, dieselbe seltene 
Erscheinung habe ich bei Nizza einmal bei einem Sphaerozoum 
ohne Kieselspicula wiedergesehen. Diese Crystalle sind unver- 
gleichlich kleiner und zahlreicher als diejenigen, welche man 
in der Zelle der Collosphaera Huxleyi wahrnimmt, scheinen 
aber dieselbe Gestalt zu haben. Ihre Grölse betrug nur 
Sie sind unlöslich in Salzsäure. 


Am 
350 * 


Die mehrsten Exemplare der Sphaerozoen, welche bei 
Nizza mit dem feinen Netz erhalten werden, sind todt und da- 
her zur Beobachtung der Körnchenbewegung an den Fäden 
gänzlich untauglich. Bei den todten Exemplaren sind die fa- 
digen Ausläufer im ganzen Umfang des Meerqualsters mehr 
oder weniger in eine Gallerte verwandelt oder darin verhüllt, 
welche an frischen und lebendigen Exemplaren zwischen den 
frei auslaufenden äulseren Enden der Fäden gar nicht vorhan- 
den ist, so dals an lebenden Sphaerozoen überhaupt eine 
Gallerte nicht sichtbar ist. Auch sind die todten Exemplare 
auf der Oberfläche der Gallerte gewöhnlich mit einem Anflug 
von Schmutz bedeckt, was bei lebendigen Exemplaren nicht 
der Fall ist, deren ganzer Umfang überall nichts als die frei 
auslaufenden hellen Fäden erkennen lälst. Letztere sind, so 
weit sie von der äulsern Seite der Nester ausgehen, radial ge- 
stellt und ausgestreckt; diejenigen Fäden, welche den nächst- 
stehenden Nestern zugekehrt sind, bilden Büschel, welche zwi- 
schen den benachbarten Nestern hinziehen und sich hier mit 
andern Bündeln von andern Nestern kreuzen. Die nach aufsen 
ausstrahlenden Fäden lassen hin und wieder Verbindungen un- 
ter einander erkennen, so dals die Körnchenbewegung zuwei- 
len von einem auf den andern Faden übergeht oder gar an 
dem zweiten Faden in entgegengesetzter Richtung sich fort- 
setzt. Diese Bewegung ist überhaupt einem häufigen Wechsel 
der Richtung unterworfen. An Fäden, welche zwischen den 


480 Gesammtsitzung 


Nestern hingehen, ist auch Körnchenbewegung gesehen. Be- 
wegung der Fäden selbst zu sehen, ist nur äulserst selten ge- 
währt, sie erscheint dann als ein kaum merkliches leises Schwan- 
ken der strahligen Fäden, welches sich leichter an der allmäh- 
lig veränderten Stellung gegen benachbarte Fäden erkennen 
läfst. Nicht selten sieht man die Fäden stellenweise verdickt, 
geschwollen, und diese länglichen Anschwellungen an den 
Strahlen wie die Körnchen fortrücken, was entweder auf eine 
fortschreitende Zusammenziehung oder auf Verkürzung und Ver- 
längerung bezogen werden kann, vielleicht aber auch mit der 
Körnchenströmung zusammenhängt. Über eine Verbindung der 
Fäden verschiedener Nester konnte keine Sicherheit erhalten 
werden. 

Bewegungen der ganzen Sphaerozoen, wie sie Meyen 
angegeben, habe ich auch an den frischesten Exemplaren mit 
lebhafter Körnchenbewegung niemals wahrgenommen; gleich- 
wohl ist mir die Contractilität der Fäden nicht zweifelhaft, ich 
erkläre mir daraus die Erscheinung, dafs man die frischen le- 
bendigen Exemplare zuweilen locker mit weit von einander 
abstehenden Nestern, zuweilen ganz verdichtet mit zu einem 
Klumpen zusammengehäuften Nestern antrifft, während hingegen 
die strahligen frei auslaufenden Fäden in beiden Fällen weit 
ausgebreitet sind. 

Die von Huxley angezeigten Alveolen in de schein- 
baren Gallertmasse sind sehr ungleich entwickelt und unbe- 
ständig. Sie sind mit einer feinen Membran ausgekleidet und 
bilden sich durch Erweiterung kleiner durchsichtiger hin und 
wieder zwischen den Fadenbündeln eingebetteter Bläschen. An 
diesen Blasen wurde mehrmals ein fadiger Strang oder auch 
zwei solche Stränge bemerkt, die sich zwischen den gekreuz- 
ten Fadenbündeln verloren. Diese durchsichtigen Blasen schei- 
nen den durchsichtigen Zellen gleichgestellt werden zu kön- 
nen, welche bei 7halassicolla nucleata zwischen den Bündeln 
der ausstrahlenden Fäden der grolsen Capsel aufgelagert sind, 
von der die Strahlen ausgehen. Diese Parallele wird dadurch 
verstärkt, dals bei der 7’halassicalla nucleata auch die gelben 
Zellen zwischen den Fadenbündeln sich wiederholen. 


vom 13. November 1856. 481 


Bei den Colosphaeren verhielten sich die Fäden ganz wie 
bei den Sphaerozoen, sowohl die ausstrahlenden, als diejenigen 
welche gekreuzte Züge zwischen den Nestern bilden, und 
ebenso die Körnchenbewegung an den frischen Exemplaren. 

Von Collosphaera wurden bei Nizza zweierlei Exemplare, 
vielleicht nur Varietäten gesehen. Bei den einen bestand der 
Inhalt der von der Gitterschale eingeschlossenen Capsel aus 
blauen Körnchen, aus den bekannten grolsen Crystallen und 
aus dem Öltropfen. Das ist Collosphaera Huxleyi M. Bei den 
andern auch lebend gesehenen ist der Inhalt der Capsel farblos 
und fehlen die Crystalle gänzlich, sie enthält nur farblose 
Körnchen und den Öltropfen; die kieselige Gitterschale war 
in beiden Fällen gleich. Es tritt hier die Ähnlichkeit dieser 
Gitterschalen zumal ohne Crystalle mit der Cenosphaera Plu- 
tonis Ehr. wieder ins Gedächtnils; und ich will deswegen als 
dermalen immer noch unterscheidend anführen, dals die Gitter- 
schalen der Collosphaera auf der Oberfläche ohne alle Rauhig- 
keiten, aber sehr oft nicht ganz vollendet sphärisch sind d. h. 
einzelne leichte Unvollkommenheiten der Wölbung an sich 
tragen. 

Zuweilen wurden die Gitterschalen mit blauem Inhalt der 
Zelle und den grolsen Crystallen in Menge einzeln gefischt, 
statt zu einem Meerqualster vereinigt zu sein; diese Schalen 
waren dann ohne die ihnen sonst gewöhnlichen fadigen Aus- 
läufer und offenbar todt. Sie kennten nur von zerstörten 
Collosphaera-Massen herrühren. Es giebt unter den frei und 
todt vorkommenden Collosphaeren auch kleinere und kleinste, 
welche immer noch an der blauen Farbe und den Crystallen 
erkennbar sind. Letztere sind dann noch nicht so grols als 
in den grölseren, aber ebenso gering an Zahl und von der- 


41 
20 
mit der Gitterschale versehen, an den kleinsten ähnlichen 


selben Gestalt. Die grolsen Sphären von waren immer 


blauen sphärischen Körpern von 5—5;” Durchmesser fehlte 
die Gitterschale noch und war die blaue Masse und die Cıy- 
stalle nur von der häutigen Capsel eingeschlossen. Die todte 
blaue Sphäre der Collosphaera mit Gitterschale gelangt bei dem 
Mechanismus des Fischens, nämlich bei der Strömung des 


Wassers durch das Netz unter Ruderbewegung zuweilen auch 


ı 


482 Gesammtsitzung 


in die zarten Gallertmassen abgestorbener Sphaerozoen, in wel- 
chen man nicht selten auch Acanthometren, Schalen von Tin- 
tinnus-Arten, seltener sogar kleine Schneckenschalen antrifft. 
An Tagen, an welchen der Auftrieb des Netzes überhaupt 
keine Collosphaeren enthielt, fand sich niemals solche Bei- 
mengung in der Gallert eines todten Sphaerozoum, vielmehr 
nur an einem Tag, an welchem der Auftrieb des Netzes viele 
einzelne todte Schalen von Collosphaera ohne Fäden enthielt. 
Anderseits enthielten die Meerqualster von Collosphaera, wenn 
sie vorkamen, immer nur gleichartige Nester mit Gitterschalen 
ohne Spicula. 

Die Thalassicollen sind den Polycystinen sehr verwandt. 
Ich deutete schon früher an, dafs die zusammengesetzten Tha- 
lassicollen insbesondere die Collosphaeren Colonien von Poly- 
cystinen gleichen. Bald wird sich auch zeigen, dafs die Poly- 
cystinen beinahe in die Acanthometren sich fortsetzen. 

Lebende Polycystinen wurden sowohl in Cette als in Nizza 
sehr häufig pelagisch gefischt; sie waren aus den Ehrenbergi- 
schen Gattungen Haliomma, Spongosphaera, Eucyrtidium, Podo- 
eyrtis, Stiloeyclia und aus mehreren neuen Gattungen. Die 
fadigen Ausläufer fanden sich in der Form von Strahlen bei 
allen eben genannten Gattungen wieder, bei den nach einer 
Seite ganz offenen Formen wie Eueyrtidium und Podocyrtis tre- 
ten die Fäden nicht blofs durch die kleinen Löcher der Kie- 
selschale, sondern in Menge auch auf der offenen Seite der 
Schale hervor. An allen jenen Gattungen wurde nun auch 
die Bewegung der Körnchen an der Oberfläche der Fäden ge- 
sehen. Wenn diese aufgehört hat, dann sind auch die Fäden 
mehr oder weniger durch eine gallertige Ausschwitzung ver- 
hüllt, welche im frischen und lebendigen Zustande nicht vor- 
handen ist. Diese Exemplare sind todt. Man bemerkt den 
Eintritt des Todes wie auch bei den Acanthometren zuerst 
daran, dafs die Fäden ihre steife Ausstreckung aufgeben und 
schlaff werden. Wird der Tod auf gewaltsame Weise plötz- 
lich durch Druck vermittelst des Deckplättchens hervorgebracht, 
so verschwinden erst augenblicklich die Fäden, wahrscheinlich 
durch Retraction. Es ist wichtig hervorzuheben, wie ich in 
vielen Fällen feststellen konnte, dafs mit den an der Oberfläche 


vom 13. November 1856. 483 


der Fäden in wechselnder Richtung fortgeführten Körnchen 
auch benachbarte fremde Körper, ganze Schleimklümpchen, un- 
regelmälsige Körnerhaufen in die gleiche Strömung entlang 
den Fäden gerathen. Diese fremden Körper häufen sich ge- 
wöhnlich zuletzt am Grunde zwischen den Fäden der Poly- 
eystinen an. Ebenso entschieden äufserlich sehe ich die Körn- 
chen an der Oberfläche der völlig gleichen Pseudopodien bei 
den Polythalamien hingehen. Auch bei den Acanthometren 
schien mir diese Bewegung an der äufsern Oberfläche der Fä- 
den stattzufinden, womit ich jedoch nicht behaupten will, dafs 
Strömungen im Innern der Fäden nicht auch stattfinden, welche 
mir vielmehr wahrscheinlich sind, Bei den Sezinophrys scheint 
die von Hrn. Glaparede beobachtete Bewegung von Körn- 
chen in den Fäden stattzufinden; dort ist aber noch keine 
Strömung fremder Körper an der Oberfläche der Fäden ge- 
sehen worden. 

Bewegung der Fäden selbst war an den Polycystinen mit 
lebhaftester Körnchenbewegung nur selten und nur an der 
langsam veränderten Stellung der Fäden gegen ihre Nachbarn 
zu erkennen. Die Enden der sehr langen und im lebenden 
Zustande steif ausgestrecktsn Fäden sind indessen sehr schwer 
zu. sehen, wenn sie nicht, wie es zuweilen aber nür selten und 
an einzelnen Fäden ausnahmsweise der Fall ist, etwas ange- 
schwollen enden. Jedenfalls dienen die Fäden wie bei den 
Acanthometren zur Ortsbewegung, die bei stärkeren Ver- 
gröfserungen deutlich hervortritt als ein langsames Wanken, 
ein allmähliges Drehen der ganzen Gestalt. Die gelben Zel- 
len bei Sphaerozoum, Collosphaera, Thalassicolla nucleata sich 
wiederholend, sind auch bei den Polyceystinen in der Regel 
vorbanden und gewöhnlich unterhalb des äufseren Kieselgitters, 
bei Eucyrtidium und Podocyrtis an der offenen Seite der Schale. 
Bei den geschlossenen Schalen haben die gelben Zellen durch- 
aus die Lage wie bei Collosphaera, d. h. sie liegen noch über 
der häutigen Capsel, von welcher die Fäden abgehen und 
welche die oft sehr lebhaft rothen Pigmente einschlielst, zwi- 
schen ihr und der äufsern Kieselschale. Bei den Acantho- 
metren finden sich zwar gelbe Zellen wieder, sie liegen aber 


484 Gesammtsitzung 


gewöhnlich erst unter der weichen äufseren Haut bei den Pig- 
menten. 

Alle im Folgenden beschriebenen Polycystinen sind Ein- 
zelwesen; sie sind entweder a. mit einem äufsern zusammen- 
hängenden Skelet versehen, das entweder aus einer Gitter- 
schale oder einem unvollkommnen Balkengerüst besteht; oder 
d. mit einem innern Skelet; oder c. mit einem äulsern und in- 
nern Skelet (nueleus) zugleich versehen. 

Von den übrigen bisher gekannten Polyeystinen entfernen 
sich am meisten durch ihr unvollkommnes Kieselgehäuse die 
Formen, welche ich mit dem Namen Zizhocirceus bezeichne, 
deren weicher Körper mit den gewöhnlichen Strahlenfäden 
dicht besetzt ist und auswendig über sich noch die gelben 
Zellen zwischen den Basen der Strahlenfäden hat. Das Ge- 
häuse besteht aus einem Reifen oder mehreren unter ein- 
ander verwachsenen den weichen Leib umspannenden schmalen 
Reifen oder bogenförmigen Kieselbändern, welche nach aulsen 
unregelmälsige Zacken oder Äste abgeben. 

1. Lithocircus vinculatus M. Mehrere untereinander 
verbundene Kieselbänder-Reifen in verschiedenen Ebenen bilden 
das Gehäuse, von dessen Leisten nach aufsen Zacken und Äste 
abgehen. Das Gehäuse besteht nämlich nur aus den Leisten zwi- 
schen 4 grolsen Lücken, welche den Maschen anderer Poly- 
cystinen entsprechen. Innerhalb des Gebälkes, nicht ganz in 
der Mitte, sondern an einen der Balken angelehnt, schwebt 
der weiche farblose Thierkörper von einer häutigen Gapsel 
umgeben, ohne innere kieselige Theile, nach allen Richtungen 
seine Strahlenfäden ausschickend, welche sich zum Theil an die 
Äste der Reifen anlehnen. Durchmesser des Gehäuses a 
Mehrmals in gleicher Form beobachtet. Nizza. 

2. Lithocircus annularis M. Das Gehäuse besteht 
nur aus einem den weichen Körper umgebenden Kieselring, 
von welchem einige ästige Zacken abgehen. Die Blase des 
Körpers schlielst farblose Körner ein, auswendig um die Blase 
und zwischen den Zacken runde und ovale gelbe Zellen von 
1_!N 


3 A ® E - : 1m 
75, worin einige Körner. Durchmesser des Körpers 5%". 


Todt beobachtet, mit einer strahligen Gallert umgeben. Nizza. 


vom 13. November 1856. 485 


Eine andere neue Form C/adococcusM. entfernt sich von 
den gewöhnlichen Polyeystinen, dafs sie keine äulsere Schale, 
aber ein gegittertes sphärisches Kerngehäuse besitzt, von wel- 
chem einige lange dünneästige, nicht hohle Stacheln unregelmä- 
[sig nach verschiedenen Richtungen radial ausgehen. C/adococ- 
cus arborescens M. Die Stacheln ragen aus dem weichen 
Körper so weit hervor, dals ihre Länge dem Durchmesser des 
letztern gleichkommt und ihn noch übertrifft. Man übersieht 
zugleich mindestens 7 nach verschiedenen Richtungen ab- 
gehende Stacheln und es sind ihrer jedenfalls mehr. Sie ste- 
hen nicht symmetrisch und schicken unter spitzen Winkeln 
2—3 lange gerade Äste ab. Über der häutigen Capsel, welche 
die weichen Theile des sphärischen Körpers mit dem Nucleus 
einschlielst, liegen zwischen den Fäden die gelben Zellen zer- 
streut. Auch die Stacheln und ihre Äste sind in Fäden ver- 
längert. Maschen des Nucleus polygonal bis 3mal so breit als 


die Balken und gegen 4 vom Durchmesser des Nucleus. Durch- 


messer des blassen Körpers 5”. Nizza. 

Es ist nölhig hievon den Fall zu unterscheiden, wenn die 
radialen ästig getheilten Stacheln über der thierischen Capsel 
durch einzelne Kieselarcaden verbunden sind, Acanthodes- 
mia M. Dahin gehört ein in Cette beobachtetes kleines Wesen, 
das ich wiederzusehen wünschen muls, da die Verbrennung der 
Weichtheile nicht glücklich zu Ende geführt werden konnte. 

Den Ehrenbergischen Haliommatinen und Lithocyclidinen 
durch den Besitz eines Nucleus neben der äufsern Schale ver- 
wandt ist eine Form, DicityosomaM., bei welcher eine kiese- 
lige gegitterte Kernschale ohne Radien unregelmälsig verästelte 
Zweige abschickt, welche sich in ein massiges lockeres schwam- 
miges unregelmälsiges Dickicht von Kieselnetzwerk vertheilen, 
das von allen Seiten den Kern umgiebt und den äufsern Theil 
des Skelets ausmacht. Die weiche Capsel, von welcher die 
Fäden ausgehen, liegt unter dem äufsern schwammigen Kiesel- 
werk und umschlielst hinwieder die viel kleinere Kernschale. 
Über der weichen Haut unter dem äufsern kieseligen Skelet 
liegen die gelben Zellen am Grunde der fadigen Ausläufer 
zwischen ihnen. Die Gattung Diciyosoma gleicht der Gattung 
Spongosphaera Ehr. darin, dals das äulsere Skelet massenhaft 

[1856.] 38 


486 Gesammtsitzung 


von allen Seiten den Nucleus umgiebt und weicht von ihr ab 
durch den Mangel der Radien; sie gleicht der Gattung Litho- 
eyclia E. durch den Mangel der Radien und weicht von ihr ab, 
dafs das äulsere Skelet, statt eines zelligen Randes, von allen 
Seiten den Kern umgiebt. Zu dieser Gattung gehören 2 bei 
Cette und Nizza oft mit dem feinen Netz pelagisch gefischte 
und lebend beobachtete Arten. 

1. Dictyosoma spongiosum M. Diese überaus häufige 
Art ist bald rund, bald oval, etwas deprimirt, im Verhältnifs 
von 2 zu 3. Das äulsere schwammige Netzwerk geht ganz 
unregelmälsig in Zacken und Ästchen aus, welche in Fäden 
nicht verlängert sind. Die innere Schale Nucleus ist fein ge- 
gittert und hängt mit dem äufsern Schwamm durch eine An- 
zahl ganz unregelmälsiger Balken zusammen. Der Nucleus ist 
rund, auch bei länglichem äufseren Skelet, wahrscheinlich etwas 
deprimirt. Man übersieht an der obern oder untern Seite des 
Nucleus am Umfang einen circulären Balken, von welchem obere 
und untere Balken nach dem zweiten innersten Kern abgehen, so 
dals beiderseits zwischen dem äufsern circulären Balken und 
dem innersten Kern ein Kreis von 9 Löchern erscheint. Die 
Löcher des innersten Kerns sind 2—3mal kleiner, man über- 
sieht daran 6 Löcher, wovon eines mitten zwischen den an- 
dern. Innerhalb der weichen Capsel, von welcher die Fäden 
auslaufen, ist zunächst ein heller Raum mit farblosen Zellen 
gefüllt, die Körnchen enthalten. Darauf folgt eine rothe die 
Kernschale einschliefsende und verhüllende Masse. Diese be- 


steht aus purpurrothen gröfsern und kleinern Pigmentkörnern, 


Am 
zu0 


der äufseren Schale 


die grölsten von Durchmesser des weichen Körpers unter 


5. Die gelben Zellen von 4,” unter 
dem äufsern Skelet werden durch Jod gebräunt. 

2. Dictyosoma angulare M. Die Gestalt des äufsern 
schwammigen Kieselgerüstes ist länglich viereckig; unter den 
unregeimälsigen äulsern Zacken zeichnen sich an beiden Enden 
symmetrisch gegenüberstehend längere Zacken oder Stacheln 
aus, wie an den Ecken eines Vierecks angebracht. Stellenweise 
befinden sich Lücken in dem äufsern Kieselwerk, so an den 
schmalern Seiten, ohngefähr wie an einer Schildkrötenschale. 
Der mittlere Theil des Körpers erscheint gelbroth. 


vom 13. November 1856. 487 


Gattung Spongosphaera Ehr. Ich habe mir statt eines 
neuen Namens erlaubt, den Begriff der von Hrn. Ehrenberg 
aufgestellten Gattung Spongosphaera zu erweitern, indem ich 
aulser den zweistacheligen auclı vielstachelige Formen mit spon- 
giöser Rinde hineinbringe. Hieher gehört die grofse pelagische 
bei Nizza beobachtete Polyceystine, Spongosphaera polya- 
eantha M., deren Skelet im Durchmesser über 4%” hat. Das 
äulsere schwammige Kieselwerk‘ aus höchst feinen unter ein- 
ander zu einem Dickicht anastomosirenden fadenartigen Balken, 
einem Fachwerk aus dem feinsten Spinngewebe gleichend, aber 
ganz unregelmälsig, ist über dem Körper zu einer bedeutenden 
Höhe entwickelt, so dafs der Durchschnitt des Kieselbalken- 
werkes bis zum weichen Körper ohngefähr dem Durchmesser 
des letzteren gleichet. Die Maschen zwischen den fadenartigen 
Balken sind sehr grofs bis gegen +; oder % vom Durchmesser des 
weichen Körpers. Das Balkenwerk reicht so weit nach aufsen, 
dals es die fadigen Ausläufer grolsentheils in sich verbirgt, und 
hängt mit einer Anzahl vierkantiger, radialer, nicht ganz sym- 
metrisch gestellter Stacheln durch viele zarte Ästchen der letz- 
tern zusammen, diese Stacheln reichen nach aufsen bis kurz 
‚über das schwammige Gebälke, und setzen sich nach innen, sich 
bis auf % verdünnend und die Kanten verlierend, mit einzelnen 
Knoten versehen, bis zu der kleinen durchlöcherten Nucleus- 
schale fort, in welcher nochmals gekreuzte Balken in einem 
kleinern zweiten Nucleus zusammentreffen. Der innerste Nu- 
eleus hat + vom Durchmesser des ersten Nucleus. Die Ma- 
schen der Nuclei rund, am ersten Nucleus gegen zweimäl so 
grols als die Balken dazwischen, am innersten Nucleus sind die 
Löcher und Balken ähnlich, aber 3mal kleiner. Die Stachel- 
radien haben sehr erhabene blatiförmige Kanten, welche auf 
dem Querschnitt ein Kreuz darstellen. Die gelben Zellen lie- 
gen wie gewöhnlich zwischen den strahligen Pseudopodien am 
Grunde derselben, noch über der weichen Capsel, von welcher 
diese ausstrahlen. Um die Mitte des Körpers befindet sich ein 
rothes Pigment. 

Überaus häufig waren die Haliomma-Arten mit sphäri- 
scher äufserer Gitterschale und regelmälsig entgegengesetzten 
Stacheln, bei allen diesen waren aulser den gewöhnlichen strah- 

38* 


488 Gesammtsitzung 


ligen Fäden auch die Stacheln immer in Fäden verlängert, wie 
es Hr. Clapar&de bei den Acanthometren beobachtet hatte, 
und scheinen die Stacheln auch einen Canal zu enthalten; doch 
sind mir die Schlitze an diesen Stacheln nicht bekannt, die spitzen 
Enden der Stacheln haben gewöhnlich nicht das gespaltene An- 
sehen, welches bei den Acanthometren Regel ist. Bei einer 
Art, Haliomma longispinum M., sah ich aber die Spitze ebenso 
getheilt. Unter den stacheligen Haliomma, welche sämmtlich 
lebend, d. h. mit strahligen Fäden und Körnchenbewegung, 
auch mehr oder weniger deutlicher schwacher Ortsbewegung 
gesehen sind, liefsen sich nicht weniger als 9—11 Arten un- 
terscheiden, wovon die meisten vielstachelig sind. Unter die- 
sen sind 2 schon in Messina beobachtete, die übrigen neu. 

1. Haliomma hexacanthum M. Monatsb. 1855 p. 671. 
Die sechsseitigen und fünfseitigen Maschen sind 2—3mal grö- 
[ser als die Breite der Balken und die grölsern gegen „, vom 
Durchmesser des Körpers. Die innernVerlängerungen der Stacheln 
gleichförmig dünn bis zu dem sehr kleinen centralen Nucleus. 
Ganz ähnlich den sechsstacheligen Exemplaren in den sechs- 
seitigen Gittermaschen und den inneren Verlängerungen der 


an 
10 9 


lich Varietät, nicht zu verwechseln mit dem schon in der 


Stacheln war ein vierstacheliges Exemplar von wahrschein- 
Grölse und auch sonst ganz verschiedenen Haliomma hexago- 
num Ehr. 

2. Haliomma ligurinum M. Die sphärische Gitter- 
schale glatt ohne Zacken, mit 20 symmetrischen conischen Sta- 
cheln ohne Kanten, so lang als der Radius, auch kürzer. Die 
Maschen des Gitters abgerundet, sehr ungleich, die gröfsern 
5”, andere kleiner bis % und % davon. Die Balken des Netzes, 
wo am dünnsten, 0" breit. Die inneren Verlängerungen der 
Stacheln gleichförmig dünn, so breit wie die Balken des Git- 
ternetzes, in der Mitte in einem Knöpfchen vereinigt. Die 
häutige Capsel im Innern der äufsern Schale von rothem In- 
halt. Ihr Durchmesser 4 der äufsern Schale. Durchmesser der 
äufsern Schale 5”. Nizza. (Eine andere ähnliche Art, die nicht 
vollständig beobachtet werden konnte, hatte gegen 20 kantige 
Stacheln, so lang als der Halhmesser des Körpers, sechseckige 


Gittermaschen und ein rothes Innere.) 


vom 13. November 1856. 489 


3. Haliomma polyacanthumM. Diese längliche Art ist 
schon im Monatsb. von 1855 p. 671 beschrieben. 

4. Haliomma echinoides M. Schale sphärisch, aufser 
den 20 symmetrischen Stacheln mit einzelnen zerstreuten Zacken 
oder kurzen Dörnchen besetzt, welche zum Theil nicht gerade 
sondern schief stehen. Die grolsen Maschen des Gitters sind un- 
regelmälsig eckig, im Durchmesser gegen 4mal so grofs als der 
Durchmesser der Balken und gegen „, vom Durchmesser des Kör- 
pers. Die radialen Stacheln sind conisch ohne Kanten, kleiner 
als der Radius des Körpers. Die innern Verlängerungen der 
Stacheln sind gleichförmig dünn und vereinigen sich zu einem 
sehr kleinen Nucleus, der einer Rosette von länglichen Perlen 
gleicht. Die Perlen sind am Ende der Stäbe und gleichsam 
Erweiterungen derselben. Als nach dem Verbrennen der thie- 
rischen Theile auf den befeuchteten Rest ein Deckplättchen 
aufgelegt wurde, brachen die Stäbe von der Perlenrosette ab, 
der geperlte Kern aber blieb in seinem Zusammenhange. Der 
Nucleus ist nur gegen 4mal so breit als die Breite der innern 
Radien und gegen „—,; vom Durchmesser des Körpers. Unter 
der äulsern Schale waren gelbe Zellen, der tiefere Körper- 
inhalt bestand nach dem Zerdrücken aus gelben und rothen 
Pigmentkörnern. Durchmesser der Schale 4”. Mehrmals bei 
Nizza beobachtet. 

9. Haliomma hystrix. Gitter der sehr kleinen sphäri- 
schen Schale (35”) mit runden Maschen, glatt. Gegen 20 sym- 
metrisch vertheilte conische Stacheln, so lang als der Radius 
desKörpers. Die innere Verlängerung des Stachels ist ebenfalls 
conisch, nach innen abnehmend. Der Durchmesser der Gitter- 
maschen ist gegen 2—3mal gröfser als der Durchmesser der 
Balken und gegen „; vom Durchmesser des Körpers. Die Kern- 
schale ist 3 vom Durchmesser der äufsern Schale, von gleichem 
Gitter. Innerhalb des Nucleus setzen sich die Stäbe noch bis 
zur Mitte fort, wo sie zusammenstolsend jeder mit einem keil- 
förmigen Knöpfchen endigen. Unter der äufsern Schale wie 
gewöhnlich die gelben Zellen, darunter und über der Kern- 
schale die Haut, von welcher die strahligen Fäden abgehen. 
Der tiefere Inhalt ist roth. Mehrmals bei Nizza beobachtet. 


490 Gesammtsitzung 


6. Haliomma tabulatum M. AÄufsere Schale etwas 
länger als breit. Obgleich überall zusammenbängend hat sie 
doch eine sehr eigenthümliche Zeichnung, wie wenn sie aus 
Tafeln zusammengesetzt wäre, was nicht der Fall ist. Dieses 
Ansehen beruht vielmehr auf der Verschiedenheit der Maschen 
in gewissen Feldern der Oberfläche. Das Gitter besteht näm- 
lich aus rhomboidalen grölsern Feldern, in welchen recht- 
winklig gekreuzte erhabene Linien regelmälsige Parallelen mit 
den Diagonalen der Felder bilden, so dafs jedes der Felder 
lauter kleine viereckige Abtheilungen enthält, aber die Paral- 
lelen und Maschen verschiedener Felder verschieden gestellt 
sind. Hierdurch erhält diese Schale ein sehr zierliches wie 
parquetirtes Ansehen. Von den sich kreuzenden erhabenen Li- 
nien sind die Poren der Schale eingeschlossen, so dals jedes 
kleine Viereck einen Porus enthält, der übrigens nicht vier- 
eckig, sondern rund ist. Bei einer gewissen Stellung der 
Schale mit Ansicht der längern Dimension übersieht man 
auf der Schale ein Kreuz von 4 Feldern, welche mit einer 
ihrer Ecken in der Mitte zusammenstolsen. Auf diesen 4 Fel- 
dern haben die Balkenlinien parallel mit den Diagonalen über- 
ali eine gleiche Richtung. Zwischen den Armen des Kreuzes 
sind Felder, deren Parallelen gegen jene schief gerichtet sind. 
So ist die ganze Schale regelmälsig in 20 rhomboidale Felder 
getheilt. Ebenso 20 Stacheln, sie sind kurz gleich % Radius, 
selten länger, ganz symmetrisch gestellt, auf den Feldern. Bei 
der Ansicht auf das vorhin bezeichnete Kreuz erblickt man 
näher der Mitte 4 Stacheln, einen vorn, einen hinten, einen 
rechts, einen links, nämlich auf den Feldern des Kreuzsterns. 
Entsprechend diesen 4 Richtungen |steht am vordern und hin- 
tern Ende der Schale und am rechten und linken Ende der- 
selben wieder ein Stachel, 4 andere nicht peripherische sieht 
man innerhalb der Winkel zwischen den Armen des Sterns, 
auf der untern Seite wiederholen sich die 4 der Mitte nähern 
und die 4 andern in den Winkeln des Sterns, also im 
Ganzen genau 20. Ich halte mich so lange bei der Stel- 
lung dieser Stacheln auf, weil sie im gegenwärtigen Fall 
wegen der Beziehung zu der Eintheilung der Oberfläche 


vom 13. November 1856. 491 


genau bestimmt werden kann und als Modell dienen kann für 
die andern Arten von Haliomma und die Acanthometren mit 
20 Stacheln. Das Haliomma tabulatum ist so symmetrisch, 
dals man an einer solchen Sphäre mit so gestellten Stacheln 
vorn und hinten, rechts und links und ein davon abwei- 
chendes oben und unten unterscheiden kann, oder viel- 
mehr sobald eine der Achsen eine der Bezeichnungen longi- 
tudinal, transversal, vertical erhält, was beliebig ist, so sind 
die andern sogleich bestimmt. Das Eigenthümliche der Sym- 
metrie liegt aber darin, dafs 2 der Hauptachsen in Stacheln 
ausgehen, die dritte Hauptachse nicht in Stacheln ausgeht. Die 
Wesenheit dieser Stellung läfst sich auch so ausdrücken, dals 
um eine stachellose Achse zwischen den beiden stachellosen 
Polen 5 Gürtel von Stacheln gestellt sind, in jedem Gürtel 
4 Stacheln, die Stacheln eines Gürtels mit denen des folgenden 
Gürtels abwechselnd. Die Stacheln des Haliomma tabulatum 
sind platt, zweischneidig, auch die innere Verlängerung bis 
zum kleinen porösen Kern. Hier am Kern werden sie vor 
der Insertion plötzlich schmaler. Häufig bei Nizza. 

7. Haliomma longispinum M. Schale sphärisch. Ge- 
gen 20 symmetrisch vertheilte Stacheln, überaus lang, 8— 9mal 
so lang als der Radius des Körpers, vierkantig, am Ende zwei- 
theilig, an den Rändern der Kanten regelmälsig zackig. Die 
Schale mit grofsen Maschen des Gitters. Der Durchmesser 
der Maschen ist gegen 2— 24;mal so grols als die Breite der 


Balken und gegen % vom Durchmesser des Körpers. Durch- 


messer der Schale Z,”. Nizza. 

8. Haliomma tenuispinum M. Schale sphärisch, 
gegen 20 symmetrisch vertheilte äulserst zarte haarförmige 
Stacheln, so lang oder länger als der Durchmesser des 


Körpers. Die Balken des Kieselnetzes ebenso zart, gleich 


Spinngewebe. Durchmesser der Maschen gegen ni vom Durch- 


messer des Körpers. Durchmesser der Schale 4”. Nizza. 
Andere Arten von Haliomma haben viele unsymmetrische 

Stacheln, nach dem Typus des Haliomma Beroes Ehr. von dem 

sie sich durch zahlreiche Radien und die Beschaffenheit des 


Gitters unterscheiden. 


492 Gesammtsitzung 


9. Haliomma spinulosum M. Die sphärische Schale 
mit sehr vielen nicht ganz symmetrischen Stacheln besetzt, 
mehr als 20; sie sind sehr kurz bis 4 vom Radius. Äufsere 
Schale mit grofsen Maschen und dünnen Balken. Der Durch- 
messer der Maschen ist gegen 8mal so grofs als die Breite der 
Balken und gegen 4 vom Durchmesser des Körpers. Der Nu- 
cleus grols, fast 4 der äulseren Schale, ebenfalls mit grolsen 
Maschen. Durchmesser des Körpers ;5”. Nizza. 

Bei einer verwandten Form mit vielen unsymmetrischen 
radiären Stacheln waren diese ungleich lang, die längsten bis 
zur Länge des Radius, der Nucleus 5 vom Durchmesser der 
äulsern Schale. Das Netz der Schale grolsmaschig, uneben, in 
Dornen auslaufend. Einer der radialen, fein auslaufenden, 
spitzen Stacheln zeichnete sich durch einen queren Seitenast 
aus. Die häutige Capsel innerhalb der äuflsern Schale und über 
der innern Schale mit rothem Inhalt. Nizza. 

Stilocyclia arachnia M. Der scheibenförmige Körper 
mit 12 in einer Ebene liegenden Stacheln am Umkreis, dop- 
pelt so lang als der Radius, welche sich durch das Gitter bis 
zum innersten Kern fortsetzen. Zwischen der äufsern Schale 
und dem Nucleus haben die Radien der Stacheln mehrere Eta- 
gen seitlicher Ausläufer, die sich an verschiedenen Radien ent- 
sprechen und entgegengehen. Der Nucleus scheint doppelt zu 
sein. Dreimal lebend bei Nizza beobachtet, 

Eucyrtidium zanclaeum M. Monatsb. 1855, p. 672. 
Sehr häufig bei Cette und Nizza lebend gesehen. Die innere 
Masse in der Kuppel immer kreuzweise in vier peripherische 
Lappen getheilt, mit einem hellen Kern in jedem Lappen. 
Gelbe und farblose Zellen im untern Theil der Glocke, aus 
welchem wie aus den Löcherchen der Schale die Fäden mit 
Körnchenbewegung hervorsehen. Auch die Spitze auf der Kup- 
pel ist in einen gleichen Faden mit Körnchenbewegung ver- 
längert. 

Podocyrtis charybdea M. Monatsb. 1855, p. 673. 
War in Messina gesehen, konnte aber damals nicht vollständig 
beobachtet werden. Dies zierliche Wesen sah ich bei Nizza 
lebendig wieder. Seine Gestalt gleicht sehr der Schale, welche 
aus sehr tiefem Seegrunde (900— 2700 Faden) bei Kamtschatka 


vom 13. November 1856. 493 


durch Sondiren erhalten worden und von Bailey in Amer. J. 
of sc. a. a. Juli 1856 beschrieben und pl. 1. fig. 8 abgebildet 
worden. Bailey bezieht die Form fraglich zur Gattung Di- 
etyophimus Ehr. unter dem Namen Dictyophimus? gracilipes. 
Unser Gehäuse von Nizza hat eine erste starke Einschnürung 
zwischen dem ersten und zweiten Glied, d. h. zwischen dem 
gegitterten Aufsatz der Kuppel und der gegitterten Kuppel 
selbst, und eine zweite ganz leichte Einschnürung vor dem 
Abgang der drei Fülse. Die zu den Fülsen hinabführenden 
Leisten des Gehäuses beginnen von der zweiten Einschnürung. 
Die Fülse divergiren, sind dreikantig und spitz, etwas ge- 
krümmt nach innen. Der Stachel auf dem Kuppelaufsatz steht 
nicht ganz gerade, nämlich ganz leicht nach der Kuppelseite 
eines der drei Fülse geneigt. Die Löcherchen des Gitters sind 
rund und in dem untersten Theil des Gehäuses zwischen den 
Fülsen sehr viel kleiner als in der Kuppel und ihrem Aufsatz. 
An der Kuppel und ihrem Aufsatz beträgt der Durchmesser 
der Löcherchen gegen + vom Querdurchmesser der Schale an 
der ersten Einschnürung. Von dem Dictyophimus? gracilipes 
Bailey unterscheidet sich dies Gehäuse, dals letzteres in der 
Abbildung gröfsere und weniger zahlreiche Löcher hat und vor 
dem Abgange der Fülse gar nicht abgesetzt ist, dals dessen 
Fülse mehr divergiren und die zarten Borten auf der Kuppel 
fehlen, welche in unserm Fall vorhanden sind. Die 3 untern 
oder Fufsspitzen der Schale unseres Thierchens sowohl als 
die Spitze auf dem obern Glied oder Kuppelaufsatz sind 
in einen Faden verlängert und scheinen einen Canal zu 
enthalten, desgleichen stehen auf dem obern Glied sowohl 
als auf der Kuppel selbst noch einige kleine dünne bor- 
stenförmige Stachelchen, ebenfalls in Fäden verlängert. Die 
übrigen zahlreichen Fäden treten theils aus den Löcherchen des 
Gehäuses, theils an der untern offenen Seite desselben hervor. 
Die Kuppel enthält eine rothe Masse, welche kreuzweise in 4 
peripherische in der Mitte zusammenhängende Lappen getheilt 
ist. Das ganze Gehäuse mit den Stacheln ist 4” hoch und 
am breitesten Theil 5” breit. 

Der Gattung Acanthometra M. ist es eigen, dafs eine 
zusammenhängende Gitterschale fehlt und dafs die Stacheln 


494 Gesammtsitzung 


ohne Nucleus in der Mitte mit den innern freien Enden sich 
zusammenlegen. Man kann jetzt nach Hrn. Claparede’s 
Beobachtungen hinzufügen, dafs die Stacheln hohl und mit 
Schlitzen ihres Canals versehen sind. 

Bei Haliomma schickt das Gitter der Schale überall einen 
dichten Sammet von Fäden aus. Bei den Acanthometren sind 
die Fäden viel sparsamer, bei vielen, vielleicht allen, befindet 
sich ein regelmälsiger einzeiliger Kranz von Fäden um jeden 
Stachel an der mehr oder weniger, oft stark hervorragenden 
und dann scheidenförmigen Stelle der Haut, die von dem Sta- 
chel durchsetzt wird, und diese Fäden sind an todten Exem- 
plaren oft verkürzt erhalten, sie erscheinen dann als ein Kranz 
mehr oder weniger langer, zuweilen ganz kurzer Cilien um 
den Stachel. Die Kränze von Cilien sind auch dann auf den 
zapfenförmigen Hautverlängerungen, den Stachelscheiden oder 
Stachelwarzen, vorhanden, wenn die Stacheln unentwickelt ge- 
blieben und so kurz sind, dafs sie nicht durch die Haut durch- 
gebrochen sind, Die Erscheinung der Cilienkränze um die 
Stacheln todter Acanthometren bat mich lange beunruhigt, bis 
ich mich überzeugen konnte, dals sie nichts anders als die 
Stümpfe der zurückgezogenen verdickten Fäden sind, indem ich 
sie auch lang in der kranzförmigen Anordnung wiedersah. Bei 
der A. pellucida M. zählte ich gegen 20 solcher Cilien im re- 
gelmäfsigen Kreis auf jeder Stachelwarze. Die verkürzten Ten- 
takelfäden oder Cilien todter Acanthometren fallen auch leicht 
ab; man sieht ihre Spuren dann auch wohl in der Nähe ihres 
Sitzes, oder vermilst sie gänzlich. Übrigens sind die Sta- 
chelscheiden überaus veränderlich, sie sind zuweilen so we- 
nig ausgebildet, dals die Haut am Stachel sich gar nicht er- 
hebt, zuweilen schlielst sie sich kurz und eng an den Stachel 
an, oft begleitet sie den Stachel als ein zapfenförmiger Gi- 
pfel eine ganze Strecke. 

Manche Acanthometren mit hohlen Stacheln, die in der 
Mitte mit den innern Enden sich zusammenlegen, also wahre 
Acanthometren weichen von den mehrsten Acanthometren ab, 
dals sie an der Oberfläche des Körpers Fortsätze der Stacheln 
entwickeln, wodurch eine Art unvollständigen Gitterwerkes 
entsteht, was diese gepanzerten Acanthometren den Ha- 


vom 13. November 1856. 495 


lionma annähert, so dafs eine tiefere Scheidung von nun an 
fast unnatürlich erscheinen könnte. Die gepanzerten Acantho- 
metren unterscheiden sich von den gestachelten Haliomma durch 
den Mangel des Nucleus, und dafs ihr Panzer aus Stücken be- 
steht, gleich wie ihre Stacheln eben so wenig innen verwach- 
sen sind. Es giebt auch noch einige andere wesentliche Unter- 
schiede in der innern Organisation, dieichhernach anführen werde, 

Die herrschende oder häufigste Zahl für die Stacheln der 
Acanthometren scheint 20 zu sein. Selten kommen mehr, 
selten weniger vor; weniger als 12 oder 14 habe ich noch bei 
keiner Acanthometra vorgefunden. Die Zählung ist gewöhn- 
lich sehr schwer und nicht sicher und nur bei denjenigen Ar- 
ten erleichtert, welche durch eine ausgezeichnete Achse läng- 
lich sind, wie Acanthometra elongata M. Hier unterscheidet 
man sogleich bei der Ansicht auf die längere Dimension etwa 
einen vordern und bintern Stachel, dann bei einer bestimmten 
Lage einen rechten und linken, welche auf die lange Achse 
rechtwinklig stehen. In den Winkeln des Kreuzes erscheinen 
4 andere Stacheln, die aber in andern Ebenen stehen, gleich 
weit entfernt von der obern stachellosen Mitte, sie wieder- 
holen sich in gleicher Weise auf der entgegengesetzten untern 
Seite; näher der Mitte stehen abermals wieder 4 Stacheln, so 
gestellt wie bei Haliomma tabulatum. Man erhält daher hier 
für die Acanthometren mit 20 Stacheln dieselbe Formel, dafs 
zwischen 2 stachellosen Polen 5 Gürtel von Stacheln stehen, 
jeder von 4 Stacheln, alle nach dem gemeinschaftlichen Cen- 
trum der ganzen Sphäre gerichtet, und dafs die Stacheln jedes 
Gürtels mit dem vorhergehenden alterniren. Die grolsen 
Hauptstacheln der Acanthometra elongata gehören dem mittlern 
Gürtel an und entsprechen dem vordern und hintern Stachel 
des Haliomma tabulatum, welche die Verlängerung des läng- 
sten Durchmessers des länglichen Haliomma tabulatum bilden. 

Mehrere Acanthometren haben vierkantige Stacheln mit 
hohen blattförmigen Kanten, wie ein vierschneidiger Dalch. In 
diesem Fall ist der Querschnitt eines solchen Stachels ein 
rechtwinkliges Kreuz. Am innern Ende der Stacheln sind sie 
zu einer vierkantigen Spitze zugeschnitten und treffen die 
Spitzen aller Stacheln so zusammen, dafs die Blätter der näch- 


496 Gesammtsitzung 


sten Stacheln mit ihren Rändern auf einander stolsen, welches 
bei vierblätterigen Stacheln nur bei einer gewissen Stellung 
und Zahl von Stacheln möglich ist. Es müssen immer 4 Sta- 
cheln radial gleich weit vom Pol der Sphäre und gleich weit 
von einander gestellt sein und alle Stacheln so stehen, dafs 
2 Arme ihres Kantenkreuzes in den Meridian fallen. Die Ord- 
nung von 4 gleich weit vom Pol und gleich weit von ein- 
ander entfernten Stacheln wiederholt sich mehrmals zwischen 
beiden Polen, so zwar, dafs jede Ordnung mit der vorher- 
gehenden alternirt und auf den nächsten von 8 Meridianen 
übergeht. Vierblätterige Stacheln mit rechtwinkligem Blätter- 
kreuz können sich mit den Kanten ihrer Blätter bei dieser 
Stellung und Folge zusammenfügen bei einer bestimmten Zahl; 
z. B. bei 12 Stacheln, wenn die Pole stachellos, bei 14 Sta- 
cheln, wenn die Pole selbst einen Stachel tragen; ferner bei 
20 Stacheln, wenn die Pole stachellos und 22, wenn sie selbst 
einen Stachel tragen. Die häufigste Zahl für vierkantige Sta- 
cheln der Acanthometren scheint auch wieder 20 zu sein. Bei 
vierkantigen 20 Stacheln verbinden sich die 4 Stacheln des 
ersten Gürtels mit den alternirenden des zweiten Gürtels durch 
3 Kanten, bei den übrigen Verbindungen treten 4 Kanten von 
4 Stacheln zusammen. 

Unter den Acanthometren dss Mittelmeers ohne besondere 
Fortsätze unterscheide ich: 

1. Acanthometra multispina M. Monatsber. 1855, 
p- 250. 

2. A. tetracopa M. mit mindestens 12— 14, wahrschein- 
lich auch mit 20 vierschneidigen Stacheln vom kreuzförmigem 
Querschnitt, gleichförmig breit von der Basis bis zum dünnen 
Ende. Die Kanten sind sehr hohe dünne Blätter. Das Innere 
des Körpers gelbbraun. Monatsb. 1855, p. 250. Die Haut 
verlängert sich auf die Stacheln in Form von Stachelwarzen. 

3. A. pellucida M. mit blassem, durchsichtiigem Kör- 
per und gegen 20 und mehr sehr dünnen gleichförmigen 
Stacheln ohne Kanten, länger als der Durchmesser des Kör- 
pers. Haut auf die Stacheln in Form von Stachelwarzen mehr 
oder weniger weit verlängert. Gelbe und farblose Zellen im 


vom 13. November 1856. 497 


Innern. Durchmesser des Körpers 4. Ähnliche Exemplare der- 
selben oder einer verwandten Art von 5” zeichneten sich aus, 
dafs die nadelförmigen Stacheln sehr kurz, zum Theil so kurz 
sind, dafs sie im Innern des Körpers verborgen bleiben. 

4. A. fusca M. Mit rothbraunem Körper und 20 nadel- 
förmigen Stacheln ohne Kanten, so lang oder 1%4mal so lang 
als der Durchmesser des Körpers. Undurehsichtig. 

5. A. ovata M. Körper eiförmig, der längere zum 
kürzeren Durchmesser wie 3:2. Gegen 20 rundliche Stacheln, 
so lang und länger als der Durchmesser des Körpers. Der cen- 
trale oder innere Theil der Stacheln ist vierkantig mit Blätterkreuz. 
Die Stacheln der längern Achse sind länger und stärker. Der 
Körperinhalt rothbraun, undurchsichtig. 

6. A. elongata. Körper sehr lang, 8mal so lang als 
breit, 20 Stacheln. Der langen Körperdimension entspricht ein 
sehr grolser vorderer und hinterer Hauptstachel, doppelt, drei- 
fach oder vielfach länger, auch dicker, als die andern Stacheln. 
Dieser ist in seiner äufsern Hälfte rundlich, in seiner innern 
Hälfte vierkantig. Körperinhalt gelb. 

Unter den Acanthometren des Mittelmeers mit besondern 
Fortsätzen an den Stacheln unterscheide ich: 

7. A. alata M. Gegen 20 Stacheln, vierkantig, zuge- 
spitzt, mit einem Knauf über der Stelle des Austrilts aus der 
Körperhaut. Dieser Knauf besteht aus 4 verticalen Blättern, 
welche die Gestalt von Kreissegmenten haben und sich aus den 
4 Kanten erheben. Auch der innere Theil der Stacheln im 
Körper vierkantig. Länge der Stacheln von der Spitze bis zum 
Knauf länger als der Radius des Körpers, bis doppelt so lang. 
Der Körper hat 5” Durchmesser. Nizza. 

8. A. quadridentata M. Stacheln vierkantig,. gegen 
das Ende allmählig verdünnt, über dem Körper mit einem 
Knauf von 4 im Kreuz gestellten querabstehenden Zähnen. Der 
Knauf liegt ohngefähr in der Mitte zwischen dem äufsern und 
centralen Ende des Stachels. Körper rothbraun. Cette. 

9. A. peetinata M. Gegen 20 vierkantige Stacheln mit 
2 Längsreihen von querabstehenden Zähnen, welche den Theil 
des Stachels einnehmen, der im Körper versteckt ist, bis nahe 


498 Gesammtsitzung 


zum innern Ende. Der freie Theil des Stachels ist so lang 
und länger als der Durchmesser des Körpers. Cette. 

Unter den gepanzerten Acanthometren, deren Stacheln 
wie gewöhnlich in Fäden verlängert sind, unterscheide ich: 

10. A. costata M. Stacheln conisch, unsymmetrisch ver- 
theilt, gegen 16, aulsen so lang als der Radius, auch nach 
innen verjüngt. An der Oberfläche des Köpers entwickeln sie 
2 horizontale starke Fortsätze, die sich wieder in 2 starke Äste 
theilen. Diese gehen den entsprechenden Fortsätzen anderer 
Stacheln entgegen und legen sich an diese an. So entsteht 
ein Gerippe mit grofsen Lücken an der Oberfläche des 
Körpers. Die centralen Enden der Stacheln keilförmig. Auf 
den Suturen der Äste stehen hin und wieder feinere kür- 
zere, nach innen nicht verlängerte Stachelchen, mehrentheils 
mit Knoten oder in ganzer Länge hinter einander mit queren 
kurzen Seitenästchen versehen. Körperinhalt eine körnige Masse. 
Cette. 

11. A. cataphracta M. Eine ganz ähnliche Art mit 
vierkantigen mehr symmetrischen Stacheln, die Fortsätze der 
Stacheln zweimal getheilt.. Die centralen Enden der Stacheln 
keilförmig zugespitzt. Keine Nebenstacheln. Cette. 

12. A. mucronata M. Conische Stacheln, symmetrisch 
vertheilt 14—20, welche an der Stelle, wo sie hervortreten, 
2 gegenüberstehende in horizontaler Richtung dendritisch ver- 
zweigte dünne Blättchen abschicken, welche auch siebförmig 
durchlöchert sein können. Aufserdem zwischen diesen Fort- 
sätzen und dem centralen Ende des Stachels an dem dicksten 
Theile des letztern zwei starke etwas nach dem centralen Ende 
gekrümmte Querbalken, auf derselben Seite des Stachelradius 
wie die obern Blättchen. Diese Querbalken liegen schon in 
dem gelbbraunen Inbalt des Körpers. Das centrale Ende des 
Stachels ist nicht einfach keilförmig, wie bei den andern Acan- 
thometren, sondern läuft in 3, vielleicht 4 kleine divergirende 
zahnförmige spitze Fortsätze aus. Im Innern des Körpers gel- 
bes und purpurrothes Pigment. Grölse des Körpers 3. Cette. 

Bei dieser letzten merkwürdigen Form konnte ich mich 
überzeugen, dals die Haut des Tbiers continuo noch über den 
obern dendritischen oder siebförmigen Blättchen weggeht, 


vom 13. November 1856. 499 


welche man der Schale eines Halomma vergleichen könnte, 
während dann die untern Schenkel gleichsam dem Kerngerüste 
eines Haliomma entsprechen. Soll dagegen die äufsere Haut 
der Acanthometren der häutigen Capsel gleichen, von welcher 
bei den Thalassicollen und Polycystinen die Fäden abgehen, 
so würden die beiden Stockwerke von Balken der Acantho- 
metra mucronata als innere Skeletbildung gleich dem einfachen 
oder mehrfachen Nucleus von Halomma oder dem Nucleus von 
Cladococcus anzusehen sein. Betrachtet man endlich die äufsere 
Haut der Acanthometra mucronata als eine noch über einer 
äufsern Schale liegende Cutis des Thiers, so wäre dies etwas, 
was bei keiner Polycystine wieder erscheint und es wären die 
äulsern Decken gleichsam duplicirt. 

Noch eine Abtheilung von Acanthometren enthält diejeni- 
gen ohne Panzer, deren Stacheln gegabelt sind. 

13. A. furcata M. Die Stacheln sind, so weit sie aus 
dem Körper hervorstehen, in ganzer Länge in 2 weit von ein- 
ander getrennte parallele Zinken getheilt. Diese Theilung be- 
ginnt von einem breiten Knopfe des Stachels an, an welchem 
man zwischen den fortgesetzten Spitzen noch 2 nicht in Zin- 
ken fortgesetzte Knötchen bemerkt. Der im Körper versteckte 
Theil des Stachels ist dünn, einfach wie der Stiel einer Gabel 
und verdünnt sich nach innen, schwillt jedoch ehe er das in- 
nere Ende erreicht, noch einmal in einen Knopf an. Das in- . 
nere Ende ist wie gewöhnlich keilförmig zugespitzt. Im In- 
nern des Körpers gelbe Zellen und purpurrothe Pigmentkörner. 
Körper im Durchmesser ;”. Cette. 

14. A. dichotoma M. Bei dieser Art ist der äulsere 
und innere Theil der Gabel ähnlich gestaltet, die Gabel ist 
ohne Stiel, vielmehr pincettenförmig oder feuerzangenförmig 
bis an das keilförmige innere Ende gleich gespalten; die Ga- 
belzinken hängen jedoch in der Mitte der Länge der Gabel 
unter der äulsern Haut des Körpers durch eine schmale Brücke, 
sonst nur an der äufsersten Spitze des centralen keilförmigen 
Endes zusammen. Der innere Theil der Gabel ist länger als 
der hervorragende und vor dem keilförmigen Ende am breite- 
sten. Die innere Masse des Körpers ist der Mitte näher gelb, 
weiter aulsen purpurroth. 


300 Gesammisitzung 


So eigenthümlich die vorher beschriebene A. furcata ist, so 
wenig ist es die jetzt beschriebene dichotoma im Princip; denn sie 
stellt im Maximo dar, was bei gewöhnlichen Acanthometren auch 
der Fall ist, dafs die Stacheln Schlitze haben. 

Die Charaktere der ursprünglichen Gattung Acanthometra 
wie sie oben gefalst worden sind, lassen sich nicht auf die Acan- 
thometra arachnoides Clap. Monatsber. 1855, p. 675 anwenden, 
welche so eigenthümlich ist, dals sie einen andern Gattungsnamen 
Plagiacantha Glap. verdient und also nun Plagiacantha 
arachnoides heilsen wird. Das Eigenthümliche liegt darin, 
dafs die ästigen Stacheln ohne Canal weder in der Mitte des Kör- 
pers sich aneinander legen, noch überhaupt dort zusammentreffen, 
sondern auswendig an einer Seite des weichen Thierkörpers sich 
begegnen und verwachsen, so dafs das Skelet nur eine Art Ge- 
länder bildet, an welches der sphärische weiche 'Thierkörper ange- 
lehnt ist, so zwar, dals zarte Verlängerungen, analog den strahligen 
Pseudopodien, die von dem Körper ausgehen, die Stacheln und ihre 
Äste begleiten, von den Enden der Stacheln frei auslaufen, auch 
zwischen den Stacheln und ihren Ästen fadenartige Brücken bil- 
den, von welchen wieder fadige Pseudopodien auslaufen, und alle 
die Verlängerungen das Phänomen der Körnchenbewegung dar- 
bieten. Die Gattung Plagiacantha steht gewissermalsen in der 
Mitte zwischen den Acanthometren und Polycystinen. Unter den 
von Hrn. Claparede und Lachmann in Gleswer bei Bergen 
beobachteten Exemplaren des Thierchens waren solche, deren Ske- 
let nur aus dem bezeichneten Geländer von Stacheln bestand und 
wo die Verbindungsbrücken zwischen den Ästen der Stacheln nur 
aus thierischer Substanz mit Körnchenbewegung bestanden, da- 
gegen in andern Exemplaren das Skelet auch in diesen Brücken 
selbst in Form von Arkaden vertreten war. Ein solches Skelet 
unterscheidet sich von dem der gewöhnlichen Polycystinen schon, 
dafs es kein schalenartiges Gehäuse ist; sobald aber an dem wand- 
bildenden Stachel- Geländer Anastomosen durch Skelet-Arkaden 
auftreten, wie in den letztbezeichneten Exemplaren, sie ist der erste 
Schritt zu einem Netz und also zu dem durch seine geschlossenen 
Lücken oder Löcher ausgezeichneten Skelet der eigentlichsten Po- 


lycystinen angetreten. 


AR 43. November 1856. 501 


Von der Art, wie:die Thalassicollen, Polycystinen und Acan- 
thometren die Nahrung aufnehmen, weils man noch gar nichts. 
Zwar kann man vermuthen, dafs es durch die Pseudopodien ge- 
schehe. Doch bedarf ihr Zusammenhang mit dem Körper noch 
tieferer Aufklärung. Bei den Thalassicollen und Polycystinen las- 
sen sie sich nur bis zur häutigen Capsel der Weichtheile verfolgen, 
die bei den Polycystinen meist noch unter einer äulsern Schale, 
bei Cladococcuws nackt ist und die Kernschale umschliefsend, bei 
Haliomma zwischen der äufsern Schale und der Kernschale liegt 
und in den Polycystinen gewöhnlich die gelben Zellen noch über 
sich hat. Bei den Acanthometren wird, nach Hrn. Claparede’s 
Beobachtungen, die äufsere Haut von den Tentakelfäden durch- 
bohrt, und setzen die Fäden unter dieser ihren Weg radial in die 
tiefere gefärbte Masse fort. Bei Thalassicolla nucleata sieht man 
unter der dicken Haut, von der die Pseudopodien abgehen, unter 
dem Deckplättchen keine solche Fortsetzungen und erscheint hier 
zwischen dieser Haut und einer innern grolsen centralen Zelle 
nur eine Schicht von Kugeln und Körnern, die wie Öltropfen und 
Fettmolekeln aussehen. Bei Diczyosoma liegt unter der häutigen 
Capsel, von welcher die Fäden ausgehen, eine ansehnliche helle 
Schicht, in welcher unter dem Druck des Deckplättchens farblose 
Zellen, die Körnchen enthalten, zum Vorschein kommen. Ein Zu- 
sammenhang der Pseudopodien mit dieser Schichte und ihrem In- 
halt ist unbekannt. Wie die Pseudopodien bei den Acanthometren 
ihren tiefern Ursprung nehmen, ist auch noch nicht bekannt. Da 
sich die Pseudopodien der Stacheln in der Nähe des Centrums der 
Stacheln in die Schlitze derselben fortsetzen müssen, so muls die 
Quelle der contractilen Fäden sehr tief gehen. Aber man weils 
jetzt noch nicht, ob sie hier zu einem einzigen die zusammenge- 
fügten Enden der Stacheln umlagernden Organ verbunden sind, 
oder etwa in besondern Ampullen endigen. Die Untersuchung 
des Körpers der lebenden Acanthometren unter dem Druck des 
Deckplättchens ist in dieser Hinsicht ganz unbefriedigend. Im Au- 
genblick der Einwirkung des Drucks sind alle Fäden plötzlich ver- 
schwunden, es bleibt nur der Inhalt des Leibes, gelbe Zellen mit 
Körnerinhalt oder andere Pigmentzellen, rothe und andere Pig- 
mentkörner, aulserdem aber auch farblose Zellen. Zur Unter- 

[1856] 39 


502 Gesammtsitzung 


suchung des Körperinhaltes ohne Druck eignen sich die mehrsten 
Acanthometren nicht; nur die Acanthometra pellucida ist durch- 
sichtig genug, um die Lagerungsverhältnisse der gelben und farb- 
losen Zellen und des Pigmentes zu beobachten. Bei dieser Art 
liegen die gelben und farblosen Zellen und die Pigmentkörner 
ziemlich oberflächlich, von der äufsern Haut durch einen hellen 
Zwischenraum getrennt. Der farbige Körperinhalt ist gegen diese 
äufsere Haut und den hellen Raum unter ihr, welcher von den Pseu- 
dopodien durchsetzt wird, immer scharf abgesetzt; doch habe ich 
mich von einer zweiten Haut, die über den farbigen Körperinhalt 
wegginge, nicht überzeugen können. Tiefer als die gelben und 
farblosen Zellen und Pigmentkörner erblickt man bei der Acan- 
ihometra pellucida den Raum zwischen den Stacheln bis zu ihrer 
Vereinigung von einer hellen Masse ausgefüllt, welche sich zwi- 
schen den Stacheln gegen die oberflächlichere Pigmentlage mit 
abgerundeten Erhabenheiten abzugrenzen scheint. 

Im August beobachtete ich in Cette eine Acanthometra mit 
vierkantigen Stacheln, in der das Innere des Körpers ganz von 
kleinen Wesen wie von Infusorien wimmelte, von denen sich auch 
einzelne ablösten und sich umhertrieben. Bei der Vergrölserung, 
unter welcher das Gewimmel in dieser Acanthometra zuerst be- 
merkt wurde, konnte die Form der Kleinen und ihre Bewegungs- 
organe nicht bestimmt werden. Als ich die Acanthometra zur 
Anwendung starker Vergröfserungen auf eine Glasplatte gebracht 
hatte, sah ich die vorher so lebhafte Bewegung schon erlöschend 
nur noch einen Augenblick; sie hörte sogleich gänzlich auf; beim 
Zerdrücken des Thiers mit dem Deckplättchen war nichts von In- 


fusorien zu sehen, vielmehr kamen aufser den gewöhnlichen ge- 


1’ 
00 


Durchmesser zum Vorschein, welche mit einigen sehr kleinen dunk- 


färbten Theilen nur viele runde durchsichtige Bläschen von , 


leren Körnchen hin und wieder wie bestäubt waren. An diesen 
Bläschen konnte ich aber mittelst starker Vergrölserungen einige 
überaus zarte ähnliche Fäden, wie an den Acanthometren, abge- 
hend an verschiedenen Stellen des Körpers erkennen. Es ist mir 
daher wahrscheinlich, dafs dieses junge Acanthometren und nicht 
etwa monadenartige Wesen sind. Dann würden die Acantho- 
metren im jüngsten Zustande den alten ähnlich noch ohne Sta- 


vom 13. November 1856. 503 


cheln sein und durch lebhafte Bewegungen von der Starrheit der 
erwachsenen abweichen. 

Alle beschriebenen Thiere sind pelagisch an der Oberfläche 
des Meers mit dem feinen Netz gefischt. Auf demselben Wege 
erhielt ich auch lebendige Polythalamien, nämlich Orbulinen (aus 
der Abtheilung der Monostega oder Monothalamia) und sehr häufig 
jüngere Rotalien und hatte dadurch Gelegenheit ihre fadigen Pseu- 
dopodien und ihre Bewegung zu vergleichen, welche in einem 
Glasschälchen mit Seewasser derjenigen der Acanthometren und 
Polycystinen gleichet. Was von der Ordulina universa sonst zu 
berichten, kann einer spätern Gelegenheit verspart sein. 

Die Menge des Auftriebs durch das feine Netz hängt davon 
ab, ob viel Wasser durch dasselbe gegangen, nämlich von der 
Dauer des Fischens und der schnellern Fahrt. Die Erhaltung der 
Thierchen am Leben hängt von entgegengesetzten Bedingungen 
ab, ferner von der Ruhe der See, dals nämlich das Netz nicht hin 
und her geworfen werde, ferner von der allgemeinen Beschaffen- 
heit des Auftriebs, dals nicht zu viele Abgänge von Thieren, nicht 
zu viele todte und lebendige Wesen in derselben Wasser- 
menge zusammen und die aufgetriebene körperliche Masse nicht 
allzu verdichtet sei. Die Thierchen sind sehr verschieden gegen 
diese Einflüsse empfindlich. Tralassicolla ist viel weniger em- 
pfindlich als die zusammengesetzten Sphaerozoen und Collosphae- 
ren, von welchen lebende Exemplare selten erhalten werden. Von 
den Polycystinen wurden die meisten Exemplare lebend erhalten 
und todte, d.h. solche ohne alle Spur von Ortsbewegung, ohne 
Körnchenbewegung an den Fäden, und mit schlaffen oder gar in 
eine Gallerte verbundenen Fäden sind seltener. Dagegen waren 
die einfachen Acanthometren ohne Panzerfortsätze nur. selten 
lebend erhalten und waren die mehrsten todt unter Umständen, 
unter welchen die mehrsten Polycystinen noch lebten. 

Was die Localitäten betrifft, so sind die Acanthometren reich- 
licher bei Cette, die Polycystinen reichlicher bei Nizza, die Tha- 
lassicollen ausschlielslich an der sardischen, die Polythalamien an 
beiden Küsten vorgekommen, 


39° 


504 Gesammtsitzung 


Hr. Müller legte sodann folgende Abhandlung des Hrn. 
Prof. Max Schultze in Halle vor: über die Endigungs- 
weise des Geruchsnerven und die Epithelialgebilde 
der Nasenschleimhaut. (Mit 1 Lithographie.) 

Den Bemühungen der Hrn. Eckhard in Giefsen und Ecker 
in Freiburg ist es zu danken, dafs wir über die Epithelialge- 
bilde der regin olfactoria der Nase, welche ihrer leichten Zer- 
setzbarkeit willen sich den Versuchen einer genaueren mikro- 
skopischen Analyse bisher entzogen hatten, befriedigendere 
Kenntnifs erhielten. (Vergl. Eckhard Beiträge zur Anatomie 
und Physiologie Heft 1, 1855, pag. 77; Ecker Berichte über 
die Verhandlungen der Gesellschaft für Beförderung der Natur- 
wissenschaften zu Freiburg i. B., 1855, No. 12; Zeitschrift für 
wissenschaftliche Zoologie Bd. 8, 1856, pag. 303.) Durch glück- 
liche Erhärtungs- und Macerationsmethoden gelang es Ersterem 
beim Frosch, Letzterem beim Menschen und einigen Säuge- 
thieren die Elemente der Epithelialschiceht zu zerlegen, und 
beide Forscher fanden übereinstimmend die Gestalt der Epi- 
thelzellen so abweichend vom Gewöhnlichen, dafs sie mit Rück- 
sicht auf die chemische Beschaffenheit derselben die Hypothese 
aufstellten, diese Zellen möchten mit ihren faserartig ausgezo- 
genen Enden eine unmittelbare Fortsetzung der Geruchsnerven- 
fasern sein. Die ganze Oberfläche der regio o/factoria der Nase 
würde danach von den pallisadenähnlich gestellten Endzellen 
der Geruchsnervenfasern bedeckt sein, und der Perception des 
Reizes riechender Substanzen dienen. 

Die Arbeiten der genannten Forscher, weit entfernt einen 
Beweis für ihre Hypothese zu liefern, mulsten zu einer Prü- 
fung der von ihnen nur kurz geschilderten anatomischen Ver- 
hältnisse anregen. 

In Folgendem erlaube ich mir die Resultate von Unter- 
suchungen, welche ich über das Geruchsorgan von Vertretern 
aller Wirbelthierklassen angestellt habe, im Auszuge darzulegen. 

4) Die regio olfactoria der Nasenschleimhaut aller Wirbel- 
thiere ist, wie der übrige Theil dieser Schleimhaut, von Epi- 
thelialzellen bedeckt, welche mit den Geruchsnerven in keinem 
Zusammenhange stehen. Diese Zellen der regio o/factoria sind 
langgestreckt, an den freien oberen Enden annähernd sechs- 


vom 13. November 1856. 505 


seitig prismatisch, und gehen central in einen längeren oder 
kürzeren Fortsatz aus, welcher ganz die chemische Natur an- 
derer Epithelialzellenfortsätze beibehaltend, durch seitliche Aus- 
läufer öfter auch mit benachbarten in Verbindung tretend, in 
der Nähe der bindegewebigen Unterlage sich zu verbreitern und 
zu theilen pflegt, und mit den oft mehrfachen mehr oder we- 
niger feinen Ausläufern an der Grenze des Bindegewebes endet. 
Es sind das diejenigen Zellen, welche Ecker vom Menschen 
(Berichte etc. Taf. IV, fig. 1, 2, 4, Zeitschr. f. w. Z. etc. 
Taf. XIII, fig. 4), Eckhard vom Frosch (I. c. Taf. V, fig. 2,5, 
6. 3u. 4 b)doch zum Theil nicht ganz naturgetreu abbilden. 
Dieselben tragen beim Menschen, bei Säugethieren, Vö- 
geln und Amphibien niemals Wimpern, gehen aber am Rande 
der regio o/factoria in die Wimperzellen der übrigen Nasen- 
schleimhaut allmählig über. Ihre langen, nach unten verästelten 
Fortsätze werden dabei kürzer und schwinden mehr oder we- 
niger ganz. Statt der wimperlosen, äufserst zarten, dünnen, 
vergänglichen vorderen Begrenzungshaut tritt die mit Wimpern 
bekleidete, dickere, doppelcontourirte Zellwand auf. Das che- 
_ mische Verhalten beider Zellenarten gegen Chromsäure und dop- 
pelt chromsaures Kali ist ein gleiches. Sie lassen sich fast in 
jeder beliebig concentrirten Lösung dieser Stoffe erhalten. 
Die Epithelzellen der regio olfactoria sind oft Sitz einer 
Pigmentablagerung, welche in Verbindung mit einer meist gleich- 
zeitig vorhandenen Pigmentirung der Bowmann’schen Schleim- 
drüsen-Zellen Ursache der bei vielen Säugethieren intensiv 
braungelben Färbung dieser Gegend ist. Beim Menschen und 
Meerschweinchen sind es die peripherischen prismatischen Zel- 
lenkörper, in welchen das Pigment seinen Sitz hat, während 
dasselbe bei Hund, Katze, Schaaf, Pferd die unteren verbreiterten 
und oft verästelten Zellenenden färbt, also die Grenze zwi- 
schen Epithel und bindegewebiger Grundlage der Schleimhaut 
bezeichnet. In Folge dieser Pigmentirung unterscheidet sich 
auch beim Menschen die regio olfactoria durch eine bereits mit 
blolsem Auge erkennbare gelbliche Farbe von den angrenzenden 
Theilen der Schleimhaut, wie neuerdings besonders Ecker 
hervorgehoben hat. Doch zeigen sich gerade beim Menschen 
bedeutende Schwankungen in der Ausdehnung dieser gefärbten 


506 Gesammtsitzung 


Gegend. Es kommen selbst mitten in der regio olfactoria pig- 
mentlose wimpernde Stellen vor, woraus sich Kölliker’s An- 
gabe erklärt, dals er bei einem Hingerichteten auch die ober- 
sten Parthieen der Nasenhöhle wimpernd gefunden, und um- 
gekehrt zeigen sich in die wimpernden Parthieen der oberen 
Muschel und der Scheidewand öfter Gruppen wimperloser pig- 
mentirter Zellen eingebettet. 

Übrigens finden sich wie in der Form so auch in der Pig- 
mentirung Übergänge zwischen beiden Zellenarten. 

2) Zwischen diesen unzweifelhaften Epithelialzellen der 
regio olfactoria, bei welchen an einen Zusammenhang mit den 
Olfactorius-Fasern nicht zu denken ist, finden sich bei allen 
Wirbelthieren in grolser Zahl andere Zellen von abweichender 
Gestalt und eigenthümlicher chemischer Beschaffenheit. Sie be- 
stehen aus einem rundlichen Zellenkörper und zwei in enige- 
gengesetzter Richtung abgehenden feinen Fortsätzen, von wel- 
chen der eine, nach der Peripherie strebende, in gleicher Höhe 
mit der freien Fläche der Epithelialzellen endigt, der andere 
nach der bindegewebigen Grundlage der Schleimhaut verläuft. 
Die Zellenkörper liegen in sehr verschiedener Höhe zwischen 
den Epithelialzellen, der freien Oberfläche bald näher bald fer- 
ner, und sind fest eingebeilet zwischen den einen dichten Filz 
bildenden Fortsätzen der letzteren. Von den beiden zarten 
Fäden, in welche dieselben übergehen, und welche sich nur 
bei ganz bestimmten Concentrationsgraden der zur Erbärtung 
und Maceration angewandten Flüssigkeiten erhalten, ist der cen- 
trale der feinere, bald nach seinem Ursprunge aus der spindel- 
förmig ausgezogenen Zelle als zartes Fädchen bei starken Ver- 
grölserungen eben nur noch erkennbar. Derselbe läuft ohne 
je in directe Verbindung mit den Epithelialzellenfortsätzen zu 
treten, gestreckt und ohne Verästelungen oder Theilungen bis 
zur bindegewebigen Grundlage der Schleimhaut, an welcher er 
bei jeder Präparation, die ihn isolirt, auch abreilst. Was die- 
sen Zellenfortsatz aber als einen ganz eigenthümlichen kenn- 
zeichnet, das sind die regelmälsig an demselben sichtbaren Va- 
rikositäten von spindel- oder kugelförmiger Gestalt, welche bis 
an sein an der Grenze der Epithelialsehicht noch leicht isolir- 
bares Ende in unregelmälsigen Zwischenräumen bald gröfser 


2 
} 


} 


vom 13. Novenider 1856. 507 


bald kleiner vorhanden sind, und diesem Faden das Ansehen 
einer feinsten Nervenfaser geben, wie sie sich in der reiina 
in der Schicht des opzieus und als Ganglienzellenfortsätze fin- 
den, mit welchen letzteren derselbe auch in seinen chemischen 
Eigenschaften durchaus übereinstimmt. 

Stets etwas breiter ist der entgegengesetzte Zellenfortsatz, 
welcher in gleicher Höhe mit den freien Flächen der Epi- 
thelialzellen sein Ende findet. Derselbe beginnt an dem Zel- 
lenkörper ziemlich breit, verschmälert sich aber schnell bis auf 
0,0004— 0,0008 par. Lin. und läuft in gleicher Breite aufwärts. 
Dieser Fortsatz ist ebenso vergänglich wie der centrale, und 
bei gewissen Concentrationsgraden der umgebenden Flüssigkeit 
auch durch Varikositäten ausgezeichnet, welche ihm abgesehen 
von seiner etwas grölseren Breite ganz dasselbe Ansehn ge- 
ben, wie das jener central verlaufenden Fädchen. 

Diese bei allen darauf untersuchten Wirbelthieren von mir 
aufgefundenen Zellen hatte Eckhard beim Frosch gesehen, 
und I. ce. fig. 3, d, fig.4, ce wenn im Allgemeinen auch un- 
vollkommen doch in den peripherischen Fortsätzen gauz rich- 
tig abgebildet, die Bündel derselben fig. 9, 10 aber für Drü- 
senelemente gehalten. Ecker hat beim Menschen nur die Zel- 
lenkörper nicht aber die charakteristischen Forssätze erkannt, 
und erstere als Ersatzzellen angesprochen. 

Sehr eigenthümliche Verhältnisse bietet die Beschaffenheit 
des freien, an der Oberfläche der Epithelialschicht zu Tage lie- 
genden Endes der fraglichen Zellen. Schon Eckhard führt 
an, dals die regio olfactoria des Frosches mit Wimperhärchen 
bedeckt sei, welche sich durch ibre Länge und Zartheit von 
denen anderer Gegenden unterscheiden. In der That sind die- 
selben durchaus anderer Art als die bekannten die Flimmer- 
bewegung erzeugenden Wimpern. Nicht nur dafs ihre Länge 
eine aulserordentlich bedeutende ist, nämlich bis zu 0,04” 
steigt, also die gewöhnlicher Wimpern um das 8— 10 fache 
übertrifft, ferner ihre Feinheit die Unterscheidung isolirter 
Härchen nur mit den besten Instrumenten zuläfst, so sind auch 
die Bewegungserscheinungen und ihre chemischen Eigenschaf- 
ten durchaus abweichend. Untersucht man die regio olfactoria 
eines frisch eingefangenen Frosches (Rana esculenta) gleich 


508 Gesammtsitzung 


nach der Decapitation in humor aqueus desselben Thieres, so 
ist ein leichtes Wogen an den meisten Härchen zu erkennen, 
wie an den Schwänzen zahlreicher aber bereits fast abgestor- 
bener Spermatozoiden. Da die Bewegungen nur schwach und 
nicht gleichförmig sind, so bringen sie nie einen Strudel in 
der umgebenden Flüssigkeit zu Stande. Die längsten unter den 
Härchen zeigen meist von Anfang an gar keine Bewegungen, 
nach Verlauf von 15—20 Minuten bemerkt man nur noch an 
den kürzesten eine solche, und bald hört auch diese gänzlich 
auf. Dasselbe tritt auch bei unverletzter Nase ein, so dals eine 
Stunde nach dem Tode schon keine Spur einer Bewegung mehr 
sichtbar ist. Kali- und Natronlösung bewirken keine Wieder- 
belebung derselben, wie dies nach Virchow’s Beobachtungen 
bei gewöhnlichen Wimpern geschieht, und Zusatz von Was- 
ser zerstört die Härchen augenblicklich. 

Mufs diese leichte Vergänglichkeit und das schnelle Auf- 
hören der überhaupt nur sehr geringen Bewegungen im Ver- 
gleich mit den bekannten Erscheinungen an anderen Wimpern, 
in hohem Grade auffallen, so steigt unsere Bewunderung wenn 
wir erkennen, dafs diese Härchen nicht wie Eckhard angiebt 
und wie man allerdings vermuthen sollte, den Epithelialzellen 
aufsitzen, sondern den zwischen diesen zu Tage tretenden va- 
rikösen Faserzellen. Eine jede dieser letzteren trägt auf einem 
starklichtbrechenden Knöpfchen 6—10 der langen, im ruhen- 
gen Zustande borstenartig gestreckten Härchen, welche frei in 
den Luftstrom der Nase hineinragen. Da mindestens 4—6 
solcher Härchenzellen eine jede wimperlose Epithelialzelle im 
Kreise gestellt umgeben, so kann es nicht wnndern, dals wir 
an der unverletzten Nasenschleimhaut die durch die Epithelial- 
zellen gebildeten Lücken in der Anordnung der Härchen nicht 
wahrnehmen. 

Diese eben beschriebenen Verhältnisse sind sehr leicht an 
dem Geruchsorgan eines Frosches zu constatiren, welches 24 
Stunden oder länger in einer Lösung von 5—% Gran trock- 
ner Chromsäure auf die Unze Wasser gelegen hat. Die Decke 
der Nasenhöhle werde vor dem Einlegen weggebrochen und 
das Kopfstück möglichst verkleinert; die Menge der Flüssigkeit 
aber sei nicht unter 2 Unzen. Ein solches Präparat durch gu- 


vom 6. November 1856. 509 


ten Verschluls vor dem Schimmel geschützt, kann noch nach 
Wochen zur mikroskopischen Untersuchung dienen. 

Stärkere oder schwächere Chromsäurelösungen zerstören 
die feinen Härchen, wie solche auch zu einer unveränderten 
Erhaltung der varikösen Faserzellen nicht brauchbar sind. 

Ganz ähnliche Bildungen finde ich in der regio olfactoria 
von Salamandra maculata, Bufo variegatus, Coluber natrix, An- 
guis fragilis, Lacerta und bei vielen Vögeln. Frisch in kumor 
aqueus untersucht, sieht man von der freien Epithelialfläche 
aus zahllose steife Härchen bis zu 0,05” Länge in die umge- 
bende Flüssigkeit ragen, von welchen die längsten ganz re- 
gungslos stehen, die jüngeren dagegen meistens einige Zeit 
hindurch leichtwogende Bewegungen zeigen, die bei Berüh- 
rung mit Wasser sogleich aufhören, indem die Härchen ein- 
schrumpfen und verschwinden. Gelingt es nach Maceration in 
Chromsäure die Elemente der Epithelialschicht unverändert zu 
isoliren, was bei den beschuppten Amphibien und warmblü- 
tigen Thieren meist dünnere Lösungen (von %—; Gran auf 
die Unze Wasser) erfordert, so überzeugt man sich leicht, dafs 
wie beim Frosch nur die varikösen Faserzellen es sind, welche 
die wimperartigen Anhänge tragen, die Epithelialzellen da- 
gegen solcher gänzlich ermangeln. Und zwar kommen bei den 
meisten der genannten Thiere neben solchen Elementen, die 
wie bei Rana esculenta mehrere wimperartige Anhänge be- 
sitzen, auch noch variköse Zellen vor, welche sich nur in ein 
einziges langes borstenartiges Härchen mit breiter Basis aber 
auflserordentlich fein auslaufender Spitze fortsetzeu. 

So allgemein auch diese die Epithelialzellen der regio ol- 
factoria weit überragenden haarförmigen ein- oder mehrfachen 
Fortsätze der varikösen Faserzellen bei Amphibien und Vö- 
geln vorkommen, so fehlen sie doch den Fischen, den 
Säugethieren und dem Menschen. Man überzeugt sich 
von deren Abwesenheit leicht durch Untersuchung frischer Prä- 
parate in humor aqueus. Dennoch fehlen auch hier nicht kleine 
Aufsätze auf den letztgenannten Elementen, welche über die 
Epitheloberfläche hinausragen. An erhärteten Präparaten habe 
ich solche beim Menschen, vielen Säugethieren und unter den 
Fischen beim Hecht in Form kleiner 0,001 — 0,002” langer stäb- 


510 Gesammtsitzung 


chenförmiger Gebilde gesehen, welche durch eine scharfe Quer- 
linie vom Zellenfortsatz abgegrenzt sind und hier sich leicht 
ablösen. Ihre Art das Licht zu brechen ist eine solche, dals 
man in humor aqueus auch mit den besten Instrumenten eben 
nur eine leichte Andeutung derselben wahrnimmt. 
Unternehmen wir es nach dieser Darstellung von dem Vor- 
kommen gewisser eigenthümlicher Faserzellen in der Epithel- 
schicht der regio olfactoria der Wirbelthiere nach dem Ansehn 
und den chemischen Eigenschaften derselben einen Vergleich 
zu ziehen zwischen ihnen und anderen bekannten Zellenformen, 
so ist zunächst hervorzuheben, dals in keiner anderen Epithe- 
liallage, namentlich weder in der Nase nach abwärts von der 
regio olfactoria, noch in der Luftröhre eine Spur solcher vari- 
köser Faserzellen aufzufinden ist, wie wir sie an dem ange- 
führten Orte ganz constant finden. Die Ersatzzellen, welche 
in geschichteten Epithelien als jüngere Zellengeneration unter 
und zwischen den oberflächlichen gelagert sind, reichen nicht 
bis an die freie Fläche. Freilich kommen an jungen Epithel- 
zellen, wie bisher wenig beachtet worden, längere Fortsätze 
vor, welche ihnen eine spindel- oder sternförmige Gestalt ge- 
ben, aber nie findet sich auch nur eine Andeutung an die Ge- 
stalt, Lage und chemische Natur unserer Zellen der regio ol- 
factoria. Es bleiben, worauf oben bereits hingewiesen wurde, 
nur Zellen der Nervenapparate zur Vergleichung übrig, und 
unter diesen als der peripherischen Ausbreitung eines Sinnes- 
nerven angehörig bieten sich die Zellen der rezina vor anderen 
dar. Nach den bekannten Untersuchungen von H. Müller 
Kölliker, Remak u. A. laufen die multipolaren Ganglien- 
zellen der Nervenhaut des Auges in feine variköse Fädchen aus, 
welche mit den feinsten Fäserchen des Opzicus durchaus über- 
einstimmen, auch mit denselben in unmittelbarem Zusammen- 
hange gesehen wurden, so dals über die Bedeutung der erste- 
ren als Nervenzellen nicht der geringste Zweifel obwalten kann. 
Bei einer Vergleichung dieser multipolaren varikösen Faser- 
zellen mit den bipolaren der regio o/factoria stellte sich in dem 
chemischen Verhalten gegen Chromsäure, doppelt chromsaures 
Kali, Sublimat, Kupfer- und Zinkyitriol eine vollständige Über- 
einstimmung heraus. Die Zellenkörper mit ihren Kernen las- 


vom 13. November 1856. 511 


— 


sen sich in mannigfach verschieden concentrirten Lösungen 
dieser Stoffe erhalten, man findet sie bald mehr eingeschrumpft 
bald in halber Auflösung begriffen, aber die scharfe äufsere 
Contour der Zellen und namentlich ihre zarten varikösen Fort- 
sätze können nur bei ganz bestimmten Concentrationsgraden 
beobachtet werden. Das Verhältnils der Lösung schwankt für 
Chromsäure zwischen -—-- Gran auf die Unze Wasser, und 
richtet sich sowohl nach der Verschiedenheit der Thiere als 
nach der Zeit, welche zwischen dem Tode und dem Ein- 
legen in die Flüssigkeit vergangen ist. Bei längerer Dauer 
derselben bedarf es stärkerer Lösungen als wenn das Präparat 
gleich nach der Decapitation vorbereitet wurde. Von sehr be- 
deutendem Einfluls ist ferner die Beimischung von löslichen 
organischen Stoffen wie Blut, Schleim, Eiweils zu den zur 
Erhärtung und Maceration angewandten Flüssigkeiten; eine 
solche Beimischung kann namentlich bei warmblütigen Thieren 
sehr günstig wirken, wenn gleichzeitig die Chromsäurelösung 
etwas concentrirter gewählt war. 

Eine Reihe in diesem Sinne ausgeführter Untersuchungen 
hat mich in den Stand gesetzt, wie ich glaube, mit grölserer 
Sicherheit als bisher möglich war, über die nervöse oder nicht 
nervöse Natur gewisser Fasern zu entscheiden. So erwähne 
ich nur, dals sich für die sämmtlichen an der membdrana limi- 
tans endigenden radiären Fasern der rezina herausstellte, dafs 
dieselben in ihrer ganzen Länge keine Gemeinschaft mit Ner- 
venfasern haben, eine Ansicht, welche bereits von Remak, 
Bidder und Blessig ausgesprochen worden, jedoch auf alle 
radiären Elemente der retina ausgedehnt wurde. Es giebt aber 
in dieser Haut aulser den eben erwähnten radiären Elementen 
noch andere in gleicher Richtung verlaufende Fasern von be- 
stimmt nervöser Natur. Diese haben dasselbe Ansehn, dieselbe 
chemische Beschaffenheit wie die Ganglien-Zellenfortsätze und 
wie die feinen variıkösen Fasern der grauen Substanz nach au- 
[sen von den Zellen, und erhalten sich auch nur unter den- 
selben schwierig zu regulirenden Umständen. Die Nichtbeach- 
tung dieses hier nur kurz anzudeutenden Unterschiedes zwischen 
zwei total verschiedenen radiären Faserarten der rezina ist die 
Ursache der bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die 


512 ; Gesammtsilzung 


physiologische Bedeutung dieser überall für gleichwerthig ge- 
haltenen Elemente. Die eine Art dieser {Fasern verhält sich 
genau wie die Epithelialzellenfortsätze der regio olfactoria. Sie 
sind fast in jeder beliebigen Chromsäurelösung (schwankend 
zwischen 4 und 3, 4 und mehr Gran auf die Unze Wasser) 
zu erhalten, haben keine Ähnlichkeit und keinen Zusammenhang 
mit den feinsten Opticusfädchen, und stellen aller Wahrschein- 
lichkeit nach nur einen Stützapparat für die zweite Art von 
Fasern dar, welche zwischen die erste gelagert nach Ansehn 
und chemischem Verhalten wie nach ihrer Verbindungsweise 
mit entschieden nervösen Gebilden nur für Nervenelemente ge- 
halten werden können. 

Solche und andere vergleichende Untersuchungen haben es 
immer wahrscheinlicher, ja so gut wie gewils gemacht, dafs 
die varikösen Faserzellen der regio olfactoria Nervenzellen 
seien. 

3) Dieser Ansicht von der Bedeutung der letztgenannten 
Zellen als Elementen des Nervensystemes den endgültigen Be- 
weis zu geben, bedarf es des Nachweises eines directen Zu- 
sammenhanges derselben mit den Fasern des Geruchsnerven, 
welcher sich in der bindegewebigen Grundlage der Schleim- 
haut der regio olfactoria verästelt. Über den feineren Bau des 
letzteren, namentlich die Art seiner Primitivfasern, sind die 
bisherigen Untersuchungen wenig befriedigend. Nach Todd 
und Bowmann’s Entdeckung seiner Zusammensetzung aus 
blassen, leicht granulirten, breiten kernhaltigen Fasern sind 
kaum wesentliche Fortschritte in der Erkenntnils feinerer Stru- 
cturverhältnisse gemacht worden. Kölliker (Mikroskopische 
Anatomie Bd. II, p. 770) beschreibt die Elemente als Röhren 
von 0,0022—0,01”” Breite, mit zarter, structurloser Hülle und 
feingranulirtem, zähflüssigem, mit Kernen durchsetztem Inhalt, 
welche sich nicht in feinere Fibrillen zerlegen lassen, aber von 
den Stämmen nach den Ästen zu durch Theilung verschmälern. 

Nach meinen an den Geruchsnerven von Vertretern aller 
Wirbelthierklassen angestellten Untersuchungen sind jedoch diese 
von Kölliker als Primitivfasern angesehenen Röhren nicht so 
einfach. Schon an frischen, in Aumor aqueus liegenden Prä- 
paraten sieht man den Inhalt der structurlosen Scheide so deut- 


vom 13. November 1856. 513 


lich längsstreifig, dals die Anwesenheit feinerer Fäserchen im 
Innern sehr wahrscheinlich erscheint, und wird dieselbe durch 
Erhärtung in Chromsäure oder doppeltchromsaurem Kali zur 
Gewilsheit. Es sind 0,0002 — 0,001” breite Fasern, welche zu 
Bündeln vereinigt und von einer durchsichtigen Scheide um- 
hüllt, die beschriebenen Röhren darstellen. Breitere und schmä- 
lere sind neben einander in einem Bündel enthalten, an den 
breiteren finden sich Theilungen, manchmal wie es scheint 
selbst anastomotische Verbindungen, welche das Isoliren der 
Fäserchen, die überhaupt eng aneinander kleben, erschweren. 
Dennoch sind an abgerissenen Enden der Bündel die Elemente 
oft sehr deutlich isolirt sichtbar. Gegen die feineren Äste 
theilen und verschmälern sich die Bündel, die structurlose 
Scheide verliert sich und die Primitivfasern, die jetzt alle der 
feinsten Art angehören, treten frei auseinander. Die Fäser- 
chen gleichen den durch wiederholte Theilung der Ganglien- 
zellenfortsätze im bulbus olfactorius entstandenen Elementen, 
welche Axencylindern analog sind, und in ungeheuren Massen 
die Rinde des Bulbus zusammensetzen. Sobald sie die letztere 
verlassen, werden sie zu Bündeln vereinigt von einer Scheide 
umgeben, mag der Bulbus am Hirn unmittelbar anliegen, wie 
bei vielen Fischen, Amphibien und den Vögeln, oder erst am 
Eingang in die Nasenhöhle sich befinden. Mit dem Austritt 
aus dem Bulbus stellen sich auch die Längskerne im Nerven 
ein, liegen jedoch nicht im Innern der Primitivfasern. Sind 
die letzteren an der Peripherie im Begriff auseinander zu tre- 
ten, so befinden sie sich bereits unmittelbar unter der Epithe- 
lialschicht der Schleimhaut. Hier geht nun eine Veränderung 

in den Fasern in der Art vor, dals sie zarter, weicher, ver- 
_ gänglicher, Diffusionserscheinungen zugänglicher und deshalb 
_ schwerer darstellbar werden, und die vorher nicht vorhandene 
_ Neigung Varikositäten zu bilden sich bei ihnen einstellt. Ge- 
wöhnlich reilsen bei der Präparation die Fasern vorher ab, ehe 
_ diese Veränderung an ihnen eingetreten ist, denn mit derselben 
befinden sie sich bereits jenseits der Bindegewebsschicht zwi- 
schen den Basen der Epithelialzellen, an der Stelle wo wir die 
Enden der centralen Ausläufer der varikösen Faserzellen fan- 
den. Es spricht Nichts gegen die Ansicht, dals hier ein di- 


514 Gesamrmtsitzung 


recter Zusammenhang beider durchaus gleichartiger Elemente 
statthat. Wenn ein solcher in keinen einzigen Falle zur Be- 
obachtung gekommen ist, so darf das nicht Wunder nehmen. 
Die zur Untersuchung nöthige Maceration bewirkt, dafs die 
ganze Epithelialschicht mit Einschluls der Nervenzellen sich leicht 
von der bindegewebigen, nervenreichen Unterlage löst, so dals 
an dieser Stelle eine Trennung des Zusammenhanges viel frü- 


her eintritt, als die Isolirung eines Nervenästchens möglich 


wurde. 
Es könnte noch in Frage kommen, ob nicht an der Durch- 


gangsstelle der Nervenprimitivfasern aus der einen in die an- | 


dere Schicht noch Zellen eingeschoben wären, bipolaren oder 
multipolaren Retinazellen vergleichbar, in welchen dann zu- 
gleich diejenige Veränderung der histologischen und chemi- 
schen Beschaffenheit der Nervenfasern vor sich ginge, welche 
wir bei dem Übergange aus dem Bindegewebe in die Epithel- 
lage finden. Die sorgfältigste auf diesen Punkt gerichtete Un- 
tersuchung hat jedoch nie an der Grenze beider Schleimhaut- 
schichten eine Spur von solchen Zellen ergeben. 

4) Aus Allem was in dem Voranstehenden über die Epi- 
thelialschicht der regio o/factoria und die Elemente des Ge- 
ruchsnerven mitgetheilt worden, ergiebt sich, wie ich glaube, 
mit einem so hoben Grade von Wahrscheinlichkeit, als unsere 
Hülfsmittel nur darzubieten vermögen, dafs die zwischen den 
Epithelialzellen gelegenen varikösen Faserzellen die peripheri- 
schen Enden des Riechnerven darstellen. In ihnen glaube ich 
die bisher unbekannten percipirenden Elemente des Geruchs- 
organes aufgefunden zu haben, und dürfte auf sie allein der 
Name Riechzellen passen, welchen Ecker den Epithelial- 
zellen der regio olfactoria geben wollte. Wie günstig für 
ihren Zweck die in den Luftstrom über das Niveau der Epi- 
thelialzellen hinausragenden Härchen und stäbchenförmigen Auf- 
sätze wirken müssen, bedarf keiner weiteren Erklärung. Aus 
der Continuität und wahrscheinlichen chemischen Identität der 
Härchen mit den sie tragenden Zellen möchte ich schliefsen, 
dals erstere nicht blofs mechanisch zum Auffangen von Molekeln 
riechender Substanzen, sondern direct zur Perception der Riech- 


stoffe dienen. 


Momatsbericht ÄdEd.d TE Doris I050. 


Zintheltalgebilde der SCH Gactoria: 
Jn jeder Figur ist eine Epttheltalxzelle’ und an 
Jeder Seite derselben cine WDervenzelle dargestellt. 


4, von’ emer Eule. 5 vom Hecht. 
2 vom Bosch. 4, vom. Menschen. 


Yu 
Fri ei 


vom 13. November 1856. 515 


| Hr. Klotzsch trug hierauf eine Abhandlung des Hrn. Dr. 
Schacht vor: die Milchsaftgefälse der Carica Papaya 
deren Entstehung, Bau und Verlauf. 

Die sogenannten Milchsaft- Gefälse der Pflanzen sind seit 
lange ein arger Zankapfel für die Pflanzen-Physiologen gewesen, 
und wirklich giebt es wol kein anatomisches Element, welches in 
seinem Bau und in seiner Anordnung so grolse Verschiedenheiten 
darbietet, als dieses. Bisher hatte ich nur einfache oder verzweigte. 
Milchsaft-Gefälse gesehen und dieselben nach ihrem Auftreten in 
der Pflanze für milchsaftführende Bastzellen erklären müssen, bei 
der Carica dagegen habe ich mich von dem Dasein eines wahren 
Systems netzförmig verbundener Milchsaft-Gefälse überzeugt und 
dessen Entwickelungsgeschichte, die uns für dieses anatomische 
Element überhaupt zur Zeit noch mangelte, kennen gelernt. — 
Es sei mir deshalb gewährt, diese kleine Arbeit der Königl. Aka- 
demie der Wissenschaften als ein schwaches Zeichen meines Dan- 
kes für die mir abermals, und zwar zur Verlängerung meines Auf- 

enthaltes auf Madeira, gewährte Unterstützung, vorlegen zu 
dürfen. 

Der ursprünglich solide Stamm der Carica wird sehr frühe 
hohl, jedoch so, dafs überall da, wo ein Blatt austritt, das Mark- 
gewebe saftig verbleibt, während es zwischen den Blättern ein- 
trocknet. Eigentliches Holz ist nicht vorhanden, denn im ganzen 
Stamm entwickelt sich niemals eine Holzzelle; das Gefäfsbündel 
bildet nämlich nach seiner innern Seite nur langgestrecktes zart- 
wandiges Parenchym und Gefäfse, welche anfänglich als Ring und 
Spiralgefälse, später aber als netzförmige und getüpfelte Gefälse 
auftreten. Aber dennoch fehlen die Markstrahlen nicht, sind viel- 
mehr auf dem Tangential-Längsschnitt durch den Lauf der Ge- 
fälse, welcher kurze weite Maschen bildet, sichtbar. Die Milch- 
saft-Gefälse entstehen an der innern Seite desCambiums und zwar 
in einer einfachen, seltener doppelten, tangentialen Reihe (F. 1. x), 
sie sind deshalb in ihren Hauptstäimmen auf den innerhalb des 
Cambiumringes gelegenen Theil beschränkt. Die Rinde nun hat 
unter der Oberhaut, welche kleinzellig und sparsam mit Spalt- 
öffnungen versehen ist, eine mit Chlorophyll erfüllte schmale Zell- 
schicht, welcher gruppenweise eine Collenchymbildung folgt. 
Diese Collenchymgruppen erscheinen nur da, wo von Seiten der 


516 Gesammtsitzung 


secundären Rinde der Basttheil eines primairen Gefäfsbündels auf- 
tritt. Das letztere theilt sich später sehr zierlich, der Linde ähn- 
lich, und bildet wie dort gruppenweise verholzte Bastzellen aus, 
welche verhältnilsmälsig kurz (bis 1 Millimetre lang) werden (F.10.), 
während die Cambiumzellen, aus denen sie sich bilden (F. 9 2) 
nicht über ll Millimetre messen. Stärkemehl ist im Paren- 
chym entweder gar nicht oder nur sparsam vorhanden. 

Durchschneidet man einen Zweig nahe seinem Vegetations- 
kegel, so tritt nur in der Gegend des Cambiumringes Milchsaft 
hervor, führt man dagegen tiefer herab einen Querschnitt, so quillt 
derselbe auch aus dem Innern des Stammes, wenngleich in gerin- 
gerer Menge, die Rinde dagegen milcht nur wenig oder gar nicht 
und doch entquillt auch ihr bei der leisesten Verletzung der Ober- 
haut derselbe halbdurchsichtig weilse, schnell erstarrende Milchsaft. 

Da nun die Milchsaft-Gefälse, wie der Querschnitt zeigt, an 
der innern Seite des Cambiums auftreten (F. 1.), so hat man auch 
hier ihre Entstehung zu verfolgen. Nun erkennt man zunächst 
und zwar sehr bestimmt, dafs ihre Bildung sich durchaus auf 
das Gefälsbündel beschränkt und nicht auch in denjenigen Theil 
des Cambiumringes, der die Markstrahlen entwickelt, stattfindet. 
Längsschnitte in der Richtung mit den Markstrahlen geführt, zei- 
gen darauf neben den langgesireckten, sehr zartwandigen Cam- 
biumzellen, die in der Bildung begriffenen Milchsaft - Gefälse 
(F. 2. x), welche sich durch den mehr körnigen Inhalt und eine 
eigenthümliche Verdickungsweise ihrer Wand auszeichnen, aber 
noch dieselbe Breite als die Cambiumzellen besitzen. 

Wenn man so über die Lage und dasAussehen der jungen Milch- 
saft-Gefälse orientirt ist, gelangt man durch äufserst zarte Längs- 
schnitte gegen die Markstrahlen (Tangenten-Schnitte) aus der 
Region des Cambiums dargestellt, leichter und sicherer zum Ziele. 
Hier findet man nämlich, nach der Höhe des Schnittes, entweder 
junge Bastzellen, oder Cambiumzellen, oder junge Milchsaft-Ge- 
fälse. Die Cambiumzellen schlängeln sich, kurze breite Maschen 
bildend, um die Markstrahlen, und ganz dasselbe gilt auch sowohl 
für die Bastzellen als für die Milchsaft-Gefälse, da beide direct 
aus ihnen hervorgehen; die Ersteren liegen an der Aufsenseite, 


die Anderen dagegen an der Innenseite des Cambiums (F. t.). In 


den jungen Bastzellen fehlt die eigenthümliche Wandverdickung, 


vom 13. November 1856. 517 


_ welche die jungen Milchsaft-Gefälse auszeichnet, sie zeigen nur 
bie und da nahe bei einander liegende verdünnte Stellen, soge- 
_ nannte Poren, auch hat die Querwand der Zellen ein sehr eigen- 
thümliches aufgelockertes Ansehen angenommen, das schwer in 
der Zeichnung (F. 2 u. 9 B) wieder zu geben ist und unwillkühr- 
lich den Gedanken an die Resorption dieser Wand erweckt, wo- 
nach die fertigen Bastzellen durch allmäliges Verschmelzen meh- 
rerer Cambiumzellen entstehen würden. In wenig späteren Zu- 
ständen ist nun diese Querwand wirklich und zwar spurlos ver- 
schwunden, nur ist die Stelle, wo sie vormals gewesen, in der 
Regel durch sehr zahlreiche Poren bezeichnet (F. ı0.). Die so 
durch Verschmelzung mehrerer Cambiumzellen entstandene Bast- 
zelle verlängert sich aber auch noch selbstständig, wodurch sich 
ihre Enden zuspitzen und unregelmälsig zwischen einander schie- 
ben. Die Wand verdickt sich erst nachdem die Verschmelzung 
geschehen ist. Die fertige Bastzelle läfst sich deshalb durch kein 
chemisches Mittel in die Zellen, aus denen sie entstanden ist, zer- 
legen. 

Die ersten Anfänge der Milchsaft-Gefälse unterscheiden sich 
nur von den Cambiumzellen, aus denen sie direct hervorgehen, 
dadurch, dafs ihre Längswand da, wo sich zwei solcher Zellen be- 
rühren, kleine knotenartige Anschwellungen bekommt, welche den 
Anfängen eines sich bildenden Porenkanals durchaus ähnlich sind 
(F. 3.9.). Während aber dieselben wachsen, verschwindet hier 
in der Mitte des durch sie entstandenen Porenkanals die trennende 
_ Membran beider Zellen, so dafs offene Verbindungswege zwischen 
ihnen entstehen (F. 4.), wofür der zusammenhängende geronnene 
Inhalt, nach dem Erwärmen mit Salpetersäure die sichersten Be- 
weise liefert. Die Querwand wird ebenfalls und zwar in gleicher 
Weise durchbrochen. Nach der Zahl der neben einander liegen- 
den Cambiumzellen, welche die beschriebene Veränderung ein- 
gehen, richtet sich nun sowohl die Breite als auch der Bau des aus 
ihnen hervorgehenden Stammes der Milchsaft-Gefäfse, welcher, 
_ wenn sämmtliche Cambiumzellen an seiner Bildung theilnehmen, 
aus eben so vielen durch zahlreiche Löcher in den Längswänden 
seitlich verbundenen Röhren besteht, dagegen wenn sich die eine 
oder andere Cambiumreihe nicht betheiligt, aus mehreren durch 


[1856.] 40 


518 Gesammtsitzung 


Gopulation, der Spirogyra ähnlich, verbundenen Röhren zusam- 
mengesetzt ist, was bei Carica seltener vorkommt, im Stamm von 
Sonchus dagegen sehr gewöhnlich ist (F. 12.). Aulserdem treten 
aber noch leistenförmige Verdickungen auf, welche oftmals, wenn 
sie von einer Seite der Wand bis zur anderen reichen, das An- 
sehn neuentstandener Scheidewände annehmen, nicht selten aber 
auch eine schiefe oder gebogene Richtung innehalten oder mit den 
erwähnten knotenförmigenVerdickungen zusammenhängen(F.3.u.4.) 

Nach dem Erwärmen mit Ätzkalilösung gelingt es bisweilen 
ein in der Bildung begriffenes Milchsaft-Gefäls zu isoliren oder 
weiter in seine einzelnen Zellen zu zerlegen, worauf, zumal 
wenn man Chlorzinkjodlösung anwendet und dadurch eine violett- 
blaue Färbung hervorruft, sowohl die verdickten Portionen als 
auch die schon entstandenen Löcher in der Zellenwand um so 
deutlicher hervortreten. 

Aber nicht allein auf das Gefäfsbündel, dessen Cambiumzellen 
die Hauptstäimme der Milchsaft-Gefäfse, welche ich mit x be- 
zeichnet habe, bildet, beschränkt sich diese eigenthümliche Wand- 
verdickung mit ihren weiteren Folgen, man erblickt sie vielmehr 
auch bänderweise über die Parenchymzellen des Markstrahls aus- 
gedehnt und zwar auch hier mit denselben Formen auftretend, 
wobei jedoch die geraden leistenförmigen Figuren vorherrschend 
sind (F. 3. u. 4. y). Leicht überzeugt man sich nun, dafs diese 
Veränderungen im Markstrahl-Gewebe von den Cambiumzellen, 
welche in der Verwandlung zu Milchsaft-Gefälsen begriffen sind, 
ausgehen, so dals jene Markstrahlzellen gewissermalsen durch den 
directen Einflufs derselben zur Theilnahme an der Bildung der 
Milchsaft-Gefälse bestimmt werden. Denn jederzeit beginnt die 
besprochene Veränderung in denjenigen Zellen, welche die, sich 
zu Milchsaft-Gefäfsen umwandelnden Cambiumzellen unmittelbar 
berühren, sie schreitet darauf von ihnen nach Innen, tritt aber nie- 
mals isolirt in der Mitte der Markstrahlen zuerst hervor. Auch 
beschränkt sich diese Erscheinung immer nur auf verhältnilsmäfsig 
wenige Zellen des Markstrahles, so, dafs durch sie in der unregel- 
mälsigsten Weise eine Verbindung der Milchsaft- Gefälse des 
einen Gefälsbündels mit denen des benachbarten erzielt wird. 
Oftmals erscheinen mehrere solcher Bahnen in demselben Mark- 
strahl über einander (F. 3.). Häufig treffen von beiden Gefäls- 


vom 13. November 1856. 519 


bündeln gegen einander gerichtete Bahnen in der Mitte des Mark- 
strahls zusammen, und vereinigen sich alsdann, oftmals aber läuft 
auch die Bahn in ihr eigenes Gefäls zurück, viel seltener verliert 
sie sich, ohne das benachbarte Bündel zu erreichen, blind im Mark- 
strahl, doch kommen alle diese Fälle neben und mit einander vor. 
Es hat mir nie gelingen wollen, diese Bahnen von einem Gefäls- 
bündel zum andern freizulegen, obschon es später, wenn die Milch- 
saft-Gefälse ausgebildet sind, durchaus nicht schwierig ist. Durch 
Resorption der Wände an bestimmten Stellen bildete sich inzwi- 
schen auch hier sowohl eine offene Verbindung derjenigen Zellen, 
aus welchen diese Bahnen hervorgehen, unter sich, als auch mit 
den senkrecht verlaufenden Milchsaft-Gefälsen zu beiden Seiten 
des Markstrahls. Ich will die letztgenannten fortan als Haupt- 
stamm, die andern aber als Verbindungsröhren bezeichnen. 

Die weitere Ausbildung der jungen Milchsaft-Gefäfse nimmt dar- 
auf einen sehr raschen Verlauf, so,dalswenn über ihnen das Cambium 
weiter thätig ist, um Gefälszellen und das sie umgebende Paren- 
chym zu bilden, die einzelnen Cambiumzellen, aus denen die 
Hauptstämme der Milchsaft-Gefälse entstanden, desgleichen die 
seitlich mit ihnen verbundenen Markstrahlzellen, aus denen die 
wagerechten oder schief verlaufenden Verbindungsröhren hervor- 
gingen, nicht mehr als einzelne Zellen zu unterscheiden, auch 
durch kein bekanntes Mittel weiter in solche zu zerlegen, sondern 
zu einem zusammenhängenden Röhrensystem verschmolzen sind. 
Selbst die Verdickungen, welche vormals die Wand dieser Zellen 
charakterisirten, sind nunmehr gröfstentheils verschwunden. Die 
einzelnen Röhren der Milchsaft-Gefäfse behalten dagegen im all- 
gemeinen die ursprünglichen Brüche der Cambiumzellen. 

Mit Beihülfe des ätzenden Kali’s gelingt es jetzt die nunmehr 
fertigen Milchsaft-Gefälse für längere Strecken zu isoliren. 

Die Hauptstämme erscheinen alsdann aus mehreren senkrecht 
neben einander liegenden und durch Löcher in der Seitenwand 
oder durch Copulation vielfach mit einander verbundenen Röhren 
zusammengesetzt, von welchen seitwärts ohne Regel einzelne 
Zweige abgehen, welche entweder zu einem benachbarten Haupt- 
stamm führen oder wieder zu dem, von welchem sie ausgingen, 
eine Anastomose bildend, zurückführen, oder endlich blind endi- 
gen. Von diesen Röhren, deren Breite zwar innerhalb gewisser 

40* 


520 Gesammtsitzung 


Grenzen verschieden ist, die aber sämmtlich eine mit doppelter 
Contour sichtbare Wand besitzen, gehen nun aulserdem noch 
sehr zahlreich äulserst feine, sehr dünnwandige fadenför- 
mige Zweige nach sehr verschiedenen Richtungen ab, deren 
Verlauf durch die Interzellulargänge bestimmt wird und die, 
wie es scheint, die Verbindung der Hauptröhren unter einander 
vermehren, namentlich aber die Verbindung zwischen den Stäm- 
men desselben Gefälsbündels vermitteln (F. 6.). Diese äufserst 
feinen Capillarröhren, man erlaube mir diese Benennung, 
erkennt man erst, wenn man sehr zarte Tangential- Längs- 
schnitte, nachdem man sie mit Ätzkali erwärmt hat, unter dem 
einfachen Mikroskop mit aller Vorsicht zerlegt. In der Regel 
zerreilsen dieselben bei dieser Präparation und man erblickt 
nur ihre Austrittsstellen vom Hauptrohr, nicht selten gelingt 
es aber auch sie von einem Hauptstamm desselben Gefälsbün- 
dels zum andern hinüber zu verfolgen (F. 6. z.). Dals diese 
Capillarröhren durch Zweigbildung vom Hauptrohr aus ent- | 
stehen, unterliegt keinem Zweifel, ja man überzeugt sich leicht, 
dals ein grolser Theil jener Verdickungen des unfertigen Milch- 
saft-Gefälses nichts anderes als die Anfänge solcher Ver- 
zweigungen waren, auf welche man von oben herabgesehen. 
Dies gilt namentlich für die kleinen knotenförmigen Verdickun- 
gen auf der Fläche der Zellwand (F. 5. a.), da wie die Sei- 
tenansicht zeigt, das sich bildende Capillarröhrchen als kleine 
kegelförmige an der Spitze oftmals etwas verdickte Ausstül- 
pung am Hauptrohr hervortritt und darauf im Intercellulargang 
weiter wächst. Ähnliche knotenförmige Verdickungen an den 
Berührungsflächen zweier Zellen sind dagegen durch vermehrte 
Ablagerung von Zellstoff neben den durch Resorption entstan- 
denen Löchern gebildet; von ihnen war schon oben die Rede. 
Man erkennt die letzteren beim unfertigen Milchsaft-Gefäls da- 
ran, dals sie immer eine gerade Längsreihe, der Wand jener 
Zellen entsprechend, bilden (F. 4. a), was auch für das fertige 
Milchsaft-Gefäls seine Geltung findet, obschon sie hier nur 
selten wie vormals als Knoten, sondern, weil sich der Haupt- 
stamm während seiner Ausbildung sowohl in die Breite als in 
die Länge ausdehnte, als kleine Löcher zwischen den copulir- 
ten Stellen auftreten. Durch ihre Längsreihen erkennt man 


vom 13. November 1856. 521 


dann wieder die Zahl der Röhren, aus denen der Hauptstamm 
an der betreffenden Stelle zusammengesetzt ist (F. 8... Nun 
erscheinen zwar die Austrittsstellen einer Capillarröhre, wenn 
man von oben auf dieselbe sieht, ebenfalls als runde oder läng- 
lich runde Löcher mit doppelter Contour, aber diese treten ohne 
Ordnung und nicht so nahe bei einander auf. Aber auch die 
leistenförmigen Verdickungen sind späterhin meistens verschwun- 
den oder doch sehr unkenntlich geworden, was vielleicht durch 
die Ausdehnung der sehr elastischen Wand, wahrscheinlicher 
aber durch Bildung plattgedrückter Capillarröhren erklärt wer- 
den kann. In den Milchsaft-Gefälsen der Wurzel, welche viel 
unfertiger als die des Stammes sind, finden sich jene leisten- 
förmigen Verdickungen bisweilen noch erhalten. Das Capillar- 
rohr ist im allgemeinen an seiner Austrittsstelle weiter, es 
verschmälert sich dann trichterförmig und milst bisweilen nicht 
über 4 Millimetre (F. 8. z.). 

Die Wand der Milchsaft- Gefälse der Carica ist sehr ela- 
stisch; letztere verlängern sich, wenn man mit der Nadel an ihnen 
zerrt, beträchtlich, und kehren darauf in ihre vorige Gestalt 
zurück. Durch Jod und Schwefelsäure wird die Wand schön 
blau gefärbt, Chlorzinkjodlösung bewirkt, nach dem Erwärmen 
mit Kali, eine violette Färbung. In der reifen Frucht ist 
der Milchsaft geronnen, dieselbe milcht deshalb nicht mehr. 

Was nun den Verlauf der Milchsaft- Gefälse im Stamm 
betrifft, so gehören dieselben entschieden dem Gefälsbündel 
an und folgen demselben mit ihren Hauptstämmen durchaus. 
Da nun in der Regel abwechselnd an der innern Seite des 
Cambiums Gefälszellen und Parenchym und dann wieder als 
einzelne Reihen Milchsaft-Gefälse entstehen, so liegen dieser 
Anordnung entsprechend, die jüngsten Milchsaft-Gefälse dem 
Cambium am nächsten, die ältesten dagegen am entferntesten, 
demnach den Contouren des Stammes am nächsten. Daraus 
erklärt es sich auch, warum der jüngste Theil eines Zweiges 
nur in der Cambium - Region, ein älterer T'heil dagegen auch 
weiter nach Innen Milchsaft austreibt. In der Rinde nun fin- 
den sich gar keine senkrechte Milchsaft- Gefälsstämme, wohl 
aber schicken die innerhalb des Cambiumrings gelegenen Stämme 
seitliche Verzweigungen in das Parenchym der Rinde, welche 


322 Gesammtsitzung 


ihrerseits wieder Capillarröhren aussenden, die jedoch, wie es 
scheint, nur bis zur Grenze der secundären Rinde gelangen 
und dort blind endigen.*) Die Hauptstämme eines Gefäls- 
bündels bestehen aus 3— 8 unter einander vielfach aber unre- 
gelmälsig verschmolzenen Röhren, sie sind wenn das Gefäls- 
bündel, in Zwischenräumen, schon mehrere Hauptstimme ge- 
bildet hat, unter sich durch Gapillarröhren verbunden, und 
stehen sowohl durch solche, noch mehr aber durch die ungleich 
weitern Verbindungsröhren mit den Hauptstämmen der benach- 
barten Gefäfsbündel in directer Verbindung. Die Capillar- 
röhren der innersten Stämme gelangen nicht bis zum hohlen 
Theil des Markes, dieselben scheinen vielmehr zwischen dem 
Parenchym blind zu endigen. 

Im Blattstiel und im Blüthenstiel, weiche beide hohl sind, 
ist der Verlauf der Milchsaft-Gefälse derselbe als im Stamme, 
nur mit dem Unterschied, dals hier, weil sich das Gefälsbündel 
nicht weiter fortbildet, auch nur einmal vom CGambium aus 
Milchsaft-Gefälse entstehen. In der Blattfläche nun folgen die- 
selben mit ihren Hauptstämmen dem Gefälsbündel, schieken 
aber vielfach Capillarröhren durchs Blattgewebe. 

Für die Wurzel, welche nicht hohl, aber sonst durchaus 
dem Stamm entsprechend gebaut ist, erscheint auch die Bil- 
dungsweise und das Auftreten der Milchsaft-Gefälse nicht an- 
ders, doch sind dieselben hier viel sparsamer vorhanden, wes- 
halb auch dieser Theil der Pflanze am wenigsten Milchsaft aus- 
giebt. In der Fruchtschale endlich, wo sie in grölsester Menge 
erscheinen, ist ihre Bildungsgeschichte wieder ganz dieselbe. 
Hier, wo zahlreiche Gefälsbündel das saftige Fruchtfleisch in 
unregelmälsigen Schlingen durchsetzen, folgen ihre Haupt- 
stäimme wiederum durchaus denselben. Die Gefälsbündel be- 
stehen hier aus Cambiumzellen, einigen engen Spiralgefälsen, 
denen sich in allen Fällen ein Hauptstamm der Milchsaft- 
Gefälse zugesellt, der gerade hier, wo die Bastzellen feblen, 


*) Im Gegensatze zu der Annahme einer Ungenannten, die eine Ab- 
handlung publicirte, über die Milchsaft-Gefälse, ihren Ursprung und ihre Ent- 
wickelung. In: von Mohl’s und von Schlechtendal’s Bot. Zeitung. 
Jahrgang IV, p. 833 — 843, p. 849 — 859 und p. 865 — 872. Fr. Klotzsch. 


N 


vom 13. November 1856. 523 


"besonders stark entwickelt ist. Diese Hauptstämme sind wie- 


derum auch hier durch Verzweigungen mit den benachbarten 
Stämmen nach allen Seiten hin vielfach verbunden ; nicht sel- 
ten verlaufen aber auch von ihnen blinde, mehrfach verzweigte 
Seitenäste in das Fruchtgewebe. In der reifen Frucht lassen 
sich die Gefälsbündel schon ohne Anwendung von Kali leicht 
isoliren. Man sieht alsdann die Hauptstämme der Milchsaft- 
Gefälse in der unmittelbaren Nähe des Cambiums liegen und 
durch Seitenäste das Bündel gewissermalsen umspinnen. 

Da nun das Gefälsbündel- System, wie wir mit Sicherheit 
wissen, als ein Ganzes alle Theile der Pflanzen durchzieht, 
die Milchsaft-Gefälse der Carica aber, welche ein Element des 
Gefälsbündels dieser Pflanze bilden, noch unter einander im 
directen Zusammenhang stehen, so läfst sich für Carica Papaya 
auch mit derselben Sicherheit ein zusammenhängendes 
Milchsaft-Gefäls-System durch die ganze Pflanze an- 
nehmen. 

Der Milchsaft der Carica Papaya quillt schnell in grofsen 
Tropfen aus der verletzten Oberbaut, insonderheit der Frucht 
hervor, erstarrt aber bald nach seinem Austritt zu einer wei- 
chen Gallerte. Er ist halbdurchsichtig, milchartig, läfst sich 
mit Wasser nicht mischen und erscheint, wenn er langsam er- 
starrt, in kleinen runden Kugeln. In ihm sind äulserst feine, 
unmelsbare Körnchen vertheilt. Jod, freie Jod- und Schwe- 
felsäure färben ihn gelb, Schwefelsäure allein bewirkt kaum 
einen röthlichen Schimmer, Zucker und Schwefelsäure dagegen 
färben ihn hoch rosenroth, was einen reichen Stickstoffgehalt 
bekundet. Über der Spirituslampe sorgfältig eingedickt, hin- 
terbleibt eine farblose durchsichtige Masse, die in Wasser keine 
klare Lösung giebt, Ätzkali löst die Körnchen ebenso wenig. 
Beim Verbrennen im Platinatiegel entwickelt sich zuerst ein 
brenzlich mineralischer Geruch, es hinterbleibt darauf eine feste 
Kohle, die sich schwierig einäschen lälst und mit verdünnter 
Schwefelsäure nicht aufbraust. 

Um die Angaben, welche von diesem Milchsaft erzäblen, 
dals er frisches Fleisch in wenig Stunden mürbe machen soll, 
zu prüfen, legte ich ein Stück frisches Rindfleisch in Wasser, 
worin Scheiben eines frischen Zweiges vertheilt waren, wäh- 


524 Gesammtsitzung 


rend ich ein anderes Stück desselben Fleisches daneben in rei- 
nem Wasser bewahrte. Nach einigen Stunden liefs sich noch 
kein Unterschied wahrnehmen, selbst nach einem Tage sah ich 
nur eine geringe Verschiedenheit in der Färbung; am zweiten 
Tage aber entwickelte das Fleisch, welches mit der Carica 
Papaya in Beziehung gekommen, einen entschiedenen Fäulnils- 
Geruch, der bei dem andern noch nicht bemerkbar war. Nun 
gehen aber alle Theile dieser Pflanze, sobald die Wundfläche 
nicht abtrocknen kann, sehr leicht in Fäulnils über; es scheint 
demnach, als ob sich diese Eigenschaft auch anderen organi- 
schen Körpern, mit denen sie in Berührung kommen, mitthei- 
len könne. 

Bei den Cichoraceen finden sich nun, wie bereits Unger*) 
angegeben, ebenfalls netzförmig zusammenhängende Milchsaft- 
Gefälse. Ich untersuchte mehrere Sonchus-Arten und fand bei 
allen ein im Bau und Verlauf der Carica durchaus ähnliches 
System derselben. Die Milchsaft-Gefälse erscheinen hier nur 
in der Rinde und zwar im Stamm an der Grenze der primären 
und secundären Rinde, demnach als erstes Erzeugnils des Rin- 
dentheils der Gefälsbündel. Sie werden hier für den Stamm, 
der darauf wirkliche Bastzellen bildet und verholzt, wie es 
scheint, nicht wieder erzeugt, zum wenigsten fand ich die- 
selben niemals zwischen den Bündeln verholzter Bastzellen und 
dem Cambium. In der Wurzel dagegen, die niemals hohl ist 
und deren ungleich breitere Rinde keine verholzte Bastzellen 
ausbildet, werden die Milchsaft- Gefälse auch ferner nach- 
gebildet und treten dann auf dem Querschnitt in kleinen zer- 
streuten Gruppen oder Bündeln hervor. Wenn man Tangen- 
tial-Längsschnitte beider mit einander vergleicht, so sieht man, 
dafs die Milchsaft-Gefälse beider Arten aus den ziemlich kur- 
zen Cambiumzellen der Gefälsbündel hervorgehen und in ihren 
Hauptstämmen immer dieselben begleiten (F. 12. u. 13.). Ganz 
dasselbe gilt aber auch für die Bündel verholzter Bastzellen im 
Stamm der Sonchus-Arten. Der Vorgang der Verschmelzung 
der Zellen zur Bildung der Milchsaft-Gefälse scheint hier der- 
selbe als bei Carica zu sein, nur mit dem Unterschied, dals | 


*) Unger Anatomie und Physiologie der Pflanzen p. 161. 


vom 13. November 1856. 525 


hier die Parenchymzellen der Markstrahlen viel seltener als 
dort an derselben theilnehmen, weil Verbindungsreihen zwi- 
schen den Hauptstämmen benachbarter Gefälsbündel hier un- 
gleich seltener vorkommen. Die bei Carica beschriebene eigen. 
thümliche Wandverdickung tritt hier weniger deutlich hervor, 
die Wand der Milchsaft-Gefälse ist bier überhaupt viel zarter. 
In der Wurzel verlaufen die Stämme derselben verschlungener, 
weil dort auch die Gefälsbündel einen verschlungenern Ver- 
lauf annehmen (F. 13.). Mit Kali erwärmt, kann man sie iso- 
liren, wozu der Stamm besser als die Wurzel geeignet ist 
(F. 11.). Für sie gilt alsdann wieder fast ganz dasselbe, was 
ich für Carica beschrieben habe; da aber die Wand viel zarter 
und mindestens eben so elastisch ist, so gelingt es nur selten 
grölsere Portionen freizulegen. Der mit dem Gefäfsbündel 
aufsteigende Hauptstamm (F. 11. I u. II) entsteht aus 3—8 
Längsreihen, welche, da sie im Stamm des Sonchus nicht un- 
mittelbar einander berühren viel seltener und zwar durch ge- 
gen einander gerichtete Ausbuchtungen, wie bei Spirogyra, mit 
einander copulirt oder verschmolzen sind (F. 12.); diese 
schicken nun ihrerseits durch die Intercellulargänge des Mark- 
strahls verlaufende Capillarröhren (z) aus, welche den einen 
Hauptstamm mit seinem Nachbar verbinden; nicht selten aber 
auch, wenn sie ihn nicht erreichen, blind endigen. Der Milch- 
saft ist weils und dickflüssig wie Rahm, er gerinnt sehr bald 
in der Pflanze selbst. Von einer Bewegung desselben ist, wie 
bei Carica, nichts wahrzunehmen. Die verholzten Bastzellen 
der Rinde endlich sind lang und etwa von gleicher Breite als 
die Milchsaft- Gefälse, sie entstehen bier sicher durch Ver- 
schmelzung mehrerer über einander gelegener Cambiumzellen 
und man gewahrt bei ihrer Bildung wieder jenes schon bei 
Carica beschriebene Aufquellen der Querwände, von denen bald 
darauf nichts mehr zu sehen ist. In der primären Rinde des 
Stammes liegt über jedem primären Gefälsbündel eine Gruppe 
Collenchymzellen. 

Während nun bei Carica und bei Sonchus allerdings netz- 
förmige verbundene Milchsaft- Gefälse auftreten, so finde ich 
weder bei den Euphorbiaceen, noch bei den Ficus- Arten und 
ebenso wenig bei den Apocyneen Verbindungen zweier Milch- 


526 Gesammtsitzung 


salt-Röbren mit einander. Dieselben begleiten auch hier als 
Theile des Gefälsbündels dasselbe, sie sind sehr lang, bleiben 
in der Regel einfach, verzweigen sich aber auch an bestimm- 
ten Orten und treten entweder in der Rinde allein, oder 
gleichfalls im Marke auf. In der Rinde kommen sie nach den 
Pflanzen entweder vereinzelt oder in Bündeln vor, auch ist ihre 
Wand bald stärker bald schwächer verdickt, aber niemals ver- 
bolzt; desgleichen ist ihr Inhalt bekanntlich sehr verschieden. 

Aus der reifen Frucht des Feigenbaums (Ficus Carica) las- 
sen sie sich mit Leichtigkeit als lange, ziemlich dicke, mit 
Kautschukkugeln angefüllte, mehrfach verzweigte elastische Röh- 
ren freilegen. Auch überzeugt man sich sehr bald, dals keine 
Verbindung des einen Gefälses mit dem benachbarten statt- 
findet, da die Seitenzweige seitlich geschlossene Enden be- 
sitzen. In der Rinde des Stammes liegen ganz ähnliche, aber 
selten verzweigte Milchsaft- Gefälse vereinzelt neben den we- 
nigen Bastzellen. 

Bei Gomphocarpus treten selbige als lange cylindrische 
Röhren sowohl in der Rinde als auch im Mark auf und zwar 
hier in grölster Menge. Das geschlossene Ende dieser Röhren 
wird nur selten aufgefunden. Innerhalb eines Internodiums 
verlaufen sie nun an beiden Orten mit einander parallel und 
verzweigen sich niemals, wo dagegen ein Blatt abgeht, schlin- 
gen sie sich an beiden Orten vielfach durch einander und theilen 
sich zugleich gabelig und zwar so, dals in der Regel ein Ast 
ins Blatt austritt, der andere aber seinen Lauf in’s folgende 
Internodium fortsetzt, sehr selten tritt hier eine mehrfache 
Verzweigung auf (F. 14.). Die verholzten Bastzellen von un- 
geheurer Länge in der Rinde verzweigen sich an derselben 
Stelle und in derselben Weise (F. 45.). Dals sowohl die 
Milchsaft-Gefälse als auch die verholzten Bastzellen durch Ver- 
schmelzung vieler über einander gelegener Cambiumzellen ent- 
standen sind, läfst sich zwar auch hier mit grolser Wahr- 
scheinlichkeit vermuthen, aber nicht direct beweisen, denn 
Längsreihen an einander heftender Mark- oder Rindenzellen, 
sind noch keine genügende Beweise für eine später erfolgende 
Verschmelzung, da alte Zellen, welche reihenweise ange- 
ordnet sind, sieh auch nach dem Kochen mit Kalı, mehr oder 


vom 13. November 1856. 527 


weniger reihenweise isoliren lassen, was sicher mit der Art 
ihres Entstehens in Reihen zusammenhängt. Weil aber hier 
für die Milchsaftröhren die eigenthümliche Verdickung, welche 
bei Carica die Verschmelzung der Wände zweier Zellen be- 
gleitet, und dort die Beobachtung so sehr erleichtert, mangelt, 
überdies die Verschmelzung vieler über einander liegender Zel- 
len zu einem langen Rohre sebr frühe erfolgen muls, weil 
man selbst nahe dem Cambium, demnach in den jüngsten Röh- 
ren, keine Scheidewand findet, so darf man kaum erwarten, 
hier eine solche Beobachtung mit Sicherheit ausführen zu kön- 
nen. Als indirecter Beweis gegen die Verlängerung einer 
einzigen nur kurzen Cambiumzelle zu einem langen Milchsaft- 
rohr kann dagegen der gänzliche Mangel kürzerer Milchsaft- 
röhren in der Nähe des Cambiums sein. 

Bei Finca major endlich tritt der weifse Milchsaft nur aus 
der Rinde hervor. In derselben liegen stark verdickte aber 
nicht verholzte Bastzellen gruppenweise angeordnet, und man 
gewahrt sebr bald, dals gerade sie den Milchsaft, der reich- 
lich runde Körner führt, enthalten. Ein Querschnitt aus der 
jüngsten Spitze des Zweiges milcht stärker als ein tiefer ab- 
wärts geführter Schnitt, in welchen die mehr nach Aufsen 
gelegenen Bastzellen schon stärker verdickt sind, ja später 
scheint sogar, wenn die Bildung neuer Bastzellen erlischt und 
die bereits vorhandenen sämmtlich stark verdickt sind, das Mil- 
chen gänzlich aufzuhören. Ein Vergleich der jungen Bast- 
zellen mit den alten zeigt aber, dals beide sehr lang sind, so 
dals es mir nie gelingen wollte, beide Enden derselben auf- 
zufinden, obschon ich bis 2 Zoll lange Stücke freilegte. An- 
fangs stielrund und äulserst zartwandig, zeigen sie erst später, 
wenn die durch abwechselnd ' gestreifte Schichten hervorge- 
rufene gitterartige Verdickung der Wand auftritt, und mit 
deren Bildung zuletzt ihr Milchsaft schwindet, hie und da ab- 
wechselnd bedeutende Erweiterungen und Vermengungen, wie 
solche für die Bastzellen der Finca minor bekannt sind. 

Ebe ich nun aus dem Mitgetheilten allgemeine Schlüsse 
ziehe, habe ich noch der Gefälse von Carica Papaya zu ge- 
denken, welche aus kurzen weiten Zellen zusammengesetzt 
sind und deren Wand im Stamm und in der Wurzel in der 


528 Gesammtsitzung 


Regel getüpfelt ist, aulserdem aber noch sehr entwickelte netz- 
förmige Verdickungen besitzt. Glücklich geführte sehr zarte 
Längsschnitte aus dem Stamm, welche genau die Mittellamelle 
eines solchen Gefälses darstellen, zeigen nun, dafs, so lange 
das letztere Saft führt, in ihm die Querwand der Zellen, aus 
denen es zusammengesetzt ist, nicht fehlt, sondern die äufserst 
zarte, nicht verholzte, Membran vorhanden ist und von einer 
stark entwickelten ringförmigen Verdickung umfalst wird (F.7.). 
Erst wenn diese Gefälse Luft führen, fehlt diese Scheidewand 
und der verdickte Rand umgiebt nunmehr ein wirkliches Loch. 
Die Scheidewand verschwindet darnach erst mit dem Zellsaft. 
Da nun, soweit meine Beobachtungen reichen, die Einfassung 
der Querscheidewand aller Gefälszellen, wo selbige von 
einem runden Loch durchbrochen ist, jenen verdickten Rand, 
nur mehr oder weniger entwickelt, besitzt, so darf ich wohl 
annehmen, dafs auch die zarte Scheidewand überall, so lange 
das Gefäls noch Saft enthält, nicht fehlen wird. Das Gefäls 
der Pflanzen besteht demnach, so lange es Säfte führt, aus einer 
Längsreihe wirklicher Zellen, und der Saftstrom in ihm wird, 
wie überall im Pflanzenreich, durch Diffusion vermittelt. Da 
nun die Seitenwände stark verdickt, getüpfelt und verholzt 
sind, die Querwände aber aus einer äulserst zarten nicht ver- 
dickten Membran bestehen, so liegt es auf der Hand, dafs die 
Gefälse, so lange sie Saft führen, den Saftstrom zunächst in 
der Richtung ihrer Längsachse leiten müssen. Wenn der Saft 
verschwindet, so schwinden mit ihm auch die Scheidewände 
der Gefälszellen, vielleicht durch einfaches Vertrocknen, gleich 
dem Stengel vieler Pflanzen, welcher hohl wird, wenn der 
Saft aus seinen Markzellen verschwindet; erst im luftführenden 
Zustande ist das Gefäls eine wirkliche Röhre. — (Ich bewahre 
ein sehr elegantes Präparat eines vollständig ausgebildeten, sehr 
stark verdickten und getüpfelten Gefälses von Carica mit voll- 
ständig erhaltenen Scheidewänden, wie es F. 7. darstellt.) In 
den älteren luftführenden Gefälsen dieser Pflanze erscheinen 
sehr häufig die bekannten secundären Zellbildungen, welche 
oftmals dasselbe mit einem dichten Parenchym- Gewebe aus- 
füllen. 


vom 13. November 1856. 529 


Fassen wir nunmehr dasjenige zusammen, was sich aus 

obigen Untersuchungen ergiebt, so erhalten wir: 

A. Für die Milchsaft-Gefälse von Carica Papaya folgende 

Gesetze: 

4) Die Milchsaft-Gefälse dieser Pflanze entstehen durch Ver- 
schmelzung vieler Zellen zu einem Ganzen. 

2) An dieser Bildung betheiligen sich: 

a. die Cambiumzellen, aus welchen die mit dem Gefäls- 
bündel verlaufenden Hauptsiämme der Milchsaft-Gefälse 
hervorgehen, 

b. bestimmte Parenchymzellen des Markstrahls, welche die 
Verbindungsröhren von einem Hauptstamm zum andern 
hergeben. 

3) Die Hauptstämme bestehen aus mehreren parallel neben 
einander verlaufenden und seitlich vielfach mit einander 
durch Copulation verbundenen Röhren; die Verbindungs- 
röhren sind dagegen in der Regel einfach. Die ziemlich 
weiten und dickwandigen Röhren beider Arten bilden noch 
aufserdem seitliche Ausbuchtungen, welche in die Inter- 
cellulargänge des umgebenden Parenchyms eindringen und 
sich dort zu zartwandigen sehr feinen Röhren, den Ca- 
pillarröhren verlängern, die entweder blind endigen oder 
zu einem benachbarten Hauptrohr verlaufen. 

4) Die Milchsaft-Gefälse der Carica entstehen im Stamm und 
in der Wurzel, desgleichen im Blatt- und Blüthenstiel an 
der innern Seite des Cambiums; sie verbreiten sich von 
hier aus über den Holztheil des Gefälsbündels und schicken 
nur seitlich Verzweigungen in die Rinde hinüber. Bei 
Sonchus dagegen erscheinen sie im Mark und in der Rinde, 
treten aber nicht im Holztheil auf. 

5) Die Milchsaft-Gefälse sind ein Theil des Gefälsbündels, 
sie verlaufen deshalb mit ihm durch alle Theile der Pllanze. 
Die Wurzel der Carica hat weniger Milchsaft-Gefälse als 
der Stamm, in der Frucht sind sie am reichlichsten ver- 
treten. Bei Sonchus dagegen sind sie in der Wurzel un- 
gleich zahlreicher als im Stamm vorhanden. 

B. Für die Milchsaft-Gefälse im Allgemeinen ergiebt sich 

_ weiter Folgendes: 


530 


1) 


Od 
nr 


3) 


Gesammtsitzung 


Sämmtliche Milchsaft - Gefälse gehören dem Gefälsbündel 
(Carica, Sonchus, Lactuca, Gomphocarpus, Finca, Hoya, 
Euphorbia, Ficus, Chelidonium). Ihre Hauptstämme ver- 
lassen niemals das Gefälsbündel, sie begleiten dasselbe 
durch alle Theile der Pflanze. 
Man darf zwei Formen der Milchsaft - Gefälse unter- 
scheiden: 

a. Solche, welche als einfache oder verzweigte Röhren 


dem Gefälsbündel folgen, aber sich nicht unter ein- | 


ander oder mit denen des benachbarten Gefälsbündels 
zu einem zusammenhängenden Systeme verbinden (Gorm- 
phocarpus, Hoya, Finca, Euphorbia, Ficus, Chelidoniurn) 
und 
d. solche, deren Röhren sich sowohl da, wo sie neben 
einander liegen, hin und wieder unter sich, aber auch 
durch Verbindungsröhren mit denen der benachbarten 
Gefäfsbündel zu einem zusammenhängenden Systeme 
vereinigen (Carica, Sonchus). 
Die Milchsaft-Gefälse erscheinen sowohl im Mark als auch 
in der Rinde und nur selten (bei Carica) in demjenigen 
Theile des Gefälsbündels, der die Gefäfse enthält und den- 
nach als Holztheil desselben betrachtet werden muls. Da nun 
die Milchsaft-Gefäfse, gleich den Bastzellen, entweder di- 
rect oder indirect aus den Cambiumzellen und zwar beide, 
wie es scheint, überall durch Verschmelzung mehrerer oder 
vieler Zellen zu einem Ganzen hervorgehen und überdies 
dieselbe Stellung in der Pflanze einnehmen; (bei Fiscum 
und Zoranthus kommen die Bastzellen nicht allein in der 
Rinde, sondern mit durchaus gleicher Gestalt auch im 
Holze vor; hier aber sowohl als bei Carica fehlen dem 
Hoiztheil die eigentlichen Holzzellen); da ferner bei Finca 
zwischen Bastzellen und Milchsaft-Gefälsen nicht mehr zu 
unterscheiden ist, weil jene aus diesen hervorgehen, und 
überdies verzweigte und verholzte Bastzellen ohne Milch- 
saft bekannt sind, (in der Rinde von Gomphocarpus, im 
Mark und in der Rinde von Ahizophora Mangle, und in 
der Rinde der Abies pectinata) so halte ich es durchaus 
für gerechtfertigt, die Milchsaft-Gefälse auch fernerhin als 


vom 13. November 1856. 531 


Milchsaft führende Bastzellen zu betrachten. Es 
kommt hier freilich zunächst darauf an, was man über- 
haupt unter Bastzellen versteht.*) Dafs aber die Milch- 
saft- Gefälse mit den sogenannten Gefälsen der PHlanze, 
sowohl in ihrer Entstehungsweise, als auch ihrem Bau und 
ihrer Function nach, gar keine Verwandschaft haben, be- 
darf keiner Erwähnung. Weil endlich verholzte, nicht 
Milchsaft führende Bastzellen neben wahren Milchsaft- Ge- 
fälsen in derselben Pflanze vorkommen (Carica, Gomphocar- 
pus), so darf ich wohl an die Holzzellen und das Holz- 
Parenchym, welche gleichfalls häufig neben einander auf- 
treten, erinnern. 

4) Die Milchsaft - Gefälse können, da sie nur bei verhältnils- 
mälsig wenigen Pflanzen gefunden werden, durchaus kein 
wesentliches Element des Gefälsbündels ausmachen, weil 
sie sonst nirgends fehlen dürften. Da sie nun ferner nur 
gar selten unter sich zu einem zusammenhängenden Sy- 
stem verbunden sind, meistens aber lange mehr oder we- 
niger verzweigte Röhren mit geschlossenen Enden bilden, 
so darf man sie auch nicht mit dem Adersystem der 'Thiere 
vergleichen, zumal, da eine Fortbewegung des Milchsafts 
in diesen Röhren nur dann bemerkbar ist, wenn Druck 
oder eintretendes Wasser einen Strom in ihnen hervor- 
ruft. Welche Bedeutung sie aber für den Haushalt der 
Pflanze besitzen, lälst sich zur Zeit nicht bestimmen; sind 
wir doch über die Function der Holzzellen und der Bast- 
zellen nicht minder im Unklaren. 

€. Für die Pflanzen-Anatomie im Allgemeinen erhalten wir 
endlich noch 3, wie mir scheint, nicht unwichtige Bestim- 
mungen: 

4) Die Milchsaft- Gefälse bilden sich durch ein Verschmelzen 
vieler Zellen zu einem Ganzen, das durch kein chemisches 
und mechanisches Mittel wieder in die Zellen - Elemente, 
aus denen es hervorgegangen ist, zerlegt werden kann. 

2) Die langen Bastzellen entstehen durch ein ähnliches Ver- 
schmelzen mehrerer oder vieler Zellen zu einem Ganzen, 


*) Meine Anatomie und Physiologie der Gewächse I. p. 245. 


= 4 
532 Gesammtsitzung 


das ebenfalls nicht wieder in seine Zellen- Elemente zer- 
legt werden kann. Die Verschmelzung erfolgt sehr frühe 
und die Wand verdickt sich erst, nachdem sie stattge- 
funden. Durch eine selbstständige Verlängerung schicke 
sich darauf die jungen Bastzellen mit spitzen Enden zwi- 
schen einander. ”) 
3) Die Gefälse der Pflanze bestehen, so lange sie Säfte füh- 
ren, aus einer Längsreihe von Zellen, die Querwand 
schwindet später mit dem Safte, so dals alsdann erst das 
Gefäls zu einer Röhre wird, die aber niemals aus mit 
einander verschmolzenen Zellen besteht, vielmehr zu jede 
Zeit sowohl die einzelnen Zellen-Elemente, aus denen sie 
entstanden ist, deutlich zeigt, als auch sich in dieselben 
durch geeignete Mittel zerlegen lälst.**) 


Erklärung der Abbildungen. 


Sämmtliche Figuren sind mit der Camera lucida entworfen und auf’s, 
Genaueste nach den Präparaten ausgeführt. Die letzteren sind unter Chlor- 
kaliumlösuug aufbewahrt, noch zum Vergleich vorhanden. Die Vergrö- 
[serung ist neben jeder Figur als Bruchzahl angegeben. 

Um langweilige Wiederholungen zu vermeiden, habe ich die gleich- 
werthigen Theile auf sämmtlichen Figuren folgendermalsen bezeichnet. 

B. Bastzellen. 

Cb. Cambiumzellen des Gefäfsbündels. 

Ch. R. Cambiumring. 

G. Gefälse. 

H. Holzzellen, oder solche Zellen, welche ihren Platz im Gefälsbündel 
einnehmen. 

M. Markstrahlen. | 

x. Milchsaftröhren, welche aus Cambiumzellen entstanden sind und die 


Hauptstämme bilden. 


*) Kurze stark verdickte und verholzte Zellen in der Rinde von 
Coffea arabica, welche direct aus den Cambiumzellen hervorgehen und 
deshalb als Bastzellen gedeutet werden müssen, entstehen dagegen nur aus 


einer Zelle. 
*) Die einzige Art des Verschmelzens der Wände zweier Zellen 


mit einander zu einem Ganzen, welche bisher mit Sicherheit nach- 
gewiesen war, zeigt sich bei der bekannten Copulation der Spirogyra und 


des Syzygites. 


vom 13. November 1856. 533 


r. Milchsaftröhren, welche aus Parenchymzellen des Markstrahls her- 
vorgegangen, die Verbindungsröhren zwischen den Hauptstämmen 
in tangentialer Richtung abgeben. 

"=. Capillarröhren der Milchsaft- Gefälse, durch seitliche Auswüchse der 


Hauptröhren x. und y. entstanden, 


- 


F. 1—10. Carica Papay.a.*) 


ı  _F.A1. Theil eines Gefälsbündels, zu beiden Seiten von Markstrahl- 
zellen begrenzt, im Querschnitt, nur die Partie in der Nähe des Cambium- 
tinges darstellend. x7 sind die älteren, «77 die jüngsten Milchsaftröhren, 
G* ist eine junge Gefälszelle, deren Wand noch wenig verdickt ist. @. da- 
gegen ist eine bereits ausgebildete Gefälszelle, welche noch Säfte führt. 

F. 2. Radialer Längsschnitt aus der Gegend des Cambiumringes. 
Das sich bildende Milchsaft-Gefäls x entsteht hier bald aus einer und bald 
us zwei Zellenreihen, wie derartige Unregelmäfsigkeiten häufig vor- 
ommen. 

F.3. Tangentialer Längsschnitt, Es liegen drei Gefälsbündel 7, 7 
ind Z/] neben einander; bei p. erscheinen die Zellen noch gleich den Zel- 
len des Cambium’s, bei g. zeigen sich die knotenförmigen Verdickungen der 
‚ängswände, als erstes Kennzeichen des sich bildenden Milchsaft-Gefälses, 
bei r. sieht man darauf knotenförmige und leistenförmige Verdickungen, 
desgleichen durch Resorption entstandene Löcher in den sich berührenden 
Zellwänden. Einzelne Parenchymzellen der trennenden Markstrahlen zei- 
[# dieselben Verdickungen, aus ihnen entstehen die Verbindungsröhren. 
‚Sämmitliche Zellen, welche sich an der Bildung der Milchsaft- Gefälse be- 
theiligen, unterscheiden sich noch durch ihren trüben Zellsaft. 

-  F.4. Eine Partie aus einem ähnlichen Schnitt stärker vergrölsert. 
! und // gehören wieder zwei verschiedenen Gefäfsbündeln an, welche 
durch y verbunden werden. Der Schnitt ist su zart, dafs der körmige In- 
alt durch Abspülen mit Wasser beseitigt ist, wodurch die Verdickungen 
r Zellenwände, sowie die entstandenen offenen Verbindungen zwischen 
sich berührenden Zellen, sowohl bei x als auch bei y, deutlich her- 
treten. 

F.5 a und. Nach dem Kochen mit Ätzkalilösung isolirte Cam- 
biumzellen, welche in der Bildung zu Milchsaft-Gefälsen begriffen waren. 
4 F.6. Theil eines radialen Längsschnittes, nach dem Kochen mit Ätz.- 
alien so zerlegt, dals zwischen den beiden Gefälsstämmen 7 und JJ, 
welche demselben Gefälsbündel angehören, das Parenchym sorgfältig ent- 
fernt wurde, so, dals die Verbindung der Milchsaft- Gefälse, welche beide 
Gefälsstämme begleiten, durch Capillarröhren hervortritt. 


®*) Für Carica cauliflora gilt ganz dasselbe. 


[1856] 4 


534 Gesammtsitzung vom 13. November 1856. 


F. 7. Die Mittellamelle aus einem noch Säfte führenden Gefälse 
einem Tangentialschnitt entnommen. a die ringförmige Verdickun 
welche die Querwand der einzelnen Gefälszelle umfalst. 5 die sehr zart 
Scheidewand, c die netzförmige Verdickung der Längswand. 

F.8 a und. Zu einander gehörende Theile eines Milchsaft-Gefälser 
aus der reifen Frucht, ohne Anwendung .von Kali, vollständig freigeleg 
die Theile d und d gehören zu einander. 

F.9. Partie aus dem radialen Längsschnitt eines einjährigen Zwei 
ges. Die Bastzellen zeigen gallertartig aufgequollene Querwände, welch! 
wenig später verschwunden sind. 

F. 10. Eine fertige Bastzelle isolirt. Dieselbe ist aus 4 Cambium] 
zellen entstanden, und die Stelle der verschwundenen Scheidewand isf 
nur noch durch die vermehrte Anzahl der Poren erkennbar. 

(F. 8 ausgenommen sind sämmtliche Präparate aus einem einjährige: 


Zweige dargestellt.) 
F. 11—13. Sonchus.*) 


F. 11. Isolirte Milchsaft-Gefälse aus dem Stamm, einem Tangentia 
Längsschnitt, nach dem Kochen mit Kalilösung entnommen. / und / 
zwei Hauptstämme, zweien Gefalsbündeln angehörig. 

F. 12. Theil aus einem Tangential - Längsschnitt des Stamme) 
einem Gefälsbündel entsprechend. 

F. 13. Theil eines Tangential- Längsschnittes der Wurzel, eine!| 
Gefälsbündel entsprechend. 


F. 14. u. 15. Gomphocarpus fruticosus. 


F. 14. Verzweigtes Milchsaft-Gefäls aus dem Mark des Stamme 
einem radialen Längsschnitt da entnommen, wo ein Blatt abgeht, isoliı 
Bei a ist noch eine Scheidewand vorhauden, was sicher zu Gunsten d 
Bildung dieser Röhren und Zellen benutzt werden kann. 

F. 15. Verzweigte und verholzte Bastzelle aus der Rinde, demselb« 
Längsschnitt und demselben Orte entnommen und gleichfalls isolirt. 

Funchal, den 15. October 1856. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wu 
den vorgelegt: 


Abhandlungen der Senckenberg'schen naturforschenden Gesellschaft. 
Band, Lieferung 1. Frankf. a. M. 1856. 4. 


*) Da mir hier alle Bücher znm Bestimmen der Pflanzen mangeln, so kann ich leider $ 


Art nicht mit Sicherheit angeben. 


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Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 17. November 1856. 535 


Silliman, American Journal of science and arts. Vol. XXI, no. 65. 
New Haven 1856. 8. 

Annales de chimie et de physique, Octobre. Paris 1856. 8. 

Tschichatscheff, ZL’Asie mineure. Partie II. Paris 1856. 8. 

Denkschriften des germanischen Nationalmuseums. A1.Band. Nürnberg 
1856. gr. 8. 

Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Band 1—4. Nürnberg 
1853 — 1856. 4. 

Zweiter Jahresbericht des germanischen National- Museums. Nürnberg 
4855. 4. Mit Begleitschreiben des Hrn. Freiherrn v. Aufsess, 
Nürnberg 22. Octbr. 1856. 

Rudolf Wolf, Taschenbuch für Mathematik, Physik, Geodäsie und 
Astronomie. 2. Auflage. Bern 1856. 8. 

Mittheilungen über die Sonnenflecken. (Bern 1856.) 8. 

Plateau, Zecherches sur les figures d’equilibre d’une masse liquide sans 
pesanteur. Bruxelles 1856. 8. 


17. Nvbr. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Riedel las über die Verbindung der Mark 
randenburg mit der Grafschaft Mähren im 14. und 
5. Jahrhundert. 

Zu den noch sehr ungenügend aufgeklärten Punkten der 
randenburgischen Geschichte gehört die Verbindung der Mark 
randenburg mit der Markgrafschafschaft Mähren, welche Kai- 
r Karls IV. Sohn Siegmund gegen das Ende des 14. Jahr- 
underts begründete. Mehrere aus Mährischen Archiven neuer- 
ings an das Licht gezogene Urkunden machen es jedoch mög- 
ich, die oft veränderten Besitzverbältnisse, denen die Mark 
Brandenburg in jener Zeit unterlag, bedeutend genauer zu be- 
mmen, als dies dem gründlichen Bearbeiter der Brandenbur- 
chen Geschichte Paul Wilhelm Gerken in seinem „Ent- 
rf der Geschichte Marggrafs Jodoci als Marggrafen von 
andenburg” im Jahre 1756 gelingen konnte. Eine Revision 
eser Abhandlung dürfte daher an der Zeit sein, da dieselbe 
für die neuere Darstellung dieser Periode der Brandenburgi- 
schen Geschichte noch immer die Hauptgrundlage bildet. 


2 41° 


536 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Die erste Erwerbung eines Pfandbesitzes der Mährischen 
Markgrafen Jobst und Procop an der Mark Brandenburg hat 
man schon im Jahre 1385 finden zu müssen geglaubt. Mark- 
graf Siegmund war der Hülfe seiner Brüder und Vettern, so 
wie grolser Geldsummen benöthigt, um den Vollzug seiner 
Vermählung mit der Ungarischen Königin Maria mit gewaff- 
neter Hand zu erstreiten. Er verpfändete daher nach noch 
erhaltenen Verschreibungen um die Mitte des Jahres 1385 un- 
ter Zustimmung seiner beiden Brüder seinen Mährischen Vet- 
tern Jobst und Procop die Altmark und Priegnitz für 50,000 
Schock Böhmische Groschen ') und trat die Mark Brandenburg 
im Übrigen für den ihm in Ungarn zu leistenden Beistand 
seinem Bruder, dem Könige Wenzel von Böhmen, ab.?) Al- 
lein beide Dispositionen, obgleich die erforderlichen Bekannt- 
machungen darüber in die Mark gelangten, blieben gleichwohl 
unausgeführt. Markgraf Siegmund, der im October 1385 seine 
Vermählung mit Maria von Ungarn ohne eigentlichen Feldzug 
erreichte, wurde vermuthlich von seinen Vettern ebenso ohne 
die bedungene Geldhülfe, wie von Wenzel ohne die erwartete 
Kriegshülfe gelassen. Von dem Geltendmachen eines Pfand- 
rechtes der Mährischen Fürsten an der Altmark und Priegnitz 
mangelt daher auch jede Spur. König Wenzel liels zwar noch 
gegen das Ende des Jahres 1385 über die Anerkennung seiner 
Herrschaft mit den Brandenburgischen Landständen unterhan- 
deln, während Siegmund in Ungarn beschäftigt war, jedoch 
gleichfalls ohne Erfolg. Wenzels in die Mark entsandten Räthe, 
der Hofmeister Heinrich von der Duba, der Canzler Probst 
Hanka von Lebus und drei andere, bestimmten zwar die Bran- 
denburgischen Landstände am 1. Dezember zu dem Beschlusse, 
bis auf Weiteres den gleichfalls von Wenzel in die Mark ge- 
sandten jüngern Bruder Wenzels und Siegmunds, den Herzog 
Johann von Görlitz, als Regenten anzuerkennen und zur Ein- 
holung weiterer mündlicher Verhaltungsbefehle eine Deputation 
an den Markgrafen Siegmund zu schicken.”) Indessen da die 


1) Riedel’s Cod. dipl. Brandenb. UI, III, 91. 
?) Das. II, II, 92. 
3) Das. S. 93. 


vom 17. November 1856. 537 


Brandenburgische Deputation den Markgrafen Siegmund errei- 
chen konnte, war dieser damals von dem Könige Karl von 
Neapel aus Ungarn wieder hinausgedrängte Fürst schwerlich 
noch von solcher Zuversicht zu der Erlangung der Ungarischen 
Königskrone beseelt, um seine übereilte Verzichtleistung auf 
die Mark Brandenburg von Neuem zu bestätigen. Zwar hatte 
Siegmund hiernächst nach dem an dem Könige Karl verübten 
Meuchelmorde es vorzüglich der Kriegshülfe seines Bruders 
und seiner Mährischen Vettern zu verdanken, dals er am 
42. Mai 1386 wenigstens als Generalcapitain Ungarns aner- 
kannt wurde, dem später seine Erhebung zur Königswürde und 
am 31. März 1387 seine feierliche Krönung folgte. Doch 
blieb während dieser Zeit Siegmund allein Kurfürst von Bran- 
denburg und unmittelbarer Landesherr seines ererbten An- 
theils an der Mark *) und daher sowohl die Pfandver- 
schreibung der Altmark und Prignitz an Jobst und Procop, 
als die Abtretung der Mark an Wenzel vollkommen wir- 
kungslos. 

Bald nach Siegmunds Erhebung zur Königswürde in Un- 
garn trat jedoch der Plan einer Verpfändung der Mark Bran- 
denburg von Neuem auf und kam nun n einer die Habsucht 
des Markgrafen Jobst besser befriedigenden Weise zur Aus- 
führung. Ein in die Mark entsandter Befehl des neuen Un- 
garnkönigs vom 16. März 1388 entbietet eine Deputation der 
Brandenburgischen Landstände an das königliche Hoflager zu 
Trenz. Mit diesen Abgeordneten, erklärte Siegmund, hoffe 
er die dringenden Angelegenheiten der Mark Brandenburg, 
welche sein Gemüth bekümmerten, mit Gottes Hülfe so zu ord- 
nen und zu bestellen, dals die immer noch fortdauernden Zwi- 
stigkeiten und Fehden in der Mark ein Ende nehmen und fried- 
liche gute Ordnung folge.°) Von wem diese Beruhigung der 
Mark erwartet werde, deutete vier Wochen später eine Er- 
klärung schon näher an, die König Wenzel den Brandenbur- 


gischen Landständen zugehen lies. In Gemäfsheit derselben 


*) Nach Urkunden vom 15. Dez. 1386 u, 17. März, so wie 12. Nov. 


1387 in Riedel’s Cod. I, IX, 66 und I, V, 134. 359. 360. 


°) Das. II, 111, 95. 


538 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


war sein Vetter Jobst von ihm bevollmächtigt, nicht nur in 
Betreff der Ansprüche der Krone Böhmen auf die Succession 
in der Mark mit dem Könige Siegmund sich zu vergleichen, 
sondern auch, wenn solcher Vergleich dies erfordere, die Land- 
stände aller Verpflichtungen gegen die Krone Böhmen zu ent- 
lassen. °) Es erhellte darnach zur Genüge, dafs die Absicht, 
in welcher König Siegmund die Brandenburgischen Landstände 
nach Tranz berief, keine andere war, als über die Mark Bran- 
denburg zu Gunsten des Markgrafen Jobst zu disponiren. 

Wir wissen nun nichts von den Unterhandlungen, welche 
um Pfingsten (17. Mai) des Jahres 1388 zu Trenz, wo auch 
der Herzog Johann von Görlitz und die Mährischen Fürsten 
selbst zugegen waren, mit der ständischen Deputation gepflo- 
gen wurden. Gewils liefsen die Vertreter der Mark sich un- 
gern die Verweisung an die am wenigsten würdigen Glieder 
des Hauses Luxenburg, die Mährischen Markgrafen, gefallen. 
Doch mulste jeder Widerspruch dem bereits fertigen Plane 
weichen. Die Verpfändung der Mark an Jobst und Procop wurde 
schon am 22. Mai diesen förmlich verbrieft und aus mehreren 
Erlassen König Siegmunds, welche dieser nach der Heimkehr 
der Brandenburgischen Abgeordneten den 4. Juni ausfertigen 
liefs, erfahren wir, dals er die Vertreter der Mark förmlich an 
die Markgrafen Jobst und Procop verwiesen, und ihnen aufge- 
tragen hatte, auch ihre Machtgeber zu vermögen, diesen Für- 
sten Huldigung zu leisten. ”) 

Ob König Siegmund von dieser Übertragung der Mark in 
den Pfandbesitz seiner Mährischen Vettern wirklich die Hoff- 
nung hegen konnte, für sein Erbland die Rückkehr von Frie- 
den und Ordnung wieder zu erreichen, mufs dahin gestellt 
bleiben. Gewils wenigstens war der Wunsch einer Pacifica- 
tion der Mark nicht der Hauptbeweggrund, der ihn zu dieser 
Pfandverschreibung veranlalste. Ein mächtigerer Antrieb lag 
für ihn ohne Zweifel in dem Wunsche, sein Königreich Un- 
garn von einem lästigen Mitbesitz seiner Mährischen Vettern 
zu befreien. 


*) Daselbst S. 96. 
”) Daselbst $. 102 £. 


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vom 17. November 1856. 539 


Da die Mährischen Markgrafen Jobst und Procop dem Kö- 
nige Siegmund im Jahre 1386 die Herrschaft über Ungarn hat- 
ten mit erkämpfen helfen; so verschuldete ihnen Siegmund be- 
trächtliche Kriegskosten. Unvermögend diese abzutragen hatte 
Siegmund den Mährischen Fürsten wichtige Schlösser, Städte 
und ganze Districte des Königreiches als Pfandbesitz einräumen 
müssen. Indem der König daher die Mark Brandenburg zum 
Opfer brachte, erreichte er dafür die Freude, sich die Hoheits- 
rechte der Krone Ungarn unbeschränkter wieder anzueignen. 

Ganz unbekannt waren bis jetzt die nähern Bestimmungen 
der zu Sempte und Schintau am 22. Mai ausgestellten Pfand- 
verschreibungen. Nach denselben erstreckte sich der den Mark- 
grafen Jobst und Procop eingeräumte Pfandbesitz auf die ganze 
Mark, nur mit Ausnahme des Theiles der Neumark jenseits der 
Oder, welcher nach Kaiser Karls IV. väterlicher Verfügung 
seinem jüngsten Sohne, dem Herzoge Johann von Görlitz, be- 
schieden war. Die Pfandsumme belief sich auf 565,263 Gul- 
den. Der Pfandcontract aber wurde dergestalt auf 5 Jahre 
gerichtet, dals für die Dauer dieses Zeitraumes dem Könige 
Siegmund das Auslösungsrecht vorbehalten blieb. Würde der 
Verpfänder indessen innerhalb dieses Zeitraumes von dem Aus- 
lösungsrechte keinen Gebrauch machen, so sollte die Mark 
Brandenburg in das Eigenthum der Pfandbesitzer übergehen, 
dem Verpfänder auch in Ansehung der Kurwürde kein Recht 
daran verbleiben, diese vielmehr sammt dem Erzamte und dem 
Lande den Mährischen Herren vom deutschen Reichsoberhaupte 
verliehen werden. ®) Beide Brüder Siegmunds ertheilten zu 
dieser Verpfändung ihre Zustimmung, die König Siegmund mit 
neuen Opfern erkaufen mulste, indem er zu Gunsten Wenzels 
den von Kaiser Karl IV. ihm ausgesetzten Kuttenberger Jahr- 
geldern, zu Gunsten Johann’s seinem nähern Erbrechte an der 
Krone Böhmen entsagte. ?) 

Indem die drei Brüder sich zur Veräulserung eines so 
wichtigen Besitzes die Hände boten, mochten sie sich mit der 
Hoffnung einer baldigen Wiederauslösung schmeicheln. In- 


°) Das. S. 97— 100. 
°) Palacky Gesch. v. Böhmen II, I, 47. 


540 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


dessen war nicht nur die Pfandsumme an sich sehr hoch, son- 
dern wurde die Auslösung auch durch Nebenbedingungen des 
Vertrages noch mehr erschwert. Während nämlich den Mäh- 
rischen Fürsten das Angefälle aller sich erledigenden Lehne 
und der Genuls aller landesherrlichen Nutzungen überlassen 
wurden, ohne dafs die Pfandsumme durch ihren Ertrag eine 
Verringerung erlitt'°); so sollten dagegen die zum Schutze 
der Mark zu bestreitenden Kriegskosten, so wie die Kosten von 
Auslösungen einzelner verpfändeter Zubehörungen der Mark, 
soweit letztere nicht aus dem Ertrage einer zu diesem Zwecke 
zu. erhebenden allgemeinen Landessteuer bestritten werden 
könnten, der Pfandsumme zuwachsen und bei der dereinstigen 
Wiedereinlösung der Mark mit zur Erstattung kommen. Es 
war vorauszusehen, dafs hierdurch in den damaligen unfried- 
fertigen Zeiten, welche eine fast ununterbrochene Kriegfüh- 
rung erforderten, das Kapital, wofür dem Mährischen Bruder- 
paar die Mark haftete, eine Höhe erreichte, welcher die er- 
schöpften Finanzkräfte Siegmunds nimmer gewachsen waren, 
wenn Jobst auch von dem Rechte der Einlösung verpfändeter 
Domainen wenig oder keinen Gebrauch machte. 

Zur Ausführung der also verbrieften Verpfändung erliels 
König Siegmund und gleich ihm an demselben Tage, dem 
4. Juni 1388, auch der Herzog Johann Befehle an die ver- 
schiedenen Provinzen, Landschaften, Geschlechter und Städte 
der Mark. Dafs solche auch an die Altmark und Prignitz in 
ganz gleicher Weise, wie an die übrigen Theile der Mark, 
gerichtet wurden, ohne die geringste Hindeutung auf eine 
schon im Jahre 1385 vollzogene Verpfändung, bestätigt die 
oben ausgesprochene Annahme, dals die Verpfändung vom 
Jahre 1385 überhaupt ohne Vollzug blieb. Inhalts der Befehle 
vom 4. Juni 1388 aber mulsten sich die gesammten Stände der 
Mark auf einem Termine, dessen Bestimmung den Landeshaupt- 
leuten Lippold von Bredow und Leutold von Krumsdorf über- 
lassen wurde, versammeln, den Inhalt der Pfandverschreibung 
Siegmunds sowohl als die mündliche Bestellung zu vernehmen. 
welche der inzwischen von Ungarn heimgekehrten ständischen 


'°) Riedel’s Cod. dipl. Br. II, II, 101. 


vom 17. November 1856. 541 


Deputation vom Könige mitgegeben war. Zugleich wurden die 
Stände aufgefordert, den Markgrafen von Mähren, Jobst und 
Procop, zu huldigen und für den Fall der Erfüllung dieses Ge- 
botes der dem Könige Siegmung und der dem Herzog Johann 
geleisteten Huldigung ledig und los gesprochen. Demjenigen, 
der sich an dieser schriftlichen Weisung nicht genügen lassen 
wollte, wurde im Voraus aufgegeben, am Hofe des Königs zu 
seiner mündlichen Verweisung sich einzufinden. In gleicher 
Weise entband auch König Wenzel als Anwarter der Mark 
alle Diejenigen, welche aus der Mark zu ihm gesandt wurder, 
der ihm geleisteten Eide und wiederholte er diese Lossprechung 
zu Gunsten der Mährischen Markgrafen am 21. Juni 1388 noch- 
mals schriftlich in einer an alle Bewohner der Altmark, Mittel- 
mark, Ukermark und Prignitz, so wie der Lande Lebus und 
Sternberg gerichteten Erklärung. '') 

Im Juli oder August 1388 Hagaı sich dann auch der Mark- 
graf Jobst persönlich in die Mark” Brandenburg, um den Pfand- 
besitz einzunehmen, den Landen und Städten ihre Rechte zu 
bestätigen und die Huldigung als ‚ihr rechter Herr” zu em- 
pfangen. Dals Markgraf Jobst vermöge dieses Pfandbesitzes 
nicht im Jahre 1388 schon die Brandenburgische Kurwürde 
erworben hat, wie in neuester Zeit noch von Palacky ange- 
nommen ist,'?) erhellt aus dem Obigen von selbst. Durch 
Übertragung des blofsen Pfandbesitzes, wie sie hier vor- 
lag, wurde Jobst noch kein Markgraf von Brandenburg, ge- 
schweige denn ein Kurfürst des Römischen Reichs, wozu ihn 
nur eine von dem Reichsoberhaupte ertheilte Belehnung erhe- 
ben konnte. Es blieb vielmehr König Siegmund nach wie vor 
im Besitz der Kurwürde und des Reichs-Erzkämmereramtes so 
wie der eigentliche Markgraf von Brandenburg. Auch die von Ge- 
schichtsschreibern geäufserte Verwunderung darüber, dals die 
Mährischen Markgrafen den Titel von Brandenburg nicht an- 
genommen hätten, ist daher ganz ungerechtfertigt. 

Markgraf Jobst aber war seit der Mitte des Jahres 1388 
wenigstens Pfandbesitzer und Regent des Kurfürstenthums Bran- 


=), Das: S. 105. 105: 
. '?) Palacky Böhm. Gesch. II, I, 47 u. 51. 


542 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


denburg. Von dem Markgrafen Procop, dem in späterer Zeit 

gleichwohl ebenfalls ein Platz in der Reihe der Markgrafen 

von Brandenburg zugeeignet ist, lälst sich auch dies nicht ein- 

mal behaupten. Obgleich die Pfandverschreibungen allerdings 

auf beide Mährische Markgrafen lauten und Schriftsteller, wie 

Garcäus und Kranz, den Markgrafen Procop in Begleitung des 

Markgrafen Jobst in die Mark Brandenburg einziehen lassen; 

so findet man doch von der Anwesenheit des Procop in der 

Mark, geschweige denn von einer Theilnahme desselben an der 

Landesregierung, in glaubhaften Geschichtsquellen nicht die 

geringste Spur; daher schon Gerken mit Recht vermuthet, 

dafs Jobst allein als Herr der Mark betrachtet sei. Auch die 
der Huldigung vorher gehenden Bestätigungen wurden von 

Jobst allein ohne Miterwähnung seines Bruders ausgestellt. 

Die Huldigung selbst wurde zwar eventuell, für den Fall dals 
Jobst ohne Erben abginge, auf Procop und dessen Erben mit | 
gerichtet, doch unter ausdrücklichem Ausschlusse jedes Wider- 

spruchsrechtes, falls es dem Markgrafen Jobst gefallen sollte, 

die Mark Brandenburg noch bei seinen Lebzeiten an einen an- 

dern Herrn zu weisen.'’”) Wir müssen hiernach als den Er- 

werber des Pfandbesitzes der Mark den Markgrafen Jobst allein 

betrachten und können in der Ausdehnung der Pfandverschrei- 

bung auf Procop nur eine Anerkennung des Erbrechtes er- 

blicken, das dem Markgrafen Procop als dem Bruder des kin- 

derlosen Jobst rechtlich zukam, falls dieser nicht bei seinen 

Lebzeiten anders über sein Pfandstück verfügte. 

Jobst, dessen Streitigkeiten mit seinem Bruder Procop all- 
mälig bis zu offener Feindschaft und blutigem Streite gedie- 
hen, unterliels auch nicht über die Succession in die Mark 
Brandenburg zum Nachtheil seines Bruders anderweitige Dis- 
positionen zu treffen. Mit dem Jahre 1393 trat der Zeitpunkt 
ein, in welchem Siegmunds Auslösungsrecht an der Mark er- 
losch, wornach Jobst nun dem Vertrage von 1388 zufolge die 
förmliche Belehnung mit diesem Reichslehne und also seine 
Erhebung zum Kurfürsten und Erzkämmerer fordern konnte. 


13) Huldigungsrevers Stendals v. 26. Oct. 1338 in Pauli’s Staats- 
gesch. I, 562 und Lenz Brand. Urk. S. 458. 


vom 17. November 1856. 543 


Indessen war die Erfüllung dieser Forderung von dem Römi- 
schen Könige Wenzel, dem Jobst in Böhmen im Bunde mit 
dem sogenannten Herrenverein als offener Widersacher gegen- 
über trat, um diese Zeit nicht zu erwarten. Dagegen benutzte 
Siegmund diese Zerwürfnisse, in welchen Procop für König 
Wenzel Parthei nahm, um wenigstens die nächste Anwart- 
schaft zur Succession in die Mark Brandenburg wieder zu ge- 
winnen. Den 1. Juni 1395 war Jobst vermogt, die dem Mark- 
grafen Procop geleistete Eventualhuldigung förmlich zu annul- 
liren und wurden Mannen und Städte der Mark von ihm an- 
gewiesen nach seinem Tode, wenn er ohne Leibeserben stürbe, 
keinem Andern als seinem Vetter Siegmund sich zu unterwer- 
fen. Erfolglos wurde von dem Markgrafen Procop durch Briefe 
welche er in die Mark sandte, gegen diese Verfügung seines 
Bruders protestirt.'*) 

Indessen diese Vereinbarung mit dem Könige Siegmund 
liels den Markgrafen Jobst das Ziel, wornach er jetzt strebte, 
nämlich die Belehnung mit der Mark Brandenburg zu erhalten, 
noch nicht erreichen. Diese mulste vielmehr von dem Könige 
Wenzel als Reichsoberhbaupte unmittelbar erwirkt werden, da 
König Siegmund sich der Beförderung dieses Strebens, dessen 
Gelingen ihn der Brandenburgischen Kurwürde beraubte, wohl 
wenig eifrig annahm. Zur Erreichung seiner Zwecke trug 
Jobst im Anfange des Jahres 1397, vorübergehend mit dem 
Könige Wenzel versöhnt, kein Bedenken, zwei Jahre nach der 
dem Könige Siegmund verschriebenen Nachfolge in der Mark 
Brandenburg, mit Nichtachtung der dem letztern dadurch ein- 
geräumten Rechte, dasselbe Zugeständnils dem Könige Wenzel 
zu machen. Für die Zusicherung dieses Successionsrechtes in 
der Mark, desgleichen in der Landvogtei zu Elsals und in dem 
Herzogthum Luxenburg, sicherte König Wenzel dem Mark- 
grafen mittelst Vertrages vom 6. Febr. 1397 die Niederlausitz 
auf Lebenszeit und die Oberlausitz auf 5 Jahre zu. Zugleich 
fand Wenzel, in dem Interesse mehrerer Vervollständigung der 
ihm selbst hiernach in Aussicht gestellten Rechte an der Mark 
Brandenburg, jetzt genügende Veranlassung, dem Markgrafen 


'*) Riedel’s Cod. dipl. Br. II, II, 123 u. 130. 


544 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Jobst die lange verweigerte Belehnung mit der Mark Branden- 
burg nunmehr zu Theil werden zu lassen. Am 3. April 1397 
wurde daher der Markgraf Jobst zu Prag mit der Mark Bran- 
denburg, dem Erzkämmereramte und der Kurwürde öffentlich 
und feierlich von Wenzel als Römischen Könige beliehen.'°) 
Zwar zerfiel Markgraf Jobst so bald wieder mit dem Kö- 
nige, dals er nicht einmal den üblichen Lehnbrief über den Act 
der feierlichen Investitur empfangen zu haben scheint, viel- 


mehr auf des Königs Befehl schleunig Prag und ganz Böhmen 


räumen mufste.'°%) Doch konnte der vollzogene Lehnsact da- 


durch nichts an seiner Gültigkeit einbülsen. Der neue Kur- 


fürst nahm daher auch keinen Anstand, sich von nun an Mark- 


grafen von Brandenburg und des Römischen Reiches Erzkän- 
merer zu schreiben.'”) 

König Siegmund scheint die Erhebung seines Vetters in 
den legalen Besitz des ihm rechtlich verfallenen Kurfürsten- 
thumes, so wie die Einbufse des ihm eingeräumten Nachfolge- 
rechtes sehr schwer empfunden zu haben. Sein Streben nach 
Wiedererwerbung des veräulserten Kurfürstenthumes ward in 
jüngster Zeit noch dadurch von Neuem lebhaft angeregt, dafs 
ihm nach dem am 1. März 1396 zu Neuzelle erfolgten plötz- 
lichen Hinsterben seines jüngern Bruders Johann dessen An- 
theil an der Neumark jenseits der Oder zugefallen war. In- 
dessen hatte der Markgraf Jobst die Belehnung mit der Mark 
und seine endliche Erhebung zur Kurwürde in einer rechtlich 
so wohl begründeten Weise erlangt, dals dem Könige Sieg- 
mund kein anderes Mittel übrig blieb, seinen Verdruls darüber 
zu äulsern, als die Beibehaltung des Prädicates eines Reichserz- 
kämmerers und die darin liegende Prätension der Fortdauer sei- 
ner Kurfürstenwürde, die er ganz unbefugt sich herausnahm.'?) 

Erst als die drohende Gefahr der Absetzung Wenzels und 
der gänzlichen Ausschlielsung des Hauses Luxenburg von der 


15) Daselbst S. 133 u. 144. 
1°) Palacky a.a. 0. S. 103. 
17) Riedel’s Cod. dipl. Br. I, IX, 392. X, 134. 


15) Vol. z. B. die Urkunden 1251 und 1252 in Riedel’s Codex II, 


111, S. 137 und 138. 


vom 17. November 1856. 545 


Römischen Königswürde die Glieder dieses Hauses geneigler 
machte ihre untereinander gehegten Zwistigkeiten ruhen zu 
lassen, gelang es dem Markgrafen Jobst auf einer Zusammen- 
kunft mit den Königen Wenzel und Siegmund im Februar 1400 
zu Prag sich wegen der Mark Brandenburg mit seinen Vettern 
in der Art zu vergleichen, dals König Wenzel die ihm zuge- 
sicherte Succession in der Mark nach dem Tode des Markgrafen 
Jobst zu Gunsten Siegmunds aufgab, der Vertrag vom 6. Fe- 
bruar 1397 überhaupt für nichtig erklärt und dagegen die Be- 
lehnung des Jobst mit der Mark, dem Erzkämmereramte und 
der Kurfürstenwürde als rechtlich geschehen anerkannt wurde. 
Denn am 10. Februar 1400 schrieb Jobst von Prag aus in die 
Mark, er hoffe hier jetzt im Wege der Unterhandlung mit den 
beiden genannten Königen alle seine Sachen zum guten Ende 
zu bringen. Dann wurde vom Könige Wenzel am 24. April 
über die drei Jahre früher dem Markgrafen Jobst gewährte Be- 
lehnung mit der Mark sammt dem Erzamte und der Kurwürde ein 
förmlicher Lehnbrief ausgefertigt: und in einer spätern Ur- 
kunde von 1401 wird von dem Könige Wenzel ausdrücklich 
erklärt, dals der ehedem mit Jobst geschlossene Vertrag über 
seine Succession in der Mark Brandenburg nicht in Kraft ge- 
blieben sei.'?) 
Auch König Siegmund scheint jetzt der fernern Anmalsung 
der kurfürstlichen Würde sich enthalten zu haben, bis zu dem 
Zeitpunkte hin, dals die Wahl eines neuen Oberhauptes für 
das Römische Reich, nach dem Tode König Ruprechts, ihn wie- 
der dem Markgrafen Jobst als Concurrenten gegenüber stellte. 
Burggraf Friedrich von Nürnberg, König Siegmunds Botschafter 
zu der Wahlversammlung, die Jobst unbesucht liels, nahm be- 
kanntlich die Brandenburgische Kurwürde wieder für den Un- 
garkönig in Anspruch, um diesen mit Hülfe der Brandenburgi- 
schen Kurstimme zur Würde eines Römischen Königs zu er- 
heben. Indessen die Gründe, womit der Scharfsinn des Burg- 
grafen Friedrich die ungerechtfertigten Ansprüche seines könig- 
lichen Freundes auf die Brandenburgische Kur nur zu verfechten 
vermogte, wornach Jobst nur als Pfandbesitzer eines Theiles 


'°) Daselbst $. 143 — 146 und 149. 


546 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


der märkischen Lande erschien, waren den für die Kurwürde 
Jobstens sprechenden Documenten gegenüber so unhaltbar, dals 
sie die Geschichtsschreibung nicht hätten verleiten sollen, das 
Besitzverhältnifs der Brandenburgischen Kur als ein damals 
zweifelhaftes hinzustellen. n 
Die Würde, welche Siegmund im September 1410 noch 
unbefugt in Anspruch nahm, fiel ihm aber schon vierthalb Mo- 
nat nach der Wahl seines Vetters zum Römischen Könige 
rechtlich wieder zu, da Jobst, der letzte Markgraf von Mäh- 


ren, am 17. Januar 1411 starb, wodurch dem Könige Sieg- 


mund das Kurfürstenthum Brandenburg, wie das Römische 
Reich sich erledigte. König Wenzel, der die Markgrafschaft 
Mähren mit Böhmen vereinigte, machte auf die Brandenburgi- 
sche Succession, so weit wir wissen, keine Ansprüche und der 
Markgraf Procop war schon vor dem Tode seines ältern Bru- 
ders umgekommen. 

Also kam Siegmund nach dreizehnjähriger Unterbrechung 
wieder in Brandenburgs Besitz, den er dann noch fünf Jahre 
hindurch, nämlich bis zum 30. April 1415 beibehielt. Denn 
wenn König Siegmund auch schon im Jahre 1411 den Burg- 
grafen Friedrich von Nürnberg zum Verweser und obersten 
Hauptmann der Mark Brandenburg bestellte und diesem 150000 
Gulden darauf verschrieb; so wurde dem Burggrafen doch erst 
am 30. April 1415 die Markgrafschaft sammt dem Erzamte und 
der Kurwürde förmlich abgetreten, mit welchem Tage daher 
erst die kurfürstliche Herrschaft der Zollernschen Dynastie über 
die Mark Brandenburg begann. 

König Siegmund erscheint hiernach im Besitze der ihm 
von seinem Vater übertragenen Brandenburgischen Kurwürde 
in der ersten Periode bis zum 3. April 1397 und in der zwei- 
ten vom 17. Januar 1411 bis zum 30. April 1415, während 
er die Landesregierung freilich in der ersten Periode nur bis 
zum 4. Juni 1488 geführt und in der zweiten Periode gar 
nicht übernommen hat. Markgraf Jobst hatte dagegen die kur- 
fürstlichen Lande zwar schon vom 4. Juni 1488 an als Pfand- 
besitzer und Regent inne, die kurfürstliche Würde von Bran- 
denburg besals er jedoch nur vom 3. April 1397 bis zum 
17. Januar 1411. 


vom 17. November 1856. 547 


Der von Hrn. Mommsen in Breslau erstattete Jahresbe- 
richt über die vom 1. November 1855 bis dahin 1856 für das 
Corpus Inscriptionum Latinarum ausgeführten Arbeiten 
wurde, nebst den Specialberichten der Hrn. Henzen und de 
Rossi in Rom, von der epigraphischen Commission vorgelegt. 
Ein Auszug daraus folgt. 

In diesem Jahre sind die Arbeiten für die lateinische In- 
schriftensammlung mit erfreulicher Stetigkeit fortgeschritten. Für 
den Theil, welcher die Priscae Latinitatis Monumenta 
enthalten wird, werden die in erster Linie in Betracht kommen- 
den älteren Inschriften Roms und Latiums jetzt aus dem in Rom 
befindlichen Material zusammengestellt, während andererseits die 
von Hrn. Ritschl in Bonn veranstaltete Anfertigung von Facsi- 
miles auf Steindrucktafeln sich ihrem Ende nähert; über 80 Fo- 
liotafeln liegen bereits in Probedrucken vor. 

Die Sammlung der römischen Inschriften ist nach allen Sei- 
ten hin im erfreulichsten Fortschreiten. — Von aus den Ori- 
ginalen genommenen oder revidirten Abschriften sind wiederum 
2000 Nummern hinzugekommen, welche grölstentheils entweder 
zerstreut oder unedirt und deshalb in doppelter Hinsicht ein 
schätzbarer Erwerb sind. — Die neu gehobenen oder doch neu 
eröffneten Hülfsmittel des handschriftlichen Apparats sind 
unermelslich ihrem Umfang wie nicht minder ihrer inneren Be- 
deutsamkeit nach. Unter den Sammlungen des XVI. und XVII. 
Jahrhunderts ist der ausgedehnte manutische Apparat in der Be- 
arbeitung begriffen. Die ligorische Sammlung ist, nach Über- 
windung grofser Schwierigkeiten, wesentlich durch Hrn. Hen- 
zens angestrengte Bemühung aus Turins, Neapels und der pariser 
Bibliothek zusammengebracht und gröfstentheils auch zusammen- 
gearbeitet worden. Er liegt weit vollständiger vor als er ge- 
druckt ist und es wird möglich sein die Fabricate dieser Officin 
bis zur letzten Faser zu ‘verfolgen und auszuscheiden. Die ac- 
eursische Sammlung oder die sogenannten ambrosianischen Sche- 
den sind in Mailand, die des Cittadino in Venedig, die — auch 
von Muratori viel benutzten — zum smetianischen Apparat ge- 
hörenden des Scandianus in Neapel abgeschrieben worden. Die 


548 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


unverhoffte Wiederentdeckung der verschollenen sirmondischen 
Sylloge, deren Wichtigkeit Gruters Appendix abnen lälst, kann 
nicht fehlen neues Licht eben da wo es am meisten Noth thut 
zu verbreiten. Wir dürfen hoffen, dafs wir im Stande sein wer- 
den uns von den grolsen Sammlungen wesentlich zu emancipiren, 
und nicht aus Gruter und Muratori, sondern aus Gruters und 
Muratoris Quellen unser Corpus zu bearbeiten. Für die Zeit 
von Gudius bis auf Maffei flielsen freilich auch unsere Quellen 
nur dürftig. Aber für die neuere Zeit sind wieder nicht blos 
Seguiers Papiere von Hrn. de Rossi eingesehen worden, son- 
dern es ist auch gelungen durch die Auffindung und gröls- 
tentheils beendigte Ausnutzung der Papiere Marinis, Amatis und 
E. Q. Viscontis gleichsam ein epigraphisches Fundjournal von 
Rom und Latium für die letzten siebzig Jahre herzustellen. 
Man kann nur einstimmen in das, was Hr. de Rossi in seinem 
Bericht bemerkt, dals durch diese grolsentheils ganz unvermuthe- 
ten Entdeckungen, die nur durch Hrn. de Rossi’s systematisch 
und intelligent unternommene gelehrte Reisen gewonnen wurden, 
sich der Horizont der epigraphischen Kritik hier in einer Weise 
ausgedehnt hat, dafs bei weitem mehr wird geleistet werden kön- 
nen, als wir bei dem Beginn der Arbeit auch nur hofften und 
ahnten. — — Die mühsame Ordnung der Zettel ist für Rom 
wenigstens vorläufig vollendet. 

Hr. Mommsen selbst hat insbesondere auf die Inschriften 
des Kaiserthums Österreich, vorläufig indels mit Ausschluls der 
italienischen Provinzen, seine Thätigkeit gerichtet. Die Samm- 
lungen der deutschen und ungarischen Provinzen, Österreich, 
Salzburg, Tyrol, Steiermark, Kärnthen, Krain, Ungarn, Sieben- 
bürgen und der ungarischen Nebenländer dürfen insoweit als fer- 
tig bezeichnet werden, als diese Massen geordnet sind und die 
Litteratur in umfassender Vollständigkeit dafür ausgenutzt ist. 
Der Apparat ist auf 3—4000 Nummern zu schätzen. Die Samm- 
lungen für Istrien und Dalmatien sind nicht beendigt, aber dem 
Abschlufs nahe. Es ist noch eine litterarische Reise erforderlich, 
um die wenigen in Deutschland nicht aufzutreibenden Bücher, 
die Handschriften und die Steine selbst zu vergleichen. Im Vor- 


vom 17. November 1856. 549 


aus ist diese Reise dadurch gefördert worden, dals von den wich- 
tigsten hier einschlagenden Wiener Handschriften, namentlich 
dem Autograph des Ariosti in der K. K. Bibliothek und einem 
Theil der Eckhelschen Papiere in derjenigen des K. K. Anti- 
quariums, Abschriften genommen worden sind. Diese Abschriften 
hat Hr. Dr. Linker in Wien mit der grölsten Bereitwilligkeit 
und Liberalität theils selbst gemacht, theils durch seine Freunde 
machen lassen; er hat dem Unternehmen eine echt wissenschaft- 
liche Theilnahme zugewendet. Die K. K. Behörden haben in 
allen Fällen, wo sie im Interesse des Unternehmens angegangen 
worden, die dankenswertheste Zuvorkommenheit an den Tag 
gelegt. 
Anlage A. 
Aus dem Berichte des Hrn. Henzen in Rom. 

In meinem vorjährigen Berichte über die Turiner Manu- 
scripte des Ligorio deutete ich bereits darauf hin, dafs mit deren 
Ausbeutung noch keineswegs die Untersuchung über seine Fäl- 
schungen als abgeschlossen betrachtet werden könne, und, da nun 
einmal nach der vorläufigen Theilung des Gesammitmaterials nichts 
wichtiger war, als mit ihm zu Ende zu kommen, so hielt ich es 
nach meiner Rückkehr nach Rom für nothwendig, alle meine 
Thätigkeit zunächst auf ihn zu verwenden. Es wurden demnach 
die schon in Breslau ausgesonderten, auf Ligorio’s Namen ste- 
henden Inschriften mit den Gudischen und der ganzen Turiner 
Ausbeute zusammengeworfen und in streng alphabetische Ord- 
nung gebracht, bei der Masse der Monumente eine nicht geringe 
"Arbeit, bei welcher in Ermangelung untergeordneter Hülfsarbeiter 
Hr. Dr. Emil Hübner die grofse Gefälligkeit hatte, mir hülf- 
reich zur Hand zu gehen. Das Resultat war das von mir er- 
wartete: es blieben zahlreiche Inschriften zurück, die nicht in 
den Turiner Handschriften stehen, also anderswo gesucht werden 
"müssen, und zu meinem grolsen Bedauern mulste ich die frei- 
lich nicht unerwartete Entdeckung machen, dafs ein bedeutender 
"Theil der in Turin excerpirten Inschriften gänzlich unedirt ist, 
also im Abschnitte der falsa des C. I. L. nicht übergangen wer- 
‚den darf. Leider scheint es, dals dieser Schatz Ligorischer Ine- 

[1856.] 42 


550 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


dita auch von anderer Seite her noch eine Vermehrung erfah- 
ren wird. 

Sobald ich nach Rom zurückgekehrt war, hatte ich mich 
nämlich sowohl nach Paris, als nach Neapel mit der Bitte ge- 
wendet, mir einige Proben aus den dortigen Ligorianischen Hand- 
schriften mitzutheilen. Die Hrn. No&@l des Vergers und Mi- 
nervini kamen bereitwillig meinen Wünschen nach, und zu 
meinem Bedauern enthielten ihre Proben Inschriften, welche in 
meinen Papieren fehlten. Unter diesen Umständen ward es noth- 


wendig, nach Aussonderung der Doubletten für's Erste meine 


Arbeiten über Ligorio zu suspendiren, bis ich die genauen Ex- 
cerpte aus den Pariser und Neapolitanischen Handschriften in 
Händen haben würde. Erstere versprach mein Freund, Hr. des 
Vergers, mir zu besorgen, letztere Hr. Minervini und unter 
seiner Aufsicht Hr. Avellino, ein Sohn des rühmlichst be- 
kannten Archäologen. Doch waren in Neapel noch zeitraubende 
Schwierigkeiten zu überwinden. Die Erlaubnils zur Benutzung 
der Ligorischen Handschriften durch die genannten beiden Her- 
ren, so wie der Farnesischen durch Hrn. Dr. Emil Hübner, 
wird der erfolgreichen Verwendung Sr. K. Hoheit des Grafen von 
Syracus, Bruders Sr. Maj. des Königs, verdankt, an welchen ich 
mich, nachdem andere Bemühungen fehlgeschlagen waren, mit 
einem Gesuch gewendet hatte. Die hierauf begonnenen Arbeiten 
werden jetzt beendigt sein, und die betreffenden Papiere durch 
Hrn. Dr. Hübner bei seiner Rückkehr von Neapel hieher über- 
bracht werden. 

Da es sich bereits aus Documenten des Turiner Archivs er- 
geben hatte, dals die Vaticanische Sammlung von Ligorianischen 
Handschriften der Königin Christine nur eine Abschrift der gro- 
(sen Turiner sei, so konnte glücklicher Weise diese Folianten- 
reihe bei Seite gelassen werden. Dagegen wurden andere Ligo- 
rische Scheden, welche aus der Barberina in die Vaticana über- 
gegangen sind, unter Hrn. de Rossi’s Aufsicht copirt, einer 
näheren Untersuchung von mir jedoch noch nicht unterworfen, 
die ich bis nach Empfang der Neapolitänischen und Pariser Li- 
goriana aufsparen zu müssen glaubte. Da die Notiz über das 


vom 17. November 1856. 551 


Vorhandensein Ligorianischer Handschriften in Florenz sich nicht 
bestätigt ‚hat, so hoffe ich alsdann das nöthige Material vollstän- 
dig zusammen zu haben. 

Es ist schon im Obigen bemerkt worden, dafs zugleich mit 
der Erlaubnils für die Ligoriana auch diejenige für die Farnesi- 
schen Handschriften ‚erfolgte. Dieselben bestehen in einer Samm- 
lung des Fulvius Ursinus und derjenigen .des Thomas 'Scandianus 
vom J. 1505. Beider Ausbeutung war für das 4. I. L. von 
grolser Wichtigkeit. Sie ward mit Hülfe zweier Schreiber von 
Dr. Hübner ausgeführt, und, da die Excerpte noch nicht in 
meinen Händen sich befinden, so beschränke ich mich darauf, 
hier seinen Bericht über jene Handschriften einzuschalten. 

„1. Ms. Bibl. Borb. V. E. 4. fol. Auf dem Rücken des 
„Einbandes steht der Titel: 

INSCR * ATIQ 
ROM &. innen folgender 
INSCRIPTIONES * ANTIQOVAE 
PER * ‘VRBEM ' ROM * DILIGENTER * COLLECTAE 
ATQVE ' EX ' ALIlS : OvM "ITALIAE ' TVM * HISPANIAE * LOCIS- 
STVDIOSE-' GONQVISITAE 
FIDELISSIMEQVE * VT * IN * IPSIS * MARMORIBUS * LEGEBANTVR 
‚DESCRIPTAE 
ET ' IN ' EVM* QVI* SEQVITVR * ORDINEM 
REDACTAE 
„Dieser Ordo folgt auf der Rückseite des Titels: 


Viarum pag. 1 
pontium 3 
templorum et porticuum 9 
OPERYM portarum et murorum 10 
PVBLICORVM ‚pomerii et riparum Tiberis 12 
aquaeductuum ac thermarum 14 
arcuum triumphalium 17 
diversorum 19 
kalendares 
FASTI 2 consulares 37 
triamphales 


42* 


552 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


pag- 

leeum, decretorum et privilesiorum et 

TABVLAE { Kb i iR: 5 
instrumentorum publicorum 51 
ARAE'’ET’STATVA 
[ deorum dearumque 77 
RVM '’BASES 

imperatorum caesarumque 114 

STATVARYM illustrium virorum magistratuumque rom. 
BASES * TABV et municipalium 138 
LAEQ' illustrium feminarum 174 
sacerdotum 177 

illustrium viror. et magistratuum rom. et 
municipalium 182 
sacerdotum et officiorum sacrorum s6L 
legionariorum 202 
cohortium praetorianarum 204 
cohortium urbanarum 210 
militum | cohortium vigilum 211 
cohortium Thracum 211 
evokatorum 213 
veteranorum 214 

CIPPI * TABVLAE g e . 
equitum singularium 212 
VRNAE * ARAEQ* R 2 
equitum Aquitanorum 211 
SEPVLCR ale Er 

militum classiariorum 213 
officiorum publicorum 215 


artificum, exercitatorum et negotiatorum 219 
officiorum domus Augustae et privatorum 226 


donationes 
locationes 
MORTALIVM r 
emptiones 240 
SIMPLICIVM ß 
pretia 
IN * QVIB Sr 
decreta et condiciones ad- 
\ ditae et similia 


„Ort, Jahreszahl und Verfasser sind nirgends angegeben. Dafs 
„die Hs. farnesisch sei, beweist der allen farnesischen gleich- 
„mälsige Einband mit den Lilien. Für die Autorschaft des Ful- 
„vius Ursinus spricht nur die grolse Ähnlichkeit der Schrift mit 
„einem authentischen Mscr. desselben, welches mir auf der Bibl. 


vom 17. November 1856. 553 


„Borb. gezeigt ward. (vgl. ferner Smet. 65, 11 = Grut. 492, 
„9; die von der alia manus (s. u.) geschriebene Inschr. S. 232 
„Romae in hortis Hilarii Ursini” beweist doch nichts.) Auf 
„S- 1— 273 folgen circa 1000 Inschriften, alle sehr sorgfältig 
„in Majuskeln geschrieben, mit genauer Beobachtung der Zeilen- 
„abtheilung und meist lateinischen Ortsangaben, die jedoch häufig 
„in’s Italienische fallen (z. B. Smet. 19, 11.). Der Rand der 
„Seiten ist mit Linien umzogen, auch für die Inschriften mit 
„eingepressten Linien liniiert, also wie zum Druck vorbereitet. 
„Die Lemmata stehen oben in der linken Ecke und sonst am 
„Rande, wie beiGruter und Smetius; doch stimmen die Seitenzahlen 
„nicht immer ganz mit den oben bei dem Ordo angegebenen. 
„S- 146 steht plötzlich das Lemma INSIGNIVM ' AGITATORVM und 
„die beiden bekannten Inschr. des M. Aurelius Liber und Aure- 
„lius Polyphemus. Bei den Grabschriften mortalium simplicium 
„sind die röm. von den nichtröm. (S. 270) geschieden, wie bei 
„Smet., aber abweichend von diesem auf S. 240—250 die 
„carmina sepulcralia zusammengestellt. Zuweilen sind die In- 
„schriften auf kleinen aufgeklebten Zetteln geschrieben, es scheint 
„dann ein cassirter Text darunter zu stehn; z. B. S. 77. Smet. 
„19, 1. S. 121. stand Smet. 55, 3. ist aber überklebt und steht 
„erst S. 124 wieder. Einige wenige Inschr. schienen von einer 
„alia manus zu sein (z. B. S. 104 [eine Inschr. “a Ligorio’] 106, 
„107, 109 u. a.), doch könnten sie auch von derselben vielleicht 
„aus anderer Zeit und mit anderer Tinte herrühren. Von einer 
„sicher anderen, weit ungeübteren Hand sind die beiden letzten 
„Inschriften. Unter diesen Inschriften, dem allbekannten Stamm 
„der Epigraphik, ist wahrscheinlich keine einzige unbekannte; die 
„einzige sicher falsche ist das decretum contra Caesarem am 
'„Bubico. Doch mufste bald die ungewöhnliche Übereinstimmung 
„mit dem Smetius auffallen, welche so weit geht, dafs die Hs. 
„mit demselben collationirt werden konnte. Sie erstreckt sich 
„auf die Reihenfolge im Ganzen wie im Einzelnen (vgl. z. B. 
„Smet. 67, 6. 7. 8. mit Ms. Neap. S. 70. S. 93.) nur dafs die 
„Inschriften zuweilen unter anderen Rubriken stehen (z. B. die In- 
„schrift der moles Hadriani nicht wie bei Smet. unter den opera 
„publica, sondern unter den chronolog. Kaiserinschriften 'S. 125 ff. 


554 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


„ete.); in seltenen Fällen ist bei Smet. in den addendis stehen- 
„des in die Reihe aufgenommen (z. B. S. 130. Smet. 156, 12. 
„und S. 209. Smet. 166, 2.). Nur von $. 4—20 habe ich mit 
„Grut. collationirt, doch stehen die Inschriften alle im Smet. 
„Die Übereinstimmung erstreckt sich ferner auf die Ortsangaben, 
„welche aber im Ms. Neapl. häufig vollständiger sind als bei Smet. 
„(z. B. für Smet. 19,2); bei mehreren Inschriften von demselben 
„Ort wird die Ortsangabe zuweilen mit einem sic wiederholt; 


nr 


„und endlich stimmt meist auch der Text sehr genau. Weicht 


„das Ms. Neapl. von Smet. ab, so sind die Varianten gewöhn- 
„lich besser (z. B. S. 121. Smet. 53, 4.); auch die Abtheilung 
„und Anordnung der Zeilen, die Gröfsenverhältnisse der Buch- 
„staben und dergleichen Feinheiten sind im Ms. Neapl. besser 
„beobachtet als im gedruckten Smet. (z. B. fehlen bei Smet. 
„65, 11 = Grut: 492, alle Accente). Nur wenige Inschriften 
„des Ms. Neapl: fehlen im Smet., doch enthält Smet. natürlich 
„viel mehr; der Verf. des Ms. Neapl. hatte aber offenbar die Ab- 
„sicht, sein Mser. zu vervollständigen, wie die vielen leergelas- 
„senen Seiten (24-26, 35—37, 48-50, 72—76, 110—113, 
„1383 — 137, 161; 172—173, 180-181, 186187, 200, 238 
„239, 251; 267-269) und die Lücken auf Ss. 23, 32, 77, 
„90, 91; 93-100, 102, 185 und 237 beweisen. — Auch mit 
„Pighius Lesart stimmt das Ms. Neapl. oft überein (z. B. S. 175, 
„Smet. 80, 2; S. 234, 1. Smet. 102, 22). Ferner hat das Ms. 
„Neapl: inehrere von den Inschriften, welche Grut. nur “ex Smet. 
„ms.” anführt, 2. B: S. 249, Grut. 658, 18 (ex Aldo et ms. 
„Smet.), S. 250, Grüt. 680, 8, 5. 252, Grut. 999, 2, vgl. S. 144, 
„Grut. 450, 2, 3. Ganz vom gedruckten Smet. verschieden ist 
„Ss. 222, Smiet: 100, 6; ebenso ist bei Smet. 69, 3. 4. und 70, 
„6 Zeilenabtheilung und Lesart beträchtlich verschieden; und 
„Ss. 143 wird Smet. 66, 11 mit einem Bruch mitten durch den 
„Stein gegeben. Endlich hat das Ms. Neapl. manche neapolit. 
„Inschriften die nicht im Smet. stehen, zı B. S. 170 und 171, und 
„S. 151 d. Inschrif. Smet. 164, 1 ‚ex O. Panvinio”. Aus der 
„Note S. 59, in welcher auch von unserem Autor die lex pa- 
„rieti facıundo angezweifelt wird, geht hervor, dafs er nach Pon- 
„tanus lebte; S. 97 wird d. J. 1548, S. 114 1551 eitirt. In 


vom 17. November 1856. 555 


„einer längeren Note über das $. C. de Thermensibus werden 
„diese nach der Inschrift des Alfius Licinius 1. N. 2612 in das 
„BRegno gesetzt; über das Etruskische äulsert der Verf. S. 109 
„eine sehr bescheidene Ansicht. Offenbar hat sich der Verf. der 
„vielen hss. Noten in dem Exemplar des Smetius auf der Bibl. 
„Borb., in welchem Mommsen den jüngeren Aldus vermuthete, 
„des Ms. Neap. zu diesen Noten bedient, wie die Inschr. Smet. 
„98, 2 (wo er aus Ms. Neapol. des Constantius Namen für den 
„des Constantin einsetzt), 67, 2. 68, 1. 166, 1 (S. 202) und 
„viele andere beweisen. Abweichend vom Ms. Neap. sind seine 
„Lesarten zu Smet. 57, 5. Auch giebt er häufig andere Auf- 
„bewahrungsorte der Insch. in Rom (Paläste, Sammlungen u. dgl., 
„2. B. setzt er Smet. 1, 4. “in hortis Sfort. in Quirinali’) an, wo 
„er also wohl gelebt haben mufs und zwar gegen Ende des 16. 
„Jahrhunderts, da er zu Smet. 57, 5 “in vinia Julü tertii’ be- 
„merkt “nunc Clementis IIX’. Zu Smet, 96, 11 = Ms. Neapl. 
„8. 225 D’M||EvVVoDo etc. bemerkt er “apud me’.” 

„2. Ms. Bibl. Borb. V. E. 5. fol. in altem Holzeinband 
„mit geprelstem Leder überzogen, der Rücken ist neu aus Leder 
„ergänzt und trägt den Titel: Inscription. Als Titel steht in- 
„uen: ANTIQVARIVM. Auf dem folgenden Blatte ist oben klein 
„Antiquariu’ wiederholt, dann folgt das Lemma ROMAE und 
„etwas weiter unten: 

DIVAE *ET ' FLENDAE 
ANTIQVITATIS 
SACRARIVM 
„worauf sogleich die römischen Inschriften mit folgendem Mon- 
„strum: 
In S' Maria transtiberina 
AIM 
AZZB 
PIBCIPFP 
A’ ANO 
HX 
„beginnen. Es sind der Inschriften auf 485 unpaginirten Seiten 
„eirca 2000, mit einer runden deutlichen Hand sehr gleichmäßig 
„geschrieben, aber mit vielen Abkürzungen auch im Text selbst und 


556 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


N 


„nur zum kleineren Theil in Majuskeln (welches ich durch litt. 
„mai. immer dabei bemerkt habe), unter den Minuskeln sind oft 
„einzelne Worte, Siglen und dergl. mit Maiuskeln geschrieben. 
„Auf der letzten Seite steht unten: 
KAL * FEBR * ANNO * A PARTV VIRGINIS 
MD v° Thomas Scandianus psecripsi. 

„Eine Ortsangabe finde ich nirgends. Die Inschriften sind nach 
„Städten geordnet, Rom geht voran und nimmt etwa nur den 
„ten Theil des Ganzen ein; es folgen Regium Lep., Verona und 
„andere lombardische Städte, Sermia (“Sirmio’), Mantua, Ferrara 
„u. s. w. — Mailand und Brescia sind besonders zahlreich ver- 
„treten; Unteritalien verhältnifsmälsig gering. Nach Ancona, Ve- 
„nedig, Pola folgen auch Inschr. aus Ungarn (Buda), Österreich 
„(Wien) und eine spanische; hin und wieder unterbrechen ein- 
„zelne Inschriften die geographische Ordnung. Innerhalb der 
„einzelnen geographischen Abschnitte folgen sich die Inschriften 
„ganz ohne Rücksicht auf Inhalt oder dergl. Den Schluls bilden 
„eine Reihe meist bekannter epigrammata graeca aus verschie- 
„denen Gegenden, bei denen ich nur Ort und Anfang notirt 
„habe, da sie grofse Unkunde des griech. bei dem Schreiber ver- 
„rathen. Viele Inschriften stehen 2 oder 3 Mal unter verschie- 
„denen Orten (z. B. die ferentiner Inschrift des A. Hirtius etec.; 
„die Inschrift des Gallienus-Bogens; die des Tempels des An- 
„tonin und der Faustina steht zweimal “in ecclesia S“ Laurentii’, 
„einmal “prope Tiberim’),, Am Ende der Inschr. von Ostia steht 
- „ VERVM || EXITVS ' HIc ||EST’, welches doch wohl keine Inschrift 
„sein soll. Die (lateinischen) Ortsangaben sind oft unverständ- 
„lich, wie von einem der Lokalität ganz Unkundigen abgeschrie- 
„ben; die Zeilenabtheilung ist zumal bei der cursiven Schrift 
„meist ganz vernachläfsigt, oder willkürlich, die Lesarten selbst 
„scheinen ganz werthlos und zeugen ebenfalls von grolser Nach- 
„lässigkeit des Schreibers (wie z. B. in einer der Inschr. des 
„Mausol. Hadriani “divi pü neronis’ steht für “nepotis’). Dazu 
„wimmelt es endlich von Fälschungen der verschiedensten Arten, 
„viele im Stil der gruterischen supposititia, so die lange 
„Grabinschrift aus Pola, oder noch harmloser, meistens tief 
„unter Ligorio’s Standpunkt (wie z. B. die vielen zweideutigen 


vom 17. November 1856. 557 


„Scherze; die Grabschriften des “rex regum Simandus’, des 
„Mettius Fuffetius, des Sardanapal, der Virginia u. s. w.), andere 
„sind schon geschickter gemacht und unmöglich alle näher zu 
„bezeichnen, — auf den ersten 20 Seiten bemerkte ich keine 
„einzige sichere Inschrift. Alles dieses scheint den Werth der 
„Hs. zu beschränken auf die Ortsangaben, wenn anders diesen 
„immer zu trauen ist, welches die oben angeführten Beispiele 
„sehr zweifelhaft machen, und auf den Beweis des Bekanntseins 
„dieser Inschrift schon in dieser Zeit. — Auf die oben ange- 
„führte Inscriptio folgen von einer, wie mir scheint, anderen 
„Hand 2 span. Inschriften im Stil des Morales, ein testamentum 
„in castris von einem im viriathischen Kriege gefallenen, und 
„eine ähnliche Dedication an den Mars gradivus; endlich, nach 
„einer Reihe freigelassener Blätter, (von der Hand des Scandia- 
„nus, wie es scheint) 1. ein Verzeichnils einer Reihe von In- 
„schriften und Emblemen der Rev. von Kaisermünzen; von Namen 
„sind nur Vitellius, M. Aurel und Solonina genannt; 2. mit der 


„Überschrift Sinegyp. die Beschreibung der Hieroglyphen für circa 
HIEROGLYPHICA 


„40 Begriffe; 3. ein Verzeichnils von dii selecti, unter welchen 
„die sämmtlichen nur aus Varro bekannten figuriren; 4. Auf- 
„schriften und Beschreibung der Rev. einer Reihe von Consular- 
„münzen, ohne alle Ordnung (auch August und der Triumvir 
„Antonius sind ein paarmal darunter).” — 

Der Gefälligkeit desselben Hrn. Hübner verdanke ich die 
Abschrift eines grolsen Theils einer in der Marciana befindlichen 
Copie des Celsus Cittadinus (iserizioni copiate dal libro turchino 
del s. Celso Cittadini ritratte da lui da diversi luoghi antichi 
insieme con le sue annotazioni nel 1604). Da der Eintritt der 
Ferien ihm die Vollendung der Arbeit unmöglich gemacht, so 
liefs ich den übrigen Theil durch gütige Vermittelung des Herrn 
Präfekten der Bibliothek, Ab. Valentinelli, von einem ge- 
schickten Copisten abschreiben. Demselben verdanken wir die 
Abschrift eines kleinen einstmals dem Kardinal Bembus gehörigen 
Codex. 

Wichtiger und für das C. I. L. unstreitig von grofser Be- 
deutung ist es, dafs auch die in der Ambrosiana zu Mailand be- 


958 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


findlichen Handschriften des Accursius, die s. g. schedae Ambro- 
sianae, haben in Angriff genommen werden können. Der Prä- 
fect, Hr. Bernardo Gatti, und die Dottori derselben behielten 
sich vor, die Arbeit unter ihrer eigenen Aufsicht und Verant- 
wortlichkeit machen zu lassen, und haben sich derselben mit an- 
erkennenswerthestem Eifer unterzogen, so dals Hr. Gatti mir 
bereits vor einigen Tagen die Vollendung der Abschrift hat an- 
zeigen können. — Schliefslich habe ich in Siena die nöthigen 
Verbindungen angeknüpft, um die schedae Ptolemaei copiren zu 
lassen, eine andere Hauptquelle Muratori’s, und wird die Arbeit 
gleich nach den Herbstferien begonnen werden. — Dagegen 
schlug mir der Versuch fehl, die von Hrn. Mommsen dem C. 
I. L. abgetretene Copie des Michael Regiensis mit dem in Reggio 
befindlichen Originalcodex vergleichen zu lassen. Durch Hrn. 
Cavedoni’s Vermittelung haite der dortige Dr. Torri die 
Gefälligkeit, jene Arbeit zu übernehmen, fand aber die Varianten 
selbst in der Anordnung der Inschriften so bedeutend, dals er 
eine Abschrift des ganzen Codex für nöthig erklärte. 

Für Italien bleibt noch als wesentlichstes Desiderat die Aus- 
beutung der in der Capitelbibliothek zu Verona befindlichen 
Handschriften des Fra Giocondo und Felice Feliciano. — Hin- 
sichtlich der in Rom vorgenommenen handschriftlichen Arbeiten 
verweise ich auf Hrn. de Rossi’s angehängten Bericht. 

Nachdem in den vorigen Jahren die eigentlichen Museen 
Roms ausgebeutet waren, blieben die überall in Höfen, Gärten, 
Villen und Vignen, oft an feuchten und ungesunden Orten be- 
findlichen Steine zu copiren übrig, für die weder der Winter, 
noch die Sommerhitze die günstige Jahreszeit war. Ich sah mich 
daher genöthigt, die Fortsetzung dieser Arbeiten auf die Früh- 
lingsmonate zu verschieben, und erfreute mich während der er- 
sten Zeit derselben der aufopferndsten Hülfeleistung des mehr- 
genannten Dr. Emil Hübner, der es nicht scheute, Stunden 
lang mit mir in den feuchtkalten Columbarien zuzubringen. Wir 
copirten zuerst die Inschriften von Villa Pamfili, deren Zahl seit 
den 10 Jahren, wo ich die damals vorhandenen abgeschrieben, 
sich mit Einschluls von Fragmenten auf nahe zu 300 gesteigert 
hatte. Die Villa Ludovisı lieferte über 60 Steine, meist von 


vom 17. November 1856. 559 


gröfserer Wichtigkeit als die oben genannten. Auf einer Wan- 
derung längs der Via Appia verglichen oder copirten wir zwi- 
schen Caecilia Metella und Torre de’ selei über 80, viele Frag- 


- mente ungerechnet. — Die aufserordentliche Gefälligkeit Hrn. 


P. E. Visconti’s, Commissärs der Alterthümer, verschaffte mir 
unterdels von der Liberalität Msg. Milesi’s, Ministers des Handels, 
der öffentlichen Arbeiten und der schönen Künste, die Erlaub- 
nils, die zu drei Viertheilen unedirten Steine der Columbarien 
der Vigna Eodini abzuschreiben, wobei mir der Besitzer dersel- 
ben bereitwilligst die Hand bot. Die Ausbeute dieser Arbeit be- 
stand, mit Einschluls einer abschriftlichen Sammlung von etwa 
130 Steinen, die der genannte Hr. Codini, ehe dieselben in die 
Magazine des Lateran abgeliefert waren, in seiner Vigna abge- 
schrieben hatte, in mehr als 1300 Nummern, zu denen noch 117 
Steine des kleinen Columbariums Campana bei Porta Latina 
kommen. 

Leider konnte ich nur für kurze Zeit hierbei noch Dr. 
Hübner’s Hülfe benutzen; dagegen kamen mir für das neueste 
Columbarium die mir von Hrn. P. E. Visconti mitgetheilten 
Abschriften seines Neffen, Hrn. C. L. Visconti, zu Gute, für 
das älteste eine von Mommsen vorgenommene Collation 
der in Jahn’s Specimen edirten Inschriften. — Die Villa Mattei 
lieferte der Zahl nach freilich wenige Steine, machte aber durch 
die schwierige Collation der bekannten Kellermannschen Monu- 
mente der Vigiles um so mehr Mühe; dafs an einer Stelle eine 
ganze Zeile in der Publication weggelassen war, zeugte auf’s 
Neue für die Nothwendigkeit neuer Collation der Originale. — 
Durch die Güte des Hrn. Fürsten Borghese war mir gestattet, 
atıch die reservirten Theile und die Magazine seiner bekannien 
Villa zu durchsuchen, eine Arbeit, die ich kaum vollendet hatte, 
als der Eintritt allzu grolser Hitze das weitere Arbeiten im 


Freien unmöglich machte. Rechne ich indels zu den im Obigen 
_ als von mir abgeschrieben angegebenen Steinen eine Anzahl an- 
_ derer, die ich dem regen Eifer und der Gefälligkeit des Hrn. 


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Carlo Ludovico Visconti verdanke, welcher sie in Häusern 


_ entdeckte, die meiner Ortskenntnils entgangen waren, so kann 


ich die Vermehrung unserer Originalcopien im letzten Jahre im- 


360 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


merhin auf etwa 2000 veranschlagen. Die Sommervilleggiatur 
benutzte ich, um Frascati und seine nähere Umgebung zu durch- 
suchen; ich hatte gewünscht, im Herbste eine epigraphische Reise 
durch die entfernteren Theile des alten Latium, nach den Her- 
niker und Volsker Gebirgen zu unternehmen. Leider zwang 
mich der plötzliche Tod meines Collegen Dr. Braun diesen 
Plan für jetzt aufzugeben, der indels später mit um so vollstän- 
digerer Vorbereitung wieder aufgenommen werden wird. Ebenso 
haben Umstände es Hrn. de Rossi unmöglich gemacht, das 
Abschreiben des Museums und der Magazine des Lateran in der 
beabsichtigten Weise fortzuführen, duch ist auch diese Verzöge- 
rung kaum zu beklagen, da die Arbeit mit Hülfe der excerpirten 
Vaticanischen Scheden Amati’s sich weit rascher beseitigen läfst, 
sobald nur erst der günstige Zeitpunkt dafür eingetreten sein wird. 

Neben dieser auf die Vermehrung des Apparats gerichteten 
Thätigkeit ist nun aber der mühevollen und eben so langwieri- 
gen, wie langweiligen Arbeit zu gedenken, welche die Ordnung 
der aus Deutschland hierher gesandten rohen Inschriftmasse und 
ihre Vereinigung mit den hier copirten Steinen und sonstigen 
Materialien verursachte. Es waren in Breslau zwar die Steine 
der Municipien, so wie die falschen, ausgesondert, alles Römische 
aber völlig ungeordnet. Es kam darauf an, diese ungeheure 
Masse in eine leicht übersichtliche Ordnung zu bringen, so dals 
jeder einzelne Stein sogleich zu finden, die verschiedenen Exem- 
plare mit einander vereinigt seien. 

Bevor ich jedoch an dieses Ordnen des Materials ging, son- 
derte ich aus demselben einzelne Partien mit Rücksicht auf die 
Quellen aus; so die aus dem Manutius, dem Mazocchi, den sche- 
dis Ptolemaei entnommenen Inschriften, um auf diese Weise die 
Collation mit den betreffenden Manuscripten zu erleichtern. So- 
dann bildete ich einige Hauptelassen, der Götter, Kaiser, Hono- 
rarinschriften, der opera publica, endlich der unzähligen Sepul- 
eralinschriften, die unter sich in strenge alphabetische Ordnung 
gebracht wurden, mit alleiniger Ausnahme der chronologisch ge- 
ordneten Kaisersteine. Bei gänzlichem Mangel an Hülfe, die ich 
erst im Frühlinge fand, konnte diese mühselige Arbeit erst jetzt 
für Rom zum Abschlusse gebracht werden; die noch zurückge- 


vom 17. November 1856. 561 


lassenen Municipalinschriften machen indels verhältnifsmälsig ge- 
ringe Mühe, da die einzelnen Städte in Vergleich mit Rom we- 
nige Steine haben. Nach Verabredung mit Hrn. Mommsen 
habe ich nun begonnen, die so geordneten Inschriften durchzu- 
gehen, um alle voraugusteischen auszuheben, und ihn so in den 
Stand zu setzen, Hrn. Ritschl das kritisch gesichtete Material 
für die Priscae Latinitatis Monumenta möglichst bald zu liefern: 
Zugleich bemerke ich, dafs gleichzeitig mit der Ordnung der In- 
schriften auch die schon unter Hrn. Zumpt’s Aufsicht zer- 
schnittenen Blätter von Marini’s Fratelli Arvali von mir control- 
lirt und eingeschoben wurden ; so wie ich auch die Inscriptiones 
antiquae Etruriae Gori’s theils mit den Abdrücken bei Muratori 
collationirte, tbeils, und zwar in der bedeutenden Menge von 
nicht viel weniger als 800, abschreiben liels, und ebenfalls ge- 
hörigen Orts einfügte, welche Arbeit füglich nicht länger aufge- 
schoben werden durfte, da die grofse Masse wenigstens der flo- 
rentinischen Steine Römischen Ursprungs ist. 

Ich erwähne noch, dafs der Rosminianer Pater Vincenzo de 
Vit zu Stresa am Lago maggiore uns für die Arbeiten des C. 
I. L. einen sehr schätzbaren Beitrag geliefert hat, durch Abtre- 
tung eines sehr reichhaltigen Verzeichnisses epigraphischer Bü- 
cher und Abhandlungen, welches, von ihm mit Benutzung der 
Universitätsbibliothek zu Padua und der Privatbibliothek des ver- 
storbenen Furlanetto entworfen, namentlich für Oberitalien von 
grofsem Nutzen werden kann. 

Schliefslich möge noch bemerkt sein, dafs ich nach Kräften 
gesucht habe, das Circular der K. Akademie, die Betheiligung an 
dem Herbeischaffen des inschriftlichen Materials betreffend, in den 
italienischen Provinzen zu verbreiten und von allen Seiten die 
freundlichsten Versicherungen erhalten habe. Wenn nun auch 
dieselben nicht immer directe Betheiligung nach sich ziehen, so 

gewähren sie doch für die späteren Reisen unschätzbare Stütz- 
punkte und Verbindungen, ohne die sich hier zu Lande in den 
kleinen Orten bei kurzem Aufenthalte wenig erreichen läfst. 

Rom, den 20. October 1856. W. Henzen. 


562 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Anlage B. 
Relazione dei lavori fatti dal sottoseritto per il Corpus In- 
scriptionum Latinarum dal Novembre 1855 
all’ Ottobre 1856. 


Come la relazione dello scorso anno, che fu la seconda ch’ 
io ebbi P’onore d’inviare a cotesta illustre Accademia, ebbe prin- 
cipio dal richiamare brevemente a memoria la prima, cosı la pre- 
sente, che in ordine di tempo & la terza, vuol essere tosto ran- 
nodata e congiunta :a quella che la precede; perche sia manifesta 
la non interrotta continuazione de’ lavori epigrafici, ed il metodo 
onde questi procedono innanzi ‚per le vie piü semplici e piü con- 
facenti al condurre limpresa con celeritä ad un tempo e seru- 
polosa esattezza. 

Principalissimo scopo de’ lavori dello scorso anno fu l’esame 
e la trascrizione delle schede epigrafiche spettanti ai marmi in 
gran parte tuttora superstiti in Roma ed in Italia; onde avemmo 
il vantaggio si dell’ apparecchiare copie atte ad «ssere tosto con- 
frontate cogli originali edabbrevianti la lunga fatica del 'trarle diretta- 
mente dai'monumenti medesimi, e si del raccogliere le preziose no- 
tizie topografiche intorno alla provenienza delle infinite iscrizioni 
eollocate ne’ publici e privati musei e palazzi; le quali dalle sole 
schede di chi le vide :nell’ atto del trovamento ci possono ‚essere 
fornite. Quando dettai la relazione precedente era stato pres- 
soche al tutto esaurito Pimmenso apparato mariniano e n’era giä 
stato fatto grande uso nel preparare la raccolta delle iscrizioni 


tuttora esistenti in Roma. Rimaneva perö ad esaminare la volu- 


minosa corrispondenza 'epistolare del Marini con i letterati dell’ | 


etä sua, composta di circa tre mila lettere contenenti molte no- 
tizie epigrafiche; e questo lavoro fu intrapreso e compiuto nel 
corso di circa un mese. Esaurito cosi il tesoro epigrafico mari- 


| 


niano che ci forniva le migliori notizie per le iserizioni rinvenute 
in 'Roma ed in molte parti d’Italia fino all’ anno in circa 1808, 
era d’uopo cercare altri ajuti per le moltissime che dopo quell’ 
anno fino a questi ultimi tempi, de’ quali noi medesimi siamo 
testimonii, tornarono in luce e furono in buona parte deposte ne’ 
magazzini vaticani, ora, come ayvertüi nella relazione precedente, 


vom 17. November 1856. 565 


trasferite tutte, sotto i miei occhi, al Laterano. A quest’ uopo 
opportunissime sono state le preziose schede di Girolamo Amati, 
il quale appunto in sul finire del primo decennio di questo secolo 
comincid a trascrivere quanti marmi scritti escivano di terra in 
Roma e nel suburbano, segnando i luoghi de’ trovamenti, e con- 
tinud per tutta la vita, rannodandosi cosı con serie non interrotta 
le schede di lui alle nostre ed a quelle de’ cultori tuttora viventi 
degli studi epigrafici. I volumetti o cartelli dell’ Amati sono per 
buona ventura serbati nella Vaticana, con parecchie altre carte 
di lui miscellanee e disordinate; e da tutto questo apparato ho 
fatto trascrivere e poscia ho diligentemente confrontato coll’ au- 
tografo un grandissimo numero d’iscrizioni delle quali con siffatto 
ajuto verrö fra poco ricercando e ricomponendo i laceri e per 
tanti traslocamenti mutilati marmi originali, deposti, come dissi, 
se non tutti certo 'moltissimi, ne’ magazzini lateranensi. Al qual 
uopo ho stimato utile far compilare un’ indice di coteste iscri- 
zioni tratte dalle schede dell’ Amati; indice che & giä bene av- 
viato e sara tra 'breve compiuto. 

Condotto cosi al termine lo studio de’ manoscritti serbati in 
Roma degli epigrafisti a noı per etä pit vieini, mi vidi libero a 
riprendere l’esame de’ codici e schede piü antiche. Giä negli 
scorsi anni ho dichiarato 'essere state pressoch® tutte compiute le 
traserizioni che erano a fare ne’ codiei Vaticani per preparare la 
materia al Ch. collega che s’occuperä nelle epigrafi oltramontane ; 
e dissi rimanere solo alquante ‘eopie d’iserizioni a trarre dal co- 
dice manuziano 5237, e'poche altre da codici di minor conto; 
e sono state fatte. ‘Di che toltomi il pensiero dell’ epigrafia ol- 
tramontana e dovendo entrare 'nell’ immenso campo di quella di 
Roma e dell’ Italia serbataci nelle copie manoscritte di ogni etä, 
per procedere con ordine ed economia di tempo ho stimato do- 
vere innanzi tratto far prova della bontä e valore di ciascun co- 
dice e dell’ uso al quale deve essere adoperato. Al qual fine ho 


_ posto mano ad esaminare le iscrizioni del regno Napoletano, 


come quelle nelle quali il testo e le varietä delle principali copie 


divulgate ed anco manoscritte sono state giä criticamente disa- 


minate nell’ egregio volume del mio Ch. collega il Dr. Momm- 


sen. Cosi ponendo a confronto in ciascuna raccolta le iscrizioni 


564 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


napoletane coll’ edizione del Mommsen si ha tosto una prima 
idea della maggiore o minore autorita del codice, almeno per 
quanto risguarda le epigrafi di quella regione, e spesso anco se 
ne riconoscono facilmente le origini e sopratutto le relazioni 
con le altre raccolte stampate e manoscritte. Un siffatto espe- 
rimento & stato sotto la mia direzione quasi al tutto compiuto nei 
molti volumi vaticanı dell’ apparato manuziano, ed in parecchi 
altri solitarii manoscritti e raccolte del secolo XVI; onde ebbi 
una bella messe di emendazioni ed aggiunte alle iscrizioni del 
regno Napoletano: ma debbo astenermi dal darne piü minuto 
conto, perche il tempo che avrei voluto consecrare alla revisione 
di questo lavoro I’ ho poi speso in altra piü vasta, e senza fallo 
piü utile impresa, della quale mi farö tosto a dar contezza all’ 
illustre accademia. 

Adunque ommettendo di noverare parecchie trascrizioni di 
codici e carte epigrafiche di poca mole, le quali hanno anco in 
parte occupato il solo amanuense che ho in questo anno ado- 
perato in siffatti lavori, m’accingo ad accennare brevemente i 
vantaggi che per gli studi dell’ epigrafia e per l’impresa del 
Corpus inscriptionum latinarum parmi aver tratto da una 
esplorazione che io stesso a mie spese ho voluto fare delle bi- 
blioteche di Francia, del Belgio e della Svizzera, come giä nel 
4853 feci di quelle di pressoch® tutta Italia superiore con le 
Romagne e la Toscana. E come allora di tutti i codici da me 
veduti e disaminati dettai una minuta descrizione, di ciascuno 
accennando il merito e ’uso che se ne dovrebbe fare nella com- 
pilazione della nostra grande raccolta, cosi ora di quelli che ho 
ricercato e svolto nelle biblioteche oltramontane vengo scerivendo 
una simile relazione; onde si avrä la notizia piü intera e com- 
piuta, che ho potuto con diligenti ricerche ottenere, di quanto 
di utile e quanto d’inutile al nostro scopo v’ha nelle carte epi- 
grafiche e ne’ codiei d’argomento archeologico che sieno in pres- 
soch® tutta la Francia, il Belgio e la Svizzera. La quale notizia 
non & certamente cosa di poco momento, anco la dove fornisce 
dati ed indicazioni solo negative, potendo cosi noi oggimai chia- 
ramente conoscere quale e quanto lavoro dovremo fare in que’ 
manoseritti, e quali e quanti ajuti averne alla nostra impresa. 


vom 17. November 1856. 565 


Generalmente parmi poter affermare che poco tesoro accolgono 
pe’ nostri studi le biblioteche di quelle regioni: ed i codici e 
volumi di carte d’ogni genere da me a tal uopo rintracciati e 
tolti ad esame ammontano a poco piü di cento, de’ quali molti 
ho riconosciuto al tutto inutili alle nostre ricerche, altri conte- 
nenti parziali raccolte di quasi niun valore e copie d’iscrizioni 
sol della Francia e delle circostanti regioni, le quali il ch. Sig. 
Renier verrä senza fallo minutamente esaminando per la collez- 
zione speciale delle iscrizioni delle Gallie, che gli & stata dal suo 
governo comandata. Ciö nulla ostante fra non pochi codici, che 
dimandano un qualche esame e saranno pure di qualche utilitä, 
aleuni ho notato che non leggermente interessano la storia e la 
eritica de’ nostri studi, e di questi piacemi far singolare memoria. 
E per cominciare dai piüı recenti, di non lieve momento 
sono certamente le schede autografe del celebre Ennio Quirino 
Visconti che ho vedute nella biblioteca imperiale di Parigi rac- 
colte in tre volumi segnati dai nn. 6, 7, 8, tra quelli del fondo 
che prende il nome dal medesimo Visconti; segnatamente il vo- 
lume 7. contenente moltissime iscrizioni trascritte in Roma nell 
atto stesso delle escavazioni, donde la provenienza di non poche 
per la prima volta apprendiamo, ed alquante anco al tutto inedite 
€ nuove veniamo a conoscere. Laonde riunendo queste schede 
non mai fino ad ora disaminate a quelle del Visconti medesimo 
che io vidi gia in Firenze presso il ch. Sig. Gennarelli (e che 
ora credo sieno presso un librajo in Parigi) ed a quelle infine 
ehe il ch. Sig. Comm. P. E. Visconti possiede qui in Roma e 
‚ci ha cortesemente communicato, potremo sperare d’avere quasi 
tutto rinvenuto l’apparato epigrafico raccolto da quel sommo fin- 
ch® dimord in Roma e fu commissario delle romane antichitä. 
Di maggior momento per la storia de’ nostri studi sono le 
carte del Seguier. La grande raccolta che l’Accademia Berlinese 
'avrä la gloria di finalmente dare in luce fu ideata da molti, ma 
da niuno cominciata eccetto il Maffei, il quale, come tutti sanno, 
‚col Seguier pose mano a compilarla. De’ lavori preparati da que’ 
‚due dotti quasi nulla si sapeva tranne il celebre indice delle an- 


tiche iscrizioni scritto tutto dal Seguier e trasferito nel principio 
[1856.] 43 


566 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


di questo secolo da Nimes alla bibl. imperiale di Parigi. Io sono 
stato lietissimo d’ aver veduto che oltre quell’ indice una grande 
parte almeno delle schede epigrafiche del Seguier & tuttora su- 
perstite in quattro grossi volumi serbati nella bibl. publica di 
Nimes, ed in uno della imperiale di Parigi (Suppl&ment aux 
manuscrits grecs No. 382... E bench& questa raccolta sia 
assai meno ricca di cose nuove ed inedite che altri non immagi- 
nerebbe, pure & di molta importanza il poter conoscere quale e 
quanto fu lapparato ch’ebbe in pronto non solo il Seguier, ma | 
anche io stesso Maffei; perocch® e le schede di lui e le leitere 
serittegli dagli amieci e le iscrizioni raccolte nei viaggi che il 
francese con litaliano epigrafista insieme fecero sono in quei vo- 
lumi inserite. Le iscrizioni di questo apparato sono non solo 
di Roma e dell’ Italia, ma anco delle regioni oltramontane e 
perfine delle oltramarine, e neanche fu ignoto al Seguier il celebre 
editto di Stratonicea che trascrisse con molte altre epigrafi greche 
e latine da un manoscritto conservato in Londra presso il Dot- 
tore Riccardo Mead, senza fallo quello medesimo che fu di Wil- 
liam Sherard console Inglese in Smirne tra il 1702 e ıl 1718, 
ed oggi & serbato nella biblioteca Harlejana sotto il numero 7509. 

Non meno grato ed anco pit fecondo di buona messe d’inediti 
documenti m’ & stato il rinvenimento delle schede autografe 
d’altro famoso erudito, grande onore della Francia, voglio dire il 
Sirmondo, le cui carte epigrafiche furono teste comprate dalla 
biblioteca imperiale di Parigi. Sono state distribuite in cinque 
volumetti di vario modulo, e contengono iscrizioni sopratutto di 
Roma, diligentemente trascritte, le quali benche sieno state in 
parte da queste copie medesime communicate al Grutero, pure 
molte ve ne ho notato che il Grutero indi non ebbe; e fra 
queste pareechie che niun altro tranne il Sirmondo vide mai 0 
divulgö; perche il valore di siffatte schede & veramente assai 
grande. E per accennare uno de’ pit pregiosi trovamenti che ivi 
ho fatto ricorderd una nuova tavola marmorea del notissimo elo- 
gio funebre d’una matrona romana morta nell’ eiä d’Augusto, 
del quale due ne esistono nella Villa Albanı ed un lungo fram- 
mento in alcune schede della Barberina (V. Marini Iscer. alb. 
pag. 142); e la novella ed inedita tavola vista e serbataci dal 


vom 17. November 1856. 567 


solo Sirmondo cosi bene combacia col frammento descritto nel 
- «codice barberiniano, che adoprando la debita diligenza del sup- 
plire tutto un lato mancante, potrö dare interissimo un lungo 
tratto ed assai rilevante di quel prezioso monumento della ro- 
mana letteratura. 

Infine acennerö la scoperta della tanto da me cerca e desi- 
derata raccolta di Sebastiano Macci Urbinate, che sapevamo avere 
eirca il principio del secolo XVII adunato le iscrizioni di Roma 
e dell’ Italia. Della quale opera molta era la mia ed anco Val- 
trui opinione per i cenni che ce ne dettero parecchi dotti nel 
secolo XVII e XVII (V. Burmann Praef. ad Grut, pag. 4; e 
Vappendice alla prefazione premessa alle iscrizioni del Gudio 
pag. 52, 77): ma in niuna delle romane od italiche biblioteche 
ne rinvenni mai un esemplare; e nella Chigiana e nell’ Albana, 
che avevano il nome del Macci ed il titolo di siffatta opera di 
lui nei loro indiei, niuna traccia piü appariva dei due volumi 
nei quali essa era contenuta. Ora l’esemplare medesimo che giä 

fu nella Chigiana e poscia nel’ Albana ho io rinvenuto in Pa- 
 rigi nella biblioteca imperiale (Suppl&ment aux manuscrits latins 
No. 728); ed ho riconosciuto essere l’autografo istesso dell’ 
 autore. Non mi arresterd a descrivere questi due pregevoli 
- volumi, perche ne darö fra breve un esatia notizia per le stampe: 
_ solo mi duole dover dichiarare che la molta espettazione d’un’ 
opera tanto lodata & stata quasi al tutto delusa dal trovamento 
p e che le iscrizioni raccolte dal Macci non sono ne moltissime, ne 
tratte in gran parte dai marmi origiuali, ma per lo piü dalle 
 stampe, e quelle anco che lo sono dai monumenti stessi poco 
fedeli e sicure. Ciöo nulla ostante il manoseritto & utilissimo alla 
'storia letteraria de’ nostri studi, e non al tutlo inutile ad ac- 
erescere il patrimonio delle nuove ed inedite antiche iscrizioni. 
li Amerei ragionare anco de’ manoscritti epigrafici della publica 
ihlioteca di Bruxelles, preziosissimi- anch’ essi sopratutto per 
 Tepigrafia romana, Italiana e Spagnuola, perch® contenenti rac- 
tt: compilate in Roma ed in Italia nel cadere del secolo XVI 
con molta nitidezza e cura da Filippo de Winghe (codice 
$ 47, 873.), da Levino Torrenzio (cod. 4347 —50.), ed in Ispagna 
43* 


Pre Een 


Fe. 


Fer 


568 Gesammtsitzung 


dal Pavillon (cod. 3821), con molto numero d’ottimi esem- 
plari assai utili a stabilire la vera lezione d’iscrizioni gia note, ed 
anco a darci unica notizia d’alquante inedite: ma la somma fretta | 
con la quale m’ & stata chiesta la presente relazione non mi con- 
sente il darle uno svolgimento maggiore ed una forma piü ac- 
curata e degna dell’ Accademia cui & destinata e diretta. 

Questi brevi cenni perö varranno a viemeglio persuadere la 
grande importanza che ha nell’ epigrafia Pesame delle copie ma- 
noscritte; esame troppo fino ad ora trascurato e sopratutto non | 
mai ridotto a forma di metodo critico, ne comparato con la 
storia letteraria de’ nostri studi: e spero che la grande raccolta 
delle iscrizioni latine avrä da questa quasi novella fonte incre- 
mento e perfezione maggiore che noi medesimi da principio non 
avremmo osato sperare. 

Giovanni Battista de Rossi. 
Questo dı 22. Ottobre 1856. 


20. Novbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Haupt las über ein althochdeutsches gedicht. 

Der dritte, im jahre 1843 herausgegebene band der zeit- 
schrift für deutsches alterthum enthält von s. 443 bis 445 eine 
althochdeutsche schilderung des himmels und der hölle, ent- 
nommen einer früher den Bamberger dominicanern gehörigen, 
damals zu kauf ausgebotenen handschrift des elften jahrhun- 
derts, deren hauptinhalt die lex Alamannorum bildet. zwei an- 
dere deutsche stücke dieser handschrift, ein glaubensbekenntniss 
und eine beichte, giebt dieselbe zeitschrift im fünften bande 
s. 453 ff. 

An jener schilderung des himmels und der hölle, die merk- 
würdiger ist als man bis jetzt erkannt hat, ist Wilhelm Wacker- 
nagel nicht achtlos vorbeigegangen. in seiner litteraturge- 
schichte s. 83 redet er von den erhaltenen althochdeutschen 
predigten, deren sprache nur selten sich rednerisch erhebt. 
‘um so höheren redeschwung’ fährt er fort ‘bis in alle fülle 


an 


vom 20. November 1856. 569 


sinnlich ausmalender poesie zeigt uns ein anderes denkmal, 
welches doch eigentlich keine predigt, sondern nur ein stück 
aus der katechetischen redehandlung der beichte ist, eine schil- 
derung der freuden des himmels, des grauens der hölle; mit 
überraschung weilt der blick auf solchem bisher ungeahnten 
vermögen unserer alten litteratur. später (s. 84) wird dieses 
denkmal das älteste der poetischen prosa genannt. 

Mich wundert dass Wackernagel, der die dichterische rede- 
fülle dieser schilderung so hoch stellt, allzu hoch, wie mich 
dünkt, doch ihre dichterische form nicht wahrnimmt. seitdem 
ich dieses denkmal kenne habe ich nie bezweifelt dass es ein 
gedicht d. h. in versen abgefasst ist. diese metrische gestalt 
darzulegen habe ich aber lange gezögert: ich misstraute dem 
abdrucke und wollte verbesserungen nicht ohne vergleichung 
der handschrift wagen. die handschrift aber war verschollen. 
Merkel in der vorrede seiner ausgabe der lex Alamannorum 
s. 5 meldet sie sei von einem Berliner buchhändler nach Eng- 
land verkauft worden. 

Zum glück ist dies irrig. sie ist für die Münchener bi- 
bliothek erworben und führt dort unter den lateinischen hand- 
schriften die nummer 4460. ich habe sie vor einiger zeit mit 
dem abdrucke verglichen. 

Zunächst gebe ich den text, verbessert so weit es nöthig 
und erlaubt schien. 


Diu himilisge gotes burg bl. 111 

diu ne bedarf des sunnen 

noh des mänskimen 

dä ze liehtenne. 112? 
5 in ire ist der gotes skimo 


| 1— 12. apokal. 21, 23 et civitas non eget sole neque luna ut lu- 

ceant in ea: nam claritas dei illuminavit eam et lucerna eius est agnus. 

4. liehten für liuhten kommt bei Notker häufig vor. im Iwein 672 hat es 

Lachmann nach Bbd und dem lihten in ADa gesetzt, und das mhd. wörter- 
1,1030 hätte sich die frage ob es liuhten hei/sen müsse ersparen kön- 

nen. 5. durch punkte habe ich nach Otfrieds weise vocale bezeichnet 

die in der aussprache verschwinden oder mit andern verschmelzen. 


570 Gesammtsitzung 


der sie al derliuhtet 
in gemeinemo nuzze. 
daz ist in eben allen - | 
al daz sie wellen. 
10 dä ist daz gotes zorftel, 20.00 
der unendige tac, | 
der burge tiure liehtfaz. | 
Diu burg ist gestiftet 
mit aller tiuride meist 
15 ediler geistgimmön, 
der himelmeregriezzön. 
der burge fundamenta, 
die portae joh die müre, 
daz sint die tiuren steina 
20 der gotes fursthelido 
und daz eingehellist 
aller heiligöne here, 
die der tugentlicho 
in heiligemo lebenne 
25 demo burgkuninge 
ze vurston gezämen. 
Siu stät in quäderwerke: 
daz ist ir &wig stift, 
unde sint ouch där ane 
30 errekket alle gotes friunt 


6. der sie aldluhtet h (die handschrift). der- für er- steht in der sanct- 

gallischen freilich erst im zwölften jahrhunderte geschriebenen handschrift 
von Notkers psalmen 67, 28 (in Hattemers denkmahlen 2, 2312). ich weifs 
weder einen grund gegen höheres alter dieser form noch eine andere besse- 
rung der verderbten zeile. 13. die grofsen anfangsbuchstaben nach 
h. vergl. apokal. 21, 18 ff. 16. der himel meregriezzon h. die schwa 
che form wie Helj. 52, 7 und öfter im mhd. 18. porte h. 
20. fursthelid ist zusammengesetzt wie furstpoten und furstehundera, dure 
die Notker ps. 70, 19. 34, 10 (Hattemer 247“. 117?) archangeli übersetz 
und mag wie diese erfunden sein. 21. undaz ingehellist A. vergl 
65 f. 25. so h, nicht burgkunige. 27. deutung von apokalfl 
21,16 et civitas in quadro posila est. 30. gotes trüt friünt h. go 
tes trütfriunden sieht 111: hier aber verlangt der vers tilgung von trüt ode 
von alle. 


vom 20. November 1856. 571 


die der hänt eryullet 
din vier &vangelia 
in stäter tugent regula, 
in gelichimo einmuote. 
35 Siu ist in iro sträzzon 
daz röt lohezönte golt. 
daz meinet daz dä vurstesöt 
diu tiure minna uber al, 
der goteliche wistuom 
40 mit allemo wolewillen. 
Siu ist in goldes scöni 
samo daz durhliehte glas 
alliu durhscouwig 
job durhlüter. 412b 
45 Dä wizzen al ein anderen 
unvertougenlicho 
die himilisgen erben 
die die burg büent 
in durhskönen tugindan, 
50 än aller missetäte pflega. 
Dä richisöt diu minna 
mit aller miltfrowida 
und aller tugidöne zala 
mit stäten vrasmunde. 
55 dä verselet diu wärheit 
daz alte gedinge. 
dä nimet diu gelouba 


32. die A. 33. über die quantität von regula s. Lachmann über 

ahd. betonung s. 28 und zum Iwein 299. 35 —44. apokal. 21, 21 

et platea civitatis aurum mundum tamquam vitrum perlucidum. 

37. uurstesot, nicht uurstisot, h. 40. wole wille A. 43. 
durhscöuvig A. 44, durh luther A. 49. plurale dative auf 
an stellt Graff 2, 961 zusammen. 50. pfleg A. 53. tugi- 
_ döne ist wie von einem nominativus tugida. 54. vielleicht ist stäter 


zu setzen. der ahd. glosse frastmunti secrefum in Docens misc. 1, 211 oder 
bei Graff 2, 813 ist das geschlecht nicht anzusehen. das mhd. vrastmunt 
ist femininum: s. Jac. Grimm gesch. der d. spr. s. 129. 57. glouba A. 


se 
572 Gesammtsitzung 


ende aller ir geheizze. 
Däne habet resti 

60 der engilo vrösank, 
daz suozze gotes wunnelob, 
diu geistliche mendi, 
der wundertiuro bimentstank 
aller gotes wolöno. 

65 dä ist daz zieriste here 
allez in ein hel. 
daz dienest @went sie 
mit senftemo vlizze. 

Dä ist des frides stäti, 

70 aller gnädöne bü. 

Dä ist offen vernunst 
allero dingo. 

al gotes tougen 

daz ist in allez offen. 

75 sie kunnen alle liste 
in selber wärheite; 
derne habent sie ägez. 
der bü in ne wenket. 
in ist ein alterbe, 

80 eines riches ebenteil. 

Da ist alles guotes ubergenuht 
mit sichermo habenne, 

der durnohteste tröst, 

diu meiste sigera. 

85 dä nist forehtöne nieht, 
nichein missehebeda. 1133 
dä ist einmuoti, 
aller mamminde meist, 


59. Dane, nicht Danne, h. 61. goteswnne lob A. 62. 
meindi A. 63. wndertiüro, nicht wndertiüre, h. 64. gotes- 
wolon A. 71. vernunst, nicht vernuntt, A. 72. aller A. 

78. der buge innewenket A. 79. in ist ein alter h. im Auland 6, 30 
nu scul wir heim gähen an unser alterben, 121, 22 si wolten gerne wider 
gewinnen daz unser alterbe, beide mal vom himmel. 


vom 20. November 1856. 573 


der stilliste lust, 

90 diu sichere räwa. 
da ist der gotes friundo 
sundergibiuwe. 
dä nist sundöne stat, 
sorgöno wizzede. 

95 dä nist ungesundes nieht. 
heile meist ist där. 
der untriuwen äkust 
der ne taret där nieht. 
Dä ist diu veste wineskaft, 

100 aller sälidöno meist, 
diu miltiste drütscaft, 
die kuninglichen £ra, 
daz unerrahliche lön, 
daz gotes ebenerbe, 

105 sin wunniglich mitewist, 
diu lussamiste anesiht, 
der siner minnöne 
gebe tiuriste. 

Daz ist daz hereste guot 

110 daz der vore gegarawet ist 
gotes trütfriunden 
mit imo ze niezzenne 
iemer in &wa. 

Sö ist taz himelriche 

115 einis teilis getän. 

In dero hello 
dä ist döt äne töt, 
karöt unde jämer, 


92. sunder gibiüwe A. 94. sorgono, nicht forgono, h. 
96. ist der h. 98. der fehlt h. der nieht A. 99. wene- 
skaft A. 101. die buchstaben diü mil nicht ganz sicher h. 
102. kuninglichen, richt kunninglichen, Ah. 107. under siner A. 
108. tiüriste, nicht tiüristo, Ah. 112. ce A. 117. dot ane tode 
h. meine änderung meint ewigen tod. einen gegensatz bietet der vers den 
Otfried (1, 18, 9) und das muspilli (16. 17) gemeinschaftlich haben, thär ist 
lib äna töd, licht äna finstri. 


130 


140 


145 


150 


Gesammtsitzung 


al unfrouwida, 

mandunge bresto, 

beches gerouche, 

der sterkiste svevelstank, 
verwäzzenlich genibile, 
des tödes scategruoba, 
alles truobisales waga, 
der verswelehente loug, 
die wallenten stredema 
viuriner dunste, 

egilich vinster, 4135 
diu iemer &wente brunst, 
diu vreissamen dötbant, 
diu betwungeniste phragina, 
claga, wuoft äne tröst, 
we äne wolun, 

wizze äne resti, 

aller wenigheite nöt, 

diu hertiste rächa, 

der handegöste ursuoch, 
daz serige elelentduom, 
aller bittere meist, 

käla äne vriste, 
ungenädöne vliz, 

uppigiu riuwa, 

karelich gedözze, 
weinlicher ahhizöt, 

alles unlustes 

zalsam gesturme, 
forhtöne biba, 

zano klaffunga, 

aller weskreio meist, 

diu iemer werente angest, 


419. so, nicht uuhrouwida, A. 127. so, nicht stredema, h. 
129. egilich, nicht egilih, A. 442. ungnadone A. 143. up- 


pige h. 
451. Diu Ah. 


445. weinleiches 4. 149. zanoklalfunga h. 


vom 20. November 1856. 575 


aller skandigelich, 
daz scamilicheste offen 
aller tougenheite, 
155 leides unende 
und aller w£&wigelich, 
marter unerrahlich 
mit allem unheile, 
diu wewigliche haranskara, 
160 verdamnunga swereden 
äne alle erbarmida, 
iteniuwiu ser 
äne guot gedinge, 
unverwandellich ubel, 
165 alles guotes äteil, 
diu grimmigiste heriscaft, 
diu viantliche sigenunft, 
griulich gesemine, 
der vülida unsübrigheit 
170 mit allem unscöne, 
diu tiuvalliche anesiht, 
aller egisigilich, 
alles bales unmez, 
diu leitliche heima, 114» 
175 der helle karkäre, 
daz richiste trisehüs 
alles unwunnes, 
der hizze abgrunde, 
unbigebenlich flor, 
180 der tiuvalo tobeheit, 
daz ursinnigliche zorn 


159. uueuuigliche, richt uueuuigeliche, A. 161. an aller bar- 
mida A. 162. itniugiu ser A. 168. grinelich Ah. 
170. ununscone h; aber mit dem ersten un schlie/st die zeile. mit aller un- 
scöni zu vermuten widerräth alles unwunnes z. 177. man wird die neutra un- 
scöni und unwunni anerkennen müssen. 172. egisilich A. 
173. bales, nicht balez, h. 179. umbigebillich flör A. unbigebenlich, 
wenn ich richtig so bessere, bedeutet nicht beiseite zu bringen, unablässig. 


576 Gesammtsitzung 


und aller ubelwillo, 
der ist dä verläzen 
in aller ahtunga vliz 
185 und in alla tarahafti 
dero hella erbon, 
äne zites ende, 
iemer in &wa. 
Sö ist taz helleriche 
190 einis teilis getän. 


Dass dies verse sind, in dem gewöhnlichen mafse von vier 
takten, wird weiter keines beweises bedürfen, wenn auch nicht 
alle genau nach otfriedischen regeln gebaut sind. so würde 
z. b. Otfried verse wie den folgenden (58) sich nicht gestattet 
haben, ende äller ir geheize. nicht gegen Otfrieds be- 
tonung sind vürstesöt 37 und richisöt 51; denn ebenso 
ist ohne zweifel bei ihm 1, 5, 29 zu betonen er richisöt 
githiutö. ebenso wie trüobisäles 125 betont Otfried, wie 
es scheint, rüamisäl 4, 6, 35, wertisäl 4, 18, 23. 4, 28, 11. 
5, 12,34. 39, werresäl 4, 18, 25, d. h. nach art der zu- 
sammengesetzten wörter. händegöste 138, grimmigiste 
166, betwüngeniste 133 sind betonungen die sich nicht 
nur in mittelhochdeutschen versen nachweisen lassen, sondern 
auch bei Otfried an Hartmut 90 wird auszusprechen sein unz 
themo fiarzegüsten järe. auch die unregelmälsigen be- 
tonungen äller heiligöne here 22 und äller sälidöno 
meist 100 fechte ich nicht an, obwohl durch heiligön und 
säldöne oder sälidön die strenge regel hergestellt wer- 
den kann. 

Um des versmafses willen habe ich nur weniges geändert. 
trüt 30 zu streichen schien unbedenklich; ebenso 98 der 
hinzuzufügen und 186 durch dero für der den vers zu glät- 
ten. egisigilich 172 für egisilich war durch den vers 
geboten, so wie die nur orthographische änderung wolöno 
für wolon 64. allero für aller 72. 

Einen unvers habe ich stehen lassen, 134 w& äne wo- 
lun, weil ich ihn mit sicherheit nicht zu bessern wuste, 


186. der h. 190. getan; h, der rest des blattes leer. 


vom 2. November 1856. 577 


durch w&wo für w& entstände noch kein guter vers. viel- 
leicht ist zu schreiben äne wolun w&wo. 

Für einen richtigen vers halte ich 148 forhtöne biba, 
obwohl umstellung die echte form biba in ihr recht setzen 
würde, biba forhtöne. ich glaube aber dass der circumllex, 
den die handschrift in biba wirklich hat, die meinung und 
aussprache des dichters trifft. freilich keine richtige, aber eine 
wenigstens im zwölften jahrhundert nachweisliche. wie un- 
vollkommen auch die reimkunst des pfaffen Konrad im Ru- 
landsliede ist, davon dass er eine lange silbe mit nachfolgender 
kurzer und zwei kurze silben durch den reim gebunden giebt 
es kein sicheres beispiel. nur aus versehen sind in der ein- 
leitung zum grafen Rudolf s. 10 die reime mägen: sagen: 
zagen (204, 9 f. 206, 23f. und komen: töde (233, 32 £.) 
angenommen worden; es reimen ganz richtig magen (vis) 
und das praeteritum kömen. 228,5 und 243,10 ist nicht fuz- 
scamel, wie geschrieben steht, sondern füozscämel® aufün- 
dertänen und gnad£ gereimt. biscofe: rossen 217, 12 ist 
untadellich: denn die mhd. form mit v im inlaute, bischove, die 
man wohl mit recht einer einwirkung des italiänischen vescovo 
zuschreibt, zeigt sich noch nicht im althochdeutschen, wo mei- 
nes wissens immer f oder ff im inlaute dieses wortes steht, 
und dieser älteren weise ist Konrad gefolgt. allerdings reimt 
er lichenamen, lichename, lichamen auf zewäre 214, 
18, auf gnäden 243, 30. 265, 3, auf nämen 260, 14: aber 
darin erblicke ich nicht schlechte reimbindungen, sondern un- 
organische in ungenauer aussprache vorhandene dehnung, li- 
chenämen. so bindet der Stricker im Karl s. 40 lichnä- 
men mit kämen, 46° mit genämen, 118° mit vernämen, 
und bei ihm wäre bindung eines trochaeus mit einem pyrrhi- 
chius kaum denkbar. wenn also Konrad neben den richtigen 
reimen irbibete: erspilt&n 10, 14 und erbibeten:l&beten 
233, 12 einmal, 240, 22, auf sä näch der wile die reimende 
zeile chom ain michel ertpibe folgen lässt, so wird un- 
organisch gedehntes ertpibe anzunehmen sein. das gedicht 
vom Antichrist (im zweiten bande von Hoffmanns fundgruben) 
hat einmal einen unglaublichen reim, wie sie liegen dri 
dage | und ein halben obe der erde 121, 1, wo eine 


578 . Gesammitsitzung 


entstellung zu vermuten ist, sonst aber bindet es in fast zwölf- 
hundert zeilen keinen pyrrhichius mit einem trochaeus. denn 
für das 123, 16 auf unbegraben reimende rappin ist ra- 
ben zu setzen. aber 120, 29. 128, 21. 39 reimt beliben: 
ertbibe, 131, 12 biben: beliben, und die nur in diesem 
worte sich wiederholende erscheinung führt zu der annahme 
der dehnung. Werinhers Maria enthält in der Berliner hand- 
schrift keinen in der quantität fehlerbaften klingenden reim. 
also wird 196, 40 (Hoffm.) auf vertribet gedehntes bibet 
reimen. und ebenso im Servatius 1999 biben auf beliben. 
denn auch dieses gedicht nimmt es in viertehalbtausend zeilen 
streng mit der quantität zweisilbiger reime, richtige stumpfe 
reime sind gote: vestenote 201, gote: erziugote 837, 
gesamnote: bote 869, zeichnote: bote 1597, orde- 
note: bote 1787, gote: bezzerote 2053, geboten: kes- 
tigoten 2211: denn der mittelhochdeutschen verwandlung 
des verbalen öt in et muss kürzung in ot vorausgegangen 
sein. 

In den hundert und neunzig versen der schildernng des 
himmels und der bölle ist nur zweimal ein reim vernehm- 
bar, 8 f. daz ist in eben ällen äl däz sie wellen, 
32 f. diu vier &vange&liä in stäter tügent regula. 
sonst enthält das gedicht weder reim noch allitteration, und 
damit steht es einsam in der altdeutschen dichtung. so we- 
nig es aber etwas anderes ist als nachlässigkeit oder unvoll- 
kommene kunst wenn Otfried zuweilen seine verse ohne reim 
lässt, ebenso wenig darf man in den der allitteration und des 
reimes entbehrenden versen unseres gedichtes ein beispiel ver- 
breiteter und alter oder gar ursprünglicher form der deutschen 
dichtung erblicken. August Wilhelm Schlegel hat einmal (in 
den werken 7, 266) folgende vermutung ausgesprochen, “die 
formen der gothischen poesie sind uns unbekannt. indessen 
liegt es am tage dass die sprache sich in rhythmische silben- 
malse, ganz nach den gesetzen der griechischen metrik, fügen 
konnte. dass es wirklich geschehen, wird man wenigstens 
wahrscheinlich finden, wenn man folgendes erwägt. gewöhn- 
lich tritt, wo der sinn für die quantität verloren geht, so- 
gleich der reim hervor. in der geschichte der deutschen poe- 


j 


1 


vom 20. November 1856. 579 


sie finden wir eine mittelstule, die allitteration. diese ist die 
bindende form in den ältesten altsächsischen gedichten die wir 
baben. in der angelsächsischen poesie hat sie bis zum unter- 
gange der sprache bestanden. was gieng nun der erfindung 
der allitteration voraus? ich denke, der rhythmus. hätte Schle- 
gel mit der entwickelung der deutschen philologie schritt ge- 
halten, so konnte er im jahre 1827 nicht mehr solche behaup- 
tungen und vermutungen aufstellen. weder ist der reim in die 
deutsche poesie gekommen als der sinn für die quantität ver- 
loren gieng noch ist die allitteration eine erfindung für den 
bedarf der poesie. sie ist hervorgegangen aus dem streben 
das begrifflich gleichstehende auch durch den klang gleichzu- 
stellen, und so durchdringt sie nicht nur in formeln die sprache, 
sondern wo uns zuerst Deutsche begegnen, da finden wir auch 
in geschichtlichen und mythischen namen die durch geschlechts- 
verwandtschaft zusammengehören allitterierenden anlaut. so hat 
sie sich auch unzweifelhaft in uralter zeit der poesie bemäch- 
tigt und in ihr weiteren umfang gewonnen, und wenn wir 
nicht in bodenloses vermuten uns verirren wollen, so müssen 
wir die allitteration als urform deutscher dichtung, bis der 
reim sie ablöste, nicht als eine mittelstufe ansehen. unser 
reimloses gedicht aber, aus einer zeit die in Deutschland keine 
allitterierende poesie mehr kannte, ist ein einzelner versuch 
eines geistlichen der den reim für entbehrlich hielt und sich 
ihm vielleicht nicht gewachsen fühlte. so lässt es sich ver- 
gleichen mit dem altenglischen Ormulum, dessen geistlicher 
verfasser die allitteration aufgab und den reim nicht versuchte, 
dagegen in seinem langen werke iambische katalektische tetra- 
meler, wie er sie aus geistlicher lateinischer poesie kannte, 
eintönig silben zählend nachbildete. dass unser althochdeut- 
sches gedicht von einem geistlichen manne herrührt ist nicht 
nur an sich wahrscheinlich, sondern sicher durch die von mir 
nachgewiesene anlehnung an stellen der apokalypsis. 
Mechanische abtheilung seiner hundert und neunzig verse 
in fünf und neunzig langzeilen wäre von übel. erst allittera- 
tion oder reim bindet vierlaktige verse zu achttaktigen lang- 
zeilen. in unserem gedichte lassen sich zwar manche vers- 


580 Gesammtsitzung 


reihen paarweise ordnen, aber gleich die zeilen des ersten ab- 
satzes (1—12) sträuben sich dagegen. man müsste denn hier 
und an anderen stellen lücken annehmen, worauf nichts führt. 


An eingegangenen Schrifien wurden vorgelegt: 


Meteorologische Waarnemingen in Nederland, uitgegeven door het Kon. 
Meteorol. Instituut. 1855. Utrecht 1855. A4. 
Abhandlungen der K. K. Geologischen Reichsanstalt. 3. Band. Wien 


1856. A4. 
Jahrbuch der K. K. Geologischen Reichsanstalt. 7. Jahrgang, Heft 1. 
Wien 1856. 8. 


Journal für Mathematik. 53. Band, Heft 1. Berlin 1856. 4. 

Berichte über die Verhandlungen der Gesellschaft für Beförderung der 
Naturwissenschaften zu Freiburg i. Br. no. 14. 15. Freiburg 
1856. 8. 

Cheyv. de Paravey, Dieu chez les Etrusques et les Chinois. (Paris 
1856.) 8. 

L’Institut. I. 24me annee, no, 1191. 

II. 21me annee, no. 250. Paris 1856. 4. 

L. Polain, Quand est ne Charlemagne ? Bruxelles 1856. 8. 

Ou est ne Charlemagne? Bruxelles 1856. 8. Im Auf- 
trage des Hrn. Verf. überreicht von Hrn. Pertz. 


27. Novbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Beyrich las über Crinoiden des Muschel- 
kalks. 1. Abtheilung, über Enerinus liliformis. 


Hr. H. Rose trug folgende Abhandlung des Hrn. Prof. 
Schönbein in Basel, Correspondent der Akademie, über 
eine eigenthümliche Erzeugungsweise der sal- 
petrichten Säure vor. 

Bei gewöhnlicher Temperatur verhält sich bekanntlich der 
Sauerstoff, so wie er in der atmosphärischen Luft enthalten 


u Tr 


vom 27. November 1856. 581 


ist oder in den Laboratorien dargestellt wird, völlig gleich- 
gültig sowohl gegen das gasförmige als wässrige Ammoniak, 
während nach des Verfassers früheren Versuchen der gleiche Sauer- 
stoff, nachdem er den Einfluls der Electricität oder des Phos- 
phors erfahren hat d. h. ozonisirt worden ist, die beiden Be- 
standtheile des Ammoniaks: den Wasserstoff zu Wasser, den 
Stickstoff zu Salpetersäure bei gewöhnlicher Temperatur oxi- 
dirt, woher es kommt, dafs ozonisirter Sauerstoff mit Ammo- 
niak salpetersaures Ammoniak erzeugt. 

Die Thatsache, dals der unter dem Berührungseinflusse des 
Platins stehende Sauerstoff schon in der Kälte eine Reihe von 
Oxidationswirkungen hervorbringt, welche unter sonst gleichen 
Umständen derselbe für sich allein nicht zu |verursachen im 
Stande ist, liels mich vermuthen, dafs unter Mitwirkung dieses 
Metalles auch der gewöhnliche Sauerstoff bei niederer Tem- 
peratur die Oxidation der Elemente das Amoniak bewerkstelli- 
gen könnte und nachstehende Angaben werden zeigen, dals 
dem so ist. 

Bringt man mit wässrigem Ammoniak benetzten Platin- 
mohr in Sauerstoffgas oder atmosphärische Luft und zieht man, 
nachdem diese Substanzen einige Zeit miteinander in Berüh- 
rung gestanden, besagtes Metallpulver mit destillirtem Wasser 
aus, so findet sich in dieser Flüssigkeit Ammoniaknitrit vor, 
wie schon aus der einfachen Thatsache erhellt, dals besagter 
wässriger Auszug bei Zusatz verdünnter Schwefelsäure, Phos- 
phorsäure u. s. w. den jodkaliumhaltigen Stärkekleister augen- 
blicklich auf das Tiefste bläut. Hat der mit wässrigem Am- 
moniak benetzte Platinmohr auch nur eine Minute lang mit 
Sauerstoffgas oder atmosphärischer Luft in Berührung gestan- 
den, so ist während dieser kurzen Zeit doch schon so viel sal- 
petrichtsaures Ammoniak erzeugt worden, dafs das Vorhanden- 
sein desselben durch das angegebene Mittel sich augenfälligst 
darthun läfst. Je länger die Berührung gedauert, desto grölser 
natürlich auch die Menge des gebildeten Nitrites. 

Im Vorbeigehen bemerkt der Verf., dals nach seinen Er- 
fahrungen für das Nitrit es kein empfindlicheres Reagens giebt 
als den verdünnten Stärkekleister mit einigem Jodkalium ver- 
selzt, welches Salz jedoch aus leicht einsehbarem Grunde durch- 

[1856.] 4 


582 Gesammtsitzung 

aus frei von Jodat sein muls. Enthält die zu prüfende Flüs- 
sigkeit auch nur Spuren von Ammoniak-, Natron-, Kalinitrit 
u. s. w., so wird dieselbe bei Zusatz von verdünnter Schwe- 
felsäure das jodkaliumhaltige Stärkewasser augenblicklich auf 
das Stärkste bläuen, welche Reaction die Nitrate der gleichen 
Basen nicht hervorbringen. Der Verf. bemerkt noch, dals die 
schwach angesäuerten Lösungen des Ammoniaknitritas u. s. w. 
auch die frische Guajktinetur sofort bläuen, welche Wirkung 
die gleich beumständeten Nitratlösungen nicht verursachen. 

Dichtes Platin wirkt bei gewöhnlicher Temperatur nicht 
merklich auf Sauerstoff und Ammoniak ein, unter Mithülfe der 
Wärme erhält man jedoch mittelst Platindrahtes augenblicklich 
merkliche Mengen Ammoniaknitrites und zwar am bequemsten 
in folgender Weise: 

Führt man das eine zur Spirale aufgewundene und erhitzte 
Ende eines etwas dicken Platindrahtes in eine lufthaltige Fla- 
sche ein, welche vorher mit starkem Salmiakgeist ausgespült 
worden und hält man über die Spirale einen mit angesäuertem 
jodkaliumhaltigen Stärkekleister behafteten Papierstreifen, so 
wird sich letzterer augenblicklich tief bläuen in Folge des 
unter diesen Umständen sich bildenden Ammoniaknitrites. In 
dem Gefälse sieht man während der Anwesenheit des erhitzten 
Platindrahtes bald weilsliche Nebel erscheinen, welche von sal- 
petrichtsaurem Ammoniak herrühren; denn läfst man diese 
Dämpfe durch etwas destillirtes Wasser aufnehmen, so bläut 
dieses den angesäuerten jodkaliumhaltigen Kleister sofort auf 
das Tiefste, selbst wenn man die erhitzte Spirale auch nur we- 
nige Sekunden in der Flasche hat verweilen lassen. Durch 
wiederholtes Einführen der erhitzten Spirale in ein etwas 
grolses Gefäls, dessen Boden mit starkem wässrigen Ammoniak 
bedeckt ist und häufiges Schütteln, läfst sich in dieser Flüssig- 
keit bald so viel Nitrit anhäufen, dafs man damit alle die übri- 
gen diesem Salze zukommenden Reactionen hervorbringen kann. 

Was die Temperatur betrifft, bei welcher der Platindraht 
die Nitritbildung einleitet, so liegt sie noch unter der Roth- 
gluth, wie daraus erhellt, dafs eine erhitzte Spirale, welche 
selbst in völliger Dunkelheit kein Glühen mehr zeigt, immer noch 
die Nitritbildung zu veranlassen im Stande ist. Der Verf. will 


. 


' 


vom 27. November 1856. 583 


hier nicht unerwähnt lassen, dafs auch Eisen- und Kupferdrähte 
die besagte Wirkung hervorbringen, zu welchem Behufe sie 
jedoch bis zum starken Glühen erhitzt sein müssen. 

Merkwürdiger Weise vermag ähnlich dem Platin auch das 
Kupfer den Sauerstoff zu bestimmen, schon bei gewöhnlicher 
Temperatur mit Ammoniak Nitrit zu erzeugen, worüber nach- 
stehende Angaben keinen Zweifel übrig lassen. 

Befeuchtet man mit starker Ammoniaklösung in einer sauer- 
stoff- oder lufthaltigen Flasche fünfzig Gramme fein zertheilten 
Kupfers, so wie man dasselbe bei der Reduction des Kupfer- 
oxides mittelst Wasserstoffgases erhält, so erwärmt sich bald 
in merklichem Grade das Metallpulver und sieht man in dem 
bedeckten oder verschlossenen Gefäls weilsliche Nebel erschei- 
nen, welche nichts anderes als Ammoniaknitrit sind, wie man 
sich hievon leicht durch folgende Mittel überzeugen kann: 

Führt man in das mit solchen Nebeln erfüllte Gefäls einen 
mit angesauertem Jodkaliumkleister behafteten Papierstreifen ein, 
so färbt sich dieser rasch blau; hält man nur kurze Zeit das 
gleiche Gefäls bedeckt mit einer feuchten Glasplatte (oder 
einem gleichbeschaffenen Uhrglase), so wird deren nach Innen 
gerichtete Seite darauf gegossenes, mit verdünnter Schwefel- 
säure versetztes jodkaliumhaltige Stärkewasser tief bläuen, oder 
hängt man mit Wasser benetzte Streifen von Filtrirpapier in 
dem Reaclionsgefäls auf, auch nachdem die vorhin erwähnten 
Nebel verschwunden sind und das Kupferpulver abgekühlt ist, 
so beladen sich diese Streifen bald mit so viel Ammoniaknitrit, 
dals ihr wässriger Auszug den angesäuerten jodkaliumhaltigen 
Stärkekleister auf das Tiefste bläut. 

Wird in einer mit Sauerstoffgas gefüllten Flasche fein 
zertheiltes Kupfer mit wässrigem Ammoniak übergossen und 
das Gefäls luftdicht verschlossen, so findet beim Schütteln eine 
Gasverschlucknng statt, wie man daraus ersieht, dafs beim Öff- 
nen der Flasche unter Wasser in dieselbe die Flüssigkeit ein- 
strömt und damit das Gefäls theilweise oder ganz gefüllt wird, 
je nachdem der Inhalt desselben kürzere oder längere Zeit ge- 
schüttelt worden und die Menge des angewendeten Kupfer- 


pulvers kleiner oder grölser gewesen. 
Zplk* 


584 Gesammtsitzung 


Wendet man anstatt des reinen Sauerstoffgases atmosphä- 
rische Luft an, so wird der Sauerstoff derselben unter den er- 
wähnten Umständen natürlich ebenfalls verschluckt und zwar 
so rasch, dafs ein nur mälsig grolses Luftvolumen im Laufe 
weniger Minuten seines Sauerstoffgehaltes vollständig beraubt 
werden kann. Bringt man z. B. in eine graduirte mit atmosphä- 
rischer Luft gefüllte Röhre von 42 Cubikzoll Inhalt fünf Gramme 
pulverförmigen Kupfers und so viel (etwas schwache) Ammoniak- 
lösung, dals noch 35 Cubikzoll Luft in der Röhre zurückbleiben, 
so braucht man den Inhalt des Juftdicht verschlossenen Ge- 
fälses nur wenige Minuten lang lebhaft zu schütteln, damit 
beim Öffnen der Röhre unter Wasser 7 Cubikzoll dieser Flüssigkeit 
eintreten. Bei Anwendung gehörig grolser Mengen Kupfer- 
pulvers und lebhaftem Schütteln habe ich selbst einem Cubik- 
fuls Luft im Laufe weniger Minuten allen Sauerstoff entzogen. 
Wie sich von selbst versteht erlöschen brennende Körper au- 
genblicklich im Reste der so behandelten Luft, d. h. verhält 
sich derselbe als Stickgas und kaum wird nöthig sein ausdrück- 
lich zu bemerken, dals das bei diesen Versuchen angewendete 
wässrige Ammoniak sich rasch tief lasurblau färbt. 

Der verbältnilsmälsig so grolsen Raschheit wegen, mit 
weicher unter den erwähnten Umständen der Sauerstoff vom 
Kupfer und Ammoniak aufgenommen wird, könnten diese Sub- 
stanzen als Mittel zur Darstellung gröfserer Mengen von Stick- 
gas aus atmosphärischer Luft wie auch zu eudiometrischen 
Zwecken dienen. 

Was die erwähnte lasurblaue Flüssigkeit betrifft, so ist 
sie keineswegs nur eine Lösung von Kupferoxidammoniak, son- 
dern enthält auch noch salpetrichtsaures Ammoniak, wie aus 
obiger Angabe sich schon zum voraus erwarten lälst und die 
nachstehenden Angaben darthun werden. 

Wird besagter Flüssigkeit etwas Natronlösung zugefügt 
und lälst man das Gemisch einige Zeit sieden, so scheidet sich 
schwarzes Kupferoxid aus und wird beim Filtriren eine etwas 
gelblich gefärbte Flüssigkeit erhalten, welche bei Zusatz von 
verdünnter Schwefelsäure den Jodkaliumkleister auf das Tiefste 
bläut. Bis zur Trocknils abgedampft lälst sie einen gelblich 
weilsen noch etwas alkalisch reagirenden Rückstand, welcher 


vom 27. November 1856. 585 


mit Kohlenpulver vermengt und erhitzt verpufft, mit Schwe- 
felsäure übergossen Dämpfe von Untersalpetersäure und Stick- 
oXidgas entwickelt *), welcher ferner die durch Schwefelsäure 
angesäuerte Eisenvitriollösung braun färbt, wie auch die mit 
Vitriolöl versetzte Indigolösung rasch zerstört. Natürlich 
bläut eine wässrige und mit verdünnter Schwefelsäure über- 
säuerte Lösung des besagten Rückstandes sowohl den jodka- 
liumhaltigen Stärkekleister als auch die frische Guajaktinctur. 
Diese Rectionen lassen nicht daran zweifeln, dals in dem be- 
sagten Rückstand ein salpetrichtsaures Salz enthalten sei, wel- 
ches kein anderes als Natronnitrit sein kann und lassen schlie- 
(sen, dals in der lasurblauen Flüssigkeit neben dem Kupfer- 
oxidammoniak auch noch Ammoniaknitrit vorhanden sei, welches 
Salz bei Zusatz von Natron unter Bildung von salpetrichtsau- 
rem Natron und Ausscheidung von Ammoniak sich zersetzt. 

Aus deu in dem voranstehenden Aufsatze beschriebenen 
Thatsachen geht somit hervor, dafs unter dem Berührungsein- 
flusse des fein zertheilten. Platins und des Kupfers der ge- 
wöhnliche Sauerstoff befähiget wird, die Elemente des Ammo- 
niaks schon bei gewöhnlicher Temperatur zu oxidiren: den 
Wasserstoff zu Wasser, den Stickstoff zu salpetrichter Säure, 
welche letztere mit anderem Ammoniak zu einem Nitrit sich 
vereiniget. 

Die Frage, warum sich unter den erwähnten Umständen 
nicht Salpetersäure oder ein Nitrat anstatt der salpetrichten 
Säure oder eines Nitrites sich bilde, hofft der Verfasser bei 
einem andern Anlasse beantworten zu können. 


— 


*) Hr. Hofrath Wöhler theilte mir diesen Sommer mündlich die No- 
tiz mit, dafs einer seiner Schüler aus der blauen Flüssigkeit, welche er 


beim Aussetzen von Kupferspänen und wässrigem Ammoniak an die Luft 


erhalten, mittelst Schwefelsäure rothbraune Dämpfe entbunden, die Sache 
aber nicht weiter verfolgt habe. 


586 Gesammtsitzung vom 27. November 1856. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 


A. Comte, Synthese subjective. Paris 1856. 8. 

Journal of the Asiatic Society of Bengal, no. 255. Calcutta 1856. 8, 

Transactions of the Royal Society of Edinburgh. Vol. XXI, Part 3. 
Edinburgh 1856. 4. 

Proceedings of the Royal Society of Edinburgh. Vol. IIl,no. 46. Edin- 
burgh 1856. 8. 

Abhandlungen der Königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 
Philos.-philologische Klasse. 8. Band, Abth.1. München 1856. 4. 

Gelehrte Anzeigen der Kgl. Bayerischen Akademie. Band 42. Mün- 
chen 1856. 4. 

F. v. Thiersch, Über den Begriff und die Stellung des Gelehrten. 
München 1856. 4. 

F.v. Kobell, Denhrede auf J. N. von Fuchs. München 1856. 4. 

La Correspondance litteraire. A. Annee, no. 1. Paris 1856. 4. 

Jacobaeus, Du mouvement imprime a laiguille aimantde par linfluence 
subite de la lumiere du soleil. Copenhagen 1856. 8. 4Ex. Mit 
Schreiben des Hrn, Verf., d. d. Borupgaard 20. Nov. 1856, 

Chr. A. Brandis, Aristoteles und seine akademische Zeitgenossen. 
Zweite Hälfte. Berlin 1857. 8. (Von Hrn. Trendelenburg 
im Namen des Hın. Verf. übergeben.) 


ei 


FR 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat Dezember 1856. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Trendelenburg. 


1. Dezbr. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Braun las über einige neue Arten der Gat- 
tung Chytridium und die damit verwandte Gattung 
Rhizidium. 

Als Nachtrag zu der am 7. Juni vorigen Jahres der Aka- 
demie vorgelegten Monographie der Chytridien wurden folgende 
neue Vorkommnisse nebst einigen Berichtigungen früherer mit- 
getheilt. 

1) Chytridium brevipes, eine neue Art, die dem Ch. 
Olla sehr nahe steht, von dem es sich durch etwas geringere 
Grölse und einen sehr kurzen rundlichen Wurzelfuls unter- 
scheidet. Von Dr. Itzigsohn bei Neudamm auf Oedogonium 
flavescens? (Hassall) gefunden. Dazu vielleicht auch eine von 
demselben auf Oedogonium apophysatum A. Br. beobachtete 
Form. 

2) Ch. oblongum der früheren Abhandlung ist aus der 
Zahl der Arten zu streichen, indem es sich durch die Beob- 
achtungen von de Bary unzweifelhaft herausgestellt hat, dafs 
die als solches beschriebenen Gebilde die männlichen Zwerg- 
pflänzchen des Oedogenium vesicatum sind. 

3) Ch. glodbosum. Von dieser auch schon früher auf 


mehreren Oedogonien beobachteten Art sah Dr. Klofs in 


4 


Pe 5 5 


Frankfurt a. M. Exemplare auf noch einzelligen Keimpflänzchen 
von Oedogonium tumidulum. 


[1856.] 45 


588 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


4) Ch. volvocinum, eine von Dr. Cohn bei Breslau auf 
Volvox globator beobachtete neue Art, wurzellos, mit kurz stiel- 
artig verschmälerter Basis, über derselben bauchig und reif 
fast kugelartig anschwellend, nach oben flaschenartig zugespitzt. 
In der Jugend erinnert es an Ch. Lagenula, ausgewachsen mehr 
an Ch. mammillatum. 

5) Ch. Pollinis Pini. Eine von der unter diesem Na- 
men früher beschriebenen Art nieht unterscheidbare Form hat 
Dr. Itzigsohn bei Neudamm auf Conferoa bombycina beob- 
achtet. Es erscheint daher zweckmälsig den Namen in Ch. 
vagans umzuändern. 

6) Ch. anatropum. Eine ausgezeichnete neue Art, bei 
Berlin auf Chaetophora elegans in grolser Menge beobachtet 
und von entschieden verderblichem Einfluls auf die Nährpflanze. 
Gestalt länglich, fast birnförmig, meist etwas schief oder selbst 
gekrümmt, am obern dickeren Ende abgerundet, am unteren schma- 
leren fast spitz und seitlich neben dem unteren Ende angeheftet: 
Länge im ausgewachsenen Zustande meist 5 —35"", selten bis 
4; Dicke 4—mm-, Zoogonidien von nicht ganz ;,5”" Durch- 
messer und ungefähr dreimal so langer Wimper. Aufser den 
in Zoogonidienbildung übergebenden Exemplaren finden sich 
andere, welche sich weniger verlängern, eine kurz eilörmige 
Gestalt, eine dickere Haut und einen grolsen ölartigen Kern, 
zugleich mit einer schwachen ins gelbbraune ziehenden Fär- 
bung erhalten. Es sind diels offenbar sporenartige, zur Er- 
haltung während des Winters bestimmte Rubezustände. 

7) Ch. apiculatum,. Hr. Dr. Klofs beobachtete diese 
Art bei Frankfurt a. M. auf einem Gebilde, das ich eher für 
eine Gloeocystis, als für Gloeococcus mucosus halten möchte und 
zwar gleichfalls nicht selten auf noch beweglichen. Individuen. 

8) Ch. endogenum. Die von mir in der früheren Ab- 
handlung unter diesem Namen beschriebenen Gebilde sind in 
hiesiger Gegend schon vor langer Zeit von Ehrenberg be- 
obachtet worden, der sie als Organe einer den Closterien ähn- 
lichen besonderen Gattung von Magenthierchen. (Polysolenia) 
beschrieb.*) Gegen eine solche allerdings sehr nahe liegende, 

*), Gesellsch. naturf. Freude 17. Juni 1835. Monatsber. der Akad. 
1840. p. 150. 


vom 4. Dezember 1856. 589 


neuerlich durch Focke in etwas abweichender Weise festge- 
‚haltene Deutung *) sprechen insbesondere die bei der nächsten 
Art anzuführenden Beobachtungen von Dr. H. Klofs in 
Frankfurt a. M., nach welchen auch die früheren Zweifel 
über Chytridium Saprolegniae ihr Gewicht grolsentheils ver- 
loren haben. Nach eben diesen Beobachtungen von Klofs 
liegt in der von mir gegebenen Benennung eine Unrichtigkeit, 
die durch Umänderung des Namens in Ch. intestinum beseitigt 
werden kann**). Das Vorkommen dieser Art nicht nur in 
mehreren Glosterium-Arten, sondern auch in anderen Desmi- 
diaceen (Teimemorus, Penium, Cosmarium) wird bestätigt durch 
de Brebisson;***) so wie auch Dr. Itzigsohn ohne Zwei- 
fel hierher gehörige Formen bei Neudamm nicht nur in Clo- 
sterien, sondern auch in Docidien, Cosmarien und Micrasterien 
gesehen hat, Die Entwicklung der Zoogonidien im Innern der 
‚Blase und die Entleerung derselben durch die röhrförmige Spitze 
wurde neuerlich von Dr. Lachmann in ganz mit anderen 
Chytridien übereinstimmender Weise beobachtet. Die frühere 
Angabe des Vorkommens dieser Art in Faucheria und Spiro- 
'gyra wird bei der folgenden Art berichtigt. 

9) Ch. entophytum. Unter diesem Namen fasse ich im 
Innern der Fäden von Faucheria und Spirogyra sich ausbilden- 
Per Chytridienformen zusammen, die sich mach den ausführlichen 
Mittheilungen von Prof. de Bary und Dr. Klofs durch einige 
Merkmale von der vorigen Ärt zu unterscheiden scheinen, 

| Die von de Bary auf einer grölseren, in salzigem Was- 
‘ser bei der Nauheimer Saline wachsenden Faucheria (globifera 
de Bary, vielleicht eimerlei mit salina K.) beobachtete Forın 
ist meist etwas kleiner, als das Chytridium im Innern der Clo- 
‚sterien; die Blase nicht niedergedrückt, wie bei diesem, son- 
Br genau kugelig oder selbst ein wenig eiförmig verlängert; 
der Hals ist bald sehr kurz, bald aber auch sehr verlängert, 


*) Vergl. die frühere Monogr. (Abhandl. der Akad. 1855) p. 60. 

“) Vergl. Dr. Klo[s über Parasitismus im Frankfurter Museum 1856, 
28. p. 218. 

**) Liste des Desmidiacees obsery. en Bässe - Normandie 1856. 
. 150. 

45* 


es 


390 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


was von der Lage der Blase und der Richtung, in welcher der 


Hals aus ihr hervortritt, abhängt. Ausnahmsweise kommt es 
vor, dafs eine Blase zwei Röhren hervortreibt. Unter der Per- 
forationsstelle des Halses fehlt dieser Art die eigenthümliche 
Anschwellung, welche bei Ch. intestinurn vorhanden ist, und 
der nach aufsen hervortretende Theil der Röhre ist kürzer. 
Die Zoogonidien bilden sich in derselben Weise, wie bei an- 


deren Chytridien, im Innern der Blase, sie haben den charak- 


teristischen dunkelbegrenzten Kern und eine Wimper, welche 
ungefähr die dreifache Länge des Körpers besitzt. Die Dicke 


der Blase beträgt im Mittel 5—5"”-, die der Zoogonidien 


1_ mm. 


200 
Das von Klofs im Inneren nicht copulirter Fäden meh- 


rerer Arten oder Abarten dünnerer Spirogyren (longata, 
Weberi) beobachtete Chytridium scheint mit dem der Fau- 


cheria im Wesentlichen übereinzustimmen, obgleich es durch- 
hi 


schnittlich noch etwas kleiner, noch mehr zur Birnform ge- 
neigt und der innere Theil des Halses sowohl, als der nach 
Aufsen über die Zellhaut hervortretende stets sehr kurz ist. Die 
Bildung der Zoogonidien geht auf dieselbe Weise im Inneren der 
Blase vor sich. Die wichtigste Beobachtung, welche Klols 
an dieser Form gemacht hat, ist die des Eindringens der Zoo- 
gonidien, welche nach beendigtem Schwärmen von aulsen sich 
der Zeilwand ansetzen, mittelst einer nadelartig vordringenden 
Spitze dieselbe durchbohren und im Verlauf von einigen Stun- 
den den ganzen Körper durch die äufserst feine Öffnung hin- 
durchdrängen. 

Aufser dem hier erwähnten von Dr. Klo(fs beobachteten 
Chytridium in Spirogyra beherbergt diese Gattung von Was- 
serfäden theils äufserlich, theils im Inneren der Zellen, ja selbst 
im Inneren der in den copulirten Zellen befindlichen Sporen 
noch andere Formen von Chytridien, Rhizidien und verwand- 
ten Gebilden, mit deren Untersuchung und schwieriger Ent- 
wirrung Dr. Pringsheim seit längerer Zeit beschäftigt ist. 
Insbesondere mufs ich bemerken, dals das von mir früher unter 
Chytr. endogenum erwähnte Gebilde, welches Dr. Prings- 
heim in Spirogyren (und zwar in den Sporen copulirter Fä- 


EEE 


vom 1. Dezember 1856. 591 


den) beobachtet hat, ob es gleich in seiner Gestalt dem 
Chytridium entophytum nicht unähnlich ist, nach dessen 
neueren Untersuchungen doch in der Art die Schwärmzellen 
zu bilden und der Beschaffenheit dieser selbst so eigenthüm- 
lich ist, dafs es nicht einmal generisch mit den Chytridien 
verbunden werden kann. 

10) Ch. zootocum. Ich bezeichne mit diesem Namen vor- 
läufig eine noch nicht hinreichend beobachtete Form, welche 
Claparede in einer, wie es schien, kürzlich abgestorbenen An- 
guillula gefunden hat. Im Leibe derselben befanden sich gegen 
60 Chytridium - Schläuche, verlängert wie bei Ch. Saprolegniae, 
aber dabei gekrümmt und mit einseitig ansteigendem Hals die 
Körperwand nach aulsen durchbohrend und ziemlich weit über 
dieselbe hervorragend. Die Exemplare zeigten geöffnete, etwas 
trichterförmig ausgebreitete Mündungen und waren sämmtlich 
entleert. 

Die Gattung Rhizidium unterscheidet sich von Chyrtri- 
dium durch eine verlängerte, in viele Zweige mit äulserst fei- 
nen Enden sich theilende Wurzel und durch die Bildung einer 
zweiten, zur Fructification bestimmten Zelle, welche aus dem 
blasenartig erweiterten oberen Ende der vegetativen Zelle durch 
seitliche Aussackung hervorwächst. Die Fructification ist von 
zweifacher, auf verschiedene Individuen vertheilter Art; ent- 
weder nämlich bilden sich in der seitlichen und zur besondern 
Zelle sich abschlielsenden länglichen Aussackung Zoogonidien, 
welche ganz die Beschaffenheit derer von Chytridium besitzen, 
oder diese Aussackung nimmt eine kugelförmige Gestalt an 
und wird zu einer einzigen, sich allmählig braun färbenden, mit 
dicker und höckeriger oder fast stacheliger Haut und grolsem 
Kern versehenen ruhenden Spore. Die einzige bisher genauer 
untersuchte Art dieser wahrscheinlich auch artenreichen Gat- 
tung, Rhizidium mycophilum, findet sich bei Berlin in den 
Räschen von Chaetophora elegans, gemeinschaftlich mit Chytri- 
-dium anatropum, jedoch nicht eigentlich festsitzend, sondern 
die feinen Wurzeln in die weiche Gallerte, welche die Fäden 
der Chaelophora umgiebt, einsenkend. Die vegetative Zelle ist 
verkehrt eiförmig oder birnförmig, häufig mit einem citronen- 
-arlig verschmälerten oberen Ende; an der Basis verschmälert 


; 


592 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


sie sich in einen dünnen Stiel, der sich bald früher, bald 
später in sehr fein auslaufende und wiederholt verzweigte 
Wurzeln theilt. Nicht selten treten solche Wurzeln auch 
seitlich aus dem oberen blasenartigen Theil der Zelle hervor. 
Die Fructificationszelle tritt meist dicht unter der Spitze der 
vegetativen Zelle hervor, und kommt dieser, wenn sie zur Zo0- 
gonidienbildung bestimmt ist, an Grölse fast gleich, sie bleibt 
dagegen kleiner, wenn sie zur Spore werden soll. Die Zoo- 
gonidien haben „;"”. Durchmesser oder selbst etwas mehr, 
einen scharfbegrenzten Kern und eine einzige lange Wimper. 
"”- Durchmesser. 
Zur Gattung Rhizidium glaube ich jetzt auch die von mir 


Die ruhenden Sporen haben im Mittel — 


früher unter Chyzridium Euglenae erwähnten, von Bail an Eu- 
glena viridis beobachteten Schmarotzer, welche lange Wurzel- 
fäden trieben, rechnen zu müssen; vielleicht bilden sie eine 
zweite Art dieser Gattung. Das auf Euglena viridis beobach- 
tete Chytridium, welches Meilsner und von Siebold beob- 
achtet haben, ist dagegen sicher ein wahres Chytridium, dem 
der Name Ch. Euglenae bleiben muls. 


Hr. Peters las über Amblyodipsas, eine neue 
Schlangengattung aus Mossambique. 

Hr. Prof. Bianconi in Bologna beschrieb im Jahre 1850 ') 
eine neue Schlangenart aus Inhambane unter dem Namen Ca- 
lamaria microphthalma, welche mir auf meiner Reise 
nicht vorgekommen war. Ich bedauerte diels letztere um so 
mehr, als die jener Publikation beigefügte Abbildung eine so 
eigenthümliche Beschildung, Kopfform und Stellung der Augen 
zeigte, dafs mir die Stellung derselben unter den Calumariae 
zweifelhaft erschien. Als ich in diesem Herbste nach Bologna 
gelangte und Hrn. Bianconi meine Zweifel zu erkennen gab, 
war derselbe so äufserst gütig, mir das einzige Exemplar zu 
einer genaueren Untersuchung anzuvertrauen, indem er mich 
zugleich aufforderte, das Ergebnils derselben zu veröffentlichen. 

Durch die Form ihres Gebisses gehört diese Schlange zu 
den Opistoglyphi, läfst sich aber nicht wohl in eine der aufge- 
stellten Gattungen unterbringen, sondern vereinigt mehrere Merk- 


‘) Specimina zoologica mosambicana. VI. pag. 94. sqq. Taf. 12. Fig. 1, 


! 


Kiel de 


ee 


vom 1. Dezember 1856. 593 


male, welche dieGründung einer neuen Gattung rechtfertigen, die 
ein Bindeglied zwischen den Familien der Stenocephali und Pla. 
tyrhini im Dumeril-Bibronschen System ?) bilden würde. 


Amblyodipsas?’) nov. gen. 


Maxillae superiores subbreves, apice introrsum curvatae. 


*) Durch dieses System ist unläugbar ein grofser Anstols zur ge- 
naueren Kenntnis der Schlangen gegeben, weun es auch in der Ausführung 
an grolsen Mängeln leidet. Hr. Dr. Fischer (in seiner vortrefflichen Mo- 
nographie der Seeschlangen. Hamburg. 1855) hat bereits mehrere dersel- 
ben hervorgehoben. So hat er namentlich die Beobachtungen Schlegels 
über das Vorhandensein eines Giftcanals in den Giftzähnen der s. g. Pro- 
teroglyphi vervollständigt. Ich kann nur hinzufügen, dals ich diesen Ca- 
nal bei Naja haje und Naja mossambica ebenfalls sehr deutlich gesehen 
habe, während ich bei Dendroaspis (Naja) angusticeps, Atractaspis Bibronü 
und Causus rhombeatus sogar nur einen Canal und keine Längsfurche be- 
merken kann. Wenn daher die Abtheilung der Giftschlangen in Protero- 
glyphi und Solenoglyphi jedenfalls nicht haltbar ist, so bietet auch Causus 
durch seine bereits von Schlegel hervorgehobene grofse Übereinstimmung 
mit den Vipern eine Schwierigkeit dar, um die Najidae von den Viperina 
scharf zu sondern; denn die runde Pupille allein dürfte doch kein hinrei- 
chender Grund zu einer Familientrennung sein. 

®) auß%vs, dubas. — Die Figuren stellen die Ansichten des Kopfes 
in doppelter Grölse, das Gebils viermal vergrölsert dar. 


394 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Dentes maxillares pauci laeves, recurvati, retrorsum longitudine 
erescentes, diastemate a dentibus duobus posticis juxtapositis 
sulcatis sejuneti. Dentes palatini recurvati, longitudine fere ae- 
quales, pterygoidei minores. Dentes mandibulares recurvati, 
primores discreti, versus medium longitudine sensim crescentes. 
Corpus teres. Cauda bevis, conica. Caput depressum, rostro 
brevi obtuso. Oculi minimi, superi. Nares minimae, anticae, 
utrinque in scutelli nasalis medio apertae. Scutella praefron- 
talia labialia tangentia; frenalia, internasalia et anteorbitalia 
nulla; postorbitalia simplicia. Scuta abdominalia subangusta; 
subcaudalia divisa.. Squamae laevissimae. 

Diese Gattung schliefst sich durch die Form ihres Kiefer- 
apparats, ihres Gebisses und durch die schmalen Bauchschilder 
unter den Opistoglyphi am nächsten der amerikanischen Gat- 
tung Elapomorphus, durch die Abplattung ihres Kopfes, die 
stumpfe Schnauze und die auf der Oberseite des Kopfes ein- 
ander genäherten Augen den Homalapsis und verwandten Gat- 
tungen an. Ob der Mangel von besonderen Internasal-, Fre- 
nal- und Anteorbitalschildern als Merkmal der Gattung bestehen 
bleiben kann oder nur der bisher bekannten einen Art eigenthüm- 
lich ist, darüber werden bei der jetzigen regen Erforschung 
des Innern Afrikas gewils bald neue Entdeckungen entscheiden. 

A. microphthalma = Calamaria microphthalma 
Bianconil.c.; bicolor, supra scutorumque abdominalium medio 
violaceo-nigra, gastraeo reliquo margineque supralabiali abrupte 
alba. — Scuta abdominalia 142%; squam. subcaud. paria 19. 

Die Körperform ist walzenförmig, überall von ziemlich 
gleicher Dicke, nur nach dem kurzen conischen Schwanze hin 
allmäblich verdünnt. Der Kopf erscheint abgeplattet‘, brei- 
ter als der Hals, nicht deutlich von diesem abgesetzt, die 
Schnauze stumpf abgerundet. Die Augen sind sehr klein und 
liegen hinter dem ersten Viertel der Kopflänge, ganz nach 
oben gerichtet, weniger von einander als vom Schnauzenende 
entfernt. Die Nasenlöcher sind klein, C förmig und öffnen sich 
nach vorn in der Mitte des schmalen viereckigen Nasalschildes, 
welches jederseits neben dem Rostralschilde liegt. Die Gestalt 
und Verhältnisse der einzelnen Schilder des Kopfes sind aus 
den beigefügten naturgetreuen Figuren am Besten zu ersehen. 


a a U uw „u ie Ds a DE 


vom 1. Dezember 1856. 595 


Der Oberkiefer trägt vorn 5 ungefurchte Zähne, welche 
von vorn nach hinten an Grölse so zunehmen, dals der vierte 
doppelt so lang ist, wie der erste. Der fünfte Zahn war an 
dem einen Kiefer ausgefallen, an dem andern ein kürzerer Er- 
satzzahn. Durch einen freien Raum von den vorhergehenden 
getrennt folgen zwei neben einander stehende beträchtlich grö- 
fsere Furchenzähne. Die Gaumenknochen tragen 7 ziemlich 
gleich lange Zähne, welche ein wenig länger sind als der erste 
Oberkieferzahn. Von Pterygoidalzähnen scheinen nicht über vier 
vorhanden zu sein, und diese sind merklich kleiner als die der 
Gaumenbeine. Die Unterkieferzähne sind in ihrer Gestalt den 
vordern Oberkieferzähnen ähnlich, gekrümmt, an der Basis ver- 
dickt. Sie nehmen nach der Mitte hin allmählig an Gröfse zu 
und dann wieder ab. Ihre Zahl betrug zehn. 

Die Körperschuppen sind glänzend glatt, hinter dem 
Kopfe schuppenförmig, weiterhin länglich hexagonal, auf dem 
Schwanze breit hexagonal. Sie bilden 15 Längsreihen. Die 
Bauchschilder sind verhältnifsmälsig schmal, da sie nur ein 
Viertel des Körperumfangs einnehmen. Ihre Zahl beträgt, das 
getheilte Analschild abgerechnet, 142. Die untern Schwanz- 
schilder bilden 19 Paare. Die Spitze des Schwanzes wird wie 
gewöhnlich von einer conisch vertieften Schuppe umfalst. 

Die Farbe der ganzen oberen Körperhälfte ist violetschwarz, 
wobei die Ränder der Schuppen heller röthlichbraun erscheinen. 
Ebenso sind auch die Bauchschilder in der Mitte gefärbt. Die 
ganze übrige untere Hälfte des Körpers erscheint weils, an 
der Seite scharf abgesetzt gegen die dunkle Rückenseite. Von 
oben sieht man nur den Kopf weils umsäumt, indem diese Fär- 
bung sich rings um die Schnauze bis zur Höhe des Auges 
herumziebt. 

Malse: ganze Länge 07300; L. der Kopfes 0,013; gröfste 
Breite desselben 0,0075; Höhe in der Augengegend 0,004; 
Länge des Schwanzes 0,024. Umfang des Rumpfes 0,027; 
Breite der Bauchschilder 0,007. 

Fundort: Inhambane durch Hrn. Fornasini. 


596 Gesammtsitzung 


4. Dezbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Ewald las über die am nördlichen Harzrande 
vorkommenden Rudisten. 

Wenn man die Kreideformation in ihrer horizontalen Ver- 
breitung über Deutschland betrachtet, so kann man darin drei 
Zonen erkennen, deren jede in ihrer ganzen Erstreckung durch 
gewisse sich gleich bleibende Charactere bezeichnet ist, von 
den anderen aber durch wesentliche Unterschiede abweicht. 

Die erste, südlichste Zone beginnt da, wo man von Nor- 
den kommend das Gebiet der Alpen betritt. 

Die zweite umfaflst das mittlere Deutschland, namentlich _ 
die Kreidegebiete des Königreichs Sachsen, Böhmens, Schle- 
siens und Bayerns. Sie unterscheidet sich von der ersten und 
dritten unter Anderm dadurch, dals die älteren Glieder der 
Kreideformation Neocom und Gault ihr gänzlich fehlen, und 
dals die durch Exogyra Columba characterisirten Schichten da- 
rin unter der Form von (Quadersandsteinbänken eine unge- 
wöhnliche Entwickelung erlangt haben. 

Die dritte nördliche Zone besteht aus dem nördlich vom 
Harz gelegenen Theil der Provinz Sachsen, der Kreide Braun- 
schweigs, Hannovers und Westphalens. 

Innerhalb jeder der drei Zonen besitzt die Kreideformation 
in diesem oder jenem ihrer Schichtensysteme Rudisten. Jedoch 
nur in der südlichsten Zone sind sie zu ganzen Bänken ver- 
einigt. 

Was in der zweiten Zone von Rudisten vorkommt, ist, 
obgleich sich an manchen Stellen des mittleren Deutschlands, 
wie am Kuczliner Berge bei Bilin Radioliten in ziemlicher 
Menge gefunden haben, doch schon viel vereinzelter, und die 
Individuen der hier vorhandenen Species erreichen nicht den 
vierten Theil der Grölse des alpinen Fuls langen Hippurites 
cornu vaccınum. 

In der dritten, nördlichen Zone endlich gehören Rudisten 
überhaupt zu den grolsen Seltenheiten. Sie kommen nur an 
einzelnen Punkten und auch da in so geringer Menge vor, dals 
sie in wenige Sammlungen übergegangen sind. Die Arten be- 
schränken sich hier auf eine sehr kleine Zahl und sind noch 


} 


Ze. De Ms ee re. Mu 


vom 4. Dezember 1856. 597 


wenig gekannt. In Beziehung auf die Gröfse, welche sie er- 
reichen, verhalten sie sich im Allgemeinen zu den mitteldeut- 
schen Arten wie diese zu den alpinen und übersteigen in den 
meisten Fällen nicht viel die Länge eines Zolls. 

Die Thatsache, dafs überhaupt im Norden von Europa 
Rudisten seltener vorkommen als im Süden, kann als der schla- 
gendste Beweis für die Richtigkeit der Ansicht gelten, dals 
schon während der Kreideperiode klimatische Unterschiede je 
nach den höheren oder niederen Breitegraden statt gefunden 
haben. In der That liegt es auf der Hand, dals wenn man die 
Rudisten der Kreideformation vorzugsweise mit den Riffe 
bauenden Korallen derselben Periode zusammenvorkommen sieht, 
die Riffe bauenden Korallen der jetzigen Welt aber vor- 
zugsweise den warmen Klimaten angehören, dann auch von 
den Rudisten angenommen werden mufs, dals sie im Norden 
eben deswegen selten sind, weil daselbst während der Kreide- 
periode schon nicht mehr die ihr Wachsthum begünstigenden 
Bedingungen erfüllt waren. Esist gewils, dafs die in Deutschland 
beobachtbare und hier geschilderte stufenweise Abnahme der 
Rudisten gegen Norden, welche zwar noch nicht an einer und 
derselben Schicht vollständig durchgeführt werden kann, jedoch 
in keinem deutschen Rudisten- Vorkommnisse, welcher Schicht 
es auch angehöre, einen Widerspruch findet, nicht als zufällig, 
sondern als ein speciellerer Ausdruck der Temperaturverhält- 
nisse anzusehen ist, welche während der Kreideperiode in dem 
jetzigen Deutschland geberrscht haben. 

In der nördlichen Zone sind Rudisten wohl bisher am 
häufigsten am Sudmerberge bei Goslar und zwar in den zum 
Stockwerk der weilsen Kreide gehörenden Trümmergesteinen, 
welche den oberen Theil dieses Berges zusammensetzen, vor« 
gekommen. Ihre Rudisten-Natur ergiebt sich bei der übrigens 
geringen Anzahl von Merkmalen, die sie darbieten, aus der 
Stractur ihrer Schale, welche aus feinen ein zelliges Gewebe 
bildenden Längs- und Querlamellen zusammengesetzt ist. Der 
Sudmerberg hat nur Unterschalen von Rudisten geliefert, an 
denen sich häufig die Spuren vom Ansitzen an fremden Kör- 
pern erkennen lassen. Die dazu gehörigen Ober- oder Deckel- 
schalen sind noch nicht ermittelt worden. Diese Erscheinung, 


598 Gesammtsitzung 


dafs man nur die eine Schale antrifft, die andere nicht, ist bei 
den Rudisten überhaupt nicht selten und hat ihren Grund in 
der bei mehreren Gattungen derselben vorkommenden sehr ver- 
schiedenen Dicke und Structur beider Hälften. 

Die Sudmerberger Rudisten unterscheiden sich bei grolser 
Verwandtschaft mit den Radioliten von letzteren dadurch, dafs 
ihnen die innere Längsleiste fehlt, welche bei den Radioliten 
die kleine von dem Wohnraum des Thieres durch den Schlofs- 
apparat gesonderte Höhlung in zwei Theile scheidet. Ich habe 
mich schon früher (Zeitschr. d. deutsch. geolog. Gesellschaft 
Vol. IV, pag. 503) dahin ausgesprochen, dals diese Radioliten 
ohne innere Längsleiste von denen mit einer solchen gene- 
risch getrennt werden müssen. Man kann den Namen Bira- 
diolites auf sie anwenden, weil d’Orbigny mehrere zu ihnen 
gehörende Arten, namentlich den Biradiolites cornu pastoris, 
angulatus, quadratus unter dieser Benennung, wenngleich we- 
gen eines anderen Merkmals als des hier angegebenen, näm- 
lich wegen zweier auf der Oberfläche der Schale längs ver- 
laufender Bänder von den Radioliten abgezweigt hat. Obgleich 
nun die Sudmerberger Rudisten von diesen Längsbändern nichts 
aufzuweisen haben, so wird man doch den Gattungsnamen Bi- 
radiolites, SO lange man ihn für den Biradiolites cornu pastoris 
beibehält, unter Änderung seiner Bedeutung auch auf sie über- 
tragen müssen. 

Es bleibe nicht unerwähnt, dafs die Vergleichung der Sud- 
merberger Rudisten mit gewissen Caprotinen d’Orbigny’s 
ebenfalls nahe liegt, namentlich mit seiner Caprotina costata, 
siriata, semistriata. Doch da auch in diesen die Andeutung 
einer inneren Leiste vorhanden ist, so wird eine Identificirung 
mit ihnen unmöglich. 

Indem ich von den Gattungsmerkmalen der Sudmerberger 
Rudisten zu den Speciescharakteren derselben übergehe, habe 
ich voranzuschicken, dafs ich sie sämmtlich einer und derselben 
Art zurechnen zu müssen glaube. Sie sind von conischer 
Form, wo diese nicht durch das Ansitzen der Schale an frem- 
den Körpern gestört ist; die Oberfläche ist mit stark hervor- 
tretenden Längsrippen besetzt, deren Zahl zwischen 7 und 9 
schwankt. Die Gröfse, welche diese Species erreicht, über- 


u u 0 


vom 4. Dezember 1856. 599 


steigt gewöhnlich nicht einen, selten 1% Zoll. Ich werde die 
Art nach ihrem Vorkommen am Rande des Harzes als Bira- 
diolites hercynius bezeichnen. 

Der Biradiolites hercynius hat sich aulser am Sudmerberge 
noch an zwei anderen Punkten in den subhercynischen Hügeln 
gefunden und zwar erstens am Fulse der Teufelsmauer zwi- 
schen Weddersleben und Thale, von welcher Fundstätte das 
hiesige Königliche Mineralien-Cabinet mehrere Exemplare des- 
selben besitzt; zweitens zwischen Timmerode und Cattenstedt 
ohnweit Blankenburg und zwar am südlichen Fulse der Fort- 
setzung der Teufelsmauer, wo ich ihn im vorigen Sommer an- 
getroffen habe. An beiden letztgenannten Stellen findet er sich 
in Schichten, welche entschieden älter sind als der klippenbil- 
dende obere Quadersandstein der Teufelsmauer, aber jünger als 
der Pläner. Von dem Pläner scharf geschieden schliefsen sich 
diese Schichten an den oberen Quadersandstein eng an und 
gehören gleich letzterem zum unteren Theile des Stockwerks 
der weilsen Kreide. 

Das Gestein ist aber an beiden Stellen verschieden. An 
der Teufelsmauer bei Weddersleben ist es der grünsandige 
Mergel, welcher in der Provinz Sachsen häufig mit dem unte- 
ren Theile der Oberquadersandsteinbildungen verbunden und 
nach dem Salzberge bei Quedlinburg mit dem Namen der Salz- 
bergsmergel belegt worden ist. 

Zwischen Timmerode und Cattenstedt ist es dagegen ein 
feinkörniges Trümmergestein, ähnlich dem, worin die Rudisten 
sich am Sudmerberge finden. In der That kann mit Sicherheit 
angenommen werden, dals die unter dem Namen der Sudmer- 
bergs - Gesteine zusammengefalsten Trümmerbildungen, zum 
Theil wenigstens, mit dem Salzbergsmergel gleichaltrig sind. 


Hr. H. Rose las über die Verbindungen des Tan- 
tals mit Schwefel. 

Das Schwefeltantal ist nach zwei Methoden bereitet wor- 
den. Entweder wurde die Tantalsäure vermittelst Schwefel- 
kohlenstoffs oder das Tantalchlorid vermittelst Schwefelwasser- 
stoffs zersetzt. 


600 Gesammitsitzung 


Die Verwandlung der Tantalsäure in Schwefeltantal durch 
die Dämpfe des Schwefelkohlenstoffs geschieht möglichst voll- 
ständig erst bei einer Temperatur, welche der Weilsgluht sich 


nähert. Das auf diese Weise erhaltene Schwefelmetall ist grau- 


schwarz; reibt man es aber in einem kleinen Mörser von Agat, 
so wird es stark metallisch glänzend und von sehr deutlich 
messinggelber Farbe. Es ist ein guter Leiter der Electricität. 

Wird dieses Schwelfeltantal der Einmischung des Chlor- 
gases ausgesetzt, so wird es bei gewöhnlicher Temperatur nicht 
davon angegriffen; beim Erhitzen verwandelt es sich in Tan- 
talchlorid und in Chlorschwefel, welche verflüchtigt werden 
können, während eine geringe Menge eines schwarzen wolligen 
Rückstands zurückbleibt, der auch bei stärkerem Erhitzen der 
Einwirkung des Chlorgases widersteht, und der wesentlich aus 
Schwefeltantal von einer grofsen Dichtigkeit besteht. Durch 
die Analyse vermittelst Chlorgase, so wie auch durch das Rö- 
sten des Schwefelmetalls, wodurch sich dasselbe in Tantalsäure 
verwandelt, ergab sich, dals das Schwefeltantal nicht der Tan- 
talsäure proportional zusammengesetzt ist, sondern weniger 
Schwefel enthält. Bei der erhöhten Temperatur, die bei Be- 
reitung des Schwefeltantals angewendet werden muls, bildet 
sich wahrscheinlich 2Ta+3S, welches aber beim langsamen 
Erkalten in einer Atmosphäre von Schwefelkohlendampf noch 
etwas Schwefel aufnimmt, aber nie so viel, dals sich die der 
Tantalsäure entsprechende Schwefelungsstufe erzeugt. 

Wird dieses Schwefeltantal in einem Strome von Wasser- 
stoffgas erbitzt, so verliert es etwas Schwefel, behält aber 
noch die Eigenachaft, im Agatmörser gerieben, eine messing- 
gelbe Farbe zu zeigen. 

Wenn Tantalsäure vermittelst des Schwefelkohlenstoffs 
in Schwefeltantal verwandelt worden ist, und man oxydirt 
letzteres durchs Glühen an der Luft wiederum zu Tantalsäure, 
so erhält man genau die Menge der Tantalsäure wieder, die 
man zu dem Versuche angewandt hat. Es läfst sich zwar dies, 
im Voraus vermuthen; wir werden indessen später sehen, dals 
das Resultat dieses Versuchs von einer gewissen Wichtig- 


keit ist. 


er 


U EENEEBLERRLULEEE LEBEEBDEBEERERDEENN 


vom 4. Dezember 1856. 601 


Wenn Tantalsäure in einer Kugelröhre von Glas in einer 
Atmosphäre von Schwefelkohlenstoffdampf geglüht wird, so er- 
hält man ein Schwefeltantal von minderer Dichtigkeit, welches 
auch noch etwas Tantalsäure enthalten kann. Die Dichtigkeit 
des erhaltenen Schwefelmetalls ist auch noch verschieden, je 
nachdem man eine Säure angewendet hat, welche aus dem 
Chlorid erhalten, oder eine welche aus dem Tantalit durchs 
Schmelzen mit saurem schwefelsauren Kali bereitet worden ist. 

Diese Arten des Schwefeltantals erhalten zwar eben so 
wie das in der Weilsgluht dargestellte Schwefelmetall eine 
messinggelbe Farbe durchs Reiben im Agatmörser; sie unter- 
scheiden sich aber wesentlich von diesem dadurch, dafs sie 
durchs Glühen in einem Wasserstolfstrome mehr Schwefel ver- 
lieren, und dann durchs Reiben im Agatmörser schwarz blei- 
ben und nicht messinggelb werden; besonders aber zeigen sie 
ein anderes Verhalten gegen Chlorgas. Sie werden von dem- 
selben schon bei gewöhnlicher Temperatur stark angegriffen, 
und hinterlassen nach Verflüchtigung des Chlorschwefels und 
des Tantalchlorids oft nicht unbedeutende Mengen von Tan- 
talsäure. 

Ein reines Schwefeltantal von geringerer Dichtigkeit als 
das aus der Tantalsäure vermittelst Schwefelkohlenstoffdampfs 
in der Weilsgluht dargestellte, erhält man wenn man Tantal- 
chlorid vermittelst Schwefelwasserstoffgas zersetzt. Bei ge- 
wöhnlicher Temperatur ist die Einwirkung im hohen Grade 
unbedeutend; sie findet vorzüglich erst statt, wenn ein Ge- 
menge von Dämpfen des Chlorids und von Schwefelwasser- 
stoffgas stark geglüht wird; bei minder starker Hitze kann sich 
das Chlorid im Schwefelwasserstoffgas verflüchtigen, obne sich 
stark zu zersetzen. Es bildet sich hierbei keine Spur von 
Wasser, ein Beweis, dals das Tantalchlorid, wenn es gut be- 
reitet worden, kein Aci-Chlorid enthält. 

Das auf diese Weise erhaltene Schwefeltantal ist von rein 
schwarzer Farbe, zeigt aber beim Reiben im Agatmörser Me- 
tallglanz und eine messinggelbe Farbe; bisweilen erhält man 
es auch als krystallinische Krusten von messinggelber Farbe, 
welche dem Schwefelkies nicht ganz unähnlich sind. Es ist 
ein guter Leiter der Electricität.. Vom Chlorgas wird es 


602 Gesammitsitzung 


schon bei gewöhnlicher Temperatur sehr stark angegriffen, 
und hinterläfst nach Abtreibung des Tantalchlorids und des 
Chlorschwefels nur eine geringe Menge eines weilsen Rück- 
stands von Tantalsäure, die nur dadurch entstanden ist, 
dafs das Chlorgas schon mit Heftigkeit auf das Schwefelmetall 
wirkte, als dasselbe zum Theil noch mit atmosphärischer Luft 
umgeben war. 

Bei der Untersuchung zeigte sich, dafs dieses Schwefel- 
tantal wesentlich aus 2Ta-+-3S bestand, nur mit einer etwas 
. geringeren Menge von Schwefel. 

Wird über Tantalsäure während des Glühens Schwefel- 
wasserstoffgas geleitet, so bildet sich nur eine höchst geringe 
Menge von Schwefeltantal. Die Säure wird dadurch grau. — 
Wenn man die Dämpfe von Schwefelkohlenstoff über erhitztes 
Tantalchlorid leitet, so findet keine Zersetzung statt, da be- 
kanntlich sich Kohle nur sehr mittelbar mit Chlor verbindet. 


Hr. W. Grimm gab folgenden Bericht: 


Auf befehl Seiner Majestät des Königs ist der königlichen 
akademie der wissenschaften eine galvanoplastische nachbildung 
eines alten in der Walachei ausgegrabenen, gegenwärtig in dem 
museum zu Bukarest aufbewahrten goldenen ringes zur beur- 
tbeilung übergeben worden. er ist in dem voranstehenden 
holzschnitt dargestellt. die akademie beauftragte die Hrn. Haupt, 
Jacob Grimm und Wilhelm Grimm mit der untersuchung 
der auf dem ring befindlichen inschrift, und letzterer legte eine 
erklärung derselben vor, welcher die Hrn. Haupt und Jac. 
Grimm beitraten. die inschrift enthält 15 zeichen: Wilh. 


Re 


vom 4. Dezember 1856. 603 


Grimm geht davon aus, dals das am anfang und ende ste- 


hende, etwas abgerückte kreuz kein buchstabe sei, sondern 
christlicher sitte gemäls zugefügt ward. in den übrigen 13 zei- 
chen erkennt er runen und zwar nicht nordische sondern deut- 
sche und angelsächsische. der beweis liegt in dem diesem ru- 


 nenalphabet allein eigenthümlichen 6ten zeichen X ö, das sich 


deutlich zeigt. der fünfte buchstabe ist der einzige nicht ganz 

sichere, doch lälst sich ein querstrich in der mitte noch er- 

kennen, der in dem vorangehenden gleich bedeutenden bestimmt 

zu sehen ist. man muls darin ein N, nicht ein I erblicken. 
Es ergeben sich mithin folgende worte, 


UTAN NOpI HAILA 


etwas gothisches ist hier nicht zu finden, vielmehr sind es 


_ ganz entschieden altdeutsche worte. ütan ist die altsächsische 
: und angelsächsiche form für das althochdeutsche üzan mit dem 


- dativ nöpi. dieform heila merkt Graff (Sprachschatz 4, 863) 


neben der gewöhnlichen haili an. glück, frei von be- 
drängnis ist also die inschrift zu übersetzen, die für einen 
goldring, vielleicht ein werthvolles geschenk, gewis ein pas- 
sender spruch war. ähnlische wünsche finden sich bei den 


- dichtern des 13ten jahrhunderts, got füege iu heil und &re 


Iwein 1991. gelücke iu heil gebe Parzival 450, 25. got 
gebe dir heil Gottfrieds Tristan 63, 38. 

Die inschrift fällt in die älteste zeit der deutschen sprache, 
eine nähere bestimmung gestatten die wenigen worte nicht. 
da ihre frühsten mit lateinischen buchstaben geschriebenen 


 denkmäler in das 7te jahrhundert gehören, so könnte man ge- 
neigt sein die inschrilt in das 6ie zu setzen, zumal die be- 


nannte stelle bei Venantius Fortunatus den gebrauch der runen 


in dieser zeit aulser zweifel stellt. allein die runen haben sich 


neben den lateinischen buchstaben erhalten, wie die runischen 
alphabete aus dem Yten jahrhundert und das zeugnis des Hra- 


banus beweisen. wahrscheinlich ist die inschrift des goldrings 
in mitteldeutschland, wo sich niederdeutsche sprachformen mit 


oberdeutschen mischten, eingegraben worden, und von dort ist 


er, wie der ganze grolse schatz von goldenen geräten, zwi- 


[1856.] 46 


604 Gesammtsitzung 


sehen welchen er gefunden ward, vielleicht als beute, in die 
Walachei genommen. 

Hr. Haupt fügte noch einige bemerkungen hinzu. die 
beiden kreuze deuten nicht nothwendig auf die christliche zeit 
und können blolse zierraten sein. althochdeutsch kann die in- 
schrift nicht sein wegen des T für Z und des p für T in nöpi, 
was auch als genitiv darf betrachtet werden. das altsächsische 
und angelsächsische ergibt kein haila, da diese mundarten den 
diphthong ai oder ei in lange vocale zusammen drängen. die 
drei worte bilden einen richtig gemessenen altdeutschen vers, 

tan won 

Hrn. prof. Zacher gebührt das verdienst die inschrift als 
dem deutschen alterthum zugehörig erkannt und die galvanische 
nachbildung veranlalst zu haben. 


Hr. Dr. Leo legte der Akademie photographische in Up- 
sala genommene Nachbildungen des codex argenteus vor. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Astronomische Nachrichten, Band 44. Altona 1856. 4. 

Giornale dell’ I. R. Istituto Lombardo. Fasc. 33 —45. Milano 1854— 
1856. 4. 

Memorie dell’ I. R. Istituto Lombardo, Vol. V. Milano 1856. 4, 

Revue archeologique. 13 ”m® annee, Livr. 8. Paris 1856. 8. 

Annales de chimie et de physique. Tome 48, November. Paris 1856. 8, 

Neues Jahrbuch der Pharmacie, Band 6, Heft 3. Speyer 1856. 8. 

Brachet, Simples preliminaires sur le commentaire de la notice du meil- 
leur mieroscope dioptrique. Paris 1850.08: 

Bibliotheca historico-naturalis. 6. Jahrgang, Heft 1. Götting. 1856. 8. 

H. Ritter et L. Preller, Historia philosophiae graecae et romanae ex 
‚fontium locis contexta. Ed. II. recognovit et auxit L. Preller. Go- 
thae 1857. 8. Im Namen des Hrn. Herausgebers überreicht von 
Hrn. Trendelenburg. 


vom 11. Dezember 1856. 605 


DelaRive, Traite d'electrieite theorique et appliquce. ‘Tome 1. Pa- 
ris 1854. 8, 
Archives de Velectricite, no, 10. 13, 14. 15. 18. Geneve 
1843—45. 8. Mit Begleitschreiben des Hrn. Verfassers d. d. 
f Genf 30. Sept. 1856. 
Ephemeris archaeologica, no. 43. Athen 1856. 4. Mit Ministerial- 
schreiben vom 2. Dezember 1856. 


11. Dezbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Rammelsberg las über den Zoisit und seine 
Beziehung zum Epidot, so wie über die Zusammen- 
setzung des letzteren. 

Der Zoisit scheint anfänglich mit dem weilsen Strahl- 
“stein oder Tremolith verwechselt worden zu sein. Im Anfang 
_ dieses Jahrhunderts fand sich auf der Saualpe in Kärnthen ein 

Mineral, verwachsen mit Quarz, Granat, Augit und Cyanit, 
_ welches nach dem Baron von Zois den Namen erhielt, von 
Karsten beschrieben und von Klaproth untersucht wurde. 
Später ergab sich das Vorkommen des Zoisits auch am Fich- 
telgebirge u.s.w. Hauy vereinigte ihn mit seinem Epidot, 
oder dem Mineral, welches glasiger Strahlstein genannt, und 
nachher von Werner als Pistacit bezeichnet wurde. Die 
‚grolse Mehrzahl der Mineralogen ist bis in die neueste Zeit 
der Annahme Hauy’s gefolgt, und hat Zoisit, Pistacit und 
_ Manganepidot als Abänderungen des Epidots angesehen. 

Indessen hat schon Steffens‘) hervorgehoben, dafs der 
Zoisit nicht blos durch die Farbe, sondern auch durch Glanz 
und Art der Spaltbarkeit sich vom Epidot unterscheide, Zwan- 
zig Jahre später (1831) erfolgte eine Untersuchung von Brooke, 
woraus sich ergab, dafs der Zoisit in der Krystallform und 
Spaltbarkeit vom Epidot verschieden ist ?). 

Leider sind einigermalsen deutliche und mefsbare Krystalle 
von Zoisit höchst selten. Ihr System ist allerdings das zwei- 


ee ee m AU ee a ZZ. 


t) Oryktognosie 1, 74. 
®) Phillips Mineralogy by Brooke and Miller. 
46* 


606 Gesammtsitzung 


und eingliedrige wie beim Epidot. Allein während letzterer 
in unsymmetrischen Prismen mit gerader Endfläche und sym- 
metrischen Zuschärfungsflächen erscheint (ein gewendetes zwei- 
und eingliedriges System nach dem Ausdruck von Weis), 
sind die Zoisitprismen symmetrisch. Sie sind gewöhnlich sechs- 
seitig, vier- und zweiwinklig, so dals sie demnach als Combi- 
nationen eines rhombischen Prismas mit einer geraden Abstum- 
pfungsfläche betrachtet werden müssen. Der stumpfe Winkel 
dieses rhombischen Prismas beträgt nach Brooke 116° 16. 
Ich fand ihn an der Varietät aus der Fusch 115° 45’ — 116° 0. 
Die scharfe Kante ist gerade abgestumpft durch eine Fläche, 
welche mit den beiden Prismenflächen Winkel von 121° 52° 
(Brooke) bildet, die auch ich = 122° gefunden habe. Brooke 
beschreibt auch das Vorkommen des zweifach stumpferen Pris- 
mas von 145° 48. 

Sind nun schon die eben genannten Flächen der Horizon- 
talzone selten deutlich, sondern meist nur durch starke Strei- 
fung angedeutet, so fehlen die Endflächen fast immer. Brooke 
führt indessen zwei Zuschärfungsflächenpaare mit schieflaufender 
Kante an, und giebt die Neigung der stumpferen von ihnen 
zu dem stumpferen Prisma = 123° 30”. 

Der Zoisit hat nur eine deutliche Spaltungsrichtung, der 
Abstumpfungsfläche der scharfen Kanten des Prismas entspre- 
chend, weicht also auch hierdurch vom Epidot ab. 

Miller vergleicht die Formen und Strukturverhältnisse des 
Zoisits mit denen des Euklases, und glaubt, beide seien 
isomorph. 

Indessen scheint mir durch diese Beobachtungen der kry- 
stallographische Unterschied von Zoisit und Epidot noch nicht 
streng erwiesen. 

Das symmetrisch sechsseitige Prisma des Zoisits kann beim 
Epidot nur in der Horizontalzone gesucht werden, und hier 
treffen wir Hauy’s Fläche O0 (der Weifs den Ausdruck = 
za':%b:c gegeben hat), welche nach Ersterem unter 121° 23’ 
gegen die erste Spaltungsfliche M geneigt ist; zwei Flächen O0 
müssen demnach über ? (der geraden Endfläche für das un- 
symmetrische Epidotprisma) unter 117° 14’ geneigt sein. Diese 


vom 11. Dezember 1856. 607 


beiden Winkel weichen von denen des Zoisits 122° und 116° 
_ nicht so sehr weit ab. Möglicherweise wäre beim Zoisit die 
- Horizontalzone hauptsächlich entwickelt, während es beim Epi- 
dot die Vertikalzone ist. 

i Auch die Spaltbarkeit spricht nicht gegen die Identität 
der Formen, denn Brooke’s (Miller’s) Spaltungsfläche 5 
- würde nach jener Annahme dem M des Epidots entsprechen, 
dessen andere Spaltungsrichtung 7 in dem Zoisit vielleicht 
weniger deutlich ist. 

Bei den Zweifeln, die dieser Gegenstand übrig lälst, hielt 
ich es für zweckmälsig, zu untersuchen, ob die chemische 
Zusammensetzung eine Trennung beider Mineralien recht- 
fertige. 

Klaproth’s Analysen zufolge sind die Bestandtheile des 
Zoisits und des Epidots dieselben. Nur ergeben diese so wie 
spätere Versuche von Bucholz, Geffken u. A., dafs der 
Zoisit etwas reicher an Kieselsäure ist als der Epidot, und dafs 
in ihm nur wenige Proc. Eisenoxyd sich finden, der Gehalt an 
Thonerde daher gröfser ist. Bezüglich des allgemeinen chemi- 
schen Verhaltens zeigen beide deshalb viel Ähnlichkeit. An 
und für sich werden sie von Säuren nicht gut zersetzt. Wird 
aber Zoisit in Stücken oder pulverig zum Glühen erhitzt, so 
wird er dann als feines Pulver von Säuren unter Gallertbil- 
dung leicht und vollkommen zerlegt. Nach Hermann ge- 
schieht dies zwar bei dem Epidot nur unvollkommen ; doch habe 
ich schon vor längerer Zeit nachgewiesen, dafs auch der ge- 
glühte Epidot von Säuren vollständig zersetzt wird. 

Wir stellen nun die bekannt gewordenen Zoisitanalysen 
zusammen. 


4. Zoisit von der Saualpe. 


Er ist am zahlreichsten untersucht worden. 

a. Grünlichgrauer krystallisirter Z.; sp. G. = 3,315. Von 
Quarz, Cyanit, Augit und Granat begleitet. Klap- 
roth. 

b. Gelblichbrauner krystallisirter; sp. G. = 3,265. Mit 
Quarz verwachsen. Klaproth. 


608 


ec. Mürber Z. vom Radelgraben, röthlichweils. 


Gesammisitzung 


d. Analyse von Thomson. 
e. Analyse von Kulesza, unter Schrötter’s Leitung. ') 


a, 
Kieselsäure 45 


Thonerde 29 
Eisenoxyd 3 
Kalkerde »1 
Glühverlust nu 
9 


b. B 
47,5 44 
29,5 32 

4,5 2,9 
17,5 20 

0,75 - 
99,75 98,5 


Klaproth. 


d. e. 
39,30 44,00 
29,49 30,97 

7,20 4,92 
22,95 17,77 
1,36 Zr 2,00 
100,30 99,66 


2. Zoisit vom Fichtelgebirge (Gefrees). 


Kieselsäure 
Thonerde 
Eisenoxyd 
Manganoxydul 
Kalkerde 
Glühverlust 


a. 
Bucholz. 
40,25 
30,25 

4,50 
22,50 
2,00 


99,50 


b. 
Geffken. 
40,03 
29,83 

4,24 
7,55 
18,85 


100,50 


3. Zeisit (?) von Falltigl, Tyrol. 


Kohlensäure 
Kieselsäure 
Thonerde 
Eisenoxyd 

“ Eisenoxydul 
Manganoxydul 
Kalkerde 
Talkerde 
Glühverlust 


') Sitzungsber. der Wien. 


a 
Geffken. 
40,74 
28,94 

5,19 
1,78 
20,52 
4,75 


101,92 


b. 
Hermann. 
1,13 
40,95 
30,34 
4,96 


21,56 


0,56 


99,50 


Ak. d. Wiss. J. f. prakt. Chem. 64, 316. 


vom 11. Dezember 1856. 609 


4. Sogenannter Mejonit von Sterzing in Tyrol. 
(Von Weils zuerst zum Epidot gestellt.) 
b 


a. j 
Stromeyer. Richter. ') 
Kieselsäure 39,91 40,57 
Tbonerde 31,97 32,67 
Eisenoxyd 2,44 5,11 
Manganoxydul 0,17 _ 
Kalkerde 23,85 20,82 
Natron, Kali 0,89 _ 
Wasser 0,95 1,22 
100,18 101,39 


Um die Frage zu entscheiden, ob der Zoisit dieselbe Zu- 
sammensetzung wie der Epidot habe, was bisher zwar ange- 
nommen wurde, jedoch durch die angeführten Analysen nicht 
scharf bewiesen ist, hielt ich es für angemessen, die ausge- 
zeichnetsten Vorkommnisse des Minerals von neuem zu unter- 
suchen. Den Stoff zu den Analysen verdanke ich dem K. Mi- 
neralien-Cabinet, aus welchen Hr. G. Rose ihn mir übergab, 
so wie der gefälligen Mitiheilung des verstorbenen Custos P. 
Partsch in Wien und des Hrn. Dr. Krantz in Bonn. 

Mit besonderer Sorgfalt wurde das specifische Gewicht 
bestimmt. 

Von jeder Abänderung wurden mindestens zwei Analysen 
gemacht, indem nämlich eine Probe durch Schmelzen mit koh- 
lensaurem Natron aufgeschlossen wurde, während eine andere 
nach vorgängigem Glühen durch Chlorwasserstoffsäure sich 
leicht zersetzen liels, und eine vollkommene Gallerte bildete. 

Beim Erhitzen erleidet der Zoisit stets einen Gewichts- 
verlust. Derselbe tritt schon bei mälsigem Rothglühen über 
der Lampe ein, und liefse sich wahrseheinlich durch längere 
Dauer der Operation auf diese Art bis zur vollständigen Aus- 
treibung aller Hlüchtigen Stoffe bringen; schneller gelangt man 
freilich zum Ziel, wenn man das Mineral einige Minuten der 
Wirkung eines Gasgebläses aussetzt. Die kleinen Bruchstücke, 
welche zu diesen Versuchen dienten, hatten dann stets ihre 


‘) Haidinger Ber. ü. d. Mitth. v. Fr, d. Naturw. 3, 114. 


610 Gesammitsitzung 


Durchscheinenheit verloren; sie waren opak, rissig, öfter bräun- 
lich gefärbt, doch fand nie, selbst bei Anwendung von pul- 
vrigem Material, ein wirkliches Sintern oder gar Schmelzen 
statt. 

Der Gewichtsverlust, welchen der Zoisit auf diese Weise 
erleidet, beträgt 2—3% pC. Je frischer durchscheinender und 
härter er ist, um so geringer ist dieser Verlust. Diejenigen 
Abänderungen, bei denen er 3 pC. übersteigt, z. B. aus der 
Fusch und dem Meiggerthal, zeigen schon durch ihre äulsere 
Beschaffenheit auf einen nicht mehr ganz frisehen Zustand der 
Masse hin, denn sie sind weicher, minder durchscheinend, und 
es lösen sich von der Spaltungslläche sehr dünne glimmerähn- 
liche Blättchen ab. 

Bei den Versuchen, die Natur der flüchtigen Stoffe zu er- 
mitteln, wurde das grobgepulverte Mineral auf einem Platin- 
blech in eine etwa 2’ lange Platinröhre gebracht, und konnte 
darin über einer Gaslampe, wie sie zur Elementaranalyse dient, 
hinreichend stark erhitzt werden. Es wurde trockne kohlen- 
säurefreie atmosphärisehe Luft darüber geleitet, welche dann 
eine Chlorcalciumröhre und Barytwasser passirte. Es ent- 
wickelte sich neutral reagirendes Wasser und ein wenig Koh- 
lensäure, wiewohl ich nicht ganz so viel derselben erhielt, 
als dem Gewichtsverlust des Minerals entsprach. 

Die Quantität des Wassers, auch wenn der volle Verlust 
als solches genommen wird, ist allerdings so grols, dals es als 
Hydratwasser betrachtet werden könnte. Allein seine Menge 
ist in den einzelnen Abänderungen nicht gleich, und rührt 
sammt der begleitenden Spur Kohlensäure offenbar von dem 
Angriff atmosphärischer Gewässer auf das Mineral her, dem 
auch die frischeren Varietäten ausgesetzt waren. Ich glaube 
daher, dafs der Zoisit gleich dem Epidot ursprünglich wasser- 
frei ist. 

Im Folgenden ist a die Analyse mit kohlensaurem Natron; 
6 dieselbe auf wasserfreie Substanz berechnet; c die Analyse 
des geglühten Minerals mit Chlorwasserstoffsäure, d das Mit- 
tel von 5 und c. 


vom 44. Dezember 1856. 611 


I. Zoisit von der Saualpe. 
Spec. Gew. = 3,353. 
Die Begleiter waren Quarz und Granat. 


a. b. e. d. 
Kieselsäure 40,08 41,15 41,87 41,51 
Thonerde 28,70 29,47 28,32 28,90 
Eisenoxyd 3,50 3,60 4,37 3,98 
Kalkerde 24,27 24,92 24,64 24,78 
Talkerde 0,84 0,86 0,30 0,58 
Glühverlust 2,09 100. 99,50 99,75 
99,48 


Es ist bemerkenswerth, dals von den Früheren Thom- 
son allein die Menge der Kieselsäure und des Kalks richtig 


2 gefunden hat. 


I. Zoisit vom Fichtelgebirge (Gefrees). 
Spec. Gew. = 3,361. 
Ein bekanntes Vorkommen. 


a. b c.!) d. 
Kieselsäure 40,21 41,07 41,30 41,18 
Thonerde 29,00 29,62 31,19 30,40 
Eisenoxyd 2,51 2,56 3,10 2,83 
Kalkerde 24,31 24,82 24,93 24,87 
Talkerde 0,26 0,27 0,23 0,25 
Glühverlust 2,08 98,34 100,75 99,53 
' 98,37 


II. Zoisit von Goshen, Massachusets. 
Spec. Gew. = 3,341; nach dem Glühen = 2,726. 
Gleicht dem vorigen ganz und gar. 


a. b. c. d. 
Kieselsäure 40,00 40,92 41,04 40,98 
Thonerde 30,16 30,86 31,91 31,38 
Eisenoxyd 2,05 2,10 2,92 2,51 
Kalkerde 23,94 24,08 24,85 24,46 
Talkerde 0,82 0,84 0,15 0,50 
Glühverlust 2,25 98,80 100,837°_ 99,83 
98,82 


‘) Mittel von zwei Analysen. 


612 Gesammtsitzung 


IV. Zoisit von Sterzing, Tyrol. 
Spec. Gew. = 3,352. 
Glühverlust = 2,04 pC. 


Ich habe diese Abänderung nur im geglühten Zustande 
untersucht. 


Kieselsäure 40,82 
Thonerde 30,97 
Eisenoxyd 2,11 
Kalkerde 24,65 
Talkerde 0,24 

98,79 


V. Zoisit aus dem Fuschthal, Pinzgau. 
Spec. Gew. — 3,251. 


Dünnstänglige Massen, in Quarz eingewachsen, gelblich- 
grau, sehr zerbrechlich, weicher als die früheren, hie und da, 
besonders auf den Spaltungsflächen, mit silberweilsen glimmer- 
ähnlichen Schuppen bedeckt. 


a. b. c. d. 
Kieselsäure 41,44 43,02 44,02 43,52 
Thonerde 27,15 28,19 28,19 
Eisenoxyd 2,94 3.05} ur 3,05 
Kalkerde 22,81 23,68 23,51 23,60 
Talkerde 1,23 1,28 1,24 1,26 
Glühverlust 3,67 99,22 99,63 99,62 
99,24 


VI Zoisit vom Meiggerthal (Saasthal) am Monte 
Rosa. 
Spec. Gew. = 3,280. 


Diese Abänderung zeichnet sich durch eine schön grüne 
Farbe aus, welche an den Amazonenstein erinnert. Die stäng- 
ligen Aggregate sind mit (Juarz verwachsen, lassen sich leicht 
zerbrechen, und sind an manchen Stellen mit grünen Glimmer 
oder Chlorit ähnlichen Blättchen überzogen. 


vom 11. Dezember 1856. 613 


a. b. ®. d. 
Kieselsäure 41,80 43,17 44,32 43,74 
Thonerde 28,62 29,46 29,00 29,23 
Eisenoxyd 2,82 2,90 3,45 3,18 
Kalkerde 21,34 22,04 22,58 22,31 


Talkerde 0,66 0,68 0,54 0,59 
Kali _ _ 0,93 0,93 
Glühverlust 3,18 98,25 100,82 99,98 
98,42 
Sauerstoffgehalt in d: 
I. I. II. IV. ey VI 


Si 21,55 - 21,38 721,977 ua 125 ri 
Al 1349 14,19 14,65 14,46 1316 13,66 
Fe 41,19 0,85 0,75 0,63 0,91 0,95 
Ca 7,08 7,10 6,99 7,04 6,74 6,37 
Mg 0,23 0,10 0,20 0,10 0,50 0,39 
Es ist demnach das Verhältnifs des Sauerstoffs: 
ET REH 


L 7,31 :14,68 :21,55 = 1: 2,00 :2,95 
I. 7,20: 15,04 : 21,38 = 1: 2,09: 2,97 
II. 7,19:15,40:21,27 = 1: 2,14: 2,96 
Iv. 7,14:15,09: 21,19 = 1: 2,11 :2,97 
v. 7,24 :14,07:22,59 = 1:1,94:3,12 


VI. 6,76:14,60:22,71 = 1 :2,16 : 3,36 
Es kann hiernach nicht länger zweifelhaft sein, dafs das 
Sauerstoffverhältnifs =1:2:3, der Zoisit mithin dem 
Epidot gleich zusammengesetzt sei, 


Da nun auch beim Mejonit dasselbe Sauerstoffverhältnils 
obwaltet, so wäre die Verbindung 


di- oder trimorph. 

Die vorstehenden Untersuchungen geben mir Anlafs, einige 
Bemerkungen über die Zusammensetzung des Epidots zu ma- 
chen, welche in neuerer Zeit Gegenstand der Arbeiten von 
Hermann, Stockar-Escher, Scheerer, von mir u. A. 
gewesen ist. Die Anzahl der vorhandenen Analysen ist mithin 


614 Gesammtsitzung 


grols genug, um ein sicheres Urtheil über die chemische Zu- 
sammensetzung des Minerals zu gestatten. 

Dem Zoisit qualitativ gleich, unterscheidet sich der Epidot 
vornämlich durch einen grölseren Eisengehalt, welcher als Oxyd 
von 9— 16 pC. steigt, womit eine Abnahme der Thonerde (bis 
20 pC.) verbunden ist. 

Schon aus den älteren Analysen wurde klar, dals das Ver- 
hältnifs des Sauerstoffs der Kalkerde, der Thonerde (und des 
Eisenoxyds) und der Kieselsäure =1:2:3 sei, dals der E, 
mithin aus Drittelsilikaten bestehe. 

Ich habe die zuverlässigen Analysen von Epidot berechnet, 
welche wir jetzt besitzen. Sie betreffen den E. von Arendal, 
Bourg d’Oisans, Traversella, vom Haslithal, Sustenhorn, Magis, 
Kaverdiras, St. Gotthardt, so wie die russischen Vorkommen 
von Achmatowsk, der Schumnaja, Burowa und Werchneiwinsk, 
und erreichen die Anzahl von 28. Wird der Sauerstoff des 
Kalks (wozu bisweilen ein wenig Talkerde, selbst Alkali, kommt) 
= 1 gesetzt, so ist der Sauerstoff von Thonerde und Eisen- 
oxyd, 1,8— 2,6 als Extreme; in 4 Analysen ist er genau = 2, 
in 20 steigt er höchstens auf 2,3. Der Sauerstoff der Kiesel- 
säure liegt zwischen 2,7 und 3,1, beträgt in 8 Fällen genau 3, 
bleibt aber in der Mehrzahl etwas darunter; das Mittel sämmt- 
licher Analysen ist die Proporlion 1 : 2,2: 2,9, wofür als nächst 
einfache 1:2:3 genommen werden muls, die alte Formel des 
Epidots mithin sich bestätigt. 

Während nun im Zoisit der Eisengehalt so gering ist (als 
Oxyd 2— 3% pC.), dafs auf 1 At. Eisenoxyd 12 — 24 At. Thon- 
erde kommen, ist dies Verhältnils beim 

E. von Lole (Magis) = 1:6 

vom Sustenhorn, St. Gotthardt, Kaverdirass = 1:5 

von Guttannen (Haslithal) = 1: 4 

von Arendal, Traversella, Bourg d’Oisans, Achmatowsk, 

Werchneiswinsk und der Schumnaja = 1:2 

von Burowa = 1: 1%. 

Es ist bemerkenswertb, dals der Sauerstoff der Sesquioxyde 
in der grolsen Mehrzahl der Analysen immer etwas mehr als 
das Doppelte von dem der Monoxyde (im Mittel 2,2) beträgt. 
Der Grund davon kann in einem Gehalt an Eisenoxydul 


—— We 


EN ELTERN EN Pan an in ne 


vom 11. Dezember 1856. 615 


liegen. Auch hat Hermann dasselbe in allen Epidoten ge- 
funden, und zwar in Mengen von 2—5% pC. 

Gewils ist es sehr schwer, wo nicht unmöglich, in der- 
artigen Verbindungen beide Oxyde des Eisens genau zu be- 
stimmen, und die Methode Hermann’s bürgt durchaus nicht 
für die Richtigkeit der Resultate. Zwei Epidotvarietäten von 
Arendal gaben ihm 1,86 und 5,2 pC. Eisenoxydul; eine von 
Bourg d’Oisans 5,55 pC. Nun habe ich beide Epidote bereits 
vor längerer Zeit auf Eisenoxydul geprüft, und dasselbe that 
Stockar-Escher in Betreff der schweizer Varietäten. Wir 
fanden jedoch kein oder nur Spuren von Eisenoxydul. Ganz 
kürzlich ist es mir indessen gelungen, durch volumetrische An- 
wendung von übermangansaurem Kali in dem E. von Arendal 
und dem von Guttannen im Haslithal 1,65 — 1,95 pC. Eisen- 
oxydul zu bestimmen, obwohl ich glaube, dals diese Angabe 
zu hoch sei. 

Wie wenig Einfluls jedoch das Eisenoxydul auf die ein- 
fache Sauerstoffproportion 1:2:3 hat, ergiebt eine Berech- 
nung der Epidote, bei welchen jenes Oxyd bestimmt worden 
ist. Man erhält nämlich dann das Verbältnifs = 1,1 : 2,1 : 3. 

Scheerer berechnet aus seinen eigenen und Stockar- 
Escher’s Analysen das mittlere Verhältnis = 1:2,:3 = 
4:9:12, und verwirft mithin die bisherige und von mir ver- 
theidigte Formel des Epidots. Diese Zahlen drücken aber auch 
das oben angeführte Mittel aller Analysen aus, da 1:2,2:2,9 
= 103 : 228 : 300, statt dessen Scheerer 100 : 225 : 300 setzt. 
Scheerer hat sich also genau an die Resultate der Analysen 
gehalten. 

Es ist nothwendig, bei dieser Gelegenheit darauf aufmerk- 
sam zu machen, dals in den letzten Jahren mehrfach die ana- 
Iytischen Resultate von Mineralien nach anderen Grundsätzen 
als den bisher befolgten, gedeutet zu werden pflegen. 

Berzelius hatte gelehrt, dafs das Resultat der Analyse 
einfachen Äquivalentverhältnissen entsprechen müsse, und 
dafs, da die Schärfe der Methoden, die Reinheit und Frische 
des Materials bei Mineralien immer nur eine Annäherung ge- 
statten, das nächste einfache Verhältnils zu wählen sei. 


616 Gesammtsitzung 


Diesem Prinzip entgegen findet man jetzt nicht selten die 
Neigung, ein complieirteres Verhältnils zu wählen, wenn das- 
selbe sich dem empirischen Resultat besser anpalst, Dadurch 
treten neue Formeln an die Stelle der einfacheren älteren, und 
das Gebiet der natürlichen Silikate wird zum Schauplatz einer 
Unzahl solcher Versuche. 

Bei der höchsten Achtung vor dem Werth der That» 
sachen wird man doch nicht umhin können, die Umstände zu 
berücksichtigen, welche die Analyse der natürlichen Silikate 
schwierig machen, und bei der Deutung des Resultats wohl 
erwogen werden müssen. Hält man sich streng an dieses, auch 
wenn es minder einfach ausfällt, so vindicirt man der Analyse 
und ihren Operationen eine sehr grolse Schärfe, insbesondere 
aber betrachtet man die Substanz als rein und ursprüng- 
lich. Das Urtheil über jene steht nur dem Analytiker zu; 
eigene Erfahrung hat mich allerdings gelehrt, das Vertrauen 
auf diesen Punkt nicht allzuboch in Anschlag zu bringen. Was 
aber die Reinheit und Ursprünglichkeit betrifft, in welcher Si- 
likate vorkommen, so haben gerade die neueren Arbeiten auf 
diesem Felde gelehrt, wie selten sie anzutreffen seien. 

Der Zoisit und der Epidot enthalten einige Procent Was- 
ser. Sind sie ursprünglich Hydrate, oder ist das Wasser erst 
später hinzugekommen, ist die Hydratbildung mit einer che- 
mischen Veränderung des Minerals verknüpft? Schon vor län- 
gerer Zeit theilte ich mit, dafs der E. von Arendal beim Glü- 
hen 2 pC. verliert. Scheerer und Stocker-Escher be- 
stimmten das Wasser neuerlich, und fanden es in allen Epi- 
doten 2— 2,4 pC. betragend. Auch die Zoisite verlieren, wie 
ich gefunden und oben mitgetheilt habe, 2— 3% pC. Wasser 
beim Glühen '), und zwar am meisten diejenigen, welehe durch 
ihr Ansehen schon auf eine anfangende Zersetzung schlielsen 
lassen, deren spec. Gew. etwas unter dem der übrigen liegt, 
und welche das Minimum von Kalk, das Maximum von Talk- 
erde enthalten. Der E. ist oft mit Kalkspath verwachsen, des- 
sen Bildung von einem Angriff kohlensaurer Wässer auf Epi- 

!) Schon Bucholz giebt für den Z. vom Fichtelgebirge 2 pC. Glüh- 


verlust an. 


f 


; 


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“ 


0 EEEEENEEERSEUSERSESE EEE 


vom 11. Dezember 1856. 617 


dot und andere primitive kalkhaltige Silikate herrühren kann, 
Wird es nun befremden können, dals die Mittelzahl der Epidot- 
Analysen für den Kalk und auch für die Kieselsäure kleinere 
Werthe giebt, als dem Sauerstoffverhältnifs 1:2:3 gemäls 
ist? Dals das Mineral einen Schritt zur Hydratbildung ge- 


than hat? 


Der Fortschritt der Wissenschaft, die Vermehrung der 
empirischen Hülfsmittel, zur Kenntnils der inneren und äufseren 
Natur der Körper zu gelangen, rufen neue Richtungen her- 
vor, in denen die Forschung sich bewegt. So ist es jetzt in 
der Mineralogie der Fall. Möchten doch aber Alle sich daran 


; erinnern, dals allein die Fakta bleibenden Werth besitzen, un- 


sere Hypothesen dagegen um so vergänglicher sind, je weniger 
sie auf einfache Verhältnisse Rücksicht nehmen. 


Hr. Lichtenstein legte der Akademie eine Abhandlung 
über die Hirscharten des gemälsigten Nord- Amerika, welche 
unter den Namen Cerous mezicanus und C. virginianus unter- 
schieden zu werden pflegen, vor, und zeigte aus einer Reihe 
von Übergangsbildungen, dafs diese vermeintlichen beiden Ar- 
ten, wie schon von Vielen vermuthet worden, nur zu einer 
und derselben in ihrem Vaterland vom 25sten bis 50sten Breile- 
grade verbreiteten 'Thier-Art gehören. Dagegen berichtete er 
von einer zwar nahe verwandten, aber wesentlich verschiedenen 
dritten Art, die nur in dem äufsersten Westen des Gebiets 
der vereinigten Staaten unter dem Namen ihe blak-tailed deer 
bekannt ist, und deren schon Warden, Lewis und Glarke vor 
vielen Jahren unter diesem Namen erwähnt haben. Es sind erst 
seit den letzten Jahren so viele Exemplare derselben nach Europa 
gebracht worden, dals eine genaue und vollständige Verglei- 
ehung mit jenen hat angestellt werden können. Diese ergiebt 
aber vollkommen überzeugend eine Reihe von Unterschieden, 
nach welchen diese Art, wie dies schon Audubon und Bach- 
man, jedoch weniger vollständig, zu erweisen versucht haben, 
als eine eigne Art, unter dem von diesen Autoren ihr beige- 
legten Namen Cervus Richardsonii, in die Verzeichnisse der 
Hirscharten aufzunehmen ist. 


618 Gesammtsitzung 


Hr. Ritter theilte aus Briefen über die Reise der 
Gebrüder Herrmann und Robert Schlagintweit von 
Leh in Ladak nach Ost-Turkistan und Khotan, bis 
Buschia in der Nähe von Elshi (im Juli, August und er 
tember 1856) Folgendes mit. 

In Folge einer Zuschrift Hrn. A. von Humboldts habe 
ich der K. Akademie die Ankunft eines Briefes von Robert 
Schlagintweit an denselben, datirt zu Leh in Ladak vom 
26. September 1856, anzuzeigen, welcher die wichtige Nach- 
richt enthält, dafs es den Gebrüdern Herrmann und Robert 
gelungen ist von Leh am 24. Juli aus Tübet, auf einem be- 
sonders für ihre Beobachtung interessanten noch unbesuchten 
Wege über den Karakorum-Pals, durch das Gebirge des Küen- 
lün gegen NO. in das östliche Turkistan bis in die Nähe 
von Elshi (Ili tschi der Chinesen), der Hauptstadt Khotans, ver- 
kleidet und unerkannt, vorzudringen, und glücklich nach Leh 
über den Sassar-Pals 16420’ Par. (17500’ engl.) des Karako- 
rum, von dem sie schon auf dem Hinwege dessen Gipfel, den 
Sassarberg, bis 18765’ Par. (20000’ engl.) erstiegen hatten, 
zurückzukehren. Zu der Möglichkeit, was früher keinem euro- 
päischen Reisenden der letzten Jahrhunderte (der Jesuiten- 
Pater Benedict Goes war der letzte dem von Yarkand ein 
Seitenausflug nach Khotan gelang, 1606; Dr. Thomas Thom- 
son im Jahre 1847 von Leh ausgehend, mulste am Karakorum- 
Pafs wieder umkehren) gelungen war, die Gränze von Ladak 
nach Turkistan zu überschreiten, irugen wesentlich die geheim- 
gehaltenen Vorbereitungen zu dieser Unternehmung bei. Über 
diese Reise-Expedition ist Sr. Majestät dem Könige ein näherer 
Bericht und die Zusammenstellung einiger gewonnenen Re- 
sultate derselben beigefügt, welche viele Höhenmessungen, Be- 
merkungen über Plateaubildungen, über eine Gruppe von mehr 
als 50 heifsen kohlensauren und kochsalzhaltigen Quellen mit 
25 bis 29° Cels. auf einer absoluten Höhe von 13386’ Par. 
(14800 engl.), und vieles andere enthalten, so wie die An- 
gaben der Wegerouten, die bis zum Thale von Buschia und 
dem dortigen Orte gleichen Namens in Ost- Turkistan reichen, 
von welchem die Hauptstadt Elshi nur noch zwei Tagemärsche 
entfernt liegt, aber nicht erreicht werden konnte, da chinesische 


u u u Ze 


vom 11. Dezember 1856. 619 


Soldaten und Wachtposten sich in der Nähe befanden. Bu- 
schia liegt nur noch 8631 F. Par. (9200’ engl.) über M.; es 
scheint die tiefste gemessene Einsenkung des Centralplateaus 
an dieser Stelle zu sein, von der die Reisenden sagen, dafs die 
Umgebung von Buschia schon nicht mehr den Hochalpen- 
Charakter trage wie das zuvor durchzogene Gebiet, und dafs 
die Berge in der Nähe von Buschia nicht mehr bis zu 10321’ 
Par. (11000’ engl.) aufsteigen. In den Bewohnern des Buschia- 
Thales fanden sie ein wohlwollendes halbnomadisches Tataren- 
volk in Steinhöhlen sich ihre Häuser einrichtend, die aber ge- 
wöhnlich unter Zelten leben, aber auch im Winter hier blei- 
ben und sehr fern von Wildheit ungemein ceremoniell, aber 
hülfreich waren. Am 29. August brach man zum Rückmarsch 
auf, zu welchem Hrn. von Humboldts Karte der Gebirgs- 
ketten Centralasiens (1843) ein guter Führer war, auf welcher 
auch die Lage von Khotan, jetzt Elschi, richtig eingetragen 
ist, da Khotan der Name der Provinz mit dem der Hauptstadt 
zuweilen identificirt wird. Buschia liegt 1% Tagereisen vom 
nördlichen Fulse des Kuenlun entfernt. Auf dem Rückwege 
an den drei Tage langen Marsche am Ufer des Karakasch, der 
von Sumgal nach West bis Suget flielst, und dann nach Nord 
umbiegt, traf man die ausgedehnten Steinbrüche von Yaschem, 
die aus weiter Ferne besucht werden und konnte von diesem 
in ganz Centralasien sehr geschätzten Steine (Ju, der Chinesen) 
eine grolse Quantität zur späteren Analyse mitnehmen. Suget, 
ein Halteplatz an der Winterstralse nach Yarkand, ist 6 (Ka- 
rawanen-) Tagereisen fern vom Karakorum-Passe gelegen. Von’ 
Suget bis Karakasch, einer andern Stadt Khotans, beträgt die 
Entfernung noch 6 Tagereisen. 

Die Reisenden beabsichtigten demnächst Leh zu verlassen, 
und dem dritten Bruder, Adolph, der über Iskardo in Baltistan, 
auf dem möglichst westlichsten Wege nach Caschmir voraus- 
gegangen war, aber auf verschiedenen Wegen, eben dahin zu 
folgen, und dort mit ihm sich zu vereinigen. 


[1856.] 47 


620 Gesammtsitzung vom 11. Dezember 1856. 


Hr. Pertz trug den Wunsch des Hrn. Dr. Pauli, jetzt 
in München, vor, dafs ihm gestattet werde, seine für die Aka- 
demie angefertigten Auszüge aus dem Rechnungsbuche des engli- 
schen Königs Eduard III. über seine Reise nach Ceblenz und seine 
Beziehungen zu dem deutschen Kaiser Ludwig IV. in den auf 
Anordnung Sr. Maj. des Königs Max II. von Baiern erschei- 
nenden ‚‚Quellen und Erörterungen zur baierschen und deut- 
schen Geschichte” mittheilen zu dürfen. Die Akademie ge- 
währte diesen Wunsch bereitwillig. 


Unter dem 5. d. M. benachrichtigt der vorgeordnete Hr. 
Minister Excellenz die Akademie, dals Se. Majestät der König 
mittelst Allerhöchsten Erlasses vom 19. v. M. die Wahl des 
Prof. Dr. Weierstra[s hierselbst zum ordentlichen Mitgliede 
der Akademie zu bestätigen geruht haben. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 
Comptes rendus des seances de l’Academie des sciences. Tome 43, 
no. 13—18. Paris 1856. 4. 
Nova Acta regiae societalis scientiarum Upsaliensis. Seriei III. Vol. II. 
pars prior. Upsaliae 1856. 4. 
Archiv für Schweizerische Geschichte. Band 11. Zürich 1856. 8. 
Cassel, Eddische Studien. I. Fiölvinnsmal. Weimar 1856, 8. 
Annales de chimie et de physique. Tome 48, Decembre. Paris 1856. 8. 
Gomez de Villaboa, Teoria del credito y su aplicacion. Bruselas 
1856. 8. 
Nachrichten von der Universität Göttingen. no. 17. Göttingen 1856. 8. 
Georg Rathgeber, Archäologische Schriften. (Fortsetzung) Weimar 
4856. folio. Mit einem Schreiben des Hrn. Verf. d. d. Gotha 
6. Dezember 1856. 
Jahresbericht no. 33. der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kul- 
tur für 1855. Breslau 1856. 8. 
Annales des mines, Tome VIII, Livr. 6. Paris 1856, 8. Mit Ministe- 
rialrescript vom 9. Dez. 1856. 


1 A nz N > cr ZU 


Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 15. Dezember 1856. 621 


15. Dezbr. Sitzung der philosophisch-histo- 
rischen Klasse. 


Hr. Kiepert las über die geographische Anord- 
nung der Namen arischer Landschaften im ersten 
Fargard des Vendidad. 

Unter dem überwiegend dogmatischen und liturgischen 
Inhalte der bei den Bekennern der Zoroasterlehre als heilige 
Schriften erhaltenen geringen Bruchstücke altiranischer Litte- 
ratur finden sich nur sehr vereinzelt Erwähnungen von That- 
sachen oder auch blos Namen, welche in das Bereich der Geo- 
graphie fallen: in grölserer Anzahl und planmälsig geordnet 
nur an einer, aber um so bedeutsamerer Stelle, in dem Ab- 
schnitte, mit welchem in der uns erhaltenen Redaction das 
eigentliche Gesetzbuch, der Vendidad, anhebt. Dieses, nach 
Haug’s sehr wahrscheinlicher Vermuthung, aus einem noch 
älteren Werke etwa einer iranischen Urgeschichte in den 
Avesta aufgenommene Stück hat zum Gegenstand die schöpfe- 
rische 'Thätigkeit der, nach zarathustrischer Lehre zweifachen 
Gottheit, des Ahuramazda und des Anrömainyus, ausgeübt 
nicht sowohl an der Hervorbringung der Erde im ganzen, als 
an dem auf derselben dem arischen Volke insbesondere als 
Wohnsitz verliehenen Raume, der mit sechzehn namentlich 
aufgeführten, zum Theil durch eigenthümliche Prädicate näher 
bezeichneten Ländern bestimmter umschrieben wird. Mit Recht 
hat man, seit dem Bekanntwerden mit dem Ayesta, grolses 
Gewicht gelegt auf die also durch einheimische Überlieferung 
bezeichneten Grenzen der ältesten historischer Zeit angehöri- 
gen Wohnsitze des Ariervolkes vor seiner Spaltung und Ver- 
breitung über Indien und Westasien, im Hinblick auf die der- 
selben Urheimath angehörigen gemeinsamen Ursprünge der gan- 
zen Völkerfamilie, welche wir unter dem Namen der indoeuro- 
päischen zusammenzufassen gelernt haben. Ein höheres, uni- 
versalhistorisches Interesse gewinnt so die Ermittelung des wirkli- 
chen Erdraumes, welchen jene Länderaufzählung erfüllt, durch 
Auffindung der den einzelnen Namen entsprechenden geogra- 
phischen Gebiete. Die Schwierigkeit dieser Ermittelung lag 
aber darin, dals das Verzeichnils des Vendidad neben allgemein 

47* 


622 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


bekannten Ländernamen, — wie Cug’da, Möuru, Bäkd'i, 
Vehrkäna, Haraöva, Haetumat, Haragaiti, Hendu,') 
sämmtlich geographisch dem Osten Iruns angehörig, — auch 
eine kleinere Zahl sonst völlig unerhörter Namen, wie Fa£- 
kereta, Duzaka, Urvä, K'ne'nta, K'akra, Varena ent- 
hält. Für die Deutung derselben war nichts zu gewinnen aus 
der einheimischen, in der Huzüres’- Übersetzung der Zendtexte 
und in neueren Commentaren vorliegenden Überlieferung, wel- 
che ihre bereits aus der Säsänidenzeit stammende Verfälschung 
schon in der Übertragung der Ursage und des Ausganges der 
Zoroasterlehre nach dem westlichen Medien deutlich erweist, 
in der Deutung der übrigen dunkeln Namen aber offenbar nur 
ihre gänzliche Unkunde verräth. Die Versuche der noch unter 
dem Einflusse dieser Autorität stehenden früheren Erklärer, 
eines Anquetil, Kleuker, Heeren, Rhode u. a. haben daher auch 
keinen Anspruch auf weitere Berücksichtigung.”) — Gehen 


t) Indem sie auch gerade nur diese Namen enthalten, gewähren die 
Dareios-Inschriften kein weiteresLicht für unsern Gegenstand, wie sie 
denn überhaupt nur die gröfseren Reichsländer, die selbständige Statthalter- 
schaften bildeten, aufzuzählen; nämlich im ganzen Osten des Reiches nur 
40 Namen, von denen nur 5: Sugda, Baktari, Haraiva, Hara- 
uvati, Hi“du mit den oben genannten Namen des Vendidad übereinstim- 
men, während die 5 übrigen: Qarazmiya, Part'uva, Zara'ka, T‘a- 
tagu, Ga“dara vielleicht zum Theil (? art'uva ganz sicher) spätere 
in historischer Zeit eingedrungene Namen für einzelne der anderen Land- 
schaften des Vendidad-Verzeichnisses sein mögen. Jedenfalls geht dieses 
mehr ins specielle, als die Inschrifren, wie aus dem Umstande erhellt, dafs 
die im Vendidad den grölseren Ländern Baktrien, Sogdien u. s. w. coordi- 
nirten Landschaften Möuru, (altpers. Margu) und Nigäya in den Da- 
reios-Inschriften zwar nicht in der Aufzählung der Provinzen, wohl aber in 
dem Berichte über Dareios erste Regierungsjahre, der den grölsten Theil der 
Inschrift von Bagistan bildet, zufällig vorkommend, als Unterabthei- 
lungen von Baktrien (wenn auch mit demselben Prädikat, welches den 
grölseren Provinzen gegeben wird, dahyu = Land) erwähnt werden. 

%?) Auch der neueste englische Autor über Parsismus, Wilson (Parsi 
Religion, I. p. 294), versucht keine eigne Erklärung, sondern begnügt sich 
die neue parsische Tradition wiederzugeben. Der Vergleichung halber stelle 
ich die traditionellen Deutungen, nebst den abweichenden eigenen Hypo- 
thesen Anquetil’s mit den nach A's. System umschriebenen Ländernamen 


4 
+ 
r 
x 
E 
4 


vom 15. Dezember 1856. 623 


wir zu den neueren Gelehrten über, denen das Studium des 
Zend seine wissenschaftliche Begründung und weitere Ausbil- 
dung verdankt, so hat E. Burnouf bei gelegentlicher Behand- 
lung der betreffenden Stellen des Vendidad in seinem Com- 
mentare zum Yagna sich begnügt, die richtige Lesart der Na- 
men herzustellen, und im Zusammenhang damit einzelne geo- 
graphische Punkte zu beleuchten, ohne die Deutung der schwie- 
rigeren «r«E Aeyousve zu versuchen; auch Fr. Spiegel hat 
in den Anmerkungen zu seiner Übersetzung des Vendidad nur 
die Erklärungen früherer wiederholt, ohne eigne Urtheile zu 
geben. Nur Hr. Lalsen hat unser Länderverzeichnils, in An- 
erkennung seiner Wichtigkeit für allgemein-arische Ursprünge, 
schärfer angesehen, von seiner Untersuchung aber nur die Re- 
sultate kurz mitgetheilt'), in denen sich allerdings ein erheb- 
licher Schritt vorwärts zu einer befriedigenderen Erklärung 
zeigt, der jedoch nicht bis zum Ziele verfolgt ist. Es ist diefs 
die Anerkennung einer bestimmten Anordnung der Länder- 
namen in unserm Verzeichnisse nach gewissen symmetrischen 
Reihen: nur wollen diese Reihen, wie sie Hr. Lalsen dar- 
stellt, zu den wirklichen Ortslagen, wie sie die Betrachtung 
zusammen. 1. Eeriene-veedjo = Aran, d. i. persisch Armenien, 
2. Gueovae-Soghdo = Soghd (Anquetil ist geneigt, damit ein von den 
Alten genanntes Sogdia bei Arbela zu vergleichen). 3. Moore = Merw 
(oder Maragha in Azerbeigan, Anq.). 4. Bakhdi= Balkh oder Bokhara, 
andere setzen dafür das Gebirgsland der Bakhtiyari zwischen Medien, Su- 
siana und Persis. 5. Nesae = Nisapur. 6. Haroiu = Herat (Angq,) 
aber von den Parsen im syrischen Haleb oder in Arüm (v'"s), das man für 
Aram, Syrien, aber auch für Rom erklärt hat, gesucht. 7. Veekereante 
= Kabul. 8. Oruan= Lahor. 9. Khneante = Gurgan (oder Kanda- 
har, Ang.). 10- Zerekheti= Arokhag‘, welches nur die mittelalterliche 
Form dieses Namen (Arachotos der Alten) ist; andere setzen dafür nahe 
gleichbedeutend den Landesnamen Segistan (Seistan). 11. Heetomeante 
=Hindmend (Hilmend, Hirmend). 12. Raghan =Rei (Ragae im nörd- 
lichen Medien). 13. Tcehekhre = Tcharkh in Khorasan, nach anderer 
parsischer Tradition = China! 14. Verene = Padoschkerger in Kirman 
oder — Taberistan (Anquetil erklärt es für das südliche Medien um Hama- 
dan, Rhode für Persis!). 15. Zapte Heando = Hindustan. 16. Ren- 
gheiao = Khorasan oder = Aruestan welches Ang. für die von Moses 
Chor. unter diesem Namen angeführte assyrische Landschaft nimmt. 
') Indische Alterthumskunde I. p. 526. 


624 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


der Karte ergiebt, nicht wohl passen '). Durch Anwendung 
kartographischer Hülfe, als des sichersten Probirsteins derar- 
tiger geographischer Forschungen, war ich selbst inzwischen 
zu einer, wie mir schien, der Forderung symmetrischer Ord- 
nung mehr entsprechenden Bern gelangt, als ich von dem 
bevorstehenden Erscheinen einer neuen gründlichen Untersu- 
chung dieser schwierigen Frage von Hrn. M. Haug in Bonn 
unterrichtet wurde, und deshalb, in Erwartung einer befriedi- 
genden Erledigung durch einen mehr dazu berufenen Gelehr- 
ten gern davon abstand. In diesen Tagen ist nun Hrn. Haug’s 
neue Übersetzung und Erklärung des ersten Fargards?) er- 
schienen, und veranlalst mich, da ich mich von der Wahr- 
scheinlichkeit der darin aufgestellten neuen geographischen 
Resultate nicht überzeugen kann, die Sache wieder aufzuneh- 
men, um so mehr als der Verfasser selbst unter den Arbeiten 
seiner Vorgänger neben den philologischen auch die Behand- 
lung dieser iranischen Ursage durch C. Ritter?) anerkennend 
hervorhebt und damit auch der Geographie das Recht zu- 
gesteht, in dieser Frage ihre Stimme mit abzugeben. Auch 
Hr. Haug fordert mit Recht in der Erklärung eines Abschnit- 
tes, dessen Charakter als regelmälsige Aufzählung im Text 


’) Nach Lassens Angaben ist, zur Vergleichung mit meinem Erklä- 
rungsversuche, das erste der beigegebenen Kärtchen entworfen, in welchem 
seine, angeblich um das Urland Airyane'm-Vaeg’ö in immer ausgedehnteren 
Kreisstücken, die sich von N. nach $. erstrecken, gruppirten Reihen durch 
rothe Färbung deutlicher hervorgehoben sind. Das Ste Land Urvd ist 
ausgelassen, da L. selbst es geographisch unbestimmt läfst. Ein Blick auf 
die Karte zeigt aber, dals diese Reihen weder für symmetrisch gelten, noch 
überhaupt so entlegene Punkte wie 10. und 11. (welche dazu gerade um- 
gekehrt stehen mülsten) mit 9, oder gar 12. 13, 14 füglich zu einer Reihe 
verbunden werden können. Überdiels würde man, wenn überhaupt sym- 
metrische Anordnung angenommen wird, gleichgliedrige Reihen erwarten, 
nicht wie bei L. bald zu 3 bald zu 4 Gliedern. 

?) In Bunsen’s Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte V. Buch 
I. Abth. p. 104 — 137. 

°) Erdkunde VIII. Asien, Bd. VI. Th. 1. p. 29 —31 und 50 — 69, — 
ein Abschnitt, in welchem damals (1837) natürlich neben Burnoufs herge- 
stellier Schreibart einzelner Namen nur auf die unzuverlässige Anquetil- 
Kleukersche Quelle zurückgegangen werden konnte, 


vom 15. Dezember 1856. 625 


noch besonders durch Beisetzung der Ordinalzahlen hervorge- 
hoben wird, Innehalten einer bestimmten geographischen Rei- 
henfolge von Land zu Land; macht namentlich diese Forde- 
rung für die behauptete Nachbarschaft der Länder 8—11 gel- 
tend, verläist aber dieses Princip sofort wieder durch die 
weiten Sprünge von Osten nach Westen und umgekehrt, die 
seine Änsetzung von 11—42 und 14—15 zu machen gezwun- 
gen ist. Das unregelmälsige der Anordnung erhellt mit 
einem Blick aus dem zweiten der beigefügten Kärtchen, in 
welchem Hrn. H.’s Ansetzungen zu einem Gesammtbilde vereinigt 
‚ erscheinen. ') 

Gehen wir zur Begründung einer geordneteren Folge zu- 
nächst von den ihrer Lage nach hinreichend gesicherten Punk- 
ten aus, so finden wir dieselben, mit Ausschluls des ersten 
Namens, der erst weiterhin besprochen werden kann, ziem- 
lich vereinigt im Anfange des Verzeichnisses: no. 2. 
Gug’d’a, Sogdiane der Griechen, 3. Möuru, Margiane, 4. 
Bäkdi, Baktriane, und 6. Haradova,?) Areia, führen ihre 
durch das ganze Mittelalter mit Ruhm genannten Namen als 
Landschaften oder als Städte in der entsprechenden neuper- 
sischen Form: Sog'd, Merw, Balk, Herät bis auf den 


') Bei Entwerfung desselben war mir, da ich mich nur des Einzel- 
abdrucks der Haugschen Schrift, nicht des erst vor wenigen Tagen ausge- 
_ gebenen Bandes des Bunsenschen Werkes bedienen konnte, das dem letz- 
teren, zu S. 87, beigegebene Kärtchen noch unbekannt; von diesem weicht 
mein Entwurf nur unerheblich ab, indem er sich in der Stellung der Na- 
men Nigäi und Haragaiti und Auslassung von Airyana-vaeg’ö (worin Hr. 
Bunsen vielmehr Lassens Ansetzung folgt) strenger an die in der Haug- 
schen Schrift gegebenen Positionen hält. 

°) So stellt Hr. Oppert durch eine sehr glückliche Vermuthung 
(Nouv. Journ, Asiat. 1851, Vol. XVII. p. 280) nach der altpers. Form Ya - 
raiva dieNominativform her aus der im Zendtext allein (wie mich Hr. Go- 
- sche freundlich belehrt, auch in der zweiten Stelle, wo dieser Name genannt 
wird, in den Fest) vorkommenden Accusativform Haröyüm, in welcher 
die Endsylbe der regelmälsigen Form -ve'm, (nach Analogie von vidaeva, 
acc. vidöyüm) in -öm aufgelöset erscheint. Die von Burnouf als regel- 
mälsig aus haröyüm gefolgerte Nominativform Haröyü, welche auch 
Spiegel und Haug beibehalten, stützt sich allerdings auf die sanskritische 
Analogie des indischen Flulsnamens Saräyu, liegt aber zu weit ab von 
der durch die Dareios-Inschriften gesicherten altpersischen Form. 


626 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


heutigen Tag und sind somit ebensowenig einem Zweifel 
unterworfen, als 10. Haragaiti (Arachosien, Arokag' des 
Mittelalters) und 11. Yadtumat, deren Namen als Landschaf- 
ten geschwunden, jedoch in den dieselben durchströmenden 
Flüssen Argand- ä5 und Hilmend (Arachotos und Etymandros 
der Griechen) bewahrt geblieben sind. Auch der in no. 9 in 
zweiter Reihe stehende Name Yehrkäna') ist gewils mit 
gutem Grund immer in dem bekannten Hyrkanien am kaspi- 
schen Meere (Gurgän der Neuperser) gesucht und in dieser 
Stellung nur von Hrn. Haug angezweifelt worden. Verglei- 
chen wir nun die Stellung dieser festen Punkte auf der Karte 
(Taf. III), so zeigt der erste Blick, dals von 2 nach 3, so 
wie von 4 nach 6 ein Fortschritt nach Westen zu, dagegen 
von 3 nach 4 ein Rückschritt von W. nach O. stattfindet, und 
ein eben solcher findet sich wieder von 9 nach 10, wodurch 
denn 3, 6 und 9 als westliche Enden, 4 und 10 als östliche 
Anfänge von Reihen deutlich bezeichnet werden. Hiernach 
stellen sich wenigstens für die ersten 12 Namen 4 Reihen, jede 
zu 3 Namen, im allgemeinen von O. nach W. fortschreitend klar 
heraus, und jede Erklärung der in ihrer geographischen Stellung 
zweifelhaften Namen wird um so wahrscheinlicher sein, je bes- 
ser sie in dieses System palst. 

Der erste zweifelhafte Punkt ist uns 5 Nicäya?), über 
den sich die früheren Erklärer ja selbst noch Hr. Haug mit 
der parsischen Tradition, die ihn im heutigen N’s’äpür sucht, 


‘) Doppelnamen erscheinen an den Stellen 2. Gdu-Qug'da, 7. 
Vaekereta-Duzaka, 9. K'nenta-Vehrkäna, jedesmal unterein- 
ander verbunden durch das Wort sayane’m welches: Lage, Ort, Wohn- 
ort erklärt wird. Daraus folgert Hr. Haug, dals der erste Name jedesmal 
den eigentlichen Landesnamen enthalte, der zweite eine darin gelegene 
Stadt oder kleinere Landschaft (oder sogar einen Flufs) bezeichne. Aber 
abgesehen von 7, worin beide Namen gleich unbekannt sind, stehen in 2 
und 9 zwei auch sonst als Landesnamen wohl bekannte in zweiter Stelle, 
während die in erster stehenden Gdu und K'ne'nta sonst unerhört sind. 

*) Da die im Texte allein vorkommende Accusativform Niedim als 
Auflösung von Vig äyem auf einen Nom. Nigäya (wie auch das altpersische 
der Inschriften schreibt) zurückgeht, so ist es wohlnicht nöthig, mit Hrn. 
Haug einen Nom. Nigdi anzunehmen. 


an 


ERBE IL 


vom 15. Dezember 1856. 627 


beruhigt haben, da diese Lage auch der von Strabon „zwi- 
schen Hyrkanien und Margiane” angesetzten Landschaft Ni- 
saea am ehesten zu entsprechen schien, obwohl sie mit posi- 
tiven Daten des Vendidad in Widerspruch steht. Allein we- 
nigstens der Schluls aus der Ähnlichkeit der Namen ist nur 
scheinbar und sicher von den Parsen erst in sehr neuer Zeit 
ersonnen; dafs im Mittelalter eine ähnliche Sage über das Ur- 
alterthum der Stadt noch nicht bestand, scheint aus dem Still- 
schweigen der älteren arabischen und persischen Geographen 
und Historiker hervorzugehen, die vielmehr einstimmig die 
Gründung Ni’s’äpür’s auf den Sasaniden König S“apuhr 11. 
zurückführen. Und dafs in der That auch der Name dieses 
Königs und keineswegs ein altes Nisa in dem Stadtnamen ent- 
halten sei, beweist wieder die bisher ganz übersehene Erwäh- 
nung desselben in dem der Säsänidenepoche gleichzeitigen ar- 
menischen Geschichtschreiber Elisaeus'), und zwar in der 
theilweise armenisirten Form Nius’apuh, deren letzter Theil, 
S’apuh, die armenische Form des Namens Sapuhr, der erste 
aber offenbar das neupersische new, d. i. neu wiedergiebt. 
Aber auch das strabonische Nisaea fördert uns dem Ziele 
nicht näher, noch die Iegdavvire morıs, "ErAyves de Nivaav Ae- 
yoyrıw, welche nach dem Stationenverzeichnils des Isidoros von 
Charax ?) ungefähr in dieselbe Gegend gehört; sie beweisen 
ebenso wie die durch ihre Rofsezucht bei den Alten berühmte 
Nisaeische Ebene im westlichen Medien °), wohin noch Nie- 
mand das Nicäya des Vendidad zu versetzen versucht hat, 
weiter nichts als dals dieser Name, seiner allgemeinen- Wort- 
bedeutung „‚Niederlassung” entsprechend, an vielen Stellen zum 
Eigennamen geworden sein konnte: warum nicht auch an einer 
östlicheren als N’säpür? Und eine solche ist in der That 
aus demAlterthume bezeugt, nämlich durch Ptolemäos, dessen 
Nisaea man bisher, lediglich aus Vernachlässigung sorgfältiger 
kartographischer Anwendung seiner Angaben, irrig mit dem 


‘) Elisei Vardapeti Matenagrut'iunk, Venet.1838, p. 122, 155, 158. 

*) Geogr. gr. min. ed. Hudson, Vol. II. p. 8. 

°) Auch in Dareios Inschriften (Bagistan 1.58) Nigaya nama dah- 
yus Madaijp. 


628 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


aus Strabon bereits angeführten hyrkanischen Nisaea gleich ge- 
setzt hat, während die ausdrückliche Angabe des alexandrini- 
schen Geographen es an die Südgrenze Margiana’s, sowie un- 
mittelbar südlich daran grenzend und ohne Zweifel gleichbe- 
deutend den Stamm der Nır«ico: an die Nordgrenze von Areia 
stellt, an die vom Paropamisos westlich sich absenkenden Berg- 
ketten, welche die Grenze von Areia und Margiana, d. i. zwi- 
schen dem Hochlande von Herät und dem Tieflande von Merw 
bilden. In den Hochthälern des obern Murg’äb also, des 
Flusses von Merw oder des Margus der Alten, der mitten zwi- 
schen Oxos und Areios (Heri) einen parallelen Lauf aus den 
Alpen des Paropamisos nordwestlich zu den turanischen Wü- 
stenebenen verfolgt, oberhalb seines Eintritts in die Tiefebene 
Margiana’s haben wir dieses östlichste der vier den Griechen 
bekannt gewordenen Nisaea zu suchen und wohl möglich, 
dafs genauere Erforschung auch die Spur des alten Landesna- 
mens bei der auch unter türkischer (Aimäq- und Hezäreh) 
Herrschaft sich erhaltenden iranischen (Tagik-) Bevölkerung 
dieses Berglandes auffindet. Diese Lage allein aber ist die, 
welche der Aufzählung des Vendidad für Nigäya entspricht, 
nicht allein wegen seiner Stellung in der Folge zwischen 
Bäkdi und Haraeva, sondern auch wegen des ortbezeich- 
nenden Zusatzes, den der Zendtext allerdings auffallend genug 
nur bei diesem einen Namen enthält: Nieäya, welches zwi- 
schen Möuru und Bäkdi. Denn soweit unsre Kenntnils der 
heutigen Örtlichkeit uns belehrt, führt die Stralse von Balkh 
(Baktra) nach Merw keineswegs in grader Linie, wo sie die hier 
am weitesten südlich zwischen die Culturgebiete eindringende 
Salzwüste durchschneiden mülste, sondern mit weitem südli- 
chen Umwege zunächst halbwegs nach Herät, in das obere 
Murg‘äb- Thal, und dann längs diesem Flusse abwärts, so dals 
ein in diesem obern Margusthale gelegenes Niräya richtig 
sowohl als zwischen Bäkd' und Möuru, wie zwischen Bäkd'i 
und Haradva gelegen bezeichnet werden konnte. Jener orts- 
bezeichnende Beisatz des Textes, der offenbar dieses öst- 
lichste Nigä@ya unter den andern gleichnamigen Landschaften 
deutlicher bestimmen soll, darf daher nicht mit Hr. Haug 
(p. 106) als späteres ungeböriges Einschiebsel kurz abgefertigt 


vom 15. Dezember 1856. 629 


werden; — vielmehr weist eben der Umstand, dafs er mit der 
traditionellen Gleichstellung von Nigäya und Nisäpür in 
offenbarem Widerspruch steht, auf seinen alten Ursprung, we- 
nigstens aus einer Zeit da die alten Ortslagen noch wohl be- 
kannt waren hin. Völlig unbegreiflich bleibt freilich, wie 
nicht allein Anquetil sondern sogar Burnouf, eben durch 
die scheinbare Unrichtigkeit jener geographischen Angabe irre 
gemacht, diesem zweifelhaften Niräya in vorgefalster Meinung 
für die Örtlichkeit von Nisdpür vielmehr die sichere vierte 
Position, die auch durch den charakteristischen Beisatz des 
Zendtextes: „mit hohem Banner” deutlich bezeichnete alte 
Reichshauptstadt Baktra aufopfern, d. h. das BäXad'r des Ven- 
didad in einer westlicheren Lage jenseit N’s’äpür suchen 
konnten. ') 

Wenn nun die Lage des öten Landes als gesichert angesehen 
werden darf, so zeigt uns ein Blick auf die im dritten Kärtchen 
zusammengestellten Ortslagen in den bisher ermittelten deut- 
lich den Parallelismus zweier von OÖ. nach W., oder genauer 
parallel dem nordwestlichen Abhange des Paropamisos-Systems, 
von ONO. nach WSW. laufenden Reihen. Die zweite oder 
südlichere (4. 5. 6.), unmittelbar am Fulse jenes Gebirges, ist 
eben deswegen die gedrängtere und kürzere, nur in den obe- 
ren Thälern des Areios, Margos, Oxos ausgebreitet. Ihr ent- 
spricht der Stellung nach in der nördlicheren Reihe nur Mitte 
und westliches Ende 2 Cug’d’a und 3 Möuru, indem der zwi- 
schen diesen beiden seinen Lauf nach NW. fortsetzende Oxos 
in diesen Breiten nicht mehr Culturgebiete, sondern. weite 
Wüstenebenen durchschneidet. Für das noch nicht nachge- 
wiesene erste Land muls also eine diese erste Reihe noch wei- 
ter nach Osten oder Nordosten verlängernde Lage in dem 


!) Beide auch sehr unglücklich in ihren sprachlichen Vergleichungen, denn 
 Bädgis, welches Burnouf als einen dem westlichen K‘orasan angehörigen 
Landschaftnamen, allerdings nicht ohne Andeutung seines Milstrauens, aus- 
findig gemacht hat, ist ein Name ebenso rein neupersischer Bildung, wie 
das von Anquetil angeführte Zalkhän am kaspischen Meere ein rein tür- 
kischer. Zur Vergleichung der Ortslagen sind beide Namen auf dem ersten 
Kärtchen eingetragen. 


630 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Schneegebirge des Belur- Tagh und den alpinen Quellgebieten 
des Oxos und Jaxartes gesucht werden, wie sie die Schilde- 
rung der heiligen Urkunde von dem zweimonatlichen Sommer, 
dem zehnmonatlichen Schnee in Airyanem Vaeg'ö verlangt. 
In der That ist diels seit Rhode’s Vorgang '), der zuerst in 
diesem Punkte die Autorität der parsischen Tradition verliels, 
die allgemein angenommene Ansicht), der ich nur darin nicht 
beistimmen kann, dafs sie in jenen auch heutzutage wie im 
Alterthum von türkischen Hirtenstämmen nur zeitweise be- 
wohnten schneereichen Alpengegenden die wirkliche historische 
Urheimath der arischen Menschheit erblickt, und nicht viel- 


') Die heilige Sage des Zendvolkes p. 85. 

*) Entsprechend ist auch der Name in der dem Bunsenschen Werke 
beigegebenen kleinen Karte gestellt, obwohl in Widerspruch mit Hrn. 
Haugs ebenda p. 110 ausgesprochener Ansicht, die eine „weit über den 
Jaxartes hinaus im tiefsten Norden liegende Gegend” als eigentliches Ur- 
Arierland (Airyane'm-Vaeg'ö) verlangt. Wollte man diefs wörtlich 
verstehen, so würde man ein den klimatischen Bedingungen entsprechendes 
Land bei der vorherrschend ebenen Gestaltung des nordwestlichen Asiens 
erst in den Wüsteneien des nördlichen Sibiriens antreffen, aulserdem aber 
auf diesem Wege, und zwar in unmittelbarer nördlicher Nachbarschaft von 
Sogdiana (Cug‘d’a) ein diesem ähnliches reiches Culturgebiet, das unter 
dem Namen Fergäna im Mittelalter berühmte mittlere Jaxartes- Thal 
durchschneiden müssen, welches bei jener Annahme nothwendig in der 
Stralse der Wanderungen der Arier gelegen, also in der Aufzählung nicht 
hätte dürfen übergangen werden. Die jetzige, unter der Herrschaft des 
uzbekischen (türkischen) Adels von X’ökand ihre persische Sprache und 
Sitte bewahrende ackerbauende und handwerktreibende Tagik-Bevölkerung 
dieses Landes wird daher eben so gut, wie die der Culturgebiete Ost-Tur- 
kistäns jenseit des Belur Tagh, in X'as’g’ar, Jarkand, K'otan u. s. w. 
späterer Einwanderung zuzuschreiben sein, und nicht, wie Hr. Lalsen 
und Hr.Bunsen für die letztere anzunehmen geneigt sind, als sitzen geblie- 
bene Reste einer uralten arischen Einwohnerschaft angesehen werden dür- 
fen. Gegen diese Ansicht spricht auch bestimmt genug das vollkommene 
Stillschweigen der griechischen Berichte, welche die Südhälfte Ferg’änas 
nicht einmal unter eigenem Namen (wie man ihn für ein ursprünglich ari- 
sches von Sog d durch eine Gebirgskette getrenntes Land erwarten sollte) 
sondern nur als ein wenig angebautes zu Sogdiana gerechnetes Grenzgebiet 
des persischen (später des baktrischen) Reiches gegen die jenseit des Jaxartes 
hausenden Skythenvölker kennen. 


vom 15. Dezember 1856. 631 


mehr eine blofse Durchzugsstation auf der grolsen arischen 
Völkerwanderung aus Osten nach Westen. Eine solche, wie 
sie mit allen Schrecknissen ihrer Alpenpässe und ihrer ausge- 
breiteten von den Culturgebieten im Westen aus sichtbaren 
Schneelager, von den Ariern vor ihrer Ankunft in den neuen 
westlichen mit Sogdiana beginnenden Wohnsitzen überwunden 


- werden mulste, konnte leicht mit der in fernes Dunkel zurück- 


getretenen östlichen Urheimath, dem verlorenen Paradiese, der 
ersten Musterschöpfung Ahuramazda’s in eine unbestimmte my- 
thische Vorstellung zusammenflielsen. 

Nach Analogie der nunmehr so weit als möglich in ihrer 
geographischen Lage gesicherten ersten sechs Namen dürfen 
wir für die sechs folgenden, von denen die Hälfte als zweifel- 
haft angesehen werden darf, wiederum die Vertheilung in zwei 


Reihen voraussetzen. In der That zeigt sich ein entsprechen- 
der Abschnitt, wo wir ihn erwarten müssen, zwischen 9 und 10, 
_ indem 10 Haragaiti (Arachosien) und das ihm benachbarte 
41 Hadtumat (das Thalgebiet des heutigen Hilmend, des Ety- 


mandros der Griechen) dem Osten Iräns angehören, während 


9 Vehrkäna, wenigstens nach der bisher als sicher ange- 


nommenen Erklärung, Hyrkanien der Griechen, Gurgän der 
Neuperser an der Südostecke des kaspischen Meeres, ein west- 
liches Grenzland mit dem die dritte Reihe schliefst bezeich- 
net. Diese Beziehung auf den Westen, wodurch 9 und 10 
ihrer geographischen Stellung nach ziemlich weit getrennt 
werden, ist Hrn. Haug unwahrscheinlich vorgekommen, und 


geleitet durch das Bestreben, in der Reihenfolge einen fortlau- 


fenden Faden geographischer Anreihung zu finden, hat er für 
die an 9ter Stelle genannten Namen, eine zu der Lage der 
Länder 7, 10 und 11 besser passende Stelle im Osten Iräns 
zu ermitteln gesucht. Denn wie schon oben erwähnt, haben 
wir hier einen der drei Doppelnamen unserer Quelle; der 9te 
Segensort wird genannt: Ä'nenta dieLage(Wohnung)von 
Vehrkäna. Gegen die Analogie von GäuL.v.Sug'd’a, wo 
gleichfalls der bekannte Landesname die zweite Stelle einnimmt, ist 
Hr. Haug geneigt, das erste Wort K'ne’nta für den Landes- 
namen zu halten, dessen Spur er, allerdings ziemlich entstellt, 
nach Anquetils Vorgange in dem mittelalterlichen und heutigen 


632 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Namen Kandahar zu finden glaubt. Der zweite Namen Yehr- 
käna soll dann eine specielle Localität in diesem Lande K'ne'nta, 
und zwar hier einen Flufs (I. c. p. 128) bezeichnen; eine Vermu- 
thung, welche sich wohl nur auf die Gleichnamigkeit des hyr- 
kanischen Flusses Gurgän-rüd stützt. Dals aber sogar dieser 
angebliche Flulsname sprachlich, wenn auch in arger Ent- 
stellung, in dem heutigen Namen des Flusses von Kandabar, 
angeblich Urgand-äb, wiedergefunden wird, müssen wir uns 
erlauben als eine aus unzureichender Quellenbenutzung her- 
vorgegangene Verwechselung zu bezeichnen. Denn Urgand-ab, 
wie Hr. H.den Namen aus Ritter') anführt, ist die nach der 
Weise dieses Werkes treu wiedergegebene Schreibart der eng- 
lischen Quelle, in welcher der Anfangsvocal nicht den deut- 
schen Laut u (sonst würde Oo geschrieben sein), sondern nach 
der gewöhnlichen englischen Umschreibungsart den im neu- 
persischen so häufigen dumpfen Laut des Fatha bezeichnet, in 
deutscher Schreibart also mit a wiedergegeben werden muls, 
wie denn in der That ein neuerer und vollständigerer engli- 
scher Bericht mit mehr systematischer Orthographie denselben 
Namen Arghandab schreibt?). Der Fluls selbst aber ist, 
wie wir aus diesen Zeugnissen von Augenzeugen verglichen 
mit den Angaben der Griechen erfahren, kein anderer als der 
alte Arachotos (Haragaiti) und diesem Namen liegt auch die 
moderne Form viel näher, als jenem nur durch etwas gekün- 
stelte Vergleichung gewonnenen Vehrkäna°’). Da nun diese 
Stelle bereits durch den 10ten Namen des Verzeichnisses ein- 
genommen ist, so bleibt hier für den 9ten kein Platz und es 
fällt jeder Grund weg, denselben aus seiner durch treue Be- 
wahrung des Namens Vehrkäna bei Griechen und Neupersern 


‘) Erdkunde VIII. 160 nach Elphinstone und Arthur Conolly. 

?) Edward Conolly, in Journal of the Asiatie Society of Bengal 1840 
p- 712. 

?) Argand enthält, bei den im Neupersischen gewöhnlichen Erschei- 
nungen der Erweichung alter tenuis in media und des Überganges von v 
in g alle Consonanten von zd. Haragailti, altpers. Harauvali, aufser 
der abgefallenen Spirans im Anlaute;, überdiefs stimmen die Vocale über- 
ein, nur dafs der zweite wie so häufig bei folgender Dentale, nasalirt er- 


scheint. 


vom 15. Dezember 1856. 633 


(Hyrkania, Gurgän) gesicherten Lage am kaspischen Meere zu 
verdrängen. 

Schwieriger zu localisiren sind die drei noch übrigen Na- 
men, von denen nur einer bekannt lautet: No. 12. Rag’ä, ge- 
schrieben genau wie in Dareios Inschriften und kaum anders 
auch im Griechischen ‘Pay«ti, die Hauptstadt des nördlichen 
Mediens, welche auch in ihrem mittelalterlichen Glanze und in 
ihren Ruinen bis heute den Namen Räi bewahrte. Diese nord- 
östliche Landschaft Mediens unter dem Elburz, die “"Payıcvy 
_ der Griechen ist deshalb für gleichbedeutend mit dem 12ten 
Segensorte Ahuramazda’s im Vendidad nach dem Vorgange der 
- parsischen Tradition von allen Erklärern unbedenklich genom- 
men worden: auch von Hrn. Lalsen, doch in Widerspruch 
(wie ein Blick auf die Karte zeigt) mit seiner unmittelbar bei- 
gefügten und nach meinem Dafürhalten völlig begründeten 
Behauptung, an Länder im Westen der grolsen Wüste sei 
im Vendidad gar nicht zu denken. Mit der von mir versuch- 
ten Anordnung vollends zeigt sich jene Annahme bei der wei- 
ten Entfernung zwischen Hilmend und Räi (die der Folge 11 
— 12 entsprechen würde) ganz unvereinbar. Der Umstand 
jedoch, dals die Tradition auch in andern Fällen, namentlich 
in der Gleichung von Nigäya und Nisapür, nur durch Laut- 
ähnlichkeit geleitet, offenbar fehlgegriffen hat, führt sehr na- 
türlich auf die Frage, ob nicht ebenso gut wie mehrere Ni- 
gäya auch verschiedene Orte des Namens Rag'ä bestanden 
haben können, und ein anderer durch seine Lage der Ordnung 
des zendischen Verzeichnisses besser entspreche? Die Antwort 
ergiebt sich aus Ptolemaeos und Isidoros von Charax, von de- 
nen letztgenannter durch Angabe der Entfernungsmalse die 
Lage von ‘Payaö im östlichen Parthien ziemlich genau be- 
stimmt, während ‘Pay«i« nach Ptolemaeos geringere Sicherheit 
gestatienden Gradzahlen wonicht mit jener zusammenfällt 
‚doch sicher in dieselbe Gegend gehört'). Die Landschaft in 
welche diese Orte fallen, die mittlere Thalstufe des Heri Rüd 
(Areios) mit ihrer reichen Fruchtebene, deren Mittelpunkt die 
"Hauptstädte alter, mittler und neuer Zeit, Parthaunisa, Tüs 


'‘) Vergl. das dritte Kärtchen, 


634 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


und Mes’hed bezeichnen, dürfen wir ihrer geographischen Stel- 
lung nach in einer so speciellen Aufzählung ostiranischer Land- 
schaften wie der des Vendidad nicht übergangen erwarten, aber 
auch nicht unter dem Namen erwähnt unter dem sie uns in späte- 
ren Berichten der Historiker und Geographen genannt wird, 
nämlich als östlicher Theil von Parihia oder Parthyene 
(Parfuva der Dareios-Inschriften). Denn wohlbeglaubigte 
Überlieferung lehrt uns diesen Namen als einen unarischen, 
mit dem Nomadenvolke der Parther selbst aus den Steppen 
Türäns in historischer Zeit bier eingedrungenen kennen, daher 
grade die Nichtnennung desselben ein Zeugnils für das hohe 
Alter der Aufzeichnung solcher Stücke des Avesta abgiebt;') 
wohl aber darf Rag’& (und wie wir weiterhin zeigen werden, 
vielleicht auch Uroä) als alter arischer, durch den Parther- 
namen später verdrängter Name ihrer Landschaft angesehen 
werden. Dals nun die hier vermuthete Lage dieser 12ten Land- 
schaft, welche von der 1iten kaum halb so weit als Räi in 
Medien entfernt liegt, zu unserer ganzen Anordnung vortreff- 
lich palst, wird aus der Ermittelung der beiden noch fehlenden 
Länder der 3ten Reihe sich ergeben. 

Von diesen hat wenigstens eines, das 7te der ganzen Auf- 
zählung, wenngleich sein Doppelname: Faekereta Woh- 
nung von Duzaka ein amaE eionlevov bleibt, durch die Wort- 
bedeutung jener Namen („verunstaltet” oder „wüst” — und 
„Trauerort, Hölle” oder in späterem Gebrauch geradezu 
„schlecht”) und die beigefügte Bezeichnung als Wohnsitz der 
Ahrimansgeschöpfe, der Pairika, sich dem Scharfsinne Bur- 
noufs und Lassen’s erschlossen als das gefürchtete von Dä- 
monen (Pairika, neup. Peri, Feen) bewohnte Wüstenland an 
der Südgrenze des arischen Culturlandes, welches als Gebiet 
nomadischer Parikanier (Pairikadiener, Feenanbeter) schon He- 


1) Hr. Haug (bei Bunsen, p. 109) will die Parther finden in einer 
Aufzählung von Ländern, die in einem allerdings weit späteren zendischen 
Buche (in den Fes’t) vorkommt, wo neben Qdirize'm (Qarazmiya, 
Xordowio, neupers. K'ärizm am untern Oxos) Cug da, Möuruu.a. auch 
Pöuruta genannt werden: doch scheint Lalsen’s Erklärung dieses Na- 
mens als „Gebirgsbewohner” nämlich des Paropamisos, in der Gegend wo 
auch Ptolemaeos die Iazpufrx: ansetzt, weit näher zu liegen. 


vom 15. Dezember 1856. 635 


 rodot bekannt ist, und an dessen Östgrenzen, in geschütz- 
teren Thälern des südafghanischen Hochlandes der Pericultus 
ihr Andenken bis auf den heutigen Tag erhalten hat'). Durch 
den Nachweis des in Verbindung mit der Pairika genannten 
‚altiranischen Helden K£regäcpa (neup. Gersasp) als Ahn- 
_ herrn der mythischen in Segistän herrschenden Dynastie, hat 
Hr. Haug jene Beweisführallg verstärkt und das gesuchte Ge- 
biet näher begrenzt. Diese dem Parikanierlande nördlich be- 
"nachbarte Landschaft ist durch das Binnenseebecken, welches 
_ seine tielste Stelle ausfüllt und die Gewässer des Ha&tumat 
E ehiimena) und seines Zuflusses Haragaiti (Argand-äb) und an- 
_ derer von der Gebirgsscheide gegen Herät herabkommender 


Flüsse aufnimmt, ohne sie anders als durch starke Verdunstung 
zu verlieren, deutlich als der tiefsteingedrückte Theil des ira- 
nischen Hochlandes bezeichnet; in Folge dessen hat es unter 
“allen Landschaften Ostiräns das heilseste Klima und in weiter 
"Ausdehnung seiner einst in viel grölserem Umfange vom Was- 
‚ser bedeckten Sandebenen Wüstennatur, doch oasenartig unter- 
brochen von üppiger Fruchtbarkeit, so weit das lebenspendende 
Element der Stromadern zu künstlicher Bewässerung ver- 
‚breitet werden kann. Daher wurde es eben sowohl wie Par- 
hien Ziel der Eroberung von Norden her eindringender Nomaden- 
"horden; speciell als Wohnsitz eines Stammes der Saken be- 
eichnet es der seit dem ersten Jahrh. n. C. gebräuchliche Lan- 
desname Cakasthäna (Zazarraın bei Isidoros Char. und Ptol.) 
aus dem die neueren Formen Segistän und Seistän hervorge- 
gangen sind; aber auch der frühere von Geographen und Hi- 
torikern bis zu Herodotos hinauf überlieferte Landes- und 
olksname Ayayyızun, Zagayyaı, Zeoeyysis (Zaräka der Inschrif- 
) wird bier nicht der ursprüngliche gewesen sein, da er 


%) In Pis’in (vgl. das 2te Kärtchen) nach Conolly’s Bericht. Doch 
darum gerade bis zu diesem vereinzelten Orte der Beobachtung auch die 
te Grenze des Feenlandes Vaeke’re’ta auszudehnen (wie Hr. Haug 
will, a. a.O. p. 113) möchte kaum gerechtfertigt sein, da jener Cult, dessen 
Nachhall in dem allgemeinen persischen Volksaberglauben überall fort- 
klingt, eine viel weitere Verbreitung sicher einst gehabt hat, vielleicht auch 
jetzt noch haben mag, ohne dafs unsere, über jene Länder immer noch 
höchst fragmentarischen Berichte bis jetzt davon sprechen. 


[1856.] 48 


636 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sonst in der Aufzählung des Vendidad nicht wohl fehlen könnte, 
sondern mufs erst nach der Zeit, welcher diese alte Urkunde 
angehört den eigentlichen Landesnamen, sei derselbe nun in 
Vaekereta oder in Duz’aka enthalten, verdrängt haben. 
Dafs der zweite Name, ungeachtet die unvollständigen Berichte 
der Griechen keinen ähnlichen kennen, doch bis heut fast un- 
verändert in Duz’äk, wie die Ruinen einer alten Hauptstadt 
Segistäns nahe der Mündung des Hilmend in den See genannt 
werden, sich erhalten hat, wie schon Ritter und Spiegel 
bemerkt haben, darf nun als ein Beweis mehr für die Siche- 
rung des 7ten Landesnamens in jenem Mittelpunkte Ost-Iräns 
angesehen werden. 

Da nun die Lage des I9ten Gebietes, Yehrkäna, als eben 
so sicher ermittelt gelten darf, so ist es am natürlichsten, das 
8te mit dem sonst gänzlich unbekannten Namen Ureä, we- 
nigstens in Übereinstimmung mit der Wortbedeutung: „Breite, 
Weite,” und mit dem erläuternden Zusatze des Textes: „‚das 
reich an Weiden ist” 
auf dem Rücken des Hochlandes sich ausdehnenden Ebenen des 
westlichen Parthiens der Alten oder K’örasän’s der Neuperser 
zu verlegen: ein Gebiet, welches allerdings nicht, wie die übri- 


‚ in die zwischen Segistan und Gurgän 


gen bisher aufgezählten, durch die Wasserfülle eines grölseren 
Flusses als ein Ort des Segens ausgezeichnet, gleichwohl auch 
noch heut als ein fruchtbares, mit bedeutenden Städten wie 
Tebbes, Bihrgän u. a. bis an den Rand der Wüste besetztes 
bekannt ist. 

Es zeigt sich beim ersten Blick auf die Karte, wie unge- | 
zwungen die so ermittelten Ortslagen die in der ganzen Auf- 
zählung vorausgesetzte Symmetrie ergeben: wie in der ersten 
Hälfte der ersten 12 Namen, welche das nordwestlich von den 
Hochgebirgen des Paropamisos sich abdachende Gebiet um- 
schliefsen die ersten 3 Länder eine äufsere Reihe an der Grenze 
der nördlichen, turänischen Wüsten, die folgenden 3 eine in- 
nere Reihe am Fulse des Gebirges selbst bilden, so umfalst 
die zweite Hälfte das Gebiet der südlichen und westlichen Ab- 
dachung und es geht wiederum in der ersten Reihe von 3 Län-f 
dern (7. 8. 9) das äufsere Grenzgebiet am Rande der grolsen 
Wüste voran; es folgen in zweiter innerer Reihe (10. 11. 12) 


vom 15. Dezember 1856. 637 


die höhergelegenen Tballandschaften am Fufse des Gebirges. 
Diese ganze Anordnung aber ist nur verträglich mit der oben 
nachgewiesenen Stellung des 12ten Landes Ragz im Osten 
der 3ten Reihe und würde sich in Unordnung auflösen, wenn 
man fortfahren wollte dasselbe im fernen Westen im medi- 
schen Ragae zu suchen. 

Neben dem Leitfaden der Reibenfolge hat uns die sichere 
Stütze, welche geographische Zeugnisse für die Fortdauer der 
Namen gewähren, bisher aufser dem halb mythischen Urlande 
im Begion, nur in einem Falle ganz verlassen: bei dem 8ten 
Namen Uroä, der, wenn meine Vermuthung irgend einigen 
Grund hat, vor den historischen Landesnamen Parthien und 
K'orasän ganz geschwunden sein mufs. Gerade jenen Na- 
men aber glaubt Hr. Haug, geleitet durch den Zusammenhang 
seiner geograpbischen Anreihung, in einem noch lebendig 
‚dauernden ostiranischen Landesnamen wiederzufinden: in Kä- 
bül, dessen Laute er, durch geschickte Vergleichung analoger 
neupersischer Wortbildungen auf die Wurzel des Namens 
Uroä, das skr. uru, zd. vöuru „weit, breit” zurückführt. 
‚Allein auch abgesehen von dem Übelstande, dals die Bezeich- 
nung durch „‚Breite”, während sie mit meiner Ansetzung des 
8ten Landes trefflich übereinstimmt, kaum auf irgend eines 
unter allen iranischen Ländern weniger palst, als auf das ver- 
hältnilsmälsig enge Hochthal von Käbül: so ist jene Etymologie 
auf keine Weise zu vereinigen mit der uns glücklicherweise 
“erhaltenen älteren Form jenes Namens. Mit vollem Rechte 

nämlich ist von älteren Forschern, wie Heeren und Mannert 
die baktrisch-indische Grenzstadt Kaspapyros (wie wir mit 
Hekataeos statt des Kesmarvgos der Handschriften auch bei He- 
 rodotos lesen müssen), von wo der erste westliche Erforscher 
des Indos, Skylax von Karyanda, seine Fahrt gegen Osten 
beginnt, in der diesen Andeutungen allein entsprechenden Lage 
der jetzigen Stadt Kadbü/ gesucht worden. Obne A. W. 
Schlegel’s Erklärung jenes Namens durch das indische Kagya- 
_ papura (Stadt des Kagyapa) anzuzweifeln, kann man doch die 
- daran geknüpfte, seitdem von allen Nachfolgern als ausgemacht 
angenommene Gleichstellung jener herodotischen Stadt mit 
 Kagyapamira, dem heutigen Kasm’r, nicht gelten lassen, 
As*® 


! 


638 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


da sie so bestimmt ausgesprochenen geographischen Daten wi- 
derspricht. Ja es mag woch fraglich erscheinen, ob überhaupt 
die Zurückführung beider Namen auf den mythischen Heros 
Kacyapa irgend welchen historischen Grund hat und nicht 
vielmehr in das Gebiet der auch in Indien nicht seltenen 
Volksetymologien gehört, welche dem Bestreben unverstande- 
nen Namen einen Sinn unterzulegen ihr Entstehen und ihre 
mythische Begründung verdanken. Wenigstens liegt die Form | 
Kaszerugos dem Volksnamen der Kaspier näher, die schon 
Herodot als Nachbarn der Saken in der nordöstlichen Gebirgs- 
grenze Iräns kennt, und die von den Kaspiren welche die 
spätere Autoren als Bewohner des Kacmira - Thales kennen, 
schwerlich verschieden sind.. Wenn nun aber aus ursprüng- 
lichem Kagyapamira (nach E. Burnouf’s Erklärung) die seit dem 
Mittelalter herrschende Form Kagmira verkürzt werden konnte, 
warum nicht auch aus Kagyapapura eine analoge Form Kag- 
pura, deren weitere Abschleifung in die ein halbes Jahrtau- 
send später von Ptolemaeos überlieferte Form K&ßovpe viel- 
leicht genügend durch die Thatsache erklärt wird, dafs in der 
Zwischenzeit diese ganzen Bergländer Ost-Iräns, die Gebiete 
des Überganges nach Indien, von turanischen Stämmen (den 
Indoskythen der Alten) überfluthet worden waren, in deren 
Mundart, wie die Münzaufschriften ihrer Könige zeigen, die 
arischen Namen und Wörter zum Theil noch gewaltsamere 
Verstümmelungen erlitten haben. “ 

Fällt nun aufser der lautlichen Übereinstimmung auch der 
Grund der geographischen Nachbarschaft zwischen dem 8ten, | 
Iten und 10ten Lande weg, nachdem wir dem 9ten seinen 
früher behaupteten Platz wieder gesichert haben, so verdient 
höchstens das für die Gleichstellung von Urvä und Käbül spre= 
chende Nebenmotiv noch erwogen zu werden, welches schon 
früher die parsischen Erklärer bestimmt zu haben scheint Kä- 
bül in dem ihnen eben so unbekannten 7ten Namen Facke- 
reta zu finden: dafs nämlich ein als Übergangsgebiet von Irän 
zu Indien so wichtiges, als Sitz alter civilisirter Reiche be- 
kanntes Land wie Käbülistän in den Ursprüngen des Volkes, 
wie der Vendidad sie uns enthüllt, nicht füglich übergangeig 
sein könne. Geben wir die Berechtigung dieser Voraussetzung 


Pi " 
ee Re 


| ar a AR5 639 


zu, so bleibt uns nur übrig, Käbül in einem der letzten 4 Län- 
der zu finden, durch die wir noch entschiedener, als in der 
4ten Reihe, dem Osten Iräns zugeführt werden. Denn die 
Bedeutung des 15ten Namens, Hapta He’'ndu, „die sieben 
Ströme” d. i. der Indos (Sind’u) mit sechs Nebenströmen, ist 
keinem Zweifel unterworfen und nur die untergeordnete Frage, 
ob jene 6 aufser den bekannten 5 Strömen des sogenannten 
Pank’anäda (Peng’äb) bis zur Gatadrü östlich, noch die heilige 
Sarasvali, oder etwa den kleinen östlichen Indoszufluls Suvarna 
_ (Soan) oder gar die von Westen kommende Kub‘ä, (K»®yv) 
den Flufs des käbülischen Hochlandes ') begreifen, wird wohl 
_ unentschieden bleiben müssen. — Nach Analogie der in den 
ersten 12 Namen befolgten Anordnung dürfen wir nun auch 
in den 3 letzten eine zusammengehörige Reihe, also in 13 und 
44 westliche Nachbarländer Nord-Indiens, östliche Grenzländer 
Iräns erwarten. Und in der That deutet das vom Vendidad 
dem 13ten Lande K’ak'ra beigelegte ahrimanische Übel: die 
“nach iranischem Glauben sündliche Gewohnheit des Verbren- 
nens der Todten, so bestimmt auf indische Eigenthümlich- 
keit, dals man nicht ohne Verwunderung Hrn. Haug auf die- 
sen Punkt durchaus kein Gewicht legen, und nach dem Vor- 
 gange der Parsi-Tradition mit dem 13ten und 14ten Lande die 
westlichen Grenzen Irän’s erreichen sieht.?) Die Gründe da- 
für erscheinen allerdings kaum von grolsem Gewicht, zumal 
bei dem 13ten Namen K’akra, da das von der Huzüres’ Über- 
selzung als gleichbedeutend gesetzte, sonst nirgendwoher be- 
kannte K’ark nur ganz allgemein ein Ort in K’örasän — 
ein schon im persischen Mittelalter sehr weit umfassender, fast 
gauz Öst-Iran begreifender Landesname, — genannt wird. Be- 
stimmter allerdings lautet die Tradition in Betreff des 14ien 
| Landes, Yarena das viereckige, welches unser Zendtext 
selbst als Geburtsort des Z'ra&tao'nd, des Besiegers der 
 __ 
1 *) Welches Bunsen p. 96 und Haug eb. p. 118 für ausgemacht halten. 
?) Bemerkt hat dies allerdings sein Vorgänger auf diesem westlichen 
_ Wege, A. Hölty (in seinem sonst wenig bedeutenden Buche Dsjemschid 
und Zoroaster) der freilich, indem er jene Worte als spätere Glosse ge- 
- strichen wissen will, mit der Schwierigkeit leicht fertig wird. 


640 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Schlange Dahäka bezeichnet; denn der Demäwend Vulkan 
im Norden Mediens als Wohnung der Schlange Zöhäk und 
das benachbarte Bergland Taberistän als Vaterland des Hel- 
den Fr&dün (T'ra&taö’nö) gelten nöch bei den heutigen 
Persern und schon von der Hüuzüres’- Epoche her als Glaubens- 
artikel. Was aber Hr. Haug') noch ferner zur Unterstützung 
dieser Tradition beibringt: die Zusammenstellung mäzani- 
scher und varenischer Da&vas in den Yests, könnte selbst 
wenn die Deutung von mäzainya auf Mazenderän erwiesen 
wäre, ebenso gut von feindlichen Gewalten, die von beiden 
Grenzen, der westlichen und östlichen her drohen, verstan- 
den, also vare'nya auf die Lage Fare'na’s im Osten bezo- 
gen werden. Immer aber zeugt für Fredün’s Heimath hier 
im Westen nur eine späte, wie in so vielen Fällen nach Ver- 
lust der alten Überlieferung auf neue Locale übertragene Form 
der Mytlie, und wenn Taberistän und Mazenderän und beson- 
ders der Demäwend auch sonst im allgemeinen persischen 
Völksglauben als Sitz der Dä&va, der Geschöpfe Ahrimans er- 
scheinen, so hat dies nicht nur mit Vare’na nichts zu thun, 
sondern palst überhaupt nicht zu dem Chärakter eines arischen 
von Ahuramäzda geschaffenen Segenslandes. Wenn nun damit 
übereinstimmend in den griechischen Berichten die Bewohner 
dieses nördlichen Gebirgslandes, das Mediens Hochebenen vom 
Kaspischen Meere trennt, die Tapurer, Amarder, Kadusier, 
Gelen, Elymäer,?) als unbändige, räuberische, mit Persern und 
Medern beständig im Kriege liegende Bergvölker von rohesten 
Sitten geschildert, wenn namentlich die wilden Bewohner des 
westlichen Giläin von Geographen und Historikern geradezu 
mit dem Namen "Avagıdzaı (Anairyaka „die unarischen”) 
bezeichnet werden, — welche Berechtigung darf man dann 
einer Ansicht zugestehen, ?) welche Gilän und Mäzanderän für 


‘) Bei Bunsen p. 117. 

*) Alles Namen, die wie die benachbarten Kaspier, Utier, Parner, 
Saken, Massageteh, in weit entlegenen Landstrichen, im Kaukasos, in Bak- - 
trien, im inneren Skythien wiedererscheinen: ein zähes Festhalten am 
Stammnamen nach weiter Wanderung welches hier überall als charakte- 
ristisches Merkmal turanischer Abstammung angesehen werden därf. 

*) Bunsen a. a. ©. p. 97. 


vom 15. Dezemder 1856. 641 


den „Kern der arischen Besitzungen”, Medien überhaupt für 
das ausschlielslich arische Land — oder einer Etymologie, welche 
den nicht ganz unbedeutenden Sprung von Taberistän im SO. 
nach Gilän im SW. des Kaspischen Meeres, und die Grund- 
verschiedenheit der Vocale in den zwei Namen nicht beach- 
tend, Gildän für sprachlich identisch mit Fare’na ausgiebt? 
Dafs durch solche Anordnung das 14te Land in räumliche Nähe 
des 12ten (nach der herkömmlichen Erklärung als Räi in Me- 
dien) und des ganz hypothetischen 13ten gebracht wird, kann 
kein Gewicht haben gegenüber den Sprüngen, welche uns von 
11 zu 12 über die halbe, von 14 zu 15 sogar über die ganze 
Länge Iräns, von der westlichen zur östlichen Grenze des 
Arierlandes, zugemuthet werden, und welche, gegenüber der 
von 1 bis 11 strenger bewahrten geographischen Folge, durch 
die Vermuthung, es sei in den letzten Namen vielmehr die 
ehronologische Folge der Verbreitung iranischer Cultur mals- 
gebend gewesen, keineswegs begründet erscheinen. Denn wie 
soll, möge man die Abfassung der ersten später mannigfach er- 
weilterten Grundschrift dieses Abschnittes noch so weit, mit 
Haug selbst vor die Epoche der Ausbreitung des Assyrier- 


- Reiches im 13ten Jahrhundert hinaufrücken '), damals noch eine 


bestimmte Erinnerung der um Jahrhunderte, ja vielleicht um 


- Jahrtausende früher erfolgten Besitznahme durch die Arier er- 
halten gewesen sein? Dals diese Einwanderung — anstatt von 


einer ursprünglichen Richtung her bald getheilt, und gleich- 


‘) Dies wird p. 108 aus der Bezeichnung von Bak'd'i als Reichs- 


- haupistadt durch das Prädikat „mit hohem Banner” geschlossen — meines 
- Erachtens nicht einmal mit Nothwendigkeit, da zwar die Eroberung Bak- 


tra’s durch die Assyrer, keineswegs aber die Dauer dieser Herrschaft be- 
zeugt wird, vielmehr die Natur aller asiatischen erobernden Reiche und die 
bekannteren Schicksale der Westländer eine bald nachher erfolgte Ablö- 
sung der entfernten Eroberungen von dem Hauptlande in folge nationaler 


_ Reaction erwarten lassen; von einer solchen (etwa im 10ten oder 9ten 
- Jahrhundert) die ganze unter Zarathustra’s Namen auftretende religiöse 


Reform und die wieder selbständig gewordene Macht der Kajanischen 
Dynastie herzuleiten, möchte gerathener sein, als dieselbe in so ganz vor- 
historische Zeiten, denen man immerhin die Pisdädier überlassen mag, 
hinaufzurücken. 


642 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


zeitig nach verschiedenen Seiten, nach Osten, Süden und 
Westen vorrückend, — vielmehr nach Raum und Zeit einfach 
in einer fortlaufenden Linie erfolgt sein könne, und dafs so- 
gar ein Denkmal dieses allmäligen Vorgangs eben in unserer 
Vendidad-Urkunde und ihrer numerisch geordneten Aufzählung 
erhalten sei, scheint mir eine unglücklich spitzfindige, durch 
keinerlei Andeutung des Textes im geringsten gerechtfertigte 
Hypothese Rhode’s,') welche ich bedaure von mehreren der 
folgenden Erklärer allzuleicht aufgenommen, aber nirgend wei- 
ter bewiesen zu sehen. Vielmehr scheint es mir gerathen bei 
derjenigen Ansicht stehen zu bleiben, welche eine Umschrei- 
bung des von den Ariern in völligen Besitz genommenen Erd- 
raumes durch Nennung seiner einzelnen Theile als den ein- 
zigen Zweck unserer Urkunde anerkennt. Ausgeschlossen 
mulsten dann von der Aufzählung diejenigen Länder bleiben, ° 
in welchen wir Arier blols als erobernden und besitzenden 
Adel neben unterworfener stammfremder Bevölkerung in histo- 
rischer Zeit kennen und zum Theil schon in sehr früher Zeit 
voraussetzen müssen: im Osten wie im Westen, — im innern 
und südlichen Indien sowobl, wie in Medien und sogar Per- 
sien — wenn anders letztgenanntes wirklich eine sehr alte 
arische Eroberung und nicht vielleicht jünger als unsere Ur- 
kunde ist. 

Medien aber, das Land im Westen der grolsen Salz- 
wüste, welche wir oben als die wahrscheinliche Westgrenze 
des ältesten Ariana bezeichnet haben, zeigt in sprachlichen 
Spuren, wie ich anderwärts erinnert habe), unarischen Ein- 


‘) Rhode die heilige Sage des Zendvolkes, p. 69, ebenso Ritter VIII. 
p. 31. 35, Spiegel, Vendidad Übers. p. 59, Bunsen p. 88; wogegen bereits 
Link (Urwelt und Alterthum, Berlin 1821, I. p. 297) und Hölty (Dsjem- 
schid, Feridun, Gustasp, Zoroaster, Hannover 1829 p. 21) gewichlige 
Gründe geltend gemacht haben. 

°) In Kuhn’s Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung Th. I. 
S. 38 ff. Sogar der Landesname Airyaka „das arische” (die Wurzel des 
modernen /r&%), könute, wenn ich mich nicht täusche, durch seine adjec- 
tivische Bildung gegenüber dem Subst. abstractum Airyana „die Arier- 
schaft” (Haug p. 126) als Gesammtnamen mehr nur das „arisch gewordene 
oder gemachte” Land bezeichnen, da derselbe Gegensatz sich in Indien, 


vom 15. Dezember 1856. 643 


Aufs, der natürlicher auf Mischung mit vorgefundenen fremden 
Elementen, denke man an semitische oder an uralt-turanische 
als auf späteres Eindringen turanischer Völker zurückgeführt wer- 
den kann. Die Grenze, welche ein so einfaches und zugleich so si- 
cheres Mittel für Bestimmung nicht-iranischen Ursprungs, wie 
_ das Vorkommen oder der Mangel des uniranischen Buchstaben 7 
in den geographischen Namen ergiebt, soweit diese — in einer 
für allgemeine Grenzbestimmungen doch hinreichend grolsen 
Anzahl, — uns durch griechische Vermittelung überliefert sind, 
und die ich nach diesen Andeutungen auf dem öten Kärtchen 
eingetragen habe, schlielst wenigstens den grölsten Theil Me- 
diens im Norden und Westen ebenso entschieden aus, wie 
sie Persis und das nach bestimmten Zeugnissen der Grie- 
chen damit sprachverwandte Karmanien — als die einzigen im 
Vendidad nicht erwähnten Länder — einschlielst. Die neuer- 
dings mit grolser Sicherheit ausgesprochene entgegengesetzte 
Ansicht,') wonach der arische Stamm in Persien nur als herr- 
schend über eine unterworfene Urbevölkerung erscheint, ganz 
Medien aber ausschlie[slich bewohnt, wird, wie mir scheint, 
durch Herodots Meldung von den Ariern als älterem Namen 
der Meder — der ebensowohl nur von der arischen Krieger- 
kaste Mediens verstanden werden kann — nicht genügend un- 
terstützt und möchte sich schwerlich überzeugend durchführen 
lassen. ?) 


zwichen Aryaka, dem arisch gewordenen Colonielande an der Dekhani- 
schen Westküste, und Aryavarta, dem „Arier-Kreise” d. i. dem eigent- 
lichen alten Arierlande im Norden, wiederfindet, 

#) Bei Bunsen p. 97. 

?) Als Motiv für jene Behauptung scheint die aus mehreren Andeu- 
tungen der Haug’schen Schrift ersichtliche Ansicht des Verf. über das 
Verhältnifs der ersten und zweiten Art der Keilschrift zu dienen; jene, bis- 
her einstimmig für altpersisch erklärt, scheint ihm für medisch, 
diese, deren turanischer Sprachcharakter jetzt gegen jeden Zweifel gesi- 
chert ist, für persisch, somit die sich dieser Sprache bedienenden Klas- 
sen des Perservolkes als erobernd eingedrungene Turanier zu gelten. 
Die entgegengesetzte, von Hrn. Oppert vertretene Ansicht, durch welche 
der von St. Martin eingeführte später vielfach bestrittene Name medi- 
scher Schriftart der zweiten Gattung wieder vindieirt und damit der tu- 


644 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


In der That scheint also mit den nach vier Reihen ein- 
getheilten ersten zwölf Namen des Vendidad das ganze irä- 
nische Gebiet, soweit es in der Urzeit des Volkes in Besitz 
genommen war, umschrieben zu sein und es hindert nichts, 
die letzten Namen dem Gebiete des noch nicht so bestimmt, 
wie durch die religiöse Entzweiung der historischen Zeit ge- 
schiedenen ost-arischen Brudervolkes der sanskritischen Inder 
zuzuweisen, zu dessen Umschreibung die Nennung des Tief- 
landes der sieben Ströme keineswegs ausreicht, da es auch die 
Stufenländer im Westen des Indus bis binauf zum Scheide- 
rücken der Westabdachung in sich begriff, da das Gund’ära- 
Gebiet im heutigen Käbülistän und das östliche Arachosien 
(das Land der von den Griechen sogenannten weifsen Inder) 
nicht wie heutiges Tages unter afghanischer Herrschaft über- 
wiegend iränische sondern vielmehr indische Länder wa- 
ren.') Die Erwägung dafs gerade diese Grenzländer, in denen 
sich in uralter Zeit beide Zweige des arischen Stammes, Inder 
und Iranier, geschieden hatten, den meisten Anspruch haben 
auf treue Bewahrung der den beiden Nationen nach Inhalt und 
Wort gemeinschaftlichen ältesten Mythen, unter denen die Ge- 
stalt des indischen Trita, iranischen T'ra&täo’na und seiner 
Sippschaft einen der vorzüglichsten Plätze einnimmt, hat auch 


ranische Charakter des medischen Volkes behauptet wird, erwartet 
freilich noch ihre wissenschaftliche Begründung, würde aber jedenfalls zu 
dem von mir oben über medische Namen bemerkten besser stimmen. Mö- 
gen immerhin die von Herodot als nomadische unter den Persern ge- 
nannten Stämme (unter deren Namen wir Daher und Marder auch im turani- 
schen Norden wiederfinden) Turanier gewesen sein, so wäre es bei einem 
vorherrschend unarischen Charakter des ganzen Volkes doch unerklärlich, 
dafs sämmtliche aus dem alten Persis von den Griechen überlieferten geo- 
graphischen Namen (50 bei Ptolemäos und etwa 12 darüber aus anderen 
Quellen) in dem gänzlichen Mangel des Buchstaben A das streng iranische 
Lautgesetz aufweisen. In der einzigen Ausnahme, dem von Herodot ge- 
nannten Namen des persischen Stammes IlavbaAaicı, den ich lautlich in dem 
heutigen Fahliydn, einem Thalgebiete an.der Grenze Susiana’s wieder zu 
erkennen glaube, dürfte wenn anders die Lesart sicher steht vielleicht der 
Einflufs der semitischen Nachbarn der Westgrenze vermuthet werden. 
!) Lassen, Ind, Alterth. I, 421 ff. 


vom 15. Dezember 1856. 645 


allein schon den geistvollen Erklärer jener Bruchstücke ältester 
arischer Religion, Hrn. Roth dahin geführt, die angebliche 
Heimath jenes zum Helden der iranischen Sage gewordenen 
Gottes, Yare'na ‚im Südosten der arischen Ländermasse, auf 
den Grenzen des alten Gedrosiens und Arachosiens”’) zu su- 
chen, und dessen Übertragung nach dem Westen Iräns, nach 
den Hochgebirgen Mazanderän’s der spätesten euhemeristischen 
Umgestaltung persischer Sage zuzuschreiben. Durch diese 
höchst wahrscheinliche, in Hrn. Haug’s Erklärung nicht be- 
rührte Deutung wird, wie mir scheint, Hrn. Lassen’s ebenso 
glückliche Combination des Namens Yare'na mit dem in chi- 
nesischer Umschreibung identischen Fa-la-nu, welches uns 
der buddlistische Pilger Hiuan Ts’ang im 6ten Jahrhundert 
als ein Reich im Süden Käbüls kennen lehrt ?), völlig gesichert: 
die Mafsangaben jenes Autors treffen, soweit die auch bis auf 
die neueste Zeit noch sehr unvollständige Erforschung des Lan- 
des zu schlielsen gestattet, auf das heutzutage innerhalb Käbü- 
listän’s gelegene, von den Gebirgsketten des Kühi-Suleimän 
umschlossene obere Thalgebiet des Gömal, des einzigen be- 
deutenden westlichen Induszuflusses südlich vom Käbülstrome. 
Denselben Flufs, leider ohne seinen Namen zu nennen, kennt 
schon Ptolemaeos?) und bezeichnet seinen Ausfluls zum Indos 
in der Südoste Arachosiens, d. i. in derselben Gegend, wohin 
er die Völkerschaft der ’Ewgir«: stellt, die ebenfalls schon Roth 
wohl mit Recht als Repräsentanten eines einheimischen Lan- 
desnamens Fara (griechisch umschrieben ’Ewg«) gleichbedeu- 
tend dem daraus abgeleiteten arena angesehen hat. 

So bleibt uns denn für den allein noch nicht unterge- 
brachten 13ten Namen K’ak’ra keine andere Stelle übrig als 


') Zeitschr. d D. morgenl. Gesellschaft, II. p. 219. Die als Neben- 
motiv angeführten angeblich durch rechtwinklig sich schneidende Gebirgs- 
ketten gebildeten, den „vier Ecken” des Zendtextes entsprechenden Gebiete 
wollen freilich bei unsrer dermaligen Unkenntnifs der Configuration jener 
Gegenden wenig bedeuten und scheinen eher aus älterer, auf Ptolemäos 
unzuverlässigen Daten beruhender Kartenanschauung herübergenommen. 

*) Lassen, Ind. Alterth. I p. 426. 

’) VI. 20. "Apaxweias Iris. "Eußarreı dt eis rar Kupay morauds dme vod 
"Indoo Eurpemönsvos x. T. A. 


646 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


das obere westliche Nebenthal des Indos, das Thalgebiet des 
Kub’ä (Kwoyv) Flusses und des Gand’ära Volkes, das heutige 
Käbül, dessen Unentbehrlichkeit in der Aufzählung der älte- 
sten arıschen Gebiete wir schon oben berührt haben, wenn- 
gleich wir in Ermangelung jedes sprachlichen ') und sachlichen 
Anhalts zu den Worten des Vendidad auf eine nähere Begrün- 
dung verzichten müssen. Jedenfalls past aber diese Stellung 
allein, wie die Karte zeigt, um die letzte Reihe vollständig zu 
machen, die mit 13. 14. 15 die umgekehrte Ordnung gegen 
die vorhergehenden befolgt, von West nach Ost — hier die 
natürliche Folge, weil sie von den Grenzen Iräns aus in die 
unbekanntere Ferne hinübergeht. 

Wir ständen hier am Ende unserer Aufgabe, wenn die 
Ansicht mehrerer Erklärer sicher begründet wäre, dafs diese 
15 Namen das ganze wirkliche Gebiet altiranischer Geographie 
umfassen und das im Texte des Vendidad noch folgende sech- 
zehnte Gebiet rein der Mythe angehöre, wieHr. Lassen nur 
andeutet, Hr. Haug durch seine Übersetzung der Worte upa 
aodaesu ranhayäo „an den Ufern des Meeres” bestimmter 
ausspricht, wobei jedoch die Beziehung auf ein bestimmtes 
Meer oder auf den nach dem Volksglauben die Erde umkrei- 
senden Ocean freigestellt ist, während Hr. Bunsen ?) geneigt 
ist die ganze Stelle als späteres ungehöriges Einschiebsel zu 
beseitigen. Gleichwohl scheint die ältere, nach der Parsi- 
Tradition von Anquetil und Spiegel festgehaltene Ansicht, 


‘) Der von Lassen und Spiegel als synonym aus Firdösi angeführte 


Name #,;£> (G’ahram, wie im Merägid-el-ittilä I. p. }v“, bei Abulfeda, 
ed. Reinaud p.!”'}, in Soyüti’s Lubb al-Lobäb p. vP ausdrücklich geschrieben 


wird, nicht nr K'ihrem, wie nach einem Drucklehler in Turner’s In- 


dex zu Firdösi gewöhnlich angeführt wird) hat weder sprachlich (we- 
gen des fehlenden m und der Differenz zwischen A und A) noch 
sachlich etwas mit X’akra zu thun, da jener Ort sowohl nach der 
Erwähnung in der Nähe von Istak'r bei Firdösi (ed. Turner Macan III. 
p- 112), als nach den Berichten der genannten Geographen nach Fars ge- 
hört: eine Mittheilung, die ich Hrn. Dr. Gosche verdanke. 

?) a.a. O.p. 97. 


u 


.- 


Monatsber_ der K. Acad. der Wiss. Dec. 1850. 


DIE GEOGRAPHISCHE ANORDNUNG DER NAMEN ARISCHER LANDSCHAFTEN IM ERSTEN FARGARD DES VENDIDAD. 
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bezezchnet die alte Grenz 


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in % concentrischen Reihen 
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Griechische Namensformen sind mit liegender Schrift Namen der neueren Geographre ws Nheoamd geschrieben. 


Druck v4 Detbners 


vorm 15. Dezember 1856. 647 


welche in Ranha einen wirklichen Namen sieht, nicht nur 
durch den Zusammenhang gefordert, sondern auch sprachlich 
begründet nach den auf meine Bitte darüber von Hrn. Gosche 
angestellten Forschungen, dessen freundschaftlicher Mittheilung 
ich folgende Bemerkungen verdanke. 

„Rasä, im Skr. vielleicht zunächst Nafs überhaupt bedeu- 
tend, ist sowohl ein indischer Fluls, als ein mythischer Strom 
vgl. Roth zu Yäska’s Nirukta p. 152. Das lautlich entspre- 
chende Zendwort Ranha kommt auch anderwärts im Avesta als 
wirklicher Flufs vor: Abän Yes’ p. 63 betet ein Weiser 
Namens Nawäza zur Ardvigüra, dafs sie ihm helfe, Qapaiiya 
(Kapisa in Kabul) zu erreichen; er wolle ihr zum Dank 
„am Wasser welches Ranha” (sc. heilst; avi äpem yam 
ranham) Opfer bringen; nach demselben Yes’t p. 81 opfert 
Yagtöfriyäna „an der Aanha”. In diesen Stellen ist die Be- 
deutung als wirklicher Fluls nicht zu bestreiten.” 

Für die Bestimmung der Lage geben diese Stellen aller- 
dings keinen Anhalt und nur die eine sicher erklärte der beiden in 
der Vendidadstelle bei Ranha erwähnten Landplagen, der Schnee- 
reichthum, lälst wie bei dem ersten Lande auf eine nördliche 
Lage schliefsen. Ja man wäre versucht an die Nachbarschaft 
von Airyanem-va&gö selbst und somit an einen Wiederanschlufs 
des Endes zum Anfang der ganzen Reihe zu denken, wenn 
man sich die von 13 bis 15 östlich vorschreitende Reihe, da 
das östliche Indien jenseits der Gatadrü den Iraniern schwer- 
lich bekannt war, in nördlicher Richtung jenseits des Himälaya 
verlängert denkt, so dals die Ranha einen der auch in der in- 
dischen Mythologie eine Rolle spielenden grofsen Ströme des 
inneren Hochasiens bedeuten könnte. Aber es wäre vermessen, 
wo selbst die Worterklärung noch auf so unsichern Fülsen 
steht, weitere Vermuthungen auszusprechen, und daher wird 
die Auslassung des 16ten Namens in unserer Kartenskizze ge- 
rechtfertigt erscheinen. 


648 Gesammisitzung 


18. Dezbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Kummer las Theorie der idealen Primfakto- 
ren der complexen Zahlen, welche aus den Wur- 
zeln der Gleichung w"=1 gebildet sind, wenn n 
eine zusammengesetzte Zahl ist. 


Hr. Klotzsch theilte eine Abhandlung des Hrn. Dr. Her- 
mann Karsten mit: organographische Betrachtung 
der Zamia muricata Willd; ein Beitrag zur Kenntnils 
der Organisations-Verhältnisse der Cycadeen. 

Die Abhandlung beginnt mit einer genauen Beschreibung 
der entwickelten Pflanze, welche nicht allein die zusammenge- 
setzten Organe und die habituelle Form umfalst, sondern sich 
auch auf die anatomischen Structur-Verhältnisse ausdehnt, der 
die Angabe ihres natürlichen Vorkommens in Bezug auf geo- 
graphische Verbreitung und Bodenmischung vorausgehen. 

Von den Pollen erzeugenden Blüthenständen wird gesagt: 
„die in 8 bis 14 vertikale Reihen geordneten, schildförmigen 
Blätter sind dick-fleischig und tragen auf der unteren Seite des 
flügelartig verbreiteten Stieles jederseits 10—12 zwei- oder 
einfächrige Antheren, die bei der Reife an dem Scheitrl in der 
Richtung des Schuppenstiels zweiklappig aufspringen und den 
glatten kugeligen Pollen entlassen. 

Die gipfelständigen, einzelnstehenden, gestielten Frucht- 
stände erreichen eine Länge von 6” und einen Querdurchmes- 
ser von 1—1%". Die aufsen braunbehaarten Fruchtblattschilde, 
denen des männlichen Blüthenstandes in der Form ähnlich, 
stehen in 5— 8 vertikale Reihen; sie sind gleichfalls gestielt, 
nicht verwachsen und tragen an der inneren Seite der beiden 
Ecken des horizontalen Durchmessers jederseits einen eiförmi- 
gen, meist dreiseitig zusammengedrückten Saamen, der ohne 
Nabelschnur unmittelbar an dem nicht bedeutend vergröfserten 
Nabel in horizontaler Lage befestigt ist und mit dem Saamen- 
munde die Spindel erreicht. 

Der gröfste Theil des Saamens besteht aus einem stärke- 
mehlreichen Eiweils, in dessen Axe der cylindrische Embryo 


N EN ED RA N rn u 


vorn 18. Dezember 1856. 649 


liegt; umbüllt wird das Eiweils von zwei Zellgewebsschichten; 
zunächst von einer dünnen zerbrechlichen Schale, die aus ver- 
dickten Zellen besteht, dann von einer dunkel kirschrothen 
Haut, deren Farbe durch ein (in Wasser und Spiritus unlös- 
liches, dagegen in fettem Öle etwas lösliches) harziges Öl her- 
vorgebracht wird, das in sehr kleinen Bläschen enthalten ist. 
Holzfaserbündel und Gummigefälse durchziehen das Zellge- 
webe; letztere sondern ein gelbliches Gummi ab; in dem Baste 
der ersteren, die in sechs Bündel von der Basis zur Spitze auf- 
steigen, sind gleichfalls Farbestoffbläschen enthalten. 

Der gerade Embryo hat fast die Länge des Eiweilses; das 
Würzelchen ist dem Nabel abgewendet und hängt an einem 
mehrern Linien langen zusammengerollten Faden (Filum suspen- 
sorium) in der Spitze des Saamens. 

Die grolsen Saamenlappen sind gleich lang, an der Spitze 
verwachsen, doch ringsum eingeschnitten, so dals es scheint, 
es seien 2 freie Saamenlappen vorhanden. 

Das Keimknöspchen ist zur Zeit der Saamenreife ein klei- 
ner Kegel mit Haaren dicht bedeckt, das jedoch auf dem Quer- 
schnitte schon einen Anfang der Bildung der Blätter erkennen 
läfst, indem das äufsere Parenchym, wie bei der reitenden 
Knospenlage, eine dunklere dichtere Zellgewebsmasse, das Cam- 
bium der Gipfelknospenspitze, umschlielst; Spiralfasern bilden 
sich jetzt noch nicht in demselben, wohl aber in dem Wür- 
zelchen und den Saamenlappen. 

Es nehmen die Fasern ihren Ursprung von einem hori- 
zontalen Ringe von Spiralen, der nach dem Umkreise- zu von 
einem ähnlichen Ringe von cambialen Parenchymzellen umge- 
ben ist, durchderen Umbildung sich die Spiral-Fasern vermehren; 
es bezeichnet dieser Spiralfaserkreis das punczum vegetationis, 
die Grenze der Wurzel und des Stammes. - 

Hr. Dr. Karsten geht hierauf zur Entwickelung der Ve- 
getationsorgane über, bespricht die Vorgänge der Keimung 
sehr umständlich und bemerkt vom Laubblatte: die Fiederblätt- 
chen sind mit dem allgemeinen Blattstiele gegliedert, dieselben 
sind fest sitzend und ruhen auf ovale Kissen, deren freie 
Oberflächen etwas vorstehen und deren lange Axen mit der 


650 Gesammtsitzung 


Richtung des allgemeinen Blattstieles übereinkommen. Bei ab- 
sterbenden Blättern fällt die obere Hälfte jenes Kissens mit 
dem Blättchen zugleich ab. Die Ursache dieser Gelenkbildung 
nimmt erst bei dem völlig ausgewachsenen Blatte seinen An- 
fang, bis dahin ist das Zellgewebe an der Trennungsstelie mit 
dem benachbarten gleichförmig gebildet und mit Chlorophyll 
angefüllt; dies wird später in einer Zellgewebeschicht, die in 
der Mitte des Blattkissens eine Platte bildet resorbirt, während 
dagegen die Zellmembranen anfangen sich zu verdieken. Der 
ganze Prozels beginnt von dem Umkreise und setzt sich nach 
dem Mittelpunkte und etwas nach unten fort; beim Austrock- 
nen werden nun diese leeren, gleichmälsig verdickten Zellen 
zuerst trocken und spröde und zerbrechen unter der Last des 
noch feuchten Blattes.” 

Von der Entwickelung der Reproductionsorgane bemerkt 
der Herr Verfasser, dals sie zu Anfang der trocknen Jahres- 
zeit (October bis April) beginnt. ,‚Macht man von einem äl- 
teren Stamme, der bereits geblüht hat einen Längenschnitt, so 
sieht man in der Markscheide die Kegelspitze des Faserbündel- 
cylinders oder wenn es eine Pollenpflanze ist, mehrere solcher 
Kegelspitzen fast neben einander. 

Nachdem nun das Faserbündel der künftigen Reproduc- 
tionsorgane einige Linien ungetrennt verlief, theilt es sich in 
mehrere kleine Bündel, die das von Gummikanälen durchzogene 
Parenchym wieder in Mark und Rinde sondern. Die Anzahl 
ist je nach der Natur des Exemplars verschieden und stimmt 
mit der Anzahl der vertikalen Blattreiben der Reproductions- 
organe überein, schwankt also bei der Pollenpflanze zwischen 
8 und 13, bei der Fruchtpflanze zwischen 5 und 8. 

So geordnet verlaufen die Faserbündel eine grofse Strecke 
parallel neben einander und zwar so lange, wie das Rinden- 
parenchym gleichförmig cylindrisch fortwächst den Stiel des 
künftigen Blüthenstandes bildend. 

Die erste Bildung der Pollen- und Fruchtblätter zeigt 
nichts Abweichendes von der Entstehung der Laubblätter über- 
haupt; es ist ein kleiner Wulst cambialer Zellen, die in dem 
schleimigen Bildungsstoffe eine Anzahl von Zellenanfängen 
enthalten. Die Entfaltung der Reproductionsblätter der Zamia 


vom 18. Dezember 1856. 651 


ist die entgegengesetzte ihrer Laubblätter; die in der Spitze 
befindlichen Zellen entfalten sich zuerst, die schildförmige Nei- 
schige Verdickung bildend, die durch das gedrängte Nebenein- 
anderstehen einen sechseckigen Umkreis annehmen; dann deh- 
nen sich auch die Zellen des Stieles und seiner seitlichen Aus- 
breitung zu ihrer eigenthümlichen Form und Gröfse aus, wäh- 
rend schon früher die Gefälse von dem Schafte aus sich in 
das Blatt hinein verbreiteten und die einfächrigen, häufig zu 
zweien verbundenen Antheren sich aus der unteren Seite der 
- Stieloberfläche hervorbildeten. Längere Zeit bestehen diese 
_ Antheren aus einem gleichförmigen Zellgewebe, an dem man 
zuerst die Oberhaut unterscheidet, dann tritt eine Periode ein, 
wo jede Mutterzelle des Parenchyms gleichzeitig vier endogene 
Zellen hervorbringt, in deren jede sich eine Pollenzelle aus- 
"bildet, während die Häute der Mutterzellen wieder verflüssigt 
„werden. 


Die erste Entwickelung der eitragenden Organe, die Ver- 

theilung der Spiralfasern im Schaft und in der Spindel, die 
Form der lateralen Organe (mit Ausnahme der flügelartigen 
Ausbreitung des Stieles) ist dieselbe, wie es bei der Pollen- 
‚pflanze beschrieben wurde. 
Am oberen Ende des geraden, länglichen, nicht gewen- 
"deten (atropen) Eichens bilden sich ferner, schon vor dem er- 
sten Auftreten des Embryonalsackes die Eibüllen aus dem den 
Kern bedeckenden Gewebe, indem, sich dasselbe in zwei 
Schichten gesondert, gleichzeitig mit dem sich verlängernden 
Eikern diesen bedeckend entwickelt und über der Spitze 
des sich ausdehnenden Embryosacks zur Micropyle zusammen- 
treten. 

Untersucht man zu dieser Zeit den Theil des Embryosacks, 
n dem die drei corpuscula oder Embryobläschen anliegen, so 


MB indet man ihn durch drei diesen entsprechenden Poren durch- 
löchert; es scheint, als ob diese von dem durch den Embryo- 
‚sack hindurchgewachsenen Pollenschläuchen gebildet seien, doch 
nicht immer liels sich dort, wo der Entwickelungszustand der 
Eichen und das Vorhandensein dieser Durchlöcherungen das 
efruchtetsein jener vermuthen machte, die Befruchtung wirk- 
lich nachweisen. 


[1856.] 49 


652 Gesammtsitzung 


Nachdem Hr. Dr. Karsten das, was über die vermeint- 
lichen Verwandtschaften der Cycadeen gesagt worden ist,-in 
historischer Kürze zusammengefalst besprochen hat, berichtet 
er hierauf bezüglich die Resultate seiner eigenen Forschungen, 
welche ergeben, dals die CGycadeen in Verbindung mit den 
Coniferen die unter der bekannten Bezeichnung Gymnospermen 


umfassende Pflanzenreihe einnimmt, welche gleichartig den An- 
giospermen gegenüber steht. Er sagt von der Familie der Cy- | 
cadeen: sie, die uns nur durch wenige Formen repräsentirt ist, war 
sehr verbreitet und die am vollkommensten ausgebildete der Jura- 
formation; denn wenn auch die Cycadeen mit den Coniferen 
hinsichts des Baues der Geschlechtsorgane auf einer Stufe der 
Entwickelung stehen, so sind sie denselben durch die wirklich 
gehederten Blätter (d. h. mit artieulirten Fiederblättcehen  ver- 
sehenen) weit voraus und nehmen eine viel höhere Entwicke- 
lungsstufe ein; es sind die vollkommensten Pflanzenformen 
ihrer Schöpfungsepoche, die ersten Pflanzen mit gefiederten 
Blättern, die unsere Erde bewohnten. | 


Hierauf legte Hr. G. Rose eine Reihe von Diamanten 
vor, die Sr. Maj. dem Könige von dem K. Hofrath Löwen- 
stimm aus Petersburg überreicht waren, und nun auf Befehl 
Sr. Maj. dem Königl. mineralogischen Museum sind. 
Es sind folgende: 

1. Ein kugelförmiger Diamant von 13 Karath Gewichd 
und 5 Linien Pr. Durchmesser. Er hat eine ganz unebene 
Oberfläche, die aber doch noch erkennen läfst, dals der Dia- 
mant ein Dodeca@der mit rundlichen Flächen ist. Die eine 
Seite ist abgespalten; die hier zum Vorschein kommende 
Spaltungsfläche ist etwas uneben. Der Krystall ist von grau- 
lichweilser Farbe und durchscheinend. 

2. Ein fast kugelrunder Diamant von 10 Karath Gewicht 
und 3% Linien Durchmesser mit ganz rauher Oberfläche, so 
dals er als eine Zusammenbäufung von sehr vielen Individuen 
erscheint, Von rein weilser Farbe. L. 

3. u. 4. Zwei kleinere Diamante derselben Art, 2% iin 
2 Linien im Durchmesser, von graulichweilser Farbe. 


vom 18. Dezember 1856. 653 


5. Ein Octaäder 3 Linien grols in einer der Octaeder- 
axen, von gelblichweilser Farbe. Die Flächen sind ziemlich 
‚glatt und von gleichem Ansehen, die Kanten wiederholen sich 
"aber besonders nach den Ecken zu, mehrmals nebeneinander. 

6. Ein Hexakisocta@der 3%. Linien grols in einer der 
Octa@deraxen. Die Flächen sind rundlich, die den Octaäder- 
kanten entsprechenden Kanten wie immer ganz abgerundet, die 
den Hexaöderkanten entsprechenden Kanten dagegen scharf aus- 
geprägt. 
7. Ein kleinerer Krystall von derselben Form, 3 Linien 
grols, aber platier, so dals er im Ganzen mehr die Form eines 
Rectanguläroctaäders bat. Wasserhell mit einzelnen grünen 
Flecken im Innero, wodurch der Krystall im Ganzen grünlich- 
weils erscheint. 

’ 8. Ein Zwillingskrystall nach dem gewöhnlichen Gesetz, 
wonach die Zwillingsebene eine Octaöderlläche ist. Die Indi- 
viduen haben dieselbe Form wie bei 6; sie sind aber in einer 


ee EEE ee 


‚auf der Zwillingsebene rechtwinkligen Richtung sehr anein- 
‚ander gerückt, wodurch das Ganze eine dreieckige Gestalt hat, 
Farbe und Flecke wie bei 6, auch sollen heide aus derselben 
Gegend, aus Bahia, sein. 

7 9, Ein ähnlicher Zwillingskrystall, tafelförmig, die drei- 
eckige Form überaus regelmälsig ausgebildet, Die Kante der 
dreieckigen Tafel 4 Linien lang. Die Haupiflächen der Tafel, 
‚die bier von zwei Octa@derflächen gebildet werden, ganz glatt, 
Non: gelblichweilser Farbe, 

10. Ein Zwillingskrystall nach dem zweiten bei dem Dia- 
ante vorkommenden Gesetz gebildet, dafs die Individuen, die 
hier Tetraäder mit abgestumpften Ecken sind, eine Octa@deraxe 
gemein haben, um welehe der eine um 90° gedreht ist, so 
dals die Tetra@derkanten sich rechtwinklig kreutzen. Platt und 


gelblichweils; in der grölsten Dimension 4 Linien großs; un- 
gewöhnlich schön ausgebildet, Wahrscheinlich ist No. 5. ein 
ganz ähnlich gebildeter, nur versteckterer Zwillingskrystall. 
Aufserdem befindet sich in dieser Sammlung ein grolser 
chwarzer runder Diamant von 42 Karath, den der Verf. schon 
in der Sitzung vom 10. Nov. 1853 vorgelegt hatte. 


£ er er e 
| 49° 
} 


654 Gesammtsitzung vom 18. Dezember 1856. 


Hr. Peters gab einen Nachtrag zu der im Bericht der 
Akademie von 1854 pag. 610 gelieferten Übersicht der Anne- 
liden von Mossambique. 

GLYCERA, Savigny. 

1. Glycera Bianconiüi n. sp., der Körper ist wurmförmig, 
oben und unten convex, an der Bauchseite merklich flacher als 
an der Rückenseite, an beiden mit einer mittleren Längsfurche 
versehen, nicht weit hinter dem Kopfende am breitesten, von 
da an bis zum zugespitzten Schwanzende allmählich verschmä- 
lert, aus etwa 250 Segmenten zusammengesetzt, welche zwei 
gleich breite Ringel darstellen, deren vorderer die Ruder trägt. 
Der Kopflappen ist conisch zugespitzt, undeutlich geringelt; 
seine Spitze zeigt unter dem Mikroskop keine Tentakel, son- 
dern nur 1 bis 2 Knötchen; an seiner Basis dagegen zeigen 
sich jederseits fünf auf einander folgende wulstrandige Vertie- 
fungen, aus denen (2- bis Sfädige) Kiemen hervortreten. Der 
Pharynx ist keulenförmig, herausstülpbar, vorn ganz glatt, im 
übrigen Theile mit der Loupe betrachtet granulirt, mit vier 
schwarzbraun gefärbten Kiefern versehen, zwischen denen Läpp- 
chen hervortreten, welche der Zahl nach achtzehn weils ge- 
färbten Längslinien (Canälen ?) entsprechen, welche den gan- 
zen Schlundkopf durchziehen. Die Fülse sind zweirudrig, ihrer 
Gestalt und Zusammensetzung nach mit G2. Meckelüi (vgl. Grube 
in Troschels Archiv 1855 p. 102) übereinstimmend; eine drei- 
lappige Theilung der Fufskiemen, wie sie Grube in einzelnen 
Fällen bei jener Art fand, konnte ich bei dieser jedoch nicht 


wahrnehmen. | 
Malse: Totallänge 07150; gröfste Breite mit den Rudern 
0,0044; ohne dieselben 0,0027. 
Fundort: Inhambane; zwei Exemplare durch Hrn. For- 
nasini. 
PECTINARIA, Lamarck. 
Pectinaria (Armphietene) aegyptia Sav. — Fundort: In- 
hambane; ein Exemplar von mir gefunden. 


N SEE 


N 


0 2 


| 


Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 21. Januar 1856. 655 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 


den vorgelegt: 


Radlkofer, der Befruchtungsproze/s im Pflanzenreiche. Leipz. 1857. 8: 

Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart. XXXIX. Stuttgart 
1856. 8. 

Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indie. Deel X. XI, 1—3. 
Batavia 1856 8. 

Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im Preufsischen 
Staate. 4. Band, 3. Lieferung. Berlin 1856. 8. 

Glaesener, Chronoscope noweau. (Paris 1856.) 8. 

Astronomische Beobachtungen der Universitätssternwarte zu Königsberg. 
Abtheilung 7— 10. 12—18. 20— 22. 28. Königsberg 1822 — 
1856. Folio. Mit Schreiben der Direction der Sternwarte, unter- 
zeichnet Luther, Wichmann, d. d. 15. Dez. 1856. 

Observaciones hechas en el Observatorio real de San Fernando en 1833. 
San Fernando 1835. folio. 

Verhandelingen der K. Akademie van Wetenschappen te Amsterdam. 
Deel III. Amsterdam 1856. 4. 

Verslagen en Mededelingen ... Deel IN, 3. IV. V, 1. en Afdeling 
Letterkunde. DeelI. II, 1. Amsterdam 1855 — 1856. 8. 

J.v. Leeuwen, Lycidas Ecloga et Musae invocatio. Carmina. Am- 
stelod. 1856. 3. 


 Encke, Berliner Astronomisches Jahrbuch für 1859. Berlin 1856. 8. 


Nachtrag zu Seite 50. 


1. Januar. Sitzung der philosophisch-histo- 


rischen Klasse. 


Hr. Pertz las über die Indulgenzbriefe vom Jahre 
454 und 1455. 


Namen- Register. 


Bekker, Disputation d. Patriarchen Gennadios mit Sultan Muhammed II. 
3035. 

Beyrich, Üb. Encrinus liliformis, 580. 

Boeckh, Mittheilungen die Unächtheit d. Uranios betreffend, 62 (s. 74). 
— Epigraphisch-chronolog. Studien, 127. 225. — Rede zur Geburts- 
tagsfeier Sr. Maj. d. Königs, 433. 

Borchardt, bestätigt, 28. — Antrittsrede, 379. 

Boussingault, gewählt, 222, 409, | 

Braun, Über d: Panicumarten mit gefalteten Blättern, 71. — Üb, Parthe- 
nogenesis bei Pflanzen, 434. — Neue Arten d, Gattung Chytridium u. 
d. verwandten Gatt. Rhizidium, 587. 

Bückton uw Hofmann, Einwirk, d. Schwefelsäure auf d. Nitrile u. 
Amide, 29, ! 

Buschmann, Geograph. Schilderung d. Yutah-Gebiets, 434. | 

Cahours u. Hofmann, Neue Klasse v. Alkoholen, 79. 

Caspary, Wachsthum d. Blattes d. Victoria regia, 22. 

Curtius, Über d. Ausgrabung d. Schlängensäule auf d. Hippodrom zu 
Constahtinopel, 162. 286. 

Dana, seine Wahl betreffend, 189. 

Dieterici, Verhältnils d. neu geschlossenen Ehen zur Anzahl d.Lebenden 
in Preulsen, 222. 320, 

Dirichlet, seine Ernennung betreffend, 131. 

Dirksen, Der Rechtsgelehrte u. Taktiker Paternus, ein Zeitgenosse d. 
Antonine, 74. — Zur Auslegung .d. epigraph. Urkunde einer Städte- 


| 
F 
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i 
Ordnung für d. latin. Bürgergemeinde zu Salpensa, 417. | 
Dove, Über d. barometr. Maximum v. 19. December 1854, 32. — Über, 
d. Klima d. preuls. Staates, 187. 335. 
Dubois-Reymond, Polarisation an d. Gränze ungleichartiger Elektro- 
lyte, 395. — Innere Polarisation poröser mit Elektrolyten getränkter 
Halbleiter, 421, 450. 


Namen - Register. 657 


Ehrenberg, Rede zur Feier d. Jahrestags Friedrichs II., 50. 63. — Über 
d. Meeresorganismen in 16200 Fuls Tiefe, 197. — Das mikroskop. 
Leben in Mittel- Afrika, 323. — Bericht über d. gedruckten Theil d. 
Mikrogeologie, 362. — Beantwortung v. Rammelsbergs Antrittsrede, 
375. — Beschaffenheit einer in China gefallenen d. Sonne verfinstern- 
den Substanz, 393. — Über einen weilsen halibiolith. Polirschiefer 
aus Chile, 425. — Vulkanischer elsbarer Polırschiefer aus Hunduras, 
429. — Proben vom Meeresgrund d. Telegraphenlinie v. Amerika 
nach England, 471. 

Encke, Über Hansen's Kritik d. Floratafelo, 13. 26, — Übereinstimmung 
d. Tafeln mit d, Beobachtung, 317. — Bericht über d. v. England ein- 
gesandten Normalmaalse, 240. — Beantwortung v. Kummer’s u. Bor- 
chardv’s Antrittsreden, 381. 

Ewald, Über d. am nördl. Harzrand vorkommenden Budisten, 596. 

Frick, Nachricht üb, d. Denkmal auf d. Hippodrom zu Constantinopel, 
286. 


ec rhard, Über d. Hesiodische Theogonie, 190, 


* Gray, Asa, seine Ernennung betre[fend, 182, 


Grimm, J., Die runische Inschrift am Löwen v. Venedig, 437. 

Grimm, W., Bericht über eine Inschrift auf einem in d. Wallachei ausge- 
grab. goldnen Ring, 602. 

v.d. Hagen, gestorben, 338. 

Hagen, Fluth- u. Bodenverhältnisse d. preuls. Jadegebietes, 339. 

Hartig, Proben des v. ihm entdeckten Klebermehls, 236, 

Haupt, Über d. Erzählung v. Apollonius v. Tyrus, 424. — Über ein alt- 
hochdeutsches Gedicht, 568. 

Heidenhain, Neue elektrophysiolog. Versuche, 128, 

Heintz, Verhalten d. Chloroforms zn andern Körpern, namentlich zu Am- 
moniak, 161. — Einwirkung d. Chlorschwefels auf einige Salze orga- 
nischer Säuren, 263. 

Helmholtz, Über d. Combinationstöne, 279. 

Henzen, Bericht über d. Arbeiten für d. corpus inscript. latinarum aus d. 
Jahr 1855: 35. — aus d. Jahr 1856: 549. 

Hofmann, Über d. Bromtitan, 154. $. Buckton, Cahours. 


Homeyer, Über d. unächte Reformat. Kaiser Friedrich des Dritten, 291. 


— Üb. Klenkok wider d, Sachsenspiegel, 318. — Üb, d. Informatio 
ex speculo saxonum, 362. 
Hooker, seine Ernennung betreffend, 50. 
Karsten, H., Organograph, Betrachtung d. Zamia muricata, 648, 
Kiepert, Geograph. Anordnung d. Namen arischer Landschaften, 624. 


658 Namen- Register. 


Klotzsch, Stellung d. Gattung Ouvirandra im natürl. System, 71. — Ph. 
Schönlein’s botan. Nachlafs auf Cap Palmas, 444, — Übergänge v. 
Avena sativa in A. fatua, 444, 

Köllikeru H. Müller, elektromotor. Verhalten d. Froschherzens, 145. 

Kroenig, Mechanische Wärmetheorie, 395. 

Kronecker, Über d. algebraisch auflösbaren Gleichungen, 203. 

Kummer, bestätigt, 28. — Antrittsrede, 377. — Theorie d. idealen Prim- 
factoren v. d. Zahlen, welche aus d. Wurzeln d. Gleichung #* = 1 
gebildet sind, 648. 

Leo, Photograph. Nachbildungen d. codex argenteus, 604. 


Lepsius, Über d. falschen Palimpsest d. Griechen Simonides, 74 (s. 62). _ 


— Die Götter d. vier Elemente bei d. Ägyptern, 182. — Die XXllste 
Königsdynastie d. Ägypter, 356. 418. 

Lichtenstein, die Hirscharten d. gemälsigten Nord-Amerika, 617. 

Lieberkühn, Über parasit. Schläuche auf einigen Insektenlarven, 220. 

v. Liebig, seine Ernennung betreffend, 62. 

Magnus, Elektrolyt. Untersuchungen, 158. — Wirkung d. Widerstandes 
d. Luft auf längl. Geschosse, 239. 

Malsmann, Über d. zu Wien entdeckte Goldinschrift eines gothischen 
Reimgedichts verglichen mit verwandt. Inschriften, 128. 

Mayer, Bericht üb. d. im October 1856 zu Cairo beobachtete Erdbeben, 
471. 

Meineke, Geschichte d. Dithyrambus, 73. 

Mommsen, Bericht üb. die für d. corpus inscript. latinarum ausgeführten 
Arbeiten im J. 1855: 32. — im Jahr 1856: 547. 

Mosander, gewählt, 222. 409. 

Müller, Entstehung d. Töne, welche gewisse Fische von sich geben, 26. 
50. — Neue Crinoiden aus d. Eifeler Kalk, 353. — Ein Echinoderm 
mit schuppenförm. Tafeln u. Echinidstacheln im Eifeler Kalk, 356. — 
Beobacht. an Infusorien, 389. — Die Thalassicollen, Polyeystinen u. 
Acanthometren d. Mittelmeers, 474 

Müller, H., s. Kölliker. 

Negretti u. Zambra, Maximum-'Thermometer, 142. 

v. Neimans, Bericht üb. d. Erdbeben zu Cairo im October 1856: 471. 

O’Donovan, gewählt, 87. 189. 

Panofka, Dichterstellen u. Bildwerke in ihren gegenseit. Beziehungen, 217. 

Pertz, Der genuesische Geschichtsschreiber Caffarus u. seine Fortsetzer, 
289. 434. — Die Indulgenzbriefe v. 1454 u. 1455; 655. 

Petermann, Inhalt d. astrolog. Buches der Mandäer: Asfar Malwasche, 
364.:— Glaubenslehre d. Mandäer, 417. 


U) LE 


Namen - Register. 659 


Peters, Systemat. Stellung d. Gattung Mormops, Classificat, d. Phyllosto- 
mata, sowie eine neue Art d. Gattung Vampyrus, 409. — Neue durch 
ihre Gröfse ausgezeichnete Taenia, 469.— Amblyodipsas, neue Schlan- 
gengatt. aus Mossambique, 592. — Nachtrag zur Übersicht über d. An- 
neliden v. Mossambique, 654. 

Pinder, Bericht üb. d. im Jahr 1855 für d. corpus inscript. latinarum aus- 
geführten Arbeiten, 35. — Über einige antike Gewichte, 182. — Un- 
edirter Goldmedaillon d. Kaisers Constans d. Ersten, 216. — Ge- 
schichte d, griech. Bücherdrucks u. Vorschlag einer Verbesserung des- 
selben, 416. — Zur Münzkunde Asiens, besonders d. Parthischen Rei- 
ches, 471. 

Poggendorff, Neue Art v. Tonerregung durch d. elektr. Strom, 133. 

Pringsheim, Befruchtung u. Generationswechsel d. Algen, 225. 

Rammelsberg, Zusammensetz. d. Leueits u. seiner Pseudomorphosen, 
148. — Krystallform u. Zusammensetz. d. Vanadinbleierzes, 153. — 
Zusammensetz. d. Leucophans u. Melinophans, sowie neue Verbindun- 
gen aus d. Salzlager v. Stasfurt, 202. — Antrittsrede, 373. — Über 
Zoisit u. die Zusammensetz. d. Epidot, 605. 

Riedel, Zur Charakteristik d. Kurfürsten Friedrich I., 425. — Verbindung 
d. Mark Brandenburg mit d. Grafschaft Mähren im XIV. u. XV. Jahr- 
hundert, 535. 

Rie[s, Einfluls d. Leitung eines elektr. Stromes auf d. Art seiner Entla- 
dung, 241. — Über d. elektr. Pausen, 394. 

Rose, G., Die heteromorphen Zustände d. kohlensauren Kalkerde, 29. — 
Über d. dichten Boracit v. Stasfurt, 75. — Beschaffenheit u, Lage- 
rungsverhältnisse d. Gesteine im Riesen- u. Isergebirge, 444. — Be- 
schreib. d. neuen Diamanten des königl. Mineraliencabinets, 652, 

Rose, H., Borsaur. Äthyloxyd, 202. — Atomgewicht d. Antimons, 239. 
— Tantal u. seine Verbindungen mit Chlor u. Brom, 385. — mitFluor, 
436. — mit Schwefel, 599. 

de Rossi, Bericht üb. d. Arbeiten für d. corpus inscript. latinarum im J. 
1855: 38. 46. — im Jahr 1856: 562, 

Sabine, seine Wahl betreffend, 28. 

Salm-Horstmar, Fürst zu, bestätigt, 189. 238, 

Schacht, Structur u. Entwicklung d. Corallinen, 241. — Befruchtung d. 
Phanerogamen, namentlich d. Gladiolus segetum, 241. 266. — Ent- 
stehung, Bau u. Verlauf d. Milchsaftgefälse bei Carica Papaya, 515. 

Schlagintweit, Hermann u. Robert, Bericht über ihre Reise v. Leh nach 
Ost-Turkistan u. Khotan, 618, 

Schneider, A., Bewegungen an d. Saamenkörperchen d. Nematoden, 192. 


660 Namen - Register. 


Schneider, R., Atomgewicht d. Antimons, 143. — Darstell. d. Jodwis- 
muths auf trocknem Wege, 469. 

Schönbein, gewählt, 222. — Eigenthüml,. Erzeugung d. salpetrigen Säure, 
580. 

Schott, Über d. Sprache v. Siam u. ihr Verhältnils zu d. übrigen einsilbi- 
gen Sprachen, 216. 

Schultze, Über d. Endigung d. Geruchsnerven u. d. Epithelialgebilde d. 
Nasenschleimhaut, 504. 

Secchi, Photograph. Zeichnungen d. Mondes, 449. 

Steiner, Über eine besondere Curve dritter Klasse u. vierten Grades, 1. 
— Üb. d. Flächen dritten Grades, 50. 

Temminck, bestätigt, 29. 74. 

Trendelenburg, Herbart’s Metaphysik u. neue Auffassung derselben, 87. 
— Herbart’s prakt. Philosophie u. d. Ethik d. Alten, 317. — Leib- 
nizen’s Entwurf einer Universalsprache, 367. 

v. Velsen, Über d. athenische Psephisma für Phormion u. Karphinas, 115. 

Villerm&, gewählt, 87. 189. 

Vogel, Wassersystem u. Oberllächenstaub d, Gegend v. Kuka, 286, 

Weber, R., Verhalten d, Schwefelquecksilbers zu d. Verbindungen d. al- 
kal. Metalle, 9. 

Weierstrals, gewählt, 620, 

Weils, gestorben, 473, 

Wöhler, Über d. krystallisirte Silicium, 26. 73, 

Wolters, Anerkennung seiner Bemühung nm d. Akademie, 289. 

Wurtz, Darstell. u. Eigenschalten des Glykol, 421. 

Zambra, s. Negretti, 

Zeuls, gewählt, 87.189. — Berichtig. in Betreff d. Marcellischen For- 
meln, 187. 


m n 


Sach - Register. 


Acanthometra, Charakteristik d. Gattung u. d. neuen Arten, 493. 

Acetonitril, Wirkung d. Schwefelsäure darauf, 29. 

Acrylalkohol, Darstellung, 81. — Verbindungen, 83. 

Acrylreihe, Glieder derselben, 84. 

Aegypten, Die Götter d. vier Elemente bei d. Aegyptern, 182. — Be- 
merk. über d. XX1. bis XXIV. u. XXVI. Königsdynastie, 356. 418. — 
Erdbeben in Aeg,, 471. 

Aethyloxyd, borsaures, 202. 

Akustik, s. Töne. 

Algen, Geschlechtsorgane derselben, 226. — Befruchtungsact bei Oedo- 
gonium ciliatum, 227. — Eigenthümlichkeit anderer Arten, 233. — 
Analogie mit d. Befruchtung d. Phanerogamen, 234. 

Alkohol, Tabelle d. Alkohole, 86. S. Acrylalkohol. 

Alkoholometer, v. Richter angefertigt, 471. 

Amblyodipsas, neue Schlangengattung aus Mossambique, 592. 

Amide, Einwirk. d. Schwefelsäure darauf, 29. 

Anneliden v. Mossambique, Nachtrag dazu, 654. 

Antimon, Atomgewicht, 143. 239. 

Apollonius v. Tyrus, 424. 

Aponogeton, Stellung im System, 72. 

Aräometet, v. Richter angefertigt, 471. 

Archäologie, Epigraphisch-chronolog. Studien, 127. — Ausgrabung d. 
Schlangensäule auf d. Hippodrom in Constantinopel, 162. 286. — Be- 
schreib. einiger antiker Gewichte, 182. — Unedirter Goldmedaillon d. 
Kaisers Constans I, 216. — Wechselseit. Beziehung zwischen Dich- 
terstellen u. Bildwerken, 217. S. Inschriften. 

Arische Landschaften, geograph. Anordnung ihrer Namen, 621. 

Asfar Malwasche, astrolog. Buch d. Mandäer, 365. — Glaubenslehre 
d. Mandäer, 417. 

Astronomie, Hansen’s Kritik d. Floratafeln irrig, 13. 26. 


662 Sach - Register. 


Avena sativa, Übergänge in Av. fatua, 444. 

Barometer, barometrisches Maximum d. 19. December 1854: 32. 

Befruchtung bei d. Algen, 226. — bei Gladiolus segetum, 241. 266. 

Bildwerke u. Dichterstellen, ihre wechselseit. Beziehung, 217. 

Boracit, Der dichte B. v. Stasfurt verschieden vom Boraeit, 75. — heilst 
daher besser Stasfurtit, 77. 

Botanik, Bestätigung d. Parthenogenesis, 434. — S. Algen, Aponogeton, 
Avena, Carica, Chytridium, Panicum, Rhizidium, Victoria, Zamia; Be- 
fruchtung, Milchsaftgefälse. 

Brandenburg, Vereinigung d. Mark Br. mit d. Grafschaft Mähren im 
XIV. u. XV. Jahrh., 535. 

Bromtitan, Darstell. u. Zusammensetzung, 156. 

Bücherdruck, griechischer, Geschichte desselben, 416. 

Coelobogyne, ilicifolia, zeigt d. Parthenogenesis, 434. 

Caäffarus, genuesischer Geschichtsschreiber u. seine Fortsetzer, 289. 434. 

Carica Papaya, Milchsaftgefälse derselben, 515. — Eigenschaften d. 
Milchsaftes, 523. 

Cervus, Arten dieser Gattung im gemälsigten Nord-Amerika, 617. 

Chemie, Siedepunkte correspondirender Chlor- u. Bromverbindungen, 
155. S. Alkohol, Amide, Chloroform, Chlorschwefel, Kalkerde, Me- 
thionsäure, Nitride, Schwefelquecksilber, Silicium, Tantal, Titan. 

Chloroform, Verhalten zu andern Körpern, besonders Ammoniak, 161. 

Chlorschwefel, Wirkung auf ameisens., essigs. u. benzoesaure Salze, 
263. 

Chronologie, epigraphisch-chronologische Studien, 225. 

Chytridium, Neue Arten davon, 587. — Unterschied v. Rhizidium, 591. 

Cladocoecus, Charakteristik, 485. 

Codex argenteus, photograph. Nachbildungen desselben, 604. 

Combinationstöne, Untersuch. derselben, 279. 

Corallinen, ihre Structur u. Entwicklung, 241. 

Crinoiden, neue aus d. Eifeler Kalk, 353. — Die Cr. d. Muschelkalks, 
‘zunächst Encrinus liliformis, 580. 

Cycadeen, Verwandtschaften derselben, 652. 

Diamant, Beschreib. d. neuen Diamanten des königl. Mineraliencabinets, 
652. 

Dietyosoma, Charakteristik, 485. 

Disputation d. Patriarchen Gennadios mit Sultan Muhammed II. in türk. 
Sprache, 305. 

Echinodermen mit schuppenförm. Tafeln u. Echinidstacheln aus d. Ei- 
feler Kalk, 356. 


Sach- Register. 663 


Elektriceität, Neue Art v. Tonerregung durch d. Inductionsstrom, 133. 
— Dieselbe zeigt sich bei allen Metallen, 135. — Ursache derselben, 
139. — Erklärung d. elektrolyt. Zersetzung d. Salzlösungen, 158. — 
Bedingungen für d. Ausscheidung einer Substanz aus d. Elektrolyten, 
161. — Polarisation an d. Grenze ungleichart, Elektrolyte, 395, — 
Innere Polarisation poröser mit Elektrolyten getränkter Halbleiter, 
421. 450. — Dieselbe eine allgemeine Eigenschaft feuchter poröser 
Körper, 454. 

Einfluls d. Leitung eines elektr.Stromes auf.d. Art seiner Entladung, 
241. — durch metallische Stromleiter, 245. — durch flüssige, 249. — 
durch verdünnte Luft, 255. — Elektrische Pausen, 394. 

Der elektr. Strom vergrölsert nicht merklich d. Dehnbarkeit eines 
v. ihm durchfloss. Muskels, 128. — Wann d. el. Strom dem Muskel 
d. verlorene Fähigkeit [sich zu dehnen wiedergiebt, 129. — Erregung 
eines anhaltenden Tetanus auf mechanischem Wege, 130. — Elektro- 
motor. Verhalten d. Froschherzens, 145. 

Encrinus liliformis, 580, 

Epidot, Beziehung zum Zoisit u. Zusammensetz., 613. 

Epithelialgebilde d. Nasenschleimhaut, 504. 

Erdbeben zu Bulak u. Cairo, 471. 

Eucyrtidium, Charakteristik, 492. 

Fische, Entstehung d. Töne bei ihnen, 26. 50. 

Flora, Hansen’s Kritik d. Brünnowschen Floratafeln irrig, 13. 26. — 
Übereinstimm. d. Tafeln mit d. Beobachtung, 317. 

Fluthverhältnisse im preufs. Jadegebiet, 339. 

Friedrich J., Churfürst; zur Charakteristik dess., 425. 

Gedicht, althochdeutsches, 568. S. Inschrift. 

Gennadios, Patriarch, seine Disputation mit Sultan Muhammed II., 305. 

Geognosie, Beschaffenheit u, Lagerungsverhältnisse d. Gesteine im Iser- 
u. Riesengebirge, 444. . S. Petrefacten. 

Geographie, Schilderung d. Yutah-Gebietes, 434. — Reise d. Gebrüder 
Schlagintweit v. Leh nach Ost- Turkistan u. Khotan, 618, — Geo- 
graph. Anordnung d. Namen arischer Landschaften, 621. 

Geruchsnerven, Endigungsweise derselben, 504. 

Geschichte d. griech. Bücherdrucks, 416. — Über d. Indulgenzbriefe y. 
145/ u. 1455; 655. S. Brandenburg, Caffarus, Friedrich. 

Geschosse, Wirkung d. Luftwiderstandes auf längliche Geschosse, 239, 

Gewicht, Beschreib. einiger antiker Gewichte, 182. — Englische Normal- 
Gewichte, 240. 

Gladiolus segetum, Vorgang bei d. Befruchtung, 266. 


664 Sach - Register. 


Glykol, Darstell. u. Eigenschaften, 421. 

Granitit, Charakteristik dess., 444. 

Griechischer Bücherdruck, Geschichte desselben, 417. 

Haliomma, Charakteristik, 487. 

Handschrift eines althochdeutschen Gedichtes, 568. $. Codex. 

Herbart, Neue Auffassung seiner Metaphysik, 87. — Seine prakt. Philo- 
sophie, 317. 

Hirsche des gemälsigten Nord-Amerika, 617. 

Jade-Gebiet, preulsisches, Fluthverhältnisse daselbst, 341. — Schlick- 
gehalt d. Wassers, 346. — Salzgehalt desselben, 350. — Bodenver- 
hältnisse daselbst, 351. 

Indulgenzbriefe v. 1454 u. 1455; 655. 

Informatio ex speculo saxonum, 362. 

Infusorien, Beobacht. v. blasenförm. Organen bei einem dem Trachelius 
meleagris ähnl. Inf., 389. — Über die in Hohlräumen gewisser Inf. be- 
weglichen Fäden, 390. — Spiel d. contractilen Organe bei Paramae- 
cium aurelia, 392. S. Mikroskop. Organismen. 

Inschriften, Jahresbericht über die im J. 1855 für d. corpus inscript. la- 
tinarım ausgeführten Arbeiten, 32. — Desgleichen 1856; 547. Epi- 
graphisch-chronolog.Studien, 127. 225. — Goldinschrift eines zu Wien 
entdeckten gothischen Reimgedichts in Verbindung mit verwandten 
Inschriften, 128. — Inschr. an der auf d. Hippodrom zu Constantinopel 
ausgegrabenen Schlangensäule, 164. 286. — Inschr. auf einem unedir- 
ten Goldmedaillon d. Kaisers Constans L, 216. — Zur Auslegung d. 
epigraph. Urkunde einer Städteordnung für d. latin. Bürgergemeinde 
zu Salpensa, 417. — Runische Inschr. am Löwen v. Venedig, 437. — 
Inschr. auf einem in d. Wallachei gefund, Goldring, 602. $. Pse- 
phisma. 

Insekten, Parasitische Schläuche auf einigen Insektenlarven, 220. 

Jodwismuth, dreifach, Darstell. auf trocknem Weg, 469. 

Isergebirge, s. Geognosie. 

Jurisprudenz, Über d. unächte Reformation d. Kaisers Friedrich d. 
Dritten, 291. 8. Sachsenspiegel. 

Kalkerde, Heteromorphe Zustände d. kohlensauren K., 29. 

‚Klebermehl v. Hartlig, 2806. 

Klenkok wider d. Sachsenspiegel, Nachtrag, 318. 

Leueit, chemische Zusammensetz. desselben u. seiner Pseudomorphosen, 
448, 

Leukophan, Zusammensetz., 202. 

Lithocircus, Charakteristik, 484. 


{ 


Sach - Register. 665 


Löwe v. Venedig, runische Inschrift daran, 437, 
Maalse, Englische Normalmaalse u. Gewichte, 240, 
Mähren, Verbindung mit d. Mark Brandenburg im XIV. u. XV. Jahrh., 
535: 
Mandäer, Glaubenslehre derselben, 417. S. Asfar. 
Marcellische Formeln sind celtisch, 187. 
Mathematik, Eigenschaften einer Curve dritter Klasse, die bei verschied. 
geometr. Betrachtungen vorkommt, 1. — Über d. Flächen dritten Gra- 
des, 50. — Über d. algebraisch auflösbaren Gleichungen, 203, — 
Theorie d. idealen Primfactoren v. d. Zahlen, welche aus d. Wurzeln 
d. Gleichung »” = 1 gebildet werden, 648. S. Astronomie, 
Medaillon, unedirter Goldmed. d. Kaisers Constans I., 216. 
Meer, Mikroskop. Organismen aus 16200 Fuls Tiefe, 197. 
Melinophan, Zusammensetz,, 202. 
Metaphysik, Herbart’s, Neue Auffassungen derselben, 87. 
Meteor, Eine in China die Sonne verfinsternde Substanz aus Pappelwolle 
bestehend, 393. 
Meteorologie, Klima d. preufs. Staates, 187. S. Thermometer. 
Methionsäure, Stellung derselben unter d. organ. Säuren, 32. 
Mikrogeologie, y. Ehrenberg, Bericht über d. gedruckten Theil, 362. 
Mikroskopische Organismen aus 16200 Fuls Meerestiefe, 197. — 
aus d. centralen Landflächen Mittelafrika’s, 287. 323. — im Staub d. 
Ebne v. Kuka, 326. — im Sand aus einem 45 Fuls tiefen Brunnen bei 
Kuka, 327. — im Bodenschlamm aus d. Tschad-See, 328. — im Sand 
mit Goldglimmer aus d. Quellen d. Gongolaflusses, 328. — Abbildun- 
gen dazu, 337. — Meeresorganismen im Polirschiefer d. Wüste y. 
Atakama in Chile, 425. — Mikr. Org. im elsbaren Tuff aus Honduras, 
429. — Proben d. Meeresgrundes an d. Telegraphenlinie zw. Nord- 
Amerika u. England, 471. 
a)Polygastrica aus Bornu, 333. — aus der Wüste v. Atakama in 
Chile, 427. — im elsbaren Polirschiefer v. Honduras, 430. 

b)Polyceystinen im Polirschiefer aus Chile, 428. — Lebende bei 
Cette u. Nizza, 482. 

c)Phytolitharien aus Bornu, 334. — aus Chile, 428. — im efsba- 
ren Polirschiefer v. Honduras, 430. 

S. Infusorien. 

Milchsaftgefälse in d. Carica Papaya, 515. — Vergleich mit andern 
Pflanzen, 524. — Ergebnisse, 529. 

Mineralien, s. Boracit, Epidot, Leucit, Leukophan, Melinophan, Tach- 
hydrit, Vanadinbleierz, Zoisit. 


666 Sach - Register. 


Mormops, Systemat. Stellung dieser Gattung, 409. 

Münzen, Zur Kenntnifs der M. Asiens, besonders d. Parthischen Reiches, 
41. 

Muskel, s. Elektrieität. 

Myth ologie, Die Götter d. vier Elemente bei d. Ägyptern, 182. — Sätze 
üb. d. Hesiodische Theogonie, 190. 

Nasenschleimhaut, Epithelialgebilde derselben, 504. 

Nematoden, Bewegungen an den Saamenkörperchen derselben, 192. 

Normalmaalse, s. Maalse. 

Oedogonium ciliatum, Befruchtung bei demselben, 227. 

Ouvirandra, Systemat, Stellung dieser Gattung, 71. 

Panicum, Arten mit gefalteten Blättern, 71. 

Pappelwolle in d. Luft schwebend verfinsterte in China d. Sonne, 393. 

Parthenogenesis, beobachtet bei Pflanzen, 434, 

Parthische Münzen, 471. 

Paternus, Rechtsgelehrter u. Taktiker, ein Zeitgenosse d. Antonine, 74. 

Petrefacten, Neue Crinoiden aus d. Eifeler Kalk, 353. — Echinoderm 
mit schuppenförm. Tafeln u. Echinidstacheln ebendaher, 356. — Die 
Crinoiden des Muschelkalks, 580. — Über die am nördl. Harzrand 
vorkommenden Rudisten, 596. 

Philologie, Die Sprache v. Siam u. ihr Verhältnils zu d. übrigen einsil- 
bigen Sprachen, 216. — Leibnizens Entwurf zu einer Universalsprache, 
367. S. Disputation, Inschriften. 

Philosophie, Neue Auffassung v. Herbart’s Metaphysik, 87. —Herbart’s 
prakt. Phil. u. die Ethik d. Alten, 317. 

Phonolith, jünger als Basalt, 449. 

Phyllostomata, Classificat. derselben, 415. 

Physiologie, Bewegungen an d. Saamenkörperchen d. Nematoden, 192. 
S. Befruchtung, Elektricität. 

Podocyrtis, Charakteristik, 492. 

Polyeystinen im Polirschiefer aus Chile, 428. — Lebende Pol. bei Cette 
u. Nizza, 482. S. Acanthometra, Cladococcus, Dietyosoma, Eueyrti- 
dium, Haliomma, Lithocircus, Podocyrtis, Spongosphaera, Stylocyclia. 

Polygastrica, s. Mikroskop. Organismen. 

. Preisfragen, Über die zur Lösung der v. d. philosoph.-histor. Klasse 
1850 gestellten Pr. eingegangenen Arbeiten, 368. — Neue Pr. betref- 
{end eine Sammlung aller aristotel. Fragmente, 372. 

Preufsen, Klima d. preufs. Staates, 187. 385. — Verhältnifs d. neuge- 
schloss. Ehen zur Einwohnerzahl in Pr., 222. 320. S. Jadegebiet. 

Psephisma, athenisches für Phormion u. Karphinas, 115. 


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Sach- Register, 667 


Reden, zur Feier d. Jahrestags Friedrich II. v. Ehrenberg, 50. 63.— Ram- 
melsberg’s Antrittsrede, 373; Ehrenberg’s Erwiderung derselben, 375. 
— Antrittsrede v. Kummer, 377; v. Borchardt, 379; Encke’s Beant- 
wortung beider, 381. — Rede zur Geburtstagsfeier Sr. Maj, d. 
Königs, 433. 

Reformation, unächte d. Kaisers Friedrich d. Dritten, 291. 

Reise, Bericht über d. R. der Gebrüder Schlagintweit, 618. 

Rhizidium, Unterschied v. Chytridium, 591. 

Riesengebirge, Beschaffenheit u. Lagerungsverhältnisse d. Gesteine in 
demselben, 444. 

Rudisten v. nördl. Harzrand, 596. 

Sachsenspiegel, Nachtrag zu Klenkok wider denselben, 318, — Über 
d. informatio ex speculo saxonum, 362. 

Salpensa, Auslegung d. epigraph. Urkunde einer Städte - Ordnung von 
dort, 417. 

Salpetrige Säure aus Ammoniak u. Sauerstoff unter Mitwirkung v. Pla- 
tin entstehend, 581. 

Samenkörperchen, ihre Bewegungen bei d. Nematoden, 192, 

Sauerstoff, seine oxydirende Wirkung durch Platin erhöht, 581. 

Schlangen, Amblyodipsas eine neue Gattung, 592. 

Schlangensäule auf d. Hippodrom zu Constantinopel, Ausgrabung der- 
selben, 162, 286. 

Schwefelquecksilber, Verhalten zu d. Verbindungen d. Alkalimetalle, 9. 

Siam, Sprache v. Siam u. ihr Verhältnils zu d. übrigen einsilbigen 
Sprachen, 216. 

Siedepunkt bei correspondirenden Chlor- u. Bromverbindungen, 155. 

Silicium, Darstell. d. krystallisirten, 26. 73. — Äquivalent, 155. 

Sphaerozoum bezeichnet zweckmälsig d. zusammengesetzten 'Thalassi- 
collen, 476. — Neue Arten, 477. 

Spongosphaera, Charakteristik, 487. 


- Sprache, s. Philologie. 


Stasfurtit, verschieden v. Boracit, 77. 


- Statistik, Verhältnils d.neugeschlossenen Ehen zu d.Lebenden, 222. 320 


Stilocyclia, Charakteristik, 492. 

Tachhydrit, Zusammensetz., 203. 

Taenia, Neue Art v. riesiger Grölse, 469. 

Tantal, Darstell., 335. — Verbindung mit Chlor, 387. — mit Brom, 389, 
— ist mit Jod nicht ebenso zu erhalten, 389. — mit Fluor, 436. — 
mit Schwefel, 599, 


[1856.] 50 


668 Sach- Register. 


Thalassicolla heilsen am zweckmälsigsten nur d.solitären Formen, 476, 
— Verwandtschaft mit d. Polycystinen, 482. S. Sphaerozoum. 

Theogonie, Hesiodische, 190. 

Thermometer, Maximumtherm. v. Negretti u. Zambra, 142, 

Titan, Darstell. u. Zusammensetz. v. Bromtitan, 156. 

Töne durch Fische hervorgebracht, 26. 50. — T. durch elektr. Inductions- 
ströme, 133. — Zur Theorie d. Combinationstöne, 279. 

Universalsprache, Leibniz’ens Vorschlag zu einer solchen, 367. 

Vampyrus, Neue Art, 415. 

Vanadinbleierz, Krystallform u. Zusammensetz., 153. 

Venedig, runische Inschrift am Löwen daselbst, 437. 

Victoria regia, Tägl. Periode im Wachsthum d. Blattes, 22. — Einfluls 
d. Wärme darauf, 26. 

Wärmetheorie, mechanische, 395. 

Wismuth, Darstell. v. dreifach Jodw. auf trocknem Wege, 469. 

Yutahgebiet, geograph. Schilderung dess., 434. 

Zamia muricata, Beschreib. 648. 

Zinnober, s. Schwefelquecksilber. 

Zoisit, Zusammenseiz. u. Beziehung zum Epidot, 605. 

Zoologie, Parasitische Schläuche auf einigen Insektenlarven, 220. S. 
Amblyodipsas, Cervus, Elektricität, Fische, Infusorien, Mikroskop, 
Organismen, Mormops, Nematoden, Phyllostomata, Polycystinen, Tae- 
nia, Thalassicolla, Vampyrus.———__ 


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