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Full text of "Berichte des Naturwissenschaftlich-medizinischen Vereins in Innsbruck"

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des 
naturwissenschaftlich-medizinischen 


VEREINES 


in 


INNSBRUCK. 


aT Jahrgang. 


1. Heft. 


INNSBRUCK. 


Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung. 


1870. 


Naturwissenschaftlich-medizinischer Verein. 


I. Sitzung, den 18. Marz 1870. 


Nach einer kurzen Begriissung der Vereinsmitglieder 
durch den 1. Vorsteher und Mittheilung der Genehmigung 
der Statuten des Vereins durch die h. Statthalterei mit we- 
nigen Abänderungen und Zusätzen wird von dem 1. Vor- 
steher 

Herr H. Platter als neues Mitglied auf Grund seiner 
Meldung vorgeschlagen. Einstimmig gewählt. 

Als Sitzungstag wird Mittwoch durch Stimmenmajorität 
festgesetzt. 

Darauf erhält Herr Prof. Pfaundler das Wort zu 
seinem angekündigten Vortrag über Rechenmaschinen: 

Nach einem kurzen Ueberblicke über ältere derartige 
Apparate beschreibt er einige Bestandtheile der neuern Rechen- 
maschine von Thomas und erläutert ihre Anwendung bei der 
Ausführung der 4 Rechenspecies. 

Hierauf berichtet derselbe über eine Reihe von Wärme- 
capacitätsbestimmungen des Wassers unter 0, welche Herr 
Hugo Platter im physikalischen Laboratorium ausgeführt hat. 
Zu diesem Zwecke wurden Glaskugeln mit dünnen Ansatz- 
röhren mit Wasser gefüllt zugeschmolzen, in einem Kälte- 
gemische von Wasser und salpetersaurem Ammoniak auf 
einige Grade unter 0 abgekühlt und nachdem die Temperatur 
daselbst konstant geworden, was man an der konstanten 
Höhe des Wassers in der engen Röhre erkannt, in ein mit 

Naturw.-med. Verein. 1 


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Wasser höherer Temperatur gefülltes Calorimeter getaucht. 
Die aus den bezüglichen Temperaturbeobachtungen abgelei- 
teten Resultate würden ein Ansteigen der Capacitaét von 0° 
bis — 3° C. ergeben. Die erhaltenen Zahlen sind aber 
nicht sicher genug, um jetzt schon veröffentlicht werden zu 
können. Mischungsversuche dieser Art scheinen nemlich eine 
Fehlerquelle in sich zu schliessen, welche auch bei früher 
mitgetheilten Capacititsbestimmungen des Wassers über 0° 
die Abweichungen zu gross ergaben, wovon sich der Vor- 
tragende durch Bestimmungen mittelst des elektrischen Stro- 
mes überzeugt hat. 

Schliesslich wird das Resultat der in dieser Sitzung 
statutenmässig vorgenommenen Wahl der Geschäftsführer für 
das laufende Jahr mitgetheilt und erscheinen als gewählt: 
Herr Prof. Heller zum ersten, Herr Prof. Heine zum 
zweiten Vorsteher, Herr Prof. Dantscher zum Kassier 
und Herr Dr. Fizia zum Schriftführer. 

Schluss der Sitzung 8 Uhr. 


If. Sitzung, den 30. März 1870. 


Nach Lesung des Protokolls der letzten Sitzung stellte 
der 1. Vorsteher Herr Prof. Heller bezüglich der Heraus- 
gabe der Vereins-Zeitschrift den Antrag: Ein Comite aus 
4 Mitgliedern zu wählen, welches in der nächsten Sitzung 
die Vorschläge hiezu zu machen habe und schlägt die Herren 
Professoren: Barth, Heine, Mauthner und Pfaundler vor, 
womit sich die Anwesenden für einverstanden erklären. 

Hierauf wurde über einen Antrag der Herren Profes- 
soren: Barth, Dantscher, Heine, Hofmann, Maly, Mauthner, 
Rembold die Latrinenfrage Innsbrucks betreffend debattirt, 
gegen welchen Herr Prof. Pfaundler sprach, indem er meinte, 
dass es Sache des Vereines wäre diese Angelegenheit bloss 
theoretisch zu behandeln und erst dann mit practischen Vor- 
schlägen vorzutreten, wenn der Verein um Rathschläge an- 


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gegangen wird und beruft sich dabei auf die Resolution, die 
bei der vorjährigen hiesigen Naturforscher-Versammlung be- 
schlossen wurde. Er selbst, der die Cloakengeschichte Mün- 
chen’s studirte, stellte darüber in den Sitzungen des hiesigen 
landwirthschaftl. Vereins verschiedene Anträge, welche aber 
resultatlos blieben. 

Gegen den Vorredner sprach zunächst Herr Prof. Heine, 
welcher die Nützlichkeit des Vereines für diese Stadt her- 
vorhebt, wenn derselbe sich auch mit praktischen Fragen 
beschäftigt und sieht die Angelegenheiten, die die Naturfor- 
scher-Versammlung vertreten hat, als verschieden von denen 
an, die dieser Verein vertritt, der sich an locale Verhält- 
nisse hält und glaubt, indem er sich auf die in Heidelberg 
erzielten Erfolge beruft, dass die Rathschläge dieses Vereins 
nicht unberücksichtigt bleiben werden. 

Herr Prof. Barth billigt das vom Vorredner Gesagte 
und meint, dass es Sache des Vereins sei, in dieser Angele- 
genheit besonders die sanitäre Seite zu berücksichtigen. 

Nachdem noch Herr Prof. Rembold die Nützlichkeit 
des Studiums dieser Frage besprach und sich auf England 
berief, wo ein eigener Sanitätsrath besteht, der sich unter 
Anderem auch mit ähnlichen Fragen beschäftigt, wurde zur 
Abstimmung geschritten und der Antrag mit Majorität an- 
genommen. 

Hierauf hielt Herr Prof. Kerner einen Vortrag über 
die Sexualität der Pflanzen. Er erläuterte den Vorgang bei 
der Befruchtung der s. g. Zwitterblüthen und wies an einer 
Reihe von Beispielen nach, dass die noch vor kurzem all- 
gemein vorausgesetzte Selbstbestäubung bei der weitaus grössten 
Mehrzahl der Pflanzen durch besondere oft sehr complizirte 
Vorrichtungen in den Blüten unmöglich gemacht werde. Nebst 
einigen durch Sprengel und Hildebrand bereits bekannt ge- 
machten diessfälligen Erscheinungen wurden besonders die 
von Prof. Kerner im verflossenen Sommer beobachteten Vor- 
gänge bei der Befruchtung der Phyteuma Halleri, Berberis 
vulgaris, Impatiens nolitangere und Salvia glutinosa einge- 


1* 


IV 


hender behandelt. Die Besprechung der Bedeutung des Ge- 
setzes der vermiedenen und unvortheilhaften stetigen Selbst- 
befruchtung im Pflanzenreiche wurde einer späteren Versamm- 
lung des Vereines vorbehalten. 

Zum Schlusse schlägt der 1. Vorsteher Herr Prof. 
Heller ein Comite von 6 Mitgliedern, nemlich die Herren 
Prof. Barth, Heine, Hofmann, Rembold, Dr. Berreiter und 
Dr. Glatz vor, welche sich mit dem besagten Cumulativ-An- 
trage, die Latrinenfrage Innsbruck’s betreffend, näher be- 
schäftigen sollen, und welche auch einstimmig gewählt 
wurden. | 

Schluss der Sitzung 8%, Uhr. 


III. Sitzung, den 2. Mai 1870. 

Nach Lesung des Protokolls der letzten Sitzung wurden 
zur Aufnahme in den hiesigen naturwissensch.-medic. Verein 
vom 1. Vorsteher Herrn Prof. Heller auf ihr Ansuchen 
die Herren A. Ausserer, J. Hinterwaldner, Dr. v. Trenti- 
naglia, Dr. Putz, Dr. Heinisch, Wawra und Prof. v. Vintsch- 
gau vorgeschlagen und einstimmig angenommen. 

Nachdem noch Herr Prof. Heine dem Vereine ein von 
Dr. W. ©. Bausch verfasstes Werk: „Uebersicht der Flech- 
ten des Grossherzogthums Baden“ als Geschenk übermittelte 
und eine Zuschrift vom ärztlichen Vereine zu Salzburg wegen 
Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen mit unserem Ver- 
eine vorgelesen wurde, schritt man zur Tagesordnung, auf 
welcher die Lesung des Vorschlages des Comite’s, welches 
bezüglich der Herausgabe der Vereins-Zeitschrift verhandelte, 
stand. Derselbe wurde mit wenigen Aenderungen einstimmig 
angenommen. 

Zum Schlusse hielt Herr Prof. Pfaundler einen Vor- 
trag über eine Modification der Dampfdichtebestimmung. (Der 
ausführliche Vortrag erscheint weiter unten.) 

In der Vereins- Sitzung vom 2. Mai wurde bezüglich 


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der Herausgabe der Vereins - Zeitschrift folgender Beschluss 

gefasst: 
1. Die Vereinszeitschrift führt den Namen: „Berichte des 


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naturwissenschaftlich - medicinischen Vereines in Inns- 
bruck “. 


. Sie erscheint in zwanglosen Heften, von denen minde- 


stens zwei im Jahre erscheinen miissen. 


. Den Inhalt der Zeitschrift bilden Gegenstände der Ta- 


gesordnung in den einzelnen Sitzungen, die abgehal- 
tenen Vorträge vollständig oder im Auszuge, vorge- 
legte wissenschaftliche Abhandlungen , Berichte aus 
den wissenschaftlichen Instituten und Cliniken, me- 
teorologische Beobachtungen, Correspondenzen und No- 
tizen. 


. Die Zeitschrift erscheint in Format, Druck und Aus- 


stattung wie die Zeitschrift des Ferdinandeums. 


. Der Druck wird von der Wagner’schen Buchdruckerei 


um einen festgesetzten Preis besorgt. Im Falle beson- 
dere Anforderungen an den Druck gestellt werden, wie 
die Anfertigung von Tabellen, Zeichnungen, mathe- 
matischer Formeln u. s. w., welche die Kosten der 
Herstellung bedeutend erhöhen, ist früher eine Ver- 
einbarung des Verfassers mit der Vereinsleitung zu 
treffen. 


. Von jeder Abhandlung erhalten die Verfasser auf ihren 


Wunsch 25 Separatabdrücke unentgeltlich. Werden 
mehr Separatabdrücke verlangt, so sind diese vom 
Verfasser besonders zu zahlen und zwar für 25 Ab- 
drücke per Bogen 50 kr. ö. W. Dieser Preis gilt 
jedoch nur für den Fall, wenn für die Separatab- 
drücke keine eigene Paginirung gefordert wird. Im 
letzteren Falle würde sich der Preis per Bogen um 
1 fi. erhöhen. 


. Jedes Mitglied erhält die einzelnen Hefte der Zeitschrift 


unmittelbar nach ihrem Erscheinen zugesandt. 


8. Auch Nichtmitglieder können bei der Vereinsleitung 


oder bei der Wagner’schen Buchhandlung auf die Zeit- 
schrift abonniren. 
Schluss der Sitzung 81/2 Uhr. 


IV. Sitzung, den 18. Mai 1870. 


Nach Mittheilung des Protokolls der letzten Sitzung 
wurde Herr Dr. Stolz zur Aufnahme als Mitglied in den 
Verein vorgeschlagen und alsdann vom 1. Vorsteher eine 
Zuschrift des Central-Ausschusses der hiesigen landwirth- 
schaftlichen Gesellschaft behufs der Anfrage eines gemein- 
samen Vorgehens mit diesem Vereine in Sachen der Latrinen- 
frage verlesen und dieselbe dem Comite in diesen Sachen 
übergeben. 

Hierauf hielt Herr Prof. Mauthner einen Vortrag 
über das Glaucom. 

Zum Schlusse zeigte Herr Prof. Tschurtschenthaler 
Präparate von s. g. solidificirten Leberthran, eine Mischung 
von 6 Th. Leberthran und 1 Th. Wallrath, wodurch der 
unangenehme Geschmack des Leberthrans paralysirt wer- 
den soll. 

Schluss der Sitzung 8%, Uhr. 


Y. Sitzung, den 1. Juni 1870. 


In Abwesenheit des 1. Vorstehers übernahm Herr Prof. 
Heine den Vorsitz. 

Es wurde zur Tagesordnung geschritten und die Auf- 
nahme des in der letzten Sitzung in diesem Vereine vorge- 
schlagenen Dr. Stolz einstimmig angenommen. 

Hierauf wurde die Abstimmung über die Aufnahme des 
Herrn Dr. Winter als ordentliches Mitglied in diesen Verein 
auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt. 

Der Antrag des Herrn Prof. Heine, einen Vereins- 


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diener zu gewinnen, wurde einstimmig angenommen und hie- 
zu der Diener der hiesigen med. Klinik vorgeschlagen und 
ihm eine Remuneration von jährlichen 30 fl. votirt. 

Zum Schlusse hielt Herr Prof. Maly einen Vortrag 
über die Gallenfarbstoffe. 

Schluss der Sitzung 8%/, Uhr. 


VI. Sitzung, den 15. Juni 1870. 


Nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung wurde 
zur Tagesordnung übergegangen. 

Herr Dr. Winter, k. k. Kreisarzt m Brixen, wurde 
einstimmig zum Mitgliede des Vereins gewählt. 

Herr J. Elsler, Gemeindearzt in Silz, hat mittelst 
Zuschrift um die Aufnahme angesucht, die von dem Vor- 
sitzenden empfohlen wurde. 

Herr Dr. Fizia stellte alsdann 2Kranke von der hie- 
sigen Augenklinik vor. Bei dem einen war am untern Lide 
ein Epithelialkrebs mittelst Messers entfernt und der Sub- 
stanzverlust durch Transplantation aus den benachbarten 
Theilen ersetzt worden. Die Wunde war im Laufe von 3 
Tagen so vollständig geheilt, dass man das operirte Lid von 


-dem gesunden schwer unterscheiden konnte. Der zweite Fall 


betraf ein Melanoma corneae bei einer 50jahrigen Frau. Das- 
selbe stellte sich als eine rundliche Geschwulst auf der linken 
Hornhaut von der Grösse einer Flintenkugel dar. In der 
obern Hälfte war sie fest mit der Hornhaut verbunden, nach 
unten ragte sie frei über die Bindehaut herab und liess sich 
mit einer Sonde leicht in die Höhe heben. Der obere Theil 
der Geschwulst zeigte eine ungleichmässig graulich bräunliche, 
an 2 Stellen schwärzliche Färbung, während der untere Theil 
fast ganz schwarz war und auf der Oberfläche, besonders bei 
Zuhilfenahme einer Linsenvergrösserung kleine Gefässchen 
sichtbar werden liess; bei seitlicher Beleuchtung bekam die 
ganze Geschwulst einen röthlichen Schimmer. Dr.  Fizia 


VIII 


machte auf die Seltenheit dieses Falles aufmerksam, da in 
der ganzen Literatur bisher nur 2 Fälle bekannt sind. — 

Zum Schlusse hielt Herr Prof. v. Vintschgau einen 
Vortrag über die Magenverdauung und die dabei vor sich 
gehenden Temperaturveränderungen beim Hunde. 

Der angekündigte Vortrag des Herrn Dr. Oellacher 
musste wegen vorgerückter Zeit auf die nächste Sitzung ver- 
schoben werden. 

Schluss der Sitzung 8%, Uhr Abends. 


VII. Sitzung, den 6. Juli 1870. 


Nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung wird 
über die Aufnahme des in der frühern Sitzung angemeldeten 
Herrn Gemeindearztes J. Elsler in Silz abgestimmt, und 
derselbe einstimmig als Mitglied gewählt. 

Hierauf wird vom Vereinsmitgliede Herrn Professor 
v. Vintschgau mitgetheilt, dass Herr Dr. Hausmann 
praktischer Arzt in Meran dem Vereine beizutreten wünscht 
und die Aufnahme befürwortet. 

Herr Dr. Oellacher erhält nun das Wort zu seinem 
angekündigten Vortrage über die erste Entwicklung des 
Herzens und derPericardialhöhle beiBatrachiern. 
— Nach seinen Untersuchungen entsteht das Herz bei Bufo 
einereus in jenem Stadium der Entwicklung des Embryo, in 
welchem der Schwanz so eben hervorzuwachsen beginnt. Das 
Herz stellt um diese Zeit eine hohle von einer Zellmasse er- 
füllte Ausstülpung der Darmfaserplatte dar, welche am un- 
tern Umfange des Vorderdarms über den bekannten Haut- 
lappen am Kopfbruststück liegt. Später schnürt sich das- 
selbe vom Darme in der Weise ab, dass es wie durch eine 
Art Mesocardium mit der Darmfaserwand verbunden erscheint. 
Die Entwicklung des Herzens bei den Batrachiern ist also 
der beim Hühnchen völlig analog. Diess geht noch mehr 
aus einem spätern Stadium hervor, wo das Herz eine zellige 


IX 


Auskleidung zeigt, die sich offenbar aus dem Zellhaufen, der 
das Herz erfüllte, gebildet hat; der Rest derselben wird von 
Oellacher als Blut angesprochen. — Die Ausstülpung der 
Darmfaserwand, die das Herz darstellt, hängt in eine Höhle 
hinein, die nach aussen von der Hautmuskelplatte, nach in- 
nen von der Darmfaserplatte begränzt ist. Die Höhle ist 
als Pericardialhöhle aufzufassen und sie verdankt ihren Ur- 
sprung der Spaltung des mittleren Keimblattes. — Demselben 
Processe verdanken auch ihr Entstehen die Pleurahöhlen und 
ist demnach die Entstehung der Pericardialhöhle jener der 
Pleurahöhle, oder wenn man will, jener der Pleuroperitoneal- 
höhle analog. 

Auch die Pericardialhöhle erscheint von Zellen theilweise 
erfüllt, deren Bedeutung nicht näher ermittelt werden konnte. 

Die aufgestellten Sätze bewies der Vortragende dürch De- 
monstration an entsprechenden microscopischen Durchschnitten. 

Herr Prof. L. v. Barth hielt hierauf einen Vortrag 
über neue Umwandlungen des Phenols. Durch schmelzendes 
Kali wird reines Phenol zum Theil angegriffen und es ent- 
stehen daraus zwei isomere Säuren, Salicylsäure und Oxy- 
benzöesäure, daneben ein schwerflüchtiger Körper von der 
Formel des Diphenols, von welchem sich verschiedene Deri- 
vate ableiten lassen. Die Untersuchung wird noch fortgesetzt. 

Am Schlusse referirte Herr Professor v. Barth als 
Obmann des von dem Vereine gewählten Comite’s in der 
Cloakenfrage über die in dieser Beziehung gepflogenen Bera- 
thungen, legte einen umfangreichen, von Herrn Prof. Hofmann 
ausgearbeiteten Bericht über die Regelung der Cloakenfrage 
in Innsbruck vor, und empfahl dem Vereine die aus der 
Berathung des Comité’s hervorgegangenen näheren Vorschläge 
zur Annahme. 

Der Verein fasste den Beschluss, den Bericht des Herrn 
Prof. Hofmann in Druck zu legen und die Debatte auf die 
Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen. 

Schluss der Sitzung 9 Uhr. 


VIII. Sitzung, den 20. Juli 1870. 


Nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung wurde 
der zur Aufnahme bereits vorgeschlagene Herr Dr. Hausmann 
mit Stimmeneinhelligkeit als Mitglied des Vereines aufge- 
nommen. 


Herr Dr. Victor v. Ebner suchte um die Aufnahme 
als Mitglied in den Verein an, die Abstimmung darüber 
wurde auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt. 


Da Herr Prof. Heine plötzlich abreisen musste, so 
wurde der angekündigte Vortrag desselben auf die nächste 
Tagesordnung verschoben und zur Debatte über die Regelung 
der Cloakenfrage in Innsbruck übergegangen. Nachdem Herr 
Prof. v. Barth die Vorschläge des Comite’s in dieser An- 
gelegenheit vorgelesen hatte und sich Niemand zur General- 
debatte meldete, wurde zur Spezialdebatte geschritten, wobei 
die einzelnen Punkte mit einigen wenigen Abänderungen an- 
genommen wurden. Hierauf wurde beschlossen, die ange- 
nommenen Vorschläge nebst dem Comitebericht der hiesigen 
Stadtvertretung vorzulegen, dessgleichen dieselben dem Cen- 
tral-Ausschuss der k. k. landwirthschaftlichen Gesellschaft 
mitzutheilen. 

Dieselben lauten: 


1. Das bestehende Abtrittgruben-System ist, wenigstens 
mit der Zeit vollständig aufzugeben und dafür ein solches 
einzuführen, welches vor Allem den sauitären Anforderungen 
entspricht, gleichzeitig jedoch auch den landwirthschaftlichen 
Interessen Rechnung trägt. — Das Tonnen-System und das 
System Liernur sind gegenwärtig diejenigen, welche den ge- 
nannten Anforderungen in Innsbruck noch am besten ent- 
sprechen. Da über das System Liernur noch keine voll- 
kommen ausreichenden Erfahrungen vorliegen, das Tonnen- 
System aber sich bereits an vielen Orten bewährt hat, so 
wäre vor der Hand mit der Einführung dieses Systems in- 
soferne zu beginnen, dass dasselbe in neu zu bauenden Häu- 
sern in Anwendung zu bringen wäre. Das eben aufgeführte 


XI 


Spitalgebäude bietet dazu die beste Gelegenheit, das Tonnen- 
System und dessen Vortheile praktisch zu prüfen. 

2. Es ist Vorsorge zu treffen, dass die vielen sanitäts- 
widrigen Seiten des gegenwärtig bestehenden Gruben-Systems 
thunlichst behoben werden. 

Zu diesem Behufe sind Vorkehrungen anzuordnen: 

a) Dass für möglichste Undurchlässigkeit der beste- 
henden und etwa noch zu errichtenden Gruben ge- 
sorgt werde; 

b) Dass jede Grube durch eine längs der Küchenka- 
mine zu leitendes entsprechendes Rohr, welches über 
das Dach hinauszuführen ist, ventilirt werde; 

c) Dass in angemessenen Zeitabschnitten eine Desin- 
fection der-iGruben vorgenommen werde. 

3. Der bis :ietzt üblichen, in hohem Grade belästigen- 
den, ekelhaften und höchst sanitätswidrigen Methode der 
Ausleerung der Gruben ist baldigst und ein für allemal ein 
Ende zu machen. 

Diess ist vorläufig der wichtigste und dringendste Punkt 
der Innsbrucker Cloakenfrage. In dieser Beziehung wird vor- 
geschlagen: 

a) Die Ausleerung der Gruben durch anerkannt zweck- 
mässige Apparate besorgen zu lassen. Pneumatische 
Apparate sind am besten zu empfehlen. 

b) Die Räumung der Gruben nicht mehr den einzelnen 
Abnehmern zu überlassen, sondern dieselbe, wie 
überhaupt die Ueberwachung des Cloakenwesens in 
eine Hand zu legen, sei es nun die Gemeinde selbst 
oder eine zu diesem Zwecke sich etwa bildende Ge- 
sellschaft, welche dann durch Organe der Sanitäts- 
polizei zu controliren wäre. 

Auf diese Weise könnte die Angelegenheit sowohl für 
die Bewohner der Stadt in gesundheitlicher als auch für den 
Landmann in pekuniärer Beziehung am vortheilhaftesten 
durchgeführt werden. 

Hierauf stellte Herr Statthaltereirath Ritter von Barth 


Comitébericht 


über die Cloakenfrage in Innsbruck, 
ausgearbeitet von 


Prof. Dr. Eduard Hofmann. 


Die Regelung des Cloakenwesens ist gegenwärtig eine 
brennende Frage. Sie wurde es, nachdem man durch eine 
Reihe von erschreckenden Erfahrungen die Ueberzeugung ge- 
wann, dass die Ö oakenstoffe, die wir innerhalb des Bereiches 
unserer Wohnungen der fauligen Gährung überlassen, nicht 
bloss unsere Nase durch Gestank belästigen, sondern auch, 
indem sie die Luft vergiften, die wir athmen, das Wasser, 
das wir trinken und den Boden, auf dem wir wohnen, un- 
sere Gesundheit und unser Leben bedrohen. Es ist hier 
nicht der Ort, die ungemein zahlreichen Erfahrungen speziell 
anzuführen, welche den eben ausgesprochenen Satz zur un- 
wiederleglichen Thatsache machten, und wir verweisen in die- 
ser Beziehung auf die sehr reiche Literatur des Gegenstandes. 
So viel sei nur bemerkt, dass, wenn bei einer Epidemie, wie 
dieses bei der Cholera geschah, zweifellos sicher gestellt 
wird, dass von den Einwohnern einer Stadt vorzugsweise 
nur jene Personen erkrankten, welche einen gewissen Brunnen 
benützt hatten, dessen Wasser durch eine nahe Senkgrube 
verunreinigt war, wenn erwiesen ist, dass die Erkrankungen 
sogleich aufhörten, sobald dieser Brunnen geschlossen wurde; 
wenn weiter konstatirt ist, dass die Seuche vorzugsweise und 


sogar ausschliesslich nur in solchen Häusern grassirte, deren 
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Cloaken sich in verwahrlosten Zustande befanden und im 
weiten Umfange den Boden und die Grundmauern des Hauses 
mit Jauche durchtränkt hatten, wenn ferner, wie bei der 
letzten Choleraepidemie in Prag, sich ergibt, dass die Haupt- 
masse der Erkrankungen bestimmten Cloakenziigen folgte, 
und dass in solchen Häuserkomplexen, die hoch gelegen und 
wo der Kanalinhalt sich staute, die meisten Cholerafälle vor- 
kamen; (Die Prager Choleraepidemie des Jahres 1866 von 
Dr. A. Pribram und Dr. J. Robitschek. Prager Viertel- 
jahrschrift XXV. Jahrgang 1868) — die Logik wohl sehr 
einfach ist. Was von der Cholera erwiesen, das gilt eben- 
falls vom Typhus. So sagt eine ausgezeichnete Autorität 
Liebermeister: „Alles drängt dazu anzunehmen, dass in Ab- 
tritten, Düngerhaufen u. dgl., dann aber auch in dem von 
organischen und der Zersetzung fähigen Substanzen durch- 
tränkten Untergrunde bewohnter Plätze die Entwicklung des 
Typhusgiftes stattfinde“; und es ist ihm gelungen den Aus- 
bruch des Typhus in der Kaserne zu Zürich (1865); die 
Epidemie zu Soloturn (1865); sowie jene in Basel (Schoren- 
fabrik 1867) unwiderleglich auf diese ätiologischen Momente 
zurückzuführen (Deutsches Archiv für klin. Medizin 7. Bd. 
2. Heft). Auch in Bezug auf Scharlach, Masern, Cronp, 
Diphtherie existiren ähnliche Beobachtungen, ebenso in Be- 
treff der Tuberculose. 

Ferner ist es nicht unwahrscheinlich, dass gewisse Epi- 
zootien (z. B. Milzbrand) in Vergiftung des Organismus un- 
serer Hausthiere dureh Aufnahme faulender Stoffe ihren näch- 
sten Grund haben '). 


1) So sagt Delafond bei der Besprechung der Milzbrandbakterien, 
welche für die Ursache des Milzbrandes gehalten werden: „Wahrschein- 
lich sind die Bakterien in faulenden vegetabilischen und thierischen Stoffen 
enthalten, welche mit dem Getränke in den Körper gelangen. (Klob, 
Studien über das Wesen des Choleraprozesses p. 56). Beobachtungen 
welche den krankmachenden Einfluss faulenden Stoffe auf die Hausthiere 
beweisen, finden sich bei Eulenberg (die Lehre von den giftigen Gasen 
p. 316). 


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Von ungemeiner Wichtigkeit ist in den genannten Be- 
ziehungen der Nachweis, dass in solchen Städten, die ein 
geregeltes Cloakenwesen besitzen, seit der Einführung des- 
selben die Mortalität sich ganz auffallend vermindert hat. 
So ersehen wir z. B. aus Dr. Buchanan’s Berichten (Ninth 
Report of the Medical Officier of the Privy Conneil 1867), 
dass in 24 englischen Städten von 160,000 bis 4000 Ein- 
wohnern die Sterblichkeit an typhösen Fiebern, welche früher 
13.4 auf 10,000 Seelen betragen hatte, nach Regelung des 
Cloakenwesens, Einführung zwekmässiger Wasserwerke etc. 
auf 7.4 sank. 

Aehnliche erfreuliche Erfahrungen stehen uns für Graz 
zu Gebote. Die durch unreine Luft und unreines Wasser 
in erster Linie entstehenden Krankheiten, wie Wechselfieber, 
Ruhr, Typhus sind dort seit Einführung des Tonnensystems 
(1830) selten. Bei einer Bevölkerung von 80,000 Einwoh- 
nern, kommen im Jahre 4—5 Fälle von Unterleibstyphus 
im allgemeinen Krankenhause zur Aufname, so dass Prof. 
Körner versichert, er sei wegen Seltenheit der Typhusfälle 
in Graz in Verlegenheit, seinen Zuhörern diese Krankheits- 
form genügend zu demonstriren (Die Reinigung und Ent- 
wässerung der Stadt Heidelberg. Denkschrift 1870 p. 69). 

Die natürliche Folge der grossen Summen solcher und 
ähnlicher Erfahrungen, deren Beweiskraft jede Skeptik weichen 
musste, war die Cloakenfrage, die wir als eine brennende 
Tagesfrage bezeichnet haben; und es kann nicht verwundern, 
wenn es gegenwärtig kaum eine grössere Stadt in Deutsch- 
land giebt, wo die übelriechende Cloakenfrage nicht ventilirt 
werden möchte. 

Auch an Innsbruck tritt diese Nothwendigkeit heran, 
umsomehr, als die gegenwärtige Einrichtung des Cloaken- 
wesens in dieser Stadt nicht einmal den einfachsten Anfor- 
derungen der Hygieine entspricht, vielmehr mit Uebelständen 
verbunden ist, deren endliche Abschaffung im Interesse des 
allgemeinen Wohles, besonders aber der öffentlichen Gesund- 
heit dringend geboten erscheint. 


ea yl Rae 


Das System, welches hier besteht, ist das der Abtritt- 
gruben. Die Excremente werden in viereckig ausgemauerten 
und cementirten Gruben gesammelt, in welche sämmtliche 
Fallröhren des betreffenden Hauses einmünden. Zweimal 
des Jahres, im Frühjahr und im Herbst; werden diese Gruben 
ausgeleert; der Inhalt wird ausgeschöpft in Kastenwägen ge- 
gossen und auf die Felder verführt. 

Es sei uns gestattet auf die Details dieses Systems 
einzugehen und dessen sanitäre Nachtheile hervorzuheben. 

Wir haben schon oben erwähnt, dass die Cloakenstoffe 
vorzugsweise dadurch unsere Gesundheit bedrohen, dass sie 
die Luft, den Boden und das Grundwasser verderben. Die _ 
Bedingungen hiezu sind bei keinem System in so begünsti- 
gender Weise gegeben als bei dem der Abtrittsgruben. Diese 
Thatsache ist so zweifellos, dass heutzutage kein einziger 
Schriftsteller über Städtereinigung dieses System mehr ver- 
theidigt, vielmehr alle übereinstimmend für Auflassung dieser 
sanitätswidrigen Einrichtung plädieren. Aus demselben Grunde 
hat sich die hygicinische Sektion der Naturforscherversamm- 
lung in Dresden entschieden für das Verbot der Abtritts- 
gruben, selbst der bestcementirten, ausgesprochen. 

Was zunächst die Verderbniss der Luft anbelangt, so 
macht sie sich vorzugsweise durch den Gestank kenntlich, 
der aus den Abtrittgruben aufsteigt und in unsere Woh- 
nungen dringt. In welcher Weise sich dieser Gestank in 
den Häusern Innsbruck’s bemerkbar macht, ist bekannt; der- 
selbe ist in der Regel, namentlich aber bei feuchtem Wetter, 
das erste, was sich beim Betreten der Häuser uns in unan- 
genehmster Weise präsentirt. Dass dem so ist, kann nicht 
verwundern, wenn man bedenkt, dass in den Gruben die 
Excremente ein halbes Jahr lang gesammelt und der fauligen 
Zersetzung überlassen werden, ohne dass auch im Geringsten 
für Ableitung der sich beständig bildenden übelriechenden Zer- 
setzungsgase Vorsorge getroffen worden ware. Ventilations- 
rohre und ähnliche Vorrichtungen, wie sie anderswo im Ge- 
brauche sind, sucht man nemlich in Innsbruck vergebens und 


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da die Einsteigöffnung der Grube mehr weniger dicht ver- 
schlossen ist; so bleibt den Abtrittsgasen nur ein Ausweg 
— das Fallrohr offen, durch welches sie natürlichen Gesetzen 
folgend, einfach aufsteigen und die Luft innerhalb unserer 
Wohnungen verpesten. Die Belästigung unserer Geruchsor- 
gane ist aber nicht der‘ wichtigste Nachtheil, der von den 
aus den Abtritten aufgestiegenen Fäulnissgasen ausgeht, bei 
weitem wichtiger ist die Gefahr, welche aus dem Einathmen 
einer derartig verdorbenen Luft für unsere Gesundheit resul- 
tirt. Schon Griessinger behauptet (Virchov, Handbuch der 
spez. Path. und Ther. Bd. II, Abth. II, p. 121) es sei sehr 
wahrscheinlich, dass schon längere Inhalition von Fäkalaus- 
dünstungen überhaupt zur Ursache eines Ileotyphus werden 
kann. Gegenwärtig ist dieses nicht mehr zu bezweifeln. 
Ausserdem sind auch andere Krankheiten nach dem Aus- 
spruche Carpenters (Med. Times 12. Juni 1869) mehr we- 
niger bestimmt von derselben Ursache abzuleiten z. B. Un- 
verdaulichkeiten, Herzklopfen, Asthma, nervöse Symptome, 
besonders bei Frauen und Kindern; ebenso anhaltende und 
periodische Kopfschmerzen. 

Besonders wichtig ist aber hier der Umstand, dass ge- 
sundheitsschädliche Ausdünstungen aus den Cloaken ganz 
wohl in unsere Wohnungen eingedrungen sein konnten und 
auch häufig eindringen, ohne sich durch Gestank auffallend 
zu machen. Wir eitiren hier eine treffende Bemerkung Car- 
penter’s von Croydon (l. e.): „Ein guter, ehrlicher, unver- 
schämter Gestank, ein solcher, der euere Nase ohne Kom- 
plimente atakiert, ist wie ein offener Feind. Er warnet euch, 
und ihr öffnet euere Fenster und lasst ihn heraus, wie eine 
Horniss. Aber das tückische, kaum wahrnehmbare Miasma 
ist das Gefährliche; und es ist da zu bemerken, dass viele 
Miasmen an und für sich gar nicht stinken, sondern erst 
wenn sie ozonisirt und zersetzt werden, zu dem Veranlassung 
geben, was unsere Nase beleidigt“. 

Ihren Höhepunkt erreicht die Verpestung der Luft durch | 
Cloakengase zur Zeit der halbjährigen Ansleerung der Ab- 


Naturw.-med. Verein. 2 


Ba ie 


trittsgruben. Diese wird auf ungemein primitive Weise vor- 
genommen. Zu dieser Zeit kommt durch volle 6 Wochen 
allabendlich von allen Richtungen her eine Reihe von sarg- 
formig gestalteten Kastenwagen gegen die Stadt angefahren 
und nimmt bald nach einbrechender Dunkelheit, ja nicht 
selten noch am Tage unmittelbar vor den letzten Häusern 
Innsbruck’s Posto. Dieses geschieht, weil eine gesetzliche 
Verordnung den betreffenden Fuhrwerken verbietet, vor 11 Uhr 
die Stadt zu betreten und die Räumung der Gruben vorzu- 
nehmen. Wie wenig eine solche Beschränkung ausgibt, hat 
Jeder Gelegenheit zu beobachten, der von einem Spazier- 
gange etc. in die Stadt heimkehrend gezwungen ist ein sol- 
ches Quee von duftenden Kothwägen zu passieren. Um 
11 Uhr beginnt das übelriechende Werk und von diesem 
Momente an. sind ganze Strecken Innsbrucks in ‚ein Meer 
von Gestank gehüllt, einem Gestank, der Jedem, der einmal 
das Unglück hatte in sein Bereich zu kommen ewig unver- 
gesslich bleiben wird. Unaufhaltsam dringt derselbe in die 
Wohnungen, weckt die Schlafenden aus ihrer Ruhe, verur- 
sacht Kopfschmerzen, Ekel, Ueblichkeiten, Erbrechen ete. und 
sie können froh sein, wenn keine bedenklicheren Folgen ein- 
treten *). 


1) Dass solche sich in der That einstellen können, geht aus fol- 
genden Beobachtungen hervor (Eulenberg, 1. ce. b. 300 und 340). „Nach 
Guérard starb ein kräjtiges neugeborues Kind in Folge der Abtrittsrei- 
nigung. Die Personen, welche auf derselben Stube wohnten, litten wäh- 
rend der Nacht, in welcher die Reinigung stattfand, sehr vom Gestank. 
Das Kind hatte die ganze Nacht hindurch geschrien und konnte durch 
nichts beruhigt werden. Gegen Morgen wurde seine Stimme schwächer 
und bald nachher starb es. Morgens 8 Uhr sah es im ganzen Gesicht 
blau aus. Bei der Section strotzte das Gehiın, die Lunge und das Herz 
von schwarzem Blute. Guérard und seine Familie hatten ebenfalls in 
Folge solcher Einwirkungen an Brustbeklemmung gelitten“. — „Als der 
Inhalt einer grossen Abtrittsgrube entleert und über eine Gartenfläche 
geschüttet worden war, welche in der Nähe des Spielplatzes einer Pen- 
sionsschule lag, wurden nach der Mittheilung von Christison 22 Pensionäre 
binnen 3—4 Stunden von heftigen Symptomen einer Magen- und Darm- 
reizung, Zuckungen und äusserster Muskelschwäche befallen“. 


anc 


In der That wird aber bei dem gegenwärtig üblichen 
Modus der Räumung der Abtrittsgruben das Möglichste ge- 
leistet, um die flüchtigen Stoffe, welche sich aus dem fau- 
lenden Grubeninhalte entwickeln, recht flott und bemerkbar 
zu machen. Da nemlich die Jauche mit auf Stangen befe- 
stigten Schöpfgefässen in grössere Eimer geschöpft, in diesen 
zu den vor dem Hause stehenden Kastenwägen getragen und 
in letztere ausgegossen wird, welche Prozedur sich unzäh- 
ligemale wiederholt, so wird die übelriechende Masse in einer 
solchen Weise zerwühlt und aufgerührt und mit einer so 
grossen Fläche mit der Luft in Contakt gebracht, dass den 
Milliarden in der Masse eingeschlossenen Bläschen von Zer- 
setzungsgasen und anderen flüchtigen Produkten die günstigste 
Gelegenheit geboten wird, die Luft im weiten Unkreise zu 
verderben und ihre belästigenden und schädlichen Wirkungen 
zu äussern. — Bedenkt man dazu, dass die Ausleerung der 
Grube eines grösseren Hauses meist 2—3 Nächte erfordert; 
dass die Belästigung nicht bloss die Bewohner des Hauses, 
in welchem gerade die Ausleerung vorgenommen wird, son- 
dern meist sämmtliche Parteien einer Strasse trifft, und dass 
sich diese ekelhafte Prozedur innerhalb der sechswöchentlichen 
Frist so oft wiederholt als die Strasse Häuser zählt, so 
kann man sich einen Begriff von der Belästigung machen, 
welche aus dieser primitiven Räumungsmethode für die Ein- 
wohner Innsbruck’s erwächst, und wie gross die Macht der 
Gewohnheit sein mnsss, wenn dieselbe durch so viele Jahre 
geduldig ertragen werden konnte. 

Ein weiterer, noch gefährlicherer, weil weniger auffallen- 
der Uebelstand des gegenwärtigen Systems ist die unaus- 
weichliche Durchjauchung des Erdbodens, namentlich des 
Untergrundes der Häuser. Wenn man diesen anerkannt ge- 
sundheitsschädlichen Uebelstand nur den vormals gebräuch- 
lichen berüchtigten Senk- und Schwindgruben zuschreibt und 
durch Ausmauerung und Cementirung der Abtrittsgruben 
demselben vorgebeugt zu haben glaubt, so ist man in einem 
gefährlichen Irrthum befangen. Dass Mauerwerk, mag es 

9% 


als GN eli 


aus was immer fiir Material bestehen, der unausgesetzt auf 
dasselbe wirkenden Cloakenjauche nicht lange wird wider- 
stehen können, lässt sich a priori erwarten. Die Jauche 
zerfrisst den Kalk, dringt langsam aber sicher zwischen die 
Fugen des Mauerwerkes ein, imprägnirt die Mauersteine, die 
mit der Zeit zerbröckeln, bahnt sich schliesslich einen un- 
gehinderten Weg in das umgebende Erdreich und durchdringt 
dasselbe, indem sie sich meist mit dem Grundwasser ver- 
mischt, auf weite Strecken. Dass die Cementirung der Grube 
das Eindringen der Jauche in den umgebenden Grund auf 
die Dauer wird verhüten können, ist nicht anzunehmen. 
Hirsch fand schon ein halbes Jahr nach der Anlegung 
einer gemauerten, cementirten Grube das Wasser eines 30’ 
entfernten Brunnens in enormer Weise mit Faulstoffen ver- 
nnreinigt. Dr. Lommer, der diese Beobachtung anführt 
(Abführung der Abfälle. Horn’s Vierteljahrsschr. für ger. 
und öffent. Med. St. f. 7. Bd. p. 8) sagt über diesen Ge- 
genstand: „Es ist zweifelhaft, ob eine Cementirung auf die 
Dauer den Behälter wasserdicht lässt, indem sie wahrschein- 
lich der Einwirkung des Urins etc. nicht widersteht. Kali 
und Natron und das besonders aus faulendem Harn entste- 
hende Ammoniak gehen nemlich mit der Kieselsäure des 
Cementes lösliche Verbindungen ein und machen diesen porös. 
Auch der beste Cement wird ferner allmälich durch die Sal- 
petersäure, welche sich aus dem Ammoniak bildet, zerstört“. 

Hennicke (Erbkam’s Zeitschrift für Bauwesen, VII. 
Jahrgang, p. 138) hat freilich angegeben, dass echter Port- 
landeement nach 3 Wochen vom Urin noch nicht angegriffen 
war. Dem gegenüber bemerkt L. Pappenheim (Sanitäts- 
polizei, 2. Aufl., 1. Bd., p, 76) ganz richtig, dass es sich 
in den Cloaken um Mischungen von überaus starker che- 
mischer Angriffskraft und um eine Berührungsdauer von 
manchmal mehreren Menschenaltern handle. 

Virchov (Gutachten über die Kanalisation an Berlin 
1868) fand bei der Begehung der eben in Bau begriffenen 
Kanäle Frankfurts a. M., dass der Cement nicht einmal das 


SUR Yale 


Eindringen des Grundwassers aufzuhalten im Stande war“ 
„Das Grundwasser drang so mächtig durch das Men 

dass sich auf der Kanalsohle ein kleiner Bach gebildet hatte. 

Allerdings drang ein Theil des Wassers, wie es schien durch 

die Steine selbst, indess war dieses offenbar der geringste. 

Die Hauptmasse kam durch die Fugen, obgleich dieselben 
t „gutem“ Cement verkittet waren“. 

Die sogenannten wasserdichten Gruben sind daher in 
der Regel nichts weniger als solche, sie unterscheiden sich 
nicht viel von den gewöhnlichen Schlinggruben. Sie ver- 
jauchen den Grund langsamer — aber zugleich heim- 
tückischer, da man sich eben sorglos auf ihre Undurchlässig- 
keit verlässt. 

Die ausgetretene Jauche verbreitet sich selbst im ganz 
trockenen Erdreich auf weite Strecken; noch mehr wird aber 
dessen Verbreitung durch das Grundwasser vermittelt, welches 
die faulenden Stoffe und die ihnen anhaftenden deletären 
Keime mit sich fortreisst, so dass die schädlichen Wirkungen 
oft erst in weiter Entfernung von der betreffenden Abtritts- 
grube zum Vorschein kommen. — Die Bedeutung solcher 
Durchjauchungen des Bodens für die Entstehung und Verbrei- 
tung epidemischer Krankheiten hat wie bekannt Pettenkofer 
besonders hervorgehoben und darauf seine „Grundwasser- 
theorie“ basirt. Es drängt jedoch alles zu der Annahme, 
dass auch eine Menge sporadischer Erkrankungen in derar- 
tiger Bodenverjauchung ihren nächsten Grund haben. Die 
letztere hat übrigens noch eine andere gefährliche Seite, 
ausser der Verunreinigung des Trinkwassers, die, wie wir 
sogleich hervorheben werden, lokaler Verhältnisse wegen in 
Innsbruck fast ganz entfällt. Die mit dem Grundwasser ver- 
mischte Jauche dringt nemlich in die Fundamente der Häuser, 
welche sie beschädigt, indem sie durch kapillare Thätigkeit 
das Mauerwerk und die Grundbalken imprägnirt. Dadurch 
wird nicht bloss die Sicherheit des Gebäudes, sondern auch. 
die Salubrität desselben in hohem Grade gefährdet, indem 
das Mauerwerk solcher Häuser feucht und von fauligen 


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Stoffen und massenhaften mikroskopischen Organismen durch- 
setzt wird. 

Unter die gefährlichsten Folgen der Bodendurchjauchung 
gehört schliesslich die Verunreinigung des Trinkwassers durch 
Faulstoffe. Zahlreiche Beobachtungen haben zweifellos er- 
geben, dass bei epidemischen Erkrankungen die Infeetion 
vorzugsweise von derartig vergifteten Trinkwasser ausgeht '). 
Wir verweisen in dieser Beziehung auf die neueste Arbeit 
Liebermeister’s (Archiv für klin. Med. 7. Bd., II. Heft) so- 
wie auf den Bericht über die Nervenfieber-Epidemie in Born- 
heim von Dr. Ripps (zur Frage über die Beseitigung der 
Exkremente aus Schulgebäuden von Dr. G. Passavant, Frank- 
furt a. M. 1870 p. 34). 

Begreiflicher Weise sind es fast ausschliesslich gegrabene 
Brunnen (Zieh- und Pumpbrunnen) deren Wasser durch Ein- 
siekerung von Jauche aus nahen Abtrittsgruben, Düngerhaufen 
ete. vergiftet werden kann. Innsbruck besitzt aber solche 
Brunnen nicht?), sondern hat das beneidenswerthe Glück, 
stets ein ausgezeichnetes Quellwasser als Trink- und Koch- 
wasser benützen zu können, welches von den Bergen herab 
der Stadt zugeleitet wird, und aus den überall aufgestellten 
Säulenbrunnen beständig abfliesst. Da die Leitung des Was- 
sers innerhalb der Stadt grösstentheils durch eiserne Röhren 
geschieht, die wenige Schuhe unter der Erde verlaufen, so 
ist ein Gelangen von aus Abtrittsgruben stammenden fauligen 
Stoffen in das Trinkwasser innerhalb der Stadt nicht 
leicht möglich, doch ist dasselbe bei Schadhaftwerden der 


1) Wir wissen. dass .„vergiftete“ Brunnen schon bei unseren Vor- 
fahrea als Ursache der Epidemien eine grosse Rolle spielten, und dass 
man Juden und andere missliebige Personen beschuldigte, die Brunnen 
vergiftet zn haben. Die letzteren waren ohne Zweifel wirklich vergiftet, 
nur nicht durch die Juden, sondern durch die Cloaken, in deren Nähe man 
sorgloser Weise die Brunnen angelegt hatte. 

2) Mit einziger Ausnahme der Bahnwächterhäuschen, welche meist 
in der Nähe des Inn oder der Sill gelegen, das von diesen herrührende 
Grundwasser benützen. 


Leitungsröhren, namentlich an ihren Verbindungstellen, be- 
sonders aber in jenen»'Stadttheilen, wo noch hölzerne Lei- 
tungsröhren bestehen, keineswegs ganz ausgeschlossen. Da- 
gegen müssen wir bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam 
machen, dass ausserhalb der Stadt eine Aufnahme putrider 
Stoffe ganz wohl erfolgen kann. Ausserhalb der Stadt sind 
nemlich die von den Bergen herabkommenden Leitungsröhren 
von Holz, und sind mit Hilfe von Röhrenansätzen von Blech 
einfach in einander gefügt. Diese Röhrenstränge, welche dem 
Eindringen von Jauche etc. gewiss auf die Dauer kein wesent- 
liehes Hinderniss bieten können, laufen, bevor sie die Stadt 
betreten, durch die anstossenden Dörfer (Hötting, Mühlau) 
häufig unmittelbar neben zahlreichen Düngerhaufen ete., ja 
man kann sogar an einzelnen Orten, z. B. in Büchsenhausen, 
beobachten, dass die Leitungsröhren unmittelbar unter den 
Abzugsrinnen solcher Düngerhaufen verlaufen, und dass hie und 
da mitten aus einer solchen Jauchenrinne das Quellwasser 
aus der beschädigten Wasserröhre hervorsprudelt. Dass auf 
diese Weise das Trinkwasser Jauche aufnehmen und in Folge 
dessen krankmachende Wirkungen zeigen kann ist nicht zu 
bezweifeln und wir halten tins umsomehr für verpflichtet auf 
diesen Uebelstand aufmerksam zu machen als nach zuver- 
lässigen Berichten (v. Ninth Report of the med. Officer 
p- 295) das Trinkwasser noch bei unglaublich geringer Bei- 
mengung von fauligen Zersetzungsprodukten sich als schädlich 
erwiesen hat. 

Fassen wir nun das bisher Gesagte zusammen, so glauben 
wir ‚erwiesen zu haben, dass das bisher in Innsbruck zur 
Anwendung gekommene Cloakensystem, wenigstens in der 
Art und Weise, wie es bisher gehandhabt wird, die Salu- 
brität der Stadt in hohem Grade bedroht. Es sei uns nun 
gestattet zu untersuchen, wie sich diesen sanitären Uebel- 
ständen gegenüber die Gesundheit der Stadt und ihrer Be- 
wohner thatsächlich verhält. 

Innsbruck wird den neuesten statistischen Zusammen- 
stellungen zufolge zu den gesündesten Städten des Kaiser- 


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staates gerechnet. Wer aus dieser Thatsache etwa den 
Schluss ziehen wollte, dass es aus diesem Grunde mit der 
oben hervorgehobenen hygieinischen Schädlichkeiten denn doch 
nicht so arg sein müsse, der würde in einer grossen Täu- 
schung sich befinden. Zuvörderst möge hier bedacht werden, 
dass die erwähnte Thatsache nur den österreichichen Städten 
gegenüber gilt, in denen bekanntlich überall mit Ausnahme 
von Graz das Cloakenwesen in einem trostlosen Zustande 
sich befindet; wesshalb es eben nicht allzuhoch angeschlagen 
werden darf unter diesen in den bedeutsamsten hygieinischen 
Anforderungen vernachlässigten Städten die gesündeste zu 
sein. Vergleichen wir die sanitären Verhältnisse Innsbruck’s 
mit jenen ausseröstereichischer Städte, die ein gut oder ziem- ~ 
lich gut geregeltes Kloakenwesen besitzen, so erhalten wir 
ganz andere Resultate. - 
‘Nach den uns übergebenen Mortalitätslisten betrug die 

Sterblichkeit in Innsbruck in den 7jährigen Perioden 

von 1849—1855 . 21°8 pro mille 

» 1856—1862)). 217.0, 

„ 1863—1869 . 247 4, 

Dagegen betrug die Sterblichkeit in Leipzig, einer Stadt 
mit 90.000 Einwohnern im Jahre 1867 bloss 24.2 pro mille 
(Kanalisation und Abfuhr mit besonderer Beziehung auf Leip- 
zig. Leipzig 1869, p. 6). Noch überraschender gestaltet 
sich die Innsbrucker Mortasitätsziffer gegen jener englischer 
Städte. So beträgt z. B. in dem riesigen London (3 Mill. 
Einwohner) die Sterblichkeitszahl nur 24 von Tausend. Nach 
dem wiederholt erwähnten Ninth Report of the Medic. 
Off. hat 
Croydon mit 30.229 Einw. eine Sterblichkeit von 19:0 pro mille 
New port „ 24.756 , DIN i QIET MD, 
demnach mit Rücksicht auf die bedeutend grössere Einwoh- 
nerzahl durchwegs eine günstigere Mortalitätsziffer als in un- 
serer Stadt '). Wenn wir nun ferner lesen, dass in Eng- 


1) Zum Vergleiche fügen wir noch folgende statistische Daten 


land nach Parlamentsbeschluss jede Stadt, welche im Durch- 
schnitte von 7 Jahren eine Mortalität von mehr als 23 pro 
mille zeigt, für eine ungesunde Stadt erklärt und gezwungen 
wird, sich einer durch eine Gesundheitskommission auszu- 
führenden Untersuchung und den Anordnungen derselben zu 
unterwerfen; so finden wir zu unserm Erstaunen, dass Inns- 
bruck, eine der gesundesten Städte Oesterreichs, in England 
unter die ungesunden gerechnet werden möchte, und wir sind 
um eine Illusion ärmer. 

Untersuchen wir nun weiter, wie sich speziell jene Krank- 
heiten in Innsbruck verhalten, die vorzugsweise auf Infektion 
durch Cloakenstoffe zurückgeführt werden können, 

Unter diesen kommt in erster Reihe der Typhus in 
Betracht. In Bezug auf diesen verdanken wir einem der 
renommirtesten hiesigen praktischen ‚Aerzte Herrn Dr. Bereiter 
folgende interessante Daten: Bis zum Jahre 1848 war der 
Typhns in Innsbruck eine Seltenheit. In diesem Jahre wurde 
er durch die aus Italien heimkehrenden Truppen zunächst 
nach Sistrans, einem 1/, Stunden von der Stadt entfernten 
Dorfe eingeschleppt. Von da aus verbreitete sich derselbe 
langs des Baches bis zum ehemaligen Amraser See und dann 
über Pradl herunter bis nach Innsbruck. Seit dieser Zeit 
kommen jährlich zahlreiche wenn auch in der Regel mild ver- 
laufende Typhuserkrankungen vor und Dr. Bereiter zählt allein 
zwischen 14—40 Erkrankungen des Jahres. Im hiesigen 
allgemeinen Krankenhause kommen nach Mittheilung von 
Prof. Rembold jährlich 15 - 18 Typhusfälle zur Aufnahme; 
und es stellt sich schon darnach die Zahl der in ganz Innsbruck 
sich jährlich ereignenden Typhuserkrankungen auf 25—58; 
also 14'7—54:1 pro 10,000 Einwohner; während die oben 
erwähnten englischen Städte seit Regelung ihres Cloaken- 
wesens bloss 74 Erkrankungen an typhösen Fiebern auf 


hinzu: In Wien beträgt die Sterblichkeit pro mille 47, in Petersburg 
42-4, in Paris 28, in Berlin 25. — Wien wird in seiner Sterblichkeit 
nur von Kazan in Russland übertroffen, wo 52:3 von 1000 sterben. 


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10,000 Seelen aufweisen. Diess sind in der That ganz un- 
sünstige Zahlen. Wenn wir die gesunde Lage Innsbrucks 
bedenken, sowie den Umstand, dass daselbst der Pauperis- 
mus nicht in den erschreckenden Formen, wie in anderen 
Städten sich präsentirt und dass auch andere die Entstehung 
typhöser Erkrankungen fördernde Umstände, z. B. Ueber- 
füllung der Wohnungen, zahlreiche Fabriken etc. nur wenig 
hervortreten, so dürfte es mit Rücksicht auf die oben ge- 
machten Ausführungen gar nicht gewagt sein, wenn wir die 
schlechten Cloakenverhältnisse, resp. die massenhafte An- 
häufung faulender Faekalstoffe innerhalb der Wohnungen als 
nächste Ursache der unverhältnissmässig häufigen Typhus- 
erkrankungen bezeichnen. Sorgfältige Recherchen dürften 
einen solchen Zusammenhang zweifellos sicherstellen. *) 

Von andern einschlägigen Krankheiten erwähnen wir die 
Masern und den Croup. Beide Krankheiten kommen in 
Innsbruck häufig vor und wir haben soeben eine stärkere 
Masernepidemie durchgemacht, welche eine nicht geringe An- 
zahl von Kindern dahinraffte. Auch diese Krankheiten war- 
den wie bereits erwähnt, mit putrider Infektion in Verbin- 
dung gebracht und es ist in dieser Beziehung gewiss nicht 
zu übersehen, dass die grösste Zahl solcher Erkrankungen 
in unserer Stadt fast stets mit der halbjährigen Ausleerung 
der Abtrittsgruben zusammenfällt. 

Indem wir uns auf diese Angaben beschränken, sind 
wir überzeugt, dass die sanitären Nachtheile des gegenwärti- 
gen Abtrittgrubensystems in noch krasserer Weise hervor- 
treten möchten, wenn dieselben hierorts nicht durch zwei 
Momente wesentlich abgeschwächt würden und zwar zunächst 
durch den bereits hervorgehobenen Umstand, dass eine Ver- 
giftung des Trinkwassers durch Cloakenjauche nicht leicht 


1) Herr Dr. Bereiter theilt uns mit, dass im Dorfe Arzel, welches 
durch die Menge uuf der Strasse liegender Misthaufen sich auszeichnet, 
der Typhus besonders häufig sich zeigt; ein Umstand, der zur Unter- 
stützung unserer Ansicht gewiss beiträgt. 


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erfolgen kann und zweitens durch die hier häufig herrschen- 
den Winde (Sirocco), die, indem sie die Luft reinigen, die 
Gefahr mildern, welcher Innsbruck sonst ausgesetzt wäre. !) 

Nachdem wir nun die Uebelstände und Nachtheile des 
bisher üblichen Modus des Sammelns und der Abfuhr der 
Exkremente, wie wir glauben, in überzeugender Weise dar- 
gelegt haben, wenden wir uns zu der Frage: Wie und wo- 
durch diesen Schadlichkeiten abgeholfen werden 
könnte? Der einzige rationelle Rath, den wir in dieser 
Beziehung geben können, ist — gänzliche Auflassung 
des gegenwärtigen Systems und Ersetzung des- 
selben durch ein anderes anerkannt zweckmäs- 
siges. Nur auf solche Weise ist eine radikale Ab- 
hülfe möglich. Wir werden zwar nicht unterlassen, am 
Schlusse dieses Promemorias jener Einrichtungen Erwähnung 
zu thun, die im Falle der Beibehaltung des Abtrittsgruben- 
systems gegen die aus demselben entspringenden sanitären 
Uebelstände in Anwendung gezogen werden können; müssen 
jedoch sogleich bemerken, dass dieselben wohl im Stande 
sind, jene Uebelstände zu mildern, keineswegs aber vollstän- 
dig unschädlich zu machen; wesshalb nicht zu bezweifeln ist, 
dass selbst, wenn man sich vorläufig bloss mit der Akzep- 
tirung solcher Einrichtungen begnügen sollte, doch die Zeit 
kommen wird, wo man zu einer vollständigen Auflassung der 
Abtrittsgruben wird schreiten müssen. 

Die Systeme, welche mit Rücksicht auf den heutigen 
Stand der Cloakenfrage einer Discussion unterzogen werden 
können, sind 

1. das System der Schwemmkanäle, 

2. das Tonnensystem und seine Modifikationen und 

3. die pneumatische Kanalisation nach Liernur. 
Wir wollen nun diese Systeme einzeln sowohl vom all- 


1) Die meisten Erkrankungen kommen erwiesener Massen bei an- 
haliend ruhigem Wetter vor. Bei herrschendem Winde vermindert sich 
die Zahl der Erkrankungen sichtlich. 


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gemeinen Standpunkte aus als besonders mit Rücksicht aut 
die lokalen Verhältnisse Innsbrucks einer Würdigung unter- 
ziehen. 

Ad 1. Das System der Schwemmkanäle, welches wir 
auch das Kanalisationssystem nennen wollen, !) ist vorzugs- 
weise in England durchgeführt, hat aber auch in Deutsch- 
land warme Verehrer gefunden, besonders unter den Tech- 
nikern. Es ist auch in der That nicht zu läugnen, dass von 
Seite der Technik in dieser Beziehung Grossartiges geleistet 
wurde. Wir verweisen hier nur auf das eben in Ausführung 
begriffene grossartige Wiebe’sche und Latham’sche Kanalisa- 
tionsprojekt der Stadt Danzig (Vierteljahresschrift f. öffentl. 
Gesundheitspflege 1. Band 2. Heft); welches sammt Wasser- 
leitung der Stadt 1,200,000 Thaler kosten wird. 

Was Innsbruck anbelangt, so würden sich von techni- 
scher Seite der Einführung der Kanalisation keine wesent- 
lichen Schwierigkeiten entgegenstellen; da das Terrain günstig 
und namentlich das Haupterforderniss guter Schwemmkanäle, — 
eine ausgiebige Spülung, verhältnissmässig leicht zu erzielen 
wäre. Die Stadt besitzt nämlich bereits ein Schwemmkanal- 
system, das für das Ablaufwasser der Häuser und der 
Strassen bestimmt ist. Diese Schwemmkanäle (sogenannte 
Ritschen) haben ein bedeutendes Gefälle und werden durch 
die Durchleitung eines Theiles der Sill und des Inns, sowie 
durch das aus den zahlreichen Brunnen beständig abfliessende 
Wasser von einer solchen Wassermasse durchspült, wie sie 
kaum das beste englische Schwemmkanalsystem aufzuweisen 
im Stande sein dürfte. Würde man die Fallröhren der 
Häuser in diese Ritschen einleiten und gleichzeitig für die 
obligatorische Einführung von Watterclosetten, die freilich 
wieder Zuleitung des nöthigen Wassers in die einzelnen Stock- 


1) Selbstverständlich meinen wir hier nur die Kanalisation mit 
gleichzeitiger ausreichender Spülung. Die alte Kanalisation, wie sie 
leider noch so häufig besteht, bei welcher man die Exkremente sich 
selbst überliess, ohne für Spülung zu sorgen, wird wohl heutzutage Nie- 
mand mehr vertheidigen. 


a a es 


werke der Hauser erfordern wiirden, Sorge tragen, so ware 
ein modernes Kanalisationssystem bald hergestellt. Bequem 
ware ein solches System allerdings; eine andere Frage ist 
aber die, ob dasselbe auch den sanitären und anderen mehr 
lokalen Anforderungen entsprechen möchte. — Die meisten 
Erwartungen hat man bei der Kanalisation auf die rasche 
und gründliche Fortspülung der Exkremente sogleich nach 
ihrer Deposition gesetzt, welche denselben nicht gestatten 
sollte, innerhalb der betreffenden Stadt sich anzusammeln 
und in Fäulniss überzugehen. Diese theoretischen Erwartun- 
gen werden leider in der Praxis nicht bestätiget. Selbst im 
strömenden Wasser sinken die Faeces allmälig zu Boden und 
lagern sich an den Sohlen der betreffenden Kanäle ab, um 
daselbst mit der Zeit eine starke faulende Schichte zu bilden, 
die beständig Fäulnissgase ausstösst und den verschiedensten 
kleinern und grössern Organismen zur Brutstätte dient. An 
Stellen, wo das Terrain und andere Verhältnisse ein stärkeres 
Strömen des Wassers nicht zulassen, erfolgen solche Ab- 
lagerungen viel schneller und in grösserer Menge. In den 
kleinen Hauskanälen, wo die Spülung nicht kontinuirlich ist, 
sondern nur bei Benützung des Abortes periodisch erfolgt, 
können sich die spezifisch schwereren Stoffe der Exkremente 
besonders leicht absetzen. Ausserdem wird sich stets eine 
Menge von Hindernissen im Laufe der Kanäle ergeben, an 
denen sich der Inhalt staut und zu Niederschlägen Gelegen- 
heit bietet Wie es unter solchen Umständen mit der a priori 
erwarteten Geruchlosigkeit der Schwemmkanäle und den da- 
mit in Verbindung stehenden sanitären Anforderungen in der 
Regel bestellt ist, beweisen namentlich die so gelobten eng- 
lischen Schwemmkanäle, über deren Ausdünstungen eine 
Menge Klagen und Beschwerden in den englischen Blättern 
niedergelegt sind. Wie es sich z. B. in dieser Beziehung 
mit den von den Anhängern der Kanalisation als musterhaft 
hervorgehobenen neuen Schwemmkanälen in Croydon verhält, 
ist aus der oben citirten Rede Carpenters zu ersehen (7. Juni 
1869), aus welcher hervorgeht, dass sich in den neuen 


A DES 


Kanälen eben so gut schädliche Cloakengase bilden (sewer 
air), wie in den alten. Carpenter empfiehlt als vorzüglich- 
stes Remedium gegen dieselben ausgiebige Lüftung der Kanäle. 

ie Medic. Times and Gazette vom 12. Juli 1869 findet 
dieses Mittel sehr zweckmässig und empfehlenswerth, fügt 
aber die für das englische Cloakenwesen bezeichnenden Worte 
hinzu: „Nichts desto weniger ist es ein betrübender Ge- 
danke, dass nach 40jährigem Wortemachen und 40jähriger 
Arbeit in Sachen der Gesundheitspflege, man zufrieden sein 
müsse, die schädlichen Cloakendiinste in unsern Strassen ent- 
weichen zu lassen. 

Dass auch bei Schwemmkanälen ein Austritt des Kanal- 
inhaltes in das umgebende Erdreich erfolgen kann und selbst 
bei den besten Kanälen im Laufe der Zeit in der That er- 
folgt, ist nicht zu bezweifeln. Man hat allerdings behauptet, 
dass bei gehöriger Tieflage der Kanäle der Druck des Grund- 
wassers ein Austreten des Kanalinhalts nicht gestatten wird, 
vergass aber hiebei, dass der Stand des Grundwassers häu- 
figem Wechsel unterworfen ist und dass es nicht überall 
möglich sein wird, die Kanäle unter das niedrigste Niveau 
des Grundwassers zu legen. Trotz den bisher hervorgehobe- 
nen Mängeln des Schwemmkanalsystems lässt sich nicht 
läugnen, dass die fortschreitende Technik im Stande sein 
wird, durch zweckmässige, freilich aber ungemein kostspielige 
Einrichtungen denselben zu begegnen, wenigstens sie bedeutend 
abzuschwächen. Dagegen ist es die finale Unterbringung des 
Kanalwassers, welche die schwächste Seite des Schwemm- 
kanalsystems bildet und namentlich in Innsbruck mit den 
grössten Schwierigkeiten und Uebelständen verbunden wäre. 

Ein einfaches Einleiten der Massen in den Inn unter- 
halb der Stadt wird wohl Niemand anrathen. Die Meinung, 
als finde bei Vermischung von gährendem und gährungs- 
fähigem Cloakenwasser mit viel Flusswasser eine totale Oxy- 
dation und Metamorphose der organischen Masse rasch statt, 
ist längst als irrig nachgewiesen, namentlich durch Frank- 
land (Bericht über Wasserversorgung, Vierteljahresschrift für 


pda ea 


öffentl. Gesundheitspflege I. 1. pag. 109.). Pappenheim be- 
merkt ganz richtig, dass selbst die stärkste Wasserverdün- 
nung organische Keime, die vielleicht das schädlichste Agens 
im Cloakeninhalte sind, kaum zu vernichten und unschädlich 
zu machen im Stande sein wird. Zudem ist der Inn ein 
verhältnissmässig seichter Fluss mit sehr wechselndem Wasser- 
stand und man kann ihm trotz seiner bedeutenden Strömung 
eine gleichmässige und kontinuirliche Wegschwemmung des 
zugeführten Cloakeninhaltes nicht zumuthen, um so weniger 
als die Erfahrung lehrt, dass mächtige Ströme und selbst 
das Meer diess nicht immer vollständig auszuführen vermögen 
Verschlammung des Flusses durch die Cloakensinkstoffe wäre 
unausweichlich.. Das aus grobem Gerölle: bestehende Fluss- 
bett würde das Zustandekommen von Ablagerungen besonders 
begünstigen. Würden dann beim Fallen des Flusses die 
flachen verschlammten Ufer blosgelegt, so müssten die Aus- 
dünstungen des der Luft und Sonne ausgesetzten Schlammes 
für die Gesundheit der Stadt und ihrer Umgebung die ge- 
fährlichsten Folgen haben. 

Zu diesen sanitären Bedenken gesellt sich der nicht zu 
verantwortende Verlust der Dungstoffe für die Landwirth- 
schaft. Die letztere würde gewiss nicht ermangeln, gegen 
ein derartiges Vorgehen sich mit aller Entschiedenheit zu 
verwahren, um so weniger als die herrlichen dreischurigen 
Wiesengründe wie die üppigen niemals brach liegenden Mais- 
und Getreidefelder der Umgebung Innsbrucks den sprechend- 
sten Beweis liefern, welchen Werth die Cloakenstoffe, mit 
welchen jene Ländereien zweimal im Jahre gedüngt werden, 
für den Landbau besitzen, 

Um der Verunremigung der Flüsse, die besonders in 
solchen Gegenden, wo das Flusswasser als Trink- und Koch- 
wasser fleissig benützt wird, mit den grössten sanitären Nach- 
theilen verbunden ist, vorzubeugen und zugleich die im Cloaken- 
wasser enthaltenen Dungstoffe zu gewinnen, hat man aller- 
dings verschiedene Mittel empfohlen und angewendet, um das 
Cloakenwasser vor dem Ablassen in den Fluss zu reinigen, 


— 20 — 


beziehungsweise die schädlichen Beimengungen auszufällen. 
Sämmtliche diese Methoden, z.B. Absitzenlassen in Bassins, 
Desinfektion mittelst der in Asnieres bei Paris gebräuch- 
lichen Alaunmutterlauge, haben sich nicht bewährt, da eine 
vollständige Reinigung des Cloakenwassers durch sie nicht 
möglich ist und überdiess die ausgefällten Stoffe nur einen 
geringen Dungwerth besitzen. 

In welcher Weise die neuerdings gerühmte Süvern’sche 
Methode (Chlormagnesium, Kalkhydrat mit etwas Carbol- 
säure) diese Aufgabe zu lösen im Stande sein wird, lässt 
sich gegenwärtig nicht bestimmen. Wenigstens haben die in 
Berlin unter der Leitung Virchow’s gemachten Versuche noch 
zu keinem endgültigen Resultate geführt. (Vorläufigen Be- 
richt über diese Versuche siehe 48. Bd. von Virchow’s Ar- 
chiv und Vierteljahresschrift f. öffentl. Gesundheitspfl. I. 1. 
p- 96.) 

Ferner hat man versucht und empfohlen, die Massen, 
sobald sie die Kanäle verlassen, zur Bewässerung und gleich- 
zeitigen Düngung von Landflächen, besonders von Wiesen- 
grund zu verwenden, — das sogenannte Berieselungs- 
System. Dieses System wird von England aus besonders 
empfohlen. Schon durch längere Zeit ist dasselbe in An- 
wendung in Croydon (Norwood), in Rugby und Edinburgh. 
Neuestens wird ein kleiner Theil des Londoner Sielwassers 
zur Berieselung von Lodge-Farm bei Barking, zwei Meilen 
unterhalb London verwendet; ebenso das Kanalwasser des 
Lagers von Alderschott bei London zur Berieselung einer 
100 Acres messenden sterilen unebenen Sandfläche. (Viertel- 
jahresschrift für öffentl. Gesundheitspfl. I. 2. p. 213.) Bei 
der Durchführung der Berliner und Danziger Kanalisations- 
projekte ist die gleichzeitige Berieselung grosser steriler 
Landflächen in Aussicht genommen. 

Die englischen Berichte lauten in Bezug auf die land- 
wirthschaftlichen Resultate derartiger Berieselungen sehr 
günstig; wobei aber zu erwähnen ist, dass es sich hier fast 
ausnahmslos um sehr durchlässige, grösstentheils sandige 


ee 


Landflächen handelt. Für die wasserreichen Wiesen- und 
Ackergründe des Innthals, die einer beständigen Drainage 
bedürfen, wäre eine kontinuirliche Berieselung gewiss nicht 
anwendbar. Bedenkt man zudem, dass im Winter die Be- 
rieselung ausgesetzt werden müsste, wie diess sogar auch im 
milden England geschehen muss, so dass dann das Kanal- 
wasser doch in den Fluss geleitet werden müsste; bedenkt 
man ferner die durch den Gestank des frei sich verbreiten- 
den Cloakenwassers entstehende Verunreinigung der Luft, so 
kann man wohl von der Anempfehlung des Berieselungs- 
systems für Innsbruck absehen und wenn wir das oben Ge- 
sagte zusammenfassen, auch von jener des Schwemmkanal- 
systems überhaupt, das bei bedeutenden Kosten der Stadt, 
ausser vielleicht der Bequemlichkeit, keine weiteren Vortheile, 
sondern nur eine Reihe neuer Nachtheile zu bringen im 
Stande wäre, die sich möglicher Weise mit der Zeit noch 
belästigender erweisen möchten, als die gegenwärtigen. 

Es erübrigt noch eines wichtigen Umstandes Erwähnung 
zu thun, welcher zu Gunsten der Kanalisation vorzugsweise 
ins Feld geführt wird, nämlich die durch gehörige Tieflegung 
der Kanäle gleichzeitig zu erzielende Drainage des Unter- 
grundes der Häuser und Verminderung der Bodenfeuchtig- 
keit. Sorgfältige statistische Zusammenstellungen haben er- 
geben, dass gewisse Krankheiten, vorzugsweise aber die 
Tuberculose an solchen Orten in grösserer Häufigkeit vor- 
kommen, wo für gehörige Ableitung der Bodenfeuchtigkeit 
nicht gesorgt ist (vide: Ueber den Einfluss der Bodenfeuch- 
tigkeit auf die Häufigkeit der Lungenschwindsucht nach 
Dr. Buchanan. Vierteljahresschrift f. öffentl. Gesundheitspfl. 
2. p. 232). 

Die gegenwärtig bestehenden Ritschen dürften allerdings 
ihrer seichten Lage wegen, wenig zur Entwässerung des 
Bodens beitragen. Doch wäre diess mit der Zeit durch 
Tieferlegen der Ritschen und Wahl eines durchlässigen Mauer- 
werkes für die Seitenwände derselben in genügender Weise 


zu erreichen, namentlich wenn gleichzeitig dafür gesorgt 
Naturw.-med. Verein. 3 


EN lo) 


würde, dass die, in den einzelnen Häusern für die Einleitung 
des Regenwassers noch bestehenden Senkgruben, sowie jene, 
die in den Vorstädten (Wiltau) zur Aufnahme des, aus den 
Brunnen ablaufenden Wassers bestimmt sind, aufgelassen und 
alles überflüssige Wasser einzig und allein in die Kanäle 
geleitet werden möchte. 

Das Tonnensystem besteht im Wesentlichen darin, 
dass man die Exkremente in transpotablen Gefässen, soge- 
nannten Tonnen, auffängt, welche man im Souterrain unter 
den Fallröhren der Abtritte aufstellt. Die Tonnen werden, 
so bald sie nahezu voll sind, was in der Regel in wenigen 
Tagen geschieht, weggenommen, wohl verschlossen abgeführt 
und gleichzeitig durch neue ersetzt. Die hygienischen Vor- 
theile dieses Systems sind sehr schätzenswerth. Die Durch- 
jauchung des Bodens und die Verunreinigung des Grund- 
wassers wird bei demselben gänzlich vermieden; ebenso bei 
zweckmässiger Einrichtung die Verderbniss der Luft und die 
aus der längeren Anhäufung der Exkremente im Bereiche 
der Wohnungen entspringenden Nachtheile, wozu überdiess 
der Vortheil sich hinzugesellt, dass die Cloakenstoffe für die 
Landwirthschaft nicht verloren gehen. 

Das Tonnensystem ist in Graz, ferner theilweise in 
Leipzig, Paris, Dresden, Kiel und neuerlich in Zürich ein- 
geführt. 

In Graz, wo das Tonnensystem noch in seiner ursprüng- 
lichen Form zur Anwendung kommt, bestehen folgende Ein- 
richtungen: Im Souterrain eines jeden Hauses ist in einem 
eigens dazu hergerichteten leicht zugänglichen Raume die 
Tonne aufgestellt unter dem gemeinschaftlichen Abfallrohre 
sämmtlicher Abtritte des betreffenden Hauses. Die Tonnen, 
welche auf 2 bis 5 Eimer Inhalt berechnet sind, sind aus 
Eichenholz gefügt, haben eiserne Reife und sind mit Oelfarbe 
iiberstrichen. In die Oefinung des Deckels ist ein hölzerner 
Trichter eingepasst, der zum Behufe des Nachsehens gehoben 
werden kann, und in diesen mündet das Fallrohr. Ist die 
Tonne nahezu voll, so wird die Oeffnung derselben mit einem 


genau schliessenden Deckel verschlossen und mit einem Keil 
befestigt und abgeführt, nachdem man sie durch eine frische 
Tonne ersetzt. Die Abfuhr und das Auswechseln der Tonne 
geschieht durch mehrere Unternehmungen, deren Organe zu- 
gleich die Pflicht haben, zur rechten Zeit nachzusehen. Die 
Abfuhr selbst geschieht am Tage mittelst eigener Wägen und 
zwar, da für guten Verschluss der Tonnen gesorgt wird, ohne 
die geringste Belästigung der Einwohner. Hiefür bezahlen 
die Hauseigenthümer 40—50 kr. 6. W. jährlich für jede im 
Hause wohnende Person, in Fällen aber, wo z. B. wegen 
gleichzeitig angebrachter Wasserklosetten die Tonnen häufiger 
gewechselt werden müssen, werden eigene Verträge mit der 
Unternehmung abgeschlossen, die dann die ihr zukommende 
Entschädigung nach der Anzahl der abzuholenden Tonnen 
berechnet. Das Tonnensystem, das bereits seit 1830 in den 
meisten Häusern von Graz bestand, ist seit 1867 obligato- 
risch eingeführt, der beste Beweis, dass es sich die allge- 
meine Zufriedenheit der Einwohner erworben. Welchen gün- 
stigen Einfluss seine Einführung auf die Gesundheitsverhält- 
nisse der Stadt hatte, haben wir bereits oben erwähnt. 

Ganz ähnlich wird das Tonnensystem in Leipzig ge- 
handhabt; nur mit dem Unterschiede, dass der Verschluss 
der ebenfalls hölzernen Tonnen durch einen mit einer Quer- 
leiste versehenen und durch Flügelschrauben angezogenen 
Spund geschieht. Das Abholen und Auswechseln der Tonnen 
wird durch dieselbe Firma (Teuthorn) ausgeführt, welche zu- 
gleich die atmosphärische Räumung der in vielen Häusern 
Leipzigs noch bestehenden Abtrittsgruben besorgt und sämmt- 
liche Cloakenstoffe der Stadt zu Poudrette verarbeitet. Auch 
hier giebt man dem Tonnensystem den Vorzug und es kommt, 
wenigstens in den neueren Häusern, fast durchwegs zur Aus- 
führung. 

Aehnliche günstige Berichte verlauten aus Paris, Han- 
nover, Stettin etc. In Zürich wurde das Tonnensystem in 
letzter Zeit eingeführt und für Heidelberg hat der dortige 
ärztliche Verein die Einführung desselben in Vorschlag gebracht. 

3% 


BIN 305) aap 


Auch wir stehen nicht an, das Tonneusystem der Stadt 
Innsbruck zur Annahme zu empfehlen, da dieses System unter 
allen gegenwärtigen am meisten den hygienischen Anforde- 
rungsn entspricht, da es ferner den hiesigen Verhältnissen 
am leichtesten angepasst werden kann und da schliesslich 
die dem Tonnensystem zugeschriebenen schwachen Seiten ge- 
rade in Innsbruck weniger hervortreten können, als diess 
vielleicht an anderen Orten der Fall sein möchte. 

So wird z.B. dem Tonnensystem der Vorwurf gemacht, 
dass, um das allzuhäufige Vollwerden und leichte Ueber- 
laufen der Tonnen zu verhüten, das Eingiessen der Haus- 
wässer und das Hineinwerfen der Küchenabfälle ete. prohibirt 
werden muss, was nicht leicht vollständig möglich ist. In 
Innsbruck würde dieser Umstand keine Schwierigkeiten machen. 
Die Leute sind hier seit jeher gewöhnt, die Hauswässer in 
die Ritschen zu giessen, da das Eingiessen derselben in die 
Abtritte von Seite der Hausherren nicht geduldet wird. Die 
Küchenabfälle aber werden überhaupt gar nicht weggeworfen, 
sondern in den Haushaltungen gesammelt, von den Land- 
leuten jede Woche abgeholt und verfüttert. 

Dass Watterclosetts ganz gut auch beim Tonnensystem 
bestehen können, beweist Graz, wo dieselben ziemlich zahl- 
reich sind. Eine häufigere Auswechslung der Tonnen wird 
dann allerdings nothwendig, doch werden dadurch, wie man 
in Graz sieht, die Kosten nicht bedeutend vermehrt und die- 
selben überdiess durch die Reinlichkeit und Eleganz der 
Abortsitze reichlich wieder eingebracht. 

Die sogenannten Diviseurs, d. h. Tonnen, in denen durch 
ein senkrecht oder horizontal aufgestellte durchlöcherte Scheide- 
wand die flüssigen Theile von den festen getrennt werden, 
haben unter Anderem den Zweck, ein allzubaldiges Voll- 
werden der Tonnen zu verhüten und indem sie zugleich den 
am schnellsten faulenden Harn von den Faces sondern, ein 
längeres Behalten der Tonnen im Hause zu gestatten. Die 
ablaufende Flüssigkeit wird entweder in einer zweiten unter- 
gestellten Tonne aufgefangen oder sie wird einfach in die 


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Or 
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Kanäle oder den Fluss abgelassen (Zürich) oder sie wird 
vorerst einem Desinfections-Verfahren unterzogen und dann 
dem Flnsse übergeben — Eine vollständige Abscheidung der 
flüssigen Theile findet in diesen Diviseur’s nie statt, wess- 
halb sie ihren Zweck immer nur theilweise erfüllen, abgesehen 
von den leichten Verstopfungen der kleinen Oeffnungen der 
Scheidewand. Ein längeres Stehenlassen der Tonnen wäre 
demnach auch hier nicht rathsam. 

Noch weniger ist das einfache Ableiten der Flüssigkeiten 
in die Sielen oder in den Fluss zu billigen; da dadurch die 
sanitären Vortheile des Tonnensystems mehr weniger illu- 
sorisch werden möchten. Was von einer vorhergeschickten 
Desinfection zu erwarten wäre, lehrt die Erfahrung. Alle in 
dieser Beziehung gestellten Erwartungen scheitern einfach an 
der Thatsache, dass eine allgemeine und ausreichende Durch- 
führung dieser Massregel in einer Stadt von den Einzelnen 
nicht zu erwarten, und obligatorisch wegen Unmöglichkeit der 
Controlle nicht durchführbar ist. 

Die finale Unterbringung der Abtrittsstoffe resp. die Ver- 
werthung derselben für landwirthschaftliche Zwecke, der wunde 
Fleck aller Cloakensysteme hat auch beim Tonnensysteme 
ihre Schwierigkeiten. Doch auch dieser gegenüber finden wir 
in Innsbruck günstigere Verhältnisse. Während in vielen 
Städten wegen nicht rationellen Betrieb des Landbaues die 
Cloakenstoffe nur zum Theil zur Düngung verwerthet werden, 
können wir für Innsbruck die erfreuliche Thatsache konsta- 
tiren, dass die Landwirthschaft der Umgebung der Stadt 
den von Letzterer produzirten Cloakendünger nicht nur voll- 
ständig verbraucht, sondern auch gut bezahlt (15-20 fl. 
für den jährlichen Cloakeninhalt eines grösseren Hauses) N. 


1) In welcher Weise die Landwirthe der Umgebung Innsbruck’s 
den Stadtdünger zu schätzen wissen, geht aus dem Umstande hervor, 
dass sie sich die Erwerbung desselbon auch sonst noch ein schweres 
Geld kosten lassen. Ieder Landwirth muss nemlich das nöthige Per- 
sonal sehr gut bezahlen, die oberwähnten Kastenwägen selbst beschaffen 
ete.; so dass die Auslagen für die Düngung derFelder jährlich ein hüb- 
sches Sümmchen betragen. 


A ee 


Es steht also zu erwarten, dass auch nach Einführung des 
Tonnensystems die Abtrittsmassen ihre vollständige Verwer- 
thung und demnach auch die Unternehmer der Abfuhr ihre 
Rechnung finden werden. Im Frühjahr und Herbst und theil- 
weise im Winter würde die Verführung des Tonneninhaltes 
auf die Felder ohne alle Vorbereitung erfolgen können. In 
der übrigen Zeit würde die einstweilige Unterbringung der 
Massen allerdings einige Schwierigkeiten machen. Dass diese 
gerade nicht unüberwindlich sind, beweisen die an anderen 
Orten in dieser Beziehung bestehenden Einrichtungen. So 
sei z.B. die in Leipzig eingeführte verhältnissmassig einfache 
und billige Prozedur beschrieben. Die Abfuhr sämmtlicher 
Excremente der Stadt besorgt hier die Firma Tenthorn, welche 
1/2 Stunde von der Stadt entfernt auf flachem Felde eine 
Fabrick besitzt, die die Cloakenmassen zu Poudrette verar- 
beitet. 

Die Massen werden, sobald sie anlangen in rechteckige 
lange und breite, doch bloss 11/2 Schuh tiefe Gruben ge- 
gossen und in derselben durch 14 Tage der Einwirkung der 
Luft ausgesetzt. Hierauf werden sie behufs Neutralisation 
des Ammoniak mit Schwefelsäure behandelt und weitere 14 Tage 
an der Luft getrocknet. Dann wird die Masse mittelst lei- 
terartiger Formen in Ziegelgestalt gebracht und die Ziegel 
unter Holzdächern auf Lattengestellen getrocknet. Die ge- 
trockneten Ziegel werden nun zerschlagen und als grobes 
Pulver in Fässern zum Verkaufe aufbewahrt. Die Fabrick, 
welche bereits 16 Jahre besteht, verkauft den Zentner dieses 
Düngers zu ‘4 Thaler. 

In Bondy bei Paris verarbeitet man die Excremente 
letzterer Stadt ebenfalls einfach durch Trocknen an der Luft, 
nachdem man sie in flachen Gruben hatte absitzen lassen. 
Die Fabrik arbeitet auf Rechnung der Gemeinde von Paris 
und liefert einen jährlichen Ertrag von 340.000 Franks. 

Auch für Innsbruck würde sich ein abgelegener Ort 
finden lassen, wo die Cloakenstoffe während der Zeit, wo sie 
nicht direkt auf die Felder verführt werden können, abge= 


FOB i a 


lagert, beziehungsweise zu Poudrette verarbeitet werden 
könnten. Auf je einfachere Weise diess geschehen würde, 
desto grösser wäre die Hoffnung auf Gewinn. 

Neuerdings will F. Thon (die Lösung der Latrinenfrage. 
Cassel und Göttingen 1869) ein Verfahren erfunden haben, 
um die Excremente innerhalb wenigen Tagen in sehr prak- 
tische Poudrette zu verwandeln und zwar auf so billige Weise, 
dass mit Rücksicht auf den zu erzielenden Gewinn der Fa- 
brick die Abfuhr der Kloakenstoffe aus der Stadt ganz um- 
sonst geschehen kann. Die Bestätigung dieser Angaben ist 
abzuwarten. 

Diejenigen Methoden, welche die Exkremente sogleich 
nach ihrer Absetzung desinfiziren und zu künstlichen Dünger 
verwandeln sollen (System Mosselmann, Müller-Schürr, Mou- 
le’sche Erdklosette) sind in soferne zweckmässig, als sie den 
Feind angreifen, so lange er noch klein und daher leichter 
zu bewältigen ist. Für einzelne grössere Gebäude, z. B. Fa- 
briken, Schulen, Landhäuser wäre die Durchführung dieser 
Methoden nicht sehr schwierig, so z.B. jene der Moule’schen 
„dry-earth closets“, welche durch eine selbstwirkende Streu- 
vorrichtung die Excremente sogleich nach ihrer Deposition 
mit trockener Erde bedecken. Die allgemeine Einführung 
solcher Einrichtungen in grösseren Städten würde auch ab- 
gesehen von der Kostspieligkeit auf eine Menge Schwierig- 
keiten stossen. 

In mehreren nordischen Städten (Gothenburg, Norrkö- 
ping, Christiania) ist nach Alex. Müller (die Reinhaltung 
der Wohnungen, Dresden 1869) folgendes System eingeführt: 
Harn und Faces werden schon im Abtrittstrichter durch eine 
sinnreiche Vorrichtung (sog. Luftclosettes von Marino) ge- 
trennt. Der Harn läuft dürch eine mit sauren Salzen, Car- 
bolsäure und ähnlichen Stoffen getränktes Torffilter und wird 
solchergestalt desinfizirt in die Sielen abgelassen. Die Fäces 
fallen in ein Mischgefäss (Holzkasten) auf dessen Grunde 
etwas Erde, Asche u. dgl. ausgebreitet ist. Hier werden 
sie täglich mit gebranntem, ungelöschtem Kalk in groben 


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Stiicken (etwa 100 Gramme pro Kopf und Tag) gemischt, 
so dass sie bei schliesslicher Abfuhr als ziemlich trockene 
und brauchbare Kalkpoudrette verwerthbar sind. — Ob eine 
solche Methode für Innsbruck anwendbar wäre, müssten die 
Bodenverhältnisse der hiesigen Ländereien entscheiden. 

Abgesehen von den zuletzt erwähnten Modificationen 
glauben wir den Nachweis geliefert zu haben, dass eine all- 
gemeine Einführung des einfachen Tonnensystems in Inns- 
bruck keine besonderen Schwierigkeiten finden würde. 

In die Details der Durchführung desselben wollen wir 
uns vorläufig nicht einlassen; soviel sei nur bemerkt, dass 
es unumgänglich nöthig sein wird, die Sache nicht dem Be- 
lieben des Einzelnen zu iiberlassen}, sordern auf legislativen 
Wege durchzuführen. Ebenso wird es sich als nothwendig 
herausstellen, dass, wie dies anderswo der Fall ist die ge- 
sammte Handhabung des Cloakenwesens in eine Hand ge- 
legt wird; indem dieselbe entweder von der Gemeinde über- 
nommen oder einer Unternehmung übertragen wird. 

Es erübrigt nun noch des Systems des Capitän Liernur 
Erwähnung zu thun, welches neuerlich viel von sich sprechen 
machte. Das pneumatische Städtereinigungs-Sy- 
stem Liernur’s (auch pneumatische Canalisation genannt) ist 
im Wesentlichen ein Abfuhrsystem, das sich aber von an- 
deren Abfuhrsystemen dadurch unterscheidet, dass nicht Haus 
für Haus die Ausleerung des Abtrittinhaltes vorgenommen, 
sondern, dass zu diesem Behufe immer eine Gruppe von 
Häusern vereinigt wird. Die Fallröhren der zu dieser Gruppe 
gehörigen Häuser gehen unmittelbar in eiserne oder glasirte 
thönerne Röhren über, die mit einem mitten durch die Strasse 
unterirdisch verlaufenden Hauptrohre verbunden sind. Dieses 
letztere mündet allein oder zugleich mit 2—3 aus anderen 
Strassen kommenden Hauptrohren in ein gemeinschaftliches 
Reservoir, d. h. einen eisernen, an den Kreuzungsstellen der 
Strassen in die Erde eingelassenen Kessel, welcher luftdicht 
durch einen angeschraubten Deckel geschlossen werden kann. 
Die Hauptröhren sind für gewöhnlich an der Einmündungs- 


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Lin og, a 


stelle in den Kessel durch Hähne luftdicht verschlossen. Soll 
die Reinigung vorgenommen werden, was nach Liernur täg- 
lich zu geschehen hat, so stellt sich eine Dampfmaschiene 
über den Kessel und pumpt denselben luftleer. Hierauf 
werden die Hähne der einmündenden Rohre geöffnet und nun 
schiesst der Luftdruck den Inhalt der letzteren in den Kessel 
hinein. Dann werden die Hähne wieder geschlossen und der 
Inhalt des Reservoirs in einen mittelst der Dampfmaschinen 
luftleer gemachten Kesselwagen gesaugt, auf das Feld ver- 
führt und sogleich tief untergepflügt oder einstweilen in Com- 
posthaufen untergebracht. 

Im Grossen, d. h. für ganze Städte und Strassen ist 
dieses System noch nirgends durchgeführt, wohl aber im 
kleinen Massstabe und versuchsweise in der Ferdinandska- 
serne zu Prag, in welcher 3 grosse Aborte auf diese Weise 
täglich gereinigt werden. Der Bericht der zur Prüfung dieses 
Systems bestellten Militär- Kommission lautet günstig. Ob 
es sich auch im Grossen bewährt, wird jedenfalls die Zeit 
lehren, da dieses System in einigen Städten Deutschlands 
und Belgiens in der That zur Ausführung kommen soll. Von 
theoretisoher Seite stellen sich der Durchführbarkeit des Lier- 
nur’schen Systems keine Bedenken entgegen. Von hygienischer 
Seite wäre die Realisirung desselben nur wünschenswerth; 
da auf diese Weise die Entfernung sämmtlicher Excremente 
einer Stadt täglich und ohne die geringste Belästigung der 
Einwohner erfolgen könnte. 

Vom landwirthschaftlichen Standpunkte bietet das Sy- 
stem den Vortheil, dass die exerementellen Stoffe noch 
frisch, also mit ihrem vollen Dungwerth zur Verwendung 
kommen. 

Da ferner Capitän Liernur sich erbietet, die gesammten 
Anlage- und Betriebskosten selbst zu übernehmen, wenn ihm 
dagegen die Fäkalstoffe für die Dauer von 15 Jahren unent- 
geldlich überlassen werden, und sonach die Einführung des 
Systems von finanzieller Seite keine Schwierigkeiten bieten 
würde, so erscheint es angemessen, die Vertretung der Stadt 


a ee 


Innsbruck auf die pneumatische Kanalisation aufmerksam zu 
machen, mit dem Ersuchen, die gegenwärtig im Grossen be- - 
vorstehenden Versuche ') mit diesem System im Auge zu be- 
haiten, um, falls diese sich wie zu erwarten steht bewähren 
sollten, die Einführung des Systems vielleicht auch für Inns- 
bruck vorzubereiten. 


Schliesslich erlauben wir uns für den Fall als eine ra- 
dikale Aenderung des Cloakenwesens aus irgendwelchen in 
loco massgebenden Gründen in weiter Ferne stehen und dess- 
halb für die Bewohner Innsbruck’s die wenig tröstliche Aus- 
sicht sich ergeben möchte, die odiosen Abtrittsgruben noch 
länger zu behalten, den Vätern der Stadt die Abschaffung 
wenigstens der schreiendsten Uebelstände des gegenwärtigen 
Systems dringend ans Herz zu legen. 

Hieher gehört zunächst die Verunreinigung der Luft in 
den Wohnungen durch die aus den Abtritten aufsteigenden, 
übelriechenden Ausdünstungen. Dass diesem Uebelstande 
wenigstens einigermassen entgegengetreten werden kann, un- 
terliegt keinem Zweifel, ebensowenig als die Thatsache, dass 
in dieser Richtung bis jetzt in Innsbruck nicht einmal die 
einfachsten Vorkehrungen getroffen worden sind. — Ausgie- 
bige Ventilation der Abtrittsgruben ist gegen den erwähnten 
Uebelstand das zweckmässigste Mittel. In den meisten Städten, 
welche noch Abtrittsgruben besitzen, besteht die ausdrückliche 
Verordnung, dass jede Abtrittgrube durch ein senkrecht auf- 
steigendes, hinreichend weites und über das Dach hinausge- 
leitetes Rohr ventilirt sein müsse. In Innsbruck finden wir 
nichts Derartiges und dieses ist der Hauptgrund, warum die 
Innsbrucker Abtritte einen so penetranten Geruch verbreiten. 
Wir empfehlen demnach anzuordnen, dass in jedem in Bau 


1) Nach einer Mittheilung von Reclam (Vierteljahresschrift für 
öffentl. Gesundheigspfl. II. 1. p. 99) steht ein grösserer Versuch mit 
dem Liernur’schen System in nächster Zeit in Köln a. Rh. bevor. 


Ea BT ye 


begriffenen Hause ausnahmslos, in den älteren sobald diess 
nur thunlich, eine solche Ventilationsröhre über das Dach 
geleitet werde, wobei es zweckmässig sein wird, das Rohr, 
um die Ventilation von äusseren Temperaturverhältnissen 
‚möglichst unabhängig zu machen, längs der Küchenkamine 
anzubringen. Die Abtrittsgase würden dann, natürlichen 
Gesetzen folgend, ihren Weg in’s Freie über dem Dache 
finden, statt wie bisher, durch das Fallrohr in das Innere 
der Häuser einzudringen. 

Von anderen Vorrichtungen ist nicht viel zu erwarten. 
Deckel, Klappen und ähnliche Vorrichtungen am Abtritts- 
sitz, die das Aufsteigen der schädlichen Gase verhindern 
sollten, haben sich, wie zu erwarten war, nicht bewährt. Am 
zweckmässigsten sind noch die sogenannten Wasserverschlüsse 
(Siphons), die jedoch den Uebelstand haben, dass sie im 
Winter leicht einfrieren und durch absichtlich oder zufällig in 
das Abtrittsrohr geworfene Gegenstände leicht sich verstopfen. 

Die Durchlässigkeit der Abtrittsgruben ist, wie oben er- 
wähnt, eine der gefährlichsten Seiten der letzteren, es ist 
daher vorzugsweise in dieser Richtung, so weit diess über- 
haupt thunlich ist, eine Ueberwachung nothwendig. Bloss ge- 
mauerte, nicht cementirte Gruben sind absolut zu verbieten. 
Da die Cementauskleidung wenigstens für einige Zeit gegen 
den Austritt der Jauche schützt, so ist jeder Hauseigenthü- 
mer zu verhalten, seiner Grube eine solche Auskleidung zu 
geben und dass diess geschah, bei jedem Hause behördlich 
zu konstatiren. Ferner ist, aus den oben angeführten Grün- 
den, die zeitweise Erneuerung der Cementauskleidung obliga- 
torisch zu machen, bei welcher Bestimmung natürlich die 
durch Erfahrung oder experimentell sichergestellte Dauer- 
haftigkeit des betreffenden Cementes massgebend sein müsste, 
— Zur Herstellung einer wirklich wasserdichten gemauerten 
Abtrittsgrube gibt es nach Thorwirth (Lohmer 1. ce. p. 8) 
nur ein Mittel, nämlich die Errichtung einer doppelten Mauer 
aus Backsteinen, deren ein Fuss breiter Zwischenraum mit 
plastischem Thon ausgestampft wird. 


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Eine derartige Einrichtung der Abtrittsgruben ist in 
neuester Zeit fiir die ganze Provinz Schleswig-Holstein durch 
eine Verfügung des Polizeipräsidiums obligatorisch gemacht 
worden. Die Gruben miissen nach aussen mit einer fuss- 
dicken festgestampften fetten Thonschicht umgeben werden. 

Nach der gütigen Mittheilung eines Sachverständigen 
muss die Thonschichte, welche zur wasserdichten Herstellung 
von Abtrittsgruben anzuwenden wäre, nicht von Backsteinen 
eingeschlossen sein, sondern es ist auch anderes Mauerwerk, 
theilweise selbst anderes Material zulässig. 

Eine weitere gesundheitsgefährliche und zugleich die be- 
lästigendste Seite des gegenwärtig bestehenden Cloakensystems 
ist die wahrhaft entsetzliche Art der Räumung der Abtritts- 
gruben, welche wir oben vielleicht mit zu schwachen Farben 
geschildert haben. Die unverantwortliche Belästigung, welcher 
die Bewohner Innsbrucks in Folge jener weniger als primi- 
tiven Ausleerungsmethode jährlich durch 12 Wochen aus- 
gesetzt sind, war es, welche zunächst den Anstoss gab, dass 
man an den so eben gegründeten naturhistorisch-medizini- 
schen Verein dae Ersuchen stellte, sich der gequälten Be- 
völkerung der Stadt anzunehmen und betreffenden Ortes Vor- 
stellungen in dieser Richtung zu machen. Die allgemeine 
Zustimmung, welche sich kundgab, als der Verein sich ent- 
schloss, in der That diese Aufgabe zu übernehmen, ist der 
beste Beweis, wie sehr die Bevölkerung sich sehnt, endlich 
einmal von jener eckelhaften Belästigung befreit zu werden. 

Wir brauchen nicht von unserm Standpunkte, mit Rück- 
sicht auf das oben Ausgeführte nicht weiter zu betonen, dass 
die endliche Abschaffung des bisherigen Modus der Gruben- 
reinigung im Interesse der Salubrität der Stadt dringend ge- 
boten erscheint, und wir geben uns der Hoffnung hin, eine 
löbl. Stadtvertretung werde diesem sanitätswidrigen Gebahren 
um so eher baldigst ein Ende machen, als gerade dieser 
Seite des Cloakenwesens noch am leichtesten beizukommen 
ist, da es eine Menge Apparate und Vorrichtungen giebt, 
welche die Räumung der Gruben mit keiner oder nur ge- 


Seo ees 


ringer Belästigung bewerkstelligen und welche ohne grosse 
Kosten angeschafft werden können. 

In den meisten grösseren Städten, wo noch Abtritts- 
gruben bestehen, hat man in der That schon lange die ur- 
wüchsige Methode der Grubenräumung durch einfaches Aus- 
schöpfen aufgelassen und hat entweder die Räumung durch 
Pumpapparate oder die pneumatische Räumung eingeführt. 

Was die erstere Methode anbelangt, so bedient man 
sich dazu an einzelnen Orten, z. B. in München (theilweise) 
und in Lyon gewöhnlicher zweistiefliger Pumpen. Sind diese 
gut gearbeitet, so erfüllen sie ihren Zweck ausreichend, wie 
z. B. aus dem Umstande zu ersehen ist, dass in Lyon die 
Räumung auf solche Weise am Tage vorgenommen wird und 
auch nur am Tage vorgenommen werden darf. 

In Antwerpen, Ostende, Strassburg, Metz wird die von 
Schmidt zuerst angegebene und nach Mesdagh modifizirte 
Blasebalgpumpe (pompe aspirante et foulante) benützt. Es 
ist eine nach dem Prinzipe der Blasebälge construirte Saug- 
druckpumpe, welche den Unrath in einen Kesselwagen von 
Eisenblech treibt mittelst sogenannter Spiralschläuche. Das 
Saugrohr wird bis fast auf den Grund der Grube eingesenkt 
und ist zur Vermeidung von Verstopfung mit einem Seiher 
oder Drahtkorb am Ende versehen. Die bekannte von Sal- 
viatti geleitete Berliner Commission wohnte in Ostende einer 
solchen Räumung bei. Die Röhre von der dicht an die 
Grube gestellten Pumpe, durch die Hausflur bis zu dem auf 
der Strasse stehenden Wagen gehend, war 78 Fuss lang. 
Die ganze Operation, durch welche 61 Kubikfuss geräumt 
wurden, dauerte mit Montirung des Apparats, Wasserspülen, 
Demontiren, Wiederaufladen der Schläuche und Pumpe 40 
Minuten. Nur auf der Strasse machte sich einiger Geruch 
bemerkbar, weil das Mannloch der Tonne 3—4 Mal grösser 
war als der Durchmesser des Rohres. Nach Schluss des 
Deckels verschwand derselbe vollständig. (Lommer |. e., 
pag. 32.) 

Grosse Anerkennung hat sich die Schiettinger’sche (auch 


New-Yorker) Pumpe erworben, welche in Basel, Bonn, Cöln, 
Düsseldorf, Luxemburg, Mühlhausen, München ete. im Ge- 
brauche ist. 

„Diese Pumpe sieht einer Dampfmaschiene mit liegendem 
doppeltwirkenden Cylinder sehr ähnlich. Statt der Ventille 
sind jedoch Schiebersteuerungen mit Stahlmessern angebracht, 
welche im Stande sind, etwaiges Verstopfen durch Zer- 
schneiden der hemmenden Gegenstände zu beseitigen. Zwei 
grosse Sehwungräden, von 2 Mann gedreht, setzen 2 Kur- 
beln in Bewegung, an welchen die Kolben der Schieber- 
steuerung befestigt sind. Von der auf 4 kleinen Rädern 
ruhenden Maschiene geht ein starkes Gummirohr in die 
Cloake. Dasselbe kann bis zu 200 Fuss verlängert und 
20 Fuss tief hinuntergelassen werden, so dass man eine am 
Ende eines langen Hofes gelegene Cloake noch von der Strasse 
aus leer pumpen kann, Die Flüssigkeit wird mittelst dieser 
Pumpe in ein Wagenfass gedrückt. Auf der oberen Seite 
hat jedes Fass ausser der Einlassöffnung ein Sicherheitsventil 
und eine Gasrohröffnung. In dem hinteren Boden befindet 
sich oben eine 12 Zoll lange und 11/2 Zoll breite Wasser- 
standsglasplatte und unten ein gusseiserner Ablasshahn. Der 
ganze Apparat ist in 20 Minuten bequem aufgestellt und 
kann ein Fass von 50 Kubikfuss in 8—10 Minuten voll- 
gepumpt werden. — Sowie die Flüssigkeit das Fass füllt, 
muss die darin befindliche Luft entweichen und mit ihr auch 
die übelriechenden Gase der Unrathstoffe. Diese nehmen 
hren Weg durch ein an die Fassöffnung angeschraubtes 
Kautschukrohr, das unterhalb dem Roste eines kleinen trans- 
portablen Ofens derart mündet, dass die Gase durch die da- 
rin befindlichen glühenden Holzkohlen streichen müssen“. 
(Die Cloakenfrage R. Hofmann, Prag 1868, p. 18. 

Die Maschiene arbeitet, wie wir uns zu überzeugen Gele- 
genheit hatten, präcis; und es ist bei sorgfältiger Manipulation 
mit derselben fast gar kein auffallender Geruch zu bemerken. 

Eine sehr saubere Methode der Ausleerung von Ab- 
trittsgruben ist die sog. athmosphärische oder pneumatische 


Bean gc 


Räumung. Diese wird bewerkstelligt durch luftleer gemachte 
Kesselwagen. Dieselben werden durch sog. Spiralschläuche mit 
der Cloake in Verbindung gesetzt, so dass nun nach Oeffnung 
eines Hahnes der Kloakeninhalt durch atmosphärischen Druck 
in den Kesselwagen hineingetrieben wird. Das Luftleermachen 
des Kessels wird entweder durch mittelst Dampf getriebenen 
Luftpumpen oder durch die sog. hydropneumatische Methode 
bewerkstelligt. Das erstere geschieht in New-York. Die 
Unternehmer Richer & Comp. stellen den luftleeren Raum 
in 5—6 Minuten in 5 Tonnenwagen zugleich her, mittelst 
Luftpumpen die durch eine Dampfmaschiene von 12 Pferde- 
kraft bewegt werden. Die Räumung erfolgt in so sauberer 
Weise, dass nicht einmal die in der Hausflur liegenden Tep- 
piche während der Arbeit weggenommen werden. 

In Leipzig wird der Kesselwagen durch Wasserdampf 
luftleer gemacht. Der Letztere wird in den Kessel eingeleitet, 
und dann nach Verschluss sämmtlicher Oeffnungen durch Ab- 
kühlung des Kessels verdichtet. Die Räumung wird am Tage 
vorgenommen. 

Die hydropneumatische Methode im engeren Sinne wird 
vorzugsweise in Italien angewendet. 

In Turin bedient man sich zu diesem Behufe eines sog. 
barometrischen Brunnens. Der mit Wasser gefüllte Kessel- 
wird nemlich durch eine luftdichte Verschraubung mit einem 
32 Fuss langen Rohre in Verbindung gesetzt, welches in 
einen Schacht lothrecht herabhängt. Das untere gebogene 
Ende ist durch ein Ventil geschlossen. Sobald das letztere 
mittelst eines Hebels geöffnet wird und alle Oeffnungen des 
Wagenkessels bis auf die Rohröffnung geschlossen sind, läuft 
das Wasser durch das Rohr aus dem Kessel so lange ab 
bis im Rohre nur noch eine Wassersäule von 32 Fuss Höhe 
stehen bleibt. Der Kessel ist alsdann luftleer. 

Da die Lokalitäten nicht überall die Anlage eines mehr 
als 32 Fuss tiefen Schachtes gestatten, hat man in Mai- 
land eine Einrichtung getroffen, die überall ausführbar ist. 
Man hat dort ein Reservoir angelegt, welches 20 Cub. M. 


Wasser fasst. Aus diesem wird durch eine lothrechte Röhre 
ein darunter befindlicher luftdichter Kessel von 16 Cub. M. 
Inhalt gefüllt und dann durch ein Ventil der weitere Zufluss 
abgehalten. Das im Kessel befindliche Wasser pumpt man 
durch ein anderes an der entgegengesetzten Seite des Kes- 
sels angebrachtes Rohr mittelst eines durch ein Göppelwerk 
in Bewegung gesetzten Saug- und Druckwerkes aus dem 
Kessel und macht ihn auf diese Weise luftleer. Soll nun 
der vorher mit Wasser gefüllte Tonnenwagen luftleer ge- 
macht werden, so verbindet man die Tonne durch ein Rohr 
mit dem Kessel und lässt das Wasser aus demselben in 
jenen ablaufen. Da jeder Tonnenwagen 2 Cub. Meter ent- 
hält, so kann man mittelst des einen luftleeren Kessels 
8 Wagen, in Zeit von 10 Stunden 60 Wagen herrichten 
und mit diesen 120 Cub. Meter Unrath räumen. (Lommer 
I @ m oD). 

Das Liernur’sche System ist wie man sieht nur eine 
Modification der schon lange bekannten pneumatischen Räu- 
mung. — 

Aus dem Gesagten folgt, dass es der Methoden genug 
gibt, mittelst welcher die Ausleerung der Abtrittsgruben auf 
bequeme und wenig oder gar nicht belästigende Weise aus- 
geführt werden kann. 

Die sauberste und daher am meisten zu empfehlende 
Methode wäre unstreitig die atmosphärische Räumung. Al- 
lerdings ist sie auch die kostspieligste der dazu nothwendigen 
Apparate wegen. Was das Luftleermachen der Wagenkessel 
anbelangt, so würde dasselbe keinen besonderen Schwierig- 
keiten unterliegen, da die Evacuation auch ohne kostspielige 
Pumpapparate bewirkt werden kann. Sehr gut könnte z.B. 
die in Turin gebräuchliche Methode zur Anwendung kommen, 
ohne dass die Anlegung barometrischer Brunnen resp. über 
32 Schuh tiefer Schächte nothwendig wäre, da hiezu z.B. ein- 
fach der am linken Innufer gleich neben der Kettenbrücke von 
einer mehr als 30 Schuh betragender Höhe fast senkrecht 
herabstürzender kleine Bach, dessen Wasser nie oder nur 


au al Aes 


höchst selten ausgehen soll, und der noch dazu unmittelbar 
an der Landstrasse in den Inn sich ergiesst, benützt werden 
könnte. 

Die in Leipzig übliche Methode, die Wagenkessel mit- 
telst Wasserdampf luftleer zu machen, würde sich ebenfalls 
ihrer verhältnissmässigen Billigkeit wegen empfehlen. — 

Billig und ebenfalls dem Zwecke entsprechend wäre eine 
gute Pumpvorrichtung, wie z. B. die Schietinger’sche Pumpe, 
die sich an vielen Orten bewährt hat und über deren Preis 
und sonstige Details aus der Nachbarstadt München leicht 
Auskunft erhalten werden könnte. 

Selbstverständlich müssten nach Einführung eines Pump- 
apparates die bisher gebräuchlichen Kastenwägen, die wie 
ein Jeder sehen und riechen kann, nichts weniger als ihrem 
Zwecke entsprechen, abgeschafft, und durch luftdicht ver- 
schliessbare Tonnen- oder Kesselwägen ersetzt werden. 


Naturw.-med. Verein. 4 


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Analyse der Asche von Taxus baccata 


Rudolf Kélle. 


Zur Bestimmung wurden die Zweige sammt den Nadeln 
von Taxus baccata, angeblich auf kalkfreiem Boden gewachsen, 
verwendet. 

Die quantitative Analyse ergab in 10 Theilen: 


Kohlensäure... 2... 24.41 
Kieselsaure; cc) op 0.....0:.00528 
Schwetelsaunen. sa. ae 2531.92 
Bhosphorsäure.. 2.2... 72,. 4413 
Chlorau av 220 Sr ee 20.07 
IMapwesiar ie. ERDE 
Kalle er ar ne an 5) 0) 0 | 
isenoxydin.. 0.0... Ve ee e500) 
Kal een ea 5008 27.00 
Natron. 2210 
Thonerde und Mangan . . Spuren 


Sämmtliche Zahlen beziehen sich auf die reine Asche. 
Sand und unverbrannte Kohlen wurden dabei in Abrechnung 
gebracht. 

Im chem. Laboratorium der Universität wurden im Jahre 
1869/70 ausser den angeführten Analysen und einigen andern 
noch in der Ausarbeitung begriffenen analytischen Arbeiten 
noch folgende Untersuchungen theils vollendet, theils begonnen : 

Ueber isomere Kresole, über Umwandlungen des Phenols 
(s. oben), über Bromphenolsulfosäuren, über Derivate der 
Ellagsäure, über Pratokatechusäure, über Thymol, über Gum- 
milack, über Gummigutt und Isuvitinsäure, über Phenoldi- 
sulfosäure. 


Vorliufige Notiz 


über eine 


Modification der Dampfdichte - Bestimmung, 


von 


Prof. Dr. L. Pfaundler. 


Die Anwendung eines dem Regnault’schen Luftthermo- 
meters ähnlichen Apparates zur Bestimmung der mit der 
Temperatur steigenden Expansivkrafte von Dämpfen mittelst 
Messung der zur Erhaltung eines konstanten Volumens nö- 
thigen Drucksäulen ist durch zwei Umstände erschwert oder 
unausführbar gemacht. Erstens darf bei Dämpfen wegen 
eintretender Condensation kein Theil der den Dampfraum mit 
dem Manometer verbindenden Räume einer tiefern Tempe- 
ratur ausgesetzt werden, als im Dampfraum selbst herrscht, 
wodurch dann wieder eine Miterhitzung des Quecksilbers mit 
allen ihren erschwerenden Konsequenzen nöthig wird. Zwei- 
tens ist diese Methode völlig unanwendbar für solche Sub- 
stanzen, welche in Berührung mit dem Quecksilber zersetzt 
werden. Hiedurch werden gerade eine Reihe solcher Ver- 
bindungen ausgeschlossen, welche Chlor, Brom oder Jod ent- 
halten, z. B. Brom- und Jodwasserstoff- Amylen, Phosphor- 
chlorid, ferner Schwefelsäuredampf u. s. w. lauter Verbin- 
dungen, für welche gerade jetzt wegen ihrer Dissociation ge- 
naue Bestimmungen in grösserer Anzahl erwünscht wären. 
Indem ich mir die Aufgabe stellte, die erwähnte Methode 


Ahle 


auch für solche Substanzen anwendbar zu machen, kam mir 
der Gedanke, dies auf folgende Weise zu versuchen. Da 
nach Regnault’s Bestimmungen die Spannkräfte der Dämpfe 
im leeren Raum und im lufthältigen sehr nahe gleich sind, 
so ist es gestattet, den Dampf durch eine Luftsäule vom 
Quecksilber abzutrennen. Die völlige Vermischung derselben 
mit dem Dampfe kann auf folgende Weise auf längere Zeit 
genügend verhindert werden. Als Dampfraum dient ein aus 
mehreren übereinanderstehenden mit Kapillarröhren verbun- 
denen Räumen gebildetes Glasgefäss.. Die zu verdampfende 
Substanz kommt in den untersten derselben, dessen Grösse 
so berechnet ist, dass der Dampf auch bei der höchsten 
Temperatur ihn nicht ganz erfüllt. Trotzdem wird beim Er- 
hitzen die ausgetriebene Luft und die Diffusion einen Theil 
des Dampfes in den 2, Raum überführen, von diesem gelangt 
bereits ein kleinerer Bruchtheil in den dritten Raum, weil 
das übertretende Luftquantum ein geringeres sein muss. Es 
wird nämlich während des Erhitzens durch künstliches Er- 
höhen des Druckes das Gesammtvolum von Dampf und Luft 
konstant erhalten, wodurch es unmöglich wird, dass aus dem 
obersten Raume eine merkliche Luftmenge entweiche. Es 
ist leicht einzusehen, dass auf diese Weise bei genügender 
Anzahl getrennter Räume, besonders bei grossem spez. Ge- 
wichte des Dampfes und sehr regelmässiger Temperaturstei- 
gerung, die Ueberführung merklicher Mengen von Dampf- 
theilchen in die Kapillarröhre, welche ausser dem Erhitzungs- 
raume zum Manometer führt, auf lange Zeit verhindert wer- 
den kann. Bevor endlich durch fortwährende Diffussion die- 
selben merklich würden, ist man längst mit einer Beobach- 
tungsreihe fertig und überzeugt sich durch Uebereinstimmen 
der auf rückwärtigem Wege erhaltenen Resultate mit den 
früher gefundenen, von der Richtigkeit der gemachten Annahme. 

Dem beschriebenen Apparate können noch einige Uebel- 
stände nachgesagt werden. Abgesehen davon, dass die Em- 
pfindlichkeit der Methode durch grössere beigegebene Luft- 
massen verringert wird, dass durch ungleich rasches Erhitzen im 


Daa aM Tia Se DAS Re 


NAD as 


Innern der Räume Strömungen entstehen können, welche den- 
noch vor der Zeit Vermischung herbeiführen würden, ist vor 
Allem als wesentlicher Emwand der zu berücksichtigen, dass 
im Falle einer Dissociation auf dem Wege der Diffusion die 
Bestandtheile in ungleicher Menge in die Räume vertheilt 
werden können, wodurch , wie ich seinerzeit gezeigt habe, 
die Dissociation beeinflusst und daher auch ein anderer (hö- 
herer) Dampfdruck herbeigeführt werden kann, als bei der 
herrschenden Temperatur in einem ganz vom Dampfe er- 
füllten Raume eintreten würde. Um dies zu vermeiden ver- 
suchte ich, statt des zweiten, dritten etc. Raumes eine lange, 
irgendwie gewundene Kapillarröhre in Anwendung zu bringen. 

Man sieht ein, dass es lange dauern muss, bis die in 
dieser Röhre enthaltene Luft bis an ihr Ende durch Diffu- 


sion mit Dampftheilen erfüllt ist: Durch einen besonderen 


Kunstgriff kann man dies überdies bis nahe zum Zeitpunkte 
des Beginns der Beobachtungen, also während man bis nahe 
zur Beobachtungstemperatur erhitzt, vollständig verhindern, 
indem man zu Anfang noch etwas Luft in der anliegenden 
Manometerröhre über dem Quecksilber zurück behält, d. h. 
also dessen Niveau unter der Marke einstellt und dann 
diese Luft während der Zeit des Erhitzens allmälig durch 
entsprechende Druckerhöhung im andern Schenkel in den 
Dampfraum zurückpresst. 

Ich habe bis jetzt noch keine quantitativen Versuche 
nach der beschriebenen Methode angestellt, wohl aber auf 
qualitative Weise bei Anwendung von Jod-, Schwefel- und 
Bromamylen-Dämpfen mich überzeugt, dass die nach der Er- 
hitzung abgeschnittenen Röhrentheile auf hinreichend grosse 
Strecken frei von diesen Substanzen geblieben waren. Ueber 
die Anwendbarkeit der Methode müssen also erst noch Ver- 
suche entscheiden, welche anzustellen ich im Begriffe stehe. 


Tabellen 


zur Berechnung des Verlaufs der Dissociation 


nebst leichtfasslicher Anleitung zum praktischen Gebrauch 
derselben. 


Von Prof. Dr. L. Pfaundler. 


Einleitende Bemerkungen. 


Als ich vor drei Jahren die Grundzüge einer Theorie 
der Dissociation veröffentlichte 4), enthielt ich mich jeder Hy- 
pothese über den quantitativen Verlauf derselben. Inzwischen 
sind von Alex. Naumann?) und von Horstmann 3) hierüber 
zwei verschiedene Annahmen vorgeschlagen worden. 

Die von Naumann herrührende Annahme ist durch die 
Gleichung 

N V p pr 
ausgedrückt, und setzt die absolute Zersetzungs-Temperatur 
gleich der mittl. geometr. Proportionale zwischen den abso- 
luten Temperaturen der beginnenden (eben merklichen) und 
der vollendeten Zersetzung. 

Die zweite, hievon wesentlich verschiedene und einge- 
hendere Hypothese von Horstmann findet ihren Ausdruck 
durch die Gleichung 


1) Poggend. Ann. Bd. 131 S. 60. 

2) Ann. Ch. Pharm. V. Suppl. Bd. 341, ferner Grundriss der Ther- 
mochem. von Naumann $. 60 Anm. 
3) Berichte d. deutsch. chem, Ges. Bd. I S. 210. 


eS ed ey ice 


h(t-To) —h*(t-To)? 


Aiden Weal 2e 
i = \ d [h(T-To)] ve 


worin bedeuten: 


A die theoretische Dichte 


D die beobachtete Dichte bei der Temperatur T, (Mit- 
teltemperatur der Moleküle) 


T die variable Temperatur, t die Zersetzungs - Tempe- 
ratur, e und 77 die bekannten Zahlen, h eine für die näm- 
liche Substanz konstante Grösse. 


Aus dieser Gleichung, welche den Zusammenhang zwi- 
schen Temperatur und Dampfdichte gibt, leitet sich 
unter Berücksichtigung der Relationen 


A 
DIE 
Mr 
Ad 
py ———_——— 
1+y 


die Gleichung für die Abhängigkeit von Temperatur und 
Zersetzungsgrad ab. 


x und y bedeuten nämlich die Bruchtheile der noch 
unzersetzten und der schon der Zersetzung anheimgefallenen 
Moleküle, deren Summe — 1 gesetzt wird. 


Die „Procente der Zersetzung“ oder der „Zersetzungs- 
grad“ wird also durch 100 y ausgedrückt. Bezeichnet man 
ferner mit 0 dieGrösse t—T, d. i. den Temperaturab- 
stand der beobachteten Temperatur von der 
Zersetzungstemperatur in Graden Cels., so hat man 
für den Zersetzungsgrad nach der Hypothese von Horstmann 


hd —h?0? 


‘ 2e 
1 \ d|h(T—To = 
na re — 100.49) 
> 


100y—100 


an 


wenn zur Abkürzung g (hd) statt des Integrales gesetzt 
wird. Aehnlich findet man 

100 = 100 = 100 y = 100 Er 8) 

Für ein negatives 0 ist also y ebenso gross, wie x für 
ein positives 0. Das heisst bei Temperaturen, die gleichweit 
unterhalb und oberhalb der Zersetzungstemperatur liegen, ist 
die Menge der unzersetzten Moleküle einerseits gleich der 
Menge derjenigen, die zersetzt wurden ') andererseits. Diese 
Symetrie bildet den Hauptunterschied zwischen den Hypo- 
thesen von Horstmann und der von Naumann. Konstruirt 
man also eine Curve, deren Abseissen gleich den Tempe- 
raturabständen d, deren Ordinaten gleich den Procenten der 
Zersetzung also == 100 y sind, so hat dieselbe die in Fig. I. 
gezeichnete Form. 

Die beiden Hälften sind kongruent. Man benöthigt da- 
her nur die Hälfte der ganzen Curve und erspart %/, des 
Raumes, wenn man die 2. Hälfte weglässt und statt der 
Ordinaten dieser Hälfte die Ergänzungen der Ordinaten der 
1. Hälfte zu 100 nimmt. Man braucht also nur die Zeich- 
nung zu stürzen, und die Koordinaten an den verkehrt ge- 
schriebenen Zifferreihen abzulesen ?). 

Unter Figur Il. sind mehrere solcher Curvenhälften mit 
Genauigkeit gezeichnet, es sind diejenigen, welche den Werthen 
br 20:0152.0:025 0.032 7 bis 0210 

entsprechen. 

Die nahe Uebereinstimmung der Beobachtungsresultate 
insbesondere der von Deville und Troost, dann von R. Müller 


1) Man darf der Deutlichkeit wegen nicht sagen „zersetzten“, 
denn die Anzahl der „zersetzten“ ist doppelt so gross als die Anzahl 
derjenigen, die zersetzt wurden. 


2) Man darf die hier besprochene Curve nicht verwechseln mit 
der von Horstmann gezeichneten; denn sie stehen zu einander in dem 
Verhältnisse einer ursprünglichen Funktion zur abgeleiteten. Die be- 
sprochene Curve liefert also durch ihre Ordinaten die Flächenräume der 
Curve von Horstmann. 


MET: 


angestellten Dampfdichtemessungen der Untersalpetersäure 
mit den von Horstmann berechneten Dichten lässt erwarten, 
dass seine Hypothese das wirkliche Gesetz darstelle, oder 
doch diesem sich sehr annähere. 

Dadurch entsteht das Bedürfniss einer raschen und be- 
quemen Ausmittlung der wichtigen Grössen t und h aus den 
Dampfdichten und umgekehrt der Berechnung der Dampf- 
dichten für gegebene Werthe von t und h. Bisher war diese 
Rechnung, wenn auch von keiner Schwierigkeit, doch unbe- 
quem, weil sie die Benützung von grösstentheils nur in astro- 
nomischen Werken enthaltenen Tafeln erforderte. Ausserdem 
wäre sie sicher der Mehrzahl der Chemiker nicht geläufig, 
obwohl gerade für diese das Bedürfniss darnach sich ein- 
stellen wird. Ich glaube daher Manchen einen Dienst zu 
erweisen, indem ich die ursprünglich nur zum eigenen Ge- 
brauche berechneten Tabellen veröffentliche und eine ganz 
populäre Anleitung zu ihrer praktischen Verwendung vor- 
ausschicke. 


Binrüchtung und Gebriauch der Dis 


SoCiat?rons tape! lem. 


Der Verlauf der Dissociation irgend einer Substanz ist 
dann vollständig bestimmt, wenn man die Werthe von t und 
h kennt. t bestimmt die mittlere Temperaturhöhe, h 
den Temperaturumfang der Zersetzungsperiode. Diese 
Werthe sind also zur Charakteristik einer Substanz ebenso 
wichtig, wie etwa Schmelzpunkt, Siedepunkt, Dichte, Wärme- 
capacität u. s. w. Bei den bis jetzt untersuchten Substanzen 
liegt h zwischen 0.010 und 0.021. Je langsamer zersetzlich 
ein Körper ist, desto kleiner ist sein h. 

Die Tabelle enthält nun in 4 Abtheilungen die Disso- 
ciationskurven für folgende 63 Werthe von h. 


hb ==) O:010 
0.011 
0.012 
0.013 
0.014 
0.015 
0.016 
0.017 
0.018 
0.019 
0.020 
0.021 
0.022 
0.023 
0.024 
0.025 
0.026 
0.027 
0.028 
0.029 
0.030 
0.031 
0.032 
0.033 
0.034 
0.035 
0.036 


47 


hos 


0.040 
0.045 
0.050 
0.055 
0.060 
0.065 
0.070 
0.075 
0.080 
0.085 
0.090 
0.095 
0.100 


0.100 


0.110 
0.120 
0.130 


- 0.140 


0.150 
0.160 
0.170 
0.180 
0.190 
0.200 


0.200 


0.220 
0.240 
0.260 
0.280 
0.300 


0.320 
0.340 


0.360 
0.380 


0.400 


Muse 


Diese Werthe von h finden sich in den horizontalen 
Aufschriften der Tabelle. 

Am linken Vertikalrande derselben sind in ganzen 
Graden fortschreitend die Temperaturabstände T—t — 0 an- 
geschrieben. T ist irgend eine beobachtete oder angenom- 
mene Temperatur, für welche der Dissociationsgrad bestimmt 
werden soll, t die Zersetzungstemperatur d. h. die Tempe- 
ratur der eben halb vollendeten Zersetzung und zugleich jene, 
bei welcher die Dampfdichte — ?, der theoretischen ist. 

Ist also z. B. die Zersetzungstemperatur des Phosphor- 
chlorids 198° Cels., so entspricht dieser ein d — 198° — 
198° — 0°, der Temperatur 100° Cels. entspricht d — 
100—198 — —98°, der Temperatur 0° entspricht d = 
0--198 = —198°. 

Man versetzt also einfach den Nullpunkt der Tempe- 
raturscala in den Zersetzungspunkt. 

Dort nun, wo die vertikalen und horizontalen Reihen 
zusammentreffen, findet sich der Zersetzungsgrad (100 y) in 
Procenten bis auf Hundertel angegeben, der diesem h und d 
entspricht. 

Die 63 Verticalcolumnen bilden also ebensoviele Muster, 
nach welchen die Zersetzung (bis zur Mitte) verlaufen kann. 
Trifft sie nicht mit diesen Mustern zusammen, so fällt sie 
in ihrem ganzen Verlaufe zwischen zwei derselben hinein, 
wo man dann durch Interpolation die genauen Werthe be- 
rechnen oder schätzen kann. 

Der Umfang der Tabelle dürfte für die meisten Fälle 
jetzt schon genügen. Streng genommen ist jede Dissociations- 
curve unbegrenzt. Nimmt man aber für den merklichen 
Beginn der Zersetzung eine solche von 1/4% und ebensoviel 
Gehalt an unzersetzter Substanz für das Ende derselben, so 
reicht die Tabelle von einem Dissociationsumfang von 400° 
der dem h — 0.010 entspricht, bis herab zu einem Umfang 
von 10°, dem ein h — 0.400 zugehört !). 


1) Ohne Festsetzung einer bestimmten Procentzahl als „merklichen“ 


Be oa 


Wie man sich in jenen Fallen zu behelfen habe, welche 
die Grenzen der Tabelle überschreiten, soll unten näher an- 
gegeben werden. 


Aufgaben und Beispiele 


Aufgabe I. 
Es sei gegeben: 
die theoretische Dampfdichte 4 
die beobachtete ie D 
Es soll der Zersetzungsgrad p berechnet werden. 
Diese Aufgabe geht, wie die folgende, der Beniitzung der 
Tabelle voraus. 
Man hat 


4 
p= 10 y = 10 (5 -1)) 
Beispiel. 


Bei 90° Cels. wurde beobachtet die Dampfdichte der 
Untersalpetersäure, N,0,, D — 1.72 


92 
ai rbot fee ea eee 
Die theoretische Dichte beträgt 98.94 3.179 
es ist also p = 100 — 1) — 84.825 % 


Aufgabe IL. 
Es sind gegeben: 
die theoretische Dampfdichte 4 
die beobachteten Dampfdichten D’ und D” 
welche bei den Temperaturen T’ und T” herrschen. 


Beginn resp. Ende der Dissociation ist es nicht möglich von Dissociations- 
umfang zu sprechen, weil sich dieser im Verhältniss zur Procentzahl 
ausserordentlich rasch ändert. So z. B. ändert sich bei der Curve h — 
0.010 der Umfang um 36 Grade, wenn man statt der merklichen Zer- 
setzung = '/,°/, eine solche = 1/,%/, annimmt. 

1) Naumann Ann. Chem. Pharm. Suppl. V. 344. 


gy Sc ae 


Es soll die Zersetzungstemperatur t berechnet werden. 

Man berechnet zuerst aus 7, D’ und D” nach Auf- 
gabe I. die Werthe p’ und p”. 

Liegen diese nicht allzuweit oberhalb und unterhalb von 
50%, so kann man die Aenderung von p proportional der 
Aenderung der Temperatur setzen und so t durch geradlinige 
Interpolation bestimmen. 


Es ıst also 
50-—p’ 
t ca „ ’ Cry T) T’ 
PP 7 
oder auch 
p’—b0 


ee 


(T’—T’) 


ETI 
Aehnlich, aber mit geringerer Genauigkeit, wird man t 
erhalten, wenn p’ und p” auf derselben Seite von 50°, 
liegen. 
Die Berechtigung dieser Rechnungsweise ergibt sich beim 
Anblicke der Dissociationscurven von selbst. Man sieht, 
wie dieselben schon von 30", an fast geradlinig verlaufen. 


Beispiel: 
Für Untersalpetersäure wurde gefunden: 
Ber, 052.02 072.23 
Bei a’ — 60.210 — 2:08 
Man berechnet 
pe = 42°56 
Pi 92,84 
pep == 1028 Dur. 820 97 50: — 2:84 
woraus sich ergibt 


ton 
Sind die beobachteten Temperaturen zu weit von der 
Zersetzungstemperatur, also p’ und p” zu weit von 50°, 
entfernt, insbesondere wenn sie auf derselben Seite liegen, 
so befolgt man statt des eben beschriebenen Verfahrens das 
spater unter Aufgabe V angefiihrte, welches ganz allgemein 
anwendbar ist. 


Aufgabe IL. 
Es sei gegeben: 
die theoretische Dampfdichte 4 
die beobachtete Dampfdichte D bei der Temperatur T 
die Zersetzungstemperatur t. 
Man soll das zugehörige h bestimmen. 
Man rechnet zuerst aus D und 4 den Zersetzungsgrad 
p nach Aufgabe I. Dann sucht man d — T—t. Es sind 
nun 2 Fälle möglich; entweder ist p < 50 wo dann auch 
Ö negativ ausfallen muss, oder es ist p >50 und d positiv. 
a. p < 50, d ist negativ. Man sucht d in der Rand- 
spalte auf und schaut horizontal nach rechts fortschreitend, - 
in welcher Vertikalspalte man dem Werthe p begegnet. Das 
h welches am Kopfe dieser Vertikalspalte steht, ist die ge- 
suchte Zahl. Passt keine Vertikalspalte genau, so interpo- 
lirt man, falls man mehr als 3 Decimalen für h haben will. 
ß. Es sei p > 50 also d positiv. In diesem Falle 
rechnet man 100-—p und verfährt mit dieser Zahl wie frü- 
her mit p. 
Beispiel zu @. 
Für Bromwasserstoff- Amylen fand Wurtz bei 165°. 
D5 — 5414. 
Die theoretische Dichte 74 ist gleich 5.22, t = 245°. 
Man berechnet p — 1.56, d — —80. Geht man mit 
letzterer Zahl in die Tabelle ein, so findet man die Zahl 
1.58 als nächste zu 1.56 unter einem h — 0.019. Die 
Interpolation gäbe 0.01905. Sie ist aber überflüssig, weil 
diese Decimalstellen doch unsicher sind. | 
Beispiel zu ß. 
Für Phosphorchlorid fand Cahours 
bei 274° D = 3.84 
Ast 12248 198 
Man berechnet p — 88.54, 100 — p = 11.46 
d = -+ 76. Mit dieser Zahl geht man in die Tabelle und 
findet in der Vertikalspalte h = 0.011 den nächsten Werth 
an 11.46. 


Aufgabe IV. 


Es sei bekannt: 
die theoretische Dampfdichte 7 
die Zersetzungstemperatur t 
die Konstante h. 

Es soll fiir beliebige Temperaturen z. B. T die Prozent- 
zahl p und die Dampfdichte D berechnet werden. 

Man berechnet zuerst T—t — 0, wird es negativ, so 
findet man unmittelbar in der Vertikalreihe h und der Ho- 
rizontalreihe d die gesuchte Procentzahl p. 

Ist d positiv, so verfährt man ebenso, zieht dann aber 
p von 100 ab. Der Rest ist die gesuchte Procentzahl (Zer- 


setzungrad). 
Die Dampfdichte folgt dann aus der Gleichung 
4 
100 
Beispiel. 


Für Untersalpetersäuredampf sei bekannt 4 = 3.179, 
tr 51.900 10.0238. 
Es sei für die Temperaturen 40° und 60° der Zer- 
setzungsgrad und die Dampfdichte zu berechnen. 
40 — 57.9 — — 17.9, man findet aus der Tabelle 
durch Interpolation zwischen 29.65 und 30.68 die Zahl 29.75. 
60 — 57.9 — + 2.1 man findet auf analoge Weise 
4755 was von 100 abgezogen 52.47 gibt. Setzt man diese 
Werthe in die Gleichung für D so erhält man 
fir, 409° D == 2/45 
für 002, Di — 2109: 
Aufgabe V. 
Hs sei gegeben 
die theoretische Dichte 4 


die gemessenen Dampfdichten D’ und D” 
für die Temperaturen T’ und T’ 


Sc el 


Die beiden Beobachtungen sollen so liegen, dass eine 
unmittelbare Rechnung von t nach Aufgabe II. unthunlich 
ist. Es soll also zuerst h, dann t und weiter der ganze 
Verlauf der Dissociation bestimmt werden. 

Man berechnet zuerst die Procente p’ und p” nach Auf- 
gabe I. Es sind dann drei Fälle möglich 

a, p’ und p” sind beide kleiner als 50 

Baupund pw. ss...) orössen als 50 

y. p’ ist kleiner, p” grösser als 50. 

a. Man sucht p’ und p” und zwar beide in Einer der 
Vertikalreihen und berechnet die Differenz der zugehörigen 
0. Diese Differenz muss gleich gross werden, wie T’ — T. 
Man findet nach einigem Probiren nach rechts und links 
leicht jene Vertikalreihe, welche dieser Bedingung am nächsten 
genügt). Das am Kopf dieser Reihe stehende h ist das 


gesuchte. 
Die Zersetzungstemperatur ist dann 
ee DY + A 
oder 
wm. un 3” 


ß. Sind p’ und p” grösser als 50, so rechnet man 
100 — p’ und 100 — p” und verfährt dann wie vorhin. 
Für t hat man dann 


a 0” 
oder (o’ und d” absolut genommen) 
A NU Ms 5 
y. Ist p’ kleiner, p” grösser als 50, so rechnet man 
100 — p” und sucht nun wieder jene Vertikalspalte in 


*) Recht bequem bedient man sich hiebei eines Zirkels, den man 
an der Vertikalspalte der d auf die Differenz T'' — T’ öffnet, worauf 
man jene Vertikalreihe sucht, in welcher p' und p'' gleichzeitig unter 
die beiden Spitzen zu liegen kommen. Dies geht aber nicht beim Falle 
y. Es würde auch dort angehen und überhaupt alle diese Regeln sich 
vereinfachen, wenn man die 2. Hälfte der Tabelle hinzufügen wollte. 
Ihre Berechnung hätte keine Schwierigkeit, da einfach die Ergänzungen 
zu 100 zu rechnen wären. 

Naturw.-med. Verein. 5 


0) he man die unter 3 stehenden Zahlen zu “aan un f N 
a man so h gefunden, so ist diesmal a 
= T + 0 = T” — 0” (0" absolut an, 


Für Untersalpetersäure wurde gefunden: 
Ire ARC — anal) De — 289 
Eon. 04196) 02 — 22. a 

Aus # = 3.179 und D’ und D” ergibt sich zunächst — 

— 125.65 | Br a 
p’ = 40.04 

Diese ae findet man in der Vertikalspalte | Wier 

0.010 abstehend um 46°—18°—28°, da nun T” — T= 

49.6 — 35.4 — 14.2° ist, so suchen wir weiter gegen 

rechts und finden der Reihe nach | 


in der Spalte h = 0.011 den Abstand 42 — 16 — 26 
i 5 0.012 a 39 — 15 = 24 
5 EN 0.013 5 36 — 14 = 22 
i hy 0.014 N, 33 — 13 = 20 
er 5 0.015 5, st ul) 
5 “3 0.016 a 29 — 11 = 18 
5 hs 0.017 = 27 — 11 = 16 
a i 0.018 s 26 — 10° Hoss 
N 1. 0.019 5 24 — 9 = 15 
> 220.020 s 23 HZ 14 
4 0.021 N 225 — 8&,—13, 


| Wir bleiben also bei h — 0.020 stehen, weil der Ab- 
stand 14 am besten passt. (Horstmann nimmt h = 0.0209 
an, welcheZahl auch mit der Mehrzahl der Messungen besser 
passt). | 
Für t haben wir sodann: 

t = 49.6 9 = 58.6 a 


‘ oder 
ti 354 1 23 583.4 


Elan 


Beispiel zu £. 
Für Untersalpetersäure wurde gefunden : 
Kine LIND Lee A, 3 
Bung (100d Di — 1.68, 
Man berechnet zuerst 
p = 72.17 = 100 — 27.23 
pl) == 189.231 =— LOO 7 LOT (. 

Man geht nun mit 27.13 und 10.77 in die Tabelle, 
und sucht jene Vertikalspalte, wo sie einen Abstand von 
100.1 — 79.0 = 21.1° zeigen. Dies ist der Fall in der 
Spalte h — 0.021, denn man findet daselbst diesen Abstand 
— AIG —4) 21.5, =) 21.2% 

Fir t hat man 

t = 100.1 — 42.6 — 57.5 oder 


t = 79.0 — 1204 = 586. 


Beispiel zu y. 
Für Untersalpetersäure wurde beobachtet 
Kuna — 1496.02 = 224.4 — 2300 
Bor 7), — 121.5, .D” — 1,62 
Man berechnet: 
p’ = 40.04 
DL ——..96.28, — 100 — B77. 

Man geht mit den Zahlen 40.04 und 3.77 in die Ta- 
belle und sucht, da T’ — T’ — 71.9 ist, jene Vertikal- 
spalte, für welche die mit 40.04 und 3.77 auf gleicher Höhe 
befindlichen d zusammengezählt 71.9 geben. Diese Be- 
dingnng erfüllt am nächsten die Vertikalspalte für h — 0.020 
den daselbst entsprechen den Procentzahlen 40.04 und 3.77 
die Werthe 9 und 63 deren Summe 72 ist. (Die Nach- 
barreihe zur Linken gäbe 9 und 67, deren Summe 76 zu 
gross, die zur Rechten 8 und 60, deren Summe 68 zu klein 
wäre). ; 

Schliesslich findet man 

Me. 49:6) + 9, == 58.6 oder 
ti 1. 0. — 1215 03 539 
5% 


RN Si Mahl 


Aufgabe VI. 

Es sei eine ganze Reihe von Dampfdichten bestimmt, 
ferner die theoretische Dampfdichte bekannt. 

Man soll den wahrscheinlichsten Werth von h berechnen. 

Diese Aufgabe in aller Strenge zu lösen wäre von 
der grössten Schwierigkeit und würde sich kaum verlohnen. 
Es sollen also nur einige Winke hier gegeben werden, wie 
sie mit genügender Annäherung gelöst werden kann. 

Es könnte scheinen, dass es am vortheilhaftesten sei, 
diejenigen Werthe von D mit einander zu kombiniren, welche 
am allerweitesten von einander abstehen. Dem ist aber nicht 
so. Ein Blick auf die Curven zeigt, dass die Ordinaten 
zweier Nachbarcurven nicht dort am verschiedensten sind, 
wo sie sich den Enden der Dissociation nähern, sondern in 
der Nähe von 25% der Zersetzung weichen die Curven am 
weitesten auseinander. Es muss daher auch vortheilhafter 
sein, jene Dampfdichte-Bestimmungen zu benützen, welche 
solchen Procenten der Zersetzung entsprechen. Kombinirt 
man diese aus der untern Hälfte mit jenen aus der obern 
(einer Zersetzung nahe um 75%. entsprechenden, so erhält 
man nach Aufgabe V. eine Reihe von Bestimmungen des h 
aus denen das Mittel einen sehr wahrscheinlichen Werth er- 
geben muss, den man dann noch durch Berechnung der üb- 
rigen gemessenen Dichten kontrolliren kann. 


Aufgabe VIL. 


Es sei von einer Substanz weder die theoretische Dichte 
(also auch nicht das Molekulargewicht) noch die Zersetzungs- 
temperatur bekannt; man kenne nur 3 Dampfdichten D’, D” 
und D’’ für die Temperaturen T’, T’ und T’”’, von denen 
man nur weiss, dass sie innerhalb der Dissociationsperiode 
liegen. 

Es soll hieraus. die theoretische Dichte 4, die Zer- 
setzungstemperatur t, die Konstante h, also auch das Mole- 
kulargewicht und der ganze Dissociationsverlauf berechnet 
werden. 


EN hee 

Diese Aufgabe, welche allerdings von theoretischem In- 
teresse, aber vielleicht weniger von praktischer Bedeutung 
ist, könnte man zunächst in der Weise durch Probiren zu 
lösen versuchen, dass man verschiedene 4 annimmt, die drei 
p daraus rechnet und zusieht, ob sich diese in dem durch 
die Temperaturen T’, T’ und T’’ verlangten Abständen in 
der Tabelle finden. 

Diese Methode wäre ausführbar aber sehr mühsam. 

Vortheilhafter ist es, auf die ursprüngliche Gleichung 
von Horstmann zurückzugehen: 


ad ia © 
ee 
welche wir folgendermassen umstellen: 
3—24 
ht — T) =f [=] 


Durch Substitution der drei Versuchsresultate erhalt 
man also folgende Gleichungen: 


|| ae 


Z Oh mda! 
6m] — N 


Indem man subtrahirt und dividirt erhält man 
ee I ete, 
ee Se 
Zur Berechnung von fi, f,, f, hat man jene Tafeln 
nöthig, aus denen die unsrige hervorgegangeu ist, welche den 
Werth des Eingangs erwähnten Integrals aufzuschlagen ge- 
statten N). 


Man sucht nun durch systematisches Probiren jenen 


1) Die von mir benützte Tafel ist dem Werke: „Die Anwendung 
der Wahrscheinlichkeits-Theorie von Prof. Dr. A. Sawitsch, deutsch von 
C. G. Lais“ entnommen. 


ni! Dr en 
Ein Beispiel wird dies erläutern. 
Es sei gegeben für Untersalpetersäure: 


ie du BOSS D’ 
Ditty) ==8 12.28 
pa i120 5 iy | D" 

Diff, — 48.1, 

34 TOOL? Bo DD. 
ay Shae NZ 4 AMAS: hy: 
a | lO Ons 

Die unbekannte 4‘ muss en 2.46 und 2 x 1.68 

= — 3,36 enthalten sein. Wir versuchen daher zuerst mit 

der ganzen Zahl 3 und setzen probeweise = 


NA ah 


© A = 3 Eat af tect Ad N 
dann wird : et _ Hiezu aus 
der Tafel. 
4 2 a a 2.4390 3 — 2.4390 = 0.5619 | 0.55 8 
D 46 
„ = sas — 2.6906 3 — 2.6906 = 0.3094 0.28 i 
D 2.23 : a 
— — 5.5715 3 — 3.5715 = 0.5715 | — 0.56 | 


84: 27T ST statt Sloane ui mal ae 


Nun setzen wir probeweise 4 — 3.2 en : 
| | Hiezu aus der Tafel. 
A R 2 ne 
a = aa DE 0.37 a 
D 246 \ x 
get, 62 2 oso ons | nn ‘ 
Dean 223 i 
Ree m) TAA om I — 10809 —— 0.925 ae ei 


1.63 
1.040): 0.255 — 1.08 statt, 3, 94, 


eT Oy 


Wir sind also schon sehr nahe am richtigen Werthe 
für 4, doch. ist der Werth 3.2 noch etwas zu gross. 
Indem wir innerhalb dieser engen Grenzen die Aende- 
rung von ee proportional der Aenderung von 7 setzen, 
erhalten wir durch Interpolation sogleich emen nähern Werth: 
4.08 —3.94—0.14 4.08—3.11—0.97 3.2-—3.0=0.2 
0.25 40:90 1x2: 0.14 
x = (0.03 ist also die Verbesserung, welche 
von 3.2 ‚abzuziehen ist. 3.2 — 0.05 — 3.17 wäre also 
der Werth von 4, der richtige Werth ist 3.179. 
Nachdem 74 ermittelt, ergibt sich h, t etc. nach dem 
Frühern mit Leichtigkeit. 
Diese Methode setzt sehr genaue Dichtebestimmungen 
voraus, ausserdem ist ihre Genauigkeit natürlich sehr von 
einer günstigen Lage der Versuchsergebnisse bedingt. 


Aufgabe VII. 

Es soll eine ausserhalb die Tabelle fallende Grösse p 
berechnet werden. 

Handelt es sich um eine Erweiterung der Tabelle nach 
oben, so ist diese nur mit Hilfe der ursprünglichen Integral- 
tafel ausführbar, und zwar muss dieselbe den Werth von 
hd über 2 hinaus enthalten !), 

Eine Erweiterung nach rechts oder links, d. h. für noch 
srössere oder noch kleinere h hat dagegen keine Schwierigkeit. 

Da nämlich p gleich gross bleibt, wenn hd gleich bleibt, 
so kann man für ein doppeltes, dreifaches, n faches h das 
zu p gehörige d ermitteln, indem man durch 2, 3, n divi- 
dirt. Aehnlich erhält man durch Multiplieiren die d zu den 
kleinern h. 


Beispiel. 
Es sei h — 0.009, d = 100, wie gross ist p? 


1) Die Tafel im erwähnten Werke von Sawitsch reicht nur bis 


[>] 


2, man findet aber deren, welche bis 3 reichen. 


OR 


Da 0.009 nicht mehr in der Tabelle enthalten ist, so 
multipliciren wir mit 2 und erhalten 0.018, welches sich 
vorfindet, dafür halbiren wir d und finden also in der Ver- 
tikalspalte 0.018 bei d — 50 die Zahl p — 10.16. 

Diese Aufgaben und Beispiele werden genügen, um den 
Gebrauch der Tabelle zu erläutern. Viele dieser Aufgaben 
liessen sich noch schneller an der grafischen Konstruktion 
lösen, insbesondere bei Aufgabe VI würde es vortheilhaft 
sein, gleich alle Werthe von p grafisch aufzutragen, um zu 
sehen, welche Curve am besten entspricht. Schneller wür- 
den ferner die Bestimmungen auszuführen sein, wenn man un- 
mittelbar die Tabelle für die Dichten statt für die Procente 
einrichten würde. In diesem Falle müssen aber beide Hälften 
gerechnet werden, da sie nicht symetrisch sind. 


GL ILUPES S196 SLI6S ET ]SZ FLE6 FI 
L9 OSS IL 98 TLS SLIFI SLiI8' St 


$9°6 |9T’OL|OSOL 

'g |8z'6 |16°6 
9F'8 120'6 
OL'L \68°8 
66:9 199° 


€9'ST\SE OT 
IG PLES ST 
Fr SLO. FL 
SV'GLIFL El 
ZPTLILT SL 
IgOLISZIL 


OL LT 
L6°ST 
06 FL 
LEEL 
06°%L 
L611 
IL IL 
96 OL 


98° LT|G9'8 
PL OLIESL 
L9°ST\9F'9 
PO PISS 
99 SLIPT FT 
GL GLIOG € 
€8' LL097 
86 OT ST 
ST-O1IE6'0 


"9200.12 011420 8%) 


671 
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397 
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90% 
ites 
LET 


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at) 


0s°0 
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80 
70 


6£0:0/8£0:0|280:01980°0 


eo: CRERREERTERRENTE 
Eee erator ly 
OP SL LF OE LF 


SHLES 


ESTEIFOZEIFSZEIIO ER] 
#862, 6E°08]E60E1SF IE 
0282| 22'8298'62/#6 67 
109°92,08 1208 1214487 
70:27 89°°2]6€9212697 
er Ed 
60's 94°63 °F 80 SU Fs. 
(69:05 SEITE 6072 1800 
Fe'6I S0'0e LL 0G)0S 1c, 
SO'ST 9 ST GF 6G 0G 
IS 9 ES LULTSLE0'61 
£91 SEIT OVAL IST 
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Erz 0621 99'E1 
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I. Jahrgang. 


2. Heft. hessen 166 


INNSBRUCK. 
Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung. 


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XII 


IX. Sitzung, den 19. Oktober 1870. 

Der Vorsitzende theilte der Versammlung mit, dass die 
in der letzten Sitzung angenommenen Vorschläge über die 
Regelung der Kloakenfrage in Innsbruck der hiesigen Stadt- 
vertretung vorgelegt und auch dem Central - Ausschusse der 
k. k. landwirthschaftlichen Gesellschaft zur Kenntniss ge- 
bracht wurden, sowie dass die 1. Hälfte der Vereins - Zeit- 
schrift bereits ausgegeben wurde. 

Das Vereinsmitglied Herr Dr. Hausmann in Meran legte 
eine wissenschaftliche Mittheilung vor mit dem Ersuchen, dass 
dieselbe in die Vereinszeitschrift aufgenommen werde. Wurde 
Herrn Prof. Rembold zur Begutachtung übergeben. 

Der in der letzten Sitzung zur Aufnahme vorgeschlagene 
Herr Docent Dr. V. v. Ebner wurde einstimmig als Ver- 
einsmitglied aufgenommen und vom Vorsitzenden der Beitritt 
des Herrn A. Schumacher, Chefs der hiesigen Universitäts- 
Buchhandlung, angemeldet. 

Hierauf hielt Herr Prof. Mauthner einen Vortrag über 
die Behandlung des Glaucoms. 

Schluss der Sitzung 84, Uhr. 


X. Sitzung, den 2. November 1870. 

Der in der letzten Sitzung zum Beitritt angemeldete 
Herr A. Schumacher wurde mit Stimmeneinhelligkeit als 
Mitglied aufgenommen. — Die vom Herrn Dr. Hausmann 
eingesendete Mittheilung wurde zum Abdruck in der Vereins- 
schrift bestimmt. 

Herr Dr. Oellacher trägt vor über die organischen 
Veränderungen, welche der Keim des „unbefruchteten“ Hüh- 
nereies durchmacht, sowohl während er den Eileiter passirt 
bis zum Legen, als auch während Bebrütungsversuchen. — 
(Vorläufige Mittheilung.) 

Die Frage, ob der Keim des Hühnereies, wenn er dem 


Einflusse der Befruchtung entzogen bleibt, nachdem das Ei 
Naturw.-med. Verein. 6 


XIV 


den Follikel verlassen hat, überhaupt noch nachweisbare or- 
ganische Veränderungen durchmacht, oder ob er nicht viel- 
mehr sofort, oder doch nach einer gewissen Zeit, direkt dem 
destructiven Prozesse, der Desorganisation anheimfällt, löste 
der Vortragende am frischgelegten unbefruchteten Hühnereie. 

Ein Stück der äussern erhärteten Schichte der Dotter- 
kugel, dem gelben Flecke entsprechend, bietet bei schwacher 
Vergrösserung folgendes Bild. Der gelbe Fleck zeigt an 
seiner Oberfläche: 1. eine äussere, homogene, 2. eine innere, 
gefleckte ringförmige Zone, 3. einen centralen rundlichen und 
wieder homogenen Fleck. 

Auf Durchschnitten senkrecht zur Oberfläche der Cica- 
tricula sieht man, dass die äussere Zone einem Stücke 
der weissen Dotterrinde, entspricht, wo diese in den kegel- 
förmigen centralen Dotterfortsatz übergeht. Die Elemente 
des weissen Dotters sind hier stärker angehäuft als in den 
übrigen Parthien der Rinde. 

Die innereZone entspricht einer ungleichmässig breiten 
Schichte feinkörniger Substanz, die nach aussen und gegen 
das Eicentrum hin continuirlich in die grobkörnige Masse des 
weissen Dotters übergeht. Die Flecke an der Oberfläche in 
dieser Zone rühren von Vacuolen her, die allenthalben in 
derselben liegen. 

Der centrale Fleck der Cicatricula endlich entspricht — 
einer biconvexen Masse von feingranulirten Formelementen, 
die häufig einen oder zwei zellkernartige Inhaltskörper enthalten 
und gegenseitig durch Druck abgeplattet erscheinen. Unter- 
halb dieser Masse von Formelementen zieht sich, zwischen 
dieser und der Masse des weissen Dotters, die feingranulirte 
vactiolenhältige Substanz der inneren Zone durch. Diese 
letztere trägt auch hier, aber bloss kleinere, Vacuolen. — 
Frisch untersucht liessen die Formelemente, aus der Mitte 
des gelben Flecks, auf dem gewöhnlichen und dem erwärm- 
baren Objectträger Contractionsphänomene beobachten, sowie 
der Vortragende einmal auch unzweideutig zwei Theilungsor- 
gänge unter den bekannten Erscheinungen, wie sie andere 


XV 


Zellen so z. B. bei der Furchung zeigen, durch das Mikroskop 
verfolgen konnte. 

Durch diese Erscheinungen wird die Zellennatur der in 
Rede stehenden Formelemente unbestreitbar nachgewiesen und 
sind dieselben daher als Zellen und ihre kernartigen Inhaltskörper 
als Zellkerne zu deuten. Sowohl die Aehnlichkeit dieser 
Zellen mit den Furchungselementen eines befruchteten Eileiter- 
eies, als auch der Kerne der ersteren mit den Kernen der 
letzteren ist eine auffallende. Die Zellen entsprechen auch 
ihrer Lage nach den Furchungselementen des befruchteten 
Keimes. Diese wie jene liegen im Eie an der Stelle, die 
früher der ungetheilte Keim einnahm; und kann nach alle- 
dem für den Ursprung der Formelemente im unbefruchteten 
Eie nichts anderes angenommen werden, als dass sie, wie 
jene, Theilprodukte des Keimes sind. Die eben geschilderten 
Formelemente sind nach dem Gesagten als das Produkt eines 
Vorganges aufzufassen, der so weit dem der Furchung analog 
ist, als hier wie dort der Keim in Stücke zerfällt, die den 
Werth von Zellen haben. 

Die Analogie zwischen dem Zerklüftungs - Prozesse des 
befruchteten und des nnbefruchteten Keimes wird aber um 
so augenfälliger, als auch der Modus der Zellengenese bei 
beiden Vorgängen ein überraschend ähnlicher ist. 

Soweit dem Vortragenden bisher aus seinen Untersu- 
chungen bekannt, sind die Flächenbilder, die der unbefruch- 
tete Keim des Eileitereies darbietet, den von Coste beschrie- 
benen und abgebildeten am befruchteten Eileitereie durchaus 
ähnlich. Ebenso wie Coste konnte auch der Vortragende beispiels- 
weise ein Stadium der Dotterzerklüftung auffinden, in dem die Mitte 
des gelben Fleckes eine Mosaique polygonaler, durch Furchen 
getheilter Felder einnimmt, von denen in radiärer Richtung 
einzelne längere oder kürzere Furchen gegen die Peripherie der Ci- 
eatricula verlaufen. Die Felder des Flächenbildes sind, wie 
senkrechte Durchschnitte beweisen, der Ausdruck ringsum 
abgegränzter Formelemente, ganz ähnlich denen aus einem 
analogen Furchungsstadium des befruchteten Eies. 

6* 


XVI 


Demnach darf es wohl als statthaft erscheinen auch im 
unbefruchteten Hühnerei von Furchung zu reden, in einem 
wenigstens ganz ähnlichen Sinne wie wir es vom befruchteten 
Eie gewohnt sind. 

Der Process der ,Furchung“ scheint demnach ein in 
der Organisation des Keimes allein schon begriindeter Vor- 
gang zu sein; der Hühnerkeim wenigstens hat in sich selbst 
auch ohne die Befruchtung die Fähigkeit, sich ähnlich dem 
befruchteten Keime zu „furchen“, allgemein gesprochen: neue 
Elementarorganismen aus sich zu erzeugen, ein Vorgang der 
bis lang nur in der Parthenogenese ein Analogon hatte. 

Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass zwischen der blossen 
Furchung eines unbefruchteten Keimes und der Parthogenese, 
zwischen der „aspermatischen* Zeugung eines neuen, dem 
Mutterthiere gleichen Tochterthieres und einer ähnlichen spon- 
tanen Zeugung eines Zellenhaufens, der, so weit die Beob- 
achtungen bisher ergaben, nicht einmal in eine Bildung von 
Organen eingeht, wie wir sie schon im Beginne der Bebrü- 
tung, ja schon am Ende der intrametrolen Periode im be- 
fruchteten Eie zu finden gewohnt sind — es ist nicht zu 
läugnen, dass zwischen diesen beiden Vorgängen eine grosse 
Kluft liegt; so dass ein direkter Vergleich des einen Vor- 
ganges mit dem anderen von vorneherein vielleicht als zu 
kühn erscheinen möchte. Allein es liegen aus der jüngsten 
Zeit eben ähnliche und wie es scheint unverfängliche Beob- 
achtungen vor, welche den Fall einer weiteren Entwicklungs- 
fähigkeit unbefruchteter Eier einerseits nicht mehr als ver- 
einzelntes Faktum erscheinen lassen, andrerseits aber mit, 
der vorliegenden Beobachtung im Hühnereie als Glieder einer 
aufsteigenden Reihe physiologischer Erscheinungen aufgefasst 
werden können, welche von der durch Pflüger beobachteten 
einfachen Theilung von Primordialeiern der Katze bis zur voll- 
kommenen Parthogenese leiten. 

Hensen veröffentlichte (Centralblatt 1869 Nr. 26) 
einen Fall von Weiterentwicklung, in einer abgeschniirten 
Tube zuriickgehaltener, unbefruchteter Kanincheneier zu mehr- 


XVII 


kernigen Protoplasmamassen, sowie zu verzweigten kernhal- 
tigen Fasern. 

An diesen Fall würde sich die Furchung im unbefruch- 
teten Hühnereie anschliessen. 

Ein drittes Glied in der angedeuteten Reihe scheint dem 
Vortragenden die von Kupffer (Max Schultze’s Archiv für 
mikroskopische Anatomie 1870, 3. Heft) beobachtete Er- 
scheinung zu sein, dass regelrecht aus dem Protoplasma des 
unbefruchteten Eierstockseies der Ascidia canina 
unter der vom Follikelepithel abgeschiedenen Zona pellucida 
sich ein Epithel bildet, das nach der Befruchtung des Eies 
in die Organisation des Embryo einbezogen wird und die 
äussere Bekleidung des zukünftigen Thieres, die sogenannte 
Testaschichte liefert. — Als letztes Glied dieser Reihe 
von Vorgängen von Zellproduktion aus dem unbefruchteten 
Eie erscheint endlich das, was man unter Parthenogenese 
bisher allein verstand, nämlich den Fall, in welchem aus den 
ohne Befruchtung im Eie erzeugten Zellen ein dem Mutter- 
thiere gleiches neues Thier selbst entsteht. 


Der Vortragende glaubt die ganze Reihe dieser Erschei- 
nungen unter dem Namen der „parthenogenetischen* zusam- 
menfassen zu dürfen. 


Bebrütungsversuche ergaben, zunächst was die Bildung 
einer als Anlage von Organen deutbaren Veränderung des 
Keimes anlangt, ein vollkommen negatives Resultat. 


Was die an unbefruchteten Eiern zu beobachtenden Ver- 
änderungen anlangt so lassen sich darüber nur im Allge- 
meinen Aussagen machen. Vor Allem ist im Auge zu be- 
halten, dass die unbefruchteten Eier wie die befruchteten 
nicht immer in demselben Stadium der Entwicklung des Kei- 
mes gelegt werden; die Unterschiede sind allerdings meist 
nur geringe, allein der Vortragende glaubt hervorheben zu 
müssen, dass er einmal auch ein frischgelegtes unbefruch- 


XVII 


tetes Ei ohne Zeichen von Formelementen oder Furchen be- 
obachtete. — 

Eine kurze Bebrütung von 8 Stunden liess eine Ver- 
kleinerung und Vermehrung der Zellen der obersten Schichten 
wahrnehmen; die der untersten waren, gegeniiber denen am 
frischgelegten Eie, bedeutend vergrössert und mit gröberen 
Dotterelementen ganz erfüllt. Am auffälligsten war die Ver- 
mehrung der Randzellen und erschienen die oberen Schichten 
des Keimes nach beiden Seiten verlängert, wie ausgezogen. 

Nach 2—5 Tagen der Bebrütung machte sich neben 
fortwährender Zellenvermehrung (immer besonders am Rande) 
— eine zunehmende Auflösung von Zellen bemerkbar. Die 
Zellen wurden undeutlich und hie und da waren bloss mehr 
einzelne Kerne in einer formlosen granulirten Masse vorhan- 
den. Die neugebildeten Zellen lagen zerstreut wie in einer 
körnigen Grundsubstanz besonders in der Peripherie der Ci- 
catricula und boten meist das Aussehen derer, die man im 
befruchteten Eie auf dem Boden der Keimhöhle findet. Allmäh- 
lig wurde die Gränze zwischen weissem Dotter und Keim in 
der Mitte undeutlich, während sie dort wo die grösste Zell- 
vermehrung stattfand, am Rande, noch scharf und deutlich 
ausgeprägt war. 

Endlich am 5. Tage nahm eine feinkrümmlige, wie ge- 
ronnene Masse die Stelle des Keimes ein, die fast gänzlich 
der Zellen baar erschien. Solche fanden sich nur noch ver- 
einzelnt an der Peripherie des gelben Fleckes und im cen- 
tralen weissen Dotterfortsatze. — 

Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass die Le- 
bensfähigkeit des gefurchten unbefruchteten Keimes!, bezie- 
hungsweise seiner einzelnen Elemente nach dem Legen bei 
Bebriitungsversuchen noch eine Zeit lang dauert und erst nach 
und nach die Auflösung von Zellen über die Neubildung die 
Ueberhand gewinnt. — 

Ein weiteres Ausdehnen der Bebrütungsversuche schien 
demnach ohne besonderes Interesse und glaubte der Vor- 
ratgende daher ohne der Vollständidkeit seiner Untersuchungen 


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XIX 


einen wesentlichen Abbruch zu thun, dieselben unterlassen 
zu können. 

Eine ausführlichere Schilderung dieser Beobachtungen mit 
Beigabe von Abbildungen behält sich der Vortragende nach 
Vervollkommnung seiner Untersuchungen vor. 


XI. Sitzung, den 17. November 1870. 


Herr Prof.Heine hält einen Vortragüber dieLeistun- 
gen desSanitätswesensim gegenwärtigen deutsch- 
französischen Kriege nach eigenen Erfahrungen. 

Wir heben die Grundzüge desselben in kurzer Schil- 
derung hervor: 

Redner stellt sich die Aufgabe, die amtliche und mili- 
tärische Hilfeleistung sowohl wie die Privatbeihilfe für Ver- 
wundete und Kranke im Lager der beiden kriegführenden 
Nationen während des gegenwärtigen Krieges, so wie er sie 
während eines zweimonatlichen Aufenthaltes auf dem Kriegs- 
schauplatze kennen lernte, in Kürze zu skizziren. Er schil- 
dert vorzugsweise das Sanitätswesen der deutschen Armeen 
und die freiwillige Hilfe in Deutschland, ohne jedoch die Be- 
theiligung der übrigen europäischen Nationen an dem inter- 
nationalen Friedenswerke und die Leistungen Frankreichs auf 
diesem Gebiete ganz zu übergehen. Redner spricht mit Be- 
zug auf letztere die Ansicht aus, dass nach seiner Beobach- 
tung die Grundsätze der Genfer Convention in Frankreich 
noch nicht in dem Maase in Fleisch und Blut des Volkes 
übergegangen sind wie in Deutschland. 

Die französische Regierung hat zur praktischen Durch- 
führung derselben so gut wie nichts gethan, und den inter- 
nationalen Hilfsmannschaften, die auf ihrer Seite Hilfe zu _ 
leisten kamen, geradezu Schwierigkeiten in den Weg gelegt. 

Dem französischen Soldaten fehlt das Verständniss für 
die aus der Convention für ihn entspringenden Wohlthaten; 
ihm war nicht einmal die Achtung vor dem rothen Kreuz 
zum Gesetz gemacht und desshalb schonte er vielfach die 


XX 


Träger desselben nicht. Selbst das aus den gebildeten Krei- 
sen hervorgehende Vereinswesen zu pecuniärer und materieller 
Unterstützung der Verwundeten zeigte sich in einem geradezu 
noch embryonalen Entwicklungs-Stadium. 

Ganz anders war die Auffassung und Lösung dieser 
grossen Aufgabe der Humanität in Deutschland. 

Wir müssen hier der Uebersicht halber drei Phasen 
unterscheiden: | 

1. Die Thätigkeit der Sanitätsvereine in der Heimat. 

2. Die amtliche und freiwillige Hilfeleistung auf dem 
Kriegsschauplatze. 

3. Diejenige auf dem Schlachtfelde. 

Die Fürsorge für das Wohl der Verwundeten und Kran- 
ken in den heimatlichen Vereinen erstreckte sich in der um- 
fassendsten Weise auf alle Bedürfnisse derselben. Die Or- 
ganisation und Gliederung der Vereine, die Unterordnung 
derselben unter gewisse Central-Vereine, ihre Cooperation im 
Norden und Süden Deutschlands muss mit Bewunderung er- 
füllen. Die Dienste der Männer und der Frauen, der Kna- 
ben wie der Mädchen, wurden für die Zwecke der Vereine 
nutzbar gemacht. Zu speziellen Leistungen wurden spezielle 
Vereine in den Rahmen des grassen und ganzen Vereins- 
wesens eingefügt. Den Frauen fiel naturgemäss die Haupt- 
thätigkeit zu. Sie verfertigten die Verbandgegenstände und 
sonstigen Lazareth-Requisiten, das Leib- und Bettweisszeug, 
sonderten das Gefertigte und Zugesandte, registrirten und 
legten die Vorräthe an. Sie widmeten sich aber auch den 
Reservespitälern und den Sanitätsstationen auf den Bahuhöfen, 
führten hier die Oekonomie und pflegten die Verwundeten 
in Verbindung mit den barmherzigen Schwestern und Dia- 
konissinen. 

Die Männer übernahmen die Spedition der Verbandge- 
genstände, die Buchführung, die Obhut über das grosse De- 
pöt der Erfrischungsgegenstände, die Heilapparate und In- 
strumente. Sie vermittelten die Speisung passirender Ver- 
wundeter auf den Bahnhöfen, übernahmen Aus- und Ein- 


XXI 


ladung derselben, ja selbst den Transport von den Bahnhöfen 
nach den Spitälern der betreffenden Städte in der Funktion 
einfacher Kranken-Träger. 

Die Knaben dienten als Führer, Boten und Begleitungs- 
mannschaft. Hoch und nieder, arm und reich nahm in glei- 
cher Weise Antheil an dem grossartigen Werke der Barm- 
herzigkeit, das gerade im Schoosse der Heimat seine herr- 
lichsten Blüten trieb. 

Schwieriger schon gestaltete sich die Aufgabe auf dem 
Kriegsschauplatze selbst. Schon die Verbindung zwi- 
schen den heimatlichen Depöts mit dem Orte des Bedürf- 
nisses, die Abführung der zu Hause aufgestappelten Vor- 
räthe nach den Lazarethen des Kriegsschauplatzes hatte mit 
Hindernissen aller Art zu kämpfen. Hiefür, aber noch viel 
mehr zur Unterstützung der viel zu schwachen militärischen 
Sanitäts - Compagnien in ihrem mühevollen Berufe auf dem 
Schlachtfelde, wie zum Dienste in den Feldlazarethen, an den 
Sanitäts-Etappen-Stationen, zur Begleitung der Verwundeten- 
Züge und zum Depöt- Dienste bedurfte es freiwilliger 
Hilfsmannschaften, welche in diesem Feldzuge zum 
erstenmale in grossartigstem Maasstabe zur Verwendung ka- 
men. Diese rekrutirten sich aus Studenten, Turnern, Schützen, 
Technikern, Forstleuten, Beamten, ja selbst Gymnasisten. 
Junge Leute von 16—17 Jahren und bejahrte Männer im Alter 
von 40-50 Jahren standen in ihren Reihen. Sie vereinigten 
sich zu Kolonnen unter bestimmten Namen, mit einfacher 
Adjustirung und bestimmten Abzeichen, zum Theil unter 
selbst gewählten Führern, in der Mehrzahl aber unter der 
Führung von Johanniter- oder Malteser-Rittern, welche auch 
in diesem Feldzuge wieder an der Spitze der freiwilligen 
Hilfeleistung standen. Man hat diesen Ordens-Rittern in 
Hinblick auf die Art der Ausführung ihres hohen Berufes, 
schwere Vorwürfe gemacht. Hochmuth, mangelndes Ver- 
ständniss für die Krankenpflege, Rücksicht für die eigene 
Bequemlichkeit und Liebe zum Wohlleben, inmitten der Ent- 
behrungen der kämpfenden Armeen, wurde ihnen zur Last 


XXII 


gelegt. Solche Beschuldigungen mögen Einzelne treffen, gegen 
die ganze Genossenschaft geschleudert sind sie eine grosse 
Ungerechtigkeit. Der Orden als Ganzes hat in Bezug auf 
Organisation der freiwilligen Krankenpflege im Rücken der 
drei Armeen, von welchen jede ihren besonderen freiwilligen 
Sanitätsdienst besass, alles geleistet, was in einem über Nacht 
hereingebrochenen Kriege von solchen Dimensionen geleistet 
werden konnte. Durch ihre Beziehungen zu den leitenden 
Kreisen waren sie die geeignetsten Vertrauenspersonen, welche 
die so wichtige Vermittlung zwischen der freiwilligen Kran- 
kenpflege und den militärischen Behörden durchführen konn- 
ten. Die Einrichtung und ökonomische Verwaltung der La- 
zarethe, die Anlegung und Erneuerung der Depöts, die Für- 
sorge für die Verwundeten auf dem Transport, alle diese 
Obliegenheiten wurden überall, wo sie in ihre Hände gelegt 
waren, mit bestem Erfolge und grösster Schonung für die 
feindliche Bevölkerung von ihnen erfüllt. Eine andere Frage 
ist, ob einer einzelnen Körperschaft im Staate, auch für zu- 
künftige Kriege eine solche privilegirte Stellung eingeräumt 
werden soll. Hierauf sieht Redner sich genöthigt, eine ver- 
neinende Antwort zu ertheilen, weil in der Ausübung eines 
so grossen Werkes der Humanität Standesunterschiede nicht 
gemacht werden sollten und die freiwillige Krankenpflege im 
Felde nach seinen Erfahrungen in eine noch viel nähere Be- 
ziehung zu den militärischen Behörden wie bisher gebracht, 
strammer, militärischer organisirt, besser disciplinirt, und 
unter eigene verantwortliche Sanitatsoffiziere mit militärischer 
Autorität, unter welchen immerhin jene Ritter ihre Verwen- 
dung finden mögen, gestellt werden sollten. 

Es wird die Berechtigung dieser Forderung begründet 
durch einzelne Missstände im Gefolge der Freiwilligenhilfe, 
welche bei aller Anerkennung der aufopfernden Leistungen 
der freiwilligen Sanitätsmannschaften nicht ganz verschwiegen 
werden können. Einmal häuften sich dieselben an verschie- 
denen Hauptetappenplätzen (wie z. B. inNancy) in zu grosser 
Zahl an und belästigten dadurch die Armee und die feind- 


ie Pee 
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liche Einwohnerschaft, welche zur Verpflegung der nicht im- 
mer rücksichtsvoll verfahrenden Mannschaften herangezogen, 
einen besondern Hass gegen dieselben und eine geringe Ach- 
tung vor der Neutralitätsbinde an den Tag legten. Anderer- 
seits befanden sich blutjunge Biirschchen unter den freiwil- 
ligen Kolonnen, welche den Strapatzen des Feldzuges in kei- 
ner Weise gewachsen waren und daher allenthalben zur 
Last fielen. Endlich schlichen sich unter dem Schutze des 
rothen Kreuzes einzelne suspecte Persönlichkeiten ein; der 
Feind bediente sich desselben zur Spionage wie zur Flucht, 
so dass eine strenge Ueberwachung von Seite der militärischen 
Behörden nothwendig wurde, die bis zur Zurücksendung ein- 
zelner momentan unbeschäftigten Sanitätsabtheilungen führte. 
Nicht selten zeigte sich auch unter den Freiwilligen Unlust 
zu gewissen Obliegenheiten. Es kam vor, dass übertragene 
Posten beliebig aufgegeben, und der Rückweg nach Hause 
von Missvergnügten nach Gutdünken angetreten wurde. Dem 
muss in der Zukunft gesteuert werden. Die freiwilligen Sa- 
nitätsmannschaften müssen für Kriegsdauer verpflichtet, mit 
militärischen Abzeichen versehen, einer bestimmten Disciplin 
unterworfen, in grösserer Zahl auf dem Schlachtfelde ver- 
wendet und nach militärischen Gesetzen ausrangirt und er- 
gänzt werden können. 

Was den Verwundeten - Transport betrifft, so ist der 
Transport vom Schlachtfelde zum Verbandplatze und ersten 
Aufnahmslazarethe zu unterscheiden von dem Transport nach 
den weiter rückwärts gelegenen Reservlazarethen und den 
Lazarethen in der Heimat. Im Allgemeinen ist zu bemerken, 
dass der weitere unmittelbare Transport in die Heimat in 
viel ausgedehnterem Massstabe zur Anwendung kam, als die 
Zerstreuung in die nächst rückwärts gelegenen stehenden La- 
zarethe auf feindlichem Boden. Der Grund davon war ein- 
mal die zu Anfang strengstens durchgeführte Sonderung der 
Krankenpflege der drei aufgestellten Armeen mit ihren be- 
sonderen Etappenstrassen und Evakuationslinien, der Wunsch 
der Verwundeten, die Heimat wieder zu-sehen, gepaart mit 


XXIV 


der Furcht vor der feindseligen Bevölkerung, der Drang der 
heimatlichen Lazareth - Comité’s, und Lazareth - Vorstände, 
viele und besonders schwer Verwundete zu beherbergen, end- 
lich vielleicht auch zu einem gewissen Bruchtheil der Man- 
gel eines gut organisirten Evakuationsplanes und der durch- 
greifenden Handhabung desselben durch eine genügende Zahl 
mit der Leitung derselben betrauten ambulirenden Militär- 
Aerzte. So kam es, dass eine Unzahl Schwerverwundeter 
an trefflich eingerichteten stehenden Lazarethen vorbei, ohne 
genügende Transportverbände, unter unsäglichen Beschwerden 
nach der Heimat gebracht wurden, um dort in Folge des 
ausgestandenen Transportes nur eben noch ihren letzten Athem- 
zug auszuhauchen. 

Der Vortragende suchte als Chef eines grossen Kriegs- 
lazarethes von 300 Betten in Nancy, in welchem er an der 
Spitze von 12 freiwilligen Aerzten stand, diesem Missgriff, 
so weit er in seine Sphäre reichte, die Spitze abzubrechen 
und organisirte von seinem Lazarethe aus einen regelmäs- 
sigen ärztlichen Revisionsdienst der durch Nancy passirenden 
Verwundeten-Züge, aus welchen er prinzipiell die von dem 
Transporte übermässig Angegriffenen, vor Allen Verwundete 
mit penetrirenden Brust-, Bauch- und Kopfschüssen, Schuss- 
fracturen des Ober und Unterschenkels, Hüft-, Knie- und 
Schultergelenks-Schüssen ohne provisorische Verbände, aus- 
laden und entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung in Nancy 
zurückhalten liess, wodurch mancher einer verderblichen Com- 
plication seiner Verletzung entging. 

Die Art des Transportes der Verwundeten in den Ei- 
senbahnwaggons war eine sehr verschiedene, von der ein- 
fachen Lagerung auf dem mit Stroh bedeckten Boden der 
Güterwägen oder der Lagerung auf Strohsäcken, Matratzen 
und Bahren, die in dieselben gelegt wurden, bis zu der Un- 
terbringung in einem nach amerikanischem Systeme zum Ver- 
wundeten- und Kranken - Transport eingerichteten Personen- 
Wagen, der ein Glied eines mit Küchenwagen, Proviant und 
Verbandmaterial für eine Reihe von Tagen, mit Aerzten und 


7 


XXV 


Wartpersonal ausgeriisteten Sanitätszugs repräsentirte. Die 
best ausgestatteten Sanitätszüge dieser Art waren die wür- 
tembergischen, welche in jedem der heizbaren amerikanischen 
Waggons 16, beiderseits in 2 Reihen an Kautschukringen 
aufgehängte Bahren enthielten. Ein Uebelstand derselben war 
nur, dass die Bahre ein gar zu schmales und nur auf einer 
Seite zugängiges Krankenlager darstellte, auf welchem nur 
die nothdürftige Erneuerung der Verbände möglich und so- 
mit auch nur ein kürzerer Transport ausführbar war. Redner 
hat bei der Evakuation seines durch 21, Monate geleiteten 
Lazarethes in 24 Stunden einen Sanitätszug für 70 Verwun- 
dete, 6 Aerzte, 6 Krankenpfleger und eine der Küche vorste- 
hende Dame aus Güterwägen improvisirt, in welchem er, 
nach gründlicher Desinfection, eiserne Bettstellen mitsammt 
den Betten auf Fusspolster stellen und mit Gurten fixiren 
liess. Jeder Wagen war ein kleiner Krankensaal von 4-—9 
Betten mit allem nöthigen Material, und einer eigenen barm- 
herzigen Schwester versehen; auf seiner aussen angebrachten 
Tafel standen die Namen der verwundeten Insassen, ihre 
Verletzung, sowie der Name des Abtheilungsarztes. Daneben 
wehte die weise Fahne mit rothem Kreuz. Der Zug enthielt 
einen eigenen Offizierswagen und einen Isolirwagen für einen 
Hospitalbrandkranken. Der Küchenwagen war zugleich Re- 
staurations- und Absteigequartier des begleitenden Personals. 
Der Krankendienst und die Verpflegung erfolgten ganz wie 
im Lazarethe. Es fanden regelmässige Visiten der Aerzte 
statt, die Verbände wurden kunstgerecht erneuert, die Ver- 
wundeten mit warmer Küche versehen. Der Zug, der 2 Tage 
von Nancy nach Karlsruhe unterwegs war, verdiente in Wahr- 
heit den Namen eines fahrenden Eisenbahnspitales. 

Ueber die Installirung und Einrichtung der Lazarethe 
des Kriegsschauplatzes ist nur wenig Bemerkenswerthes her- 
vorzuheben. Je näher sie dem Orte der Schlacht gelegen 
waren, desto primitiver waren sie und desto weniger war die 
Wahl zweckmässiger Lokalitäten möglich. 

Französischerseits in vorsorglicher Weise angelegte La- 


XXVI 


zarethe fanden sich nur vereinzelt vor. Meist mussten die 
Lazarethe erst deutscherseits durch Organe der freiwilligen 
Krankenpflege in Schlössern, Schulen, Fabriksgebäuden ete. 
angelegt und durch Vermittlung der Johanniter und anderer 
Delegirter, aus den vorgeschobenen Depöts mit dem nöthigen 
Material ausgestattet werden. 

Je weiter von den Eisenbahnlinien entfernt, desto un- 
vollkommener war diess möglich, und während schon im er- 
sten Abschnitt des Krieges in Nancy fast luxuriös eingerich- 
tete Lazarethe existirten, waren in den Dörfern in der Um- 
gebung von Metz die vielen in Bauernhäusern, Rathhäusern 
Schulen und Kirchen etablirten Lazarethe viele Wochen hin- 
durch auf Strohsäcke, die man auf die Erde legte, beschränkt. 
Redner war durch die Hilfe der Johanniter, die Leistungen 
der Sanitätsvereine und andere mildthätige Spenden in den 
Stand gesetzt, sein in einer grossen Tabaksfabrik einge- 
richtetes Lazareth auf eine höhere Stufe des Comforts zu 
bringen als es in Civil-Spitälern im Frieden der Fall zu sein 
pflest. Aborte wurden nach dem Tonnensystem improvisirt ; 
die Ventilation der Krankenräume war eine ganz ausserge- 
wöhnlich gute. An vielen Orten der Heimat und des Kriegs- 
schauplatzes bis in die nächste Nähe der Schlachtfelder wur- 
den Barraken errichtet, deren Construktion gleichfalls mit 
Zunahme der Entfernung abnehmende Vollkommenheit zeigte. 
Sollen dieselben da, wo sie am meisten nöthig sind, unmit- 
telbar nach einer Schlacht und in der Nähe des Schlacht- 
feldes von Nutzen sein, so müssen sie leicht zerlegbar kon- 
struirt und in grösserer Zahl zur rechtzeitigen Spedition an 
den Ort des Bedarfes bereit gehalten werden. 

Indem der Vortragende schliesslich der Leistungen des 
Sanitätswesens, u. zw. des hier in erster Linie stehenden 
militärischen auf dem Schlachfelde, des Transportes aus der 
Gefechtslinie auf den Verbandplatz, der ärztlichen Thätigkeit 
auf diesem und in den Aufnahmslazarethen nach der Schlacht 
gedenkt, bekennt er nach zuverlässigen Berichten, auf diesem 
Gebiete keine von den traurigen Erfahrungen früherer 


XXVII 


Feldzüge wesentlich abweichende Schilderungen machen zu 
können. Unzureichende Hilfskräfte, langsame Bewältigung 
der gestellten Aufgabe und in Folge davon nicht wieder gut 
zu machende Versäumnisse, schädliche Anhäufung der Ver- 
wundeten, mangelhafte Unterkunft und wenigstens zu Anfang 
dürftige Verpflegung derselben, bilden hier die stehenden 
Faktoren. 

Nach der Ueberzeugung des Vortragenden, wurde trotz- 
dem auch hier mit Rücksicht auf die Grösse der Anforderun- 
gen das Möglichste auf deutscher Seite geleistet. Die Fran- 
zosen liessen vielfach ihre Verwundeten ganz im Stiche, oder 
vermochten sie, mit dem nöthigsten Material sehr mangelhaft 
versehen, nur dem grössten Elende zu überantworten. 

Es erübrigt zum Schlusse, einen Blick auf den Wir- 
kungskreis zu werfen, welcher den freiwilligen Aerzten 
in diesem Feldzuge eröffnet war. 

Es soll hier nicht die Rede sein von der freiwilligen 
Uebernahme der Behandlung verwundeter und kranker, nach 
der Heimat zurückgesandter Soldaten in den dortigen Laza- 
rethen von Seite der ortsansässigen Civil-Aerzte. Hier gab 
es keine Ausnahme in dem Wetteifer Aller, ihre Dienste 
nutzbar zu machen und desshalb auch keinen Mangel an ärzt- 
licher Hilfe. Redner spricht von den in’s Feld gerückten 
freiwilligen Civilärzten, welche sich die Aufgabe stellten, die 
ungenügenden: Kräfte der Militärärzte zu unterstützen und 
ihren gefahrvollen Beruf zu theilen, ohne dafür immer die 
freundlichste Aufnahme bei ihren militärischen Collegen zu 
finden. 

So wenig hier geläugnet werden kann, dass das Be- 
dürfniss nach solchen freiwilligen Hilfsärzten in den entschei- 
denden Momenten sowohl als Behufs des Ersatzes der weiter 
vorrückenden Feldlazarethe in Kriegen von grossen Dimen- 
sionen ein ganz ausserordentliches ist, so gewiss ist, dass 
die freiwilligen Aerzte da, wo sie am dringendsten nöthig 
gewesen, bisher auch stets am spärlichsten vertreten waren. 
Das ist nicht ihre Schuld, sondern wiederum die Schuld der 


XX VIII 


mangelnden Organisation. Solange eine solche fehlt, vermag 
der einzelne auf eigene Faust sich vorwärts dirigirende Arzt 
nur wenig zu leisten und daher kam es auch, dass in die- 
sem Feldzuge, während auf der einen Seite Hilferufe nach 
Aerzten erschollen, auf der andern unzählige unbeschäftigt 
herumlaufende von Thüre zu Thüre abgewiesen wurden, und 
endlich sich veranlasst sahen, ohne etwas geleistet zu haben 
in die Heimat zurückzukehren. 

In Erwartung einer zukünftigen, von der obersten mi- 
litärischen Behörde ausgehenden einheitlichen Gliederung der 
sich meldenden freiwilligen Aerzte zu freiwilligen Feldlaza- 
rethen, leistet der Einzelne mehr für das Wohl der Verwun- 
deten, wenn er auf Kriegsdauer geradezu in militärische Dienste 
tritt, oder einem mobilen Feldlazarethe sich als Freiwilliger 
zutheilen lässt. Jedenfalls sollten die freiwilligen Aerzte, 
wenn sie auf Verwendung ihrer Kräfte reflektiren, auf Kriegs- 
dauer oder doch bis zur Auflösung ihres Lazarethes ihre 
Dienste zur Verfügung stellen und nicht wie es auch diess- 
mal wieder vielfältig vorkam, von einem übertragenen Posten 
weglaufen können, sobald die Lust zum Dienste sie verlassen, 
oder ihre Privat-Verhältnisse sie angeblich nach Hause zu- 
rückrufen. Concessionen können dabei Einzelnen gegenüber in 
ausgedehnter Weise gemacht werden. Sollte es aber bleiben 
wie bisher, so können freiwillige Civilärzte nur dann etwas 
Grösseres leisten, wenn sie sich selbst zur Formirung eines 
Lazarethes, unter einem von ihnen gewählten Chef, der Ope- 
rateur von Fach sein sollte, zusammenschaaren, und mit dem 
erforderlichen Verbandmaterial, Instrumenten und Apparaten, 
wie den nöthigsten Erfrischungen für Verwundete ausrüsten, 
oder von den Sanitätsvereinen ausrüsten lassen. 

So für alle Eventualitäten vorgesehen können sie selbst- 
ständig überall da eingreifen, wo Hilfe am dringendsten 
Noth thut und jeden militärischerseits ihnen gewordenen Auf- 
trag mit Erfolg ausführen. 

Diesen Weg schlug der Vortragende auf Grund seiner 
Erfahrungen aus den Jahren 1864 und 1866 in diesem 


XXIX 


Feldzuge ein und hatte dadurch vor vielen Andern das Glück, 
in vollkommen unabhängiger Weise eine sehr ausgedehnte 
und fruchtbringende ärztlich-operative Thätigkeit entfalten zu 
können. 

Mit der Schilderung der einzelnen Details seiner an Er- 
lebnissen reichen Expedition, deren Ziel Nancy wurde, und 
die darüber hinaus bis Metz und Toul sich erstreckte, been- 
digt Redner seinen Vortrag und es soll von dieser Schilde- 
rung nur noch kurz hervorgehoben werden, dass der Vortra- 
‚gende in Carlsruhe unterstützt von dem dortigen so überaus 
thätigen Frauenverein und dessen unermüdlicher Protektorin 
der Frau Grossherzogin von Baden, seine Expedition aus- 
rüstete, 6 Aerzte und 6 Krankenpfleger (meist junge ange- 
sehene Beamte) nebst 1 Krankenpflegerin um sich sammelte, 
und mit 10 Kisten voll der wichtigsten Lazarethgegenstände 
versehen am 15. August an der Spitze seines freiwilligen 
Lazarethes auf Bauernwägen nach Weissenburg sich dirigirte, 
von dort in Güterwägen per Bahn nach Wendenheim und 
Zabern und mit dem ersten Zug, der die unsicheren Vogesen- 
tunnels passirte, nach Nancy vorrückte, wo ihm durch den 
Chef der Johanniter für die dritte Armee und die komman- 
dirende Militärbehörde die Leitung des eben installirten 
grossen Verwundeten - Spitales in der dortigen Tabaksfabrik 
und die Funktion eines konsultirenden Chirurgen für alle 
Spitäler in Nancy übertragen wurde. 

Der Vortragende leitete jenes Lazareth mit 12 freiwil- 
ligen Aerzten, welche sich nach und nach unter seine Direk- 
tion gestellt hatten, mit gutem Erfolge bis zum 4. Oktober, 
wo der Wiederbeginn seiner Lehrthätigkeit an hiesiger Hoch- 
schule und das inzwischen weiter in das Herz Frankreichs 
sich vorziehende Kriegsgewitter ihn veranlassten, das Laza- 
reth zum grössten Theil zu evakuiren und seine transportabeln 
Verwundeten in dem erwähnten eigenen Sanitätszuge nach 
Carlsruhe in die Pflege und Behandlung bewährter Collegen 
in trefflich equipirte Barakenspitäler zu überführen. 


Damit endete die Feldzugs - Episode, aus welcher 
Naturw.-med. Verein. 7 


XXX 


Redner seine im Vorstehenden wiedergegebenen Erfahrungen 


schöpfte. 
Schluss der Sitzung 8°/, Uhr. 


XII. Sitzung, den 1. Dezember. 

Herr Prof. Heine stellt einen Kranken seiner Klinik 
vor, bei welchem er kurz zuvor die Exstirpation eines 
sarkomatösen Polypen der linken Nasenhöhle 
nach osteoplastischer Resektion des linken Na- 
senbeines und Nasenfortsatzes des linken Ober- 
kiefers mit schönstem Erfolge gemacht hatte. Die radi- 
kale Beseitigung der malignen Geschwulst, welche allein 
gegen ein Recidiv zu schützen vermag, konnte weder durch 
die Extraktion, noch durch die Ligatur, noch durch Ecrase- 
ment oder Galvanokaustik ermöglicht werden, da der Tumor 
nicht einfach gestielt war, sondern über die 3 Muscheln sich 
erstreckend, sowohl an der Innenfläche des Nasenfortsatzes 
des Oberkiefers als an der Siebbeinplatte und an der link- 
seitigen Wand des septum narium breitbasig adhärirte und 
in verästelten Auswüchsen die ganze Nasenhöhle erfüllte. Es 
musste daher ein freier Zugang zur Geschwulst von Aussen 
eröffnet werden, behufs gründlicher Abtragung derselben mit 
Messer, Scheere und Raspatorium. Den Weg dazu bildete 
die osteoplastische Resektion der linken Seitenhälfte des knö- 
chernen Nasengeriistes. Diese Operation gehört jenen durch 
B. v. Langenbeck in der neuesten Zeit in die Chirurgie ein- 
geführten Klasse von Resektionen an, bei welchen die Aus- 
sägung eines Knochenstückes im Zusammenhang mit den be- 
deckenden Weichtheilen und den Weichtheilen der Umgebung 
nur als Mittel zum Zweck vorgenommen wird, nach dessen 
Erreichung das Knochenstück wieder eingepflanzt wird und 
in seine alte Position wieder einzuheilen pflegt. Der Vor- 
tragende schlägt daher vor, diese Resektionen statt osteo- 
plastische, oder wie man sie auch genannt hat, kombinirte 


XXXI 


oder temporäre , korrekter ,Reinplantativ - Resek- 
tionen“ zu nennen. 

Im vorliegenden Falle war diese Operationsweise um so 
mehr geboten, als ein früher von einem Arzte unternommener 
Extraktionsversuch ein ganz unvollständiges Resultat ergeben 
hatte. Der vorgestellte Kranke, A.O. v.St., war 52 Jahre 
alt und hatte seit circa 9 Monaten eine zunehmende Ver- 
stopfung seiner linken Nasenhöhle mit zeitweiligem Nasen- 
bluten, seit 6 Monaten eine Auftreibung seiner linken Nasen- 
hälfte, die seit /, Jahr besonders zunahm und zu Thränen- 
träufeln führte, beobachtet. Bei der Aufnahme des Kranken 
erschien die Nase breit sattelförmig, der linke innere Augen- 
winkel wulstig vorgetrieben, das Nasenbein und der Nasen- 
fortsatz emporgehoben, die Consistenz der Geschwulst elastisch, 
die Hautbedeckung der Nase normal. Die Nasenscheidewand 
war nach rechts verdrängt. Von vorn konnte man durch 
das linke Nasenloch die von injicirter Schleimhaut überklei- 
dete, weiche Geschwulst mit unebener Oberfläche, im engen 
Raum zusammengedrückt erblicken; neben ihr liess sich keine 
Sonde mehr durchführen, von hinten fühlte man die betref- 
fende Choane von der weichen, lappigen, leicht blutenden 
Neubildung ausgefüllt. Bei der am 7. November 1870 vor- 
genommenen Operation wurde die Nase in ihrer Mittellinie 
linkerseits vom septum bis zur Nasenwurzel gespalten, das 
linke Nasenbein und der proc. nasalis emporgehebelt und die 
ganze linke Seitenwand der Nase nach Aussen umgeklappt. 
Die dadurch offen zu Tag gelegte Geschwulst wurde sodann 
von ihrer knöchernen Basis sorgfältig abgelösst, die Oberfläche 
der Siebbeinplatte mit dem Raspatorium abgeschabt und die 
Anheftung der Geschwulst am sept. nar. mit einem Stück 
des letzteren ausgeschnitten, dann die Blutung gestillt (eine 
stärker blutende Stelle an der Innenfläche des Nasenbeines 
musste durch 2 von Aussen und Innen aufgelegte und durch 
darüber geknüpfte Kreuzfäden angedrückte Schwämmchen 
komprimirt werden), die Seitenwand der Nase reponirt und 
die Nase durch 12 Knopfnähte geschlossen. 


7* 


XXXII 

Der Verlauf der Wundheilung war ein sehr giinstiger. 
Es trat in der ganzen Ausdehnung der Wunde prima intentio 
ein. Die Schwämmchen konnten am 2. Tage entfernt wer- 
den, die von ihnen komprimirte Weichtheilparthie erholte 
sich schnell vom Druck, ein drohendes Erisipel wurde kou- 
pirt und am 11. Tage schon konnte der Kranke als voll- 
kommen geheilt betrachtet werden. Das knöcherne Gerüste 
der Nase zeigte sich bei seinem Austritte aus der Klinik am 
26. Nov. fest, die äussere Narbe war kaum sichtbar, die 
Deformität der Nase ausgeglichen, der Luftdurchtritt voll- 
kommen frei. Patient fühlte sich jetzt so gesund wie lange 
zuvor nicht. Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst 
erwies dieselbe, der Diagnose entsprechend als ein Sarkom 
mit partieller myxomatöser Umwandlung. 

Hierauf hielt Herr Prof. Kerner einen Vortrag über 
die Alpenflora des Himalaja und die Beziehungen derselben 
zu der alpinen Flora der mittel- und südeuropäischen Hoch- 
gebirge. Es wurde von ihm insbesonders hervorgehoben, 
dass zwar die Zahl der vollständig identischen Arten der 
alpinen Region des Himalaja und unserer Alpen ein sehr 
kleiner ist, dass aber in beiden Gebieten eine grosse Zahl 
homologer einander sehr ähnlichen, wenn auch specifisch ver- 
schiedenen Arten existire, welche aus einer und derselben 
untergegangenen Stammart hervorgegangen gedacht werden 
müssen. Der Vortragende knüpft hieran die Bemerkung, dass 
nicht wenige unserer Alpenpflanzen einstens aus dem central- 
asiatischen Hochlande eingewandert, anderseits wohl auch 
manche wieder aus den südeuropäischen Hochgebirgen nach 
Osten hin übersiedelt zu sein scheinen und dass bei Gele- 
genheit dieser Wanderungen beziehungsweise bei der Aus- 
dehnung der Areale mehrere jetzt untergegangene Stammarten 
in den verschiedenen Hochgebirgen sich in homologe Arten 
differenzirten. — Der Vortrag wurde durch Vorweisung meh- 
rerer Tableaus von homologen Arten aus dem Himalaja, den 
Alpen und dem arktischen Norden, so wie durch Zusammen- 
stellungen der besonders charakteristischen Typen von Pflan- 


XXXII 


zen aus verschiedenen alpinen Regionen des Himalaja, zumal 
eine Gruppe von Phanerogamen (Allardia, Saussurea etc.) 
aus dem Höhengürtel von 17.000—18.000’ Seehöhe er- 
läutert. 

Die Beschreibungen mehrerer vorgelegten neuen alpinen 
Arten aus dem Himalaja werden in den Vereinsschriften 
publieirt werden. 


Schluss der Sitzung 8, Uhr. 


XII. Sitzung, den 14. Dezember 1870. 


Herr Graf Franz Thun, k. k. Generalmajor wurde 

vom Vorsitzenden zum Beitritte in den Verein als Mitglied 
angemeldet. 
: Herr Prof. Heller machte einige Mittheilungen über 
neue oder wenig bekannte Thierformen, die von ihm im Laufe 
des letzten Jahres in Tirol beobachtet wurden und zeigte 
mehrere Arten derselben vor. Aus der Klasse der Vögel 
wurde im Oktober eine Raubmöve (Lestris parasitica), eine 
sonst nordische Art, bei Kreith nächst Innsbruck noch lebend 
gefangen, wo sie von langem Fluge ermüdet, auf einem Felde 
sich niederliess. Von Raubvögeln wurde ein Schlangenbus- 
sard (Circaetus gallicus) bei Bozen, ein Fischadler (Pandion 
haliaetus) am Inn, ferner ein besonders grosses Exemplar 
von Steinadler (Aquila chrysaetos) am Hechenberge geschossen. 
Aus der Klasse der Krebsthiere zeigte derselbe den erst in 
neuerer Zeit vom Gymnasial-Professor P. Mohr bei Brixen 
entdeckten Apus cancriformis vor. Eine eingehendere Schil- 
derung der von ihm in Tirol beobachteten Copepoden und 
_ Ostracoden, unter denen auch 3 neue Arten sich vorfinden, 
wird in den Verhandlungen folgen. 

Herr Prof. Pfaundler zeigte einige Experimente aus 
dem Gebiete der neueren Akustik vor, welche auf der An- 
wendung vibrirender Flammen beruhen. 

Er analysirte zuerst eine tönende Flamme einer soge- 


XXXIV 


nannten chemischen Harmonika mittelst eines bewegten Spie- 


gels, dann unter Zuhilfenahme einer stroboskopischen Scheibe, 
deren Umdrehungsgeschwindigkeit durch Benützung der Sy- 
rene regulirt wurde. 

Hierauf zeigte er verschiedene Orgelpfeifen vor, welche 
mittelst Membranen mit Leuchtgaskapseln in Verbindung 
standen und so die König’schen Flammenzeiger in Bewegung 
setzten. Die vibrirende Bewegung dieser Flammenzeiger, die 
Interferenz derselben, das gleichzeitige Erscheinen zweier 
Flammenbilder bei Kombinirung zweier Pfeifen etc. wurde 
ebenfalls im bewegten Spiegel sodann objectiv durch Projek- 
tion auf einen Schirm zur Anschauung gebracht. 

Schluss der Sitzung 81, Uhr. 


Beitrag 
zur Casuistik der subcutanen Injectionen. 


Von 
Dr. R. Hausmann in Meran. 


(Vorgelegt in der Sitzung vom 19. Nov. 1870). 


Fraulein X, Schauspielerin, 17 Jahre alt, leidet seit 
2 Jahren an einem rechtsseitigen, in jüngster Zeit an 
Grösse zunehmenden subperitonäalen Tumor, welcher von 
verschiedenen Seiten als carcinomatös verdächtig aufgefasst 
wurde. Die Menstruation, seit 4 Jahren bestehend, ist un- 
regelmässig und stets von bedeutenden Schmerzen vorher an- 
gekündigt. 

Im April 1869 wurde ich zu der Patientin gerufen, weil 
sie bereits mehrere Tage von starken Schmerzen in der Lum- 
balgegend und der Innenseite des Oberschenkels der linken 
Seite befallen und so schwach war, dass sie, die noch einige 
Tage vorher eine grössere Rolle kräftig durchgeführt hatte, 
jetzt auffallend heruntergekommen dalag. Im Tumor fühlte 
sie bisweilen „blitzähnlich durchschlagende Schmerzen“. Warme 
Umschläge, Tinct. sedat. Magendie 10 Tropfen brachten auf 
einige Stunden Ruhe, so dass Patientin bis gegen Morgen 
des andern Tages schlief, beim Erwachen jedoch empfand 
sie wieder Schmerz in dem Tumor und am Kreuz. Mittags 
als sich die Patientin vor Schmerz im Bette wälzte, ging 


See 


ich zur subcutanen Injection über. Ich verwendete hiezu die 
im Hause der Patientin von gestern noch vorhandene Tinct. 
sed. Mag. und zwar nahm ich davon 4 Tropfen, wovon ich 
einen Theil noch ausspritzte, um das Instrument, welches 
ebenso wie die Kanüle nach jeder Injection sorgfältig gereinigt 
wird, von Luft zu befreien. 

Kaum war das Medikament, in der Gegend der Lenden- 
wirbel links, injieirt, als die Patientin laut aufschrie: „Was 
ist mit mir, mein Gesicht wird verstochen“. Sie wurde dar- 
auf feuerroth im Gesicht, der Unferkiefer wurde krampfhaft 
weit nach vorne gezogen, der Ausdruck erschien ungemein 
geängstigt, der Puls ging hämmernd mit einer Geschwindig- 
keit von mindestens 130, darauf entstand Asthma, klonische 
Krämpfe an beiden Extremitäten — das Bewusstsein aber 
war vollkommen erhalten. 

Dieser Zustand dauerte im Ganzen kaum 5 Minuten. 
Zuerst liessen die Convulsionen nach, dann nahm das Ge- 
sicht die frühere Form an und der Puls kehrte zur früheren 
Anzahl zurück. Endlich brach ein Schweiss aus, welcher so 
stark war, dass die Matratze durchfeuchtet wurde, es folgte 
ein mehrstündiger tiefer Schlaf, aus welchem die Kranke 
schmerzfrei erwachte. In den folgenden Tagen traten noch © 
in der Nähe des Tumors Schmerzen auf, welche jedoch 
warmen Ueberschlägen bald wichen. Menstruation erschien 
nicht. Auffallend schnell raffte sich die Kranke so weit auf, 
um nach einigen Tagen ihre Aufgaben wieder übernehmen zu 
können. 

Es erinnert dieser Fall an die 3 von Prof. Nussbaum 
an sich beobachteten, im Aerzt. Intelligenzblatt 1856, Nr. 56 
veröffentlichten. — Auch dort wird ein Brennen resp. Stechen 
vom Scheitel, allerdings bis zur Sohle fortlaufend und bald 
nach der Injection erscheinend, erwähnt, in beiden Fällen 
wurde das Gesicht intensiv geröthet, in beiden trat ein un- 
gemein rascher Puls auf, Bewusstsein in beiden ungetrübt. 
In meinem Falle traten Convulsionen der Unterkiefer und der 
Extremitäten ein, ausserdem Schweiss, wovon N. nichts er- 


Ba ae 


wähnt, dagegen fehlte der essigsaure Geschmack auf der 
Zunge, den N. bald Anfangs verspürte. 

Aehnlich den N.’schen Fällen und dem meinigen sind 
die von Dr. Anton Mühe in München (Nr. 49 des Aerztl. 
Intell.-Blattes 1863) veröffentlichten 5, bei welchen zunächst 
ebenfalls Stechen und Brennen im Gesichte, in dreien ausser- 
dem beschleunigter Puls aufgetreten war. Im fünften Fall 
trat noch Asthma pector., Bewusstlosigkeit, Reflexbewegung 
der obern Extremitäten, Erbrechen und Unvermögen bis zum 
3. Tage zu sprechen ein. Schweiss und essigsaurer Ge- 
schmack ist nicht erwähnt. — Dat erste Mal, als M. nur 
die Gesichtserscheinungen beobachtete, hatte er ‘4 Gr. Morph. 
acet. eingespritzt, in den nächsten 3 Fällen war je 1 Gr. 
injic. worden und Stechen im Gesicht und beschleunigter 
Herzschlag, im 5. Falle bei 2 Gr. Morphiumlösung Stechen, 
Pulsbeschleunigung und dazu noch die übrigen Erscheinungen 
beobachtet worden. 

Da die Nussbaum’schen und Mühe’schen Fälle stets 
solche waren, bei welchen sehr viele Einspritzungen, wie z.B. 
bei der einen Patientin dreimal täglich vorgenommen wur- 
den, so traten anatomische Veränderungen der Haut ein. M. 
fand an den beständig gereizten Stellen chronische Entzün- 
dung — es entstand seröse Infiltration der Cutis, Zellenneu- 
bildung, Bindegewebe; die subcutanen Venen gingen demnach 
durch verdichtetes Gewebe, welches von weicheren Partieen 
durchzogen war und erweiterten sich oder wurden varicös. 

Die Annahme, dass die subcutane Injection bei derartig 
degenerirter Cutis leichter direkt als unter normalen Verhält- 
nissen in die Venen vorgenommen werde, war nach Alledem 
plausibel, um so mehr das starke Bluten der Stichöffnung 
gerade bei den unglücklichen Fällen beobachtet wurde. Die 
mit starker Blutung verbundenen, aber glücklich ablaufenden 
Fälle erklärt Nussbaum sowohl als Mühe dadurch, dass die 
Venenwände durchstochen wurden, ohne dass das Medikament 
in das Lumen selbst gebracht worden war. 

Eulenburg (die hypodermatische Injection der Arznei- 


a ete 


mittel) stellt gegen diese Theorie die Vermuthung auf, dass 
es sich weniger um die Verletzung der Gefiisse, als die der 
Nerven handle, ausserdem legt er besondern Werth auf die 
Resorptionsgeschwindigkeit der einzelnen Körpergegenden, so 
zwar, dass die Wangen und Schläfengegend die schnellste, 
Rücken-, Kreuz-, Lumbalgegend die trägste Aufsaugung dar- 
bieten, in Folge dessen es passiren könne, dass das eine Mal 
1/, Gr. Morph. injieirt, die heftigsten Erscheinungen, 2 Gr. 
dagegen ein ander Mal nichts Abnormes bemerken liessen, 
je nach der Stelle also, an welcher die Injectionen vorgenommen 
wurden. 

„Fassen wir noch einmal die Momente zusammen, 
welche für die Einspritzung in die Vene sprechen, so fin- 
den wir von den Vertheidigern dieser Ansicht als Beleg 
angeführt: 

1) In allen Fällen war die Haut so degenerirt, dass die 
subeutanen Venen, resp. Capillaren erweitert oder varicös 
waren, 

2) Trat stets abnorm starke Blutung ein, 

3) Stellten sich Symptome ein, welche eine di- 
rekte Ueberführung des Medikaments ins Blut bedingen 
konnten. 

Ohne wesentliche Widerlegung wurde andere Erklärung 
gesucht a) in Resorptionsgeschwindigkeit, b) Verletzung von 
Nerven. 

Wenn wir nun erwägen, dass die Symptomenreihe der 
3N.’schen ihn selbst betreffenden, der 5 anderen Mühe’schen 
Fälle und der meinigen in der Hauptsache sich gleichblieben, 
dass alle diese subcutanen Injectionen mit essigsaurem Morph. 
vorgenommen wurden, so dürfte vielleicht anzunehmen sein, 
dass gerade dieses Medicament ins Blut gebracht, diese 
mit Stechen im Gesicht beginnende, Pulsbe- 
schleunigung etc. einschliessende Symptomen- 
gruppe hervorbringe. Dabei scheint die eingespritzte 
Quantität nicht ganz gleichgiltig zu sein, denn '/, Gr., einem 
an Narcotica gewöhnten Manne eingespritzt, brachte wie oben 


SE ER 


erwähnt ein Stechen hervor und mit zunehmender Quantität 
nahmen auch die Symptome zu. 

Unbedingt aber hängt die Wirkung von der Quan- 
tität nicht ab, wie aus meinem Falle erhellt, denn hier wur- 
den kaum 4 Tropfen injieirt; Patientin war also ungleich 
mehr empfänglich als Andre für das direkt in das Blut in- 
jieirte Morphium. 

Ebensowenig muss eine degenerirte Cutis vorhanden 
sein. Dass auch keine äussere Venenblutung in meinem 
Falle vorhanden war, schliesst eine Blutung überhaupt nicht 
aus, konnte sie doch gehindert sein, indem durch den nach 
der Injectcon einige Zeit ausgeübten Fingerdruck die Blutung 
gestillt sein dürfte. 

Gegen die Resorptionstheorie kann hier die eigene An- 
gabe Eulenburg’s sprechen. da die Injection in der Lenden- 
wirbelgegend, der nach E. am trägsten verzeichneten Stelle 
vorgenommen, die Symptome jedoch direkt nach der Injec- 
tion wahrgenommen wurden und zu den fürchterlichsten ge- 
hörten. 

Die Annahme der Verletzung von Nerven scheint in 
den vorliegenden Fällen mit der genauen Reihenfolge 
ihrer Symptome nicht erklärlich. 

Idiosynkrasie, als Erklärung der betreffenden Erschei- 
nungsreihe, ist unstatthaft, weil nicht einzusehen, wesshalb 
die Patienten 999 mal keine Idiosynkrasie zeigten und das 
1000ste Mal sie erkennen liessen. 

Ebensowenig lässt sich mit Hysterie Etwas anfangen, 
Da nun die subeutanen Injectionen in mancherlei Fällen un- 
umgänglich nothwendig geworden sind, die unglücklichen Fälle 
jedoch selbst bei durch Injectionen entarteter Cutis sehr 
selten sind, und als Contraindication nur jene Fällen ange- 
sehen werden können, bei welchen nach Traube in Folge 
eines organischen Herzfehlers die Prädisposition zu dem 
Cheyne-Stokes’schen Respirationsmodus besteht, die Mor- 
phiuminjection dies Phänomen hervorrufen oder zu stärkerer 
Ausprägung gelangen lassen könne (Berl. Klin. Wochenschr. 


SE IRR ae 
1867 No. 17, Frantzel), so wird Niemand im Uebrigen von 
deren Anwendung abstehen. 

Bemerkt sei hier nur noch, dass sich, wie ich erfahren, 
bei derlei unglücklichen Fällen eine subcutane Injection an 
einer anderen als der eben angewandten Stelle vorgenommen, 
die Symptome abkürzend und sehr schmerzstillend erwiesen 
haben soll, was gewiss zu versuchen wäre. 


Untersuchungen 


über die Crustaceen Tirols. 


Von 
C. Heller. 


I. 
(Mit 2 Tafeln.) 


Unter den Gliederthieren Tirols fanden bisher nur die 
Insekten, Myriapoden und Arachniden eine eingehendere Be- 
rücksichtigung. Zahlreiche grössere und kleinere Arbeiten 
liegen vor, die uns über Vorkommen und Verbreitung dieser 
Thiergruppen Aufschluss geben‘), Nur über die Klasse der 
Crustaceen schweigt die Geschichte. Doch darf man daraus 
sicherlich nicht den Schluss ziehen, dass diese Klasse bei 
uns nicht vertreten sei. Im Gegentheile werde ich darthun 
können, dass die Krebsthiere auch in unserm Lande eine 
reichliche Vertretung besitzen, dass sich zahlreiche Arten 
vorfinden, welche theils mit bekannten europäischen Species 
übereinstimmen, theils als neue unserm Lande eigenthümliche 
Formen sich erweisen. 

Aus der Ordnung der Decapoden kennen wir nur drei 
Arten von Krebsen in Tirol, nämlich Astacus fluviatilis F., 
A. saxatilis K. und Palaemonetes varians Leach?). Die 


1) Gredler, Tirols zoologische Literatur in der Zeitschrift des Fer- 
dinandeum. Jahrgang 1869 S. 207. 

2) Heller, zur nähern Kenntniss der in den süssen Gewässern des 
südlichen Europa vorkommenden Meerescrustaceen. Zeitschrift für wis- 
senschaftliche Zoologie. XIX. Bd. I. Heft S. 157. 


BE. AKC Bu 


erstere Art findet sich in Nordtirol, die zweite Art in den 
Gewässern Südtirols, die dritte Art nur im Gardasee. 

Von Amphipoden konnte bisher nur eine Art beobachtet 
werden, nämlich Gammarus pulex, welcher in Quellen und 
Bächen bis zu 5000’ Höhe in der Umgebung von Innsbruck 
vorkommt. 

Die Isopoden sind in Nordtirol durch folgende Arten 
vertreten: Asellus aquaticus L., Ligidium Persoonii Bdt, 
Trichoniscus riparius Kch., T. Mengii Zdd., Philoseia mus- 
corum Lt., Oniscus murarius Lt., Porcellio scaber Lt., P. 
pietus Bdt., P. trivittatus Lb., P. nemorensis Kch., P. ar- 
madilloides Lt., P. frontalis Lb., Platyarthrus Hoffmanns- 
eggii Bdt., Armadillidium vulgare M. Edw., während über 
die Verbreitung dieser Thiere im südlichen Theile des Lan- - 
des noch keine ausreichenden Beobachtungen vorliegen. 

Aus der Gruppe der Branchiopoden wurde erst in 
neuester Zeit Apus cancriformis in Tirol vorgefunden. Herr 
Professor P. Heinrich Mohr entdeckte denselben in einer 
Lache bei Brixen, welche einen grossen Theil des Jahres 
ganz trocken liegt und nur zeitweise mit Wasser sich füllt. 

Was die Ostracoden und Copepoden betrifft, so zeigen 
dieselben in Tirol einen bedeutenden Formenreichthum. Wie 
ich in der nachfolgenden Abhandlung nachweisen werde, kom- 
men aus der Ordnung der Copepoden 12 und aus der Ord- 
nung der Ostracoden 11 verschiedene Arten vor, wovon drei 
als ganz neu erscheinen. Hiebei muss jedoch hervorgehoben 
werden, dass eigentlich nur die unmittelbare Umgebung Inns- 
brucks in dieser Beziehung näher durchforscht wurde, wäh- 
rend aus Südtirol bisher nur wenige Beobachtungen vorliegen. 
Eine eingehendere Untersuchung des Landes wird noch man- 
chen werthvollen Zuwachs auch aus diesen beiden Thier- 
gruppen liefern und erst dann wird es auch möglich sein, 
über die horizontale und verticale Verbreitung derselben ein 
bestimmtes Urtheil zu fällen. 


ragen 
I. Copepoda. 


Uebersicht der Gattunsen 


A. Zwei Eiersäckchen bei dem Weibchen. Hintere An- 
tennen einfach ohne Nebenast, viergliedrig. Das 5. Fuss- 
paar cylindrisch. Cyclops ©. F. Müll. 


B. Ein Eiersäckchen bei dem Weibchen. Hintere An- 
tennen mit einem Nebenast versehen. Das 5. Fusspaar blatt- 
formig. 

Vorder- und Hinterleib linear, fast gleich breit. Vor- 
dere Antennen 8 gliedrig, kurz, Kein Herz. 

Canthocamptus Westw. 

Vorderleib viel breiter wie der Hinterleib. Vordere An- 

tennen lang, 25gliedrig. Ein deutliches Herz. 
Diaptomus Westw. 


Gattung: Cyclops 0. F. Müller. 
Uebersicht der Arten: 
A. Vordere Antennen 17—18 gliedrig. 


Antennen aus 18 Gliedern zusammengesetzt. 

C. elongatus Cls. 

Antennen aus 17 Gliedern zusammengetzt. 

Abdominalsegmente an ihren Verbindungsrändern glatt, 

Das 2. Glied des rudimentären (5.) Fusspaars am Ende 
mit 3 Borsten besetzt; die Antennen bis gegen die Basis 
des Abdomen reichend. 

Das Endglied der vordern Antennen mit sägeförmig ge- 
zähnter Firste versehen, das 8—14. Glied mit einem Kranze 
zahnförmiger Spitzen am obern Verbindungsrande, die Eier- 
säckchen schwarz, gerade ausgestreckt. 

C. coronatus Cls 

Das Endglied der vordern Antennen mit einfacher, un- 
bezahnter Längsfirste, die vorhergehenden Glieder ohne Stachel- 
kranz. Eiersäckchen licht, schief gestellt. 

C. tenuicornis (ls. 


Re 


Das 2. Glied des rudimentären Füsschens am Ende mit 

2 Borsten besetzt. Antennen bis gegen das Ende des 3. 

Thoracalsegments reichend. C. bicuspidatus Cls. 

Das 2. Glied des rudimentären Fusspaares am Ende 
mit einer einzigen Borste besetzt. Antennen bis gegen das 

Ende des 3. Thoraxsegments reichend. 

C. brevicaudatus (ls. 

Die Abdominalsegmente an ihren Verbindungsrändern 

bezahnt. Antennen kurz. Rudimentiires Fusspaar mit ein- 
facher Borste am Ende des 2. Gliedes. 

C. brevicornis Cls. 

B. Vordere Antennen 8—12gliedrig. 

Antennen aus 12 Gliedern zusammengesetzt. Die Schwimm- 
füsse mit 3gliederigen Aesten. Das rudimentäre Fusspaar 
1gliedrig, mit 3 Borsten am Ende. C. serrulatus Cls. 

Antennen aus 11 Gliedern zusammengesetzt. Die Schwimm- 
füsse mit 2 gliedrigen Aesten. 

Die Abdominalsegmeote an ihren Rändern glatt. 

C. minutus Cls. 
Die Abdominalsegmente an ihren Rändern bezahnt. 

C. Clausii Hr. 

Antennen aus 8 Gliedern zusammengesetzt. 

C. Gredleri Hr. 


1. Cyclops elongatus. 
Claus, die frei lebenden Copepoden S. 97, Taf. XI Fig. 1, 2. 


Ein langgestreckter Körper von graulicher Farbe mit 
weissen Eiersäckchen, 18gliedrige bis an das Ende des 1. 
Segments des Vorderleibes reichende Antennen, ein rudimen- 
täres aus 2 Gliedern zusammengesetztes Füsschen, wovon 
das 1. Glied schmal, das 2. mit 2 Endborsten besetzt ist, 
glatte Verbindungsränder der Abdominalsegmente charak- 
terisiren diese Art. — In einem Falle fand ich die vordern 
Antennen aus 19 Gliedern zusammengesetzt, indem das 5. 
Glied in 2 Theile gespalten war. Länge 2 Mm, 

Fundort: Igels. 


Bask Oe a 


2. Cyclops coronatus. 
Claus, das Genus Cyclops im Archiv fiir Naturgeschichte. 1857. Taf. 
Il, fig. 1—11. — Idem, frei lebende Copepoden S. 97, taf. II, fig. 
16, taf. &, io. I: 
Ist ziemlich verbreitet in Tirol. Ich fand die Art in 
Lans, Seefeld, St. Ulrich, Sterzing und Doblino. 


3. Cyclops tenwicornis. 


Claus, das Genus Cyclops Taf. III, fig. 1—11; idem, die Copepoden 


S. 99, taf. I, fig. 3; taf. II, fig. 17; taf. 4, fig. 5. 
Fundort: Innsbruck, St. Ullrich, Sterzing; ziemlich 
häufig. 


4, Cyclops brevicaudatus. 
Claus, das Genus Cyclops, Taf. I, fig. 12. 


Wurde nur ein einziges Mal im Giessen bei Innsbruck 
vorgefunden. 


5. Cyclops brevicornis. 
Claus, das Genus Cyclops Taf. II, fig. 12—-17; idem, die Copepoden 
S. 99, Taf. IV, Fig. 11. 
Eine der häufigsten Arten im Lanser Moor, besonders 
im Frühjahr schön grün, im Sommer und Herbste aber mehr 
grau gefärbt. Die vordern Antennen reichen kaum über das 
1. Thoracalsegment hinaus, Das rudimentäre Füsschen be- 
steht aus einem breiten Basalgliede, dessen äussere Ecke 
mit einer langen Borste besetzt ist und einem schmalen kur- 
zen Gliede, welches sich am Innenrande des vorigen einlenkt 
und auch eine lange Borste trägt. An der Innenseite des 
2. kurzen Gliedes bemerkt man noch einen kleinen abste- 
henden Stachel. Die Verbindungsränder der Abdominalseg- 
mente sind gezähnt. Länge 3—3.5 Mm. 


6. Cyclops bicuspidatus. 
Claus, Archiv fir Naturgeschichte. 1857. Taf. II, fig. 6—7. 


Diese Art unterscheidet sich von den beiden vorher= 
Naturw.-med. Verein. 8 


en as 


gehenden hauptsächlich dadurch, dass das 1. Glied des ru- 
dimentären Füsschens ziemlich schmal, das 2. lang und dünn 
und mit 2 Endborsten am Ende versehen ist. Farbe röth- 
lichgelb. Länge 1.5 Mm. 


Wurde nur ein einziges Mal im Giessen vorgefunden. 


7. Cyclops serrulatus. 


Fischer, Beiträge zur Kenntniss der Cyclopiden, Taf. X, fig. 22 und 
23. — Claus, das Genus Cyclops, Taf. I, fig. 1—3. 


Diese kleine, kaum 1.5 Mm. lange Art ist ausge- 
zeichnet durch lange, aus 12 Gliedern bestehende, bis ans 
Hinterende des Thorax reichende Antennen. Das rudimen- 
täre Füsschen ist eingliedrig und trägt am Ende drei Bor- 
sten, davon die innerste ziemlich breit, lanzettlich, am Rande 
bewimpert, die beiden äussern dagegen dünn, einfach, Fär- 
bung bräunlichgrün, der 2. Thoraxring oft graulichweiss, die 
Basis des Hinterleibes braunroth, die Eiersäckchen grün. 


Die häufigste Art bei uns in Tirol, im Norden und Sü- 
den des Landes beobachtet. Von besondern Fundorten kön- 
nen aufgeführt werden: Weiherburg bei Innsbruck, Lans, 
Seefeld, Achenthal, Sterzing, Meran. 


8. Cyclops minutus. 
Claus, Copepoden S. 102, Taf. X, fig. 6—8. 


Von der Körpergrösse der vorigen Art, aber von ihr 
verschieden durch den Besitz von 11 gliedrigen, das Ende 
des 1. Thoraxringes kaum erreichenden Antennen; die Fuss- 
paare zeigen nur 2 gliedrige Ruderäste, das rudimentäre Füss- 
chen ist kurz, stummelförmig, mit einzelnen Börstchen an 
der Spitze besetzt, die Verbindungsränder der einzelnen Ab- 
dominalsegmente sind glatt. Farbe graulich, Eiersäckchen 
weiss. 


Fundort: Igels, Natters bei Innsbruck. 


9. Cyclops Olausii nov. sp. 
(Gate I; Rig. 1,2.) 

Im Lanser Moor bei Innsbruck fand ich im April und 
Mai des Jahres 1869 sehr häufig eine Cyclopsart, welche 
mit dem von Claus beschriebenen ©. minutus insoferne über- 
einstimmte, dass die vordern Antennen aus 11 Gliedern zu- 
sammengesetzt waren und auch an den Ruderfüssen sich nur 
2 deutliche Glieder wahrnehmen liessen. Bei näherer Unter- 
suchung ergaben sich jedoch einige wesentliche Abweichun- 
gen. Die einzelnen Segmente des Abdomen waren nämlich 
deutlich bei den vorliegenden Exemplaren mit spitzen Zähnen 
besetzt, während bei C. minutus die Verbindungsränder der 
betreffenden Segmente immer glatt sind. Auch besass das 
rudimentäre Füsschen eine ganz abweichende Gestalt. Aus 
diesem Grunde glaubte ich diese Form von C. minutus als 
besondere Art abtrennen zu müssen. 

Die vordern Antennen sind ziemlich kurz, denn sie er- 
reichen nicht einmal das Hinterende des 1. Leibessegmentes 
vollständig, doch kräftig, aus 11 Gliedern zusammengesetzt, 
die 3 letzten Glieder von mässiger Länge. Die Oberlippe 
in der Mitte fein kerbzähnig, nach aussen 2 grössere Zähne. 
Die Mandibel an der Basis mit 2 langen nach hinten ge- 
richteten Borsten besetzt, eine dritte kürzere ist nach vorne 
gewendet. An den Maxillen erscheint der Palpartheil gut 
entwickelt, an der Spitze mit 2 nach innen gerichteten Hacken. 
Die Kaufüsse kräftig. 

Das 1. Leibessegment ist ziemlich lang, der Hinterrand 
dieses und des folgenden Segments glatt, an den 3 folgen- 
den schmälern Segmenten jedoch fein gezähnelt. Die Ruder- 
äste der Füsse zeigen nur 2 deutliche Glieder, indem eine 
Trennung zwischen dem 2. und 3. Gliede wenig oder gar 
nicht angedeutet ist. Das letzte (4.) Fusspaar ragt ausge- 
streckt bis an’s Ende des Hinterleibes; sein Basalstück ist 
am hintern Rande mit einer Reihe spitzer Zähnchen besetzt, 
dessgleichen ist das 1. Glied am Ende gezähnelt. Das ru- 
dimentäre Füsschen stimmt in seiner Form mit jenem von 


8 *. 


C. brevicornis überein, es besteht aus 2 Gliedern, wovon 
das 1. sehr breit und an der äussern Ecke mit einer lan- 
gen Borste besetzt ist, das 2. jedoch sehr kurz, an der In- 
nenecke des vorigen entspringt und am Innenrande ein kur- 
zes Zähnchen und an der Spitze eine lange Borste trägt. 
Bei ©. minutus besteht das rudimentäre Füsschen nach Claus 
aus einem kurzen, borstentragenden Stummel und einer Borste, 
welche getrennt von den erstern unmittelbar am Körper ent- 
springt. 

Der Hinterleib erscheint ziemlich gedrungen und breit, 
das 1. Segment fast so lang wie die zwei folgenden zusam- 
men, jedoch breiter wie lang, alle Segmente am Hinterrande 
nach oben fein gezähnt, an der Unterseite dagegen bloss die 
3 letzten Segmente mit Zähnen besetzt (Fig. 2). Die Furca 
etwa so lang wie die zwei letzten Abdominalsegmente, die 
Schwanzborsten lang. Die Eiersäckchen schief nach aussen 
gerichtet. Körper licht, nach vorn gelblichgrün, das Auge 
braunroth. Länge 2.5 Mm. 


10. Cyclops Gredleri nov. sp. 
(Taf. I Fig. 3, 4.) 


Diese kleine, kaum 1 Mm. lange zierliche Art ist aus- 
gezeichnet durch den Besitz von 8 gliedrigen Antennen. Sie 
schliesst sich hiedurch unmittelbar an C. magniceps, eine 
von Liljeborg !), in der Ostsee beobachtete Art an. Der 
Cephalothorax erscheint ziemlich breit und gewölbt, etwas 
breiter wie lang, der Hinterrand gerade, die folgenden Tho- 
raxsegmente allmählig verschmälert mit stumpfen nach hinten 
etwas vorragenden Seitenecken, das 3. und 4. Segment am 
Hinterrande, namentlich gegen die Seiten hin feingezähnelt. 

Die vordern Antennen sind ziemlich kräftig und ragen 
etwas über die Mitte des vordern Leibessegments nach rück- 


1) W. Liljeborg, de Crustaceis ex ordinibus tribus: Cladocera, 
Ostracoda et Copepoda in Scania occurrentibus. Lund 1853 p. 204, 
tab. XXII fig. 1. 


I eT ee 


warts. Sie sind nur aus 8 Gliedern zusammengesetzt, hievon 
ist das 1. Glied stark, dreieckig, das 2. und 3.Glied kurz, 
ringförmig, das 4. Glied länger wie die 2 vorhergehenden 
zusammengenommen, aber dünner, die 2 folgenden Glieder 
wieder sehr verkürzt, die 2 Endglieder dagegen länger, alle 
Glieder am obern Rande und gegen das Ende hin mit Börst- 
chen besetzt. — Die Ruderäste der 4 vordern Fusspaare 
3gliedrig, das 5. Fusspaar stummelförmig, mit 3 Börstchen 
am Ende. 

Der Hinterleib von mässiger Länge, die einzelnen Seg- 
mente fast gleich breit, von vorn nach hinten nur wenig ver- 
schmälert, ihr Hinterrand glatt und unbewehrt, bloss an der 
Basis der Furcula mit einer Reihe feiner Börstchen versehen. 
Die beiden Aeste der Furcula beträchtlich länger wie die 2 
letzten Abdominalsegmente zusammen und beiläufig die Mitte 
des drittletzten Segments erreichend, die innere Schwanzborste 
fast von der Länge des Abdomen. — Die Eiersäckchen rund- 
lich, weiss, abstehend, mit einer geringen Anzahl von Eiern 
gefüllt. Die Körperfarbe licht, grau, durchscheinend. — Das 
bedeutend kleinere Mänchen (Fig. 4) zeigt die vordern An- 
tennen gegen das Ende hin stark verdickt. 

Wurde in mehreren Exemplaren oberhalb der Arzler 
Alpe in einer Höhe von 5000’ in einem Wassertroge vor- 
gefunden. 


Gattung: Canthocamptus Westwood. 


Canthocamptus minutus. 

Cyclops minutus O. F. Müller, Entomostraca p. 101, tab. XVII figs 
1—7. — Monoculus staphylinus Iurine, Histoire del Monocles p. 74. 
tab. VII fig. 1—19. — Canthocamptus staphylinus Claus, Copepo- 
den p. 121, taf. XII fig. 4—14; taf, XII fig. 1, 3, 4. 

Körper linear, cylindrisch, Vorder- und Hinterleib deut- 
lich gegliedert, ersterer nur wenig breiter wie letzterer. Kopf 
mit dem 1. Thoraxringe verwachsen. Die vordern Antennen 
8 gliedrig, kurz, bis gegen das Ende des vorderen Leibes- 
segments reichend. Hintere Antennen 2 gliedrig mit kurzem 


AN of Sige 

eingliedrigen Palpus an der Basis. Die Füsse mit 2 Ruder- 
ästen, an den 3 vordern Fusspaaren beide 3gliedrig, am 4. 
beide 2gliedrig, das 5. Fusspaar stellt 2 mit Borsten besetzte 
Platten dar. Die Gabeläste des Schwanzes kurz und ge- 
drungen. Das Weibchen bloss mit einem Eiersacke ver- 
sehen, beim Männchen der innere Ast des 3. Fusspaares 
scheerenförmig. Farbe graulichweiss. Länge 14,—1 Mm. 

Ueberall häufig in Bächen und Lachen. Besondere Fund- 
orte: Lans, Seefeld, Kufstein, Sterzing, Meran. 


Gattung: Diaptomus Westwood. 


Diaptomus Castor. 


Monoculus castor, Jurine, Hist. des Monocl. p. 50, tab. IV fig. 1—6. 
— Diaptomus Castor, Liljeborg, de Crustaceis p. 134, tab. XIII fig, 
1—10. 

Vorderkörper länglich eiförmig, breiter wie das Abdo- 
men, der Kopf vom 1. Thoraxringe getrennt. Die vordern 
Antennen fast so lang wie der Körper, 25 gliedrig, in beiden 
Geschlechtern ungleichartig. Am 1. Paar der Schwimmfüsse 
ist der innere Ast 2gliedrig, am 2.—4. Paare dreigliedrig; 
am 5. Fusspaare ist der innere Ast schmal, 2gliedrig, der 
äussere am Ende mit einer Zange versehen. — Körperfarbe 
röthlich. Länge 3—4 Mm. 

Wurde von mir nur einmal, jedoch in grosser Menge 
in einer Lache bei Seefeld vorgefunden. 


II. Ostracoda. 


Die Bestimmung der einzelnen zu dieser Gruppe gehö- 
rigen Formen ist noch immer mit grossen Schwierigkeiten 
verbunden. Die Undurchsichtigkeit des Körpers, die wech- 
selnde Form der Schalen in den verschiedenen Altersstufen, 
die Veränderlichkeit der Farbe und Behaarung bieten ebenso 
viele Hindernisse in der Bestimmung der specifischen Form. 
Namentlich waren es die Schalen, welche von den früheren 


Forschern fast allein beriicksichtigt wurden und nach deren 
Form man die einzelnen Arten unterschieden hat. Nun weiss 
man aber, dass die Gestalt der Schalen besonders nach dem 
Alter wechselt. Ein junges Thier ist vorn immer höher als 
hinten, während bei ausgewachsenen Individuen gerade der 
Hintertheil höher und breiter erscheint. Auf diese Weise 
geschah es, dass oft eine einzige Art in eine ganze Reihe 
von verschiedenen Arten aufgelöst wurde, je nachdem die 
dazu gehörigen Thiere in einem mehr oder weniger entwickel- 
ten Stadium beobachtet worden waren. In neuerer Zeit ging 
man etwas gründlicher vor, indem man auch auf den innern 
Bau der Thiere eine grössere Rücksicht nahm und dadurch 
verlässlichere Merkmale zur Trennung der Arten gewann. 
Besonders sind es die Arbeiten von S. Fischer !), Liljeborg 2) 
und Zenker 3), durch welche unsere Kenntnisse in dieser Be- 
ziehung wesentlich gefördert wurden. — Nach den Unter- 
suchungen des letztern sind es hauptsächlich das 3. Kiefer- 
paar des Männchens und die Schleimdrüse des männlichen 
Geschlechtsapparates, welche sehr brauchbare Merkmale zur 
Unterscheidung der einzelnen Arten liefern. Nur tritt der. 
bedauerliche Umstand ein, dass von vielen Arten nur Weib- 
chen bekannt sind, dass auch bei den Arten, wo Männchen 
vorkommen, diese stets seltener sind. Es würde demnach 
in vielen Fällen die sichere Bestimmung der Art gar nicht 
möglich sein. Nun lassen sich jedoch in der That auch bei 
weiblichen Thieren hinreichende Merkmale auffinden, welche 
eine scharfe Trennung der Arten bewerkstelligen lassen. Nur 
müssen die Exemplare, welche zur Untersuchung dienen, voll- 
kommen geschlechtsreif sein. Insbesondere ist dann zu be- 
rücksichtigen die Form des 2. Antennenpaars, die Anwesen- 


1) Sebast. Fischer, Abhandlung über das Genus Cypris. In den 
Memoires des Savants étrangers. T. VII. Petersburg 1851. 

2) W. Liljeborg, de Crustaceis ex ordinibus tribus: Cladocera, 
Ostracoda et Copepoda in Scania occurrentibus. Lund 1853. p. 92. 

3) W. Zenker, Studien über die Krebsthiere im Archiv für Natur- 
geschichte. 20. Jahrgang. Berlin 1854. 


era 


heit oder Abwesenheit des Branchialanhanges am 2. Kiefer- 
paare, die Gestalt der Schwanzanhänge, der Leber und der 
Eierstockschläuche, die Form des Auges und der Schale. 


Uebersicht der Gattungen: 

Mit zwei deutlich getrennten Augen. 

Notodromas Liljeb. 

Mit einem einzigen Auge. 

Das dritte Glied der untern Antennen mit Ruderborsten 
an der innern Seite, das 2. Maxillenpaar mit einem Bran- 
chialanhang. Cypris Müll. 

Das dritte Glied der untern Antennen ohne Ruderborsten 
an der innern Seite, das 2. Maxillenpaar ohne Branchialan- 
hang. Candona Baird. 


Gattung: Notodromas Liljebore. 


Notodromas monachus. 


Cypris monacha, 0. F. Müller Entomostraca p. 60, tab. V fig. 6-8. 

— Monoculus monachus, Jurine Hist. d. Mon. p. 173, tab. XVIII, 

fig. 13—14. — Notodromas monachus Liljeborg, de Crustaceis p. 95 

tab. VIII fig. 1—15. 

Die Schale dieser Gattung ist hoch und breit, fast wiir- 
felförmig gebaut. Von der Seite angesehen ist der untere 
Rand fast gerade, nur da, wo er in den Vorderrand über- 
geht, ist ein rundlicher Vorsprung vorhanden. Am Ueber- 
gange in den hintern Rand sind 1 oder 2 nach hinten ge- 
richtete Zähne zu bemerken, die aber beim Männchen fehlen. 
Vorder- und Hinterrand sind abgerundet und der Rücken 
besonders in der hintern Hälfte gewölbt. Von oben ange- 
sehen erscheint die Schale fast eiförmig, nach vorn hin mehr 
verschmälert wie hinten, die Ränder zugeschärft, vorn und 
rückwärts kielartig vorragend. Bei der Ansicht von unten 
ist in der Mitte eine leichte Ausbuchtung bemerkbar und 
sind hier die Schalenränder zugleich stark ausgeschweift. Die 
Oberfläche bedeutend vorgewölbt, glatt, glänzend, an beiden 
Enden, sowie an der Unterseite mit einigen Härchen besetzt, 


sonst fast nackt. — Die Farbe ist veränderlich. Die Grund- 
farbe ist weisslich oder weisslichgelb mit grössern oder klei- 
nern dunkelschwarzen oder auch olivengrünen Flecken. Am 
häufigsten zieht sich vor dem Auge eine breitere oder schmä- 
lere schwarze oder dunkelgrüne Binde längs des ganzen vor- 
dern und untern Randes bis zum Hinterrande hin. Von 
oben angesehen findet sich fast immer in der Mitte ein ziem- 
lich grosser schwarzer oder dunkelgrüner Fleck vor, bisweilen 
ein grösserer dunkler Fleck auch am Hintertheile, der sich 
nach vorn mit der Randbinde in Verbindung setzt. Die 
Männchen besitzen immer eine dunklere Färbung. Vorder- 
und Hinterrand stets klar und durchsichtig, besonders der 
Vorderrand mit breitem, glashellem Saume versehen. 

Die obern Antennen sind ziemlich schmächtig, aus 7 
Gliedern zusammengesetzt; das 1. Glied dick und stark, gegen 
das Ende hin verschmächtigt, mit einer Borste am Vor- 
derrande nach oben; das 2. Glied kurz, ebenfalls mit einer 
Borste am obern Rande; das 3. Glied verlängert, eylindrisch, 
am Vorderende mit einer längern Borste nach oben und einer 
kürzern Borste nach unten; die 3 folgenden Glieder kurz, 
zusammen fast so lang wie das 3., das 4. und 5. am Vor- 
derende oben mit 2 langen Borsten, unten je mit einem dün- 
nen Borstchen, das 6. Glied mit 4 langen Borsten besetzt; 
das letzte Glied schmal, etwas länger wie das vorhergehende, 
am konisch verschmälerten Ende mit 3 Borsten, davon 2 
länger als die dritte. 

Die untern Antennen sind etwas kürzer aber stärker 
wie die obern, nach unten gerichtet und aus 6 Gliedern zu- 
sammengesetzt, die gegen das Ende hin an Dicke abnehmen. 
Ihr 1. Glied kurz und dick, das 2. etwas längere am Vor- 
derende des untern Randes mit einer langen Borste besetzt, 
eine kleine dünnere Borste am Vorderende des obern Ran- 
des; das 3. Glied ebenfalls ziemlich stark, etwas länger wie 
das vorhergehende, in der Mitte des untern Randes mit einer 
ziemlich starken, am Ende abgerundeten, fast. griffelförmigen 
Borste, eine andere lange spitze Borste findet sich am Vor- 


derende dieses Randes, an der Basis von 2 kleinen Borst- 
chen umgeben. An der Innenseite dieses Gliedes entspringen 
am Vorderende ober der schon erwähnten Borste noch 5 
lange gegen das Ende hin gefiederte Borsten und ragen bis 
zum Ende der Klauen des letzten Gliedes. Die folgenden 
Glieder sind beträchtlich schmäler. Das 4. Glied ist kürzer 
als das 3. und 5., nach vorn hin schief abgestutzt und hier 
mit 2 Börstchen sowohl an der obern als untern Seite be- 
setzt, das untere etwas länger. Das 5. Glied trägt am Ende 
des obern Randes 2 lange, klauenförmige und 2 kurze ein- 
fache Borsten, ebenso findet sich am Ende des verlängerten 
letzten Gliedes eine längere und eine kürzere etwas ge- 
krümmte Klaue, beide an der concaven Seite gegen die Spitze 
hin feingezähnt, überdiess an der Basis 3 kleinere einfache 
Börstchen. 

Die Oberlippe erscheint in der Mitte ausgebuchtet und 
an den seitlichen abgerundeten Läppchen fein bewimpert. Die 
Mandibel fast dreieckig, nach oben zugespitzt, nach unten 
verbreitert und am Kaurande mit 4—5 spitzen Zähnchen 
besetzt; der Palpus Agliedrig, das 1. Glied von mässiger 
Länge, an der Vorderseite mit 2 Fiederborsten, an der Hin- 
terseite mit einem vierlappigen Kiemenanhang; das 2. Glied 
kurz, an der Vorderseite mit 4 an der Basis etwas verdick- 
ten Fiederborsten, an der Hinterseite mit 2 einfachen langen 
Borsten; das 3. grössere Glied am Ende vorn mit einer 
grössern Borste, hinten mit 3 beisammenstehenden Borsten 
versehen, das 4. Glied schmal, konisch, am Ende mit 4 Ha- 
ckenborsten. 

Das 1. Paar der Maxillen ist in beiden Geschlechtern 
ganz gleich geformt, nach unten hin mit 4 am Rande mit 
kurzen, leicht gefiederten Hackenborsten besetzten Läppchen, 
wovon das letzte 2gliedrig ist. Die Läppchen nehmen von 
vorne nach hinten an Länge zu, an der Basis des 1. Läpp- 
chens stehen 2 lange Borsten, nach rückwärts ragt ein drei- 
eckiger, fiederlappiger Branchialanhang nach oben. — Am 
2. Maxillenpaar mangelt ein Branchialanhang und ist die Ge- 


el 


N iia 


stalt je nach dem Geschlechte verschieden. Beim Weibchen 
erscheint der Kieferast 2 gliedrig, nach unten hin verbreitert 
und am abgerundeten Rande des 2. Gliedes mit kurzen star- 
ken Hackenborsten besetzt, der nach hinten gerichtete Papal- 
anhang ist keulförmig, nach rückwärts zugespitzt, undeutlich 
gegliedert, an der Spitze mit 2 Börstchen versehen. Beim 
Männchen ist die Maxille der rechten Seite gewöhnlich grösser 
wie der linken. Sie ist aus 3 Gliedern zusammengesetzt, 
das 1. Glied kurz, das 2. länger und am Ende mit einer 
Reihe kurzer steifer Hackenbörstchen bewaffnet; das 3. Glied 
nach hinten gerichtet. Letzteres ist auf der rechten Seite 
länger und schmächtiger als auf der linken Seite, beiderseits 
mit einer spitzen Endklaue versehen, die gegen den untern 
Rand des vorhergehenden Gliedes eingeschlagen werden kann, 
wo sich auch gewöhnlich ein zahnartiger Vorsprung vorfindet. 
Die Endklaue der linken Maxille ist mehr gekrümmt wie 
jene der rechten Maxille. Von diesen 3 Gliedern dienen 
beim Männchen bloss die 2 ersten zum Kaugeschäft, während 
das Endglied mit der Klaue als Greiforgan zum Festhalten 
des Weibchens bei der Begattung benützt wird. 

Das 1. Fusspaar besteht aus 5 Gliedern, das letzte 
kurze Glied mit einer Klaue und zwei Borsten versehen, am 
vordern Rande vom 2. und 3. Gliede je 1 Borste. Beim 
Weibchen erscheint dieses Fusspaar gewöhnlich schmächtiger, 
die Endklaue kürzer als beim Männchen. — Das 2. Fuss- 
paar, in beiden Geschlechtern fast gleich gebildet, ist 4 gliedrig, 
das 2. und 3. Glied mit einer Borste am Ende, das 4. Glied 
mit einer Borste in der Mitte des untern Randes und 3 Bor- 
sten am Ende. — Die beiden Schwanzhälften erscheinen von 
der Seite angesehen von der Basis gegen die Spitze hin all- 
mählig verschmälert, gegen die Mitte hin nach hinten etwas 
vorgewölbt, an der Spitze mit 3 Borsten besetzt, wovon die 
hinterste die kleinste ist. Sie liegen gewöhnlich dicht neben 
einander, hängen ziemlich fest zusammen, sind jedoch nicht 
verwachsen, sondern lassen sich bei einigem Druck von ein- 
ander trennen. — 


Opie 


_Kérperlinge 1 Mm. 

Findet sich bei uns überall verbreitet, besonders in 
tiefern stehenden Gewässern, wo sie ziemlich lebhaft ge- 
wöhnlich mit dem Rücken nach unten gekehrt herumschwimmt. 
Sie wurde von mir beobachtet im Lanser Moor, in Seefeld, 
im Achensee bei Buchau, in Sterzing, Meran, Doblinosee. 


Gattung: Cypris, O. F. Müller. 
Uebersicht der Arten: 


A. Die Ruderborsten am Ende des 3. Gliedes der un- 
tern Antennen so lang wie die Endklauen oder länger. 


a) Die beiden Hälften des Schwanzes wohl entwickelt, 
verlängert, mit 4 Endborsten, wovon die beiden mittlern die 
längsten, stachelartig. 

cc) Die Schalen am Vorderende mit Zähnchen oder Höcker- 
chen bewehrt. 

Die Zähnchen an beiden Schalen sowohl am Vorder- 

als am Hinterrande vorhanden C. pubera Müll. 

Die Zähnchen oder Höckerchen bloss am Vorderrande 

der rechten Schale sichtbar C. fuscata Jur. 

ß) Die Schalen am Vorderende glatt. 

Die Schalen mit schmalem durchsichtigen Vordersaum 

versehen (braun, eiförmig) C. ovum Jur. 

Die Schalen mit breitem, durchsichtigen Vordersaum 
versehen. 

Schalen am Hinterende bloss in der untern Hälfte mit 

durchsichtigem Saum C punctata Jur. 

Schalen längs des ganzen Hinterrandes mit durchsich- 
tigen Saume 

Schale viel länger wie hoch, grün. 

C. fasciata Müll. 

Schale wenig länger, wie hoch, bräunlich. 

C. scutigera Fisch. 

b) Die beiden Hälften des Schwanzes dünn, kurz, mit 
einfacher gerader Endborste versehen. C. vidua Müll. 


B. Die Ruderborsten am Ende des 3. Gliedes der un- 
tern Antennen kurz, kaum die Mitte des 4. Gliedes er- 
reichend. C. ornata Müll. 


1. Cypris pubera. 


Cypris pubera, O. F. Müller: Entomostraca p. 56 tab. V fig. 1—5. — 
S. Fischer: Ueber das Genus Cypris p. 154, tab. VIII fig. 1—8; 
Liljeborg: de Crustaceis p, 108 tab. X fig. 1—5. — Monoculus 
ovatus, Jurine: Monocl. p. 170 tab. XVII fig. 5—6. 

Die Schale rundlich eiförmig, an der ganzen 
Oberfläche dicht behaart, am Vorder- und Hin- 
terrande mit Stachelzähnen besetzt, Bauchrand 
der Schale fast gerade, Vorder- und Hinterrand 
abgerundet, Rücken convex, die Seiten stark 
vorgewölbt. Die Schwanzhälften schlank, ge- 
rade, die beiden Endstachel schwach gesägt, 
der längere von halber Länge des Basalgliedes. 
Farbe grün oder bräunlichgrün. Länge 2), Mm. 


Von der Seite betrachtet erscheint die Schale eiförmig, 
bei ältern Individuen fast dreieckig, indem die stark gewölbte 
Rückenseite in der Mitte beinahe einen Winkel bildet, wäh- 
rend die untere Seite fast gerade erscheint. Vorder- und 
Hinterrand sind gleichmässig abgerundet, mit spitzen Zähnen 
besetzt. Am Vorderrande sind sie gewöhnlich zahlreicher, 
6—7, am Hinterrande nur 3—4, wovon die 2 untersten 
stärker-und länger. Auf diese eigenthümliche Bewaffnung 
des Schalenrandes wurde zuerst von Fischer aufmerksam ge- 
macht und durch sie lässt sich die Art ganz leicht von allen 
andern unterscheiden. Von oben angesehen erscheint die 
Schale oval, in der Mitte stark vorgewölbt, nach den Enden 
hin gleichmässig verschmiilert. An der Unterseite ist sie 
breit, gegen die Mitte hin concav vertieft, die Schalenränder 
einwärts gekrümmt. Die ganze Oberfläche der Schale ist 
mit zahlreichen langen Haaren bedeckt, die besonders am 
Rande stark vorragen. Die Farbe des Thieres variirt vom 
Hellgriinen bis zum Dunkelolivengrünen, ja fast Schwarzen, 


eu SA 


was von der eben oder kurz vorher stattgefundenen Häutung, 
vom Alter oder von anklebenden fremden Stoffen herrührt. 
Meistens kann man an der Seite der Schale 2 schräg von 
vorn nach hinten und von oben nach unten hinziehende 
Streifen unterscheiden, indem die darunter liegenden Eier- 
stöcke durchscheinen, daher jene Streifen zur Zeit der Reife 
auch meist eine röthliche Farbe annehmen. Das Auge ist 
schwarz, rundlich. 

Bei jüngern Individuen ist die Schale immer mehr läng- 
lich, lichter, zeigt häufig concentrisch verlaufende Zuwachs- 
streifen, oder bei beginnender Verdickung ein maschiges Netz- 
werk. Nach dieser verschiedenen Form der Schalen hat man 
eine ganze Reihe von Arten aufgestellt, die aber nichts an- 
deres sind als Entwicklungsformen von C. pubera. Als solche 
sind anzusehen: Monoculus striatus Iur., Cypris reticulata 
Zdd., ©. tessellata Fisch., Mon. unifasciatus Iur., C. strigata 
Müll., C. insignis Zdd., C. Westwoodii Bd., C. gibbosa Bd. 

Die obern Antennen sind 7 gliedrig, das 1. Glied dick, 
mit einer Borste am Ende des untern Randes und einer 
zweiten in der Mitte des obern Randes versehen; das 2. 
Glied kurz mit einer Borste am Ende des obern Randes, 
das 3. Glied das längste mit einer Borste am Vorderende 
des obern und untern Randes; die 4 folgenden Glieder neh- 
men allmählig an Länge ab, das 4., 5. und 6.Glied je mit 
4 Borsten am Vorderende, davon jene des obern Randes 
länger wie die am untern Rande stehenden, das letzte Glied 
ebenfalls mit einem Borstenbüschel an der Spitze, der eben- 
falls aus 2 längern und 2 kürzern Borsten besteht. 

Die untern Antennen sind 5 gliedrig, die einzelnen Glie- 
der stimmen in Form und Bewaffnung mit der vorhergehen- 
den Art im Wesentlichen überein, nur ist das letzte Glied 
bedeutend kürzer. Vom Ende des 4. und 5. Gliedes . ent- 
springen 2 längere, gegen die Spitze hin feingezähnte klauen- 
artige Borsten, dessgleichen vom Ende des 3. Gliedes 5 lange 
Ruderborsten, die bis ans Ende der genannten Klauen 
reichen. 


eile), een 


Die Mundtheile besitzen einen ähnlichen Bau wie bei 
N. monachus, nur findet sich auch am 2. Maxillenpaar ein 
deutlicher 5lappiger Kiemenanhang. 

Das 1. Fusspaar ist 5gliedrig; das 1. Glied ziemlich 
stark und dick, unbewehrt; das 2. Glied verlängert, am Ende 
des untern Randes mit einer Borste, das 3. Glied wieder 
kürzer wie das vorige und ebenfalls mit einer Borste am 
Vorderende, das 4. Glied fast von gleicher Länge wie das 
3., am Ende mit einer Borste, das letzte Glied sehr kurz 
mit 2 Stachelborsten an der Spitze, zwischen ihnen entspringt 
eine lange, stark gekrümmte, am concaven Rande fein ge- 
zähnelte Klaue. — Das 2. Fusspaar zeigt 4 Glieder, von 
denen das 3. am längsten erscheint, das 2. und 3. mit einer 
Borste am Ende, das 4. Glied mit einer Borste in der Mitte 
und 2 Borsten an der stumpfen Spitze. 

Die beiden Schwanzanhänge sind lang, schmal und fast 
gerade, am hintern Ende mit 2 spitzen gekrümmten End- 
klauen und 2 Börstchen, eines an der Basis der längern 
Endklaue, das andere vor der kürzern Endklaue am Rande. 

Ich fand diese Art bisher nur in Seefeld und Meran. 


2. Oypris fuscata. 

Monoculus fuscatus, Jurine: Monocl. p. 174, tab. XIX fig. 1—2. — 
Cypris fusca, Strauss, Memoir. du Mus. tom. VII pl. 1 f. 4—16 
Fischer: Das Genus Cypris p. 156, tab. VIII fig. I—-8. — C. in- 
congruens, Liljeborg: de Crustaceis p. 119, tab. IX fig. 6—7, tab, 
XI fig. 1—4, tab. XI fig. 6. — Monoculus conchaceus, Jurine: 
Monocl. p. 171, tab. XVII fig. 7—8. 

Körper von der Seite nierenförmig, Vorder- 
und Hinterrand abgerundet, der Rücken ziemlich 
convex, der Bauchrand in der Mitte sanft nach 
oben ausgeschweift. Die rechte Schale be- 
trächtlich kürzer wie die linke, erstere am Vor- 
derrande mit rundlichen höckerartigen Erhaben- 
heiten besetzt, letztere mit einfachem breiten 
glashellen Saum versehen. Rand und Oberfläche 
behaart. Die Schwanzhälften schlank, gerade, 


u RONAN 


ziemlich lang. Farbe gelblich, gelblichroth, 
braun oder grünlich. Länge 1.5 Mm. 


Zu dieser Art dürften als jüngere Entwicklungszustände 
auch gerechnet werden: Monoculus ruber, M. aurantius, M. 
bistrigatus und M. ophthalmicus Jur. — Sie charakterisirt 
sich hauptsächlich durch die ungleiche Länge der Schalen 
und durch die Anwesenheit von körnerartigen oder höcker- 
artigen Erhabenheiten am Vorderrande der kürzern rechten 
Schale. Uebrigens zeigen sich ähnliche kleinere Erhabenheiten 
auch bisweilen am hintern Rande der Schale zwischen dem 
Ursprunge der Haare. DBei ausgewachsenen Exemplaren 
erscheint die Schale von der Seite vorn immer niederer 
wie hinten, ihre Höhe beträgt *4 ihrer Länge. Von oben 
betrachtet ist sie eiförmig, nach vorn ziemlich verschmälert, 
hinten breiter. An der untern Seite sind die Schalenränder 
gegen die Mitte hin ziemlich einwärts gekrümmt. Die Farbe 
der Schale ist veränderlich, bei jiingern Thieren meist lichter, 
bei ältern dünkler. Am häufigsten ist die Färbung braun 
mit Uebergängen in’s Gelbliche oder Rothe. Auf dem Rücken 
hinter dem Auge findet sich gewöhnlich ein dunklerer Fleck, 
von welchem an der Seite ein röthlicher Streifen nach hinten 
und unten zieht. 

Die obern Antennen verhalten sich ganz wie bei der 
vorigen Art. An den untern Antennen sind die 5 Ruder- 
borsten am Ende des 3. Gliedes deutlich gefiedert und rei- 
chen bis an’s Ende der Klauen. Das 1. Fusspaar ist mit 
einer langen, gegen die Spitze hin stark gekrümmten, am 
concaven Rande fein stachelzähnigen Klaue am Ende ver- 
sehen. Die Endklaue des letzten Fusspaars ist kurz. 


Die Schwanzanhänge sind schlank, gerade, an der Spitze 
mit einer längern stachelartigen und einer kürzern Borste, 
und 2 andern Borsten am Ende des hintern Bandes be- 
wafinet. 

Ist die gemeinste Art bei uns in Tirol, findet sich so- 
wohl in fliessendem klaren Wasser als auch in Tümpeln, 


er 


Lachen mit stehendem Wasser, wo faulende Pflanzenstoffe 
vorhanden sind. Wurde an verschiedenen Orten in Nord- 
und Südtirol, im Thal und im Gebirg, bis zu 6000’ Höhe 
(z. B. in Kühthei) beobachtet. 


3. Cypris scutigera. 
Fischer: das Genus Cypris p. 163, tab. XI fig. 3—5. 


Körper in seitlicher Lage eiförmig, Vorder- 
und Hinterrand abgeruudet, der Rücken convex, 
der Bauchrand fast gerade, breit. Die rechte 
Schale ist etwas kürzer wie die linke, ohne Hö- 
ckerbesatz am Rande Rand und Oberfläche 
ziemlich behaart. Die Schwanzanhänge dünn, 
lang. Die Farbe gelblichbraun, oft gefleckt. 
Länge 1.4 Mm. 


Zenker hält diese Art identisch mit C. Joanna Baird !) 
doch ist es bei der kurzen Beschreibung und unvollkommenen 
Abbildung des letzteren wohl nicht möglich sich darüber ein 
sicheres Urtheil zu bilden. Sie hat einige Aehnlichkeit mit 
C. fuscata, doch unterscheidet sie sich von ihr leicht durch 
die seitlich mehr gewölbte Schale, durch die glatte Beschaf- 
fenheit des Randes, durch die breite Unterseite. Wegen der 
starken Wölbung der Seiten lässt sich das Thier nur schwer 
in eine seitliche Lage bringen. Der Vordertheil ist etwas 
niederer als der Hintertheil der Schale, die grösste Höhe 
fällt beiläufig in die Mitte der Schale und beträgt fast die 
Hälfte der Länge. Von oben angesehen ist das Thier eben- 
falls eiförmig, nach vorne zugespitzt, die Seiten stark convex, 
besonders nach hinten, der Hinterrand abgerundet. Von 
unten betrachtet erscheint die Schale breit, die Ränder stark 
einwärts gekrümmt, in der Mitte lappig vorspringend. Die 
rechte Schale ist nach vorne hin etwas kürzer wie die linke. 
Die Farbe der Schale ist weisslich oder grünlichgelb oder 
bräunlich mit unregelmässigen weisslichen oder weislichgrauen 


1) Baird, British Entomostraca p. 155 tab XVIII fig. 5. 
Naturw.-med. Verein. 9 


He gene} Ce Bi 


wolkigen Flecken versehen, übrigens ziemlich durchsichtig. 
Das Auge ist schwarz, viereckig. Die Schalenoberfläche ist 
glatt und glänzend, jedoch mit langen Haaren, die auf kleinen 
rundlichen Höckern entspringen, besetzt; die Haare sind be- 
sonders am Vorder- und Hinterrande verlängert, am Bauch- 
rande aber kürzer. Am Rande der linken Schale findet 
sich vorn und hinten ein ziemlich breiter heller Saum, an 
der rechten ist er schmäler. Die Muskeleindrücke sind 
länglich. 

Die beiden Schwanzhälften lang und dünn, leicht ge- 
krümmt, mit 2 Endkrallen, die gegen die Spitze hin gezäh- 
nelt sind, eine kleine Borste au der Basis derselben nach 
vorn, eine andere kleine etwas abgerückt am hintern Rande. 

Einzeln im Giesseu bei Innsbruck und in Gräben bei 
Innsbruck gefunden. 


4. Cypris punctata. 


Monoculus punctatus, Jurine: Monoel. p. 175, pl. XIX f. 3—4. — 
Cypris punctata, Zenker: Krebsthiere 8. 77 Taf. IIT A. — C. com- 
pressa, Baird: Brit. Entom. p. 154, tab. XIX fig. 14. — C. ele- 
gantula, Fischer: das Genus Cypris S. 161, Taf. X fig, 12—14. 


Schalen von der Seite eiförmig, vorne nie- 
driger wie hinten, Vorder- und Hinterrand ab- 
gerundet, unterer Rand fast gerade. Die linke 
Schale vorn mit breitem glashellem Saume, hin- 
ten nur in der untern Hälfte des Randes mit 
schmalem Saume vorragend. Behaarung mässig. 
Die beiden Schwanzhälften dünn, ziemlich ge- 
rade. Färbung gelblichgrün mit dunklernFlecken. 
Länge 0.6—0.8 Mm. - 


Ein hervorragendes Merkmal dieser Art ist, dass die 
etwas längere linke Schale in der untern Hälfte des Hinter- 
randes mit schmalem Saume vorspringt. Bei der Ansicht 
von oben erscheint die Schale länglich eiförmig, nach vorne 
hin stark verschmälert, seitlich mässig vorgewölbt, nach hin- 
ten abgerundet. Die Oberfläche ist ziemlich glatt, mit kurzen 


ge 


Börstchen sparsam besetzt, nur an dea Rändern finden sich 
etwas längere Börstchen vor. Die Farbe ist gelblichgrün 
oder bräunlich mit dunklern braunen Flecken besäet. Das 
Auge ist schwarz, ziemlich breit. Die Gliedmassen sind 
schlank und beweglich, die Ruderborsten an beiden Antennen - 
von grosser Länge, die Thiere können sehr fertig schwimmen 
und auch hurtig am Boden laufen. 

Von der vorhergehenden Art lässt sie sich leicht unter- 
scheiden dnrch geringere Körpergrösse, durch schmälere Un- 
terseite nnd weniger gewölbte Seitenflächen. 

Fundort: Lanser Moor. 


5. Cypris ovum. 

Monoculus ovum, Jurine: Monocl. p. 179 tab. XIX fig. 18—19. — 
Cypris ovum, Liljeborg: de Crust. p. 143 tab. X fig. 13—15; 
Zenker: Krebsthiere S. 79 Taf. II B. — C. vulgaris, Zaddach, 
Synopsis Crust. p. 35. — C. minuta, Baird: Brit. Entom. p. 155 
tab. XVII fig. 7—8. — C. pantherina, Fischer: Das Gen. Cypris, 
p. 163, tab. XI fig. 6—8. 


Schale seitlich stark vorgewölbt, vorn et- 
was niedriger als rückwärts, der obere Rand 
gleichmässig gekrümmt, von oben angesehen 
vollkommen eirund, vorn etwas schmäler wie 
hinten, die Ränder der Schalen mit schmalem 
lichten Saume versehen, Oberfläche ziemlich 
behaart. Die beiden Schwanzhälften dünn, ge- 
rade. Farbe braun. Länge 0.6 Mm. 


Die grösste Höhe und Breite der Schale fällt beiläufig 
in die Mitte, die Unterseite erscheint ebenfalls ziemlich breit, 
indem die Ränder stark einwärts gekrümmt sind. Das Auge 
ist gross viereckig, schwarz. Die Gliedmassen sind kurz, 
aber kräftig und langbehaart. Die Oberfläche ist hellbräun- 
lich oder röthlichbraun und oft mit einer Menge dunkler, 
rundlicher Flecken besäet. 

Sehr häufig in stehenden Gewässern, wo sie sich munter 
herumtreibt. Von mir beobachtet in Lans, Giessen, Seefeld, 


Achensee, Sterzing, Meran. 
9% 


Zone 


6. Cypris vidua. 
O. F. Müller: Entomostraca p. 55 tab. IV fig. 7—9; Jurine: Monocl. 
p- 175 tab. XIX fig. 5—6; Fischer: Das G. Cypris p. 162 tab. XI 

fig. 1—2; Liljeborg: de Crust. p. 111 tab. X fig. 1O—12. — C. 

hirsuta, Fischer 1. c. p. 159 tab. X fig. 6—8. — C. affinis, idem 

l. c. p. 160 tab. X fig. 9—11. 

Schale von oben angesehen eiförmig, beider- 
seits stark vorgewölbt, vorn mässig verschmä- 
lert, hinten breit abgerundet, Bauchrand ziem- 
lich gerade und flach, am Vorderrande der rech- 
ten Schale zwischen dem Ursprunge der Borsten 
mit kleinen körnerartigen Erhabenheiten, Ober- 
fläche und Ränder stark behaart. Die beiden 
Schwanzhälften dünn, kurz, mit einfacher ge- 
rader Endborste. Farbe grünlich mit dunklen 
Querbinden. Länge 0.3 Mm. 


Diese kleine Art ist der vorigen sehr verwandt, lässt 
sich jedoch durch mehrere wesentliche Merkmale leicht von 
ihr unterscheiden. Von den beiden nach Aussen stark vor- 
gewölbten Schalen ist die rechte nach vorn hin etwas kürzer 
wie die linke, letztere mit einfachem glashellem Saume am 
Vorderrande, erstere mit kleinen körnerartigen Erhabenheiten 
zwischen dem Ursprunge der Borsten daselbst versehen. An 
der Bauchseite ist die Schale ziemlich breit, indem die Rän- 
der stark einwärts gekrümmt sind. Die ganze Oberfläche 
ist mit kurzen steifen Börstchen dicht besetzt , die an den 
Rändern eine grössere Länge erreichen, übrigens häufig punc- 
tirt oder netzförmig. Das Auge ist gross, viereckig, schwarz. 
Die Färbung ist sehr verschieden, selten ganz einfärbig, 
grünlich oder grünlichgelb, meist mit einer oder mehreren 
dunklen Querbinden versehen. Die beiden Schwanzhälften 
sind im Vergleiche mit andern Arten sehr rudimentär ent- 
wickelt, kurz, gerade, gegen das Ende hin verjüngt, mit 
einem kleinen Börstchen vor der Spitze und einer geraden 
Endborste, die fast eben so lang ist wie das Basalglied. 

Nicht selten in stehenden Gewässern zwischen Wasser- 


AOI. ee 


pflanzen. Ich fand sie im Lanser Moor, in Seefeld und 
Sterzing. 


7: Cypris fasciata. 
C. fasciata, Müller: Entom. p. 53 tab. IV fig. 1—3; Fischer: Das G. 
Cypris p. 151 tab. V fig. 9-19. — C. clavata, Brit. Entom. p. 
157 tab. XVIII fig. 4; Liljeborg: De Crustaceis p. 121 tab. XI 
fig. 5—7. — C. tristriata, Baird 1. c. p. 152 tab. XVIII fig. 1—3. 
— C. drcemedarius, S. Fischer 1. c. p. 153 tab. VII fig. 5—9. 
Körper von der Seite angesehen viel länger 
wie hoch, einem Gerstenkorn Ähnlich, vorne und 
hinten abgerundet, oben wenig gekrümmt, unten 
fast gerade. Die Schalen auf der Oberfläche mit 
einzelnen, am Rande mit zahlreichern Haaren 
besetzt, der Vordersaum glashell, durchsichtig 
Die beiden Schwanzhälften schmal, lang, gerade. 
Die Färbung grün. Länge 2 Mm. 


Diese Art ist dadurch ausgezeichnet, dass ihre Schale viel 
länger und niedriger erscheint wie bei den übrigen Arten, 
so dass die Höhe höchstens nur ein Drittel des Länge be- 
trägt. Vorder- und Hintertheil sind fast gleich hoch, der 
Vorderrand stumpfer wie der hintere, der Rücken ist wenig 
gewölbt, der untere Rand fast gerade, nur in seinem vordern 
Drittheil etwas nach oben ausgeschweift, die grösste Höhe 
fällt etwas hinter das Auge. Von oben angesehen ist die 
Schale länglichoval, ziemlich compress, vorn und hinten ver- 
schmälert. Die linke Schale etwas kürzer wie die rechte. 
Die Farbe der Schale ist lichtgrün, gewöhnlich mit 2 dunk- 
lern divergirenden Flecken, einem vor- und einem hinter der 
Mitte. Hinter und etwas unter dem Auge findet sich auch 
manchmal ein gelblicher oder röthlicher Fleck. — Die Ru- 
derborsten an den untern Antennen reichen bis ans Ende 
der Klauen. Die beiden Schwanzhälften sind nur an ihrer 
Basis etwas angeschwollen, sonst in ihrer ganzen Ausdehnung 
ziemlich schlank und gerade, am Ende mit 2 starken, etwas 
gekrümmten Krallen, die vordere fast noch einmal so lang 


wie die hintere, beide am concaven Rande mit spitzen Zähn- 
chen besetzt, überdiess eine kürzere Borste an der Basis der 
längeen und kürzern Endkralle. 

Ziemlich häufig im Lanser Moor. 


Cypris ornata. 

C. ornata, Müller: Entom. p. 51, tab. II fig. 4—6; Jurine: Monocl. 
p- 170 tab. XVII fig. 1—4. — €. Jurinei, Zaddach: Synops. Crust. 
pruss. p. 36; S. Fischer: G. Cypris p. 152, tab. VI fig. 3—9; tab. 
VII fig. 1—4; Liljeborg: De Crust. p. 125 tab. XI fig. 2426. 
— C, reptans, Baird: Brit. Entom. p. 160 tab. XIX fig. 3. — C. 
tristriata, Baird 1. c. p. 152 tab. XVIII fig. 1—3. — Monoculus 
virens, Jurine l. c. p. 174 tab. XVIII fig. 15. 16. — M. villosus 
Jurine 1. c. p. 178 tab: 19 fig. 14. 15. 

Schale in der Seitenlage nierenförmig, vorn 
und hinten gleich hoch, breit abgerundet, oberer 
Rand wenig gewölbt, unterer Rand etwas vor 
der Mitte ausgebuchtet, die Ränder mit längern 
Haaren besetzt, die Oberfläche mehr glatt. Die 
Ruderborsten am 2. Antennenpaar sehr kurz. Die 
beiden Schwanzhälften lang, gerade, am hintern 
Rande von der Mitte an feingezähnt. Farbe grün 
oder .gelblichgrün mit dunklern Binden. Länge 
1,5 Mm. 


Diese ziemlich grosse und meist schön gefärbte Art 
unterscheidet sich von allen übrigen durch die Form der Ru- 
derborsten am 2. Antennnenpaar, welche äusserst verkürzt 
sind, so dass sie nicht einmal die Mitte des 4. Gliedes er- 
reichen. Diese Kürze der Ruderborsten verursacht auch die 
Unfähigkeit zum Schwimmen, sie kann sich nur kriechend 
vorwärtsbewegen. Die grösste Länge des Körpers beträgt 
1.3 Mm., die grösste Höhe 0.8 Mm. Bei der Ansicht von 
oben erscheint der Körper länglich oval, seitlich ziemlich 
compress, nach vorn hin etwas mehr verschmälert wie rück- 
wärts. 

Das Auge ist schwarz, ziemlich breit. Die Oberfläche 
der Schale glatt, äusserst sparsam behaart. Die Endklaue 


Ns BECP Ye ti 


des 1. Fusspaares ist lang, dünn, gebogen, an der Innenseite 
bis gegen die Spitze hin feingezähnelt. Die dünnen, langen 
- Schwanzanhänge charakterisiren sich dadurch, dass sie am 
hintern Rande von der Mitte bis gegen die Spitze mit spitzen 
Zähnchen besetzt sind. An ihrem Ende tragen sie 2 ge- 
krümmte Klauen und 2 Börstchen; die hintere Klaue fast 
um die Hälfte kürzer wie die vordere, beide am concaven 
Rande mit Stachelzähnchen bewehrt. 

Die Färbung variirt bedeutend; bald ist sie lichtgrün 
mit dunklern grünen Binden am obern Rande und längs den 
Seiten (Monoculus virens Iur.) oder gelblichgrün mit dunkel- 
grünen oder röthlichen Zeichnungen hinter dem Auge (M. or- 
natus Iur.), die sich vom Rücken gegen die Seiten hinziehen. 
Eine Verschiedenheit zwischen C. ornata Müll. und M. 
ornatus Tur. kann ich nicht zugeben, dagegen scheint die von 
Fischer (l. c. p. 157 tab. IX fig. 7—10) unter diesem Na- 
men beschriebene Form nicht hieher zu gehören, die vielleicht 
eher, nach der Beschaffenheit des Vorderrandes der Schale 
zu urtheilen, eine Entwicklungsform von C. pubera bildet, 
wiewohl die glatte Oberfläche derselben wieder nicht dafür 
spricht. 

Ich fand die Art ziemlich häufig in Gräben und Lachen 
bei Meran. 


Gattung: Candona, Baird. 
Uebersicht der Arten: 


Schale grün, Schwanzanhänge kurz, mit einfacher langer 


Endborste. C. brachyura Hr. 
Schale weiss, Schwanzanhänge verlängert, mit 2 klauen- 
förmigen Endborsten. C. candida Müll, 


Candona brachyura nov. sp. 
Taf. I, Fig. 1—8. 
Körper von der Seite nierenförmig, noch ein- 
mal so lang als hoch, Vorder- und Hinterrand 


Bes Qe eee 


abgerundet, Oberseite gewölbt, Bauchrand ge- 
rade, in der Mitte leicht ausgeschweift. Rand 
und Oberfläche der Schale mit Börstchen be- 
setzt. Das 2. Antennenpaar ohne Ruderborsten. 
Die beiden Schwanzhälften kurz, dünn, mit ein- 
facher langer Endborste Farbe grün. Länge 
0.7 Mm. 


Die Schale dieser Art erscheint bei der Betrachtung 
von oben ziemlich compress, nach vorn und hinten ver- 
schmächtigt, die rechte Sahale etwas kürzer wie die linke, 
in der seitlichen Lage nach vorn hin etwas stumpfer wie 
rückwärts, die grösste Höhe unmittelbar hinter dem Auge. 
Vorder- und Hinterrand mit lichtem breiten Saume versehen. 

Die obern Antennen von mässiger Länge, 7 gliedrig, die 
3 letzten Glieder mit langen Borsten besetzt. Die untern 
Antennen ziemlich stark, fussförmig, im Allgemeinen wie bei 
übrigen Cyprisarten gebaut, nur mangeln gänzlich die 5 Ru- 
derborsten am Ende des 3. Gliedes. — Das 2. Maxillenpaar 
ohne Branchialanhang. Das letzte Glied am 1. Fusspaar 
lang, gekrümmt, klauenformig, am innern Rande feingezähnt. 
Die Schwanzanhänge zeigen wie bei C. vidua eine geringe 
Entwicklung. Sie bestehen aus einem kurzen mit einem klei- 
nen Börstchen am Rande besetzten Basalgliede, welchem ein 
langes, gerades, nur gegen die Spitze hin leicht gekrümmtes 
stachelförmiges Endglied folgt. Färbung grün mit dunkler 
vom Auge schief abwärts ziehender Binde. 

In kleinen Tümpeln mit schlammigem Grunde oberhalb 
der Arzler Alpe bei Innsbruck in einer Höhe von 4500’ ge- 
funden. 


Candona candida. 


Cypris candida, Müller: Entom. p. 62 tab. VI fig. 7—9; Jurino: Mo- 
nocl. p. 176 tab. XIX fig. 7—8. — Candona candida, Liljeborg, de 
Crust. p. 127 tab. XI fig. 18, 20. — Candona lucens, Baird: Brit. 
Ent. p. 160 tab. XIX fig. 1. — Cypris detecta, Müller 1. c. p. 49 
tab. II fig. 1—3. — C. compressa Koch, Deutschlands Crustaceen 
h. 21 tab. 17. — C. fabaeformis, Fischer: G. Cypris p. 148 tab. 


Bade Ober 


III fig. 6—16. —.C. pellucida, idem 1. c. p. 149 tab. V fig. 1— 
4. — C. acuminata, idem 1. c. p. 148 tab. IV fig. 12—16; Zen- 
ker: Krebsthiere p. 74 tab. II D. — C. pigra, Fischer 1. c. p. 158 
tab, IX fig. 11—16.) 


Schale von der Seite länglich, nierenförmig, 
der Vordertheil etwas niedriger als der Hinter- 
theil, am Rücken wenig gewölbt, der untereRand 
ziemlich stark nach oben ausgeschweift, der vor- 
dere und hintere abgerundet, letzterer auch bis- 
weilen nach unten eckig vorspringend. Ober- 
fläche fast glatt, an den Rändern mit längeren 
Haaren besetzt. Vorder- und Hinterrand der 
linken Schale mit hellem Saume. Dieuntern An- 
tennen ohne Ruderborsten. Die beiden Schwanz- 
hälften gerade oder leicht gekrümmt, mit 2 End- 
klauen und einem etwas abgerückten Börstchen 
am hintern Rande. Farbe weiss, oft perlmutter- 
glänzend. Länge 1—1.5 Mm. | 


Diese Art zeigt mannigfache Abänderungen in ihrer 
äussern Form, die oft ziemlich auffallend sind. Wie schon 
Zenker nachgewiesen hat, hängen diese zum Theil mit dem 
Geschlechte zusammen. So ist bei den Weibchen der Hin- 
terrand der Schale gewöhnlich nach unten in einen stumpfen 
eckigen Fortsatz ausgezogen, während bei den Männchen der 
Hinterrand mehr abgerundet erscheint. Von oben angesehen 
erscheint die Schale ziemlich compress und namentlich nach 
vorn hin stark verschmälert, die linke Schale gewöhnlich 
länger wie die rechte, erstere vorn und hinten mit hellem 
Saume versehen. Die Oberfläche der Schale ist mit wenigen 
Haaren bedeckt, am Vorder- und Hinterrande sind sie zahl- 
reicher. 

Die obern Antennen sind schlank und dünn, die letzten 
3 Glieder nach vorn und unten mit langen Borsten besetzt. 
Die untern kräftigen aus 5 Gliedern zusammengesetzten An- 
tennen besitzen keine Ruderborsten am 3. Gliede, daher die 


Thiere auch nicht schwimmen kénnen, sondern langsam her- 
umkriechen. 

Die Mundtheile sind von gewöhnlicher Form, nur man- 
gelt an dem 2. Maxillenpaare ein Branchialanhang. 

Am Hinterleibe bemerkt man oft, besonders beim Weib- 
chen beiderseits einen dreieckigen nach hinten und unten vor- 
springenden Fortsatz, zwischen welchen dann gewöhnlich der 
Schwanz nach unten eingeschlagen wird. Manchmal ist die- 
ser Fortsatz mehr abgerundet, kurz, kann aber auch ganz 
fehlen. Auch die beiden Schwanzhälften verhalten sich ver- 
schieden, sie sind entweder nach ihrer Länge leicht gekrümmt 
oder mehr gerade, am Ende stets mit 2 stachelartigen Klauen, 
die an ihrem concaven Rande fein gezahnt sind und etwas 
entfernt von ihnen am Hinterrande noch ein kleines Börstchen. 

Findet sich ziemlich häufig im Schlamme stehender oder 
langsam fliessender Gewässer, wo sie zwischen abgestorbenen 
Blättern und Zweigen herumkriecht. 

Fundort: Im Giessen bei Innsbruck, in Seefeld, in Ster- 
zing, Meran. 


Erklärung der Abbildungen. 
Tafel 1. 


Fig. 1. Cyclops Clausii, Weibchen von der Rückenseite. 
2 5 > Hinterleib von der Unterseite. 
NICH „ Gredleri, Weibchen von der Rückenseite. 
SUN en mR Vordertheil des Männchen. 

Tafel IT. 

Fig. 1. Candona brachyura, von der Seite. 

„AZ: is von oben gesehen. 

ler 5 N vorderer Schalenrand. 

coy ofa N cn obere Antennen. 

ay tis és 3 untere % 

10° A, ” 1. Fuss. 

Le eu x Schwanzanhinge von der Seite. 

8. 


° ” „ ” » Fläche. 


Nove plantarum species 
in Himalaje montibus a cl. Jeschke collecte. 


Auctore 


A. Kerner. 


1. Primula Jeschkeana 


foliis vernatione revolutivis tenuibus laevigatis, subtus fa- 
riniferis, oblongis vel oblongo-ovatis, obtusiusculis, mar- 
gine repando-crenulatis, versus basin membranaceam va- 
ginantem sensim sensimque attenuatis, scapo elato, foliis 
duplo triplove longiore infra umbellam farinaceo, bracteis 
exauriculatis, ex ovata basi longe attenuatis acutis , pedi- 
cellis farinaceis bracteis duplo longioribus, floribus 5—1 2, 
speciosis umbellatis erectis viv nutantibus, inodoris, calyce 
fere ad basin usque quinquepartito, segmentis lineari-lan- 
ceolatis acutis, intus farinaceis, corollae tubum dimidium 
wx superantibus, corollae hypocraterimorphae saturate vio- 
laceo-purpureae limbo empanso, segmentis orbiculato-ovatis 
integris. U.. 


Habitat in montibus Himalajae in ditione Lahul, locis soli non 
expositis praecipue in declivitatibus septentrionalibus alt. 13,000 ped. 
s. m. solo schistoso. 


Ex sectione Aleuritia. — Distinctissima. — Corollae 
lacinüs integris cum nostra supra descripta specie ew sec- 


SMM ooh 


tione Aleuritia Schott*) solum P. nivalis Pall., P. pur- 
purea Royle, P. Stuartii Wall. et P. fimbriata Wall. 
conveniunt. Differt autem P. nivalis Pall. foliis argute 
et conferte denticulatis, calyce ad medium usque fisso et 
floribus minoribus; P. purpurea Royle foliis lanceolatis 
et calycis campanulato-tubulosi via 5-fidi dentibus obtusis ; 
P. Stuarti Wall. foliis late lanceolatis acutis argute ser- 
ratis, caule bipedali et floribus luteis; P. fimbriata Wall. 
foliis lineari-lanceolatis acutis crenatis et calyce non 
ultra medium fisso. — Structura foliorum P. Jaeschkeana 
maxime cum P. longiflora All. et affinibus convenit. Dif- 
ferunt autem: P. longiflora All., P. farinosa L., P. sco- 
tica Hook., P. lepida Duby, P. stricta Hornem., P. ca- 
pitellata Boiss., P. altaica Lehm., P. davurica Spreng., 
P. algida Adams, P. auriculata Lam. et P. pycnorhiza 
Ledeb. bracteis basi auriculatis, calyce non ultra medium 
‚fisso et corollae laciniis obcordatis emarginato-bifidis. — 
P. borealis Duby et affines foliis spathulatis vel cuneifor- 
mibus carnosulis et corollae lacinüs bifidis discrepant. — 
P. elliptica Royle, P. involucrata Wall. et P. sibirica 
Jacq. habitu longe alieno, foliorum lamina elliptica vel 
suborbiculata, longe petiolata, bracteis basi apendiculatis et 
corollae laciniis emarginato -bifidis diversissimae. — P. 
denticulata Sm. et affines primo intuitu foliis rugulosis 
distinctae. 


Wurzelstock abgebissen, 1.5 Centim. dick, sehr kurz, 
mit dicken weisslichen, fleischigen, gebiischelten Fasern be- 
setzt. Blatter grundständig, sich mit ihrer Basis scheidig 
deckend, alle aufrecht oder aus anfrechter Basis abstehend; 
die zwei oder drei äussersten verkürzt, fast ganz häutig, sei- 
dig-glänzend, weisslich oder schmutzig-röthlich überlaufen, an 
der Spitze in ein krautiges längliches oder eiförmiges blatt- 
artiges Anhängsel übergehend. Die folgenden Blätter gegen 


*) Sectio naturalis Aleuritia Schott comprehendit Primulas ex sec- 
tione Alleuritia Duby et sect. Arthritica Duby in DC. Prod. VIII. 38. 


2,990 


das Centrum des Blattbüschels an Länge allmählich rasch 
zunehmend, 8—18 Centim. lang und 1.5—2.5 Centim. breit, 
die mittleren länglich-verkehrteiförmig, die innersten länglich, 
sehr allmählig gegen die breite häutige scheidig umschlies- 
sende Basis verschmälert; die Blattspreite dünn, weich, glatt, 
oberseits grün, unterseits mit weisslichem oder gelblich-weis- 
sen im Alter manchmal mehr weniger schwindenden mehl- 
artigem Staube bekleidet und von einem kräftigen vorsprin- 
genden Mittelnerv durchzogen; der Rand der krautigen Blatt- 
spreite in der Jugend zurückgerollt, geschweift-gekerbt oder 
geschweift-stumpfgezähnt. Schaft aufrecht, 20—23 Centim. 
hoch, beiläufig 3mm. dick, stielrund, durch eine ansehnliche 
5—12blütige Dolde abgeschlossen, unterhalb der Dolde et- 
was mehlig bestäubt. Die Deckblätter 8—12mm. lang, 
sitzend, aus eiförmiger 2—3mm. breiten Basis lineal—lanzett- 
lich vorgezogen, lang zugespitzt, grün oder trübviolett über- 
laufen, am Rande äusserst fein gewimpert, an der Basis ohne 
Aussackung, Oehrchen oder Anhängsel. Blüthenstiele aufrecht- 
abstehend, kaum nickend, 12— 24mm. Jang, doppelt so lang 
als die Deckblätter, mehr weniger dicht mehlig bestäubt, 
manchmal von dem mehligen Ueberzuge ganz weiss. Der 
Kelch beiläufig 1 Centim. lang, 0.5 Centim. breit, fast bis 
zur Basis in 5 aufrechte länglich-lanzettliche spitze, an den 
Comissuren und an der Innenfläche dicht mehlige, an der 
Aussenfläche grüne oder trübviolett überlaufene, @—8mm. 
lange und 2— 35mm. breite Abschnitte getheilt. Krone ge- 
ruchlos, einfarbig, gesättigt purpurn-violett, präsentirtellerför- 
mig; die Röhre 1/,—2 mal so lang als der Kelch, in der 
Mittelhöhe 5mm. weit, jene der gynodynamischen Blüthen 
12— 14mm. lang, fast gleichweit, jene der androdynamischen 
Blüthen 14— 15mm. lang, unter dem Ansatze der Antheren 
etwas verengert und dann plötzlich trichterförmig erweitert. 
Der Saum 19—22mm. im Durchmesser; die Zipfel des Sau- 
mes rundlich - eiförmig, ungetheilt, manchmal etwas gestutzt 
oder mit einer sehr seichten geschweiften kleinen Ausrandung, 
jene der gynodynamischen Blüthen 6—7mm., jene der andro- 


— 100 — 


dynamischen Blüthen 8mm. breit. Fruchtknoten kugelig-ei- 
formig, 4—5mm. Jang und breit, meist mehlig bestäubt. 
Griffel der gynodynamischen Blüthen 10mm., jener der an- 
drodynamischen Blüthen 4—5mm. Jang. Die Antheren der 
gynodynamischen Blüthen in der Mitte der Kelchröhre in der 
Höhe der Kelchspitzen eingefügt, 2mm. lang, jene der andro- 
dynamischen Blüthen oberhalb der Vereinigung der Kronröhre 
dicht unter dem Saum eingefügt, 3mm. lang. 


2. Swertia lahulensis 
caule erecto, multifloro, folits imis oblongis, obtusis, basin 
versus sensim attenuatis, caulinis oppositis oblongis, obtu- 
siusculis, sessilibus, basi non connatis, floribus erectis, pen- 
tameris, in cymam racemiformem terminalem digestis, ca- 
lycts segmentis corolla duplo brevioribus, lineari-lanceolatis, 
acuminatis, corollae impunctatae lacteo-lilacinae (pallide 
flavicantis cum tinctw coerulescenti) segmentis oblongis, ob- 
tusis, truncatis vel emarginatis, apice eroso-denticulatis, fo- 
veis binis orbiculatis, distantibus, margine longissime fim- 
briatis, stigmatis bilobi lobis orbiculatis. ¢.. 


In septentrionalibus montium lateribus Himalajae. Lahul; in monte 
Kardangensi versus cacumen, 14—15,000 ped. sup. mare, solo schistoso. 


Ex afjinibus Sw. perennis L. folüs inferioribus el- 
lipticis in petiolum contractis, corollae laciniis lanceolatis 
acutiusculis triste violaceis et atro-violaceo-punctatis et fim- 
brits fovearum brevioribus; Sw. punctata Baumg. et Sw. 
stigmantha C. Koch folits inferioribus ellipticis vel oblongis 
in petiolum paene aequilongum subito contractis, corollae 
laciniis violaceo-pnnetatis et foveis oblongis; Sw. connata 
Fisch. et. Mey. foliis caulinis omnibus basi longe connatis 
corollae segmentis punctatis et stigmate tenut; Sw. petio- 
lata Royle foliis petiolatis spathulato - oblongis, caulinis 
connato-vaginantibus; Sw. coerulea Royle caule flexuoso, 


— 101 — 


foliis caulinis lanceolatis acutis, basi connatis, corollae seg- 
mentis elliptico-lanceolatis acutiusculis et foveis linearibus ; 
Sw. Hugelii Griseb. et Sw. cuneata Wall. calycis segmentis 
obtusis et foveis oblongo-linearibus; Sw. longifolia Boiss. 
folits lineari-spathulatis, corollae segmentis elliptico - lan- 
ceolatis acutis, foveis in unicam rotundato-cordatam coalitis 
et stigmate tenw; Sw. persica Griseb. (Sw. Aucheri Boiss.) 
et Sw. lactea Bunge floribus tetrameris et foveis solitarits ; 
Sw. alternifolia Royle foliis acutiusculis, caulinis ampleai- 
cauli-vaginantibus, floribus cernuis et foveis contiguis dif- 
Jerunt. 

Rhizom dick, schief aufsteigend. Stengel steif, aufrecht, 
20—25 Centim. hoch, schwach vierkantig, an der Basis von 
4—6 grundständigen Blättern umgeben, in der Mittelhöhe 
nackt oder mit einem Blattpaare besetzt, oben durch eine 
traubenförmige cymatische Inflorescenz abgeschlossen. Die 
grundständigen Blätter, sowie die ganze Pflanze kahl, läng- 
lich, stumpf oder stumpflich, ganz allmählig gegen die Basis 
verschmälert, von Din gleichen Abständen verlaufenden Längs- 
nerven durchzogen, 8—13 Centim. lang, in der Mitte und 
im obern Drittel 15—20mm., an der schmalen Basis 3—5mm. 
breit. Stengelständige Blätter 4—6 Centim. lang, 6— 10mm. 
breit, gegenständig, länglich, gegen die Basis etwas verschmä- 
lert. Blüthenstand 7—12 Centim. lang, aus traubenförmig | 
angeordneten 3—OD blüthigen aufrechten Cymen zusammenge- 
setzt; die unteren Cymen lang- die obern kurz-gestielt, 
die Stiele beiläufig so lang als die sie stützenden Deckblät- 
ter. Die Blüthen gestielt, aufrecht. Kelch 5theilig. Ab- 
schnitte desselben ”— Sum. lang, 2mm. breit, lineal-lanzett- 
lich, zugespitzt, dreinervig, grün, mit einem blassen weiss- 
lichen fast häutigen schmalen Rande eingesäumt. Blumen- 
krone fünftheilig, unpunktirt, weisslich, an der Aussenseite 
stahlblau überlaufen, im getrockneten Zustande seidenartig 
glänzend, strohgelb oder gelblichweiss mit bläulichem Anflug. 
Die Abschnitte der Blumenkrone von 5—7 zarten Längs- 
nerven durchzogen, 14—-15mm. lang, 4—5mm. breit, läng- 


— 102 — 


lich oder länglich-lineal, fast gleichbreit, an dem gerundet- 
stumpfen abgestutzten oder ausgerandeten Ende mehr we- 
niger ausgebissen gezähnelt. Honiggruben ober der Basis 
jedes Kronabschnittes zwei, getrennt, von den seitlichen Rän- 
dern und der Mittellinie des Kronabschnittes gleichweit ent- 
fernt, kreisrund, nahezu 1™m. im Durchmesser mit weissen 
bis zu 2mm. Jangen Fransen ringsum besetzt. Staubfäden 
fünf, blass grünlich-gelb, lineal, 9mm. lang. Antheren blau- 
schwarz 3—Qmm. breit. Fruchtknoten zur Zeit der vollen 
Blüthe 7mm. Jang. 


3. Ophelia Wilfordii 

caule erecto, tetragono, glabro, dense foliato, supra medium 
ramoso, ramulis erectis, brevibus, 3—5 floris, folüs oppo- 
sitis, glabris, infimis obovatis rotundato-obtusis, in petiolum 
contractis, mediis et superioribus ovato-lanceolatis, acutius- 
culis, sessilibus, 5 nerviis, nervis duabus lateralibus ab- 
breviatis, bracteis late lanceolatis, acutis, cymis in racemum 
oblongum vel ovatum congestis, floribus tetrameris, calycis 
segmentis lanceolatis, acutis, corolla subduplo brevioribus, 
corollae rototae segmentis ovato-oblongis, obtusiusculis, ma- 
culis sordide coerulescentibus sparsis, foveis solitarüs ob- 
longo-linearibus, versus basin dilatatis, fimbriarum brevium 
crista marginatis, filamentis distinctis, distantibus, linearibus, 
basin versus vie dilatatis, germinibus oblongo-lanceolatis, 
stigmate sessili bilobo. 


Ad oras Mandschuriae, lat. 44—45° coll. C. Wilford anno 1859. 


Caule palmari dense foliato, corollae laciniis obtu- 
siusculis maculatis, foveis solitariis oblongo-linearibus fim- 
briarum brevium crista marginatis ab affinibus facile di- 
stinguenda. 

Einjährig (vielleicht zweijährig?). Stengel 100—150 
Centim. hoch, steif aufrecht, vierkantig, kahl, dicht beblättert, 


— 103 — 


von der Mitte an kurzästig. Die untersten, zur Zeit der 
Blüthe schon verdorrten oder verfärbten Blätter verkehrtei- 
förmig, vorne abgerundet-stumpf, gegen die Basis spathelig 
verschmälert, 15— 20mm. lang, 5—10mm. breit, die mitt- 
leren und oberen Blätter 20— 30mm. lang, 8—15™m. breit, 
eilanzettlich, spitz oder spitzlich, an der Basis plötzlich zu- 
sammengezogen, sitzend, kahl, dünn, aufrecht-abstehend, 5- 
nervig; die drei mittleren Nerven bis zur Spitze verlaufend, 
die randständigen Nerven schon im unteren Drittel der Blatt- 
spreite sich verlierend. Die Deckblätter den obersten Sten- 
gelblättern gleichgestaltet. Die aus den Achseln der mitt- 
leren und oberen Blätter entspringenden 1—2 Centim. langen 
durch eine 8—5bliitige Cyme abgeschlossenen traubig ange- 
ordneten und nach oben hin etwas mehr gedrängt stehenden 
Aeste bilden einen länglichen 5—8 Centim. langen, 3—4 
Centim. breiten Blüthenstand. Die Blüthen sind lang gestielt, 
12—14mm. im Durchmesser, die vier Zipfel des Kelches 
kahl, lanzettlich spitz, 5mm. Jang, 1mm. breit. Die vier Zipfel 
der radförmig ausgebreiteten Krone sind 7—8m™m. lang, 3 
—4mm. breit, länglich-eiförmig, stumpf, mit verwaschenen 
trübblauen kleinen Flecken bestreut, jeder Zipfel unter der 
Mitte mit einer einzigen schmalen länglich-linealen, beider- 
seits von einem kammförmig kurz gefransten Rande besäumten 
gegen die Basis etwas erweiterten 3mm. Jangen Grube ver- 
sehen. Staubgefässe 4, an der Basis getrennt, lineal, gegen 
den Grund zu kaum merklich verbreitert, 4—5mm. lang. 
Antheren nahezu 2mm. Jang und 1™™. breit. Fruchtknoten 
4— hmm. Jang, 1.5mm. breit, lanzettlich, nach oben und unten 
etwas verschmälert. Narbe klein, zweilappig mit aufrecht- 
abstehenden rundlichen sammtigen Läppchen. 


Diese aus der Mandschurei stammende ausgezeichnete 
neue Art fand ich bei Gelegenheit der Bestimmung und Ver- 
gleichung der von Jäschke im Himalaja gesammelten Ophe- 
lien in der mir von Herrn Direktor Fenzl zur Ansicht gü- 
tigst mitgetheilten reichen Ophelien- Sammlung des Wiener 

Naturw.-med. Verein. 10 


— 104 — 


botanischen Hofkabinetes und theile hier ihre Beschreibung 
unter einem mit den neuen Arten aus dem Himalaja mit. 


4. Pleurogyne spathulata 


caule inferne ramoso, ramis adscendentibus elongatis, uni- 
Jloris, infra medium foliatis, supra nudis, foliis omnibus 
spathulatis versus basin angustatis, obtusis, calycis seg- 
mentis oblongis obtusiusculis, corolla duplo brevioribus, co- 
rollae rotatae profunde 5 partitae segmentis expansis, lan- 
ceolatis, obscure 3—S5nerviis, ex albido coerulescentibus et 
basin versus flavescentibus, antheris pallide luteis, ovario 
oblongo corollae segmentis sub anthesi eximie breviore, 
stamina vie excedente ©. 


In reg. alp. Himalajae; in superiore valle Tschandrae ad locum 
Tsomtschigma prope jugum Kutzum c. 10000 ped. s. m. 


Pl. rotata (L.) caule stricto, ramis strictis erectis, 
folis caulinis oblongo - linearibus, calycis segmentis line- 
aribus corollam aequantibus vel superantibus, corollae seg- 
mentis lineis tenuissimis pulchre aurantiacis furcatis et 
superne ansatis percursis et ovario longiore stamina duplo 
superante; Pl. carinthiaca (Wulf.) et Pl. Stelleriana 
(Cham. et Schlecht.) ramis nudis vel 2—4 phyllis, foliis 
caulinis ovatis vel ellipticis, calycis segmentis ovatis vel 
ovato-lanceolatis, corollae segmentis latioribus 7—9 ner- 
vits, antheris obscure cyaneis et ovarto crasstore, ovato, sta~ 
mina subduplo superante differunt. 


Einjährig, 8—15 Centim. hoch; in allen Theilen kahl. 
Stengel zart, dünn, theilweise röthlich überlaufen, an der 
Basis ästig; die Aeste bogig aufsteigend, verlängert, unter 
der Mitte in gleichen Abständen mit 6—8 gegenständigen 
Blättchen besetzt, oberhalb der Mitte nackt. Grundständige 
Blätter spathelförmig, stumpf, gegen die sehr schmale Basis 


— 10 — 


allmählich verschmälert, beiläufig 1 Centim. lang und vorne 
3mm. breit. Die Stengelblätter den grundständigen Blättern 
gleichgestaltet, nur kleiner und kürzer, 3—8™™. lang, 1—3mm. 
breit. Kelchzipfel 4—7mm. lang, 1.5—2.5mm. breit, grün, 
länglich, stumpflich, aufrecht. Die geöffnete Krone 1.5 Cen- 
tim. im Durchmesser; die Zipfel 8—10mm. lang, 3—4mm. 
breit, lanzettlich, undeutlich und verschwommen 3—5 nervig, 
weisslich, mit bläulichem Anhauche, gegen den Grund zu 
gelblich und die Aussenseite meistens zur Hälfte trüb grün- 
blau oder stahlblau überlaufen. Staubfäden 4—4.5mm. lang, 
weiss, gleichbreit, fädlich. Antheren Imm. lang, weisslich- 
gelb. Fruchtknoten 6™m. lang, 2mm. dick, länglich, über 
die Antheren kaum hinausragend. 


5. Paracaryum heliocarpum 


oaule erecto, ramoso, pilis albis mollibus retroversis et ad- 
pressis camescente, foliis trinervüs, radicalibus oblongo- 
lanceolatis acutis, in petiolum attenuatis, caulinis sessilibus 
lineari-lanceolatis, acutis, pilis albis mollibus tenuissimis 
adpressis vel subadpressis utrinque camescentibus, ramis 
inflorescentiae inferioribus ex awillis foliorum superiorum 
emergentibus, superioribus nudis, cymulis ramos terminan- 
tubus simplicibus vel furcatis secundifloris ebracteatis, primo 
circinatis deinde elongatis rectis et erectis, pedicellis calycem 
subaequantibus, patulis, calycis lobis oblongis, obtusissimis 
pilis albis mollibus canescentibus, corollae tubum aequan- 
tibus, corollae cyaneae limbo erecto-patente, lobis semior- 
biculatis, squamulis fauci insertis membranaceis, erectis, 
oblongis, lingulatis, apice trilobatis, stylo exserto corollue 
limbum superante (saltem in floribus gynodynamicis) ; 
nuculis 4, orbiculatis depressis, membrana plana vel pa- 
rum resupinata, margine callosa in dentes aculeiformes 
glochidiatos radiantes soluta, cinctis, superne in disco plano, 
papillis et aculeolis glochidiatis erectis sparsis munitis, in- 


10* 


— UG 


ferne convewiusculis, aculeis glochidiatis horizontaliter pa- 
tentibus echinatis. 


Lahul, in regione mont. Himalajae, 7—10,000 ped., frequens. 


Zweijährig? Stengel aufrecht, 50—60 Centim. hoch, 
unten bis zu 6mm. dick, von den an den Blattansätzen ent- 
springenden Linien etwas kantig-längsstreifig, grau, von sehr 
dünnen weissen, rückwärtsgerichteten und knapp anliegenden 
parallelen Haaren gestrichelt, unten beblättert, von der Mitte 
an ästig; die Aeste aufrecht-abstehend, traubenförmig ange- 
ordnet, einfach oder gegabelt, die untern und mittlern aus 
den Achseln der Stengelblätter entspringend und am Grunde 
mit einigen Blättchen bekleidet, die obersten nackt, alle ver- 
längert und mit 8—10 deckblattlosen einseitswendigen Blü- 
then, beziehungsweise Früchten besetzt. Die grundständigen 
und untern stengelständigen Blätter circa 15— 25 Centim. 
lang, 3—4 Centim. breit, länglich-lanzettlich, zugespitzt, in 
den Blattstiel allmählich verschmälert, die mittleren und 
oberen stengelständigen Blätter an Grösse allmählich abneh- 
mend, von 15 zu 3 Centim. lang und von 20 zu 4mm. breit, 
sitzend, lineal-lanzettlich, zugespitzt und gegen die Basis et- 
was zusammengezogen, alle Blätter weich anzufühlen, von 
drei besonders in die Augen fallenden kräftigeren Nerven 
(einem Mittelnerv und zwei an der Basis oder im untern 
Drittel der Blattspreite aus dem Mittelnerv sich ablösenden 
und dann mit dem Mittelnerv fast parallel gegen die Blatt- 
spitze verlaufenden Seitennerven) durchzogen, welche durch 
einige wenige schiefe Anastomosen verbunden sind, gleichför- 
mig grau, von anliegenden unterseits und an der Basis der 
obern Blattseite rückwärts-, am vordern Theile der oberen 
Blattseite aber vorwärts-gerichteien parallelen und dann et- 
was seidig schimmernden oder auch unregelmässig gestellten 
und dann glanzlosen sehr dünnen weissen Härchen dicht be- 
kleidet. Die deckblattlosen Wickel in traubiger Anordnung 
zu einem länglichen Blüthenstande verbunden, nach oben zu 
genähert und dort manchmal fast ebensträussig. Die Blü- 


: ee 


on 


thenstiele einseitswendig, zur Zeit der vollen Bliithe etwas 
kürzer, später etwas länger als der fünftheilige Kelch, zur 
Zeit der Fruchtreife fast rechtwinklig abstehend oder auch 
etwas nickend. Die Kelchzipfel gleichgross, 5mm. Jang, 2mm. 
breit, länglich-Iineal, vorne gerundet stumpf, so wie die Blätter 
grau, mit sehr dünnen weissen Härchen bekleidet. Krone 
ansehnlich, 12mm. Jang, himmelblau, röhrig-trichterig, die 
Röhre so lang als die Kelchzipfel, 5mm. lang, 3mm. weit; 
der Saum nur wenig abstehend, fast aufrecht, glockig, 7mm. 
lang, die obere Apertur desselben 10mm. im Querdurchmesser, 
die Zipfel des Saumes halbkreisförmig. Schlundklappen auf- 
recht, an der Grenze der Röhre und des Saumes entsprin- 
gend, 3mm. lang, 1mm. breit, häutig, länglich - zungenförmig, 
an der Basis am breitesten, am oberen Ende gerundet stumpf 
und mit zwei seitlichen halbkreisförmigen Läppchen versehen, 
so dass das Ende der Klappen dreilappig erscheint. Die 
Staubgefässe etwas unter der Basis der Schlundklappen ein- 
gefügt, die Antheren lineal-länglich 2.5mm. lang, kürzer als 
die Schlundklappen. Der Griffel lang, aus der Röhre weit 
hervorragend, und sogar die obere Apertur des Kronensaumes 
etwas überragend. Nüsschen 4, von oben her zusammenge- 
drückt, rundlich-scheibenförmig, 8—10mm. im Querdurch- 
messer, dem Anthodium einer Synantheree nicht unähnlich ; 
die obere Seite derselben zeigt ein flaches kreisrundes etwas 
glänzendes Mittelfeld von 4—5mm. im Durchmesser, welches 
mit kleinen stumpfen Warzen und Papillen und 15-—20 auf- 
rechten an der Spitze widerhackigen kurzen Stachelchen be- 
setzt und von einem starren, pergamentartigen, ausgebreiteten 
oder etwas aufgestülpten, in radialer Richtung sehr schwach 
wellig verbogenen, grob gezahnten und mit einer schmalen 
callösen in beiläufig 20 wiederhackige Stachelchen ausstrah- 
lenden Verdickung berandeten flügelartigen Saume umgeben 
ist; die untere Seite der Nüsschen ist etwas convex und 
ringsum mit horizontal abstehenden unregelmässig mehrrei- 
higen an der Basis zusammengedrückten an der Spitze wider- 
hackigen Stachelchen besetzt. Die Zahl der glashellen Wider- 


EOS 


häckchen, welche die Weichstachelchen der Früchte abschlies- 
sen, beträgt vier. 

Die hier beschriebene Art wurde mir unter dem Namen 
Cynoglossum anchusoides Lindl. mitgetheilt. — Cyn. an- 
chusotdes Lindl. weicht aber nach Abbildung und Beschrei- 
bung von dem vorliegenden Paracaryum so wesentlich ab, 
dass ich dasselbe für eine andere Pflanze halten muss. Cyn. 
anchusoides Lindl. wird nämlich mit kurzer abstehender Be- 
haarung und mit Kelchzipfeln, welche um die Hälfte kürzer 
sind als die Kronröhre beschrieben; auch sollen, was kaum 
glaublich ist, die Deckklappen in der Mitte der Kronröhre 
aufsitzen und in diese eingeschlossen sein. Zudem ist die 
vorliegende Pflanze zu Folge der Form ihrer Nüsschen ein 
Paracaryum und kein Cynoglossum. Auf den letzteren 
Umstand darf freilich kein besonderes Gewicht gelegt wer- 
den, da das Genus Paracaryum erst nachträglich aufge- 
stellt und aus Arten, welche frühere Autoren in die Gat- 
tungen Omphalodes, Mattia und Cynoglossum gereiht hat- 
ten, gebildet wurde. Die Beschreibung der Früchte des Cyn. 
anchusoides Lindl. lässt auch immerhin die Muthmassung 
zu, dass diese Pflanze richtiger jenem später aufgestellten sich 
zwischen Cynoglossum und Omphalodes einschiebenden aber 
weder von Cynoglossum noch von Omphalodes und Mattia scharf 
abgegrenzten, durch die scheibenförmigen von oben her zusammen- 
gedrückten und mit einem die ebene obere Seite der Scheibe umge- 
benden flachen oder etwas aufgestülpten pergamentartigen Rande 
versehenen Früchtchen charakterisirten Genus Paracaryum zu- 
gezählt werden müsse. Sollte dies der Fall sein und sollte 
sich herausstellen, dass auch die oben erwähnten dem Cyn. 
anchusoides Lindl. zugeschriebenen Merkmale der von Lind- 
ley gemeinten Pflanze, von der ich Originalexemplare einzu- 
sehen nicht in der Lage bin, in Wirklichkeit nicht zukom- 
men, so wäre es immerhin möglich, dass das von mir be- 
schriebene Paracaruum heliocarpum mit dem Lindley’schen 
Oynoglossum anchusoides identisch ist. 


bi. a 
ir 


— 109 — 


6. Cynoglossum (Paracaryum) microcarpum 
caule erecto ramosissimo, pilis albidis tenuibus rigidulis 
tuberculo insidentibus, inferne patentibus, superne erectis et 
subadpressis munito, folüs viridibus uninerviis, radicalibus 
oblongo-obovatis, in petiolum attenuatis, caulinis sessilibus, 
oblongo-lanceolatis, acutis, pilis patentibus, tuberculo insi- 
dentibus hispidulis, ramis ex awillis foliorum superiorum 
in ramulos elongatos, ebracteatos, secundifloros, paniculam 
amplam constituentes divisis, pedicellis calyce brevioribus, 
deflexis, calycis lobis oblongis, obtusiusculis, hispidulis, 
corollae tubum aequantibus, corollae cyaneae infundibulifor- 
mis lobis rotundato-ovatis, patentibus, nuculis orbiculatis, 
depressis, membrana parum resupinata in dentes aculei- 
feros et glochidiatos soluta cinctis, superne in disco plano 
aculeis paucis erectis glochidiatis instructis, inferne conve- 
xiusculis, papillis et aculeis glochidiatis, compressis squa- 
mulatis. 


In regione montana sup. Himalaje. Lahul. det. Jäschke 1869. 


Structura nucularum Paracaryo cristato (Lam.) 
et Paracaryo heliocarpo proxima. — Paracaryum cri- 
statum (Lam.) (Mattia cristata Don) caule subsimpliei 
foltis lineari-lanceolatis, limbo corollae erecto-patente, nu- 
culis multo majoribus ala asperata cinctis; P. heliocarpum 
habitu robustiore longe alieno, foliis trinerviis mollibus 
subsericeo-incanis , limbo corollae erecto, stylo longe ea- 
serto et floribus nuculisque multoties majoribus differunt. 


Zweijährig? — Wurzel 4—5mm. dick, senkrecht ab- 
steigend, wenig verästelt und mit spärlichen Fasern besetzt. 
Stengel aufrecht, 20—70 Centim. hoch, unten von schwachen 
an den Blattansätzen entspringenden Linien etwas kantig- 
längsstreifig und von abstehenden dünnen weisslichen einem 
kleinen Knötchen aufsitzenden Haaren rauh, oben gleich den 
Verzweigungen fast stielrund, von mehr aufrecht-abstehenden 
oder auch anliegenden Härchen gestriegelt, reichästig; die Aeste 


— ‚110° — 


traubenförmig angeordnet, aus den Achseln der mittleren und 
oberen Blätter entspringend, einmal oder wiederholt gegabelt; 
die Zweiglein verlängert, blattlos, mit 15—30 einseitswen- 
digen Blüthen beziehungsweise Friichtchen besetzt. Die grund- 
ständigen Blätter zur Zeit der Blüthe ganz oder theilweise 
vertrocknet, länglich-verkehrteiförmig, in den Blattstiel ver- 
schmälert; die stengelständigen Blätter sitzend, länglich-lan- 
zettlich, gegen die Spitze und Basis fast gleichmässig ver- 
schmälert, die grössten derselben bei 5 Cent. Länge 15mm. 
breit und allmälich an Grösse abnehmend, so dass die ober- 
sten Blätter aus deren Achseln die Zweiglein entspringen nur 
mehr eine Länge von 12mm. und eine Breite von 5™m. be- 
sitzen. Alle Blätter verhältnissmässig dünn, nur von einem 
in die Augen fallenden Mittelnerv durchzogen, beiderseits 
grün und von abstehenden, auf kleinen scheibenförmigen 
Knötchen sitzenden dünnen Haaren rauh. Die reichblütigen 
blattlosen Wickel zu einer traubig-rispigen weitschweifigen 
Inflorescenz verbunden. Die Blüthenstiele einseitswendig, so 
lang oder etwas kürzer als der 5-theilige Kelch, nach dem 
Verblühen nach abwärts gekrümmt. Die Kelchzipfel gleich- 
gross, 3mm. Jang, 1mm. breit, länglich, stumpflich, grün, so 
wie die Blüthenstiele von aufrecht abstehenden dünnen weiss- 
lichen Haaren borstlich. Krone 5mm. im Durchmesser, tief- 
blau, trichterig, mit kurzer die Kelchzipfel nicht überragender 
Röhre und abstehenden rundlich - eiförmigen Zipfeln. Die 
Deckklappen am Schlunde halbkreisförmig, häutig. Antheren 
jmm. lang, länglich, stumpf, über die Deckklappen des 
Schlundes nicht vorragend. Griffel 2mm. lang, über den 
Schlund nicht vorragend, Nüsschen 4, von oben her nieder- 
gedrückt, rundlich-scheibenförmig, 3™™. im Durchmesser ; die 
obere Seite derselben zeigt ein flaches mit einigen (meist 5) 
aufrechten an der Spitze widerhackigen Stachelehen besetztes 
im übrigen glattes und etwas glänzendes Mittelfeld, welches 
von einem tief gezähnten etwas aufgebogenen oder aufge- 
stülpten Saume umgeben ist. Die Zähne dieser Einfassung 
(beiläufig 20 im ganzen Umkreise) sind glatt, von oben her 


— Hl — 


zusammengedrückt, laufen in widerhackige Spitzen oder Sta- 
chelchen aus und fliessen an der Basis zu einer das Mittel- 
feld kreisförmig umgebenden Berandung zusammen. Die un- 
tere Seite der scheibenförmigen Nüsschen ist etwas convex 
und mit Papillen und kleinen an der Basis zusammenge- 
drückten Stachelchen fast schuppenartig besetzt. Die Zahl 
der Wiederhäckchen, welche die Weichstachelehen der Früchte 
abschliesen, beträgt bald 3 bald 4. 

Wie schon bei der Beschreibung der vorhergehenden 
Art erwähnt wurde, ist die Gattung Paracaryum weder von 
Mattia noch von Cynoglossum scharf geschieden, und es gibt 
Arten, bei deren Untersuchung man zweifelhaft ist, ob man 
selbe zu Cynoglossum, zu Paracaryum oder zu Mattia stellen 
soll. Die Früchtchen sind nämlich in allen Abstvfungen bald 
mehr bald weniger von oben her scheibenförmig zusammen- 
gedrückt und die am Rande der Scheibe stehenden Stachel- 
chen der Früchtchen fliessen an der Basis, bald mehr bald 
weniger zu einer pergamentartigen starren Membran zusam- 
men. Es schiene mir aus diesem Grunde auch zweckmäs- 
siger Paracaryum als Gattung einzuziehen und der Gattung 
Cynoglossum als Section unterzuordnen. 


7. Orobanche Hansii 
scapo striato, crasso, bast turgido, squamis latis ovatis 
acutis munito, leviter glandipilo- furfuraceo, spica densi- 
Jlora, bracteis tubo corollae brevioribus, ovatis vel ovato- 
lanceolatis, acuminatis, striatis, glandipilis, sepalis liberis, 
tubo corollae duplo brevioribus, plurinervüs, parce glan- 
dipilis, bifidis, lobis aequalibus, lineari-lanceolatis, in acu- 
men tenue productis, corollae externe parce et brevissime 
glanduloso-pilosae, interne glabrae, solumodo ad basin labi 
inferioris pilis paucis munttae, saturate violaceo-coeruleae 
tubo erecto-patente, levissime incurvo, ad faucem modice 
ampliato, labio superiore profunde bilobo, lobis erectis vel 


— 112 — 


reflewis, oblique truncatis, denticulatis, labio inferiore tri- 
lobo, plicato, lobis subaequalibus, dilatatis, subtruncatis, 
eroso- vel repando-denticulatis, staminibus ad medium tubi 
insertis, filamentis in basi unilateraliter parce pilosis, su- 
perne perpaucis glandulis stipitatis munitis, antheris bi- 
cuspidatis, niveis, parce pilosulis, stigmate retuso. 


Parasita in radicibus Artemisiarum in Himalajae valle Bhagae 
juxta fluvium et in montium lateribus, passim. 10,000—11,000 ped. 
sup. mare. 


Species affınes corollae limbo violaceo - coeruleo colo- 
rato: O. amethystea Thuill. bracteis flores excedentibus, se- 
palis corollam aequantibus, corollae tubo paulo supra ba- 
sin in genu flexo, staminibus infra medium tubi insertés ; 
O. Boissieri Rehb. fil. sepalis 1—3 nerviis, tubo valde 
incurvo, corollae labio superiore subintegro, porrecto, sta- 
minibus infra medium insertis; O cernua Löfl. et O. cu- 
mana Wall. tubo corollae valde incurvo, medio constricto, 
labie inferioris lacinüs ovatis, acutis; O. coerulescens Steph. 
spica lanato-villosa, bracteis flores ewcedentibus, sepalis 
tubo corollae longioribus et tubo corollae magis curvato; 
O. ammophila ©. A. Meyer spica albo-lanata, bracteis 
jlores aequantibus, sepalis paucinerviis, tubo corollae in- 
curvo-cernuo, staminibus infra medium tubt insertis et 
stigmate subbipartito-divaricato; O. amoena C. A. Meyer 
scapo basi viv incrassato, corolla longiori et speciostori, 
limbi lobis obovato-ellipticis et staminibus infra medium 
tube insertis differunt. — O. coerulea Vill., O. arenaria 
Borkh. et aliae species sect. Phelypaea Tournef. bracteis 
tribus et calyce monosepalo circum circa clauso munitae 
multo magis recedunt. 


Schaft aufrecht, längsstreifig, 18—28 Cent. hoch, 6— 
12mm. dick, unten knotig angeschwollen, so wie die ihn be- 
setzenden an der Basis 4—8mm. breiten dreieckig-eiförmigen, 
spitzen, streifigen Schuppen mit sehr kurzen Drüsenhärchen 


— 113 — 


_ leicht bekleidet und dadurch von etwas mehligem Ansehen. 
Blüthen in einer gedrängten 5—12 Centim. langen, 3—3.5 
Centim. breiten Aehre. Jede Blüthe nur von einem einzigen 
eiförmigen oder eilanzettlichen zugespitzten 6—12mm.Jangen, 
3— 5mm. breiten Deckblatte gestützt. Kelchblätter zwei, ge- 
trennt, 8—10nervig, 6— 10mm. lang, an der Basis 2.5— 
4mm. breit, in zwei fast gleich lange, lanzettlich-lineale, fast 
pfriemlich zugespitzte, violett überlaufene Zipfel getheilt, so 
wie die Deckblätter mit sehr kurzen drüsentragenden Flaum- 
haaren bestreut. Blumenkrone 18-—20mm. lang, aussen mit 
sehr spärlichen und sehr kurzen Drüsenhaaren bestreut, innen 
kahl und nur an der Grenze von Saum und Röhre an der 
Unterlippe mit einigen Härchen besetzt; Röhre fast gerade, 
gegen den Saum hin nur schwach gekrümmt und nur sehr 
wenig erweitert, aufrecht-abstehend, 5mm. weit, violett über- 
laufen, an der von den Kelchblättern zugedeckten Basis 
weiss; Saum tief violettblau, zweilippig , gefaltet; Oberlippe 
zweilappig, mit aufrechten oder leicht zurückgeschlagenen 
schief abgestutzten und ausgebissen-gezähnelten Lappen; Un- 
terlippe dreilappig; die Lappen breit, rundlich-viereckig oder 
queroval, abgestutzt, am Rande ausgebissen- oder wellig ge- 
zähnelt. Staubgefässe 7—8mm. Jang, in der Mitte der Kron- 
röhre eingefügt, an der unteren Seite ober der Einfügungs- 
stelle spärlich behaart, sonst kahl oder gegen die Antheren 
zu so wie der Griffel mit einzelnen kurzgestielten Drüsen besetzt. 
Antheren weiss, oben abgerundet, unten zweispitzig, mit spär- 
lichen weissen Wimperhärchen besetzt. Narbe queroval, seicht 
ausgerandet. 

In dankbarer Erinnerung an meinen verehrten Freund 
Hans in Herrnhut, dessen gütiger Vermittlung ich eine um- 
fangreiche Collection von Pflanzen aus dem Himalaja ver- 
danke, habe ich diese ausgezeichnete schöne Art Orobanche 
Hansii benannt. 


— 114 — 


8. Inula obtusifolia 


caule folioso, molliter cano-pubescenti, e basi adscendente, 
subtereti erecto, superne subangulato, ramoso, ramis diva- 
ricatis, sursum curvatis, monocephalis, subcorymbosis, fo- 
liis patentibus, opacis, cano-viridibus, elliptico - oblongis, 
sessilibus, obtusis, tntegris, pilis teneribus, flewuosis, mol- 
libus et glandulis minutissimis superne sparse, inferne den- 
sius pubescentibus, nervis in pagina inferiore prominulis, 
reticulum laxwm constituentibus; ramulis foliolis 1—3 ob- 
longis, obtusis, integris fultis, involucri pluriserialis squa- 
mis laxe incumbentibus, inaequalibus, eaterioribus oblongo- 
linearibus, viridibus, foliaceis, obtusis, cano-pubescentibus, 
medüs oblongo-lanceolatis, basi albidis, scariosts, glabris, 
apice viridulis, acutiusculis, pubescentibus, intimis line- 
aribus, scariosis, in acumen tenue, fimbriato-ciliatum, stria 
dorsali viridi vel fucescents percursum productis, floribus 
disct hermaphroditis, tubulosis, floribus radit femineis 1- 
serialibus, ligulatis, ligulis disco duplo longioribus, ache- 
nis hirtis, pappo conformi, I-seriali, setis capillaribus 
scabris. 


In montibus altioribus Himalajae in ditione Lahul, 13,000—14,000 
ped. sup. mare. 


Ex affmitate Inulae montanae. Caule superne diva- 
yicato-ramoso, ad ramos usque subaequaliter foliato, fo- 
lits latis, elliptico-oblongis, obtusis, integris facile digno- 
scenda. 


Ausdauernd. Stengel aus aufsteigendem Grunde auf- 
recht, beiläufig 30—40 Centim. hoch, oben in 2—6 aufrecht- 
abstehende oder bogig-aufsteigende einköpfige, 1.5—4 Cen- 
tim. lange Aeste getheilt, der ganzen Länge nach dicht be- 
blättert, von sehr dünnen weichen, verbogenen, theils ab- 
stehenden, theils etwas anliegenden Haaren grauflaumig, nach 
oben hin von vorspringenden in die Mitteluerven der Blätter 
auslaufenden Linien etwas kantig. Blätter 3-—7.5 Centim. 


el 


lang, 1.5—3.5 Centim. breit, abstehend, gegen die Blüthen- 
köpfchen zu nur wenig an Grösse abnehmend, länglich-ellip- 
tisch, mit 3mm. breiter Basis sitzend, ganzrandig, manchmal 
am Rande etwas wellig, vorne gerundet-stumpf, trübgrün, 
glanzlos, von dünnen, weichen, verbogenen Haaren und sitzen- 
den sehr kleinen Drüsen. oberseits spärlicher, unterseits reich- 
licher flaumig. Der gerade Mittelnerv und die schlänglichen 
Fiedernerven, so wie die sie verbindenden Anastomosen an 
der untern Seite der Blätter etwas vorspringend, ein ziemlich 
weitmaschiges Netz bildend. Die einköpfigen Aeste fast eben- 
sträussig, mit 1—3 länglichen, stumpfen, 1—2 Centim. lan- 
gen, 5—8mm. breiten Blättchen besetzt. Die Köpfchen mit 
Inbegriff des Strahles 2.5—3 Centim., das Anthodium 10— 
18mm. im Durchmesser; der Blüthenboden nackt; die Hüll- 
schuppen locker dachig, ungleich, die äussersten 5—7mm. 
lang, 2mm. breit, blattartig, grün, länglich-lineal, stumpf, 
grauflaumig; die mittleren länglich-lanzettlich, spitz, etwas 
länger und schmäler als die äussersten, an der Basis weiss- 
lich, mit einer am Rücken und am Rande behaarten, grünen 
Spitze; die innersten S— 10mm. lang, Imm. breit, lineal, in 
eine sehr dünne, fast fädliche, von einem grünen oder bräun- 
lichen Rückennerven durchzogene, wimperhaarige Spitze aus- 
gezogen. Blüthen gelb; die Zungenblüthen des Strahles 12mm. 
lang, Imm. breit; die Röhrenblüthen der Scheibe Dumm. lang. 
Haare des Pappus einreihig, rauh, nicht sehr zahlreich (circa 
20). Fruchtknoten 3mm. lang, stielrund, behaart. 


9. Bupleurum imaicolum 
perenne, caudice lignescente, pluricipiti, ramoso, humifuso, 
caulibus erectis vel ex decubitu subito adscendentibus, gla- 
berrimis , striatis, foliosis, superne ramosis, basi foliorum 
emortuorum residuis tunicatis; folüs erectis glabris, prut- 
noso-glaucescentibus, planis, margine scarioso, albido, an- 
gustissimo, non incrassato cinclis, infimis oblongis, sub- 


— 116 — 


spathulatis, subito subulato-acuminatis, basin versus sen- 
sim attenuatis, 5-nerviis; caulinis mediis elongatis, line- 
aribus, in mucronem subulatum subito acuminatis, basin 
versus vie angustatis, 5—T nervüs; caulinis superioribus 
imminuta longitudine acerescendo latioribus, simulque l- 
neari-lanceolatis, lanceolatis, et ovato-lanceolatis, subulato- 
acuminatis, J—13 nerviis; supremis bractealibus brevibus, 
lanceolatis vel ovato-lanceolatis, attenuato-acuminatis, 7— 
9—11 nerviis; umbellis 5—12radiatis, radiis tenuibus 
inaequalibus, umbellulis 5—15 floris; involueri monophylli 
et involucellorum 4—5 phyllorum foliolis minutis, lanceo- 
latis, acutis, squamaeformibus; radiolis duplo longioribus, 
jugis filiformibus, subtilibus, ochroleucis costatis, valleculis 
laevigatis, 3 vittatis. 


Himalaja; in ditione Lahul, in aridis montium lateribus, 10— 14,000 
ped. s. mare; copiose. 


Ex affinitate B. diversifolii Rochel et Bupl. exal- 
tati M. B. — Differt autem B. diversifolium Rochel in- 
volucellorum foliolis majoribus, elongato - lanceolatis, um- 
bellulas sub anthesi excedentibus, foliis acutis (nec subu- 
lato-mucronatis), basilaribus longissime petiolatis et meri- 
carpiorum jugis subalatis; B. ewaltatum M. B. foltis 
caulinis sursum sensim angustioribus, supremis linearibus, 
3—5nervüs, B. cernuum Tenore (B. exaltatum Koch 
Syn., non M. B.)*) foliis ut in praecedente et radice biennt; 


1) Bupleurum gramineum Vill. (1787) certe non est syn. Bupleuri 
cernui Tenore [= B. baldensi M. et K. (non Host), B. exaltati Koch 
Syn. (non M. B.). B. rigidi Freyer (non L.), B. neglecti Cesati] ut in- 
dicant Gren. Godr. et Reichb. fil. — Diagnosis et descriptio Villarsii in 


Fl. Dauph. II. 575 (,,foliis supremis lanceolatis“ ... „les feuilles su- 
perieures sont elargies“ . . . „linvolucre partielle est de cing feuilles 
oblongues et pointues“ . . „Vivace“) optime cum B. caricifolio Willd. 


(= B. canalense Wulf. = B. baldense Host) quadrat, at contra minime 
cum B. cernuo Ten. (= B. exaltato Koch Syn.); preterea Villarsius 
1. c. Buplenrum ranunculoidem valde similem Bupleuro gramineo dicit 


ieee 


— 17 — 


B. gramineum Vill. (= B. caricifolium Willd., B. ca- 
nalense Wulf., B. baldense Host) et B. ranunculoides L. 
involucellorum foliolis triplo latioribus obovatis vel obovato- 
lanceolatis, Snerviis et foliis acutiusculis (nec subulato- 
mucronatis); BD. falcatum L. foliis caulinis versus basin 
attenuatis, spathulatis, longe petiolatis, mericarpiorum ju- 
gis argutis subalatis; B. scorzonerifolium Turcz. caulibus 
basi fibrarum coma vestitis, involucellorum foliolis 6—7, 
umbellulas sub anthesi superantibus; BD. marginatum Wall. 
involucri foliolis 3—5 et foliorum nervis lateralibus mar- 
ginalibus, hinc foliis in margine incrassatis. 


Ausdauernd. Der holzige 3—Tmm. dicke Wurzelstock 
in knorrige theilweise überirdische niederliegende oder auf- 
strebende Aeste getheilt. Stengel aufrecht oder aus aufstei- 
gender Basis aufrecht, 30—70 Centim. hoch, längsstreifig, 
kahl, an der Basis von den verdorrten abbrechenden (nicht 
in schopfige Fasern aufgelösten)Resten alter Blätter beschei- 
det, in aufrechte oder aufrecht-abstehende, 3—10 Centim. 
lange, nicht sehr zahlreiche Aeste meist erst über der Mit- 
telhöhe, manchmal aber auch schon vom untern Drittel an- 
gefangen getheilt. Die Blätter kahl, bläulich bereift, flach, 
mit einem äusserst schmalen weisslichen durchscheinenden (un- 
ter der Loupe besehen: etwas gezähnelten) nicht verdickten 
Rande besäumt, langsnervig. Die Nerven sehr zart, etwas 
vorspringend, über der Basis etwas divergirend, so dass die 
seitlichen Nervenpaare allmählich gegen den Rand verlaufen 
und sich dort verlieren, die mittleren einander mehr genäher- 
ten Längsnerven fast parallel und mehr weniger deutlich bis 
zur Spitze hinziehen und der mittelste Nerv in die pfriemen- 
förmige Spitze des Blattes auslauft. Querlaufende, die Längs- 
nerven verbindende Anastomosen fehlen. Die grundständigen 
und untersten stengelständigen Blätter 3—9 Centim. lang, 
3— 10mm. breit, fünfnervig, länglich-spathelig, über der Mitte 


[,elle (B. ranunculoides) ressemble beaucoup a la precedente (B. gra- 
mineum), elle en est peut-ötre une variété plus petite]. 


— 118 — 


am breitesten, vorne in eine Imm. Jange pfriemenförmige Spitze 
plötzlich zusammengezogen, gegen die Basis allmählich ver- 
schmälert; die folgenden stengelständigen Blätter verlängert, 
5— 12 Centim. lang, 4—7mm. breit, 5— nervig, lineal, gleich- 
breit, vorne in eine pfriemenförmige Spitze zusammengezogen, 
mit halbstengelumfassender kaum verschmälerter Basis sitzend ; 
die oberen stengelständigen Blätter kürzer und etwas breiter, 
4—9 Centim. lang, 6—9mm. breit, 9—13 nervig, lineal-lan- 
zettlich, lanzettlich oder eilanzettlich, unterhalb der Mitte am 
breitesten, vorne in eine pfriemenförmige Spitze zusammen- 
gezogen mit halbstengelumfassender etwas verschmälerter Ba- 
sis sitzend. Die Stützblätter der doldentragenden Aeste den 
eben geschilderten obersten stengelständigen Blättern 'gleich- 
gestaltet, nur noch kleiner und relativ kürzer, so dass die 
obersten lanzettlichen oder eilanzettlichen Stützblätter gewöhn- 
lich nur mehr Y, oder 1 Centim. lang und 2—3mm. breit 
sind. Die unteren Dolden länger-, die oberen kürzer gestielt, 
die obersten 2—3 Dolden meist ebensträussig. Die arm- 
blüthigen unteren Dolden 5—8-, die reichblüthigeren ober- 
sten Dolden 7—12strahlig. Gemeinschaftliche Hülle mit- 
unter ganz fehlend, gewöhnlich aber einblätterig und das sie 
bildende Blattchen dann sehr klein schuppenformig, lanzett- 
lich, 1—2mm. Jang. Die Strahlen der Dolde ungleich lang, 
dünn, 4—20mm. lang, bei der Fruchtreife einzelne bis zu 
35mm. verlängert. Die Döldchen 5—15bliithig. Das Hüll- 
chen derselben aus 4—5 kleinen schuppenförmigen lanzett- 
lichen spitzen, mit den Rändern sich nicht berührenden Imm. 
langen und 0.5mm. breiten, die Blüthenstiele nicht überragen- 
den Blättchen gebildet. Die Blüthenstiele 1—2mm. lang. Die 
Blüthen goldgelb, Imm. im Durchmesser. Früchte 4mm. lang, 
2mm. breit, eiförmig-länglich, braun, bläulich bereift; Halb- 
früchtehen von fünf fädlichen kaum vorspringenden (nicht 
geflügelten) gelben Riefen kantig; Thälchen glatt, dreistriemig. 


a 1198 — 


10. Aconitum oliganthemum 


tuberibus fusiformibus, caule erecto, pro more infra me- 
dium flexuoso, foliis paucis munito, racemo paucifloro ter- 
minato, pilis curvatis, subadpressis puberulo, folits ba- 
silaribus sub anthesi adhuc vegetis, longe petiolatis, petiolo 
glaberrimo, infimam caulis partem vagina membranacea 
amplectente, lamina glaberrima, circuitu rotundata, 5—7- 
fida, luciniis obovato-cuneatis, trifidis, lacinulis foliorum 
majorum bi-trifidis, minorum integris, segmentis omnibus 
porrectis, vic divaricatis, oblongo-linearibus, puncto calloso 
terminatis, foliis caulinis 1—4, remotis , inferioribus lon- 
ge-, superioribus breve petiolatis, 5—7-partitis, partitio- 
nibus 2—3 fidis, laciniis linearibus subdivaricatis, pilis 
sparsis, curvatis munitis, bracteis inferioribus foliis cau- 
linis similibus, summis trifidis vel simplicibus, linearibus, 
jloribus pedicellatis, in racemum pauciflorum congestis, 
pedicellis bracteolis 1—2, linearibus ornatis, superne vil- 
losulis, erectis, inferioribus longissimis, bracteis et floribus 
longioribus, sepalis intense coeruleis, ciliatis et externe pi- 
lis curvatis adspersis, casside adscendente, naviculari, se- 
palis lateralibus maximis, rotundato-ellipticis, sepalis in- 
ferioribus oblongo-ovatis, cucullis ew ungue arcuato hori- 
zontaliter cernuis, calcare recurvato, obtusissimo, sacco 
ovato, filamentis infra medium membranaceis, glabris, uni- 
nervüs, supra medium subulatis, valde et longissime pi- 
losis, folliculis 4—5, sericeo-villosis. 


In montibus Kardangensibus Himalajae; alt. 13,000 ped. supra 
mare. 


Ex sectione Napellus. — Foliis radicalibus sub an- 
thesi adhuc vegetis, longe pedicellatis, caule paucifolio, in- 
florescentia pauciflora, floribus longe pedicellatis, casside 
naviculari, filamentorum parte membranacea basilari supra 
medium contracta (non bicuspidata), parte anteriori valde 


pilosa et folliculis sericeo-villosis ab affınibus dignoscenda. 
Naturw.-med. Verein. 11 


— 120 — 


Wurzelstock aus 1—3 rübenförmigen, 1.5—2 Centim. 
langen, 5—8mm. dicken, mit Fasern besetzten Knollen ge- 
bildet. Stengel aufrecht, 15—-30 Centim. hoch, schlank, von 
kurzen, gekrümmten, weissen, drüsenlosen Härchen etwas 
flaumig, unterhalb der Mitte häufig verbogen nnd gewöhnlich 
etwas stahlblau überlaufen, an der Basis von den grundstän- 
digen Blättern bescheidet, in der Mittelhöhe nur 1—4 blättrig, 
manchmahl fast nackt, oben durch eine armblütige, traubige, 
fast ebensträussige Inflorescenz abgeschlossen. Grundständige 
Blätter meist 3, zur Zeit der Blüthe noch grün, kahl, lang 
gestielt; die Stiele 4—15 Centim. lang, (2—3mal länger 
als der Längendurchmesser der Blattspreite und meist 14 
so lang als der Stengel), am Grunde in hautige weissliche 
den Stengel umschliessende Scheiden verbreitert. Die Blatt- 
spreite oberseits dunkler, unterseits blasser grün, 2.5—4 Cent. 
lang, 3—4.5 Cent. breit, im Umrisse rundlich-nierenförmig, 
mit spitzwinkeligen basilärem Ausschnitte, 5—7 spaltig, die 
Lappen keilig-verkehrt-eiförmig, 2—3 spaltig, die Läppchen 
ungetheilt oder 2—3spaltig, mit langlich—linealen, gerade 
vorgestreckten, 2—3mm. breiten, durch ein kallöses Spitz- 
chen abgeschlossenen Zipfelchen. Stengelblätter 1—4, von 
einander entfernt; die Blattstiele der unteren länger, jene 
der oberen kürzer als die Blattspreite; die Blattspreite mit 
spärlichen sehr kurzen, gekrümmten, weissen Härchen be- 
streut, im Umrisse rundlich-nierenförmig, 5—‘ theilig, mit 
2—Btheiligen, linealen, spitzen, etwas spreizenden Zipfeln. 
Die unteren Deckblätter den Stengelblättern fast gleichge- 
staltet, nur weniger getheilt; das oberste Deckblatt meist 
einfach, ungetheilt, lineal. Inflorescenz 2—5 bliitig, die Blü- 
thenstiele steif aufrecht, dem Stengel nahezu parallel, mit 
1—2 kleinen linealen Blättchen besetzt, von kurzen, anlie- 
genden, gekrümmten und längeren abstehenden, geraden, 
drüsenlosen Haaren flaumig -zottig, dicht unter der Blüthe 
keilig verdickt, die unteren länger, die oberen beiläufig so 
lang als die Blüthen und die Blüthen daher fast ebensträus- 
sig gestellt. Blüthen 2—3 Centim. im Längen- und 1.5 


— 121 — 


Centim. im Querdurchmesser, dunkelblau, aussen mit ge- 
krümmten weissen Härchen bestreut und am Rande gewim- 
pert. Der Helm kahnförmig, aufsteigend, jenem des A. hi- 
ans Rchb. und A. rotundifolium Karel. et Kiril. ähnlich, (die 
Aushöhlung desselben beiläufig 1/, Centim. tief); die seit- 
lichen Kelchblättcheu auffallend gross, queroval oder rundlich, 
1.5—2 Centim. im Durchmesser, die zwei unteren Kelch- 
blättchen länglich-eiförmig, 10— 12mm. lang, 5—7mm. breit. 
Nagel der zwei oberen Blumenblätter 12— 18mm. lang, dunkel- 
blau, oben fast halbkreisformig vorwärtsgebogen, mit wag- 
rechter, breiter, elliptischer 4mm. langer Kaputze und kopf- 
förmigem, gerundetem, etwas zurückgekrümmtem Sporne. Staub- 
gefässe 6mm. lang, zur unteren Hälfte häutig, durchscheinend, 
weiss oder theilweise bläulich überlaufen, einnervig, kahl, in 
der Mitte plötzlich in einen dunkelblauen, von langen Wim- 
perhaaren zottigen, pfrimlichen Faden zusammengezogen. An- 
theren rundlich, schwarz, kahl. Bälge 4—5, dicht seidig- 
zottig. Griffel 2mm. lang, kahl. 


11% 


Mittheilungen aus den Kliniken und Instituten 


der Universitit zu Innsbruck. 


Statistische Notizen und Mittheilungen 
aus der chirurgischen Klinik in Innsbrnek 
von 


Prof. Dr. Heine. 


A. Statistischer Bericht 


über den Stand und die Leistungen der chirurgischen Klinik 

und Abtheilung im verflossenen Jahre seit Uebernahme der- 

selben durch den derzeitigen Vorstand, vom 12. Dezember 
1869 bis incl. 31. Dezember 1870. 


Die Gesammtzahl der innerhalb des oben angegebenen 
Zeitraumes — von welchen 10 Monate auf das Schuljahr 
fallen — auf der Klinik und Abtheilung für chirurgische 
und Geschlechts-Kranke behandelten stationären Kranken 
beträgt 429. 


Von diesen wurden geheilt . . . . 288 
gebessert’) 2) \.. jan "Al 
ungeheilt entlassen 16 
transferiert...» 2 
starbenen 2020 1229 


Die Mortalität berechnet sich hiernach auf die für eine 
chirurgische Klinik sehr niedrige Ziffer von 5.38%. 


EN 


— 123 — 


Es verblieben am 31. Dez, 1870 in Behandlung 57 
Kranke. 

Der höchste Tagesstand auf Klinik und Abtheilung im 
Jahrgange 1870 belief sich auf 65 Kranke. — Eine grössere 
Zahl konnte nicht aufgenommen werden, weil es an den er- 
forderlichen Räumlichkeiten zur Unterbringung derselben 
fehlte. 

Neben der stationären Klinik wurde von dem der- 
zeitigen klinischen Vorstande, gleichfalls zu Unterrichtszwecken 
eine ambulatorische Klinik errichtet, in welcher leichtere 
chirurgische Kranke der Stadt Innsbruck und ihrer nächsten 
Umgebung ab- und zugehend behandelt wurden. 

Die Gesammtzahl der im Jahre 1870 auf der Klinik 
ambulatorisch behandelten Kranken betrug 407. 


Die 429 stationären Kranken boten folgende hauptsäch- 
lichsten chirurgischen Krankheiten der Beobachtung dar: 


Verletzungen der Weichthele . . . 55 
Geschwüre Nun ee on oD 
Abszese . . i ses 
Frakturen — frische u ie 98 
Laxationen  . . May) 


Knochen- und Gel eokheiten 188 

Orthopädische Affectionen . . . . 10 

Geschwülste . . . 42 

Spezielle (unter Forschen Ribriken 
nicht enthaltene) 

chirurgische Krankheiten des Kopfes 28 


5 ” des Halses 7 
> as der Brust u. 

desBauches 8 
5 5 desBeckens 23 
a A der äussern 


Bedeckungen 44 
Syphilitische Affektionen . . . . 82 


Zusammen . . . 429 


— 124 — 


Auf diese 429 Fälle kamen zusammen 110 Opera- 
tionen u. Zw.: 

11 Resectionen: 

2 des Oberkiefers: 1 wegen Sarcom und 1 wegen Zot- 
tenkrebs des Antr. Highmeri; 

2 des Unterkiefers: 1 wegen Carics und 1 wegen Kie- 
ferklemme nach Noma (Esmarch); 

2 des Ellbogengelenkes: 1 wegen Carics und 1 wegen 
käsiger Ostitis der Gelenksenden; 

2 des Handgelenkes: beide wegen Carics. 

2 des Kniegelenkes: beide wegen Carics 

1 eines nach schlechtgeheiltem Bruche vorstehenden 
oberen Bruchendes der Tibia. 

2 Amputationen: 

beide des Unterschenkels wegen Carics im Sprungge- 
lenke, 

A Exarticulationen: 

2 aller Zehen wegen Frostbrand ; 

1 der zweiten Zehe wegen Zermalmung. 

1 des Zeigefingers wegen Lupus. 

Anderweitige Knochenoperationen: 

2 Devidement des Fersenbeines wegen Caries und Ne- 
crose. 

3 Necrotomien: 2 des Radius und 1 des Femur. 

1 Osteotomie des humerus nach schlechtgeheiltem Bruche 
in der Nähe des Ellbogens. 

2 Osteopalinklasis (Wiederabbrechen des Knochens) 
bei 2 schlechtgeheilten Fracturen des Unterschenkels. 

1 Geradebrechen eines rhachitisch-verkrümmten Unter- 
schenkels. 

5 Brisementsforces: 

1 des Ellbogengelenkes, 2 des Hüftgelenkes, 2 des Knie- 
gelenkes; 

5 Repositionen von Luxationen des Schultergelenkes 
davon 4 frische und 1, 12 Wochen alte, nach Prof. Heine’s 
Methode. 


— 125 — 


1 Durchtrennung der Plantaraponeurose ; 
1 Tenotomie der Achillessehne; 
1 Operation von Hygroma proliferum — Aus- 
_ léffelung ; 
5 Punctionen: 
1 Hydrops antri Highmori, 1 Cystenkropf, 1 Hydroova- 
rium, 2 Hydrokelen. . 
39 Geschwulstexstirpationen: 
1 Cyste in der Gesäss-Gegend, 
2 Atherome der Schädeldecken, 
1 Lipon im Nacken, 
5 Lymphome: 4 der Halsgegend, 1 der Unterkiefer- 
gegend, 
4 Condylome (spitze), 
1 hypertrophirte Haut des Rückens, 
1 Lupusknoten (Kali causticum) 
10 Sarkome, theilweise combinirt mit Fibrom, Myxom, 
Enchondrom und Osteom: 
1 der Schädeldecken, 
1 der Nasenhöhle durch osteoplast. 
1 der Nasenrachenhöhle en 
2 der Supraclaviculardrüsen, 
1 der Achseldrüsen, 
1 des Thorax, 
2 der Hand, 
1 des Oberschenkels. 
11 Carcinome: 
2 an den Schädeldecken, 
1 an der Schläfe — Plastik, 
4 an der Unterlippe, 3mal mit Plastik, 
1 an der Mamma, 
2 im Rectum, 
1 an der Mittelhand ; 
3 Ulcera rodentia: 
2 der Wange, 1 der Nasenspitze, jedesmal mit nach- 
folgender Plastik ; 


— 126 — 


Weitere plastische Operationen: 

1 des Augenwinkels, 

1 der Lippe und Wange nach Noma, 

1 des weichen Gaumens nach Syphilis. 
Unter den bisherigen Rubriken noch nicht auf- 

geführte 

Operationen am Kopfe: 

2 Hasenscharten-Operationen, 

1 Rhinoplastik aus der Stirne; 

Operation am Halse: 

1 Tracheotomie Polyp der 

1 Laryngotomia thyreoidea Stimmritze. 

beide wegen 
carcinoma- 
töser Strietur 
desOesopha- 
gus 


1 Myotomia des musc. thyreopharyngeus 
1 Cartilaginotomie des Schildknorpels 


Operationen an der Brust: 

1 Amputatio Mamme wegen Krebs; 

Operationen am Becken: 

2 Operationen einer Blasenscheidenfistel, 

1 Operation der Anterversio uteri (Anfrischung und 
Nath) ; 

Operationen an den äussern Geschlechts- 
theilen: 

2 äussere Urethrotomien, 

1 Operation einer Harnröhrenfistel, 

2 forcirte Dilatationen (Thompson) hochgradiger Strik- 
turen der Harnröhre, 

5 Phimosenoperationen, 

1 Castration wegen einer Dermoideyste des Hodens. 

Ausser diesen wurde an amhulatorischen Kranken noch 
eine Anzahl kleinerer operativer Eingriffe vorgenommen. 


So — 


B. Klinische Mittheilungen. 


Das im Vorstehenden übersichtlich klassifizirte Beob- 
achtungsmaterial der Klinik in dem ersten Jahre ihrer Neu- 
gestaltung, bot des Interessanten und Erwähnungswerthen so 
Mancherlei, dass eine Schilderung aller vorgekommenen merk- 
würdigeren Fälle an diesem Orte unmöglich ist. Ich be- 
schränke mich daher darauf, nur eine kleine Zahl solcher 
Beobachtungen ausführlicher mitzutheilen, welche für den uns 
am nächsten stehenden Leserkreis unserer Zeitschrift, die 
praktischen Aerzte des Landes ein unmittelbareres Interesse 
besitzen dürften. Die folgenden kasuistischen Selekta’s wer- 
den daher weniger Fälle betreffen, welche durch ihr seltenes 
Vorkommen oder durch aussergewöhnliche Komplikationen 
bemerkenswerth sind, als vielmehr solche, die in den Bereich 
der Thätigkeit jedes Praktikers fallend den Erfolg einer auf 
genaue Diagnose und richtige Indicationen basirten operativen 
Behandlung auch unter schwierigen Verhältnissen und ohne 
Zuhilfenahme eines besonderen Instrumentenapparates und 
ohne grosse technische Fertigkeit demonstriren. 

Ich unterlasse es aus diesem Grund aus der obigen Zu- 
sammenstellung Fälle herauszuheben, welche durch die erst- 
malige Anwendung neuer Operationen und Operationsmetho- 
den, neuer chirurgischer Apparate oder durch seltene patho- 
logisch-anatomische Beobachtungen besondere Beachtung be- 
anspruchen können. Ich erwähne dieselben nachstehend in 
der Kürze nur um ein annähernd getreues Bild von den Rah- 
men unserer klinischen Thätigkeit zu geben und von unserer 
Bemühung dem Geiste des Fortschrittes auf unserem Gebiete 
Rechnung zu tragen, Zeugniss abzulegen. Zu diesen Fällen 
gehören: 

eine osteoplastische Resektion des Oberkiefers behufs 
Exstirpation eines fibromatésen Nasenrachenpolypen nach einer, 
von den bisher üblichen abweichenden Methode, zwei Resek- 
tionen des Kniegelenkes mittelst seitlicher, die Längsachse 
des Beines rechtwinkelig schneidender Querschnitte und Ab- 


— 128 — 


sigung der Knochenenden in vier Segmenten mittelst Drill- 
borer und Stichsäge (ein Verfahren, das mir den Eiterabfluss 
besser zu sichern und den Gelenkverband zwischen Femur 
und Tibia weniger zu lockern schien als die bisherigen Re- 
sektionsmethoden) ; eine Resektion des Ellenbogengelenkes 
mit Nachbehandlung in einer neuen Resektionsschiene nach 
meiner Angabe; ein Fall von carcinomatöser Striktur des 
Oesophagus, bemerkenswerth durch die bei demselben zuerst 
von mir ausgeführten Operationen der subkutanen Myoto- 
mie des M. thyreopharyngeus und der Cartilaginotomia thy- 
reoidea; ein Fall eines carcinomatösen Larynxpolypen, der 
mittelst der Laryngotomia thyreoidea, nach vorausgegangener 
Tracheotomie excidirt wurde, ein Fall von angeborener Der- 
moideyste des Hodens bei einem 11%, jährigen Kinde in wel- 
chem ich die Castration mit Erfolg ausführte und die mi- 
kroskopische Untersuchung die werthvollsten Aufschlüsse über 
diese Geschwulstform bot; eine Beobachtung eines kolossalen 
Fibroms der seitlichen Thoraxwand, das operativ entfernt 
wurde und, wie sich bei der Autopsie ergab, mit Fibrosar- 
komen in der Muskulatur der Wade und metastatischen}Fibro- 
men der Lunge kombinirt war; zwei Fälle von gleichfalls 
über mannskopfgrossen Sarkomen des Oberschenkels, von 
welchen das eine unter den grössten Schwierigkeiten exstir- 
pirt wurde; ein Fall von veralteter Luxation des Schulter- 
gelenks, deren Reposition nach eigener Methode überraschend 
leicht gelang (vgl. Wiener med. Wochenschrift J. 1870 Nr. 
25 und 26) und endlich verschiedene Fälle von Hüftgelenk- 
streckungen und Oberschenkelfrakturen, in welchen zum Zweck 
der Anlegung meines Gypshosenverbandes ein von mir an- 
gegebener, leicht transportabler Stützapparat (den ich auch 
in den Feldlazarethen auf dem französischen Kriegsschauplatz 
mit bestem Erfolge benützte) erstmals zur Verwendung kam 
und in welchen ich in weiterem Verlaufe die Extension mit- 
telst eigener, in der Gegend des Sprunggelenkes in den Ver- 
band eingegypster Extensionsschienen in vortheilhaftester 
Weise mit dem Gypsverbande vereinigte. 


— UE) 


Die Mehrzahl dieser Fälle sieht ihrer anderweitigen Ver- 
öffentlichung entgegen: 

Die folgenden Mittheilungen, welche mit Ausnahme der 
ersten von den beiden klinischen Assistenten abgefasst wur- 
den, betreffen: 

1. Einiges über Sehnenscheidenentzündun- 
gen und deren Behandlung. 

2. Mittheilung wegen eines Falles von sehr 
hoch reichendem Carcinom des Mastdarms. Ope- 
ration, grosser Blutverlust. Heilung. 

3. Uleus rodens der Nasenspitze. Abtragung 
mit dem Messer. Rhinoplastik. Gutes Resultat. 

4. Grosser Defekt der Wange und des Mun- 
des in Folge von Noma. Meloplastik und Cheiloplastik. 
Narbige Kieferklamme. Esmarch’sche Operation (Anlegung 
eines falschen Kiefergelenks.) Schöner Erfolg. 

5. Schlecht geheilte Fraktur des untern Hu- 
merusendes mit Beschränkung der Flexion des Ellebogen- 
gelenkes. Subcutane Osteotomie der Frakturstelle 
und Geraderichtung (operirt von Dr. Lang.) Voll- 
ständiger Erfolg. 

6. HochgradigeCaries des Handgelenkes und 
der Handwurzel. Resektion. Persistenz des cariösen 
Processes an zurückgebliebenen Handwurzelknochen. 

7. Impermeable Striktur der Harnröhre, die 
in Folge von Harnretention zur Punktion der Blase geführt 
hatte. Urethrotomia externa. Heilung. 


1. Einiges über Sehnenscheidenentzündungen 
und deren Behandlung. 

In die Lehre von den entzündlichen Affektionen der 
Sehnenscheiden, die gerade in Tirol ein nicht unbedeutendes 
Contingent zu den chirurgischen Krankheiten zu stellen sehei- 
nen, ist in der neueren Zeit durch sorgfältigere pathologisch- 


— 130 — 


anatomische Untersuchungen grössere Klarheit gekommen. 
Seitdem die Sehnenscheidenentzündungen auf Grund ihrer ana- 
tomischen Charaktere und ihrer Verlaufsweise in Parallele 
gestellt wurdeu zu den Gelenkentzündungen und diese Gegen- 
überstellung auch in der Nomenklatur ihren Ausdruck ge- 
funden, wird der Praktiker in der Differential-Diagnose der 
verschiedenen Entzündungsformen der Sehnenscheiden gerin- 
gere Schwierigkeiten finden. Wir unterscheiden einerseits 
eine akute seröse Tenosynitis als Analogon der akuten 
serösen Gelenkentztindung, hervorgerufen durch Contusionen, 
Distorsionen, rheumatische Einflüsse ete. und anderseits eine 
chronische seröse Tenosynitis, die als Hygrom der 
Sehnenscheiden dem chronischen Hydarthros gegenüber steht 
und bald diffus über eine grössere Strecke einer Sehnen- 
scheide, oder deren ganzen Verlauf sich erstreckt, bald nur 
in einer herniösen, gelegentlich zu Cystenbildung führen- 
den Ausstülpung derselben besteht, die manchmal kaum 
noch genetisch als Adnex der Sehnenscheide aufzufassen ist; 
auch für diese sog. „Sehnenscheidenganglien“ gibt es an den 
Gelenken ein Analogon in den hygromatös gewordenen An- 
hängen der Synovialsäcke, die zuweilen zu ganz oder fast 
ganz in sich geschlossenen Schleimbeutelhygromen werden wie 
das Hygrom der bursa suprapatellaris, oder die hierorts ein- 
mal zu meiner Beobachtung gekommenen Hygrome der bursa 
poplitaca und der bursa muc. capitis interni gastrocnemii, 
die meistens mit dem Kniegelenke zusammenhängen, zuweilen 
aber auch davon getrennte Hohlräume darstellen. 

In den Säcken der hygromatös entarteten Sehnenschei- 
den kann es bei längerer Dauer und grösserer Ausdehnung 
derselben zur Bildung kleiner theils freier, theils adhärenter 
„Sehnenscheidenkörper“ kommen, welche ein Seiten- 
stück zu.den Gelenkkörpern bilden. Diese unter dem Na- 
men „corpuscula oryzoidea“ belegten Gebilde sind, wie 
bekannt, kleine glattovale Reiskörnern oder Melonenkernen 
ähnliche, weisse oder gelblichweisse, schlüpfrige Körperchen, 
deren Entstehung noch nicht ausser allen Zweifel gestellt ist. 


Laan ee Ss 


Wahrend von den Altern Ansichten ganz abgesehen heutzu- 
tage die Einen sie als Faserstoffgerinnsel betrachten, welche 
bald die Ueberreste kleiner Blutergüsse (Velpean), bald freie 
Gerinnungen des serösen Inhaltes des Hygroms (Virchow ä. 
Ans., Heineke u. A.) darstellen sollten, deuten sie Andere 
(Virchow, Hyrtl etc.) wohl richtiger als zottenartige Excres- 
cenzen der Serosa (bez. des subserösen Bindegewebes), welche 
ursprünglich gestielt aufsitzend, nachträglich successive durch 
Bewegungen der Sehnen und andere mechanisch - irritirende 
Einwirkungen abgerissen werden. Wir hatten Gelegenheit 
auf der Klinik einen exquisiten Fall von solchem „Hygroma 
proliferum“ wie es Virchow nannte, zu beobachten; dieser 
Fall, der für uns, neben einigen andern, die Veranlassung zu 
dieser Mittheilung wurde und dessen Details ich weiter unten 
folgen lasse, forderte uns zum Studium der Genese jener 
Körperchen auf. 

Die äusseren Formverhältnisse derselben fanden wir so 
wie sie die Mehrzahl der Beobachter schildern; nur nicht 
ganz so gleichmässig, wie zwei neuere Autoren über diesen 
Gegenstand, Heinecke und v. Mosengeil, hervorheben. Einige 
waren grösser, andere kleiner als Gurkenkerne, nicht alle 
glattoval, manche mehr rundlich, kolbig oder birnförmig, an- 
dere annähernd dreieckig, Formverschiedenheiten, wie sie Vir- 
chow in seinem Buch über die Geschwülste abzeichnet. Eine 
grössere Anzahl derselben zeigte ganz deutlich an dem einen 
Ende einen kurzen zarten Stiel; durch einen solchen hin- 
gen gelegentlich zwei Körperchen zusammen und bildeten so 
ein Zwillingspaar. Der Umstand, dass wir gestielte Körper- 
chen in gewisser Menge zu sehen bekamen, beruht vielleicht 
auf der eingeschlagenen Behandlungsmethode, die wir weiter 
unten angeben werden. Heinecke und Mosengeil wollen das 
Vorkommen von Stielen an den Körperchen nicht zugeben; 
beide lassen dieselben frei in der Sehnenscheide als Gerin- 
nungsprodukt aus dem serösen Inhalte entstehen. Heineke 
weiss die Ursachen der Gerinnung nicht anzugeben; um ein 
kleinstes Gerinsel, das sich im Centrum verflüssigt, lässt er 


— 132 — 


neue Fibrinniederschläge in concentrischer Schichtung erfol- 
gen; ihre konstante Form erhalten die Körperchen nach sei- 
ner Ansicht dadurch, dass sie von der auf- und abgleitenden 
Sehne hin- und hergerollt werden. Wie diess bei der An- 
wesenheit so vieler Körperchen in verhältnissmässig engem 
Raum möglich sein soll, ist schwer einzusehen; dieselben sind 
auch in ihrer Mehrzahl nicht walzenförmig, sondern plattoval 
in Folge gegenseitigen Drucks. Ihre gleichmässige Grösse 
würde für eine so ziemlich gleichzeitig erfolgende, flockige 
Gerinnung mit beschränkter weiterer Entwicklung des einzel- 
nen Gerinnsels sprechen, eine Vorstellung, die etwas durch- 
aus gezwungenes an sich hat. Die Homogenität der Schich- 
ten des Körperchens erscheint Heineke als Hauptkriterium 
seines Charakters als Gerinnungsprodukt. Mosengeil lässt 
die Fibrinbildung im füssigen Sehnenscheideninhalt durch ex- 
travasirte Blutkörperchen, oder um abgeschlossene Epithel- 
zellen oder eingewanderte Bindegewebskörperchen herum in 
concentrisch-lamellöser Schichtung erfolgen. Seine histologi- 
schen Untersuchungen, die er an in Müller’scher Flüssigkeit 
gehärteten, dann mehrere Tage in Glycerin-Gummi gelegten, 
mit Alkohol ausgezogenen und schliesslich in Wasser aus- 
gelaugten Präparaten vornahm, ergab ihm Abwesenheit jed- 
weder organischen Struktur, keine Andeutung von zelligen 
Elementen, feinschaligen Bau mit unregelmässigen Zerklüf- 
tungen. Die unzweckmäzsige Behandlung der Präparate vor- 
züglich das Liegenlassen in Glycerin und der nachherige Zu- 
satz von Wasser, tragen nach meiner Ansicht die Schuld an 
diesem negativen Untersuchungsresultat. 

Wir haben unsere Corpuscula oryzoidea längere Zeit in 
eine schwache Chromsäurelösung gelegt, dann in eine Mischung 
von Mandelöl und Wachs eingebettet, hierauf Schnitte ange- 
fertigt, diese mit Carmin tingirt, in schwach angesäuertem Wasser 
gewaschen, mitabsolutem Alcohol entwässert und nachBehandlung 
mit Terpentinöl in Canadabalzam eingeschlossen. Ganze Quer- 
schnitte wie zerzupfte Präparate wurden der mikroskopischen Un- 
tersuchung bei 3—400facher Vergrösserung unterworfen und 


— 133. — 


zeigten durchweg in concentrischer Anordnung ein fein reti- 
kuläres Bindegewebe, das in eng verstrickter maschenartiger 
Verflechtung kleine Zellen mit Zellkernen trug. In den äus- 
sersten (jüngsten) Schichten waren die Zellen grösser, blass, 
feinkörnig, einige mit 2 Kernen versehen von Spindelform 
oder sternförmig mit feinen Fortsätzen versehen, die sie mit 
anliegenden Zellen verbanden. Im Centrum fand sich eine 
kleine Höhle in Folge schleimiger Erweichung. An der Peri- 
pherie sassen da und dort vereinzelte grössere Zellen von 
zweifellos epithelialem Typus auf, welche die Ueberbleibsel 
einer kontinuirlichen epithelialen Umhüllung darzustellen schie- 
nen. Auf grössere Strecken hin lagerte an der äusseren 
Contour der organisirten Bindegewebsschichten eine schmälere 
Zone von feinkörnigem, strukturlosem Fibrin an, welches sich 
offenbar auf die Oberfläche des Körperchens niedergeschlagen, 
und die epitheliale Hülle an den betreffenden Stellen zerstört 
hatte. Dem entsprechend gaben einzelne Körperchen schon 
makroskopisch eine rauhe, filzige Oberfläche zu erkennen, 
während die Mehrzahl eine glatte, glänzende Aussenfläche 
zeigte. In den bindegewebigen Strata’s der Reiskörperchen 
sahen wir da und dort feine, gewundene, gablig sich theilende 
Kanäle mit einfach kontrurirten Wandungen, welche wir als 
Capillaren deuten zu dürfen glaubten. Die auffälligste und 
bisher noch nicht erwähnte Erscheinung des mikroskopischen 
Bildes war aber eine disseminirt über die bindegewebige 
Grundsubstanz sich vertheilende Anhäufung von scharf kon- 
turirten, grobkörnigen, runden, etwas geschrumpften Zellen, 
mit ein oder mehreren Kernen, welche frei im Gewebe lie- 
gend, ihrer Form und Grösse nach nichts anderes sein konn- 
ten, als Eiterkörperchen; Eiterkörperchen, welche das Pro- 
dukt der Entzündung bildeten, die wir zum Zwecke der Hei- 
lung in der Sehnenscheide erzeugt hatten. Da solche Eiter- 
körperchen sich in allen von uns untersuchten corpuscula 
oryzoidea fanden, auch in jenen, welchen jede Andeutung 
eines Stieles fehlte, die also jedenfalls zur Zeit der Erregung 
der Eiterung schon ihre Verbindung mit der Sehnenscheiden- 


— 134 — 


wand verloren hatten, so sind wir berechtigt, eine Einwan- 
derung derselben aus dem flüssigen Inhalt der Sehnenscheide 
anzunehmen und können in dieser Beobachtung eine klinische 
Illustration zu dem bekannten Experimente v. Recklinghau- 
sen’s erblicken, welcher diese Einwanderung von Eiterkörper- 
chen an ausgeschnittenen Hornhäuten, die er einem lobenden 
Thiere in Körperhöhlen mit entzündeter Auskleidungsmem- 
bran eingelegt hatte, zuerst nachwies. 

Wir sehen somit, in Uebereinstimmung mit Virchow’s 
neuerer Ansicht, die Reiskörperchen als bindegewebige Aus- 
wüchse der Serosa und des subserösen Bindegewebes der 
Sehnenscheide an, welche mit der Zeit, zum Theil wenigstens 
durch die Bewegungen der Sehne oder durch die massenhaften 
Nachschübe benachbarter Körperchen von ihrem Mutterboden 
losgerissen werden. Die Analogie mit einer gewissen Gat- 
tung von Gelenkkörper wird hiedurch eine vollständige und 
wie diese, so kann auch bei jenen der centrale Kern des 
Neugebildes sich schleimig verflüssigen oder knorpelig wer- 
den, wovon einige unserer Sehnenscheidenkörper erste Spu- 
ren wahrnehmen liessen. Denkbar ist dabei immerhin, dass 
gelegentlich eine kleine Exerescenz von einer an Mächtigkeit 
sie weit übertreffenden Fibrinhülle nach und nach umschlos- 
sen wird, in welcher nur aufmerksame Untersuchung den 
bindegewebigen Grundstock noch entdecken wird. 

Da nicht in allen Fällen von chronisch-seröser Tenosy- 
nitis corpora oryzoidea gefunden werden und da, wo diese 
vorkommen, meist nur wenig oder gar kein flüssiger Inhalt 
in der Sehnenscheide sich befindet, so dürfte es sich wohl 
empfehlen, von einer besondern chronischen „Tenosynitis 
proliferans“ zu sprechen, welche eine höhere Entwick- 
lungsstufe der chronischen serösen Tenosynitis darstellt, so 
wie die Arthritis deformans, welche zur Bildung freier Ge- 
lenkkörper führt, aus dem chronischen Hydarthros oder der 
chronischen (serösen) rheumatischen Gelenkentzüdung sich ent- 


wickelt. — 
So wie die serösen Entzündungsformen der Sehnen- 


— 15 — 


scheiden haben auch die eitrigen ihr Vorbild unter den Ge- 
lenkentzündungen. 

Wir unterscheiden eine akute eitrige Tenosy- 
nitis und eine chronische eitrige Tenosynitis. 
Erstere, auf traumatischem Wege durch Stich-, Schnitt- und 
Quetschwunden am häufigsten entstanden, führt zu Phleg- 
monen der Umgebung, weithin dissecirenden Eiterungen und 
schliesslichem Aufbruch nach Aussen ganz wie die Arthro- 
meningitis purulenta acuta. Sie kann wie dise kroupös 
werden und selbst diphtheritischen Charakter annehmen, 
entsprechend den kroupösen und diphtheritischen Entzündungs- 
formen der Gelenke. Die chronische eitrige Tenosynitis geht 
über in die fungöse Sehnenscheidenentzündung 
welche das vollkommenste Analogon der fungösen Gelenk- 
entzündung darstellt, mit ihren schlaffen, schwammigen, eitrig 
infiltrirten, leicht blutenden Granulationen, von denen die 
Sehnenscheide erfüllt ist, ihrer dünnen, schlechten Eiterse- 
kretion, der Unterminirung der bedeckenden, an der Entzün- 
dung participirenden Haut und dem schliesslichen mehrfachen 
Durchbruch derselben. Ja selbst in der Nekrose der Sehne, 
wie sie nicht selten den Ausgang der fungösen Tenosynitis 
bildet, können wir ein Gegenstück zu der nekrotischen Ab- 
stossung der Knorpelüberzüge der Gelenke in Folge ihrer 
Unterwühlung durch die fungösen Granulationen der Syno- 
vialmembran und des Knochens erblicken. In diesen fun- 
gösen Massen lassen sich, innerhalb der Sehnenscheiden wie 
innerhalb der Gelenke, zuweilen bei der histologischen Unter- 
suchung miliare, der Verkäsung anheimfallende Herde nach- 
weisen, welche als Tuberkelknötchen angesprochen wer- 
den müssen und bei massenhaftem Auftreten eine wahre Mi- 
liartuberkulose derSehnenscheiden konstituiren wie 
sie durch R. Volkmann und Andere an den Synovialhäuten 
der Gelenke konstatirt wurde und in seltenen Fällen bei scrophu- 
lösen und tuberkulösen Individuen an Sehnenscheiden und Syno- 
vialhäuten nebeneinander vorkommen. Ich habe solche fungösen 


Sehnenscheidenentzündungen wiederholt beobachtet und gegen- 
Naturw.-med. Verein. 12 


— 136 — 


wärtig wieder eine solchen Fall von mehrwöchentlichem Ver- 
lauf bei einem Knaben in Folge einer heftigen Distorsion der 
Sehne des Flexor pollicis longus auf der Klinik. Die erfor- 
derliche operative Behandlung kann sich in der Regel nicht 
auf die Incision der Sehnenscheide beschrenken, die auch nur 
wenig dünnen Eiter liefert unter Hervorquellen der Granu- 
lationen aus der Schnittwunde. Die letzteren müssen zer- 
stört werden und an ihrer Stelle frische kräftige Granulations- 
bildung, wo möglich mit Erhaltung der Sehne angeregt wer- 
den. Die Zerstörung geschieht mit dem Aetzkalistift oder mit 
reiner krystallisirter Carbelsäure, die in Stangenform gegossen 
wurde, oder mit dem Glüheisen, oder die Granulationen wer- 
den mit. der Hohlscheere abgetragen. Stark adstringirende 
oder irritirende Verbandmittel wirken gewöhnlich nicht ener- 
gisch genug. Empfohlen wird auch das Auskratzen oder 
Abschaben der schwammigen Massen von ihrer Unterlage 
mit einem Raspatorium oder schneidenden Knochenlöffel, ein 
Verfahren, das scheinbar ein rohes, doch als radikalster Ein- 
griff gerade in den hartnäckigsten Fällen noch zum Ziel füh- 
ren kann, wovon ich mich selbst überzeugte. 

Die chronische eitrige Tenosynitis kann end- 
lich auch metastatisch auftreten, als Theilerscheinung der 
Pyämie, ein Seitenstück zu den metastatischen Gelenk- 
entzündungen; vorzüglich chronische Pyämie bietet dazu 
Veranlassung. Ein Aufbruch nach Aussen bildet hier nicht 
den nothwendigen Ausgang, sondern man wird bei günstigem 
Verlauf der Allgemeinkrankheit hoffen dürfen, die Resorption 
(unter Anwendung resorptionsbefördernder Mittel, wie Jod- 
bepinselungen) in der Mehrzahl der Fälle erfolgen zu sehen. 

Es erübrigt einer letzten Entzündungsform der Sehnen- 
scheiden zu gedenken, welche, der Mittelstellung entsprechend, 
die diese letzteren in anatomischer Beziehung zwischen den 
Synovialhäuten der Gelenke und den serösen Häuten der 
grossen Körperhöhlen einnehmen, ihre Analogie in gewissen 
Entzündungen der einen wie der andern findet. Ich meine 
die sowohl akut als chronisch auftretende Tenosynitis 


— 137 — 


crepitans. Diese, charakterisirt durch ein knisterndes Ge- 
räusch, welches bei mässiger schmerzhafter Schwellung der 
Sehnen entsteht, besteht in nichts anderem als in einer der 
adhäsiven, trockenen Pleuritis oder Pericarditis ähnlichen Ent- 
zündung, welche bei sehr geringer Exsudation zu Anflügen 
von Bindegewebswucherungen auf der Innenfläche der Sehnen- 
scheide geführt hat. Diese organisirte (nicht fibrinöse) Auf- 
lagerung mit ihrer rauhen Oberfläche erzeugt beim Vorüber- 
streifen der Sehne für das Gefühl ein Reibegeräusch, das 
dem Knarren des Leders oder eines festgefrorenen Schnees 
am meisten entspricht, und um so deutlicher wird, je mehr 
Flächenausdehnung die Bindegewebsneubildung besitzt, je 
spärlicher das flüssige Contentum der Sehnenscheide ist und 
je stärker die Weichtheile mit dem zufühlenden Finger gegen 
die unterliegende Sehne angedrückt werden. Fibrinöse Ge- 
rinnungen der Sehnenscheidenflüssigkeit scheinen dabei keine 
oder nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. 

Das crepitirende Geräusch verliert sich, wenn die Ent- 
zündung zurückgeht, durch Abschleifung der rauhen Excres- 
cenzen und Glättung der Sehnenscheidewand. Zu einer Ver- 
wachsung derselben mit der Sehne, welche einen Verlust der 
Beweglichkeit der letzteren nach sich zöge, kommt es nicht. 
Der Unterschied von der adhäsiven Pleuritis, der sich hierin 
ausspricht, ist ein leicht erklärlicher. Am häufigsten stellt 
sich diese T. crepitans an den Sehnen des Abductor und des 
Extensor pollicis longus ein, erkenntlich an einer dem Ver- 
laufe dieser Sehnen im untern Drittel das Vorderarms fol- 
genden, spiralig um den radius sich ziehenden Schwellung. 
Vorzugsweise davon befallen werden Wäscherinnen, welche 
beim Auswinden der Wäsche jene Muskeln übermässig an- 
strengen. Aber anch Flexoren und Extensoren der Finger 
bei Clavierspielern tendiren dazu und gestatten der Entzün- 
dung einen chronischen Charakter anzunehmen, wenn die 
schädliche Ursache nicht längere Zeit hindurch bei Seite ge- 
schoben wird. Ruhe (Gypsverband), Jodtinkturbepinselung 
Umschläge führen, zeitig genug angewandt, rasche Heilung herbei. 

12 * 


= HOON aa 


An den Gelenken erinnern gewisse, seltene Entzündungs- 
formen mit kaum nennenswerther Exsudation und aller Wahr- 
scheinlichkeit nach vascularisirten Bindegewebsauflagerungen 
auf die Synovialhaut, welche ihrer trockenen Beschaffenheit 
wegen Crepitation bei den Bewegungen des Gelenks erzeugen 
und zu adhäsiven Verklebungen und Verödungen der taschen- 
förmigen Synovialhautausstülpungen führen, wenn nicht recht- 
zeitige Rückbildung eintritt, an das entworfene Bild der Te- 
nosynitis crepitans. 

Von den im Vorstehenden übersichtlich und vergleichend 
zusammengestellten Sehnenscheidenentzündungen, welche sich 
übrigens nicht so scharf gegen einander abgrenzen, dass nicht 
Uebergänge von der einen zur andern möglich wären, kamen 
während meines erst so kurzen Aufenthaltes an hiesigem Orte 
schon so viele zu meiner Beobachtung, dass es nicht müssig 
ist, die Frage nach der Ursache der Häufigkeit dieser Er- 
krankungen hierorts aufzuwerfen. Wir können freilich dar- 
über wenig mehr als Vermuthungen aussprechen. Angesichts 
der Erfahrung, dass die rheumatischen Affektionen zu den 
verbreitetsten Leiden der hiesigen Bevölkerung gehören und 
der Thatsache, dass unter den beobachteten Fällen von Seh- 
nenscheidenentzündungen ebenso viele den wohlhabenderen 
als den ärmeren, arbeitenden (und allerdings sehr hart ar- 
beitenden) Classen der hiesigen Bevölkerung angehören, ist 
man geneigt, in den klimatischen Verhältnissen hiesiger Ge- 
gend mehr als in zufälligen mechanischen Irritationen die 
Schuld zu suchen. Die so oft wiederkehrende jähe Tempe- 
ratursteigerung, die durch den Ausbruch des Sirocco bedingt 
wird und an einem und demselben Tage Temperaturdifferenzen 
von 16—18° R. herbeizuführen im Stande ist, vermag seine 
schädliche Wirkung an den exponirten, oberflächlich liegen- 
den Bewegungsorganen vor Allem geltend zu machen und 
hier, wie überhaupt, Congestivzustände hervorzurufen. An- 
dererseits haben die Jahre lang fortgesetzte meteorologische Unter- 
suchungen eine ungewöhnliche Trockenheit der atmosphärischen 
Luft hierorts ergeben, für die es nicht schwer fiele, die man- 


— 139 — 


nigfaltigsten Belege aus dem täglichen Leben beizubringen. 
Plötzliche weitere Herabsetzung des an und für sich ge- 
ringen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft bewirkt gleichfalls 
der warme Südwind bei seinem Einbrechen in unsere tieferen 
Luftschichten. Auch in dieser Beziehung ist die Annahme 
nahe gelegt, dass der unvermittelte rasche Uebergang in sei- 
ner Wirkung auf die physiologisch auf einen gewissen Grad 
der Durchfeuchtung angewiesenen aktiven Bewegungsorgane 
den schädlichen Krankheitserreger bildet. Wie sehr die ex- 
ponirte Lage der Sehnenscheiden hiebei mit in’s Spiel kommt, 
beweist sich nicht blos aus der häufigeren Erkrankung ge- 
rade der oberflächlichsten und durch die Kleidung am we- 
nigsten geschützten derselben, sondern auch aus der von mir 
gemachten Beobachtung, dass die Erkrankten vorwiegend In- 
dividuen mit fettarmem Unterhautzellgewebe, zarter Haut und 
schmächtigen Sehnen und Muskeln waren. 

Indem wir uns auf diese wenigen allgemeinen Andeu- 
tungen beschränken, fügen wir, unter Uebergehung der eitrigen 
und krepitirenden Sehnenscheidenentzündungen, von denen 
wir mehrere Fälle beobachtet, über die wir nur Bekanntes 
zu wiederholen wüssten, noch einige Details über unsere Er- 
fahrungen hinsichtlich der Behandlung der chronischen 
serösen und proliferirenden Tenosynitis hinzu, die 
einigen Anspruch auf Neuheit für den Praktiker erheben dürften. 

Vier Fälle von einfachem Sehnenscheidenhy- 
grom des Flexor digitorum comm. subl. und prof. und ein 
Fall von Hygroma proliferum derselben Sehnenscheide 
boten uns die Gelegenheit dazu. Eine sechste Kranke mit 
Hygrom (das wahrscheinlich auch ein proliferirendes war) 
stellte sich nur einmal vor und unterzog sich keiner Behand- 
lung. In drei von jenen 5 Fallen war nur der oberhalb des 
lig. carpi volare gelegene Abschnitt der Sehnenscheide hyger- 
matös entartet, in den zwei anderen participirte auch der in 
der vola manus gelegene Theil an der Erkrankung und das 
gen. Band theilte den hygromatösen Hohlraum quersackähn- 
lich in 2 Abtheilungen. 


Ey eee 


Die Anwesenheit der corpuscula oryzoidea liess sich in 
dem Falle von Tenosynitis proliferans aus dem Gefühl von 
Knarren beim abwechselnden Niederdrücken auf den oberen 
und untern Theil der elastischen Geschwulst feststellen. 

Von den 4 einfachen Sehnenscheidenhygromen kamen 
3 bei jüngern Männern, eines bei einer ältern Frau vor; 
drei derselben waren etwa hühnereigross, eines hatte die 
Grösse eines Gänseeies; die Erscheinungen, die sie im Ueb- 
rigen darboten, waren die bekannten. Alle 4 hatten schon 
eine längere Zeit hindurch bestanden und waren unter Be- 
einträchtigung der freien Bewegung der Finger langsam ge- 
wachsen. Die Mittel, welche zur Beseitigung derselben an- 
gewandt wurden, waren: Immobilisirung im Gypsverbande 
oder Schienenverbande, Einpinselung von Jodtinktur, hydro- 
pathische Einwicklungen, Compression, Punktion mit subku- 
taner Discission der Hygrom-Wandung. Weitere in Frage 
kommende operative Eingriffe, von welchen einzelne in dem 
Falle von Hygroma proliferum Anwendung fanden, und unter 
welchen die für Ganglien speziell bestimmten unerwähnt blei- 
ben, sind: Einfache Punktion mit dem Troisquart, Punktion, 
mit Injection von Jodtinctur, subkutane Incision, kleiner freier 
Einschnitt, Drainage, Spaltung des Sacks nach seiner ganzen 
Länge. Dazu kommt in neuerer Zeit die elektrolytische Me- 
thode, welche indessen, soweit die bisherigen Erfahrungen 
reichen, wegen grösserer Unzuverlässlichkeit und grösserer 
Gefährlichkeit der ihr am nächsten stehenden Punktion mit 
Jodtinkturinjektion nachgesetzt werden muss. 

Als das wirksamste unter den schonenderen Verfahren 
kann ich die methodisch angewandte Compression besonders 
in ihrer Verbindung mit dem Gypsverbande und der jewei- 
ligen Jodtinkturbepinselung empfehlen. Ich verfuhr behufs 
Applikation dieses kombinirten Verfahrens in einem 
der obigen Fälle in folgender Weise: 

Ich legte bei geringer Dorsalflexion der Hand einen 
Gypsverband von den Finger-Knöcheln bis zum Ellbogenge- 
lenke an, versah denselben gegenüber dem Hygrom mit einem 


— 141 — 


länglich-ovalen Fenster, welches dasselbe genau einrahmte, 
bedeckte die Oberfläche des Hygnom’s mit einem befetteten 
Leinwandstück und legte auf dieses ein eigens zugeschnittenes, 
handhohes Stück trockenen, noch nie benütztenBad- 
schwamms, das mit seiner schmalen Schnittfläche genau 
das Fenster des Gypsverbandes ausfüllte. Dieses Schwamm- 
stück wurde dann mittelst sorgfältiger Bindeneinwicklung sehr 
fest gegen seine Unterlage, bez. die Rückenseite des Gyps- 
verbandes angedrückt und dabei mindestens auf den zehnten 
Theil seiner Höhe zusammengepresst. Dieser Compressions- 
verband blieb mehrere Tage liegen, dann wurde er entfernt, 
den komprimirten Parthien eine kurze Erholung gegönnt und 
darauf der Verband so oft wieder erneuert, bis die vollstän- 
dige Resorption des serösen Sehnenscheideninhalts eingetreten 
war. In den Intervallen liess ich täglich im Bereiche des 
Fensters Jodtinktur einpinseln. Diese Compressionsmethode _ 
hat den grossen Vorzug vor allen früheren im höchsten Grade 
elastisch zu sein und kann desshalb ohne Decubitus her- 
vorzurufen, eine beliebig lange Zeit hindurch in Wirkung 
bleiben (und dazu unter Umständen mittelst Gypsbinden aus- 
geführt werden), ohne dass die Haut andere Spuren als die 
des reliefartigen Abdrucks der Schwammoberfläche davon- 
triige. Der Druck ist kein circulärer, ruft desshalb auch 
keine Stauungserscheinungen an der Hand hervor. Es ver- 
hält sich diese Compressionsart zu der noch neuerdings von 
Heinecke empfohlenen mit Wattenbausch und Cirkelbinden- 
touren um den blossen Vorderarm wie die Wirkung der sog. 
Compressorien bei Arterienkompression zu derjenigen des Tour- 
niquets. Die Benützung eines aufgerollten Bindenkopfs statt 
des Badeschwamms als Druckmittel, wie ich sie gleichfalls 
versuchte, ist weniger vortheilhaft wegen der geringeren Ela- 
sticitat. - 

In zweien nnserer obigen Fälle führte dieses kombinirte ° 
Verfahren in 4—5 Wochen die vollständige Resorption des 
wässerigen Inhalts des Hygroms herbei. Mit diesem Erfolge 
darf man sich aber nicht begnügen. Die Behandlung muss 


— 12 — 


tiber diese Zeit fortgesetzt und die Sehne von dem Kranken 
noch längere Zeit geschont werden, wenn nicht bald wieder 
ein Recidiv eintreten soll, wozu der Verlust der Elasticitat 
der fibrösen Sehnenscheide noch lange prädisponirt. Die Ver- 
nachlässigung dieser wichtigen Vorschrift hat in einem un- 
serer Fälle nach einiger Zeit wieder ein stärkeres Anlaufen 
der Sehnenscheide nach sich gezogen. 

Gegen diese Möglichkeit eines Rückfalles schützt auch 
die Mehrzahl der andern operativen Behandlungsmethoden, 
wie die Entleerung des Hygrominhalts durch Punktion, die 
Punktion mit Skarifikation, die subkutane Incision nnd Dis- 
cission nicht. Ich habe diese letztere in einem dritten 
unserer Fälle mittelst eines kleinen konvexen Tenotoms aus- 
geführt und den Inhalt des Hygroms theils durch die Ein- 
stichsöffnung nach Aussen, theils durch die inneren Einschnitte 
seiner Wandung in das umgebende Zollgewebe entleert. Darauf 
applicirte ich einen Druckverband mittelst einer Dorsalschiene 
Charpieballen und Rollbindeneinwicklung. Dieser musste je- 
doch wegen venöser Hyperämie der Finger bald wieder ent- 
fernt werden. Jodtinkturbepinselung, hydropathische Um- 
schläge mit mässiger Compression verhüteten die wiederan- 
füllung der Sehnenscheide. Einige Wochen vergiengen und 
das Resultat schien gesichert, als der Kranke meiner War- 
nung ungeachtet, seine Hand durch tagelanges Schleppen von 
Aktenstössen wieder übermässig anstrengte und dadurch eine 
erneuerte, wenn auch auf einem geringeren Grade beschränkte 
Exsudation in seine Sehnen sich zuzog, gegen welche aus 
äusseren Gründen bislang eine weitere Behandlung nicht ein- 
geleitet wurde. 

Etwas grössere Sicherheit gegen ein Recidiv gewährt die 
Punktion mit Injektion von Jodtinktur, besonders in jenen 
Fällen, in welchen die erregte Entzündung eine gewisse In- 
tensität erreicht. Hiebei kann es selbst zu Eiterungen kom- 
men. In diesem Falle wird die Punktionsöffnung ein klein 
wenig mit dem Bistouri erweitert und ein Carbolölläppchen 
eingelegt, bei erschwertem Eiterausfluss auch eine Gegenöff- 


— 143 — 


nung gemacht und drainirt. Die Heilung erfolgt dann auf 
dem Wege der Granulationsbildung, doch ohne Exfoliation 
der Sehne. Die Spaltung des Hygroms seiner Länge nach 
(das Analogon der Radikaloperation der Hydrocele) bringt 
in dieser Beziehung grössere Gefahr mit sich und kann unter 
Umständen zu einer diffusen eitrigen Zellgewebsentzündung 
Veranlassung geben, sollte also nur in Ausnahmsfällen zu 
Hülfe gezogen werden. Von einer Exeision kann natürlich 
nur beim Ganglion, nicht beim Hygrom, wie wir es definirt, 
die Rede sein. 

Ganz besondere Anforderungen an die Therapie stellt 
das Hygroma proliferum. Hier handelt es sich neben 
der Entleerung des flüssigen Inhalts, der zuweilen ein ver- 
schwindend geringer ist, um die Entfernung der Reiskörper- 
chen. Sowohl in jenen Fällen, in welchen dieselben zufällig 
entdeckt wurden, bei der Punktion, als in andern, in welchen 
die Therapie auf eine richtige Diagnose basirt wurde, hat 
man sich bisher stets begnügt, so viele Körperchen aus der 
Stichöffnung auszupressen, als sich durch Druck zu Tage 
fördern liessen. Hunderte, ja in dem Falle von Mosengeil 
angeblich sogar Tausende konnten auf diese Art entleert 
werden. Kamen auf wiederholten Druck keine weiteren mehr 
zum Vorschein, so liess man die kleine Stichwunde sich 
schliessen und die „momentane“ Heilung war mehr weniger 
vollständig erzielt. Aber die Dauer derselben war eine kurze. 
Neue Schwellung, neues Conzitiren, neue Punktion mit Ent- 
leerung von mehr Serum und weniger Körperchen und wie- 
der keine definitive Heilung. Das ist auch leicht erklärlich. 
Wurden doch immer nur die freien, nicht adhärirenden 
Reiskörperchen, die man freilich auf Grund genetischer Hy- 
pothesen als die einzigen vorhandenen ansah, durch die be- 
schriebene Procedur entfernt. Die noch festsitzenden gestiel- 
ten blieben zurück und wurden die Veranlassung zu einer 
neuen Exsudation. Um auch diese sicher zu entfernen, ohne 
die gewagte Spaltung des Hygroms vornehmen zu müssen, 
versuchte ich in dem zum Schlusse noch kurz mitgetheilten 


— 144 — 


Falle ein neues Operationsverfahren, das mir nach vergeblicher 
Anwendung der bisher üblichen, zu einem vollkommenen und 
bleibenden Erfolge verhalf. Dasselbe besteht in der „Aus- 
löffelung der Sehnenscheidenkérper®* durch eine 
kleine Ineisionsöffnung mittelst eines gewöhnlichen Ohrlöf- 
tels nach Abfluss des flüssigen Sekretes. Die Ausführung 
ist sehr einfach und bedarf keiner besonderen Beschreibung. 
Sie scheint nach unserer Erfahrung ein harmloser Eingriff zu 
sein und bringt radicale Hülfe auf dem Wege mässiger Ei- 
terung und Schrumpfung der Sehnenscheide ohne Gefährdung 
der Sehne und mit Erhaltung von deren freier Beweglichkeit. 

Der Fall, in welchemich dieselbe anwandte, ist kurz be- 
schrieben, folgender: 

R. H., ein schmächtig entwickeltes Bauernmädchen von 
20 Jahren, hatte vor 3 Jahren einen kleinen Unfall beim 
Holztragen. An der Holzkraxe, die sie auf dem Rücken 
trug, ging ihr nämlich beim Aufstützen das rechte Achsel- 
band los, die Kraxe drohte zu stürzen, die Kranke hielt sie 
mit ihrer linken Hand am andern Achselband noch fest, so 
dass die ganze Last mit ihrem schwerem Gewichte an die- 
ser Hand für einige Augenblicke hieng. 

Die Zerrung der Flexorensehnen in der überstreckten 
Stellung war eine erhebliche. Es trat sofort entzündliche 
Schwellung ein, die, da die Kranke sich nicht schonte, nie 
wieder ganz zurückgieng. Im Gegentheil, die Geschwulst 
vergrösserte sich unter zeitweiligen Schmerzen in Folge stär- 
kerer Anstrengung zusehends, und hatte, -als die Kranke sich 
in der Klinik vorstellte, nahezu die Grösse eines Ganseeies. 
Sie sass zur Hälfte in der palma der linken Hand, zur Hälfte 
oberhalb des lig. carpi volare, das sie in zwei Kammern 
theilte. Sie war prall - elastisch fluktuirend, von normaler 
Haut bedeckt. Beim Eindrücken des Fingers konnte man 
ein leises Knarren verspüren. Das Schliesen der Hand, so- 
wie die völlige Streckung der Finger waren unmöglich. Die 
Diagnose wurde auf Tenosynitis proliferans gestellt. Die 
Behandlung begann mit Einpinselungen von Jodtinktur 


— 145 — 


und Applikation eines Druckverbandes mit genässten Binden 
gegen eine Dorsalschiene. Der Erfolg war gering. Es wurde 
daher zur Punktion der Geschwulst in der Hohlhand 
mittelst des Troisquarts geschritten und als diese kaum einen 
Tropfen Flüssigkeit zum Vorschein brachte, eine Injektion 
von einer geringen Quantität Jodtinktur mit 1% Alkohol ver- 
setzt, damit verbunden. Die Reaktion war gering, eine ganz 
unbedeutende Eiterung erfolgte, derentwegen die Punktions- 
öffnung ein klein wenig mit dem Knopfbistouri erweitert 
wurde Da die Eiterung den Zerfall und die Elimination der 
Reiskörper nicht zur Folge hatte, entschloss ich mich, die- 
selben direkt zu entfernen. Ich dilatirte zu diesem Behufe. 
die kleine Wunde noch etwas weiter und vermochte nun 
durch Druck auf die Hohlhand zunächst etwas gelbbraune, 
viscide Flüssigkeit und dann eine grosse Zahl der Sehnen- 
scheidenkörper selbst auszupressen. Als auf wiederholtes 
Drücken keine neuen Körperchen mehr zum Vor- 
schein kamen, während die Geschwulst doch kaum erst 
um die Hälfte abgenommen hatte und sich immer noch ela- 
stisch und krepitirend anfühlte, ging ich mit einem Ohr- 
löffel mit ziemlich scharfem Rand in den Sack 
desHygroms ein und löffelte noch eine mindestens gleich 
grosse Menge der Körperchen, die der Mehrzahl nach kleine 
zarte Stiele zeigten, durch Radiren der Wandungen aus. 
Durch diese Proceduren wurden im Ganzen 112 corpuscula 
oryzoidea von der Grösse eines Hanfkorns bis zu der einer 
Linse herausbefördert. Dann wurde Charpie eingeführt und 
ein Eisbeutel auf die Hand applicirt. Den folgenden Tag 
liessen sich durch Druck weitere 16 Körperchen ausdrücken. 
Darnach stellte sich eine mässige entzündliche Schwellung 
ein mit Röthung der Haut; diese erstreckte sich von der 
Hohlhand auf den Vorderarm: An dem hier befindlichen 
Theil des Hygroms wurde eine Gegenöffnung gemacht und 
drainirt. Einige Tage hindurch hielt die fleckige Röthe am 
Vorderarm an bei gelinder Fiebertemperatur, dann .ging sie 
zurück auf Applikation von Jodtinktur und hydropathische 


— 146 — 


Umschläge. Die Eiterung aus beiden Oeffnungen blieb stets 
eine geringe und währte nur 10 Tage, während welcher Zeit 
die entzündliche wie die frühere hygromatöse Schwellung bis 
auf ein Minimum zurückgingen. Nach Ablauf von 14 Tagen 
schlossen sich die Wunden. Die Kranke war in Stand ge- 
setzt, ihre Finger wieder vollständig zu beugen und zu stre- 
cken. Die Heilung konnte bei ihrer kurz darauf erfolgten 
Entlassung als eine radikale bezeichnet werden. Einige Wo- 
chen später stellte sie sich wieder auf der Klinik vor. Die 
Geschwulst und die mit derselben verbundenen Beschwerden 
waren und blieben verschwunden. 


Die folgenden klinischen Beobachtungen sind, die ersten 
4 von dem 1. Assistenten der Klinik, Herrn Dr. Lang, 
die letzten 2 von dem zweiten klinischen Assistnnten, Herrn 
Dr. Schlemmer auf Grund unserer ausführlichen Journal- 
aufzeichnung im Auszuge mitgetheilt : 


2. Krebs des Mastdarms, hoch hinauf reichend, 
vollständige Exstirpation, gefährliche Blutung, 
Heilung. 

Grosses Interesse gewinnt folgender Fall einestheils durch 
die grosse Ausdehnung des der Operation noch unterworfenen 
Carcinom des Rectum’s, anderntheils durch den Umstand, 
dass die Patientin durch den bei der Operation erlittenen 
enormen Blutverlust (und die Einwirkung der Chloroform- 
narkose?) länger als 48 Stunden in einem sehr Besorgniss 
erregenden Erschöpfungszustande verharrte, und die Heilung 
nichtsdestoweniger so vollständig erfolgte, dass, nach einge- 
laufener Nachricht, nach Ablauf eines halben Jahres ein Re- 
cidiv noch nicht in Aussicht stand. 

P. Marie, 58 Jahre alt, erzählt, dass im 20. Lebens- 
jahre ihre Menses zum ersten Male auftraten, welche sich 
mit Ausnahme der Schwangerschaftszeit ziemlich regelmässig 


nn 


— 147 — 


wiederholten. Im 28. Lebensjahre stellte sich bei ihr eine 


durch drei Jahre nicht zu stillende Diarrhoe, ohne Darmblu- 
tungen ein, während dieser Zeit war sie mit einem steten 
Magenschmerz behaftet. Im 29. Lebensjahre war sie das 
1. Mal entbunden worden. Bis vor 13 Jahren gebar sie 9 
reife Kinder, von denen 4 am Leben und gesund sind und 
abortirte inzwischen 7mal. Nach jeder Entbindung war sie 
durch wenige Wochen, vor 17 Jahren, nach einem Abortus, 
durch %/, Jahre krank. Vor 7 Jahren will sie eine Bauch- 
fellentzündung überstanden haben und seit damals nicht mehr 
menstruirt worden sein. Vor 3 Jahren ist sie durch 4 Mo- 
nate an einem sehr schmerzhaften Gelenksrheumatismus krank 
darniedergelegen. 

Vor 7 Jahren (nach früher erwähnter Bauchfellentzün- 
dung) hat die Kranke von einer Stange einen Stoss in der 
Dammgegend erlitten. Schon früher bemerkte sie Austreten 
von Mastdarmknoten beim Stuhl, die wieder von selbst zu- 
rückgingen; seit der Verletzung aber sollen die Knoten, na- 
mentlich bei harten Stühlen, auch bedeutend geblutet haben. 
Erst im vorigen Jahre wurde die Patientin, durch grosse 
Schmerzen im After, sich bewusst, dass sie im Mastdarm 
ein Gewächs habe. Es soll zu dieser Zeit nussgross gewe- 
sen sein. Die Schmerzen, namentlich beim Gehen, wurden 
immer lästiger und steigerten sich mit der Zeit so sehr, dass 
ihr seit 3 Monaten auch das Sitzen unmöglich geworden. 

St. praes.: Der Recto-vaginalraum ist von einer har- 
ten, höckerigen, drittelfaustgrossen, bis an die Rectalschleim- 
haut reichenden, diese aber nicht durchbrechenden, von der 
Vaginalschleimhaut eben bedeckten, bald oberhalb des Peri- 
naeums beginnenden Geschwulst ausgefüllt. Dieselbe lässt 
sich sowohl vom iteetum, als auch der Vagina aus mit dem 
Finger begrenzen. Die hintere Afterperipherie, sowie die 
Schleimhaut am hintern Umfange des Rectumendes sind von 
einigen Varicositäten durchsetzt. Nächstgelegene Lymphdrü- 
sen indact. Abgesehen von den durch die Geschwulst ver- 
ursachten Schmerzen, befindet sich die magere Patientin ganz 


— 148 — 


leidlich, ist bei gutem Humor und erfreut sich einer vollkom- 
men guten Verdauung. 


Am 14. Juli 1870 schritt Herr Prof. Heine zur Ent- 
fernung des Neugebildes in der ohne Zwischenfälle erfolgten 
Chloroformnarcose. Um einer später sich bildenden Cloake 
vorzubeugen, wird die hintere Vaginalwand, soweit sie die 
Geschwulst deckt, longitudinal gespalten und ebenso der Damm 
in der Mitteflinie getrennt, Schleimhaut und äussere Decke 
werden vom Neugebilde lospräpirt und dieses theilweise her- 
ausgehoben. Die Blutung trat bei erneuertem Vordringen 
so mächtig auf, dass, obwohl die Gefäse während der Opera- 
tion unterbunden wurden, der Rest der Geschwulst mit dem 
Ecraseur abgequetscht werden musste. 20 Gefässlumina wa- 
ren ligirt und noch immer war eine so bedeutende parenchy- 
matöse Blutung vorhanden, dass Eiswasserirrigation sich als 
vergeblich erwies und eine ausgedehnte Anwendung des Glüh- 
eisens Platz greifen musste. Durchleitung einer starken Schlinge 
durch den obern vordern Rectumtheil, um bei etwa auftre- 
tender Nachblutung das Operationsplanum hervorziehen zu 
können. Vereinigung der Vaginalschleimhaut und des Dam- 
mes durch die Knopfnaht. 


Die Kranke sieht nach der Operation sehr erschöpft 
aus; sie wird sogleich in ein warmes Bett gebracht und mit 
warmer Weinsuppe gelabt. Der Erschöpfungszustand steigert 
sich immer mehr, ein Ohnmachtsanfall folgt dem andern, 
Brechneigung, Schluchzen; der Puls klein und beschleunigt. 
Weinsuppe, Eier, Milch und Pot. Riveri. Abendtemperatur 
379 ©. Während der ganzen Nacht und den nächstfolgen- 
den Tag waren Arzt und Wartpersonale mit der Kranken 
beschäftigt, und nur der aufmerksamsten Pflege ist es zuzu- 
schreiben, dass die Patientin am 3. Tage nach der Opera- 
tion sich so weit erholte, dass man gerechtfertigte Hoffnung 
für ihre Erhaltung fassen konnte. 


Am 3. Krankheitstage zeigten sich die Vaginalschleim- 
hautlappen gangränös. In Carbolöl getränkte Bourdonnets 


— 149 — 


werden in’s Rectum und in die Vagina eingeführt. Allge- 
gemeinbefinden gehoben, beginnende Supuration. 

Am 4. Tage mussten die Dammnähte wegen Eiterung 
der Stichkanäle entfernt werden; auch der Damm blieb nicht 
vereinigt. Erster Abgang von 5 Ligaturen, theilweise Ab- 
stossung der grangränosen Partien. Heftpflastervereinigung 
des Dammes. Derselbe Verband. Nährende Diät. Der Un- 
terleib ist ein wenig empfindlich, nicht aufgetrieben; Kata- 
plasmen über denselben. ' 

Am 5. und 6. Krankheitstage profuse Abendschweisse. 
Normale Eiterung. Nach reichem Abgange von Winden wich 
die Empfindlichkeit des Unterleibes. Abends werden 2 drei- 
granige Chininpulver verabreicht. Das Fieber war im gan- 
zen gering (Die höchste Temperatr 38.4° C.) und hörte mit 
dem 6. Tage vollkommen auf. Der weitere Verlauf blieb 
ein normaler. Am 20. Tage konnte die Patientin bereits 
das Bett und am 46. Tage die Anstalt als geheilt verlassen. 
Leider ist durch die Gangräneszenz der Schleimhautlappen 
und die nicht erfolgte Vereinignng der Dammtheile eine theil- 
weise Cloake zurückgeblieben, die operativ beheben zu lassen, 
die Kranke nicht zugeben wollte. Erst in jüngster Zeit ha- 
ben wir von der Kranken wieder Nachricht erhalten: Ein 
Recidiv ist nicht aufgetreten; die Kranke schafft im Hause 
so munter, wie je. Die Geschwulst wird auch bei der mi- 
_ kroskopischen Untersuohung als Careinom erkannt. 


3. Ulcus rodens der Nasenspitze. Abtragung mit 
dem Messer. Rhinoplastik. Gutes Resultat. 

In den letzten Tagen des Oktober 1870 wurde uns von 
einem Herren Kollegen eine Kranke vorgestellt, die mit einem 
jeder äussern Medikation trotzenden Geschwüre der Nasen- 
spitze behaftet war. Die 64 jährige, ihrem Alter entsprechend 
senile Frau erzählte, es sei ihr. vor 15 Jahren ein Stein 
auf’s Gesicht gefallen und habe die Nase gekritzt. Von der 


— 150 — 


Zeit soll diese Stelle immer von einer Kruste bedeckt ge- 
blieben sein. Vor zwei Jahren will sie die Kruste verloren, 
und seit damals die Nasenspitze geschwürig behalten haben. 
Mehr weniger starke Aetzmittel wurden vergeblich angewendet. 

Status der Aufnahme: An der Nasenspitze ist ein klein- 
fingerspitzgrosses, unebenes, buchtiges, von einem zwei Linien 
breiten, harten Walle umgebenes, rein aussehendes und se- 
cretarmes Geschwür, das sich mehr gegen den rechten Na- 
senflügel hinzieht und denselben am Rande gegen das Sep- 
tum zu durch Zerstörung eingekerbt hatte; gegen den linken 
Nasenflügel ist nur der infiltrirte, harte Wall verbreitert. 
Keine Limphdrüseninfiltration. Es lag somit eine Geschwulst- 
form vor, welche gemeiniglich der gutartigsten Form des 
Epithelialkrebses zugereiht und als Ulcus rodens bezeichnet 
wird. Es war also Heilung nur von einer totalen Exstirpa- 
tion zu erwarten. 

Am 4. November 1870 trug Prof. Heine beide Na- 
senflügel zur Hälfte und das Septum in gleicher Höhe bis 
knapp am knöchernen Gerüste sammt Haut und Knorpel 
ab. Den Defekt deckte er durch einen Lappen, der seinen 
Stiel über dem linken Nasenbeine hatte und dessen beweg- 
licher Theil vom Nasenrücken, rechter Nasenhälfte und der 
hier angrenzenden Wange genommen wurde. Die freie Spitze 
des Lappens wurde zweimal mit der Scheere 4’” weit ein- 
geschnitten, die hiedurch entstandene mittlere Zunge, sowie 
die seitlichen Hälften wurden nach innen geschlagen und er- 
stere für die Nasenspitze, letztere für die defekten Flügel- 
theile verwendet. Nachdem die dem Septum zugekehrte Epi- 
dermisschichte der künstlichen Nasenspitze mit dem Rasir- 
messer abgeschält worden, wurde diese mit jenem durch drei 
Knopfnähte vereinigt. Je eine Zapfennaht sicherte die blei- 
bende Einkrempung der Nasenflügeltheile und Knopfnähte die 
Vereinigung mit den Resten. Die nicht unbedeutende Blu- 
tung wird theils durch Ligaturen, theils durch Eiswasserir- 
rigation gestillt. Charpie rapee auf die Wunde, ein nass- 
kaltes Leinwandläppchen auf den transplantirten Lappen. 


— 151 — 


2. Krankheitstag. Der rechte Winkel des Lappens ist 
ungemein cyanotisch; er wird mehrere Male scarificirt und 
durch längere Zeit entblutet, scheinbare Erholung; zu seiner 
Entspannung werden die Zapfennaht und Knopfnähte rechts 
entfernt. Abends hat die Cyanose derselben Stelle zuge- 
nommen; Scarificationen werden wiederholt; Eiswasser auf 
den in seinen übrigen Theilen geschwollenen Lappen. 

4. Tag: Zunahme der Lappenschwellung, Oedem beider 
Lider. Der rechte Lappenwinkel hat sich nicht mehr er- 
holt, es droht vielmehr auch ein kleiner Theil des linken 
Winkels abzusterben. Entfernung der linken Zapfennaht und 
der Nasenspitznihte. Charpie rapée wird durch einen Car- 
bolverband ersetzt. 

5. Tag. Der für den rechten Nasenflügel bestimmte 
Lappenhentheil hat sich fingerspitzgross, der fiir den linken 
linsengross abgestossen. Der linke Nasenfliigel wird durch 
Empl. angl. und Collod. in der Nähe des Lappens er- 
halten. 

Am 9. Tage. Lappenschwellung abgenommen, Lider- 
ödem geschwunden, Abfall der letzten Ligaturen, die durch 
den Lappen gesetzte Wunde schönst granulirend. Die Na- 
senspitze ist der Intention entsprechend; links von ihr eine 
kleine Einkerbung. 

17. Tag. Seit 3 Tagen kein Fieber; es war im Gan- 
zen mässig (höchste Temp. 38.3° C.). Die durch den Lap- 
pen gesetzte Wunde ist nur noch neukreuzergross, sie geht 
nach unten in den nur noch spaltförmigen Flügeldefekt über, 
der mit Epithel eingesäumt zu werden beginnt. Der stehen- 
gebliebene rechte Nasenflügeltheil ist durch die Narbenbildung 
über ihm in die Höhe gezogen. Die kleine Einkerbung links 
von der Nasenspitze hat sich schön verzogen und ist epi- 
thelbedekt. Die Kranke beginnt das Bett zu verlassen. 

Am 5. Jänner 1871 vollkommene Uebernarbung. 

9. Jänner. Correction: Der rechte Nasenflügeltheil wird 
im horizontalen Theile seiner Furche durchtrennt, etwas nach 


unten gedreht und mit dem häutigen Nasenrücken, nachdem 
Naturw.-med. Verein. 13 


ee 


die sich correspondirenden Stellen angefrischt wurden, durch 
Knopfnähte vereinigt. Einschieben von Charpie rapée nach 
Art eines Keils in die durch’s Herabziehen des Nasenfliigels 
entstandene Lücke, damit derselbe sich nicht wieder nach 
oben retrahire. 

16. Jänner. Die dem horizontalen Theile der rechten 
Nasenflügelfurche entsprechende Wundlücke ist kaum erbsen- 
tief. Die Kranke wird mit einem zierlichen Stumpfnäschen 
und mit der Weisung, in Carbolwasser getauchte Charpie 
rapee in die Lücke aus erwähntem Grunde einzulegen, auf 
ihren Wunsch aus der Behandlung entlassen. 

Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst musste 
hier, um so sorgfältiger gemacht werden, als von anderer 
Seite der Verdacht auf Lupus ausgesprochen worden war, 
mit welchem das Geschwür in der That auch manche Aehn- 
lichkeit hatte. Der Befund ergab in dem ganzen Bereich des 
Geschwürgrundes und dem umgebenden Wall theils runde 
Nester, theils zapfenähnliche und kolbige oder schlauchartige 
Formgebilde, welche ausschliesslich aus kleinen ein- und 
mehrkernigen Zellen von epithelialem Charakter bestanden 
und ihrerseits in das Stroma eines in Wucherung begriffenen 
Bindegewebes mit ziemlich entwickelten spindelförmigen Zellen 
eingebettet waren. Damit rechtfertigt sich die Annahme einer 
carcinomatösen Neubildung von jener Spezies, welche als fla- 
cher Hauptscirhus oder mit dem weniger treffenden Namen 
des Ulcus rodens bezeichnet wird. 


4. Grosser Defekt der Wange und des Mundes 

nach Noma. Plastische Wangen- und Lippen- 

bildung. Narbige Kieferklamme. Esmarch’sche 

Operation der Anlegung eines falschen Kiefer- 
gelenks. Schöner Erfolg. 

Am 8. Mai wurde der Klinik ein 8jähriger Findling 

in sehr heruntergekommenem Zustande mit einem nach Noma 


 , 


entstandenen. über thalergrossen Defekte der rechten Wange 
zur Heilung übergeben. Der den Defekt begrenzende Rand 
begann zwischen dem mittlern und rechten Drittel der Ober- 
lippe, lief nach aussen und oben, bog am vordern Rande des 
rechten Kaumuskels um, entblösste sowie die obern auch die 
untern Backen- und Schneidezähne und mündete zwischen dem 
mittleren und linken Drittel der Unterlippe aus. Der Nar- 
bensaum hatte nicht nur beide Lippenreste an ihre Kiefer 
fixirt, sondern auch diese selbst so sehr einander genähert, 
dass zwischen den untern und obern Schneidezähnen kaum 
ein Zwischenraum von 2 Linien geschafft werden konnte. 
Abgesehen von der Entstellung war schon dieser Umstand, 
der das Kind nur auf flüssige Nahrung anwies, zwingend 
genug, sofort zu einer operativen Behandlung zu schreiten. 
Der Ernährungszustand der kleinen Patientin war aber ein 
so elender, dass man derselben, ohne sie zuvor gestärkt zu 
haben, einen einigermassen grösseren chirurgischen Eingriff 
nicht zumuthen konnte. 

Am 24. Juni war dasKind soweit gekräftigt, dass man 
zur Operation schritt: Die den Unter- an den Oberkiefer 
fesselnden Narben wurden durchtrennt, der Defect durch einen 
Lappen von der Jochbein- und einen von der Inframaxillar- 
gegend gedeckt, auf diese Weise die Wange, der Mundwin- 
kel und die angrenzenden Lippentheile gebildet und der freie 
Wundrand mit einem aus der ganzen Dicke der Oberlippe 
genommenen Schleimhautlappen umsäumt. Leider war die 
Lebensenergie der Gewebe auch jetzt noch eine solch geringe, 
dass der Schleimhautlappen in toto necrosirte. Der Defekt 
blieb wohl bis auf den Mundwinkel und die anstossenden 
Lippentheile plastisch ersetzt, doch konnte trotz sorgfältigster 
Nachbehandlung bei den individuellen Verhältnissen des Kin- 
des (die Dehnung des Gewebes durch Einschieben von Holz- 
keile zwischen die Zahnreihe musste, in Folge des in seinen 
Fächern nur lose eingefügten Gebisses, die nachtheiligste Ein- 
schränkung erfahren) durch die nachfolgende Schrumpfung 
der der Mundhöhle zugekehrten narbig gewordenen Fläche 

135 * 


— 154 — 


der plastischen Wange, das Eintreten der früheren Kiefer- 
klemme nicht verhindert werden. Es blieb nun nichts übrig, 
als das für solche Fälle von Esmarch angegebene Verfahren 
in Anwendung zu bringen. Es besteht darin, dass man vor der 
ankylosirenden Narbe ein genügend grosses Stück des Unter- 
kiefers resecirt und zwischen den Sägeflächen eine Pseudar- 
throse sich etabliren lässt; hiedurch wird der freie Kiefer- 
theil von dem durch die Narbe betroffenen emanzipirt. 


In unserm Falle executirte Prof. Heine am 12. Dez. 
1870 die Operation in folgender Weise: Er führte in einer 
von der ersten Wangenplastik herrührenden Narbe vom rechten 
Mundwinkel einen Schnitt in einem nach hinten winkeligen Bogen 
gegen den untern Unterkieferrand, daselbst trennte er, nach- 
dem die Wunde durch stumpfe Hacken erweitert wurde, das 
Periost in einer Länge von %/, Zoll, hob es mit einem Lan- 
genbeck’schen Raspatorium an der der Mundhöhle zugekehr- 
ten Fläche von dem Knochen sorgfältigst ab und resecirte 
vom rechten Eckzahn nach hinten ein %, Zoll langes Stück 
des Unterkiefers; hierauf Vereinigung der Hautwunde. Der 
Erfolg war ein sofort in die Augen springender: die Zahn- 
reihen konnten sich auf reichlich , Zoll von einander ent- 
fernen, die Kaubewegungen wurden ausgiebig und ungehin- 
dert. 8 Tage nach der Operation war das Kind bereits 
fieberfrei. Es geniesst was ihm früher nicht vergönnt war, 
compacte Nahrung. 


Auch das Gebiss ist ungemein fester geworden, was 
wohl vornehmlich durch die gehobene Ernährung und die 
möglich gewordene Reinhaltung der Mundhöhle zu begründen 
ist. Die Spielweite des Unterkiefers konnte hiedurch mittelst 
der täglich 2mal eingeschobenen Holzkeile bis jetzt %, Zoll 
erreichen. 


Eine kleine Nachplastik des rechten Mundwinkels und 
der angrenzenden Lippentheile wird bei dem jetzt auffallend 
besser ernährten Kinde demnächst vorgenommen. Auch ohne 
diese lässt nach den bisherigen Operationen schon das Aus- 


— 155 — 


sehen des Kindes kaum mehr eine Erinnerung an die frühere 
Entstellung aufkommen. 


5. Schlecht geheilte Fraktur des untern Hu- 

merusendes mit Beschränkung der Flexion des 

Ellnbogengelenks. Subcutane Osteotomie der 

Bruchstelle und Geraderichtung des Ober- 
armes, 


Dieser Fall betrifft zwar ein männliches Individuum und 
gehört somit meiner Abtheilung nicht an, doch wurde mir 
derselbe zur Veröffentlichung überlassen, weil der wichtigste 
Theil seiner Krankengeschichte in die Monate der grossen 
Sommerferien fällt, während welcher mir die alleinige Leitung 
der chir. Klinik anvertraut war. 

Am 22. Juli 1870 gelangte ein 7jähriger Knabe zur 
Aufnahme, der vor 2 Jahren von einer Gartenmauer herun- 
terstürzte und auf den rechten Arm (wie? war nicht zu er- 
mitteln) fill. Er trug ihn durch einige Wochen in der 
Schlinge, nach welcher Zeit der Arm insofern als unbrauchbar 
sich herausstellte, als er mit der rechten Hand weder bis 
zum Gesichte und Kopfe, noch bis zum Halse gelangen konnte. 
Bei seinem Eintritte fand ich am rechten Oberarmknochen, 
nahe seinem untern Ende, an der Beugefläche eine winkelige 
Hervorragung, von der angefangen die Axe des Oberarmkno- 
chens gegen die Streckseite zu geknickt war; hiedurch be- 
dingte Hyperextension auf den obern Theil der Oberarmaxe 
bezogen; Beugung in derselben Relation kaum auf 100° aus- 
führbar; Supination und Pronation unbehindert. Es ist so- 
mit klar, dass hier eine schlechtgeheilte Oberarmfraktur, die 
die erwähnte Funktionsstörung verursachte, vorlag, Um das 
Individum erwerbsfähig — also dessen Arm wieder brauch- 
bar — zu machen, blieb keine andere Wahl, als den Kno- 
chen wieder zu brechen und ihn in verbesserter Stellung zu 


— 156 — 


heilen. Wegen des zu kurzen untern Hebelarmes musste 
ich von der subcutanen Infraction — als des mindest ein- 
greifenden Verfahrens — Umgang nehmen. Ich schritt da- 
her am 25. Juli 1870 unter gütiger Assistenz des Herrn 
Dr. Gasser, der mir in den Ferien bei allen schwierigen 
Operationen in der collegialsten Weise bei Seite stand, wo- 
für ich ihm hier noch einmal meinen innigsten Dank aus- 
spreche, zur subperiostalen Osteotomie. Ich ging im untern 
Theile des sulcus bicipit. ext. präparando bis auf den Kno- 
chen ein, hob das Periost nach aussen und innen vom Kno- 
chen ab, schützte hiedurch die hinter dem Lig. intermuscul. 
ext. liegenden Gebilde (Art. collater. rad. und Nerv. rad.), 
trennte dann den alten Callus in seiner äussern Peripherie 
mit dem Meissel, brach hierauf den Knochen quer ein und 
legte in der richtigen Stellung einen gefensterten Gypsver- 
band an. Der Blutverlust belief sich nur auf einige Tropfen. 
Acht Tage nach der Operation war das Fieber, das sich nur 
einmal am 2. Krankheitstage auf 39° gehoben hatte, voll- 
kommen gewichen und nach weiteren 10 Tagen konnte der 
kleine Patient bereits das Bett verlassen. 

Am 22. Tage erlitt das Wohlbefinden des Kranken 
durch plötzliches Ansteigen der Fiebercurve eine bedrohliche 
Unterbrechung (39.89 C.): Die Operationswunde war mit 
einem knorpelharten, diphtheritischen Belege behaftet. Nach 
Entfernung des Gypsverbandes fand man einen erbsengrossen 
Decubitus knapp oberhalb der Ellenbeuge und bedeutende 
Röthung des Vorder- und Oberarmes. Am 25. Tage er- 
langte das Fieber 40°; in der Nähe des Cond. internus fühlte 
man in der Tiefe deutliche Fluctuation; Incision, Entleerung 
von 2 Unzen eines dicken, blutigen Eiters, der in den fol- 
genden Tagen, namentlich bei Druck auf den Ellenbug reich- 
lich abfloss. Ich stiess zwar mit der Sonde auf keinen rau- 
hen Knochen, doch konnte ich mich der Befürchtung, dass 
das Ellbogengelenk die Eiterquelle abgebe, nicht erwähren, 
umsomehr, als enorme Schmerzhaftigkeit und rapider Verfall 
des Kranken auftraten; glücklicher Weise erwies sich die- 


— lO i 


selbe im weiteren Verlaufe als unbegründet. Vorläufig legte 
ich den Arm auf eine gut gepolsterte winkelige Schiene. 

Am 33. Krankheitstage, also 8 Tage nach der Incision 
haben sich die stiirmischen Erscheinungen gelegt; der Arm 
wird wieder in einen Gypsverband, mit einem Fenster der 
rein gewordenen Operations- und Decubituswunde, und einem 
der jetzt nur wenig eiternden Incisionsöffnung entsprechend, 
der an der Streckseite durch eine Pappschiene verstärkt 
wurde, gebracht. 

Am 15. Sept. (53. Tage) wurde bei dem bis nun sich 
wieder auf’s Beste erholten Patienten der Gypsverband ent- 
fernt und durch einen leichten Wasserglasverband ersetzt. 
Obwohl der Callus auf seine Festigkeit nicht geprüft wurde, 
so konnte dieselbe aus den ungenirten Armhaltungen doch 
erschlossen werden. Oberflächliche und geringe Eiterung aller 
3 Wunden. Der Kranke bringt den ganzen Tag ausser dem 
Bette zu. 

Am 28. Sept. ist die Incisionsöffnung, am 4. Oktober 
der Decubitus geheilt; am 31. Oktober Entfernung des Was- 
serglasverbandes. 

Am 4. Nov. wird ein papierdünnes, kaum kleinfinger- 
nagelgrosses, zackiges rauhes Knochenstückchen durch eine 
hinter der Operationswunde angelegte Oeffnung, und am 
nächsten Tage auf demselben Wege ein kaum erbsengrosser 
Sequester entfernt. 

Am 13. Nov. werden wegen beschränkter Beugung und 
Streckung, durch die Ruhe in den starren Verbänden be- 
dingt, passive Bewegungen des Ellbogengelenkes eingeleitet. 

Am 30. Nov. Vernarbung der Operationswunde und 
der hinter ihr angelegten Oeffnung (zur Sequesterestraction). 

Am 28. Dez. 1870 wurde der Kranke geheilt entlas- 
sen. Die Notiz dieses Tages im Krankenjournal lautet: Die 
passiven Uebungen führten dahin, dass der Arm nahezu auf 
180° gestreckt und bis auf circa 60° gebeugt werden konnte. 
Innerhalb dieser Grenzen werden auch die activen Bewegun- 
gen vollkommen frei und prompt ausgeführt. An der Stelle 


—' 158 — 


der Operationswunde eine eingezogene Narbe. Die Fraktur- 
(Osteotomie-) stelle ist verdickt und leicht nach hinten vor- 
springend. 
Dr. Ed. Lang, 
I. Assistent der chirurgischen Klinik. 


6. Fall von Caries der Handwurzelknochen. Re- 
sektion und Nachresektion. Heilung in Aus- 
sicht. 


K. G. 44 Jahre alt, Zimmermann aus Lanersbach gab 
bei seiner Aufnahme am 5. August 1870 an, dass er im 
Jahre 1868, nachdem er längere Zeit bei Wasserbauten be- 
schäftigt gewesen, eine Schwellung der ersten Phalanx des 
Goldfingers der linken Hand bemerkt habe, welche sich in- 
nerhalb zweier Wochen über den Ballen des kleinen Fingers 
gegen die Handwurzel hinzog. Während die Schwellung des 
Fingers und Ballens unmerklich abnahm, wuchs die des Hand- 
gelenkes stetig und gesellten sich neben Steifigkeit auch bald 
Schmerzen hinzu. Trotz dieser auch spontan oft sehr hef- 
tigen Schmerzen verrichtete Patient damals — so wie bis in 
die letzte Zeit — mit der kranken Hand noch leichtere Ar- 
beiten und benützte sogar den linken Vorderarm zum Heben 
schwerer Lasten. Im Frühlinge des Jahres 1869 machte ein Arzt 
an der Radialseite des Handgelenkes einen Einstich durch welchen 
sich eine fleischwasser - ähnliche mit wenig Eiter gemischte 
Flüssigkeit entleerte. Die Wunde (in welche nach dem Ein- 
stiche ein Lapisstift tief eingesenkt worden war) heilte nach 
einiger Zeit zu, brach aber dann gleich wie eine im Früh- 
jahre 1870 am Handrücken spontan entstandene zu wieder- 
holten Malen auf. 

Im Uebrigen waren die Gesundheitsverhältnisse des Kran- 
ken sehr günstig. 

Bei der Aufnahme war das linke Handgelenk im gan- 
zen Umfange mässig geschwollen, teigig anzufühlen, die Haut 


— 159 — 


geröthet und in der Gegend des processus styloideus radii, 
sowie am Handriicken entsprechend dem Carpo-metacarpal- 
gelenke des Ringfingers durchbrochen. Aus den erbsengros- 
sen, schlaff granulirenden, blaurothen Geschwürsflächen ent- 
leerte sich bei Druck auf das Handgelenk wenig dünner Eiter. 
An der Ulnarseite war ein kastaniengrosser Abscess, welcher 
sich durch Druck auf dem Wege der vorhandenen Oeffnungen 
nicht entleeren liess. Drang man mit einer Sonde durch die 
schlaffen Granulationen in die Tiefe, so fühlte man die rau- 
hen und morschen Knochen des Carporadialgelenkes. Die 
Hand hing in einem stumpfen Winkel am Vorderarme herab 
und konnte sowohl dorsal und volar als auch radial und ul- 
narwärts passiv leicht und unter deutlichem Reiben bewegt 
werden. Aktive Bewegungen wurden im Handgelenke kaum 


- mehr, und in den Fingern nur unter Schmerzempfindungen 


in beschränktem Masse ausgeführt. Bei vollkommener Ruhe 
hatte der Kranke nur hie und da, aber dann ziemlich hef- 
tige, stechende Schmerzen. 

Sonst war der Patient gesund, kräftig und gut ge- 
nährt. | 

Die Caries im Carporadialgelenke, mit welcher wir hier 
zu thun hatten, konnte, da für eine Allgemeinkrankheit als 
Ursache aller Anhalt fehlte, dagegen die Beschäftigung des 
Kranken hinreichende Gelegenheit zu Traumen bot mit grösster 
Wahrscheinlichkeit durch eine Resection geheilt und die Hand 
erhalten werden. 

Die Operation wurde am 10. August in der Narcose 
auf folgende Art von HerrnProf. Heine vorgenommen: An 
der Ulnarseite des Handgelenkes wurde ein Schnitt auf den 
Abscess, an der Radialseite einer durch die Fistel geführt, 
dann nach oben und unten das Periost von den erkrankten 
Knochen abgehoben und endlich mit der Stichsäge von der 
1. Handwurzelreihe ein circa 4 Linien, von den Vorderarm- 
knochen ein halb Zoll breites Stück abgesetzt. Die Blutung 
war mässig und machte nur 4 Ligaturen nöthig. Nach Ein- 
führung einer Charpiemesche wurde ein Gypsverband mit vo- 


— 160 — 


larer Verstärkungsschiene angelegt. Die Schnittflächen der 
entfernten Knochensegmente waren gesund. Trotz einer über 
den Gipsverband aufgelegten grossen Eisblase filtrirte einige 
Stunden nach der Operation Blut durch denselben, es wurden 
daher sogleich Fenster angebracht. Die Blutung stand auf 
Irigation mit Eiswasser. 

Die Reaktion war gering. Temp.: am ersten und zwei- 
ten Abende nur 38.4, am 3. zwar 39,4, allein wahrschein- 
lich bedingt durch mehrtägige Stuhlverhaltung; wenig- 
stens schwand diese Steigerung, nachdem auf eine Dosis 
Oleum Ricini mehrere Stühle gefolgt waren. Die Wunde 
reinigte sich schnell, der Patient schlief und ass gut und 
war am 17. (7. Tage), an welchem die letzte Ligatur abge- 
stossen wurde, schon fieberfrei. Täglich wurde zweimal mit 
Carbolwasser 1:100 abgespült und 2mal eine in Carbolöl 
1:8 getränkte Mesche eingeführt. 

Am 22. stellten sich Schmerzen am Handrücken ein, 
die Temperatur stieg auf 37.6, hielt sich am Morgen des 
23. auf 37.3 und gleichzeitig ergoss sich eine grössere Eiter- 
menge. In der Voraussetzung, dass in dem am Handrücken 
befindlichen Hohlraume eine Eiterverhaltung stattfinden könnte, 
wurde nun der Gipsverband entfernt. Es zeigte sich, dass 
nicht nur die Fistel, deren Heilung bei nach unten freiem 
Abzuge erwartet werden konnte, nicht geheilt, sondern noch 
eine neue entstanden war. Diese befand sich genau über 
der Mitte des Mittelhandknochens des Ringfingers und führte 
in eine buchtige Höhle, in welcher die Sonde hie und da 
einen rauhen Knochen fühlte. Der ganze Handrücken war 
durch den unter dem Verbande verhalten gewesenen Eiter 
macerirt. 

Die Meschen wurden — da der tägliche Wechsel zu 
sehr reizen konnte — durch ein Drainagerohr, das Carbolöl 
durch Carbolwasser (2 Drachmen auf 1 Pf.) ersetzt, und 
am 26. ein neuer Gipsverband (mit einem Fenster auch für 
den Handrücken) angelegt. — In der Zeit vom 26. August 
bis 15. Sept. verkleinerten sich sowohl die durch die Operation 


— 161 — 


gesetzten Wunden, als auch beide Fisteln und die Schwel- 
lung nahm so ab, dass der Gipsverband nicht mehr fest ge- 
nug anlag. Am 15. wurde er daher durch einen gefensterten 
Wasserglasverband und die brüchige Drainageröhre durch eine 
dünne Mesche ersetzt. 

Am 29. Sept. (bis wohin alles gut gewesen) traten ohne 
Veranlassung und mit einem Male heftige Schmerzen in der 
Hand auf. Sie schwoll, wurde blauroth und bei gleichzei- 
tiger Steigerung der Temperatur auf 39.7 versiegte die Ei- 
terung in den Wunden fast ganz. Ein Eiterherd , welcher 
sich in der Tiefe gebildet hatte, wurde nächsten Tage auf 
leichten Druck durch eine der vorhandenen Wunden entleert 
und bei absoluter Ruhe und Bleiwasserumschlägen wichen die 
stürmischen Erscheinungen innerhalb dreier Tage. 

Die Schweliung ging nicht völlig zurück und die Fistel- 
gänge (besonders die vorderen) schlossen sich trotz adstrin- 
girender Umschläge und zeitweiliger Touchirung mit Arg. 
nitr. nicht nur nicht, sondern wurden allmälig sogar etwas 
weiter. Die ganze Handgelenksgeschwulst fühlte sich wie 
früher teigig an, entleerte wieder dünnen Eiter und wider- 
stand den Versuchen von Compression — welche nach Ab- 
nahme des Wasserglasverbandes — auf einer gepolsterten 
Schiene vorgenommen wurden, hartnäckig. 

Mit der Sonde fühlte man, besonders von oben her hie 
und da neue Rauhigkeiten; es wurde daher die Wiederholung 
der Resection und Ausléfflung der necrotischen Partien be- 
schlossen, eventuell aber auch die Amputation in’s Auge 
gefasst. | 

I. Operation. Am 11. Nov. wurden in der Narkose 
durch einen Schnitt am Handrücken beide Fistelgänge bis 
auf die rauhen Knochen verbunden, ausserdem die von der 
ersten Operation herrührenden granulirenden Wunden (an der 
Radial- und Ulnarseite) erweitert. Die bei der ersten Ope- 
ration stehen gebliebenen Knochen und Knochenreste der 
zweiten Handwurzelreihe, sowie die Resektionsflächen der 
Vorderarmknochen wurden grösstentheils mit dem schneiden- 


ce Ge ae 


den Knochenlöffel abgetragen, die schlaffen Granulationen der 
von der 1. Operation herrührenden Höhle mit der Hohl- 
scheere entfernt und nach Anlegung dreier Ligaturen mit 
Carbolöl (1:8) getränkte Meschen eingeführt. Endlich wurde 
der Arm auf einer gut gepolsterten, flachen Hohlschiene 
fixirt. 

Eine leichte Nachblutung stand auf Compression durch 
trockene Charpietampons. Die Hisbeutel wurden um die Re- 
aktion nicht zu sehr herabzustimmen, nach 24 Stunden be- 
seitigt. 

Das Fieber war sehr gering, die höchsten Temperaturen 
zeigten sich am 2. Morgen und Abend und betrugen 37.7 
und 38.6; der Patient behielt seinen Appetit und schlief 
ruhig. — 

Schon am =2.Nov. waren die Temperatur und der Puls 
nahezu normal (37.1 und 68). 

Der Arm lag immer auf der Schiene — selbst im Bade 
das jeden Morgen gegeben wurde (Wasser mit etwas Soda) 
und während des täglich zweimal vorzunehmenden Verbin- 
dens mit Carbolöl von der bekannten Concentration. 

Am 24. und 30. Nov. wurde der bis jetzt normale 
Verlauf durch eine leichte Temperatursteigerung auf 38.6 
unterbrochen, welche aber nach Eröffnung eines kleinen Ab- 
scesses einen Querfinger über der Wunde am Handrücken 
schnell schwand. 

Vom 4. Dez. ab war die Temperatur wieder normal, 
das Befinden des Kranken vortrefflich und die durch die 
Operation gesetzte Höhle so weit verengt, dass die Meschen 
beseitigt werden konnten. DieWundflächen granulirten sehr frisch, 
bluteten aber einige Male bei der geringsten Berührung, da- 
her wurde der Carbolölverband durch einen mit Zincum sul- 
furicum (gr. 5 ad aq. dest. unc. 1) und 8 Tage später durch 
einen Carbolwasserverband (1: 100) ersetzt. 

Seit 20. Dez. ist die Höhle geschlossen, die Wunde 
an der Ulnar- und Radialseite des Handgelenkes vernarbt, 
die Eiterung am Handrücken nur oberflächlich und auch hier 


— 18 — 


die Ueberhäutung im besten Gange. Sie wird durch Tou- 
chirung mit Nitr. arg. beschleunigt. 

Die Schwellung des Gelenkes, welche bis in die letzte 
Zeit nur wenig zurückging, verliert sich seit 24. Dez. unter 
Anwendung methodischer Compression durch Rollbinden, 
welche über die mit Watte eingewickelte Hand gelegt wer- 
den. Die Hand, sowie die Finger können innerhalb natür- 
lich noch enger Grenzen gebeugt und gestreckt werden und 
in der Folge zu leichteren Arbeiten brauchbar sein. Als interessant 
ist zu erwähnen, dass sich in der Gegend des Mondbeines 
aus dem erhaltenen Perioste ein ungefähr kreuzergrosses un- 
regelmässiges Knochenstück neugebildet hat, welches man 
am Handrücken deutlich fühlen kann. 


7. Aeusserer Harnröhrenschnitt (operation de la 

boutonniere) wegen Harnverhaltung in Folge einer 

traumatischen impermeabeln Striktur, die zu 
Punktion der Blase geführt hatte. Heilung. 


W. A., 49. Jahre alt, Eisenbahnarbeiter aus Innsbruck 
gerieth im J. 1861 zwischen eine Maschiene und eine Mauer 
und erlitt dabei neben mehrereren anderen Verletzungen einen 
Bruch des Beckens (?) mit umfänglicher Quetschung der 
Weichtheile, besonders des Mittelfleisches. In Folge dieser 
Verletzung entstand Harnträufeln, welches sich endlich soweit 
besserte, dass der Kranke wenigstens bei Tage den Urin auf 
sehr kurze Zeit halten konnte. Der Urin ging aber nur 
schwer undin einem dünnem Strahle ab. Dieser Zustand dauerte 
bis Januar 1870, wo zuerst eine vollkommene Harnverhal- 
tung eintrat, die aber durch Cataplasmen und Bäder bald 
behoben wurden. Anfangs Mai stellte sich, nachdem der 
Patient eine längere Eisenbahnreise gemacht hatte, abermals 
Harnverhaltung ein. Alle dagegen angewandten Mittel fruch- 
teten nichts, die Beschwerden steigerten sich, und als end- 
lich am 5. Tage Bewusstlosigkeit eintrat, entschloss sich ein 


— 164 — 


Arzt, den hohen Blasenstich zu machen. Nach Entleerung 
von 3 grossen Schüsseln voll Urins erholte sich der Kranke 
allmälig und konnte — sonst gesund — schon am 3. Tage 
das Bett verlassen. Da durch die Harnröhre nur wenige 
Tropfen abgingen, so musste die Canüle liegen bleiben und 
kam daher der Kranke am 16. Mai 1870 mit dieser auf 
die Klinik. 

Von den vor Jahren erlittenen schweren Verletzungen 
war nur wenig mehr zu sehen. 

Es wurde mit den dünnsten Bouagien und Darmseiten 
versucht, durch die schon von aussen fühlbare Striktur, welche 
fast die ganze Pars membranacea einnahm , durchzudringen, 
allein alles war vergeblich, somit nur durch den Harnröhren- 
schnitt nach Syme Heilung möglich. 

Die nun zu beschreibende Operation bot nicht blos in 
Folge der path. Veränderungen, sondern besonders in Folge 
des Umstandes, dass der Patient — ein Gewohnheitstrinker — 
kaum zu narcotisiren war, ungeheure Schwierigkeiten. 

Es wurde eine Metallsonde (Striktursonde) bis zur Strik- 
tur eingeführt, auf sie in der Raphe eingeschnitten und die 
Harnröhre geöffnet. Die Schnittränder wurden mit spitzen 
Häckchen weit abgezogen und nach Stillung der übrigens ge- 
ringen Blutung die Fortsetzung der Harnröhre aufgesucht. 
Nur mit Mühe sah man eine feine Oeffnung, durch welche 
eine haarfeine silberne Sonde bis in die Blase eingeführt 
werden konnte. Dieser folgend wurde nun die verengte Harn- 
röhre in der Länge von circa 1 Zoll mit dem Spitz- und 
Knopfbistouri gespalten, bis wieder ein Lumen von normaler 
Weite zum Vorschein kam. 

Nach Beendigung der Operation wurde von der Wunde 
aus ein elastischer Katheter in die Blase eingelegt und da 
aller Harn durch diesen abfloss die Kanüle entfernt. 

Die Reaction war mässig und die Wunde bald in bester 
Granulation. Nach 8 Tagen wurde der Katheter entfernt 
und dafür ein neuer vom orificium urethrae her eingeführt. 
Die Wunde verkleinerte sich schnell, so dass nach Entfer- 


ka i 


— 16 — 


nung auch dieses Katheters der Harn nicht nur am Mittel- 
fleische sondern auch schon durch die übrige Harnröhre ab- 
floss. Jeden 3. Tag wurde nun fir einige Stunden der Ka- 
theter eingelegt und allmälig in den Nummern von 7 auf- 
wärts gegangen. Mitte Juni kamen durch die circa erbsen- 
grosse gut granulirende Wundfläche nur wenige Tropfen Urin 
und nahm der grösste Theil seinen normalen Weg. Die 
Urethra war für Bougien von Nr. 10 durchgängig und der 
Patient konnte, da er darauf drang, entlassen werden. 

Er wurde verhalten sich noch Metallkatheter von Nr. 9 
einzuführen und in einiger Zeit wiederzukommen. 

Als er sich am 11. Juli wieder vorstellte, floss aller 
Harn durch die Urethra und war die Operationswunde bis 
auf die Spur vernarbt. 

Dr. J. Schlemmer, 
2. klin. Assistent. 


Bericht 
über die k. k. Augenklinik für das Jahr 1870. 


Vorstand 


Prof. L. Mauthner. 


Im Laufe des Jahres 1870 wurden auf der k. k. Augen- 
klinik der hiesigen Universität 919 Kranke ambulatorisch 
behandelt und 219 auf der Klinik verpflegt. Der grösste 
Theil der klinischen Kranken hat sich hierbei aus dem Am- 
bulatorium recrutirt. 

Unter den 919 ambulatorisch behandelten Kranken be- 
fanden sich 445 Männer und 474 Weiber; von den 219 
auf der Klinik aufgenommenen, waren 120 Männer und 99 
Weiber. 

Von den letztern wurden entlassen: 


geheilt . 2... (SNe, 006 ww. tiere 
eebessert Gi 21 ME ad Wino Omen 
ungeheile 17 MeN 8 we. 200002 
plötzlich gest.  — M., We = ie 


Zusammen . 116 M., 92 W. = 208 Pers. 
Zu Ende des Jahres 
1870 verblieben in 
weiterer Behandlung 4M. 7 W.= 11 Pers. 


Zusammen . 120 M., 99 W. —= 219 Pers. 


= ew 


Die grösste Anzahl der ambulatorisch behandelten Kran- 
ken fällt auf die Monate Mai und Juni, nämlich 162 auf 
jeden Monat; die kleinste Anzahl auf den Monat Jänner, 
nämlich 27. In absteigender Reihe gliedern sich die Monate 
folgender Massen; Mai 162, Juni 162, Juli 114, April 94, 
Oktober 86, März 62, August 58, November 46, Septem- 
ber 41, Februar 35, Dezember 32, Jänner 27. 

Die grösste Anzahl der auf die Klinik aufgenommenen 
Kranken fällt auf den Oktober 42, der geringste auf den 
Jänner 6. 

An den 919 ambulatorisch-behandelten Kranken kamen 
folgende Krankheitsformen zur Beobachtung: 


1. Krankheiten der Lider: 


M. W 
Abscessus a 2 
Blepharadenitis ciliaris — 6 
Ectropium A RRM UM AL Sica 
Entropum... Veen an ale eee 
Trichiasis . — 4 
Chalazion . De 
Hordeolum HN 
Symblepharon Sed 
Neoplasma & a 
Mulnusoscissum 6.) 67.0% 2 Pix oe lI — 


2. Krankheiten der Conjunctiva. 


Conjunctivitis catarrhalis . . . . . 90 103 
granulosa servi: . 4 4 


2 

a phlyctenulosa . . . . 36 50 
‘ eouposamn a LR . aa 
5 diphtheritica . . . . — 1 
h trachomatosa . here 
5 blennorrhoica. . . . 2 1 


3. Krankheiten der Selera: 


Scleritis a0 una u 2s cir ee gh ac a Pe 
Naturw.-med. Verein. 14 


1 GS) 


Staphyloma sclerae 


M. 


1 


W. 


1 


4, Krankheiten der Cornea und Iris: 


a) der Cornea: 


Keratitis 
„  traumatica 
»  ulcerosa 
>  punctata 
»  Phlyctenulosa . 


>»  parenchymatosa . 
Maculae et cicatrices 


Staphyloma corn. tot. et part. . 


Keratoconus . 
Phthisis corneae 
Neoplasma 
Corpora aliena . 


Iritis 

» specifica 
Occlusio pupillae 
Coloboma iridis . 


c) der Cornea und Iris: 


Kerato-iritis . 


5. Krankheiten der Chorioidea: 


Chorioiditis traumatica 


a exsudativa 
N serosa . BON AL 
a cum opacitat corp. vitrei . 


Exsudatum in macul. lut, 
Iridochorioiditis . 


b) der Trig : 


2 


4 
6 
1 
2 


6. Krankheiten der Retina: 


Retinitis idiopathica 
»  apoplectica 


= pt pA CO De m > 


for) 


= bb 


— 169 — 


» pigmentosa 


M. W. 
vetinitis) specilicay yok ee alt 
fee 
Amotio retinae 2 4 


7. Krankheiten des Sehnerven: 


NGOS (75 (5) 2.00.00 AN eee ay 
MNeurorelinitise . 2... Pues 
Excavatio glaucomat. . . . . .. 10 4 
Mecoloration: 2... A. 13 
trophian fs oc ae SEHE. ZEN 
8. Krankheiten der Linse: 
Luxatio 2) EINER, In 1 
Cataracta ineipiens; ny.) A es) OO 
iB mat. dur. ed nondum mat.. 13 10 
5 mollis . AS anne BANDES 
5 perinuclearis eo 
= secundaria I 4 5 
= cum complication.. . . . 14 6 
9. Krankheiten des Glaskörpers: 
Opacitatesı ih me. 20.2. ma old 


10. Krankheiten des Gesammtbulbus: 


Anophthalmusı we... is a at ik 
Buphthalmus 2 u... N ew 
Panophthalmitis aa... 2 0.2000 Sl. 
Ehthisist 12H E00 EA IB ER OSs LONENS 
11. Störungen des lichtempfindenden 
Apparates: 

Amblyopia LADE Lu ARE 

a potatorum, © 2 00. enorm 
Hemeralopia . LERNT 


— 110 — 


12. Refractionsfehler: 


Myopia u u ee RE SAN 
Asthenopia ex hypermetropia . . . 7 19 
Presbyopla . . 0. m 2... NEUERE 


13. Motilitaetsstörungen: 


Strabismus convergens ..... 6 18 
N divergens .) >... .unoeaaune 
Paralysis n. oculomotor . . . . . — 1 
5. m. trochlearis 00...) ., ileal 
Paresis) n. abducent. . . .». . 2 . woran 
» accommodations . ....— 2 
Baralysis m. facalıs! 7%!) ee 
5 plur. musc. oculi Lasst 


14. Krankheiten der Thränenorgane: 


Blennorrhoea sacc. larym. . . .. 6 10 


15, Verletzungen: 
Trauma... 0... ORNs). on 
Causoma . 6 

16. Neuralgien; 

Nenralgia frontalis ........... 2.000 


it CHARIS!) nun ma ALLEN DEE at 


Morbus Basedowi . . . . .. 


An den 219 auf der Klinik behandelten Kranken wur- 
den folgende Krankheitsformen beobachtet: 


. W. 

1. Krankheiten der Lider: 
Neoplasma Dr 
vulnus scissum 1 — 
Chalazion . 1 — 
Trichiasis . | 


ike 


iMmotionretinae. 2 ee ne 


M. W. 
2. Krankheiten der Conjunctiva: 
Conjunctivitis catarrhalis. . . . . 3 3 
i pustulosa BH 
5 traumatican u 0.  SlnlBieE 
5 granulosa 3 — 
3. Krankheiten der Sclera: 
Seleritis Weise kon 19 WAGED 2110 MICE LO rn 
4. Krankheiten der Cornea: 
Keratitis 4 12.703 
5 traumatica — 1 
a punctata . 1.098 
Fs ulcerosa MU a 
a phlyctenulosa | 
Phthisis corneae ey 
Maculae et cicatrices 13 083 
Staphyloma tot. corn. . 20,02 
Neoplasma — dl 
5. Krankheiten der Iris: 
Iritis . 5. ama Ne IN 5 
a) Krankheiten det Cornea und Iris: 
Keeratoraritis a, 0. 0. un ana. OR 
6. Krankheiten der Chorioidea: 
Chorioiditis exsudativa ..... 6 5 
a traumatiea, 2.0 mal. a 
Tridochoriciditis: + 54 DRM an. SHE SEND 
Ex sudatum in mac, lutea . . . . — 1 
7. Krankheiten der Retina. 
Retinitis) idiopathica, 2... 120202. 272100 
„2. SPECIE Cae. A a 
>»  apoplectica 1 


Bl 


M. W. 
8. Krankheiten des Sehnerven: 
Neuritis Se — 1 
Excavatio glaucomatosa By 
Decoloratio — 1 
9. Krankheiten der Linse: 

Luxatio lentis SOHN N Ta yo 221 
Cataracta dura matura et nondum matura 12 13 
N mollis . Zu 

i perinuclearis on 

& secundaria DUO 

2 cum complicatione . | 


10. Krankheiten des Gesammtkulbus: 
Banophthalmitis‘. nn u can te re 


| 


Phthisis bulba oe Aa. 0.0 ce lo 
11. Motilitaetsstörungen: 
Strabismus convergens ..... 12 
Giversens ie 2. 002.220 00 
Paralysis n. oculomotor. . . . ..— 1 
=) plurs muse. ocuı u... ut 


12. Verletzungen: 


Qausoma ir Ki Er Ba Bonn era A pe 


13. Krankheiten der Thränenorgane: 


Blenorrh. sace. lacrymalis . ...- 2 


14. Neuralgien: 


Neuralgialın. frontalis u. nd 


Morb. Basedowi . . 2.0.00 naa ee 


— 173 — 


Operations - Ausweis. 


Staaroperationen: 
Extractionen mit peripherem Linearschnitt (Gräfe) 28 
5 » Lappenschnitt nach oben und Iridectomie 11 
> 5 5 » unten u. c 6 
Excochleation 5 2 : 5 ß \ : 1 
Discissionen . 5 5 : : ; 6 j 2 
48 
Andere Operationen am bulbus: 
Iridectomien : : . . : : | 81 
Iridencleisis 5 : : N : ; : 1 
Synechien Lösungen . N : ; : 10 
Enucleatinen . 5 . . 7 
Sabtylora Operationen Hash. Critchett 5 ; oe 3 
Entfernung eines melanoma corneae . .  . 1 
103 
Operationen an den Lidern und Muskeln: 
Trichiasis Operationen nach Flarer 2 
- “5 „ Gräfe 5 if 
Ptosis Operation : 5 h . é ; 1 
Chalazion Exstirpationen 3 
Plastik des unteren Lides nach Arlt (modif. 1 
Myotomien . 9 5 : ö : 34 
Vornähungen der innern 1 Augeniniiskein 9 5 2 
Gräfe’sche Fadenoperation . } : ; : 1 
45 
Summa aller Operationen . . : 196 


Dr. B. Fizia, 
Assistent an der k. k. Augenklinik. 


Personalstand des Vereines 
am Ende des Jahres 1870. 


Vereinsleitung: 


Vorstand: Herr Dr. Camil Heller. 
Vorstand-Stellvertreter: Herr Dr. Carl Heine. 
Kassier: Herr Dr. Carl Dantscher. 
Schriftführer: Herr Dr. Bernhard Fizia. 


Mitglieder: 


Herr Ausserer Anton, Gymnasialprofessor in Feldkirch. 


„ Barth Franz, Ritter v., k. k. Statthaltereirath in Inns- 


bruck. 


„ Barth Ludwig, Ritter v., Dr. phil., k. k. Univ.-Prof. 


in Innsbruck. 


„ Baumgarten Anton, Dr. phil., k. k. Univ. - Prof. in 


Innsbruck. 
„ Belrupt Karl Graf v., in Innsbruck. 


„  Bentzel-Sternau Albert Graf v., k. k. Rittmeister in 


Innsbruck. 


„  Berreitter Georg, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts- 


rath in Innsbruck. 


„ Buckeisen Friedrich, Dr. phil., k. k. Oberrealschul- 


Prof. in Innsbruck. 


„ Bundsmann Anton, Dr. med., k. k. Oberarzt in Inns- 


bruck. 


„ Campostrini Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in 


bruck. 


— 15 — 


Herr Daimer Josef, Dr. med., Assistent bei der Lehrkanzel 


der pathol. Anatomie in Innsbruck. 

Dantscher Karl, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Ebner Johann Ritter v., k. k. Hofrath in Innsbruck. 
Ebner Viktor Ritter v., Dr. med., Docent an der Uni- 
versität in Innsbruck. 

Elsler Franz, Mag. Chir., Gemeindearzt in Silz. 
Enzenberg Hugo Graf v., in Innsbruck. 

Fizia Bernhard, Dr. med., Assistend bei der Augen- 
klinik in Innsbruck. 

Gasser Vincenz, Dr. med., Assistent bei der geburts- 
hilflichen Klinik in Innsbruck. 

Gassner Theodor, k. k. Gymnasialdirektor in Inns- 
bruck. 

Glatz Josef, Dr. med., Armen- und Polizeiarzt in Inns- 
bruck. 

Gillhuber Josef, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts- 
rath in Innsbruck. 

Hausmann Rudolf, Dr. med., prakt. Arzt in Meran. 
Heine Karl, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Innsbruck. 
Heinisch Anton, Dr. med., k. k. Bezirksarzt in Bozen. 
Heller Camil, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Hinterwaldner Johann, k. k. Prof. an der Lehrerbil- 
dungs-Anstalt in Innsbruck. 

Hofmann Eduard, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. und Sa- 
nitätsrath in Innsbruck. 

Kerner Anton, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Kiechl Franz, Assistent bei der Lehrkanzel der a 
in Innsbruck. 

Krischek Eduard, Dr. phil.,- k. k. Landesschulinspektor 
in Innsbruck. 

Lang Eduard, Dr. med., Assistent bei der chirurg. 
Klinik in Innsbruck. 


SI REN 


Herr Lantschner Ludwig, Dr. med., prakt. Arzt in Inns- 


bruck. 

Lechleitner Christian, Dr. phil., k. k. Gymn.-Prof. in 
Innsbruck. 

Leithe Friedrich, Dr. phil., k. k. Univ.-Bibliothekar in 
Innsbruck. 

Malfertheiner Anton, Dr. med., prakt. Arzt in Inns- 
bruck. 

Maly Richard, Dr. med., k. k. Univ. - Prof. in Inns- 
bruck. 

Maresch Josef, k. k. Oberrealschul-Prof. in Innsbruck. 
Mauthner Ludwig, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Mayerhofen Virgil Ritter v., Dr. med., k. k. Univ.- 
Prof. und Sanitätsrath in Innsbruck. 

Melzer Karl, Dr. med., k. k. Marinearzt in Triest. 
Messmer Alois, k. k. Oberrralschul- Prof. in Inns- 
bruck. 

Mörz Isidor, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitätsrath in 
Innsbruck. 

Oellacher Josef, Chemiker und Hausbesitzer in Inns- 
bruck. 

Oellacher Josef, Dr. med., Docent an der Universität 
in Innsbruck. 

Paulweber Michael, k. k. Gymn.-Prof. in Innsbruck. 
Peche Ferdinand, Dr. phil,, k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Pfaundler Leopold, Dr. phil., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Pichler Adolf, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Plaseller Josef, Dr. med., k. k. Kreisarzt und Sani- 
tätsrath in Innsbruck. 

Platter Hugo, Dr. phil., Prof. an der Bürgerschule in 
Innsbruck. 

Pleplar Ludwig, Dr. med.,k.k. Regimentsarzt in Innsbruck. 


— 1 — 


Herr Pusch Karl, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck. 


N 


” 


Putz Gottlieb, Dr. med., Bürgermeister in Meran. 
Rembold Otto, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Rhomberg Rudolf, Fabriksdirektor in Innsbruck. 
Schlemmer Josef, Dr. med., klinischer Assistent in 
Innsbruck. 

Schmidt Josef v. Wellenburg, Dr., k. k. Rechnungs- 
rath in Innsbruck. 

Schönach Anton, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck. 
Schott Ferdinand, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

Schumacher Anton, Chef der Wagner’schen Univ.-Buch- 
handlung in Innsbruck. 

Seeger Rudolf, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in Inns- 
bruck. 

Senhofer Karl, Dr. pharm., Assistent der Chemie an 
der Universität in Innsbruck. 

Setari Franz, Dr. med., prakt. Arzt in Meran. 

Stolz Josef, Dr. med., Direktor der Landesirrenanstalt 
in Hall und Sanitätsrath. 

Strasser Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in Inns= 
bruck. 

Strasnitzky Johann, Dr. med., k. k. Stabsarzt in Inns- 
bruck. 
Stumreich Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in 
Innsbruck. 

Teffer Wenzel, Dr. med., k. k. Oberstabsarzt in Olmiitz. 
Thun-Hohenstein Franz Graf v., k. k. Generalmajor 
in Innsbruck. 

Toggenburg Georg Ritter v., k. k. geheimer Rath in 
Bozen. 

Trentinaglia Josef v., k. k. Gerichtsadjunkt in Inns- 
bruck. 

Tschurtschenthaler Anton, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. 
und Sanitätsrath in Innsbruck. 


qo WS) — 


Herr Vintschgau Maximilian Ritter v., Dr. med., k. k. Univ.- 

Prof. in Innsbruck. 

» Wawra Johann, k. k. Oberbaurath in Innsbruck. 

„ Weiler Josef, k. k. Oberrealschul-Prof. in Innsbruck. 

,  Wildner Franz, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns- 
bruck. 

» Winter Josef, Dr. med., k. k. Kreisarzt in Brixen. 

» Wocher Franz v., Dr. med., Stadtphysikus in Inns- 
bruck, 


Druckfehler-Verzeichniss. 


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Inhalt des I. Jahrganges. 


1. Heft. Sats 
Sitzungsberichte 5 o N I-XIH 
Comitebericht über die Gloakentrace in Temeunnck naspantheitet 
von Prof. Dr. Eduard Hofmann. i : 1 
Analyse der Asche von Dorycnium suffruticosum von R. K ölle 38 
Analyse der Asche von Taxus baccata von R. Kölle. 39 
Vorläufige Notiz über eine Modification der Dawmpfliehtebe un 
mung von Prof. Dr. L. Pfaundler : F 40 
Tabellen zur Berechnung der Dissociation nebst Teichtfarelchen An- 
leitung zum practischen Gebrauch derselben von Prof. Dr. 
L. Pfaundler . 43 
2. Heft. 
Sutzungisblerichte Same aie foun 200000 ee og) 5 MOND O;O07 
Beitrag zur Casuistik der subcutanen Injectionen von Dr. R. Haus- 
mannin Meran ani ARE Aa 4 61 
Untersuchungen iiber die Crustaceen Tirols von C. Heller (hiezu 
die Tafel) BR EN REG oN VA a Mae 67 
Novae plantarum species in Himalajae montibus a cl. ge eis col- 
lectae. Auctore A. Kerner . Bu : Ä 97 
Mittheilungen aus den Kliniken a in cee 
der Universitat zu Innsbruck: 
Statistische Notizen und Mittheilungen aus der a 
Klinik in Innsbruck von Prof. Dr. Heine 122 
Bericht über die k. k. Augenklinik für das Jahr 1870 von 
Prof. Mauthner. : 5 163 
Personalstand des Vereines am Ende des a 1870 174 


BERICHTE 
des 
| naturwissenschaftlich-medizinischen 


EREINES 
INNSBRUCK. 


> 


I. Jahrgang. 


I „ 


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EZ HR IR OT 
1. Heft. N Auußikir INSF: ~ 


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INNSBRUCK. 


Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung. 


Leet 


BERICHTE 


naturwissenschaftlich- medizinischen 


VEREINES 


INNSBRUCK. 


II. Jahrsane. 


l. Heft. 


INNSBRUCK, 
Druck und Verlag der Wagner’ schen Universitäts-Buchhandlung. 


bey alle 


Sitzungsberichte 


des‘ 


naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines. 


I. Sitzung, den 11. Jänner 1871. 


Der in der letzten Sitzung zum Beitritte angemeldete 
Herr Graf Franz Thun-Hohenstein wurde mit Stimmen- 
einhelligkeit als Mitglied gewählt; ferner wurden zur Aufnahme 
vorgeschlagen die Herren Dr. Franz Settari, Dr. E. Lang 
und Dr. J. Schlemmer. 

Herr Dr. v. Ebner hält hierauf einen Vortrag über 
Drüsenstruktur und Sekretion. 

In einer längern Einleitung bespricht derselbe, wie man 
zu den bisher giltigen Vorstellungen über die Struktur der 
Drüsen und die Beziehungen derselben zur Sekretion gekom- 
men ist. Die neuern Untersuchungen der sog. acinösen Drüsen, 
die vorzüglich durch die Entdeckungen ©. Ludwigs über die 
Beziehungen der Nerven zur Sekretion der Speicheldrüsen 
angeregt wurden, hätten gezeigt, dass das Schema, welches 
man sich bisher vom Baue der Drüsen gemacht hat, viel 
zu einfach ist, doch sei noch nicht ausgemacht, wie man die 
alten nicht mehr ausreichenden Vorstellungen umzuändern habe. 

Einer eingehendern Besprechung unterzieht Vortragender 
die Wege, auf welchen das Sekret fortgeschafft wird. Durch 
neuere Untersuchungen habe sich zunächst für die Bauch- 
speicheldrüse des Kaninchens und des Hundes herausgestellt, 
dass von dem centralen Hohlraume der Alveolen feine Ka- 
nälchen abgehen, welche ein zierliches, mit seinen Maschen 
die einzelnen Drüsenzellen umfassendes Netz bilden, das zum 

Naturw.-med. Verein. 1871. I. Hft. 1 


II 


Theile zwischen tunica propria und den Drüsenzellen liegt. 
Vortragender hat im physiologischen Institute zu Graz eben- 
falls Untersuchungen über dieses fragliche Strukturverhältniss 
angestellt und es ist ihm gelungen, am Pankreas des Ka- 
ninchens dieselben Netze zu injiziren, wie sie von Saviotti 
beschrieben und abgebildet wurden. 

Er spricht die Ueberzeugung aus, dass es sich an dem 
genannten Objekte nicht um Kunstprodukte handle, sondern 
dass die injizirten Netze wirklich die Anfänge der Aus- 
führungsgänge, wahre „Speichelcapillaren* darstellen, Viel 
schwieriger sei die Injektion der Mundspeicheldrüsen, von 
denen der Vortragende vorzüglich die Unterkieferdrüse des 
Hundes und des Kaninchens untersuchte. Die Injektion regel- 
mässiger Netze sei ihm niemals gelungen, doch habe er häufig 
Theile eines Speichelalveolus gefunden, an welchen die Zellen 
von äusserst feinen Kanälchen umsponnen waren, die 
nicht selten unter der tunica propria, entsprechend den 
Kernen der von Boll beschriebenen Zellen des sog. Drüsen- 
korbes, Anschwellungen zeigten. Wahrscheinlich sei das von 
Boll beschriebene intraalveolare Bindegewebsgerüste nichts 
Anderes, als das Speichelcapillarnetz; doch müsse zugegeben 
werden, dass die Injektionsresultate noch eine andere Deutung 
zulassen. Möglicherweise hat sich das als Injektionsmasse 
benützte lösliche Berlinerblau auf der Oberfläche der von 
Boll angenommenen Fächerchen verbreitet und niedergeschla- 
gen. Bei der Feinheit der hier in Frage stehenden Gebilde 
sei es schwer zu sagen, ob die Masse im Innern oder nur 
auf der Oberfläche sich befinde, doch spreche die scharfe 
Begränzung der blauen Bälkchen für das erstere. 

Als einer besonderen Merkwürdigkeit wird des Um- 
standes gedacht, dass an allen injizirten Unterkieferdrüsen 
des Hundes, bei welchen die Masse überhaupt in die Alveolen 
eindrang, zahlreiche Speichelzellen injizirt waren. Man könne 
sich überzeugen, dass die stark blau gefärbten und ganz 
scharf abgegränzten Zellen in ihrem Innern Berlinerblau ent- 
halten. Die Frage, ob die Injektionsmasse durch eine natür- 


Ill 


liche Oeffnung oder durch einen Riss eindrang, bleibt offen, 
doch wird bezüglich der Möglichkeit der ersteren Annahme 
an das Vorkommen einzelliger Drüsen erinnert. 

Schluss der Sitzung 8, Uhr. 


II. Sitzung, den 25. Jänner 1871. 


Die in der letzten Sitzung zur Aufnahme vorgeschla- 
genen Herren Dr. Franz Settari, Dr. Ed. Lang und Dr. 
J. Schlemmer wurden einstimmig als Mitglieder gewählt 
und weiters Herr Fabriksdirektor R. Rhomberg zur Auf- 
nahme vorgeschlagen. 

Hierauf hielt Herr Prof. Wildner einen Vortrag über 
die Hundswuth. 

Schluss der Sitzung 8 Uhr. 


III. Sitzung, den 8. Februar 1871. 


Herr Fabriksdirektor R. Rhomberg wurde mit Stim- 
meneinhelligkeit zum Mitgliede gewählt. 

Von Druckschriften wurden vorgelegt mit der Einladung 
zum Schriftentausch : 

1) die Zeitschrift des Ferdinandeums. Jahrgang 1870, 

2) die medizinisch - chirurgische Rundschau. Jahrgang 

1871. 1. Heft 

Herr Prof. Heine besprach hierauf einige operative 
Fälle und Herr Dr. E. Läng hielt einen Vortrag über die 
sogenannten Dermoidcysten im Allgemeinen und einen von 
ihm beobachteten Fall insbesondere. 

Der Vortragende macht aufmerksam, dass man durch 
Heschl (Prag. Vjschft. 1860) und Virchow (Arch. 1866) 
nur über die Genese der Dermoideysten des Kopfes, Halses 
und der Extremitäten belehrt wurde. Ueber die Entstehungs- 
ursache von Dermoiden im Genitalapparate bestehen nur 
Vermuthungen; so Pelikan (Schmidt’s Jahrb. 1862) und 

1* 


IV 


Axel Key (ebendas. 1865). Waldeyer (Arch. f. Gynaekol. 
1870) will die Dermoideysten der Ovarien auch nur ver- 
muthungsweise auf eine parthenogetische Entwicke- 
Jungsfähigkeit einer zur Eizelle gewordenen 
Epithelzelle des Ovariums zurückführen, eine Ansicht, 
die durch neuere Beobachtungen einige Berechtigung hat. 

Für die Erklärung des Vorkommens von Dermoiden im 
Hoden gibt Waldeyer’s Werk „Eierstock und Ei“ durch den 
Nachweis des Hermaphroditismus oder wenigstens der her- 
maphroditischen Anlage in der ganzen Thierreihe nicht zu 
übersehende Anhaltspunkte. Bei alledem ist es aber immer 
höchst sonderbar, dass bis jetzt in den in Rede stehenden 
Tumoren das Darmdrüsenblatt durch kein Organ vertreten 
gefunden wurde. 

Der Vortragende geht nun auf seine Beobachtung über. 
Durch die Güte des Herrn Prof. Heine wurde er in die 
Lage versetzt, ein hühnereigrosses Teratom vom Hoden eines 
1 /, jährigen Kindes — Privatpatienten Prof. Heine’s — nach 
allen Richtungen hin genau zu durchforschen. Die Geschwulst 
ergab sich als Cystoid mit eingesprengten Knochen- und 
Knorpelstückchen. Die Auskleidung der Cysten wurde von 
verschiedenen Arten Epithelien gebildet. Manche Cysten 
trugen vollkommen ausgebildete Cutisinseln mit Haaren, Talg- 
und Schweissdrüsen; viele aber waren mit einer Schleimhaut 
und den normalen in Nichts nachstehenden Schleimdrüsen 
versehen. Ausserdem fand er auch in einem Theile der 
Geschwulst Nervenzellen und Nervenfasern in ganz dichten 
Gruppen. Weiters erwähnt er an der Geschwulst einer kleinen 
Erhabenheit, die sich als Hodenparenchym herausstellte. 

Aus dem Bestehen von normalem Hodenpa- 
renchym neben Dermoidcystenentartung; aus dem 
Mangel eines jeden Nachweises, dass das Hoden- 
gewebe sich am Aufbau des Gewächses betheiligt 
hätte; aus dem sichern Nachweis von vollkommen 
entwickelten Schleimdrüsen glaubt der Vortragende 
die Annahme nahegelegt, dass der Eierstocktheil des Hodens 


Vv 


es war, der zum Teratom geworden, und den parthenogene- 
tischen Ursprung der Geschwulst, wenn auch nicht bewiesen, 
so doch in hohem Masse gestiitzt. 

Schluss der Sitzung 8, Uhr. 


IV. Sitzung, den 1. Marz 1871. 


(Jahresversammlung. ) 


Der Vorsitzende bringt eine Zuschrift des ärztlichen 
Vereins in Salzburg zur Kenntniss, in welcher derselbe mit- 
theilt, dass er wegen unbilligem Vorgange des Ministeriums 
bei der Gehaltsregulirung der älteren Bezirksärzte eine Petition 
an den Reichsrath gerichtet habe und in welcher er zu einem 
gleichen Vorgange einladet. 

Die Zuschrift wird dem Sanitätsrath Herrn Dr. Gill- 
— huber übergeben, damit er nach Besprechung mit seinen 
ärztlichen Collegen in einer der nächsten Sitzungen einen 
Antrag stelle. 

Herr Dr. Ferdinand Ritter v. Reinisch, k.k. Adjunkt, 
wird zum Beitritte als Mitglied angemeldet. 

Die Gesellschaft für Natur und Heilkunde in Dresden 
sendet ein Heft ihrer Sitzungsberichte ein. 

Der Schriftführer erstattet hierauf nachfolgenden Bericht 
über die Thätigkeit des Vereins im abgelaufenen Jahre. 


Bericht 
über die Thätigkeit des naturwissenschaftlich - medizinischen 
Vereins in Innsbruck während des Jahres 1870. 

Der Verein hat sich bei seiner Constituirung die Auf- 
gabe gestellt, wissenschaftliche Forschung auf dem Gesammt- 
gebiete der Naturwissenschaften und Medizin anzuregen und 
zu fördern und deren Resultate zu verbreiten. Zur Erreichung 
dieses Zweckes sollten regelmässige Sitzungen dienen, in 
welchen Vorträge der Mitglieder über eigene Untersuchungen 
und Beobachtungen aus den verschiedensten Zweigen der 
genannten Wissenschaften gehalten, Mittheilungen über neue 


VI 


fremde Beobachtungen gemacht, sowie interessante wissen- 
schaftliche Objecte demonstrirt werden. Auch wurde die 
Herausgabe einer Zeitschrift beschlossen, in welcher die Ver- 
handlungen des Vereins veröffentlicht werden. 

Es kann heute am Schlusse des ersten Vereinsjahres 
mit Befriedigung hervorgehoben werden, dass der Verein 
seinem vorgesteckten Ziele mit grösstem Eifer und bestem 
Erfolge nachgekommen ist. Die Vereinssitzungen wurden 
regelmässig alle 14 Tage (mit Ausnahme der Universitäts- 
ferien) des Mittwochs, im Winter um 7 Uhr, im Sommer 
um 7%, Uhr Abends in einem Hörsaale der k. k. Universität 
abgehalten und von den Mitgliedern auch meist fleissig besucht. 

Durch zahlreiche wissenschaftliche Vorträge, durch Mit- 
theilung neuer Entdeckungen auf den verschiedenen Gebieten 
der Naturwissenschaft und Medizin, durch Ausführung in- 
structiver Experimente, durch Vorzeigung und Erklärung 
neuer oder seltener naturhistorischer Objecte, durch Vor- 
führung wichtiger Krankheitsfälle wurde das Interesse der 
Mitglieder stets rege erhalten. 

Jedoch beschränkte sich der Verein nicht bloss auf das 
rein wissenschaftliche Gebiet, sondern wendete sich auch 
practischen Fragen zu. So wurde schon in der zweiten Sitzung 
die Regelung der Kloakenfrage der Stadt Innsbruck in An- 
regung gebracht und ein Comite eingesetzt, welches sich mit 
dieser Angelegenheit auf das eifrigste beschäftigte und einen 
ausführlichen Bericht in der 8. Sitzung vorlegte, auf Grund 
dessen die Versammlung sich über bestimmte Vorschläge 
einigte und den Beschluss fasste, dieselben der hiesigen Stadt- 
vertretung vorzulegen. Letztere ist auch bereits mit der 
Einleitung der nöthigen Vorarbeiten beschäftigt, um auf Grund 
der gemachten Vorschläge die Angelegenheit einer entspre- 
chenden Lösung zuzuführen. 

Von der Vereinszeitschrift ist bisher das 1. Heft erschie- 
nen, ein zweites befindet sich unter der Presse. Jenes enthält 
die Sitzungsberichte vom März bis Juli, den Comitebericht 
über die Regelung der Kloakenfrage in Innsbruck von Prof. 


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VI 


Hofmann, sowie einige physikalische Abhandlungen von 
Prof. Pfaundler, das letztere wird die Sitzungsberichte des 
zweiten Halbjahres, sowie naturwissenschaftliche Abhand- 
lungen von den Professoren Kerner, Heller und Dr. 
Oellacher, ferner klinische Berichte von den Professoren 
Heine und Mauthner enthalten. 

Die Zahl der Mitglieder, welche bei der ersten Consti- 
tuirung des Vereins bloss 56 betrug, hat sich im Laufe des 
Jahres auf 78 gesteigert. Es gehören ihm an die medizi- 
nischen und naturwissenschaftlichen Professoren der Univer- 
sität, die Professoren der naturwissenschaftlichen Fächer an 
den beiden Mittelschulen, die meisten praktischen Aerzte des 
Militär- und Civilstandes, sowie viele Freunde der Natur- 
forschung hiesiger Stadt, dessgleichen einige auswärtige Mit- 
glieder. 

Als Vorsteher des Vereins fungirten die Professoren 
Heller und Heine, als Kassier Prof. Dantscher, als 
Schriftführer Assistent Dr. Fizia. — 


Der Vereinskassier legt die Rechnung über die Ein- 
nahmen und Ausgaben des Vereins vor und wird dieselbe 
dem Herrn Statthaltereirath Ritter v. Barth und Herrn 
Rechnungsrath v. Schmidt zur Prüfung übergeben. Die 
Einnahmen des Vereines beliefen sich demnach im Verwal- 
tungsjahre 1870 auf 417 fl., die Auslagen auf 212 fl. 22 kr., 
es verblieb somit ein Kassarest von 205 fl. 73 kr. — 

Bei der hierauf vorgenommenen Neuwahl der Vereins- 
leitung wurden 32 Stimmzettel abgegeben. Beim Scrutinium 
erschienen mit absoluter Majorität gewählt: 

Herr Prof. Ritter v. Vintschgau als Vorstand mit 28 Stimmen 
» »  » Vv. Barth als Stellvertreter mit 20 , 
oe Cs Dantscher als Kassier mit  ı 28 = 

Dr. Oellacher als Schriftführer mit . 26 , 

Am Schlusse hielt Herr Prof. Pfaundler noch einen 

Vortrag über Leuchtsteine und zeigte einige Experimente mit 

solchen, die er mit elektrischem Lichte beleuchtete; ferner 


by) 


VII 


macht derselbe Experimente mit dem Phosphoroscope von 

Becquerel und mit dem Elektromotor von Kravogel, dessen 

Construction er durch Vorführung älterer Motoren erläuterte. 
Schluss der Sitzung 8%, Uhr. 


V. Sitzung, den 15. März 1871. 


1) Herr Prof. Ritter v. Vintschgau dankt in einer 
Ansprache den Mitgliedern für die anihn ergangene Wahl zum 
Vereinsvorstand und gibt im Namen der neuen Vereins- 
leitung die Versicherung, dass dieselbe fortwährend bemüht 
sein wird, dahin zu trachten, dass der Verein, der schon 
im ersten Jahre seines Besteheus eine nicht geahnte Ent- 
wicklung erreichte, sich nicht bloss in dem gegenwärtigen 
blühenden Zustande erhalte, sondern auch noch tiefere Wurzeln 
fasse. 

Er fordert auf, durch zahlreiche Betheiligung an den 
Vorträgen und den daran sich knüpfenden Discussionen das 
Interesse für den Verein zu kräftigen und wo möglich zu 
steigern. N 

Ferner bezeichnet er in allgemeinen Zügen den Stand- 
punkt, von welchem aus allein eine erspriessliche Erforschung 
der Naturerscheinungen möglich sei. 

Zum Schlusse spricht er der abgetretenen Vereinsleitung 
des vorigen Jahres im Namen aller Mitglieder den Dank für 
die umsichtige und unermüdliche Thätigkeit aus, worauf 
sämmtliche Mitglieder ihre Zustimmung durch Erheben von 
den Sitzen ausdrücken. 

2) Herr Dr. Fd. v. Reinisch wird hierauf einstimmig 
als Mitglied aufgenommen. 

3) Herr Dr. Loebisch, Assistent an der Lehrkanzel 
der physiologischen Chemie hier meldet seinen Beitritt an. 
Die Abstimmung erfolgt in der nächsten Sitzung. 

4) Herr Statthaltereirath v. Barth und Herr Rech- 
nungsrath v. Schmidt legen die revidirte Vereinsrechnung des 


IX 


vergangenen Jahres vor und erklären dieselbe für richtig. 
Da Niemand dagegen einen Einwand erhebt, so wird dieselbe 
der Vereinsleitung übergeben. 

5) Herr Prof. Dr. Maly macht eine Mittheilung über 
das von A. Gfall in Innsbruck erzeugte Malzextrakt. Das- 
selbe enthält nach Maly’s Analyse 36.6%, Malzzucker, 27.9%, 
Dextrin, 1.6% Asche, 3.2%, Eiweiss und das Uebrige 
Wasser und Extractivstoffe. Ferner wurde die sinnreiche 
Abdampfmethode erwähnt, welche bei niedriger Temperatur 
durch Tropfenvertheilung stattfindet, und einer möglichen 
Veränderung der organischen Malzsubstanzen vorbeugt. 

6) Herr Dr. J. Oellacher trägt vor über das Ver- 
schwinden des Keimbläschen aus dem Eie. Der Vortragende 
hat diesen Vorgang zunächst am Forellenei genau verfolgt. 
Durch eingehende Studien, welche derselbe an den Eiern 
einer Forelle, die am 10. November besaamt worden waren, 
vom ersten Momente der Besaamung an anstellte, wurde 
derselbe zunächst auf ein kleines rundes, schleierartiges Ge- 
bilde auf manchen Keimen aufmerksam, welches sich an 
Durchschnitten als ein dem Keime aufgelagerter, wie von 
Porenkanälen durchzogener Saum ausnahm. In Verfolgung 
dieses merkwürdigen Gebildes kam der Vortragende auf ver- 
schiedene Stadien der Entwickelung desselben, theils an Eiern, 
welche kurz nach der Besaamung, theils vor derselben er- 
härtet worden waren. Ein Ei zeigte auf der Oberfläche ein 
winziges Loch, das von einem Saume umgeben war. Auf 
einem Durchschnitte zeigte es sich, dass dasselbe der enge 
Eingang zu einer kleinen Höhle war, die von einer porösen 
Membran ausgekleidet erschien. Diese letztere nahm sich 
aus wie ein wenig geöffneter Zugbeutel, dessen Saum auf 
die Keimoberfläche ausgeschlagen ist; in demselben befand 
sich ein kugeliger Körper mit faltiger Oberfläche, der den 
Beutel jedoch nicht ganz erfüllte Ein zweites Ei zeigte 
einen in einen Hügel erhobenen Keim; auf der Spitze jenes 
Hügels mündete eine kleine Höhle, in der man deutlich einen 
kugeligen Inhaltskörper erkennen konnte. Ein Durchschnitt 


x 


bot ein ähnliches Bild wie das vorige, nur dass der Beutel, 
der die poröse Membran bildete, weiter aufgezogen erschien 
und den Inhaltskörper weniger innig umschloss. Ein drittes 
Ei zeigte eine seichte Höhle mit weitem Eingang, in der man 
jedoch deutlich zwei kleinere kugelige Inhaltskörper erblickte. 
Im Durchschnitt erschien die von einer porösen Membran 
ausgekleidete Höhle wie eine in den Keim eingesenkte Schaale, 
in der auf zwei Durchschnitten je ein kleiner kugeliger Körper 
lag. Ein viertes Ei trug an der Oberfläche eine noch seich- 
tere Schaale, wieder von jener porösen Membran ausgeklei- 
det; der einfache kugelige Inhaltskörper ragte über den Rand 
der Schaale heraus. Es ist kein Zweifel, dass die geschil- 
derten Bilder beweisen dass im Forelleneie zu einer gewissen 
Zeit an der Oberfläche des Keimes eine beutelförmige Membran 
mündet, welche sich mehr und mehr öffnet, und deren Höhle 
sich somit nach und nach ausgleicht. Dadurch wird der 
einfache oder doppelte Inhaltskörper derselben mehr und 
mehr aus ihr und mithin auch aus dem Keime herausgeho- 
ben, endlich wird die Membran bis zu einem gewissen Grade 
sogar umgestülpt und auf der nun durchaus convexen Ober- 
fläche des Keimes ausgebreitet, der Inhalt derselben aber 
aus dem Keime eliminirt. Dass dieser Vorgang auf Con- 
tractionen des Keimes beruhe, ist selbstredend. 

Ein Vergleich dieser der Reife nahen Eier mit Eier- 
stockeiern ergab, dass jener kugelige, von einer porösen 
Membran umschlossene Körper das Keimbläschen ist, indem 
auch in den kleinen Eiern des Eierstocks, wie sie sich nach 
dem Laichen noch im Mutterthiere finden, das Keimbläschen 
ein runder, von einer dicken und ebenfalls porösen Membran 
umschlossener Körper ist und ebenfalls an der Oberfläche des 
Keimes liegt. Das Keimbläschen des Forelleneies öffnet sich 
somit an der Oberfläche des Keimes, und der letztere treibt 
den Inhalt desselben aus. 

Der Vortragende vergleicht diese Beobachtung am 
Forellenei zunächst mit einer ähnlichen v. Baer’s am Ba- 
trachiereie, welche bisher von allen Forschern auffallender 


XI 


Weise vollkommen ignorirt wurde. v. Baer beschrieb und 
bildete ab, wie am Batrachiereie das Keimbläschen das von 
ihm so genannte stratum nigrum durchbohre und so zwischen 
Inhalt und Membran des Eies gelange, also auch aus der Proto- 
plasmamasse des letzteren eliminirt werde. Ferner vergleicht der 
Vortragende diesen Vorgang mit der von Purkinjeund v. Baer am 
Hühnereie beschriebenen Elimination des Keimbläschens aus 
dem Keime. Dieselbe vollzieht sich nach den eigenen Be- 
obachtungen des Vortragenden in der Weise, dass das Keim- 
bläschen ringsum von den Seiten und von unten her einge- 
drückt und an die Dotterhaut angepresst werde, wobei es 
vorläufig im Durchschnitte eine trapezförmige Figur annimmt, 
endlich aber durch fortgesetzten Druck abgeplattet wird und 
vollkommen der Dotterhaut anliegt. Gleichzeitig wird es 
fast homogen. Aehnliches behauptete v. Baer auch vom 
Keimblaeschen des Reptilieneies. Was das Säugethierei an- 
langt, erinnert der Vortragende an den einfachen oder dop- 
pelten kleinen Körper, der nach den Beobachtungen Bischofts, 
Coste’s und E. van Beneden’s aus dem Eie kurz vor der Be- 
fruchtung ausgepresst wird. 

Er vergleicht diesen Körper ebenfalls mit dem aus dem 
Forellenkeime austretenden, der ja auch einmal doppelt — 
i. e. getheilt in der Schaale der Keimbläschen-Membran ge- 
getroffen wurde. 

Ausserdem erinnert der Vortragende, dass ja auch im 
Säugethiereie das Keimbläschen unter die Oberfläche wandere, 
wo es von den Forschern immer gesehen und als solches 
erkannt worden sei. Demnach hält es der Vortragende für 
sicher, dass das Keimbläschen in den Eiern aller Wirbel- 
thiere durch Contractionen des Keimes ausgestossen werde 
und der Ausdruck: „das Keimbläschen verschwindet,“ in 
diesem Sinne volle Berechtigung habe. 

Van Beneden habe überdiess während das ausgestossene 
und getheilte Keimbläschen noch innerhalb der Zona sichtbar war, 
einen oder zwei neue Kerne im Eie gesehen, und hält der Vor- 
tragende daher die weitere Verwendung des Keimbläschens$ 


XI 
zur Bildung von Kernen der Furchungskugeln um so sicherer 
fiir nicht annehmbar. od 

Zum Schlusse macht der Vortragende auf die zahl- 
reichen Beobachtungen von v. Baer, Pouchet, P. v. Beneden, 
Frd. Müller, Loven und Köllicker an Molluskeneiern auf- 
merksam, welche gleichfalls das Austreten eines oder zweier 
Körperchen vor der Befruchtung darthun, und welche unter 
andern Deutungen, die sie erfuhren, — von Pouchet für Ab- 
kömmlinge des Keimbläschens gehalten wurden. Mindestens für 
alle jene Eier, auch der Wirbellosen, in denen eine Wanderung 
des Keimbläschens vom Centrum des Eies an die Peripherie 
beobachtet werden könne, hält der Vortragende trotz aller 
gegentheiligen Behauptungen vieler Forscher die Elimination 
des Keimbläschens vor der Befruchtung immer noch für das 
Wahrscheinlichste und schliesst ‘sich derselbe daher den 
Beobachtungen v. Baer’s (De ovi animalium et hominis genesi) 
vollkommen an. 

Schluss der Sitzung halb 9 Uhr. 


Vi. Sitzung, den 3. Mai 1871. 


1) Herr Dr. W. Loebisch wurde als Mitglied auf- 
genommen. 

2) Die Herren Graf Anton Arz, k. k. Statthalterei- 
rath; Dr. Ignaz Laschan, k. k. Statthaltereirath, Wil- 
helm Fedrigotti, k. k. Landesgerichtsrath, und Ernst 
Grabmeier, k. k. Landesgerichtsadjunkt in Innsbruck mel- 
den ihren Beitritt zum Vereine an. Abstimmung in der 
nächsten Sitzung. 

3) Herr Prof. Dr. Heine stellte eine Kranke vor, 
welche ihm mit einem schlechtgeheilten Kniescheibenbruche 
überbracht worden war. Die Bruchstücke der Kniescheibe 
standen damals zwei Zoll von einander ab und konnte die 
Kranke kaum gehen. Es wurde an derselben desshalb eine 
von ihm zum erstenmale ausgeführte osteoplastische Operation 


XI 


vorgenommen, durch welche die Knochenfragmente bis auf 
1'4,—2 Linien genähert wurden, und wodurch die Kranke 
nun wieder in den Stand gesetzt wurde, gut zu gehen. 

Im Anschlusse hieran stellte Herr Prof. Heine einen 
anderen Kranken vor mit dem Endresultate einer zweimaligen 
Resection im Handgelenke. Dasselbe schlottert weder noch 
ist es unbeweglich und ist die Hand somit wieder für leich- 
tere Arbeit brauchbar. 

4) Hierauf hielt Prof. Dr. Mauthner einen Vortrag 
über das Leuchten der Augen; er spricht zunächst über den 
gebräuchlichen Ausdruck, dass das Auge im Affecte strahle 
und definirt dieses Leuchten und Strahlen als gesteigerten 
Glanz der Oberfläche des Auges. Davon zu unterscheiden 
ist das wirkliche Leuchten der unter gewöhnlichen Verhält- 
nissen schwarzen Pupille. Der Vortragende entwickelt die 
Ansichten, die über dieses Phaenomen zu verschiedenen Zeiten 
aufgestellt wurden, bespricht dann den wahren Grund des 
Augenleuchtens, welches auf Zurückstrahlung einfallenden 
Lichtes beruht und endiget mit der Beschreibung des Augen- 
spiegels, durch dessen Hilfe man den Grund eines jeden 
Auges leuchtend machen kann, welches durchsichtige Medien 
besitzt, so dass man alle Details des Augengrundes wahr- 
nehmen kann. 

Schluss der Sitzung 9 Uhr. 


VIE. Sitzung, den 17. Mai 1871. 


1) Die Herren Graf Anton Arz, Dr. Ignaz Laschan, 
Graf Wilhelm Fedrigotti und Ernst Grabmeier 
werden als Mitglieder aufgenommen. 

2) Herr Dr. Pircher meldet seinen Beitritt an. 

3) Herr Prof. Dr. Maly besprach die Gesetze der 
Spectralerscheinungen in ihrer Anwendung auf die Astronomie. 
Er setzte den Unterschied der Spectra leuchtender fester und 
leuchtender gasförmiger Körper auseinander und stellte hierauf 


XIV 


die Theorie der Frauenhofer’schen Linien dar. Hieran reihte 
er die Aufzählung derjenigen Metalle, welche durch das 
Spectroscop sowohl in den Planeten, als auch in den Fix- 
sternen, besonders in der Sonne, und ferner in Cometen und 
Nebelflecken gefunden wurden Den Schluss des Vortrages 
bildete ein sehr sinnreiches Experiment, in welchem die Ver- 
dunkelung einer kleineren gelben Natronflamme durch eine 
zweite grössere Natronflamme hervorgebracht wurde, und womit 
der experimentelle Nachweis der Absorptionserscheinungen 
geliefert und der thatsächliche Beweis für die Richtigkeit der 
Theorie über die Frauenhofer’schen Linien gegeben war. 
Schluss der Sitzung 9 Uhr. 


VIII. Sitzung, den 7. Juni 1871. 


1) Herr Dr. Pircher wird einstimmig als Mitglied 
aufgenommen. 

2) Herr Prof. Hofmann hält einen Vortrag über „die 
gerichtsärztliche Untersuchung von Haaren.“ 

Nachdem der Vortragende die Wichtigkeit und Bedeu- 
tung solcher Untersuchungen auseinandergesetzt und durch 
einzelne praktische Fälle illustrirt, übergeht derselbe zunächst 
zu den Unterschieden zwischen Menschen- und Thierhaaren. 
Gegenüber den bekannten Eigenschaften des Menschenhaares 
zeigen die Thierhaare ein ganz anderes Verhalten, so dass 
sie in der Regel sogleich als solche zu erkennen sind. Schon 
die Cuticula präsentirt sich bei den meisten Thierhaaren in 
anderer Weise als beim Haare des Menschen. Die Zellen 
derselben sind im Allgemeinen grösser, bei einzelnen Thieren 
sogar ungewöhnlich gross (Schaf), und verleihen dem Haare, 
indem sie mit ihren feinen Spitzen vom Schafte abstehen, 
stark markirte zähnige und sägeförmige Conturen, die mit- 
unter, wie z. B. bei der Fledermaus, dem Haare ein so zu 
sagen gefiedertes Aussehen geben können. 

Vor allem aber unterscheiden sich die Thierhaare durch 


XV 


die auffallende Prävalenz der Marksubstanz und durch den 
ausgesprochen in der Regel schon ohne weitere Behandlung 
des Haares sichtbaren zelligen Bau der Letzteren. 

Der Vortragende beschreibt die verschiedenen Bilder, 
welche die Haare der einzelnen Thiere je nach der Grösse 
und Form der Markzellen geben, und demonstrirt eine Reihe 
solcher Haare unter dem Mikroscope. 

Fortsetzend bespricht der Vortragende die Unterschiede, 
welche die Menschenhaare je nach der Körperstelle, von 
welcher sie stammen, darbieten. 

Ausser den Differenzen in der Länge, Stärke und in 
den Wurzeln der einzelnen Haare werden vorzugsweise die 
Verschiedenheiten in der Form des Haarschaftes sowohl als 
besonders der freien Enden der Haare erörtert, wie sie theils 
durch kontinuirliche Bildung, theils durch Einwirkung des 
Schweisses, theils durch beide diese Momente in sekundärer 
Weise bewirkt werden. Abschleifung der Haarenden, Auf- 
lockerung der Zellen des Haarschaftes, Zerfaserung des letzte- 
ren und ganz besonders des freien Endes sind die wichtigsten 
diessbezüglichen Veränderungen, die je nach der Prävalenz 
des einen oder des anderen Insultes in verschiedener Weise 
hervortreten. 

Der Vortragende demonstrirt solche Haare und schliesst 
mit der Bemerkung, dass aus dem mikroskopischen Befunde 
allein wohl im Allgemeinen die Stelle bezeichnet werden 
kann, von welcher die betreffenden Haare herstammen, dass 
aber eine präzisirte Bestimmung derselben in so ferne Schwie- 
rigkeiten bietet, als das Verhalten der einzelnen Haare durch- 
aus nicht immer so konstant und charakteristisch ist, als 
diess z. B. Pfaff behauptet, sondern dass eine Menge Um- 
stände, namentlich individueller und lokaler Natur modifizi- 
rend einwirken. 

Schluss der Sitzung 8%, Uhr. 


XVI 


IX. Sitzung, den 14. Juni 1871. 


1) Herr Prof. Dr. v. Vintschgau legt eine chemische 
Arbeit von Herrn Dietl vor, welche in den Schriften des 
Vereines gedruckt werden soll, und beantragt, dieselbe dem 
Herrn Prof. Dr. Maly zum Begutachten zu übergeben. 

Der Antrag wird angenommen. 

2) Herr Prof. Dr. M. v. Vintschgau trägt vor über 
einige Methoden zur Zählung der Herzschläge bei Thieren, 
deren Pulsfrequenz so gross ist, dass sie ohne taugliche 
Apparate das Zählen höchst schwierig und unsicher macht. 

Der Inhalt des Vortrages wird im nächsten Hefte aus- 
führlich erscheinen. 

Schluss der Sitzung 9 Uhr. 


X. Sitzung, den 28. Juni 1871. 


1) Der Vorsitzende Herr Prof. M. v. Vintschgau 
meldet, dass die von Herrn Dietl eingereichte chemische 
Arbeit von Herrn Prof. Maly geprüft und druckwürdig be- 
funden wurde; worauf beschlossen wird, dieselbe in die Zeit- 
schrift des Vereins aufzunehmen. 

2) Theilt der Vorsitzende den Einlauf des 4. Heftes 
der med. chirurg. Rundschau mit. 

3) Befragt Herr Prof. v. Vintschgau, ob die An- 
wesenden gewillt seien, die von Prof. Winkler in München 
durch Prof. Heller eingereichte palaeontologische Arbeit in 
die Zeitschrift des Vereines aufzunehmen. Er stellt die Bilanz 
zwischen dem Barfonde des Vereines einerseits und den Kosten 
des 3. Heftes der Zeitschrift ohne und mit der Aufnahme 
der Arbeit des Herrn Prof. Winkler. Prof. Barth stellt 
hierauf den Antrag, erst das Referat über die Arbeit von 
Herrn Prof. Heller abzuwarten und dann erst, natürlich mit 
Berücksichtigung des finanziellen Standpunktes, über die Auf- 
nahme zu entscheiden. Herr Oellacher, Apotheker, stellt 


N 


XVü 


den Antrag, die Arbeit direct zurückzuweisen und bei dem 
geringen Fonde des Vereins mehr die Arbeiten von Inländern 
zu berücksichtigen. Herr Prof. Pfaundler unterstützt den 
Antrag Barth’s, der denn auch angenommen wird. 

4) Hierauf hielt Herr Prof. v. Barth einen Vortrag 
über einige Derivate der Benzo@säure. Er berichtet zunächst 
über eine von ihm in Gemeinschaft mit Dr. Senhofer aus- 
geführte Untersuchung der Disulfobenzoesäure, eines neuen 
bisher unbekannten Abkömmlings der Benzoéséiure und über 
eine ebenfalls neue daraus entstehende Dioxysäure, und knüpfte 
hieran eingehende Bemerkungen über die in neuerer Zeit so 
grosses Interesse erregende Bestimmung des chemischen Ortes 
in der aromatischen Reihe. 

Schluss der Sitzung 9 Uhr. 


XI. Sitzung, den 5. Juli 1871. 


1) Herr Prof. Heller referirt über die Arbeit des 
Herrn Prof. Winkler in München, deren Drucklegung er 
jedoch in Rücksicht der zu bedeutenden Auslagen nicht em- 
pfiehlt. Es wird hierauf der Antrag Hellers, diese Arbeit 
zurückzusenden, einstimmig angenommen, 

2) Herr Dr. Oellacher meldet die Beitrittserklärung 
des Herrn Dr. Edvard v. An der Lan, k. k. Landwehr- 
hauptmanns an. Die Abstimmung wird für die nächste Sitzung 
vorbehalten. 

3) Herr Prof. Pfaundler hält hierauf einen Vortrag 
über die Dampftemperatur siedender Salzlösungen. Derselbe 
hält die Frage über die Ursache der niedrigeren Temperatur 
der Dämpfe gegenüber der der Lösung durch die bisherigen 
Arbeiten keineswegs für gelöst. Er führt eine Reihe von 
Versuchen an, welche es ihm wahrscheinlich machen, dass 
der Dampf einer siedenden Salzlösung auch ohne äussere Ab- 
kihlung eine niedrigere Temperatur zeigen müsse als die Lö- 

Naturw.-med, Verein, 1871. I. Hit, 2 


XViil 

sung. Die früher von Regnault vorgeschlagene Erklärung der 
Abkühlung erwähnend, versucht er eine neue, die sich auf 
die neuen Vorstellungen über die Bewegung der Moleciile 
und die Bedeutung der Mitteltemperatur des Dampfes grün- 
det. Zum Schlüsse zeigt er ein Experiment vor, welches die 
schon längst von Gay-Lussac mitgetheilte, aber in Vergessen- 
heit gerathene Thatsache, dass durch Einleiten eines Dampf- 
stromes von 100° in eine Salzlösung letztere weit über 100° 
erhitzt werden könne, zur Anschauung bringt, und theilt über- 
dies mit, dass diese Erscheinung auch bei solchen Salzen 
eintritt, bei welchen beim Zusammenbringen mit Wasser von 
100° eine Temperaturerniedrigung eintrete. 

4) E. v. Job referirt über Versuche, die er unternom- 
men, um den Kühleffeet der Kältemischung aus Wasser und 
salpetersaurem Ammoniak zu bestimmen. Sie umfassen theils 
Löslichkeitsbestimmungen dieses Salzes für verschiedene Tem- 
peraturen, theils Messungen der latenten Lösungswärme der- 
selben. Letztere wurde ungefähr so gross wie von Favre 
und Silbermann gefunden, jedoch wechselnd mit der gelösten 
Menge. Die erhaltenen Zahlen werden bei anderer Gele- 
genheit mitgetheilt werden. 

Schluss der Sitzung 9, Uhr. 


Xir. Sitzung, den 21. Juli 1871. 


1) Herr Prof. Dr.M. v. Vintchsgau legt das Juliheft der 
medizinisch-chirurgischen Rundschau vor, welches im Tausch- 
wege eingegangen. 

2) Herr Hauptmann Dr. v. An der Lan wird ein- 


stimmig als Mitglied aufgenommen. 
3) Herr Dr. Loebisch hält einen Vortrag über das 


Verhalten aromatischer Körper im thierischen Körper. 
Schluss der Sitzung 8%, Uhr. 


Ser eee eer erchterersemed 


Bea SiN . 
i EN 


Die Waldquelle zu Marienbad. 


Eine Studie aus der Balneotechnik und Balneochemie 
von M. J. Dietl. 


Nordwärts von Marienbad entspringt in geringer Ent- 
fernung vom Kurorte in einer ungemein anmuthigen, rings 
von Hochwald umschlossenen Thalau ein kräftiger alkalisch- 
salinischer Sauerbrunn, der unter dem Namen Waldquelle 
bereits allgemein bekannt ist. Diese Quelle, früher auch 
Aeolsbrunn 1) genannt, wurde 1827 zum erstenmale gefasst 
und erscheint von da an mit unter dem Heilschatze des 
Kurorts. Anfangs durch einen einfachen hölzernen, mit 
Rinde überkleideten Tempel geschützt, wie er so recht der 
damals noch wildromantischen Umgebung entsprach, erhielt 
der Brunnen später einen kräftigen auf starken Säulen ruhen- 
den Oberbau, wie auch seine Umgebung durch das Eingreifen 
kunstsinniger Hände nach und nach jenen landschaftlichen 
Reiz erreichte, der nun jeden Besucher dieses freundlichen 
Platzes mit wohlthuender Befriedigung erfüllt. 

Der erwähnte Säulenbau zeigte in den letzten Jahren 
bedeutende Mängel, die seine Abtragung und eine neue Ueber- 


1) Der Name Aeolsbrunn ist als ein gelungener Euphemismus für 
den ehemals im Volksmunde gebräuchlichen Namen Windbrunn zu be- 
trachten. Diese Bezeichnung aber hatte die Quelle dem Vertrauen zu 
verdanken, das sie bei Laien als wirksames Mittel gegen ungemüthliche 
Blähungen genoss. 


ay 


bauung nothwendig erscheinen liessen. Zugleich war auch 
eine Neufassung der Quelle ein um so mehr gerecht- 
fertigtes pium desiderium, als in der letzten Zeit der Abfluss 
der Quelle sich immer mehr verringerte, was auf einen 
schlechten Zustand der alten Fassung schliessen liess und 
als die letzte im Jahre 1864 von Ragsky ausgeführte Ana- 
lyse eine bedeutende Verminderung des früher so reichlich 
vorhandenen kohlensaueren Gases zu erkennen gab. 

Wenn nun auch in einer damals erschienenen Bade- 
schrift anlässlich der Mittheilung der erwähnten Analyse 
dieser Verlust insofern sehr günstig aufgenommen wurde, als 
dadurch die Waidquelle mit einer in Bezug auf chemische 
Zusammensetzung analogen bekannten Quelle — dem Ober- 
brunn in Salzbrunn — nur eine desto grössere Aehnlichkeit 
erlange, so waren doch andere Männer der Wissenschaft 
freimüthig genug, zu gestehen, dass es denn doch besser 
wäre, wenn der frühere Status wiederhergestellt werden könnte, 
dass ja möglicherweise die Waldquelle einen selbstständigen 
Werth in sich trage, der es ihr ermögliche, auf eigenen 
Füssen zu stehen und sich um die Aehnlichkeit oder Ver- 
schiedenheit in Bezug auf andere Mineralwässer nicht in der 
Art zu kümmern. 

Es wurde also Dank der uneigenniitzigen und aner- 
kannten Bestrebungen von Seiten des Stiftsconvents zu Tepl 
vor allem eine neue Fassung und trotz einiger auftauchenden 
krämerlichen Bedenken von anderer unberechtigter Seite die 
Ausführung einer grösseren dauerhafteren Ueberbauung be- 
schlossen, die bei ungünstigem Wetter dem Publikum Schutz 
bieten soll. Mit beiden Arbeiten wurde der Baumeister Herr 
F. Zickler betraut. 

Die Ausführung der Neufassung gab den Anstoss zu 
der vorliegenden Arbeit, zur Beschreibung der Fassung und 
ganz besonders zu der durch die gründlichen und eingreifen- 
den Operationen, welche dabei vorgenommen werden mussten, 
insofern nothwendig gewordenen Analyse, dass dieselbe 
einen Massstab abzugeben im Stande sei für die wesentlichen 


an N 


Veränderungen, welche die Quelle unter den angegebenen 
Verhältnissen möglicherweise erfahren hat. 

Den diessbezüglichen Mittheilungen mögen einige ge- 
schichtlich - medizinische Notizen über das in Rede stehende 
Mineralwasser vorangehen. 

Das Verdienst, zuerst auf die Waldquelle und ihre Heil- 
kräfte in weiteren Kreisen aufmerksam gemacht zu haben, 
gebührt nach den Nachforschungen, die ich darüber in der 
Marienbader Brunnenliteratur anstellte, dem rühmlichst be- 
kannten Doctor Fidelis Scheu, der in seiner 1830 
erschienenen Schrift ,,die Heilkräfte Marienbads etc.“ !) an- 
knüpfend an eine Krankengeschichte, die im Jahre 1828 von 
Prof. Steinmann vorgenommene erste Analyse mittheilt 
und diese Angaben mit seinen eigenen und des genannten 
Analytikers Bemerkungen begleitet, die vielfach in spätere 
Badeschriften, oft sogar ziemlich wortgetreu übergingen. 

Durch die erwähnte Krankengeschichte stellt er auch 
die vorzüglichste noch immer mit Recht geltende Indication 
und ausserdem noch eine Reihe anderer für diese Quelle auf. 

Diesen Prioritätszuspruch finde ich auch bestätigt durch 
eine 1837 erschienene Monographie über die Waldquelle von 
C. v. Heidler?), der zuerst auf Grundlage seiner und Scheu’s 
Erfahrungen systematische Indicationen vorlegt; von da ab 
erscheint die Waldquelle in der Literatur theils als selbst- 
ständiges Heilmittel gegen specielle Krankheitsformen, theils 
als substituirend oder auch unterstützend für die andere 
Brunnenkur. 

Im Jahre 1844 unternahm Kersten eine Analyse des 
Ferdinandsbrunnen und der Waldquelle Um einen Vergleich 
der letzteren mit den Steinmann’schen Angaben zu erleich- 
tern, berechne ich diese ebenfalls für das Civilpfund oder 
7680 Grane. 


1) Dr. F. Scheu, die Heilkräfte des Marienbads in den verschie- 
denartigen chronischen Krankheiten, durch eine Reihe von Krankenge- 
schichten dargestellt; Eger 1830; 29. Abschnitt, 25. Krankengeschichte. 

2) Heidler, die Waldquelle zu Marieubad; Prag 1837, pag. 5. 


BL ga 


Steinmann Kersten 


1828 1844 
Natronsulphat en ea. aloe 7.371 
Kalisulphate sts 12 ga 21004! 1.995 
Chlornatnum un. 02 20809949 2.815 


Natronearbonat . . . . 6.013 4.823 
Eithionearbenat (iy 2. 0.00..2.0:073 0.007 


Kalkcarbonatı iis: now moo Oe 2.611 
Magnesiacarbonat . . . . 2.901 1.889 
Bisencarbonat 2.2022, 0:13 0.214 


Thonerdephosphat | 
und Extractivstoffe[ shah 0.019 0.015 


Kieselsäure". sn... 12.0.202200,648 0.676 


Summe der festen Bestandtheile . 22.131 22.416 
Freie und halbgebundeneKohlensäure 18.883 22.387 


Die beiden Analysen zeigen also, das sich in dem Zeit- 
intervall, der zwischen ihnen liegt, das Wasser nicht wesent- 
lich geändert habe: kleine Differenzen betreffen nur die Com- 
bination der Natronsalze und den Gehalt an Kohlensäure. 


Ueber die weiteren Verhältnisse der Quelle geben uns 
einige Notizen Aufschluss, die ich aus den Abdampfungs- 
resultaten für die verschiedenen Quellen entnehme, wie sie 
alljährlich vom Herrn Apotheker Brem vorgenommen wurden. 


Die auf die Waldquelle bezüglichen Daten reihen sich 
folgendermassen : 


Das Mineralwasser enthielt in 16 Unzen (= 7680 Gran) 
an festen Bestandtheilen 

am 16. November 1859 . . . 27.428 Gran 

am la: Mai 1860, 00.00.20. 02.020256 


pz) 
am 3]. Mai 1861... .., tans Wee 5728 
am 13. Mai 1862. . . ... 24.9505 
am 15..,Maiu 1863. ©... Vo.) an 20:0520% 
am 17. Marl S64 2 en 2a ee 


In dieses Jahr fällt die Analyse von Ragsky, die 


Bey a 


ich unten einschalte '); sie weist 27.185 Gran feste Bestand- 
theile nach. 

CMa Gnn tinh, (iii 25.508 4G ran 

et MAUS OOr BOT. 101252099 % 

MOMMA LO VAC Fut SDA OR Onan N, 

26. September 1868 . . 25.275 , 

Im Jahre 1869 wurde aus den obenerwähnten Gründen 

der Oberbau gegen Ende September abgetragen und 

die neue Fassung 
am 4. Oktober durch die Ausgrabung der den alten Ständer 
umgebenden Erd- und Lettenschichte begonnen. ?) 

Der dadurch blosgelegte alte sechsseitige Ständer be- 
stand aus zwei Zoll starken Brettern von weichem Holze, 
war zwei Fuss im Lichten breit, hatte 20 Zoll Wasserhöhe, 
fasste daher nur 41%, Kubikfuss Mineralwasser, was der 
Menge von circa 630 Bechern gleichkommt. Er ruhte ohne 
jede Verbindung auf einem sechsseitigen, aus siebenzölligen 


1) Analyse von Ragsky 1864: 


16 Unzen Mineralwasser enthalten „ . . Grane 
Schwefelsaures, Natron... 7. 0 en et Solas 
Schwetelsaures™ Kali 2p 2 Mae Lg 
Chlornatrium@l .uurann. On ABEND. Re IB 
Kohlensaures)Natrong. sen. Re or, 
-Kohlensaures Lithion Sega A DE a LE 
Keohlensaurer/Kalkı 2 2. 0 a le 0290 
iKohlensaurer Sirontian © 0. 2 2 22 ee) Spuren 
KohlensanreyLalkerdeyy, A. En ge 
Kohlensaures; Bisenoxydul 7... 2.2.2228 8704137 
Kohlensaures Manganoxydul . . . . . . . Spuren 
Basisch phosphorsaurer Kalk . . . . . . . 0.074 
IKueselsaure a U by Meni nuts ud MA TTS 
Humusartige organ. Materie sammt Verlust . . 0.073 

Summe der festen Bestandtheile . . . 27.185 

Freie und halbgebundene Kohlensäure . 12.941 


2) Der folgenden Beschreibung ist ausser eigenen Beobachtungen 
ganz besonders der von Seiten des hiesigen Stadtphysikus Herrn Dr. 
Ant. Schneider ausgearbeitete amtliche Bericht zu Grunde gelegt. 


oe 


weichen Holze konstruirten Grundschwellenroste. Nach Be- 
seitigung des Ständers fand sich hinter dem Roste beinahe 
gar keine Verstampfung vor, dagegen war der Raum unter- 
und ausserhalb des Ständers beinahe vollkommen mit lose 
zusammengeworfenen Bachsteinen ausgefüllt, zwischen welchen 
sich massenhaft Sinterocker angesammelt hatte. Den oberen 
Theil der Fassung bildeten sechs 15 Zoll hohe, auf den 
Ständer aufgesetzte Steinplatten, die ihrerseits wieder einen 
Kranz von Serpentin trugen. Das Ganze war durch eine 
oberflächliche Verstampfung zusammengehalten. 

Die Mangelhaftigkeit der früheren Fassung bezieht sich 
also : 

1) auf die im Laufe der Zeit zerrütteten Zustände der 

Fassug selbst, 

2) auf die dem jetzigen Bedarf nicht mehr genügenden 
räumlichen Verhältnisse, umsomehr als nach den 
entsprechenden Angaben die Quelle in der Stunde 
nur 2664 Kubikzoll Wasser lieferte, und 2 

3) auf die Schwierigkeit, unter dem oben beschriebenen 
Sachverhalte eine griindliche Reinigung der Quelle 
bewerkstelligen zu können. 

So wurde denn, nachdem die Höhe der früheren Ab- 
laufsöffnung genau fixirt war, an die Bloslegung des Quellen- 
bodens geschritten und zugleich dem Wasser durch einen in 
der Richtung des früheren Abflusses gezogenen Graben der 
Ablauf in den nahe vorbeifliessenden Bach ermöglicht und 
schliesslich der blosgelegte Quellenboden einer genauen Be- 
sichtigung unterzogen. 

Es fanden sich vor allem an der Stelle unterhalb des 
alten Schwellenrostes mehrere mächtige Gasquellen in der 
Richtung von West nach Ost, ausserdem drei Wasserquellen; 
zwei davon, eine westliche und eine östliche lagen ausser- 
halb des früheren Schwellenrostes, und es war ihrem Wasser 
der Eintritt in die Fassung durch Einschnitte in die Schwellen 
gestattet; die dritte Quelle war in die ursprüngliche Fassung 
gar nicht mit einbezogen, sondern quoll ausserhalb derselben 


RN U: 


zwischen Steingerölle hervor. Da sie ziemlich mächtig war 
und nach einer vom Herrn Apotheker Brem vorgenommenen 
Abdampfung 25 Gran fester Bestandtheile im Civilpfund ent- 
hielt, so wurde ihr Ursprung in der Absicht verfolgt, sie 
kunstgemäss für die neue Fassung zu aquiriren. 

Im Verlaufe der diesen Zweck fördernden Arbeiten, die 
mit grossen Schwierigkeiten verknüpft waren, da man grössere 
Steinmassen sprengen musste und durch fünf Tage bemüht 
war, die sich immer mehrenden Hindernisse zu beseitigen, 
machte man jedoch die Wahrnehmung, dass die Quelle je 
mehr sie sich gegen den Bach hinzog, desto gehaltloser wurde, 
so dass sie bei einer neuerlichen Prüfung blos 12 Gran fester 
Bestandtheile zeigte, Grund genug, um von einer weiteren 
Verfolgung abzustehen. 

Mittlerweile war auch der Quellenboden in der Richtung - 
der anderen Quellen erweitert; während nun jeder derselben 
ein besonderer Abfluss bereitet und dabei die Vertiefung in 
der Mitte durch Ausschöpfen trocken gelegt wurde, brach 
daselbst plötzlich eine kräftige Quelle hervor. Sie wurde 
- alsbald nebst den anderen isolirten Quellen einer genaueren 
Prüfung auf ihren Gehalt unterzogen, die folgende Resultate 
lieferte: die letzterwähnte mittlere Quelle erwies sich als die 
reichste, 32 Gran in 16 Unzen, darauf folgte die östliche 
mit 26 und die westliche mit 24 Gran. 

Auf Grund dessen wurde beschlossen, die erwähnten 
drei Quellen in die Fassung aufzunehmen, die südliche gehalt- 
lose dagegen auszuschliessen. 

Das am Quellenboden vorgefundene mit Sand und Lehm 
gemengte Gerölle konnte a priori wohl nicht als günstige 
Basis für die neue Fassung angesprochen werden. Man ver- 
suchte daher die Quellen bis zu einem etwaigen Ursprung 
aus festem Gestein zu verfolgen, ein Versuch, der jedoch 
bald aufgegeben werden musste, da sich die westliche und 
östliche Quelle immer mehr zurückzogen und die Befürchtung 
der Nothwendigkeit einer zu langen Einschlauchung das Ueber- 
gewicht bekam. 


RU GRC Ra 


Desgleichen wurde an einer Stelle, an der sich weder 
Gas- noch Wasserquellen zeigten, durch weitere Ausgrabungen 
in die Tiefe und schliesslich durch Anwendung des Erdbohrers 
selbst in einer Tiefe von 81% Fuss vom Quellenboden aus 
vergeblich auf Felsen reagirt; der durch die Versuche zu 
Tage geförderte schotterige Letten zeigte sich in Zwischen- 
räumen von je 12 bis 18 Zoll immer von 5 bis 8 Zoll 
mächtigen eisenhaltigen ziemlich festen Sandschichten durch- 
zogen, welche den Charakter eines im Zersetzungsprozess 
begriffenen Granits an sich trugen. 

So wurden denn, nachdem sich weder in der ausgeho- 
benen noch in der ausgebohrten Oeffnung irgendwelche Gas- 
ausströmungen gezeigt hatten, beide wieder sorgfältig mit 
fetter Lette verstampft und unverweilt den vorliegenden Ver- 
hältnissen gemäss die Dimensionen der neuen Fassung fest- 
gesetzt. 

In Betreff dessen war es geboten, darauf Rücksicht zu 
nehmen, dass für den künftigen Gebrauch der Quelle eine 
für alle Fälle ausreichende Wassermenge zu Gebote stehe, 
welcher Anforderung der Rauminhalt eines wenigstens 14 bis 
18 Cubikfuss fassenden Behälters entspricht. Man war zu 
der Vornahme einer solchen Vergrösserung um so mehr be- 
rechtigt, als schon der Augenschein ergab, dass die Quelle 
jedenfalls das frühere Quantum Wasser, wahrscheinlich aber 
noch mehr liefere, so dass sich ein Behältniss von 16 bis 
18 Cubikfuss Inhalt in längstens 3 Stunden füllen könne, 

Nachdem nun mittlerweile eine entsprechende Menge 
eines guten und zähen Lettens vorbereitet und der neue 
Ständer vollkommen hergerichtet war, wurde der Quellen- 
boden geebnet und gereinigt, wobei sich ergab, dass die 
en‘ferntesten Quellen 15 Schuh auseinanderlagen. Darauf 
wurde ein achtseitiger aus 9zölligem weichen Holze con- 
struirter Schwellenrost in der Art eingelegt, dass er mit 
seinem längeren Durchmesser von 13 Fuss von West nach 
Ost, mit seinem kürzeren Durchmesser von 11 Fuss von 
Nord nach Süd zu liegen kam, wodurch sowohl sämmtliche 


DV, eile 


Gasquellen, als auch die mittlere und östliche Wasserquelle 
in das Rayon des Schwellenrostes fielen. Die westliche 
Quelle wurde mittelst eines Holzschlauches in Cementmauerung 
hereingeleitet. Zur grösseren Sicherheit gegen das Eindringen 
von Tagwässern und zur Verhütung einer Unterspülung des 
Rostes wurde derselbe innerhalb mit Ziegeln in Cement auf 
6 Zoll Stärke vermauert. 

Als Lager des achtseitigen aus ‘/ zölligem Holze ge- 
arbeiteten eigentlichen Rostes dienten vier Quadern aus weissem 
feinkörnigen Granit von 1 Quadrat-Schuh Fläche und 9 Zoll 
Höhe. 

In einen Falz dieses Rostes ist das untere Ende des 
neuen Ständers eingepasst. Als Material für denselben wurde 
Eichenholz gewählt, einerseits weil bei der oben geschilderten 
Beschaffenheit des vorliegenden Quellengrundes eine Stein- 
fassung nicht anwendbar schien und weil anderseits in dem 
Falle Holzfassungen keinerlei Nachtheile oder Uebelstände 
involviren, wie es die anderen sämmtlich in Holz gefassten 
Marienbader Heilquellen erweisen. Der Holzgeschmack, den 
das Wasser anzunehmen pflegt, verliert sich binnen wenigen 
Wochen ebenso wie die zersetzenden Eigenschaften, die das 
gerbstoffhaltige Eichenholz möglicherweise auf das Eisencar- 
bonat ausüben könnte, um so mehr als ausser Lösung ge- 
tretene Quellensalze die Holzoberfläche in kurzer Zeit incru- 
stiren, und was die Entwicklung von Schwefelwasserstoff 
durch Zersetzung der schwefelsaueren Salze betrifft, so ist 
dieselbe mehr eine theoretische Befürchtung, die unter den 
vorliegenden Verhältnissen jeder praktischen Begründung ent- 
behrt, indem die Bedingungen zur Bildung eines Schwefel- 
metalls, als des nothwendigen Zwischengliedes, vollständig 
mangeln. 

Der neue Ständer hat die Form eines regelmässigen 
Achtecks; seine Wände werden durch zwei Zoll starke, innen 
15 Zoll breite eichene Bretter gebildet. Der Radius des 
eingeschriebenen Kreises beträgt 18 Zoll, der Flächeninhalt 
des Achtecks also 7), Quadrat-Fuss. Die Wände des 


0 


Ständers sind an den zusammenstossenden Randflächen mit 
entsprechenden Falzen versehen, in die eichene Federn ein- 
gepasst sind; ausserdem ist er mit drei eisernen Reifen um- 
spannt, wodurch ihm ein allseitiger fester Halt gesichert ist, 
Behufs des Abflusses, dessen Höhe auf 30 Zoll bestimmt 
wurde, erhielt der Ständer in derselben Richtung wie früher 
eine 11, Zoll weite Oeffnung. 

Zur Ermöglichung einer bequemen Reinigung ruht auf 
einem an dem untern Ende des Ständers angebrachten 2 Zoll 
starken Kranze ein der Form des Ständers entsprechendes 
Gitter aus Eichenholz, das leicht herauszuheben ist und jedes- 
mal bei der Reinigung mit Scherben von Thonkrügen bedeckt 
wird, an denen sich der Sinter absetzt. Ausserdem liegt zu 
unterst am Quellengrunde eine mit einer Aushöhlung ver- 
sehene Granitplatte, so dass durch eine Pumpe die Quelle 
gänzlich geleert und alsdann gereinigt werden kann. 

Nach Aufstellung des 5 Fuss 9 Zoll hohen Ständers 
wurde von ihm rings gegen den Schwellerrost zu (gegen den 
er excentrisch steht) eine Schalung aus dreizölligen Pfosten 
hergestellt, deren Stossfugen mit Leisten gedeckt und darauf 
zur Verlettung geschritten. 

Dieselbe wurde derart vorgenommen, dass die ange- 
feuchteten Lettenstücke in höchstens 3 Zoll hohen Lagen auf 
die zu schützenden Stellen gestemmt und mit gewichtigen 
hölzernen Stempeln festgestampft wurden, welches Verfahren 
bis zur Erreichung der gewünschten Höhe consequent fortge- 
setzt wurde. Das während dieser Arbeit sich ansammelnde 
Wasser wurde ununterbrochen durch eine in den Ständer 
eingelegte Pumpe entleert. So wurde der ganze Raum zwei 
Schuh hinter dem Schwellenroste und rings um den Ständer 
bis 9 Zoll über den Ablauf mit der compacten Lettenmasse 
ausgefüllt und der Zutritt jedes fremden Elements gründlich 
verhindert. Zur Beschwerung der Verstampfung diente eine 
12 bis 15 Zoll hohe Schotterschicht. Ausserdem wurden an 
jenen Stellen, wo ein Gasverlust zu befürchten war, Cement- 
vermauerungen eingefügt. Wie dasselbe durch die beschrie- 


2 


bene Manipulation der Quelle zugedrängt wurde, bezeugt der 
Umstand, dass es selbst durch die äusserst feinen Interstitien 
zwischen den Federn und Falzen aus einer Stossfuge des 
Ständers, natürlich in sehr geringer Menge ausströmte, was 
durch Benetzen der betreffenden Stelle constatirt werden konnte. 

Nach Vollendung der Verstampfung wurde die Pumpe 
beseitigt und man liess die Quelle ansteigen. Nach sechs 
Stunden hatte das Wasser den ganzen Raum unter der 
Schalung und den des Ständers bis zur Ausflussöffnung 
gefüllt. 

Eine nach 12 Stunden beim Abflussrohre vorgenommene 
Messung ergab, dass sich ein Gefäss von 1 Kubikfuss Raum- 
inhalt binnen 10 Minuten fülle. Spätere Messungen, worunter 
auch die commissionelle vom 1. November ergaben ein noch 
günstigeres und zugleich constantes Resultat, gemäss dessen 
sich 1 Kubikfuss in 9 Minuten füllt, die Quelle also in der 
Stunde 6%, Kubikfuss Wasser liefert. 

Später wurde die Fassung mit einem Kranze aus Mar- 
mor.geziert, der etwas über den Boden des neuen im Re- 
naissangestyle erbauten Porticus emporragt. 


Die nun folgenden Untersuchungen sind der Erforschun g 
jener Veränderungen gewidmet, welche das Mineralwasser 
durch die beschriebenen technischen Eingriffe erfahren hat; 
sie sollen vor allem ergeben, ob und wie dabei auch die 
therapeutische Verwerthung beeinflusst wurde; auf Grund 
dessen wurden auch rein wissenschaftliche Subtilitäten nicht 
mit in deren Bereich gezogen. 


Die physicalischen Eigenschaften 
des Wassers haben sich wenig geändert: im Glase erscheint 
es leise opalisirend, indem durch die gewaltsam und reichlich 
emporsprudelnden Gasblasen immer etwas Sinter mitgewirbelt 
wird. Es ist vollkommen geruchlos, schmeckt sehr angenehm 
säuerlich, stark prickelnd, wirkt durch den ausgezeichneten 
Reichthum an Kohlensäure erfrischend und labend. Selbst 
in offenen Gefässen stehend, hält es dieselbe noch lange, 


setzt dann reichlich Gasblasen an den Wänden ab und bildet 
endlich weissgelbe aus zersetzten Eisen- und Erdsalzen stam- 
mende Beschläge. Das in gut verschlossenen Flaschen auf- 
bewahrte Wasser zeichnet sich besonders durch die vorzüg- 
liche Conservirung des kohlensaueren Gases aus, was unten 
bei Zuhülfenahme der analytischen Belege eines weiteren erér- 
tert! ist. 

Die Temperatur ist zwar nicht so niedrig wie die 
älteren Angaben aussagen, nichtsdestoweniger bleibt die Wald- 
quelle die kalteste der Marienbader Quellen, indem als 
Mittel mehrerer wenig differirender Messungen 6.6° R. re- 
sultirt. 

Das specifische Gewicht wurde auf die gewöhn- 
liche Weise in einem leichten Glasfliischchen mit eingerie- 
benen Stöpsel bestimmt; dasselbe fasste bei 14° R. 100.324 grm, 
reines destillirtes Wasser und 100.762 grm. (Mittel aus meh- 
reren Versuchen) Mineralwasser, woraus sich das specifische 
Gewicht zu 1.0042 berechnet, die älteren Angaben lauten 
auf 1.0039. 

Was die Wassermenge oder die Ergiebigkeit der 
Quelle anbelangt, so wurde derselben bereits im Früheren 
Erwähnung gethan. Mit den dortigen Aufzeichnungen (6° 
Kubikfuss per Stunde) stimmen meine Messungen überein; 
eine 2375 CC. fassende Flasche wurde nämlich am Ablaufe, 
nachdem aus der Quelle durch lange Zeit nicht geschöpft 
war und dieselbe vollkommen gleichmässig abfloss, in 47 Se- 
kunden gefüllt; mehrere Versuche ergaben ein constantes 
Ergebniss; die Quelle liefert also in der Minute 3676 CC 
oder in der Stunde 220.56 litres, welche Grösse mit der im 
Kubikmass angegebenen ziemlich übereinstimmt. 

Chemische Eigenschaften. 

Die qualitative Analyse wurde durch die Reihe der 
früheren genauen Analyse überflüssig. Auch gestattete es 
die Zeit nicht, die quantitative Bestimmung der in sehr ge- 
ringer Menge vorhandenen Lithion und Strontiansalze auszu- 
führen, ien Mangel, den der praktische Arzt hoffentlich nicht 


fühlen wird und der auch die Erreichung des oben ange- 
. deuteten vorzüglichen Zweckes der Arbeit nicht wohl beein- 
trächtigt. 

Die quantitative Analyse wurde zum grössten Theile 
im zoochemischen Institute zu Prag unter der Aufsicht meines 
sehr verehrten Lehrers des Herrn Prof. Lerch, theilweise, 
besonders die an der Quelle vorzunehmenden Arbeiten in 
meinem Privatlaboratorium zu Marienbad ausgeführt und bei 
denselben die bewährten Methoden von Fresenius und 
Rose befolgt. 


I. Bestimmung der Gesammtmenge der festen Bestandtheile 


201.524 grm. Mineralwasser gaben in einem 
Platinschälchen zur Trockene verdunstet und bei 
120° C getrocknet einen Rückstand von . . 0.7025 grm. 
Daraus berechnet sich der Cesammtgehalt an 
festen Bestandtheilen für 10000 Th. Wasser zu 34.8107 grm. 
Der geglühte Rückstand hatte sich kaum gebräunt, 
woraus sich auf minimale Spuren von organischer Substanz 
schliessen liess. 
Ii. Bestimmung des Chlor». 


Das mit reiner Salpetersäure übersäuerte Wasser wurde 
unter gelindem Erwärmen mit salpetersauerem Silberoxyd 
versetzt und das gefällte Chlorsilber gewogen. 

a) 652.73 grm. Wasser lieferten an Chlorsilber 0.6275 grm, 
entsprechend Chlor in 10000 Theilen . 2.3768 grm. 
b) 652.73 grm. Wasser gaben an Chlorsilber 0.628 grm. 
entsprechend Chlor in 10000 Theilen . 2.3817 grm. 
Im Mittel 2.3762 grm. Chlor in 10000 Theilen. 


II. Bestimmung der Schwefelsäure. 
Das mit Salzsäure angesäuerte Wasser wurde erwärmt 
und mit Chlorbaryum gefällt. 
a) 652.73 grm. Wasser gaben an schwefel- 
saueremg Bauyt.,... 2 ua Dan. on. seßnsomne 
entsprechend Schwefelsäure . . . . 0.476 grm. 
d. i, Schwefelsäure in 10000 Theilen . 7.2932 grm, 


Kal N 


b) 652.73 grm. Wasser lieferten an schwe- 
felsauerem Baryt .... vn... re. Lo One 
entsprechend Schwefelsäure u. onl O.dlopenn 
d. i. Schwefelsäure in 10000 Theilen . 7.3116 grm. 
Mittel: 7.3024 grm. Schwefelsäure in 10000 Theilen. 


IV. Bestimmung der Kieselsäure. 


Eine grössere Portion des Mineralwassers wurde unter 
Zusatz von Salzsäure in einer Platinschale abgedampft, der 
getrocknete Rückstand mit Salzsäure befeuchtet und mit 
Wasser behandelt. 

a) 2610.92 grm. Wasser lieferten an Kieselsäure 0.981 grm. 
daher ın 10000 Theilen rn vun. m 2a53>r um: 
b) 1958.2 grm. Wasser lieferten an Kieselsäure 0.7675 grm. 
daher in 10000) Thellen man... 2 2.772203: 9102Neum: 
Mittel: 3.8318 grm. Kieselsäure in 10000 Theilen. 


V. Bestimmung des Eisens. 


Das durch die Abscheidung der Kieselsäure erhaltene 
salzsaure Filtrat wurde mit einigen Tropfen Salpetersäure 
versetzt, erwärmt und mit Aetzammoniak gefällt, der Nieder- 
schlag sogleich abfiltrirt, wenig gewaschen, durch Salzsäure 
gelöst und durch Ammon neuerdings gefällt, durch dasselbe 
Filter filtrirt und nun vollständig ausgewaschen, endlich in 
Salzsäure gelöst, die Lösung mit Weinsteinsäure und darauf 
mit Ammon versetzt und durch Schwefelammonium gefällt, 
das abfiltrirte Schwefeleisen mit Salzsäure gelöst und durch 
Ammon in Eisenoxyd umgewandelt und als solches gewogen. 
a) 3916.4 grm. Wasser gaben an Eisenoxyd 0.0415 grm. 

entsprechend 0.10305 grm. Eisenoxydul in 10000 Theilen. 
b) 3916.4 grm. Wasser gaben Eisenoxyd . 0.046 grm. 

entsprechend 0.10575 grm. Eisenoxydul in 

10000 Theilen. 

Mittel: 0.10445 grm. Eisenoxydul, welches in Verbin- 
dung mit Kohlensäure 0.1682 grm. kohlensaures Eisenoxydul 
in 10000 Theilen entspricht. Darin 0.0638 grm. Kohlen- 


säure, 


RS pis Ns ea cles 
(Das nach der Fällung mit Weinsteinsäure erhaltene 
Filtrat zeigte auf Phosphorsäure geprüft davon Spuren der- 
selben.) 
VI. Bestimmung des Mangans. 


Filtrat und Waschwasser der ersten beiden Fällungen 
von V. wurden in einem geeigneten Kolben mit Schwefel- 
ammonium versetzt, 48 Stunden der Ruhe überlassen, der 
sehr geringe Niederschlag filtrirt getrocknet, sammt Filter 
geglüht und als Manganoxydoxydul berechnet 

a) 2610.92 grm. Wasser eee Mangan- 
osydoxydul ye ge 500.2. 2.0.0028,Erm, 
entsprechend 0.0068 grm. Mansan in 10000 Theilen. 

b) 391.64 grm. Wasser gaben Manganoxyd- 

ea De ne 0.0045, nm: 

entsprechend 0.007 9 Ban in 10000 Thelen, 

Mittel: 0.0074 Mangan — 0.0096 Manganoxydul 
— 0.0155 kohlensaures Manganoxydul in 10000 Theilen. 
Darin 0.0059 Kohlensäure. 


VII. Bestimmung des Kalks. 


Die vom Schwefelmangan abfiltrirte Flüssigkeit wurde 
unter vorherigem Zusatz von Ammon und Chlorammonium 
durch oxalsaures Ammon gefällt, der oxalsaure Kalk in 
kohlensauren umgewandelt und als solcher gewogen. 

a) 3916,4 grm. Wasser lieferten kohlensauren 
Kalk,» WA nn. mE. 9.0.9639 gLım. 
d. i. 2.4589 grm. in 10000 Theilen. 

b) :3916.4 grm. Wasser lieferten kohlensauren 

Kalle at we. 20949 orım 

oder 2.4997 grm. in 10000 Theilen. 

Mittel: 2.4763 grm. kohlensaurer Kalk in 10000 Th, 
Darin 1.0895 grm. Kohlensäure. 

VII. Bestimmung der Magnesia. 


Das Filtrat vom oxalsaueren Kalk wurde durch phosphor- 
saures Natron gefallt, der Niederschlag als pyro-phosphor- 
saure Magnesia gewogen. 

Naturw.-med, Verein, 1871. I, Hft, 3 


NER (aaa 


a) 1958.2 gim. Wasser lieferten an pyro- 
phosphorsaurer Magnesia . . . 0.760 grm. 
d. i. 1.4496 Magnesia in 10000 Theilen. 
b) 3916.4 grm. Wasser lieferten an pyro- 
phosphorsaurer Magnesia . . . . . 1.5855 grm. 
d. i 1.4588 grm. Magnesia in 10000 Theilen. 
Mittel: 1.4542 grm. Magnesia — 3.0538 kohlensaure 
Magnesia in 10000 Theilen. Darin 1.5996 grm. Kohlensäure. 


IX. Bestimmung der Gesammtmenge der Alkalien als 
Chloralkalien. 


Eingeengtes Mineralwasser wurde mit Aetzbaryt gekocht, 
im Filtrate der Mischung der überschüssige Baryt durch 
kohlensaueres Ammon entfernt, das Filtrat davon in der 
Platinschale abgedampft, die Kieselsäure durch Salzsäure 
entfernt und zugleich die Carbonate in Chloride umgewandelt, 
das Chlormagnesium durch geschlemmtes Quecksilberoxyd 
zersetzt, in der zur Trockene abgedampften Flüssigkeit die 
Quecksilberverbindungen durch Glühen, die Magnesia durch 
Filtration der wässerigen Lösung entfernt und endlich die 
zurückgebliebenen reinen Chloralkalien durch Abdampfen und 
Glühen erhalten. 
a) 652.73 grm. Wasser lieferten an Chloral- 
Kaliem) cay. <6 este 2A kerma: 
== 23.3481 grm. in 10000 ‘Theilen, 
b) 652.73 grm. lieferten an Chloralkalien . 1.5235 grm. 
— 23.3404 grm. in 10000 Theilen. 
Mittel: 23.3442 grm. Chloralkalien in 10000 Theilen. 


X. Bestimmung des Kali’s. 

1.5235 grm. Chloralkalien, entsprechend 652.73 grm. 
Wasser wurden in 100 CC. destillirtem Wasser gelöst, da- 
von genau 25 CC. herausgenommen, mit Platinchlorid versetzt, 
beinahe zur Trockene abgedampft, mit absolutem Alkohol 
behandelt, das abgeschiedene Platinchlorid auf einem kleinen 
Filter mit Tarafilter gesammelt und als solches gewogen; 
eshbetrug un. ae oe OL DAG DEP 


BEN SG) an 


den gesammten Chloralkalien also das vierfache 
Gewicht u . . . Hk Geer ete AOKI Kokoy (TB 00, 
Kaliumplatinchlorid , rralehes an Kali enthalt 0.0358 grm. 
oder in 10000 Theilen 0.5492 grm. Kali — 0.8693 grm. 
Chlorkalium. 


XI. Bestimmung des schwefelsauren Kali’s. 


Kal ist vorhanden, nach X. .u..0....00.2.2..2.05492 
diess fordert Schwefelsäure . . . . 0.4663 
und giebt schwefelsaures Kali in 10000 coeeten 0, 1.0155 


XII. Bestimmung des Chlornatriums. 


An Chloralkalien sind vorhanden nach IX, . . . 23.3442 
Darin Chlorkalium nach X. . . . 9... .... 0.8693 
bleibt Chlornatrium Baar Oy Faby erie Sia eal Gah DATA 


entsprechend Natrium . . . har les 18.8408 
An Chlor ist vorhanden nach IL Se a 2 ayer 
welches bindet Natrium . . BEER ALS OR OR LI 
zu Chlornatrium in 10000 Theilen Kr SAGE 

Es bleibt demnach noch an Chloralkalien und zwar als 
Chlornataumı 2 ...0.0020.20.:02, 180069 orm: 


entsprechend (Natron . .» 2... ........ 9.8990 cum. 


XII. Bestimmung des schwefelsauren Natrons. 


Schwefelsäure ist vorhanden nach IL... . . 7.3024 grm. 
davon an Kali gebunden nach XI... . . . 0.4672 grm. 
bleibtadahen, 7) 1. nk meet 08342 Neem. 
welche bindet Natron . . 5.2965 grm. 


zu 12.1307 grm. schwerklsähten: Nation‘ in 10000 Theilen. 


XIV. Bestimmung des kohlensaueren Natrons. 


An Natron war geblieben . 2 2 2 . >.» » . 9.8390 
davon ist an Schwefelsäure gebunden . . . . 5.2965 
bleibt Natron . . . u Bauakh, OAL. un 204.5425 
welches bindet Kohlensäure esas en 22am 


zu 7.7662 grm. kohlensauren Natron; in 10000 Theilen. 
3% 


ae 


XV. Bestimmung der Gesammtmenge der Kohlensäure. 

Die Flaschen, welche zur Aufnahme des Mineralwassers 
bestimmt waren, hatten einen doppelt durchbohrten Kork, in 
den ein längeres und kürzeres Glasröhrchen so eingefügt war, 
dass von den in der Flasche befindlichen Mündungen die des 
längeren Röhrchens höher stand als die des kürzeren. Das 
Volumen, das die Flaschen bei Anwendung des so ausge- 
rüsteten Korkes fassten, wurde vorher bestimmt. — An der 
Quelle kamen in die leeren Flaschen je 100 CC. einer filtrirten 
Mischung von Chlorbaryum und Ammon, worauf sie durch 
Gewichte derart in die Quelle gesenkt wurden, dass durch 
die kürzere Röhre das Mineralwasser eindrang, während die 
Luft durch das lange Röhrchen entweichen konnte. Die 
sorgfältig verkorkten Flaschen wurden alsdann durch 4 bis 
6 Stunden in ein Gefäss mit heissem Wasser gestellt und 
überhaupt bei der weiteren Bestimmung die nothwendigen 
Cautelen befolgt. 

a) 295 CC. Mineralwasser lieferten an gelinde geglühtem 
Gesammtniederschlag '. ... 4. 07,0 orm 

by) 200 00s lieferten X 2... 20. 2200 20cagenn 
Gesammtniederschlag. 

Die Bestimmung der Kohlensäure geschah durch genau 
titrirte Flüssigkeiten von Normalsalpetersäure und Normal- 
natronlauge, welche beide vorher auf ihre Richtigkeit durch 
geglühtes kohlensaueres Natron geprüft waren. 

a) Vom Niederschlage a) enthielten . . 1.628 grm. 
an Kohlensäure . . ea KSOTL Sn. 
daher im Ent erschlage a). 0.0, ORO Zgenme 
oder in 10000 Theilen Wasser . . . 34.5502 grm 


b) Vom Niederschlage b) gaben . . . . 1.408 grm. 
an Kohlensäure . . . uskala oy O82 Got 
daher im Gesdmitedenchlage b) . . 0.8805 grm. 
oder in 10000 Theilen Wasser . . . 35.2202 grm. 
Mittel: 34.8852 grm. Gesammtkohlensäure in 10000 


Theilen, 


eg | 


XVI. Bestimmung der freien und halbgebundenen Kohlensäure 
(die kohlensaueren Salze als einfache Carbonate betrachtet.) 


Im Mineralwasser ist die Kohlensäure an folgende Basen 
gebunden: 


an Natron zu... Een. 225 en. 
aneMaenesia zu... . kon are SEO OOO 
annkalk. zu, „u. ua. cl, 
an Bisenoxydul, .... i ee 20006038 > 
an Mansanoxydul  . ... es OCOD Sia. 
In Summa zu . 5.9825 grm. 


Die Gesammtmenge der Kohlensäure be- 
rast mach OVE i 000 see Sa ae 


bleibt daher für die freie und halbge- 
bundener an. iene ee cy vr ae 028 
in 10000 Theilen. 


XVII. Bestimmung der wirklich freien Kohlensäure. (Die 
kohlensaueren Salze als Bicarbonate berechnet.) 


Die doppelte Menge der an die einfachen Carbonate gebun- 
denen Kohlensäure beträgt . . . . 11.9650 grm. 


bleibt daher an freier Kohlensäure . . . . 22.9202 grm- 
in 10000 Theilen. 


Auf Volumina berechnet entsprechen 22.9202 grm. freier 
Kohlensäure bei0°C. und 760 mm. Barometerstand 11654 CC., 
und da 10000 Theile 9996 CC. Wasser reprasentiren, so 
ergibt sich der Voluminhalt des Wassers an wirklich freier 
Kohlensäure bei 760 mm. B. zu 11659 CC. Kohlensäure, 
oder 45.04 Kub.-Zoll im Civilpfund. 


OUD Gay eae 


Zusammenstellung der Resultate. 


Die kohlensaueren Salze als einfache Carbonate berechnet. 


Die Waldquelle enthält in 10000 Theilen: 
a) fixe Bestandtheile. 
Schwefelsaures Kali 
Schwefelsaures Natron 
Chlornatrium \ 
Kohlensaures Natron . 
Kohlensauren Kalk 
Kohlensaure Magnesia 
Kohlensaures Eisenoxydul 
Kohlensaures Manganoxydul 
Kieselsäure . 
Organische Materie 


1.0155 
12.1307 
3.9174 
1.1662 
2.4763 
3.0538 
0.1682 
0.0155 
3.8318 
Spuren 


Summe der festen Bestandtheile . 


b) gasförmige Bestandtheile. 


Freie und halbgebundene Kohlensäure 
wirklich freie Kohlensäure 


Summe aller Bestandtheile 


34.3754 


28.9027 
22.9202 


63.2781 


Die Waldquelle enthält in einem Civilpfund = 7680Gran. 


a) an festen Bestandtheilen. 
Schwefelsaures Kali 
Schwefelsaures Natron 
Chlornatrium = 
Kohlensaures Natron . 
Kohlensauren Kalk 
Kohlensaure Magnesia 
Kohlensaures Eisenoxydul 
Kohlensaures Manganoxydul 
Kieselsäure . 

Organische Materie 


Summe der festen Bestandtheile 


Grane 
0.8870 
10.0075 
3.0085 
5.9644 
1.9018 
2.3453 
0.1292 
0.0081 
2.9423 
Spuren 


27.1941 


MS Oe 

b) Gasformige Bestandtheile. Grane 
Freie und halbgebundene Kohlensäure . . 22.1973 
wirklich freie Kohlensäure . . . . . . 17.6027 


Summe sämmtlicher Bestandtheile . 49.3914 


Betrachten wir nun die Resultate dieser neuen Analyse 
vorerst in Relation auf die neue Fassung, so finden wir 
folgende Ergebnisse. 

1. Die Summe der festen Bestandtheile ist in ihrem 
vollkommenen Umfange erhalten, sie erreicht, ja übertrifft 
um weniges auch die hohe Zahl, wie sie in der letzten 
Analyse von Ragsky (zu 27.185 Gran) angegeben ist. 

2. Ausserdem entspricht die neuerdings durch die che- 
mische Zerlegung gefundene Zahl dem Mittel aus den drei 
Abdampfungsresultaten, welche Herr Brem seinerzeit während 
der Fassung für die drei in dieselben einbezogenen Quellen 
erhielt. 


Er fand 
a) für die mittlere Quelle, als Mittel aus 

3 übereinstimmenden Versuchen . . 32.004 Gran 
b)iusidiesöstlichermiiu oii alone. (eon Boies 
c) fiir die westliche ens IRINA 

imeMittelmalsows. ollaor.un.. Tanne sm 2 UkA One 


eine Uebereinstimmung, die gewiss der beste Lobredner fiir 
die gelungene Ausführung und Vollendung der Fassung ist. 

3. Bezüglich der Kohlensäure wurde in der That der 
frühere günstige Status, wie er in der Analyse von Kersten 
zu finden, wieder hergestellt; der genannte Forscher be- 
stimmte die freie und halbgebundene Kohlensäure zu 23.387 
Gran — die neueste Untersuchung weist 22.197 Gran nach. 

Wir wollen hoffen, dass diese Reichhaltigkeit der Quelle — 
sie kann sich in dieser Hinsicht mit den kohlensäurereichsten 
Wassern Deutschlands messen — nicht insoferne zum Nach- 
theile gereiche, als sie sich nun wieder etwas vom Obersalz- 
brunn entfernt: vermindern lässt sich der Gehalt jederzeit, 
vermehren nicht so leicht. 


OD sae 


In Beziehung auf die anderen Analysen weicht die 
letztere nicht wesentlich ab; nur erscheint das schwefelsaure 
Natron um geringes vermehrt, die Salze der alkalischen Erden 
und des Eisens um etwas vermindert: wollte man subtil sein, 
so kénute man behaupten, dass der Brunnen dadurch noch 
mehr ein alkalisch - salinischer geworden sei. Auffallend ist 
nur die grosse Quantität der Kieselsäure, die sich jedoch 
in jedem Versuche deutlich manifestirte. (Cementvermauerung?) 


Es scheint mir hier der geeignete Ort, einige Bemerkungen 
über die Beschaffenheit des versendeten Wassers einzuschalten. 

Ich erhielt das Mineralwasser zur Untersuchung in dunkel- 
grünen wohlverkorkten Flaschen, die zum bessern Verschluss 
noch verpicht und mit einer Zinnkapsel überzogen waren, 
was ihnen zugleich ein schmuckes Aussehen verlieh. 

Man kann das Wasser bei ruhiger Behandlung der 
Flaschen bis auf einen kleinen Rest, der durch zersetzte 
Eisen- und Erdsalze etwas getrübt ist (was nebenbei bemerkt, 
der medizinischen Wirkung aus leicht begreiflichen Gründen 
keinen Eintrag thun kann) vollkommen klar in das Glas 
giessen. Dabei entstehen unter Schäumen massenhaft Gas- 
bläschen, die sich allerorts an das Glas ansetzen. 

Es war mir ferner aufgefallen, dass beim Schütteln der 
gefüllten Flasche, wie es behufs gleichmässiger Mischung für 
die Analyse geschehen musste, das Wasser, wenn man den 
schliessenden Daumen nur wenig lüftete, mit ausserordent- 
licher Heftigkeit oft klafterweit spritzte. Diess bewog mich, 
das Wasser in den Flaschen, wie sie zur Versendung be- 
stimmt sind, auf ihren Gasgehalt zu untersuchen, und ich 
kam dabei auf folgende Ergebnisse. 

Zwei Flaschen, im Juni gefüllt, wurden ohne besondere 
Vorsichtsmassregeln Ende August entkorkt, aus jeder 100 CC. 
Wasser mit einer Pipette herausgehoben und dieselben in 
eine Chlorbaryum-Ammon-Mischung gebracht. 

a) 100 CC. lieferten 1.733 grm. Gesammtniederschlag. 

b) 100 CC. lieferten 1.728 grm. Gesammtniederschlag. 


Von a) erforderten 1.351 grm. 12.05 CC. Normal- 
salpetersäure, entsprechend 0.2651 grm. Kohlensäure, daher 
für den Gesammtniederschlag oder für 100 CC. Wasser 
0.34005 grm. Kohlensäure resultiren. 

Von b) erforderten 1.140 grm. Niederschlag 10.4 CC. 
Normalsalpetersäure, entsprechend 0.2288 Kohlensäure, daher 
für 100 CC. Wasser 0.3485 grm. Kohlensäure; Mittel: 
34.428 erm. Gesammtkohlensäure für 10000 Theile. 

Hält man dieses Resultat mit jenem zusammen, das 
sich im Verlaufe der Analyse ergeben, und sich auf Wasser 
bezieht, welches mit den nöthigen Cautelen direkt der Quelle 
entnommen ist (34.8852 grm.), so ist es wohl nicht noth- 
wendig, weiter zu erweisen, dass jener Stoff, welcher gewiss 
an der Heilwirkung der Quelle einen besonderen Antheil hat, 
auch im versendeten Wasser auf die beste Weise erhalten 
ist, ein Vorzug, welcher gewiss geeignet erscheint, der Wald- 
quelle auch ausserhalb des Kurorts eine noch grössere Auf- 
merksamkeit zu Theil werden zu lassen, als es bisher der 
Fall war. 

Der vorliegenden Arbeit noch einige praktisch - medi- 
zinische Notizen beizufügen, halte ich mich nicht für befugt, 
da bei Erörterungen auf diesem Gebiete die ärztliche Erfah- 
rung, die mir nicht zu Gebote steht, das grösste Wort mit- 
zusprechen hat. Dagegen lassen sich aus der chemischen 
Zusammensetzung der Waldquelle a priori einige therapeu- 
tische Reflexionen ableiten, die auch den rothen Faden bilden, 
welcher sich durch die Reihe der Indicationen für dieses 
Mineralwasser, wie sie bisher bestanden, durchzieht und für 
dieselben im Grossen und Ganzen eine wissenschaftliche Grund- 
lage bilden. 

Ich meine hier vor allem den Reichthum an Kohlen- 
säure, der diesem Mineralwasser in ausgezeichnetem Masse 
zukommt und es daher in demselben Sinne anwenden lässt, 
wie alle ähnlichen natürlichen oder künstlichen Wasser, 
vorzugsweise bei chronischen catarrhalischen Affectionen der 
Verdauungs- und Respirationsorgane. 


Ba) 


Das Wie und Wodurch des heilkräftigen Wirkens scheint 
noch nicht klar zu sein; aus der Fülle der differirenden An- 
sichten, wie man sie z. B. in dem Lersch’schen Sammel- 
werke der Balneologie mit besonderem Fleisse zusammenge- 
tragen findet, lässt sich fürwahr schwer ein berechtigter 
Schluss ziehen. 

Was die erste Wirkung der Kohlensäure auf die Körper- 
oberfläche anbelangt, so kann sich jeder bei den Versuchen 
mit kohlensäurereichen Bädern die Ueberzeugung holen, dass 
ihr die Bedeutung eines eigenthümlichen flüchtigen Reizes 
zuzuschreiben sei, der sich subjectiv durch eine Reihe ganz 
besonderer oft intensiver Empfindungen, objectiv durch die 
Röthung der Haut und was von Basch und mir‘) zuerst 
experimentell gezeigt wurde, durch eine Erhöhung der Sensi- 
bilität deutlich manifestirt. 

Das zweite Moment ist in dem Verhältnisse der Natron- 
salze zu den übrigen Quellenbestandtheilen gelegen, da sie 
wegen ihres mässigen Ueberwiegens dem Wasser, eine, um einen 
beliebten Ausdruck zu gebrauchen, „sanft lösende* Wirkung 
verleihen, und das eben bei Individuen von so zarter Con- 
stitution, dass die Anwendung kräftiger Glaubersalzquellen 
durch ihr zu energisches Eingreifen Nachtheile bringen möch- 
ten. In diesem Sinne wurde die Waldquelle zum erstenmale 
von Scheu und nach ihm von vielen andern mit sehr gün- 
stigem Erfolge angewandt. 

Auch hier ist es interessant, in den balneologischen 
Schriften die Beschreibung feinsinniger Forscher zu studiren, 
wie sie die geheime Thätigkeit der einzelnen Quellenbestand- 
theile im Organismus Schritt für Schritt belauschten, das 
eine Salz ins Lympph- und Drüsensystem verfolgten, das 
andre Salz in nächster Beziehung zur Schleim- und Gallen- 
absonderung stehen sahen, bald qualitativ, bald quantitativ 
verändernd, hier leise mildernd und dort sanft erregend. 

Solche alles erklärende und aufhellende Nachrichten 
lassen sich wohl bewundern, in den wenigsten Fällen aber 


1) Med. Jahrb. IV. H. Jahrg. 1870. 


me Ope mee 


glauben, weil ihnen ein experimenteller Beweis mangelt; — 
wenn einmal eine Experimentalbalneologie noch mehr reife 
Friichte gesammelt hat und die wurmstichigen bei Seite 
legen kann, werden auch viele jetzt scheinbar erklärte 
und doch nicht erklarte Fragen zu einer Beantwortung geeig- 
net werden. 

Wer es iibrigens weiss, wie manchmal Beobachtungen 
und Studien auf dem Gebiete der Balneologie angestellt wer- 
den und wie oft Mittheilungen zu Stande kommen, die bei 
oberflächlicher Betrachtung den Charakter wissenschaftlicher 
Forschung an sich tragen, der wird sich die massenhafte 
Ansammlung der widersprechendsten Erfahrungen erklären 
können, wie man sie in balneologischen Sammelwerken ver- 
zeichnet findet. 


Analyse der Therme am Brenner (Brennerbad) 


von L. Barth, K. Senhofer und R. Kölle, 


Temperatur des Wassers 22.9° Cels. oder 18.39 Reaum. 

Temperatur der Luft 11.5° Cels. oder 9.2 Reaum. 

Beide Beobachtungen gemacht am 17. September 10™ 
Vormittags. Reaction des Wassers etwas alkalisch. 

Aus dem Boden des Quellenbassins steigen von Zeit 
zu Zeit Gasblasen auf, diese bestehen in 100 Volumtheilen 
aus Sauerstoff 19.2 und Stickstoff 80.8. 

Im Litre sind gelöst 46.1 Cub. Cent. Gas und zwar 
bei einem Barometerstande von 655.6™™- und der Quellen- 
temperatur, davon sind: 


Stiekstoliii. a. a 8A, OKOr 
SAUEHSGORE AUS EN. A ar 
Kohlensäure)... Wn 20.00% 

Das specifische Gewicht des Wassers wurde gefunden zu 
1.00048. 


in 10.000 Theilen Wasser sind enthalten: 
4.4190 Theile festen Rückstandes, 
davon sind 0.1180 Theile organische Substanz. 
Durch die Analyse wurde ferner direkt in der oben 
angeführten Wassermenge gefunden: 


Chlore.: len. 04106376 
Schwefelsäure . . . 1.090395 
Phosphorsäure . . . 0.001599 
Kieselsäuvre . . . . 0.093330 
Kohlensäure . . . . 1.880000 


Kalle. 00 na 0.090033 


Natron Meee nar Ot LGN 36 
Macmesiaien . . ..1.02,02374838 
Kia a. 20. 000014090320 
Eisenoxydul . . . 3 0021600 
Ihonerden..) 4... 0.005000 


Ferner Spuren von: Sälpeteraen? Ammoniak, Lithium, 

In dem durch Kochen erhaltenen Niederschlage waren 
enthalten : 

Kalk 227.2 10983000) Theile 
Magnesia) . . 0.016216 „ 
und sämmtliches Eisenoxydul. 

Werden diese mitgetheilten direkt gewonnenen Resultate 
nach den gewöhnlich massgebenden Prineipien zusammenge- 
stellt, (Fresenius Anleitung zur quant. Analyse) so erhält 
man folgende Zusammensetzung des feuerbeständigen Rück- 
standes: 


{ee schwetelsaur. Walt ©. 0. 2 .2...2..0.1024:89 
22 schwefelsaur. Natron . . ... 0.143662 
Se Chlornatnum sa. Wa) 2002.2.00101922 
4. Chlormagnesium „9... 727) 9: O059b 4 
5. schwefelsaur. Kalk . . . . . 1.585085 
6kohlensaur: Kalk nn. 279 2.2.5120506496 
7. kohlensaur. Magnesia . . . . 0.446781 
8. kohlensaur. Eisenoxydul . . . 0.034800 
9. phosphors. Thonerde . . . . 0.002754 
102 kiesels.uthonerde 1 ..,..202:,.2..0000221 
la treie Kıeselsäure 955 Voi 2089954 


Spuren von Salpetersäure, Ammoniak, 
Lithium 2). 
Summe der fixen Bestandtheile . 4.396041 
direkt gefunden . . . . 4.3010 
freie u. halbgebundene Kohleneägie 0.838314 


1) Die Hauptmenge der kohlensauren Magnesia bleibt gelöst. 
2) Rubidium und Cäsium waren im Rückstande von 5 Litern nicht 
nachzuweisen, 


UN N 


Oder ein Pfund Wasser — 7680 gran enthält: 


Schwefelsaures Kali . . . . . . 0.128862 gran 
Schwefelsaures Natron... . . . 011033277 
Chlomatrıum . 2... 20. 1. 0078270 
Chlormasnesium  . . 22. ......0.045058 = 
Schwefelsaur, Kalk * ©... alas 
Kohlensaur; Kalk . . yas.) 1.348989 75 
Kohlensaur. Magnesia . . . . . 0.343128 „ 
Kohlensaur. Eisenoxydul . . . . 0.026726 „ 
Phosphorsaure Thonerde . . . . 0.002115 „ 
Kieselsaure Thonerde . . . . . 0.005546 „ 
Freie Kieselsäure . . . . 2 ..0.069085 „ 


Summe . 3.376159 gran 


DOO a0 


Analyse der Ranigler Quelle (bei Bozen) 


von Denselben. 


Temperatur des Wassers 9.7° Cels. oder 7.67° Reaum. 

Temperatur der Luft 13.30 Cels. oder 10.649 Reaum, 

Beide Beobachtungen gemacht am 16. September 1870 
81/,™ früh. Reaction etwas alkalisch. 

Im Litre sind gelöst 23.54 C.C. Gas und zwar bei einem 
Barometerstande von 709.9==- und der Quellentemperatur, 
davon sind: 


Stickstoll sn) fo 0. DMO nes 
Sauerstoff vs 0. a ible Veale 
Kohlensäure 9 2... 2.078 


Py] 
Das specifische Gewicht des Wassers wurde gefunden 


bei 16.2° Reaum. zu: 
1.0001. 
In 10.000 Theilen Wasser sind enthalten: 
0.9560 Theile festen Riickstandes, 
davon sind 0.1650 Theile organische Substanz. 
Durch die Analyse wurde ferner direkt in der oben 
angeführten Wassermenge gefunden: 


Chlor oir. Niu. 0.0095, Rheile 


Schwefelsäure . . 0.0206 , 
Kieselsäure . . . 0.0897 „ 
Kohlensäure . . 0.6315 „ 
Kal. 2. 0.0233492 
Natron 2.12... 0.0360437 
Kalk a... 2 0.206422 
Magnesia. . . . 0.0363964 
Eisenoxydul . . . 0.0018000 
Thonerde .,,. .. . 010018125 


Ferner Spuren von Phosphorsäure, Salpetersäure, Am- 
moniak, Rubidium, Lithium. 


ag ae 


In dem durch Kochen enthaltenen Niederschlage waren 
enthalten: 

Kalkını 2. eae (001652007) 
Magnesia ~~.) . 2). 00207387 
und sämmtliches Eisenoxydul. 

Werden diese mitgetheilten Resultate der direkten Ana- 
lyse wie im früheren Falle zusammengestellt, so erhält man 
folgende Zusammensetzung des Wassers: 

Chiorkaliumi)! gays ae 292001992 

kohlensaur. Kaliiy 7/5. Shes 100 ae 110.01989 

kohlensaur. Natron) ().) ..%. 2.2102 2215 006162, 

schwefels¥ Kalk) a... £07.40003902 

Kohlens Kalk." a1... u. 0052203 

kohlens} (Magnesia . . . . . 4.) 210107643 

kohlens. Eisenoxydul . . . . . . 0.00290 

kiesels. Thonerde . . . . Bi ee 10.000340 
freie, Kieselsäure,\. sh) J). .......0.08812 


Summe . 0.82589 
direkt gefunden . 0.7910 
freie und halbgebundene Kohlensäure 0.3168 
Oder ein Pfund Wasser — 7680 gran enthält: 
Chlorkalume ey zer 20 0:01550yeran 
kohlens Kalt Sm a a SLOT 
kohlens» Natron nen. 004732078 
schweielsuRalkea. in 3007. 0:02089 
kohlens. (Kalk Veeco 2 020 °0.10138 
kohlens. Magnesia . . . . .  0.05870 
kohlens. Eisenoxydul : . . . 0.00223 
kieselsaure Thonerde . . . . 0.00261 
freie Kieselsiure . . . . . 0.06768 


Summe . 0.63428 gran 


SERSEESERSEE SEES 


1) Für diese Bestimmungen gilt das an derselben Stelle der fol- 
genden Analyse gesagte. 


Analyse der Pirchabrucker Quellen (Eggenthal 
bei Bozen) 


von Denselben. 


Temperatur des Wassers 8°.1 Cels. oder 6%.48 Reaum. 

Temperatur der Luft 14°3 Cels. oder 11°44 Reaum. 

Beide Beobachtungen gemacht am 15. September 1870 
10 Uhr Morgers. Reaction etwas alkalisch. 

Im Litre sind gelöst und zwar bei einem Barometer- 


stande von 656.14” und der Quellentemperatur 27 Cub. Cent. 
Gas, davon: 


Stickstoff . — U5) (CHO) 
Sauerstoff =U sees 
Kohlensäure . a a A 


Das specifische Gewicht des Wassers wurde gefunden 
bei 16.5° Cels. oder 13.29 Reaum. zu 


1.00021 
In 10.000 Theilen Wasser sind enthalten 
1.9770 Theile festen Rückstandes 
und von diesen sind 0.1680 Theile organische Substanz. 


Durch die Analyse wurde feraer direkt in oben ange- 
führter Wassermenge gefunden: 


Naturw.-med. Verein, 1871. I. Hit. 4. 


Chior: 3.5 a 0:1 202° Theile 
Schwefelsäure . . 0.25436 
Kieselsäure . . . 0.06400 


” 


>y) 
Kohlensäure . . 1.16300 , 
Kali eRe 2.0989 .0:05 125i are 
Natron). oe ene eran ONO!S) 20) ya 
Kalk u ate Sale O6 30 00M 
Maonesia .. .....010604, 
Eisenoxydul . . 0.00438 „ 


Mhonerde; == 43%.) 0:00340) 


Ferner Spuren von Phosphorsäure, Salpetersäure, Am- 
moniak, Rubidium '), Lithium, Mangan. 
In dem durch Kochen erhaltenen Niederschlage waren 
enthalten : 
Kalkın 202 20. 080232 meneite 
Macnesiay ... 002800, 
und sämmtliches Eisenoxydul ?). 


Werden die im Vorstehenden mitgetheilten Resultate 
der direkten Analyse so zusammengestellt, dass die Säuren 
und Basen nach den gewöhnlichen Principien also nach Mass- 
gabe ihrer Affinität und der Unlöslichkeit oder Schwerlös- 
lichkeit der entstehenden Verbindungen, zu Salzen vereinigt 
werden, so erhält man nachfolgende Zusammensetzung des 
Wassers: 


10.000 Theile enthalten : 


1) Caesium konnte weder in diesem, noch im Ranigler-Wasser 
nachgewiesen werden. 


2) In der folgenden Zusammenstellung sind mehr kohlensaurer Kalk 
und koblensaure Magnesia angerührt, als den hier angegebenen Zahlen 
entspricht. Es ist bei-dem Mangel an anderen Säuren nur die Annahme 
zulässig, dass auch nach dem Kochen noch etwas kohlensaurer Kalk 
und die grösste Menge kohlensaurer Magnesia in Lösung bleibt, eine 
Thatsache, die bei der relativ so geringen Menge dieser Salze und bei 
der durchaus nicht absoluten Unlöslichkeit derselben im Wasser, wohl 
begreiflich scheint. 


Schwetels alls pare oe i OOD MGS 
Schwerelse Natron =. 20.002 2222700997 
Chlornatrrum a ee NOIR 
schwefels0 Kalkı own 2.2 029614 
kohlens (Kalk 0 0) ea 1 090025 
kohlens. Magnesia. . . . . . . 0.26468 
kiesclemmViacnesia (20). 2). we OOOO) 
kresels bhonende . . ...0.2,22,....0000638 
kohlens. "Bisenoxydul >, 2...22.:.000205 
KGeselsiure 2.0 „u mal. OO a OZ 
Phosphorsäure 
Salpetersäure . . 
Ammoniak 
Rubidium ... 
Pithiumn.. 2... 
Mangan ..... ) 


Spuren. 


Summe . 1.75529 


direkt gefunden mr . .. 1.830900 
freie und halbgebundene Kohlensäure 0.61149 
oder ein Pfund Wasser — 7680 gran enthält: 
schwefelsaures Kali . . . . 0.04438 gran 
schwefels, Natron... a) is) .: 0.079509 


Chlornatrum ze 20 2.220222720:01520 3 
sehwetels" Kalk) vun. 0122744105 
kohlens Kalk 2.0. a, 72 OG OOK ms 
Kohlenss Maonesia,.. (2 .. 2.020520, 7, 
kiesels. Magnesia . . . . . 0.053876 , 
kiesels-“Thonerde 40) 15 .. .22.0.03900%, 
kohlens: Eisenoxydul . : . . 0.005417, 
Kieselsäure m. 4.2.0... 081032.0.023820W, 
Salpetersäure . } 

Phosphorsäure . | 

Ammoniak euren 

Rubidium .... { "P 

Iiithium 2000. | 

Mansan ,.... J Summe . 1.39215 gran 


4% 


pen hi il 


Nimmt man aber der der Analogie wegen, welche dieses 
Wasser mit dem vorigen (Ranigler) unzweifelhaft zeigt, darin 
ebenfalls kohlensaure Alkalien an, so kénnte die nachfolgende 
Zusammenstellung einen leichten Vergleich beider Wasser 


gestatten : 
Chlorkalium . 
kohlens. Kali 
kohlens. Natron 
schwefels. Kalk 
kohlens. Kalk 
kohlens. Magnesia 
kohlens. Eisenoxydul . 
kiesels. Thonerde . 
freie Kieselsäure 
Phosphorsäure . \ 


Salpetersäure . . | 
Ammoniak ( 
Rubidium San 
ie da | 
Mangan... .... ) 


Summe 
ireie und halbgebundene Kohlensäure 


0.02527 
0.02245 
0.08899 
0.43244 
0.80705 
0.34867 
0.00705 
0.00638 
0.06102 


1.79932 
0.57853 


oder ein Piund Wasser — 7680 gran enthält: 


Chlorkalium 
kohlens. Kali . 
kohlens. Natron 
schwefels. Kalk . „ 
kohlens. Kalk 
kohlens. Magnesia 
kohlens. Eisenoxydul 
kiesels. Thonerde 
Kieselsäure 


Summe 


MT nn 


0.01941 gran 


0.01724 , 
0.06834 „ 
OS. 
0.61981 , 
0.26708)" 
0.00541 , 
0.00490 , 
0.04686 , 


1.38186 gran 


Se She (naa 


Im chemischen Laboratorium der Universität wurden 
ausser den hier mitgetheilten Wasseranalysen und mehreren 
anderen analytischen Arbeiten im Jahre 1870-71 noch fol- 
gende wissenschaftliche Untersuchungen theils ausgefuhrt, theils 
in Angriff genommen. 

Ueber Disulfobenzoösäure und Dioxybenzoösäure (siehe 
S. XVII); über die Bildungund Constitution der Protokatechu- 
säure; über Bimethyl- und Biäthylprotokatechusäure; über 
eine isomere Phenoldisulfosäure; über eine neue aus Para- 
oxybenzoésaure entstehende Säure. 


L. Barth. 


Resultate der meteorologischen Beobachtungen 
zu Innsbruck im Jahre 1870. 


Zusammengestellt von 


Carl Wilhelm v. Dalla Torre, 
Stud. phil. 


Das hohe Interesse der Meteorologie an und fiir sich, 
sowie besonders die höchst wichtigen Resultate beim Ver- 
gleiche von meteorologischen Beobachtungen an verschiedenen 
Stationen geben diesen Zeilen den Ursprung. Ganz abgesehen 
von der wissenschaftlichen Bedeutung, welche solche Studien 
für Thier- und Pflanzenverbreitung, Zoo- und Phylophäno- 
logie u. s. w. haben, dürfen dieselben auch bei einer nur 
einigermassen razionell betriebenen Landwirtschaft nie ausser 
Acht gelassen werden, und es wäre höchst wünschenswerth, 
wenn eine Vermehrung der Beobachtungsorte in unserem an 
Naturerscheinungen so reichen und in jeder naturwissen- 
schaftlichen Beziehung so interessanten Lande Tirol eintreten 
würde. 

Beobachtet man nämlich die Anzahl der Beobachtungs- 
stationen in unseren Nachbarländern, der Schweiz und Kärn- 
then (im letzten Jahre traf es in Letzterem 1 Station auf 7, 
in Tirol auf 4] Quadratmeilen), so macht sich Anbetrachts 
des grossen praktischen Nutzens das Bedürfniss nach einer 
Vermehrung höchst fühlbar, und es dürfte hier am Platze 
sein, die Herren Beamten, Aerzte, Seelsorger und Apotheker, 


De, an. N 


die sich für dieselben interessiren, aufmerksam zu machen, 
dass die Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus 
in Wien sowohl die nöthigen Instrumente, als auch die dies- 
bezüglichen Anleitungen den Herren Beobachtern abtritt, und 
einer Verstärkung der Zahl der Stationen in unserem Vater- 
lande mit Freude entgegensieht. 

Was die Beobachtungen in Innsbruck selbst betrifft, so 
wurden dieselben, wie in den letzten Jahren überhaupt, täg- 
lich dreimal, und zwar um 6 Uhr Morgens, 2 Uhr Nach- 
mittags und 10 Uhr Abends angestellt, und es waren die 
Thermometer, der Regenmesser und die Windfahne im bota- 
nischen Universitätsgarten angebracht. 


I. Luftdruck (Tab. I und ID). 

a) Mittel. Das höchste Mittel fiel auf den Sommer 
mit 315.96 par. Lin., das tiefste auf den Winter mit 314.30 
par. Lin.; den Monaten nach das höchste Mittel auf den 
April mit 317.20 par. Lin., das tiefste auf den Dezember 
mit 312.91 par. Lin. 

Die Differenz des Sommer- und Wintermittels beträgt 
also 1.66 par. Lin., jene zu dem höchsten und tiefsten Mittel 
4.29 par. Lin. 

In Bezug auf die einzelnen Beobachtungsstunden zeigt 
sich dasselbe am konstantesten im Jänner, wo es für 6 Uhr 
316.74, für 2 Uhr 316.69, für 10 Uhr 316.06 par. Lin. 
zeigt; am schwankendsten im Mai und Juli. Im ersteren 
Monate beträgt dasselbe für 6 Uhr früh 317.07, für 2 Uhr 
315.55, für 10 Uhr 316.47 par. Lin.; im letzteren dagegen 
für 6 Uhr früh 319.31, für 2 Uhr Mittags 315.44, für 
10 Uhr Abends 315.91 par. Lin. 

b) Extreme. Das Maximum war im Oktober mit 
321.12 par. Lin., das Minimum im November mit 306.18 
par. Lin., die Jahresvariation daher 314.94 par. Lin. Nach 
den Monaten war die grösste Variation im Oktober mit 313.36 
par. Lin. (und Februar mif 312.70 par. Lin.), die kleinste im 
August mit 306.35 par. Lin. (Juli mit 306.50 und Juni mit 


ON san 


306.69 par. Lin.). In Bezug auf die Stunde entfällt das Ma- 
ximum mit Ausnahme des Jänner, Februar und November 
auf die Morgenablesung, — bei den andern auf den Abend; 
das Minimum, mit Ausnahme der meteorologischen Winter- 
monate auf die Nachmittagablesung; in diesen auf die abend- 
lichen. 


II. Temperatvr. 


a) Mittel, Das höchste Mittel fiel natürlich auf den 
Sommer mit 13.330 R., das tiefste auf den Winter mit 
— 2.90°, während sich Frühling und Herbst mit den Mitteln 
sehr nahe stehen (6.49 und 6.20° R.). 

Die Undulation des höchsten Mittels der Jahreszeiten 
(Sommermittel 2 Uhr mit 16.78) und des tiefsten Mittels 
der Jahreszeiten (Wintermittel 6 Uhr mit — 5.57) beträgt 
22.352 Be 

In Bezug auf die Monate fiel das höchste Mittel auf den 
Juli mit 15.21"R., das tiefste auf den Jänner mit —4.54°R., 
die Undulation betragi also 19.75° R. 

In Bezug auf die einzelnen Beobachtungsstunden änderte 
sich dasselbe am meisten *m April und Mai, indem dasselbe 
im ersteren Monate Morgen: noch 2.57° R., um Mittags 
10.91 R. und Abends 4.81° R., also ein Steigen von 8.34 
und hierauf ein Fallen von 6.10° R. zeigt, während im letz- 
teren Monate der Morgen 7.83" R., der Mittag 17.42" R. 
und der Abend 10.37° R. im Mittel gibt, was eine Differenz 
von 9.59° R. und 7.05° R. ergibt. 

b) Extreme. Das Maximum fiel auf den Juli mit 
26.49 R., das Minimum auf den Dezember mit — 15.30R., 
woraus sich eine Jahresvariation von 41.7° R. ergibt. 

Nach den Monaten war die grösste Variation im Februar 
mit 24.29 R. (und Mai 23.1°R.), die kleinste im April mit 
13.6° R. (Oktober mit 14.8 und November mit 15 0° R.). 

In Bezug auf die Stunde entfallen sämmtliche Maxima 
auf die Nachmittags-, die Minima, mit Ausnahme des Marz, 
auf die Morgenstunden; nur in diesem auf den Abend. 


— 


39 


ec) Die 5tagigen Mittel ergeben für das Jahr 1870 
folgende Werthe: | 


1.25. Jänner = — 2.5 
6.-10. „ —_ 0.4 
ld. — 2.4 
16.-20. , — 2.4 
21225... — 10.9 
26.-30. „ — 8.4 

31.-4. Februar — 6.6 
DEI. — 6.9 
10.-14. „ — 3.4 
15.19... — 0.2 
20.-24. „ — 0.4 
25.-1. März + 2.8 
Dh, 4.7 
(alkene Le 
122.16. , 1.9 
ea ı- Dal: 
22-26. , — 0.1 
DU.-3l., , 0.4 
- 1.-5. April 3.0 
6.-10. , 6.6 
RI. es 5.7 
ION. 6.0 
2-25, > 9.4 
2030... 6.5 
1.-5. Mai 6.8 
6.-10. , 9.5 
ales Pawan 12.6 
16.-20. „ 14.8 
21-25. , 15.5 
26.-30. „ 12.3 
31.-4. Juni 12.4 
5.-9. » 13.4 
10.-14. „ 14.0 
15.-19. 15.5 


9» 


{ 


202245 Juni — 
PAD 29 ics 
30.-4. Juli 
DR 
10.-14. „ 
15.19. , 
20.-24. , 
29-2090, 
30.-3. August 
Aa 
9-13. 1%, 
14.-18. , 
19 = 234 03 
24.28.) 5 
29.-2. September 
3-7. 5 
Sea es 
TS. sie 
LSP? Wiis 
23.20. ies 
28.-2. Oktober 
3.-7. & 
8.124 |, 
13. ee 
18-22. 5 
DD, 
28.-1. November 
2.-6. 5 
eels si 
12.210. ey 
Ina... 
222.20. ih os 


27.-1. Dezember 
2.-6. 


16.0 
12.6 
17 
17.5 
17.4 
14.3 
15.3 
15.2 
19.7 
16.1 
13.3 
1249 
10.4 
3.9 
12.3 
11.4 
10.0 
8.1 
6.7 
5.7 
6.6 
6.9 
7.6 
8.2 
Dee 
6.7 
4.1 
2.5 
2.9 
2.3 
6.9 
1.3 
2.1 


BER LO 


22.-26. Dezember =- 7.4 
27.-31. A — 6.6 


7.-11. Dezember — — 4.4 
lo een + 2.4 
10.21... +28 | 

d) Frosttage (d. h. Tage, an denen die Temperatur 
einmal unter O stand) entfielen auf das Jahr 1870 im Ganzen 
115 (im Jahre 1869 114), und sie vertheilen sich für 

Jänner 1870 zu 30, dagegen für Jänner 1869 zu 28, 


Februar 24, Februar 122 
März 21% März 24, 
April 5, April 1% 
Oktober ay Oktober 9) 
November 8), November ily. 
Dezember 23. Dezember 23. 


Man ersieht hieraus, dass der Februar des vorigen 
Jahres milder, dagegen der November strenger war, ein Re- 
sultat, das sich auch beim Vergleiche der monatlichen Tem- 
peraturmittel ergibt. Es trifft nämlich als Monatsmittel der 
Temperatur 


für Februar 1870 — 2500 Re 
für Februar 1869 — 3.42° R. 
fiir November 1870 . — 4,329 R. 
für November 1869 . aan IR: 


Die Gränze der Frosttage entfällt für das Jahr 1870 
zwischen 1. Jänner und 13. April (mit —0.2° R.) und 
12. Oktober (mit 0.6° R.) und 31. Dezember; für das Jahr 
1869 ebenfalls zwischen 1. Jänner und 7. April (mit — 1.4°R.) 
und 23. Oktober (mit — 1.4° R.) und 31. Dezember, woraus 
ein längeres Anhalten der Kälte als im Vorjabre sich ergibt. 
e) Die Zahl der Sommertage (d. h. Tage, an denen 
die Temperatur zu einer Tageszeit über 20° R. steigt) betrug 
im Jahre 1870: 40 (1869 nur 26), und entfallen auf 
Mai 1870: 10, dagegen Mai 1869 nur 3, 
June. 12% “4 Juni as 
Julian lo: ul en ee 31240 
August ,, 35 >| Ausust, Ts 

womit sich zeigt, dass der Sommer des vorigen Jahres viel 


ee e 


ärmer an heissen Tagen war, als jener des Jahres 1870. 
Nichtsdestoweniger aber war der Sommer des Jahres 1869 
im Mittel sogar wärmer, als jener von 1870, indem es für 
ersteren 13.43° R., für letzteren dagegen 13.33° R. trifft, 
also die freilich nur kleine Differenz von 0.1° R. sich ergibt. 

Der erste Sommertag im Jahre 1870 war am 14. Mai 
(mit 20.2° R.), der letzte am 5. August (mit 20.2° R.); 
1869 dagegen der erste am 21. Mai (mit 20.0° R.), der 
letzte schon am 31. Juli (mit 24.0° R.), woraus sich auch 
in dieser Hinsicht ein kürzerer Sommer ergibt. 

Ich habe, da die Momente: Frost und Sommertag etwas 
neueren Ursprungs sind, zum Behufe einer Vergleichung mit 
andern Gegenden diesen Punkt etwas weitläufiger behandelt, 
und auch die Daten des Vorjahres in die Arbeit mit einbe- 
zogen — das Interessante der Temperatursverhältnisse wird 
die Inkonsequenz entschuldigen. 


III. Dunstdruck (Tab. V und VI) 
und 
IV. Feuchtigkeit (Tab. VII und VII) 


wurden nach den in Kreil’s Anleitung zu meteorologischen 
Beobachtungen gegebenen Tafeln berechnet, und nachdem die- 
selben auf die Differenz des trockenen und feuchten Thermo- 
meters basirt sind, mangeln uns mit den leider an 4 April- 
tagen verabsäumten Psychrometer-Ablesungen auch jegliche 
Anhaltspunkte zu einem Vergleiche. 

Aus den (mit Umgehung dieser Tage berechneten) Mitteln 
lässt sich ersehen, dass der Dunstdruck im Sommer (mit 
4.81 par. Lin.), die Feuchtigkeit im Winter (mit 83%,) am 
grössten war; dass dagegen ersterer im Winter (mit 1.29 
par. Lin.), letzterer im Frühling (mit 69%,) den kleinsten 
Mittelwerth zeigt. 

Nach den Monaten erscheint das grösste Mittel des 
Dunstdrucks im Juli (mit 5.29 par. Lin.), also mit der 
höchsten Temperatur, das zweitgrösste dagegen im August 


(mit 4.73 par. Lin.), während die zweithöchste Temperatur 
auf den Juni fiel (12.65° R.); das kleinste Mittel des Dunst- 
drucks zeigt der Jänner (mit 1.21 par. Lin.) zugleich mit 
dem kleinsten Monatsmittel der Temperatur; ihm folgt dann 
ebenfal's im Verhältnisse zur Temperatur der. Dezember (mit 
1.29 par. Lin. Ddr. und — 2.92° R. Temp.M.) und der 
Februar (mit 1.39 par. Lin. Ddr. und — 2.36° R. Temp.M.). 
— Es ergibt sich also hieraus eine grösste Undulation von 
4.08 par. Lin. 

Nach den Monatsmitteln erscheint als der feuchteste 
Monat der Dezember (mit 85%, ), ihm folgt Jänner und August 
(mit je 84%) und September (mit 82%,); die kleinsten 
Monatsmittel der relativen Feuchtigkeit der Atmosphäre zeigen 
der Mai (mit 63%,) und Juni (mit 67%,). — Es ergibt sich 
also hieraus eine grösste Undulation von 22%. 

Vergleicht man diese mit der Undulation der Temperatur 
und des Dunstdrucks, so erscheint sie verhältnissmässig zu 
klein, und es entspräche dieselbe einer kleinern Dunstdrack- 
Undulation (zw. 2.10 und 2.03) oder einer grössern Tempe- 
ratur-Undulation (zw. 26 und 27° R.). 


V. Bewölkung (Tab. IX und XI). 
(0—10.) 


Der Himmel war das ganze Jahr zu allen Stunden etwas 
mehr als zur Hälfte mit Wolken bedeckt; nach den Jahres- 
zeiten etwas mehr im Sommer und Winter (M = 6.2), we- 
niger im Frübling und Herbst (M — 5.3 und 5.0). 

Am grössten ist die durchschnittliche Bewölkung am 
Morgen der Wintermonate (M — 7.1), am kleinsten zu allen 
Stunden im Herbste. 

Den Monaten nach entfällt das grösste Mittel der Be- 
wölkung auf den August mit 7.1 (und März mit 7.0); das 
kleinste auf den September und Mai mit 4.1 (und April 
mit 5.0). 


Der Zahl nach besitzt der Frühling die am meisten 


A 


heitern Tage (23), der Sommer am wenigsten (8), Winter 
und Herbst gleich viele (21). 

Die grösste Anzahl trüber, ganz bewölkter Tage fallt 
auf den Winter (35), die kleinste auf den Sommer (29), 
während Frühling und Herbst gleich viele besitzen (33). 

Die Zah! der ganz heitern (B — 0) und weniger be- 
wölkten Tage (B = 1~ 4) war kleiner, als jene der mehr 
bewölkten (B— 5—9) cder ganz trüben (B= 10), und 
zwar nur 108 gegen 257. 

Nach den Monaten war der heiterste der April mit 11, 
und der Februar mit 9 wolkenlosen Tagen; der trübste der 
März mit 18, und der August mit 13 ganz bewölkten Tagen. 

Am wenigsten schöne Tage hatte der August (nur 1) 
und der Juni (nur 2); am wenigsten ganz trübe der Mai 
(nur 6) und der September (nur 8). 

Nach den Stunden zeigen sich am Morgen im April 10, 
im August 0 ganz reine, wolkenlose Tage; im März dagegen 
20 und im April, Juli, September und November 11 ganz 
bewölkte Tage. 

Zu Mittag waren am meisten wolkenlose Tage im Fe- 
bruar (9), am wenigsten im Juni und August (0); ganz be- 
wölkt war's im März 15ma!, Mai und Juni nur 4mal. 

Lie Abendbeobachtung ergibt als den heitersten Monat 
den April mit 14, dagegen Juni nur mit 2 wolkenlosen 
Tagen; der trübste war der März mit 19 ganz bewölkten 
Abenden, während der Mai nur 8 hatte. 

Im Allgemeinen trifft der heiterste Himmel im Herbst 
auf den Abend und Morgen, die übrigen Jahreszeiten auf 
den Abend a'lein; am seltensten ist er Mittags ganz wolkenlos. 

Ganz bedeckt war er im Winter und Sommer am Morgen, 
im Frühling und Sommer am Abende am öftesten; am Mittag 
war er meist mehr weniger bewölkt, selten ganz wolkenlos. 


Vi. Windrichtung und Stärke (Tab. X und XI). 
Was die Resultate anbelangt, so sind sie zwar für Inns- 
bruck richtig und genau verzeichnet, allein für eine allgemeine 


TR IM NE 


meteorologische Anwendung von nicht hohem Werthe, da 
gerade in unserem rings von Gebirgen umschlossenen und nur 
in 3 Richtungen von Thälern durchbrochenen Kessel fast nur 
abgeleitete Winde kommen, die entweder abgeprallt die ent- 
gegengesetzte oder an Gebirgszüge angelehnt nur eingeleitete 
Zwischenrichtungen verfolgen. 

Vorherrschend war der Nordwind (584mal) und der 
Südwind (Sirocco) (241mal). Diesen zunächst kommen Nord- 
ost und Nordwest (68 und 65mal), am seltensten erschien 
der Südostwind (14mal). 

In Bezug auf die Jahreszeiten wehte Nord am 6ftesten 
im Frühling (180mal), ebenso Süd (76mal); am seltensten 
im Herbst (113mal), dagegen Süd im Winter (18mal). 

Nordwest und Nordost wehten besonders im Winter 
(34 und 22mal) neben dem ziemlich häufigen Nordwind 
(143mal). 

Im Frühlinge fehlte Ostwind ganz, im Sommer wehte 
er einmal, war dagegen vorherrschend im Herbst. 

In Bezug auf die Monate wehte Nord am häufigsten im 
Jänner (81mal), am seltensten im Dezember (10mal) und 
November (14mal); dafür herrschte im erstern Monate der 
Nordost (29mal), im zweiten der Südwind (28mal) vor. 

Aehnliches wie für die Windrichtung gilt auch in Bezug 
auf die unsichere Bestimmung der Windstärke. — Theils durch 
Anprall, theils durch plötzliches Oeffnen des Thales gemil- 
dert, können in dieser Hinsicht Eigenthümlichkeiten vorkom- 
men, die nur durch die topographische Lage Innsbrucks be- 
dingt werden. 

Am meisten stärkere Winde (St — 4-9) verspürte man 
im Februar und September (je 6). Im letzteren Monate wird 
er als Türkenwind alljährlich erwartet und freudig begrüsst, 
da er das Abreifen des Mais sehr begünstigt. 

Dagegen wehte er nie merklich im Jänner und März. 

Am öftesten wehte er im Winter (10mal) und Herbst 
(Smal) merklich, weniger oft im Frühling und Sommer (5mal). 

In Hinsicht auf die Stunden war es am Morgen stets 


do 


windstill; der Wind erhob sich Vormittags, wehte dann um 
Mittag ziemlich oft (16mal), liess gegen Sonnenuntergang 
nach, und leste sich oft dabei ganz (4mal) oder hielt wohl 
auch über die Abendbeobachtung an und legte sich dann vor 
Sonnenaufgang (12 mal). 


VII. Niederschlag (Tab. XI und XI). 


Der Niederschlag wurde in einem von der Zentralanstalt 
überlassenen Regenmesser über je 24 Stunden gemessen. 

a) Mittel. Das grösste Mittel fällt auf den Herbst 
(mit 9.22 par. Zoll) und Sommer (mit 8.62”), das kleinste 
auf den Winter (mit 3.16”). Nach den Monaten entfällt das 
grösste Mittel auf den November (mit 4.65”) und den Juli 
(mit 4.66”), das kleinste auf den Februar (mit 0.44”) und 
Juni (1.07”). 

b) Extreme. Die grössten innerhalb 24 Stunden ge- 
fallenen Niederschlagsmengen entfallen auf den (17.) Juli (mit 
19.84”), (1.) November (mit 17.15”) und (15.) Oktober 
(mit 13.44”), so dass auch in dieser Hinsicht Herbst und 
Sommer den Vorrang besitzen, freilich diesmal letzterer er- 
steren überflügelte. 

Die kleinsten absoluten Maxima entfallen auf den (21.) 
Februar (mit 2.48”) und den (4.) Juni (mit 2.68”), den 
Jahreszeiten nach also das kleinste Maximum auf den Winter. 

c) Die Anzahl der Tage mit Niederschlägen 
(hier wie immer werden eben nur messbare verstanden) be- 
trägt für's ganze Jahr 133, wovon 2, auf den Regen, 14 
auf Schneetage entfällt. 

Am meisten Tage mit Niederschlag entfallen natürlich 
auf den Sommer (44), am wenigsten auf den Winter (21); 
der Herbst (mit 35) hatte um 2 mehr als der Frühling (mit 
33 Tagen). 

Davon sind natürlich im Sommer nur Regentage, im 
Winter 15 Schnee- und 6 Regentage; der Herbst hatte 
27 Regen- und 8 Schneetage, der Frühling nur Y/, Tag mit 
Schnee. 


men gee al 


Nach den einzelnen Monaten entfallen die meisten Tage 
mit Niederschlagen auf den August (20.) und Oktober (17.), 
die wenigsten auf den Februar (4.) und Jänner (7). 

April, Mai, September und Dezember hatten gleichviel, 
nämlich je '/, der Monatstage mit Niederschlägen. 

d) Gränze der Schneetage. Der letzte Schneetag 
war im Mai, der erste im Herbst am 1. Nov. in einzelnen 
Flocken, am 11. zum ersten Male sich anlegend. 


Vill. Gewiiter. 


Diese so wichtige Erscheinung für die Meteorologie, welche 
im Eimzelnen und im Zusammenhalt mit den andern zur Gel- 
tung kommenden Veränderungen des Luftdruckes, der Tem- 
peratur, des Windes u. s. w. von grösstem Interesse wäre, 
wurde leider gerade in diesem Jahre etwas stiefmütterlich 
behandelt. 

Aus den wenigen spärlichen Notizen, welche wir uns 
machten, allein, vermögen wir nachstehende Resultate zu- 
sammenzustellen: \ 

Das Jahr 1870 war ziemlich arm an Gewittern; öfters 
zeigten sich nach heissen Tagen gewitterdrohende Wolken, 
in diesen selbst sah man Blitze; allein gewöhnlich löste sich 
die ganze feuerdrohende Wucht in einen Regen auf, kühlte 
ab und zog so wenigstens für Innsbruck schadlos vorüber. 

Wetterleuchten war im Sommer fast allabendlich, meist 
in der Richtung Nordost. 

Die Gewitter setzten sich gewöhnlich im Thale Sellrain 
zusammen, und zogen dann im Süden Innsbrucks den Bergen 
nach, wobei sie im Mittelgebirge einige Male durch Hagel 
mehr oder weniger Schaden anrichteten; andere zogen vom 
Solstein aus der nörd!ichen Kette nach, waren nie schädlich 
und fielen erst am Haller Salzberg in’s Thal herab. Ein 
paar Mal zeigten sich an verschiedenen Stellen der Umge- 
bung (einmal an 7) Gewitter, die Innsbruck von allen Seiten 
bedrohend in die Mitte nahmen, aber nie Schaden thaten. 

Das erste Gewitter war am 22. Mai Abends mit vielen 


ATs 


Blitzen und starkem Sturmwinde; es dauerte eine halbe Stunde 
und endigte mit heftigem Regen; es war dies eines der 
stärksten des Jahres. 

Das zweite Gewitter war am 8. Juni, das dritte stärkere 
am 24. Juni am Abend; dabei schlug es im Blitzableiter 
des Pulverthurmes und an mehreren andern Stellen — auch 
im Innfluss — ein, ohne irgendwo zu zünden oder sonst be- 
trächtlich zu schaden. 

Fernere Gewitter waren am 1. und 6. Juli und endlich 
das letzte am 9. Ohtober zwischen 2 und 2 Uhr Nachmit- 
tags, wo ein paar starke Blitze fielen, denen heftige Donner 
folgten; ein Schlag traf in die Sill unweit des Bahnhofes. 
Darauf folgten zwei Tage mit Regen. 


IX. Ausserordentliche Erscheinungen. 


Von ausserordentlichen Erscheinungen, von denen eben- 
falls keine Aufzeichnungen vorliegen, fand ich zwei Notizen 
vor: im Jänner 4 Uhr früh ein leichtes Erdbeben in der 
Richtung Südost gegen Nordost, mehr wiegend als stossend; 
und am 24. Oktober Abends 4,8—8 Uhr schönes helles 
Nordlicht bei halbbedecktem Himmel, dem Spiegelbilde eines 
fernen Brandes ähnlich. Es dehnte sich zwischen der Frau 
Hütt und dem Ruhmer Joche bei Hall aus und dauerte circa 
1 Stunde. — 30. Okt. Abends ein viel schwächeres. 


X. Die Schneegränze. *) 

Es ist für Bewohner von Gebirgsländern äusserst in- 
teressant, die Schneegränze der Umgebung in den verschie- 
denen Jahreszeiten und Monaten kennen zu lernen. Wir 
wollen in Kurzem hier eine Anleitung geben, wie man sich 
dieselbe am einfachsten und belehrendsten notiren kann, und 
hierauf die Hauptmomente in dieser Beziehung vom Vorjahre 
anführen. 


Man nehme einen ziemlich eng quadrirten Gitterbogen — 


*) Nach Mittheilung des Herrn Universitäts-Professors Dr. A. Kerner: 
Naturw.-med. Verein. 1872. I, Hit. 5 


» 


»Tupfbogen* — wie man ihn zum Nachzeichnen von Stick- 
mustern in allen Kunsthandlungen bekommt; hierauf theilt 
man sich denselben längs der grösseren Seite (abseisse) in 
360 Theile, was aber meist schon geschehen ist, wodurch 
nichts mehr zu thun übrig bleibt, als Tag und Namen der 
Monate der Reihe nach hinzuschreiben. Der Höhe des Bogens 
(ordinate) nach, also vertikal auf die vorige oder Basislinie 
notirt man sich die Höhen von der absoluten des Beobach- 
tungsortes an bis zur absolut höchsten einer in der Umge- 
bung liegenden Spitze. Man nimmt hiezu am bequemsten je 
zwei solcher kleiner Theilstriche — 100’ und schreibt sich 
die Höhen von 500 zu 500’ nebenan. Hat man diese Vor- 
bereitungen getroffen, so wird man nun bei einigem Augen- 
masse leicht im Staude sein, die Höhe, bis zu welcher z. B. 
der erste Schneefall herabreicht, zu schätzen, und indem man 
nun an der betreffenden Höhenhorizontale herüberfährt, kommt 
man endlich auf ein Quadrat, welches genau vertikal über 
dem Datum jenes Tages liegt, an welchem sich der betreffende 
Schneefall ereignete. Dieses merkt man mit einem Punkte 
an, und indem man täglich beobachtend so verfährt, erhält 
man durch die schliessliche Verbindung all’ dieser Punkte 
eine Curve, welche die Schneegränze des betreffenden Berges 
angibt. Bei einiger Uebung und Aufmerksamkeit kann man 
sich wohl auch Bergketten, ja selbst gegenüberliegende Berg- 
ketten in dieser Hinsicht abzeichnen. — Auf diese Weise 
gelangten wir zum folgenden Resultate: Der Schnee legte 
sich im Dezember 1869 im Thale an und blieb liegen bis 
16. Februar 1870. Von diesem Tage an schmolz er und es 
zog sich die Gränze allmälig, aber unter häufigen und manch- 
mal tiefen Rückfällen in’s Gebirge zurück und erreichte den 
höchsten am 17. August 1870, worauf das Vorgehen schnell 
und höchst unregelmässig vor sich ging. Am 9. Sept. stieg 
er wieder bis zur Höhe von 8800’, fiel aber schnell, um am 
9. Okt, zum dritten und letzten Male aufzusteigen, ehe er 
sich im Thale anlegte. Die Gränze fiel in eine Höhe von 
8000’, Am 11. Nov. waren Fluren und Wälder der Thal- 


BS WAG He 


sohle zum ersten Male mit Schnee bedeckt. Darauf folgte 
der „alte Weibersommer*. Der Schnee wich auf der süd- 
lichen Abdachung bis 5200’, auf der nördlichen bis 4000’ 
in die Höhe; Mücken tanzten in den Lüften, Spinnen schau- 
kelten an den Seilen, Aesculus Hippocastanum, die Ross- 
kastanie, blühte zum zweiten Male im Jahre. Die Natur 
erwachte scheinbar wieder auf’s Neue, bis der 2. Dezember 
dem schönen Traume ein Ende machte — und der Träumer 
beim Erwachen am Morgen Berg und Thal weiss sah. Zwar 
zog sich der Schnee später wieder etwas rückwärts, allein 
der Winter war einmal gekommen, und — so ruhte man 
nolens volens in’s Jahr 1871 hinüber. 

Aus dem Vergleiche der Schnee-Curven aus’ mehreren 
Jahren ergibt sich im Allgemeinen: 

Es findet ein Vor- und ein Nachsommer jedes Jahr 
statt; alljährlich ist das Aufsteigen des Schnee’s im Früh- 
linge und Sommer regelmässig und mit weniger Rückfällen 
verbunden als das Abfallen der Schneegränze am Ende des 
Sommers und im Herbste, und so verhielt sich’s auch im 


Jahre 1870. 


5% 


— 50 


I. Tabelle. 
300 + 
Jänner Februar März | April Mai | Juni 

771529 19:092719313. 12 14.71 1713508 19:03 

2, 34.00) | 12:67. | 15.292 17.05 11.96 719:05 

3 | 14:97 | 15.68 | 12.55 1 1822 | 14.57 | 1660 

4 | 16.52 | 15.54 | 11.09 | 18.55 | 16.48 | 17.37 

571 1653 115,54 12.93 119511 10292171888 

6 | 16.54 | 15.81 | 14.44 | 18.24 | 16.44 | 16.57 

7 | 14.37 | 15.53 | 12.49 | 16.47 | 16.49 | 15.32 

8 | 14.12 | 13.24 | 13.73 | 14.12 | 16.29 | 14.40 

9%) 13.6351 11.34 | 13.52) 13.31 | 9858 [1444 
10 | 12.84 | 12.54 | 12.15 | 14.08 | 13.61 | 13.06 
Pt) 18.24) 15.422 10.24 1916.92 1320) 1.1979 
12 | 14.99 | 14.14 | 10.09 | 17.45 | 14.43 | 16.06 
13. 15.022 13.06%| 11.11) 17:80 16. D7 lee 
14%°19:89,1° 12.0871 Tat 16.72 Mesa 1049 
15 | 15.64 | 13.26 | 13.66 | 16.76 | 16.69 | 17.89 
16 | 12.56 | 13.39 | 16.83 | 18.91 | 15.84 |) 17.19 
17 | 12.69 | 15.502) 13.81°| 1842| 718.847, 1795 
18 | 14.09 | 12.74 | 14.19 | 17.94 | 19.17 | 17.72 
19) 16.62 | 12.09. 16.25. 17.21 | 18.9800. 2062 
20 | 15.78 | 12.66 | 17.84 | 17.58 | 19.09 | 17.95 
21 | 16.60 9.127 | 17.34 | 18.11.17. 9801177272 
22 | 16.87 9.33 | 14.40 | 18.69. | 19.2317 12.92 
23 | 15.89 | 12.85 | 11.70 | 18.19 | 16.75 | 16.20 
24 | 16.59 1.12.35 | 12.81 | 18.55 | 17.09 || 14.22 
25 | 16.90 | 12.02 | 12.69 |. 19.29 | 16.73 | 14.74 
26 | 15.57 | 12.24 | 12.09 | 17.66. | 16.95 | 16.72 
27 | 16.04 | 13.65 | 14.62 | 14.83 | 17.26 | 14.89 
28 | 17.54 | 15.42 | 12.36 | 14.24 | 17.08 | 15.24 
29 | 17.94 — 14.54 | 12.51 | 16.57 | 15.62 
30 | 18.88 — 13.13 | 13.79 | 15.82 | 16.52 
31 | 19.12 — 13.81 — 14.79 _ 


Juli August | September} Oktober | November | Dezember 
i75315.64 | 1582| 15.75 12082 122.92771731 
2 | 15.26 lesen la ne ae lie 15.40 | 14.82 | 18.27 | 16.59 | 17.37 
3 | 15.58 | 14.33 | 17.88 | 16.47 | 17.68 | 14.93 
4 | 16.11 | 15.50 | 16.03 | 16.63 | 18.12 | 15.93 
5 | 17.68 | 14.39 | 16.72 | 18.73 | 18.78 | 17.05 
6 | 17.04 | 14.82 | 14.75 | 16.83 | 16.71 | 13.02 
7 | 16.80 | 14.89 | 15.21 | 15.08 | 15.68 9.66 
8 | 16.41 | 13.68 | 15.03 | 16.69 | 15.92 8.34 
9 | 15.55 | 13.22 | 15.84 | 11.17 | 14.36 | 12.79 

10 | 16.55 | 13.44 | 15.38 | 10.63 | 12.69 | 14.81 
11 | 14.39 | 13.77 | 17.26 | 13.79 7.09 | 14.30 
12 | 12.98 | 14.91 | 16.86 | 14.55 | 10.38 | 13.91 
13.1,.1449 | 15.91 | 1623 \ 12.76 |. 11.49 | 14213 
14 | 16.47 | 15.31 | 14.23 | 14.23 | 10.46 | 14.33 
15 | 16.16 | 14.35 | 16.09 | 14.66 | 10.77 | 15.18 
16 | 15.54 | 13.95 | 18.65 | 13.87 | 10.00 | 14.64 
17 | 15.79 | 14.14 | 19.20 | 13.35 | 11.92 | 15.05 
18 | 16.84 | 16.47 | 17.88 | 16.38 | 13.83 | 15.28 
19 | 17.66 | 11.63 | 18.03 | 15.78 | 11.81 | 13.88 
ZOMG TSS 1 1854 14019 | 13414 9.78 
21 | 17.67 | 15.88 | 17.81 | 13.58 | 13.46 8.80 
22 | 15.99 | 16.17 | 17.73 | 16.00 | 14.32 9.37 
23 | 16.65 | 14.81 | 19.25 | 11.39 | 13.33 | 10.28 
24 | 16.99 | 14.31 | 20.03 9.11 | 15.89 | 11.21 
25 | 15.71 | 13.75 | 19.56 | 12.20 | 15.64 9.26 
26 | 15.39 | 12.70 | 17.66 | 11.11 | 15.76 9.19 
27 | 14.93 | 13.48 | 17.70 | 13.74 | 16.37 9.58 
28 | 14.63 | 13.92 | 18.55 | 12.68 | 18.01 | 10.19 
29 | 14.46 | 12.67 | 18.39 | 15.81 | 17.09 | 10.61 
30 | 14.39 | 15.02 | 19.49 | 14.47 | 16.67 | 13.05 
31 | 14.39 | 17.02 — 13.68 — 13.65 


Jänner 
Februar 
März 
April 
Mai 
Juni 
Juli 
August 


6 hora | 16.14| 14.05] 14.20 | 17.67) 17.07] 16.84] 19.31 | 14.54 
2 hora | 16.69 | 13.54] 13.33 | 17.06| 15.69] 15.55 | 15.44 | 14.54 
10 hora | 16.06 | 13.58] 13.71] 16.88 | 16.45] 16.47 | 15.91 | 14.99 
Mittel | 16.10) 13.73] 13.75 | 17.20) 16.39] 16.30] 16.89} 14.69 


Monats-Mittel 


6 hora | 15.88] 19.12] 18.45 | 20.26 | 19.86] 18.93 18.99] 17.67 
am | 30. I. 2, 18.1 1212| 22. ae ile 
2 hora | 18.74 18.90] 17.50| 19.19 | 18.50 | 17.56 | 17.99 | 16.40 
am | 30. 1: 15.025. 1.18 | 20, 102 aay lee 
10 hora |19.03| 19.35] 18.26 | 20.22 | 19,39 | 18.49 | 17.76 | 17.00 
am | 30. 1. 20. 100A. 17.1 42.920.031. 
Mittel |18.88| 19.12] 18.07 19.89 | 19.25 18.33 18.25 17.02) 


Absolutes Maximum 


6 hora | 14.00! 7.40 | 10.26 | 12.79 | 12.14|13.14| 13.55 | 11.89 
am ı 4. | 21. 1 12.0129. 2. 1010 120 98 
2 hora |14.79| 9.8 | 9.66|12.03/11.8 |12.24|12.49|11.32 
amıı 310: 421. Cl. 2 | 29. 2.31 LOSS Mee 53198 
10 hora |11.75| 6.55 | 9.59] 12.59 | 12.66] 13.48 | 12.92] 11.69 
am | 26.1121. 1 14.) 129. 2.11 2a 2k 1019. 
Mittel | 12.85 7.68 | I 12.50] 11.83 12.82) 12.99 11.63 


Absolutes Minimum 


1.77 | 5.29 | 5.44 | 5.78 
7.42 | 5.32 | 5.50 | 5.08 
6.75 | 5.01 | 4.84 | 5.31 
1.29 | 5.37 | 5.26 | 5.39 


| 6 hora | 4.88 111.72] 8.19 | 7.47 
2 hora | 5.95 | 9.12] 8.4 | 7.06 
10 hora | 7.28 | 12.70] 8.67 | 7.63 

Mittel | 5.70 | 11.41] 8.40 | 7.38 


Variation 


In | 


| | Dezember 


13.04 


12.63 
13.03 
12.91 


9.03 


9.20 | 
10.14 
9.46 


iol 
© 
~~ 
a 
= 


14.41 


14.28 
14.22 


14.30 


12.60 
11.89 


I ——— 


Frühling 


Oca 


15.36 
15.68 
15.78 


20.26 
54. 


seats) 
25.4, 


20.22 


4.4. 


are 


10.26 


12.3. 
9.46 
11.3. 
9.59 
11.3 


3 


11.00 


9.75 
10.63 
10.12 


18.99 


11. ae 


u; 


| 


16.89 
15.19 
19.109 
> 96 


27.1. 
US) 
10.7. 
18.49 
4.6. 
18.49 


fin ue 89 
19.8. 
11.32 


19:8: 
11.69 
OD: 


7.10 
6.67 
6.80 | 
6.86 | 


RE 
H 


Herbst 


19.92 
14.82 
oro 
15:35 


21.12 br. 12 


1:10: 


ING), 


1.10. 


6.18 


21.11. 


7.26 


10.11. 


7.07 


13.96 

14.14 
13.16 
13.75 


Jahr 


15.85 
14.91 
15.25 


19% 2 


1.10. 


20.42 120.42 


1.10. 


20.92 | 20.92 


1.10. 


) | 20. a 20. a 
7.26 c 1.26 
11.11. irn. 


6.18 


11.1 


6.55 
22, 

6.67 
10.69 
10.37 
10.79 
10.62 


a ee 


Ill. Tabelle 


Jänner Februar März April Mai Juni 
ur 89, E33 az ge 
2) +12| —60| +43 3.3 7.9 11.9 
3 | —03| —40} +61 215 6.9 12.9 
4) —22| —52| +53 3.9 5.4 11.0 
5 | —35| —39| +45 3.3 5.3 12,0 
61 —31| —67| +19 5.2 6.7 9.4 
7 | —06| —84| +09 Hall 8.7 10.7 
87 2053| 89) 712) 66 | 100 Silke 
9); —01| —69| +23 8.0 10.7 13.3 

10| +13] —77| +16 8.0 10.9 11.8 
11 | +12| —80| +25 6.1 10.5 12.9 
12} —26; —62| +04 5.7 11.6 13.7 
13 | —35; +3.8| — 20 5.7 12.1 15.7 
14 | —53 +20| —1.0 2.0 13.6 16.0 
15 | —19| —14| —23 4.0 15.1 16.2 
16 | —03| —14| —14 4.1 15.1 13.6 
17 00 | —03| +17 4.5 13.5 16.0 
18} —16| +12) +21 8.9 14.6 16.0 
19 | —33| +11] +36 2.1 15.5 15.8 
20; —70| +17, +22 8.4 15.5 16.3 
21 | —96| —03| +0.7 8.8 16.4 15.8 
22 |—106| —24| +19) 12.0 15.6 16.0 
23 |— 15.1} —14| +02 9.3 14.7 15.8 
24} —99| +10] —15 8.6 14.5 16.2 
25 | —96| +25] —1.8 8.3 11.9 11.0 
96 2841) ee eo 100 9.8 13.0 
27 | —61| +18] +05 8.3 12.1 11.6 
98] 78| +49) "01| 60 | 138 | Ja 
29 |— 10.0 — + 0.6 2.7 14.0 13.2 
304 Tom 6! | SEOs HALS 16.2 
31 | —9.0 — +23); — 13.8 — 


a 


Juli August | September | Oktober | Nevember | Dezember 


nA To | om 1 20 ung 
Ara 162. 12:5 6.7 29 | —48 
9.6 | 184 | 13.3 6.7 26 5:8 
13.0 \ 13.41 125 6.7 Oe al 
162 | 115.5 | 9.0 6.9 26 | —64 
TE 13:00 6.7 1A | aA 
1350| 146, DA 71.4 1 Sa 
180 1538, 30,102 ,204 20 
So TE) NEO) 10.6 9,5, 27.0.9, | 7 
io 175, 1334 12.5 1.3 Bee 
oo ln | 29.8 5.1 AS) 3 
104 9170|: 162 93 5.9 0.0039 
ROMS 3 126 93 109 Bal 216 
144 |, 127, 103 9.7 27 | 154 
I, 3148| 108 68 7.9 3.9 | 44 
te} 159 | 127 6.6 5.9 2.9, 2205 
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SM #12. 12ST Nihon 6.8 6.1 Du ALS 
NOW 1361 124.67 3.4 aa | LA 
207 152 113 | 59 6.4 ag an 
a | alG 9.1 7.0 ON org 1 
>> 119.5 961,702 5.0 Da 
23 | 14.8 QA AT 6.7 83 gr 

PAR SO 11.102 1,042 5.6 | 2 
23 | 4154 9.6] 55 5.9 | 
26 | 146 QB || 54 84 | jo | 99 
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Absolutes Maximum 


Absolutes Minimum 


Variation 


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6 hora EEE ren) 2.57 | 18 10.47 11.94} 9.97 
2 hora |—1.67|-1.37]4 4.94) 10.91) 17.42] 14.83) 19.85) 15.63 
10 horal—5.20|-1.2.891-1-.0.19| 4.81] 10.37] 12.30) 18.85) 11.1: 
Mittel |— 4.54|— 2.36 ia 52| 6.09] 11.87] 12,53 Be 12.2% 
Shora|.06 lo. os 5.6 | 126 | 13.6 | 200 | 15.0 
am | 22|5|81 |2. |... 
Phoral 3.2 | 10.2 | 12.4 | 16.0 | 23.7 | 240 | 26.4 | 23.8 
amı 8 18 || 100. | Oo) | 198 ee 
1Ohoral 26 | 80 | 38| 9.4] 160 | 180 | 21.6 | 19.8 
am | 2. 13. .|..4  |,23 | 16. | Le, 4 alee 
u 21 | 64 | 63. 8105| As | 17,31| 20m a 19.5 
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aa aa ACG ln oe Io 3 Su 
2 hora |—10.8/—7.2 | 102] 1442| 18.44 11.6|+-10.0] 8. 
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10 horal— 12.2|9.4 | — 8.8) —04| 42.5180 |--8.0 | +5. 
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Mittel | 12.5] 10.2 ct —0.5 dein ee | ne 
Tenor] 152 | 15.0 | a6 | Lay 120 | 6.4, 18.00 11.0 
%hora| 14.0 | 174 | 122 | 11.8 | 153 | 124 | 16.4 | 15.0 
1Ohora} 14.3 | 17.4 | 12.6 9.8 | 13.4 | 19.0 | 13.6 | 14.0 
Mittel | 14.5 | 1661 115 | 99) 136| 99| a3 


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1217| 9.81) 6.32] —141|4+057+11.09| 16.78] 9.47| 12.64 
8.95) 3.63) 432] —3.33|-3.81145.12 | 1248| 5.63; 6.46 
587] 541] 432-202 — 2.904649 | 13.33 620) 7.80 


10.9 9.0 1.5 4.0 | 4.0 12.6 | 20.0 | 10.0 20.0 
4. 13. 20. ion LOWE WAZ. 12.7 4.9 22.7 
29.8 | 14.2 | 12.8 Tal 10:2) 123.2.) 20.4 19:8 26.4 
3. 7. 21. 14. 8:2| 022.9 6.7 319 6.7 
17.6 | 18:5 | 12.8 6.5 80) 1001 21:0) 12:6 21.6 
Te 8. 21. 14. 132) 16»| Te 8) 11.7 
15.8 12.2 | 11.0 9.9 94| 141 | 22.7 | 15.8 22.7 


+02 06 ol 153] 153) — 68 140 2992 158 
> ol 10 | 250 | 25.12) 153) | 31.8 LON 25.12 
Pe 4) 238,001 901-108, 102 \ 88 700 150 
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124; 11.4 | 12.8 | 16.9 | 21.0 23:5, 11.0. 219.8 20.5 
1722| 105 1361 195 | 21.0 16.4 | 15.8 | 18.8 18.0 


F121 | 10.2 || 121 | 18.6 | 204 | 19.8 | 16.5 | 169 | 18.6 


na An 


V. Tabelle. 
Jänner Februar März April | Mai | Juni 
0.91 0.76 1.92 1.89 1.83 4.35 


1:69 1.01 1.85 1.82 1.77 4.17 
1.80 1.24 2.05 1.43 2.38 3.17 
1.36 145 2.35 2.58 2.28 5.81 
1.40 1.39 2.30 1.95 2.30 1 43:50 
1.39 0.75 1.88 3.17 2.08 3.62 
1.78 0.79 1.81 2.90 2.48 4.06 
1.84 0.79 1.66 2.75 3.22 3.47 
1.39 0.88 1.65 2.48 3.11 4.08 
1299 0.67 1.92 =) 2.80 4.53 


1.63 0.83 1.43 —_ 3.04 4.57 
1.40 1.03 1.58 = 3.24 4.31 
0.72 1.62 1.47 — 3.87 4.99 


1.09 1.86 1.50 2.37 3.96 5.31 
1.58 1.67 160 12209 4.34 5.42 
1.99 1.49 1.67 1.98 4.06 473 | 
1.85 1.59 2.08 2.50 3.67 4.66 
1.62 1.75 2.04 2.32 4.48 5.31 
1.07 1.80 1.82 1.95 4.98 5.58 
0.87 1.99 1.78 2.22 3.82 5.22 
0.62 1.68 1.79 2.46 4.66 5.40 
22 | 0.60 1.49 2.00 2.40 5.42 5.41 
0.51 1.73 1.81 3.38 5.39 5.22 
0.54 1.61 1.52 3.09 3.67 5.08 
0.55 2.05 1.68 2.15 3.01 4.95 
26 | 0.78 1.81 1.68 2.60 2.97 3.09 


en ee a eS a Oe 
OMAHA PWD HOO MW ASD OP OF DOH 


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2701.02 1.69 1.96 2.87 3.22 4.17 
28 | 027 1.56 1.29 2.23 4.30 4.00 
29 Nt Orde — 1.75 2.23 3.98 3.58 
30 | 0.88 — 1.71 1. 31.69 4.43 3.83 
on 0.20 — 1.84 A ier 5.39 = 


*) Leider fehlen uns die Ablesungen des feuchten Thermometers vom 
10.—13. April, ein Faktor, der/die Berechnung des Dunstdruckes und der 
Feuchtigkeit unmöglich macht. 


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| Juli August | September] Oktober | November | Dezember 


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26 | 5.54 3.46 3.34 3.07 2.18 1.05 
ZU RU 3.97 341 1.76 2.56 1.05 
28| 5.53 3.84 3.71 2.35 209 0.92 
29 | 5.48 4.25 3.44 2.43 2.03 0.85 
30 | 5.41 Do 3.39 2.68 1.66 0.91 


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März 


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Mai 


Juni 
Juli 


4.34 


4.28 


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a: 2 hora | 1.51, 1.64 | 2.02 | 2.65 | 3.62 | 4.62 | 5.18 | 5.09 
= 10 hora | 1.13 | 1.39 | 1.78 | 2.13 | 3.81 | 4.62 | 5.47 | 4.83 
a Mittel | 1.21 | 1.39 | fee cece 3.64 | 453 2 
6 hora a | 18 | 137 oa) 3G | eto | 188 | 187| 213] — | 536] 568 | 630] 600 6.00 
5 am (ag |) 1a | asalı | ton | ea 
E 2 hora | 2.20 | 245 | 268) — | 6.39 | 5.72 | 6.90 | 7.80 
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2 10 hora | 211) 2.14) 270| — | 6.00 | 5.96 | 6.72 | 6.95 
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Mittel | 2.06 | 2.15 2.50 | us | 5.92 5.79 | 6.64 | 6.92 
G hora | 0.25 | 0.27 0.87 | al 1.85 3.30 | 3.33 | 2.43 
= am |; 29 | 2.128. |. lea. | 26. | am 
ig) | (2, hora | 057 | 0.7%| 1.20 — | 122 260 340 257 
n am | 23. | 10) | 1 ee 126 a a 
= 10 hora | 0.44 | 050| 122 | — | 116 | 320 | 3.22| 315 
= | am al. | ul ul WO | a ae 
Nittel | 0.42 | 051 | 1.09 | — | 158 | 3.03 | 332 | 2.72 
6 hora | 1.63 | 1.60 eto Kıss 260 126 Weill oe ae au Bel 2.38 | 2.97 | 3.57 
:| 2 hora | 1.63 | 1.68| 148 | — | 467 | 3.12 | 3.50 | 5.28 
E 10 hora | 1.67 al = is 2.76 | 3.50 | 3.80 
Mittel | 1.65 | 1.64] 136) — | 434 | 2.75 | 3.30 | 4.20 


| September 


I 
i 
i) 


S| 
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Ont 
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87 
86 
92 
77 
88 
13 
86 
96 
96 
92 
92 
89 
84 
74 
75 
17 
82 
78 
82 
88 
81 
79 
78 
76 


VIL Tabelle 


Februar 


75 
83 
89 
87 
76 
13 
87 
84 
82 
13 
82 
88 
58 
15 
87 
84 
81 
80 
80 
86 
87 
93 
96 
(i) 
80 
18 
74 
53 


— 


— 62 


März 


71 
63 
58 
76 
18 
81 
84 
75 
69 
85 
60 
76 
79 
96 
95 
86 
88 
85 
66 
19 
83 
89 
92 
89 
88 
81 
91 
58 
85 
74 
16 


| April | Mai 
75 38 
61 44 
62 60 
91 66 
69 zul 
89 42 
88 58 
78 62 
64 64 
— 49 
— 68 
—_ 66 
_ 12 
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76 58 
75 61 
85 65 
72 69 
58 68 
47 57 
66 59 
59 73 
69 77 
64 78 
67 67 
59 55 
72 66 
65 62 
87 12 
64 65 


14 


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| Juni 


I 
| Juli August | September | Oktober 
| 


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6 71 90 63 
7 63 88 54 
8 74 94 83 


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| 


| 


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76 
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17 
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75 
88 
63 
78 
78 
69 
79 
84 
19 
93 
13 
74 
54 
75 
80 
90 
94 


November 


92 
81 
82 
82 
75 
76 
67 
95 
86 
61 
69 
89 
53 
74 
68 
80 
90 
85 
54 
45 
39 
81 
53 
68 
59 
48 
67 
91 
79 
18 


Dezember 


78 
87 
87 
14 
87 
86 
80 
85 
83 
87 
88 
80 
80 
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86 
83 
97 
97 
63 
71 
93 
86 
12 
62 
52 
69 
92 
86 
84 
87 
84 


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5 /10 hora] 100 | 100] 98} —| 98| 98} 98) 98 
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6 hora | 55 58 42 | = 42 | 72 4) 61 

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6.78 
0.98 
10.56 
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0.12 


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0.32) 0.08 
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1.42) 8.86 
1.80 1.32 


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Juni 


5.02 
1.56 
2.60 
1.42 
2.36 
1.08 


6 7 
6 7 


2.16| 3.42 
14.87, 8.86 
5.44) 10.64 
19.84, 5.12 
0 3.64 
11.20) 4.16 


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4.46| 2.99 
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Alone 6 6.0 || 60 2.61) 1), 58 
2 5) 16 6 52 |, SO Ot) 950. 1 55 

| | | 
4. 152 260 1 62 62:50 | 56 


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2, 0 

10.82| 2.92 
5.77) 088 
4.92] 3.08 
0 | 40 
Opi, 20114 

| 

23.75 312 
138 2.59 
5.28, 13.44 
ı a, 


Sommer % 


Nevember | 
Dezember | 
Frühling | 


Winter 


16.08 


37.99 39,30 103.49 | 


154 3.16 3.27| 8.62 


4.42 


2 | az ci (933) 1er 


Herbst 
Jahr 


110.60] 261.38 
9.221 21.78 


$24 7.88) 19.84 17.00 19.84 


Lu] 17.7 


70 


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71 


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117 


7 


5 


138 


130 


16 
1 

99 
34 


6* 


Vergleichungstabelle 
der vorarlbergischen und nordtirolischen Beobachtungsstationen 
Bregenz, Dornbirn, Bludenz, Innsbruck und Vent im Oetzthale. 


ae a | Coe | ines | Seehöhe Beob. 
Station Ss La ue B a in Beobachter Stunden 

8 ange | Breite | Toisen TOTER 

| . | ae | Oo 

Bregenz |M. ress sa30 198°9} Dr. Hummel 1 21,9 


Dornbirn |D, 27025’ 147024’ | 2370| Dr. G. Waibl {19} 1/10 
Bludenz |B1.|27029’ 47010’ 298-0] Br. O. Sternbachj18)} 2/10 
Innsbruck | I. 128059’ 147016’ | 294-6] Dr. A. Kerner |18) 2/10 
Vent v.128039 |4799’ | 966-2} Fr. Senn 120) 2] 9 


74 


— 


I. Vergleichungs-Tabelle| 


Luftdruck auf 0° red. 


Temperatur nach Reaumur 


| 


| 

1% 2. 3. | M, 1. | 2. 3. M. 

| | | 

| Br. 3221052279 B2271922.74 2309 | 159) 18 

5 | D. [319.59/319.52'319.911319.81| --29|+0.3 20 |—16| 
= | Bl. 315.17/315.00315.26/315.14] —3.4|-10.6 |—23 |—1.7| 
S | 1 [816.14/316.69 316.06/316.10] —6.7/—1.67\—5.2 |—4.5 | 
ee ES an a i 267.49 4 wots || 

Br. 1320 45132037 320.41/320.41 —8.16 —0.45 —2.06 Ba. 

= | D. 1317.801317.55317.77|317.84| 35 -10.16 0231| —1.94 
3 | BL )313.11/312.83/313.13/313.02|—3.2 41.8 |—1.69) —1.04 
© | 1. [814.05/313.54/313.58/313.73| 5.57/+-1.37|—2.89| —2.3¢ 
oe ee 2 

Br. 1320.78 320.81/320.81/320.80|-+0.2 |+-3.06|-1.37| 1.50 

x | D. [318.22/318.09)318.35/318.23110.1 13.6 |4+1.0 | 11.54 
| Bl. [313.58/313.40/313.69/31356|—0.19'+4.5 1.0.22) 11.73 
= I. 1314.20313.331313.71/313 751—0.56/+-4.94/+-0.29] 41.53 
Roe — = — |266.43) — — — |—3.7 
Br. 1321.18 321.10/320.80/321.06] 3.94 | 8.95 | 637 | 64 

— | D. |320.76320.491320.73320.67| 46 97 |52 | 64 
E | Bl. [316.16315.19/316.15 316.04] 3.18 | 11.10 493 | 6.4 
<“ | 1. [317.67317.061316.88 317.201 2.57 | 10.91) 481 | 6.08 
won | | 2090 =] |) | = 

Br. 1322.04/321.90/321.75/321.90| 9.35] 14.3 | 11.3 | 11.6 

D. 1320.21 319.861320.221320.10| 10.7 | 15.9 | 10.6 | 12.38 

@ | Bl. [315.67,315.13)315.62)315.47| 7.9 | 169 | 9.95] 11.6 
1. |317.07/315.69/316.45/316.39] 7.83| 17.42] 10.37) 11.8 
oa ae | 50 

Br. 1321.98/321.84/321.86/321.89] 11.6 | 15.51] 13.16| 13.3 

| D. [820.27/319.94/320.33/320.18] 1264| 1693| 12.06| 13.90 
= | BL. 1315.87/315.39/315.58/315.611 9.65! 17.12! 11.43) 12.7 
= 1 1 1316.841315.59/316.471316.30| 10.47| 14.83| 12.30] 12.53 
Vi) eee Se 


75 


der monatlichen Mittel. 


Feuchtigkeit 9/o 


Dunstdruck in par, Lin. 


76 


ee aoe 


I. Vergleichungs-Tabelle 


Luftdruck auf 0° red. 


Temperatur nach Reaumur 


1. | 2. 3. M. 1. 2. 3 | M 
| 

Br. 1321.23/321.09/321.07/321.13] 13.6 | 18.3 | 15.8 | 15.9 

Ei D. (319.57/319.35)319.46/319.43) 14.6 | 19.4 | 142 | 16.1 
= Bl. (315.11 314.74)305.09 314.98) 11.9 ‚19.7 | 140 | 152 
| 1. 1319.31 315.44/315.91316.89) 11.94 19.85, 13.85} 15.21 
Iv| —) - — 2926 — | — | — — 
Br. 1320.60 320.261320.25 310.27] 10.8 | 14.38) 11.95 1237 

re D. 1318.43 318.151318.53 318.36) 11.4;| 15.2. | 108 125 
so | Bl. |814.03|313.72314.151313.97| 9.6 | 15.3 | 10.5 | 11.8 
a I. 1314.541314.54 314.991314.69| 9.97] 15.67) 11.13] 12.25 
mo a 9a a nn BS AT 

a Br. 1322.621322.431322.38322.48| 77 | 1231 99 | 99 
= D. /320.971320.711320.66 320.831 7.6 | 132 | 8.7 | 97 
5 Bl. j316.461316.01/316.41/316 29] 65 | 141 | 8.7) 98 
= I. 1317.36316.55/317.12/317.01] 5.52) 12.17) 895| 8.87 
v2 yo a cal au 270.04 a an = oh 
Br. 1320.67 320.46 320.33 320.49] 5.7 | 86| 66| 66 
& D. [318.69|317.88317.95318.20| 50 | 89] 611 65 
© Bl. [314.26/313.78/313.931313.99] 3.7 | 96| 61| 67 
S I. 1315.47/314.03/314.59/314.69) 3.22} 9.81] 3.63] 5.41 
Veni ee | bs 26 — Bun a 12 
N Br. 1520.081320.001320.071320.051 2.31) 4.38) 3.09) 3.26 
2 D. 1317.901317.79[318.00317.89| 21| 44) 215 31 
= Bl. [313.37/313.23/313.53/313.38] 2.58; 636 3.41; 4.11 
Ss I. 1314.92/313.891314.21|314.34| 2.31] 6.42) 4.32| 4,32 
A | Voie ee 968 4a 2) Se en 
hi Br. 1319.36/319.41/319.42/319.40]—3.4 |—1.9 |—3.1 |—2.88 
= D. 1317.00/316.88|317.09'316.98|—3.7 |—1.7 |—3.5 |—2.95 
3 Bl. |312.39312.19)312.411312.33[—4.6 |—1.5 :—3.6 |—3.1 
2 iL 213.04,312.63 313.03|312.91)—4.21—1.41:—3.33|— 2.92 
Veni bate | oe 267.16) — ae an ENG 


an 


der monatlichen Mittel. 


Feuchtigkeit 0/o 


EY 


Dunstdruck in par, Lin. 


ae aaah 


Il. Vergleichungs-Tabellen 


Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit 
l 
| | Tag | Tag | Tag | Tag 
Br. 325.45) am47.ı 17.2 vam, | — 1 eae 
= D. 1322.65 am17.! 6.0 |am8. ]2.56 am$ 100} am 4 
2 Bl. {317.74)am 17.) 9.2 jam2. | — | — [| — |. — 
m I. 1319.03) am 30. | 3.2 jams. |2.20] am2 100 am 7 
V. 1270.44 am a 2.8 am — — — — 
Br. |525.28|ami. !+5.8 Jjam18.| — — | —| — 
= D. 1322.80 | am 1. 7.5 |am 27.12.59 am 25.| 100] am 24. 
5 Bl old: Slava Eyl Oe ami 2 Sete 7 u un 
es 1. 1319.25) am 1. 10.2 |am13.| 2.45) am 25.| 100) am 24. 
V. 1270.69| am —, 3.4 lam—.| — — — — 
Br. {314.09} am 20.]|-+-8.2 |am1. | — | — | —| — 
S D. /521.98)am20.| 9.1 |am3. ]3.14am3. | 100 am3. 
rs Bl. |317.07/ am 20.1 13.8 |am2 — — — — 
= 11. [318.45\am21.| 124 |am3. |2.70.am4. | 98|am23. 
V. 1269.62)am—.| 5.8 |am — | — — a = 
Br. [325.32|am4. | 15.6 am 21.) — — a 
a D. 1323.58) am 25.) 16.8 | am 21.|3.88| am 24.| 93 |am 27. 
ae 1 Bl (B18. 74am 25). 182 tam 21.1, =) |e ren 
= 11. 1820.26) am5. || 16.0 |jam20.1 | _ 
| V. aan 2 am —— — —_ — 
Br. 1324.36 am18.| 23.2 |am21.] — ee 
oh D. [322.95|am18.] 22.6 |am 21.16.78] am 22.| 95 |am31. 
= Bl. !318.56/am 18.1 244 Jam21.1 — — —_—ı — 
I. |319.86|)am18.| 23.7 | am 22.}6.39]} am 19.| 98 | am 22. 
V. 1271.70|am —.! 16.0 Jam —.| — oe — — 
I TN Ts IREPRRERBEN RE IRENUE BIN HB 
Br. 1325.85 am 13.1 22.2 |am24. 1, vo — = 
AR D. j3522.69| am 12.| 25.8 |am 24. 6.57| am 14.1 97 |am8 
S| Bl. [318.02 amı13.| 227. Jam23.1 | 0 ee 
” 1 318.93/am21.] 24.0 | am 24.15.96 am 15.| 98 |am4 
af 


272.16|am—.i 14.8 Jam —.| — 


19 


der absoluten Maximalwerthe. 


Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit 
Tag | Tag | Tag Tag 
Br. |323.49|am5. | 26.8 |am1l.] — —_ _— 
pe D. |322.14|am5. | 28.0 jam11.|7.48| am 97 |am 28 
E Bl. |317.55]am 20.]| 26.4 jamil.| — — — 
I. [|318.99|am21.| 26.4 |am6. !6.90|am7T. | 98 |am25 
V. |272.05|/ am —.| 185 |am—.] — — — —_ 
| Br. |323.23|am31.] 20.4 |am2 — — — — 
17; D. 1321.42|am31.| 22.9 |am2. | 6.56) am2 98 |am 12. 
& | Bl. [316.86lam31.| 242 jam2. |— | — |—-| — 
= I. 1317.67Jam31.| 23.8 |am2. 17.80 am 16.| 99 |9. u. 12. 
Vv. jr fprrazfamau| 112 [a] =P" an 31, 11.2 = — — — — 
un Br. vg. |B [s2525Jem tz] 208 me Jo] — | Sue 26]am17.| 20.8 jam6. |— | — 
2 D. |3523.81)am17.| 21.3 |am6. |5.43| am 10 98 am IE: 
8 | Bl [31911lami7.| 21.6 |am6. | —| — 
> I. |320.32|am 24.| 19.8 |am3. |5.57|'am 6 100 oftmals 
DQ | V. | 272.28| am —.| 15.0 |am —.| — roe = 
| Br. | 325.79) am 2. | 13.6 Jam13.| — | — | — 
& D. | 324.45] am 2. 14.2 }am13.} 4.41) am 26.1 98) amd. 
S Bl. | 319.73} am 2. 16.0 jam&. | — — —_ —- 
S I. }320.42|am1. | 14.2 jam7. [6.3 !am7. | 100) oftmals 
V. 127233/lam —.| 10.4 |am—. | — — — 
„. | Br. [324.59| am 4. 96 |am23.} —}| — I—| — 
R= D. !32249| am 5. 10.0 |am 23.} 3.33} am 24.| 100|am 10. 
Ree BE 1317.87 amA. | 176 jam o5)) | Se ee 
5 I. 1318.83] am 5. 12.8 |am 21.12.98] am 28.] 100) am 10. 
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"Naturw.-med, Verein. 1871. L Hit, 


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Il. Vergleichungs-Tabellen 
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Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit 


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Tag | Tag | Tag | Tag 


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81 


der absoluten Minimalwerthe. 


Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit 
| | | 
Tag | | Tag | | Tag Tag 
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IV. Vergleichungs-Tabellen der Bewölkung, 


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Windrichtung und Stärke und des Niederschlags. 


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Niederschlag 


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16.59” 
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11.80” 
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1. 10” 


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61.51” 
46.57” 
18.60” 
45.68” 


1. 8” 
29.91” 
39.46” 
11.60” 
33.80” 


33.48"” 
18.73” 
13.08” 
19.10” 

1.38" 


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61.39” 
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IV. Vergleichungs-Tabellen der Bewölkung, 


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85 


Windrichtung und Stärke und des Niederschlags. 


Menge 


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35.90” 
25.50” 


4.52” 


Delay! 
46.08” 
menor 
12.30” 


8.5” 
ala“ 
84.21” 
31.02” 
21.00” 


2.14” 
38.6” 
45.26” 
55.85 
24.06” 


41.92” 
51.68” 
45.42” 
16.08” 
18.03” 


Niederschlag 


Noman 


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Maxim. 


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14.88” 

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16.40” 
13.44” 


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21.80” 
17.05. 


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BERICHTE 


des 


naturwissenschaftlich- medizinischen 


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I. Jahrgang. 


2. u. 3. Heft. N ——— 


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INNSBRUCK, 


Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung. 


18702 


BERICHTE 


des 


naturwissenschaftlich -medizinischen 


VEREINES 


INNSBRUCK. 


M Jahrsang. 


2. u. 8. Heft. 


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INNSBRUCK. 
Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung. 


1872. 


Sitzungsberichte 


des 


naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines. 


XIII. Sitzung, den 25. Oktober 1871. 


Beginn der Sitzung 7Y, Uhr Abends. 


I. Der Vorstand Prof. Dr. M. v. Vintschgau legt 
der Versammlung die während der Zeit der Herbstferien, also 
seit der letzten Vereinssitzung vom 21. Juli 1871 eingelau- 
fenen Druckschriften vor: 

1. Med. chirurg. Rundschau, August-, September- und 
Oktober-Heft 1871. 

2. Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, Jahr- 
gang 1870 nebst Nr. 1 und 2 vom Jahrgang 1871. 

3. Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt, 
Jahrgang 1870, Nr. 1—10, 12 und 13 vom Jahrgang 1871. 

4. Sitzungsberichte der mathem.-physik. Klasse der kön. 
baierischen Akademie der Wissenschaften in München., 1871 
Heft 1. 

5. Sitzungsberichte der physikal..-mediz. Gesellschaft in 
Würzburg für die Jahre 1868, 1869, 1870. 

6. Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde, 
29: 105 11.122 und. 13, Bericht: 

7. Jahresbericht der Gesellschaft für Natur- und Heil- 
kunde in Dresden, Oktober 1870— April 1871. 

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XxX 


8. Bullettino della societa entomologica italiana in Firenze, 
anno III. trimestre II. 

9. Leopoldina, Amtl. Organ der k. Leopoldino-Caro- 
linischen deutschen Akademie der Naturforscher, Heft 7. 
Nr. 1, 2, 3, 4. 

10. Dr. Alfred Przibram und Dr. Jos. Robitschek, Studien 
über Febris recurrens etc. Prag 1869. 

11. Filippo Pacini, Sull’ ultimo stadio del colera asia- 
tico etc. Firenze 1871. 

II. Verliest derselbe die Zuschriften der k. naturf. Ge- 
sellsch. in Moskau und der k. Gesellsch. der Wissensch. in 
Göttingen, welche sich zum Tausche der Zeitschriften in der 
nächsten Zeit bereit erklären. 

Ill. Herr Prof. v. Vintschgau referirt über eine neue 
Methode von Prof. Pacini zur Einleitung der künstlichen 
Athmung bei Asphyktischen. 

Prof. Phil. Pacini hat dem Vortragenden während seines 
Aufenthaltes in Florenz einen Separat- Abdruck einer kleinen 


Abhandlung gegeben, die er in der medizinischen Zeitschrift 


»L’ Imparziale* veröffentlicht hat. 

Obwohl die Abhandlung selbst nicht mehr als sechs 
Druckseiten umfasst, veranlasst den Vortragenden doch die 
Wichtigkeit des in derselben behandelten Gegenstandes den 
geehrten Herrn Collegen den Inhalt derselben mitzutheilen. 

Es handelt sich nämlich um eine neue Methode, die 
künstliche Athmung bei asphyktischen Individuen einzuleiten, 
und glaubt der Vortragende, es sei angezeigt, dass die Aerzte 
und alle jene Personen, welche berufen sind Asphyktischen 
die erste Hülfe zu leisten, von dieser Methode Kenntniss er- 
halten, damit sie auch von der praktischen Seite, die doch 
die wichtigste ist, geprüft werde, 

Nachdem Pacini nachzuweisen getrachtet hat, dass so- 
wohl die Insuflationsmethode, als auch jene Methode der 
künstlichen Athmung, welche von Leroy d’Etiolles und von 
Marshall Hall angegeben wurden, eher von Nachtheil als 
Nutzen sind, beschreibt er seine eigene Methode der künst- 


XXI 


lichen Athmung, die der Vortragende im Folgenden wortge- 
treu mittheilt. 

Das asphyktische Individuum wird auf eine leicht ge- 
neigte Ebene gelagert, der Mund geöffnet und alle fremden 
Substanzen, die derselbe etwa enthält, werden enfernt, der 
Brustkorb und der Bauch von engschliessenden Kleidern 
befreit. Indem der Kopf in der gewöhnlichen Richtung mit 
dem Rumpfe gelassen wird, stellt man sich hinter denselben, 
erfasst fest den oberen Theil der beiden Arme in der Nähe 
der Schultern, und zwar so, dass der Daumen nach vorne 
auf den Hals des Oberarmknochens, die übrigen vier Finger 
dagegen nach hinten zu stehen kommen. 

Nun trachtet man, durch Anziehen an sich selbst und 
bei gleichzeitigem Heben der Schultern, die Verbindung des 
Schlüsselbeins mit dem Brustbein zu benützen, um den letzteren 
Knochen und mit ihm die entsprechenden Rippen zu heben. 
Es ist leicht ersichtlich, dass durch diese Bewegung die drei 
Durchmesser des Brustkorbes vergrössert werden, obwohl 
das Diaphragma nur passiv dazu beiträgt. 

In der That hört man alsbald, wie die Luft mit einem 
Geräusch durch den Kehlkopf in die Lunge eindringt, wo- 
durch die Einathmung zu Stande kommt; nun setzt man die 
inspiratorische Thätigkeit aus und gestattet der Elastizität 
der Rippen die Ausathmung, auszuführen, wie diess ohnehin 
im normalen Zustande der Fall ist. 

Diese Bewegungen werden entweder mit dem gewöhn- 
lichen Rythmus der Respiration oder auch, wenn man es 
als nothwendig erachtet, mit einem rascheren , wechselweise 
wiederholt. Bei diesem Vorgehen hört man das Individuum 
ganz wie ein lebendiges athmen, so dass es scheint, als ob 
dasselbe zum Leben erwacht wäre, obwohl es todt sein 
kann; es ist daher unmöglich, dass es nicht zum Leben zu- 
rückkehre, wenn ihm nur noch eine geringe Lebensfähig- 
keit innewohnt. 

Diese Methode von Pacini hat Aehnlichkeit mit jener, 
welche von H. Silvester beschrieben wurde; derselbe hebt 


XXII 


die Arme des asphyktischen Individuums gegen den Kopf, 
und übt auf diese Weise einen Zug auf die Brustmuskeln. 

Dr. W. B. Bain hat die Pacini’sche Methode abgeän- 
dert, indem er die Hände an die vordere Seite der Schulter 
setzt, mit den Fingern in der Achselhöhle. 

Der Vortragende theilt schliesslich mit, dass in London 
eine Commission zusammengestellt wurde, um die drei eben 
erwähnten Methoden zu prüfen, und dass aus den an Leichen 
vorgenommenen Versuchen hervorging, dass, wenn der Zug 
an den Schultern ausgeübt wird, eine grössere Menge Luft 
in die Lungen eindringt, als wenn man den Zug an den Armen 
oder Vorderarmen ausübt. 

Prof. Heine erwähnt hierauf die Methode von Marshal 
Hall, welche er für die beste hält. Sie besteht darin, dass 
man die gestreckten Arme nach oben und dann gleichzeitig 
nach aussen und hinten führt. 

Prof. Hofmann erwähnt die Methode von Silvester, 
welche darin besteht, dsss man die Arme am Ellbogen auf- 
und über den Kopf hebt, er hält diese für die vorzüglich- 
ste, dagegen die von Bain: Vor- und Rückwärtsbewegung 
der Schultern und die von Marshall Hall, welche aber nach 
ihm in der Umwälzung des Körpers von der Rückenlage in 
die Brustlage bestehen soll, für schlechter, jedenfalls die 
Pacinische für besser. 

IV. Herr Karl von Dalla Torre hält einen Vor- 
trag über die klimatischen Verhältnisse Innsbrucks mit be- 
sonderer Rücksicht auf das Jahr 1870. 

Im Eingang seines Vortrages erwähnt Herr Dalla 
Torre, ‘dass meteorologische Beobachtungen schon seit 100 
Jahren in Innsbruck angestellt werden. 

Die Beobachtungen wurden im Jahre 1777 von Franz 
v. Zallinger zum Thurm, Priester und öffentlichem Lehrer der 
Mathematik in Innsbruck begonnen und bis zum Jahre 1829 
fortgesetzt. Die täglich um 6 Uhr Früh und 6 Uhr Abends 
angestellten Beobachtungen wurden mittelst eines Reisebaro- 
meters von Brander und eines Universalthermometers ange- 


XXII 


stellt. Die Biographie dieses Mannes nebst seinen 52jährigen 
Beobachtungen wurden vom Ausschusse des Ferdinandeum’s 
in Innsbruck herausgegeben. Vom Jahre 1829 an veröffent- 
lichte erst Prof. Suppan täglich meteorologische Beobachtungen 
im Tirolerbothen. Hierauf folgte eine Zeit, in der Beob- 
achter und leider auch Beobachtungsstunden rasch und oft 
wechselten. Seit dem Jahre 1860 leitet die Beobachtungen 
Prof. Kerner, und ausserdem befindet sich seit 1834 im 
Kloster Wilten bei Innsbruck eine Beobachtungsstation. 

Der Vortragende führte zunächst eine Tabelle der Tem- 
peratur-Curve für das Jahr 1870 nach 5taégigen Mitteln vor. 
Aus derselben geht ein rasches, entschiedenes Steigen bis zum 
Maximum, ein verzögertes, langsames Sinken bis zum O-Punkt, 
und ein wärmerer Frühling als Herbst hervor. Frosttage waren 
im Jahre 1870 115 (1869—114.), Sommertage im Jahre 1870 
40 (1869—26.) Der Sommer 1869 war also viel reicher 
an Sommertagen, als der von 1870. Trotzdem war ersterer 
im Mittel wärmer. 

Der Vortragende macht ferner aufmerksam, dass es für 
die Vegetation besonders wichtig ist, welche Summe von 
Warmegraden bis zu einer gewissen Zeit erreicht ist. Addirt 
man die über 0° stehenden Tagesmittel der verschiedenen 
Monate zusammen, so ergibt sich Folgendes: Die Wärmesumme 
betrug im Dezember 1869--2581°.2 R. im Jahre 1870 
—+2510°.0 R. Ende März betrug sie im Jahre 1869-++159°.7, 
1870-+-80°.2. Dem entsprechend blühte Pyrus communis 1869 
am 1. April, 1870 am 16. April! 

Eine zweite Tabelle, die der Vortragende vorzeigte, ver- 
glich die Barometerstände, die Bewölkungs- und Nieder- 


_ schlagsverhaltnisse mit den Mondesphasen im Jahre 1870. 


Das Barometer stieg nach dem Vollmonde immer mit Aus- 
nahme der Wintermonate, wo es nach demselben fällt. 

Mit dem Vollmond oder doch bald nach demselben kamen 
meist stärkere Niederschläge, allein fast %/, derselben fielen 
auf andere Phasen ohne Auswahl. Im Frühling, Sommer 
und Herbst folgten meist trübe Tage, im Winter heitere. 


XXIV 


Es lässt sich daher, soweit aus diesen Beobachtungen zu ent- 
nehmen, keine Regel über das Zusammenfallen von Barometer- 
und Witterungsveränderungen mit Mondesphasen ersehen, wie 
sie im Volke angenommen wird. 

Auf einer dritten Tabelle führte der Vortragende den 
Schneestand vor. Auf der Abscisse wurden die Tage und 
Monate verzeichnet, auf der Ordinate die absoluten Höhen 
von 100 zu 100 Fuss. Mittelst solcher Tabellen hatte der 
Vortragende die Schneegränze durch eine Curve verzeichnet. 

Der Schnee legte sich im Thale im Dez. 1869 an und 
blieb bis 11. Febr. 1870. Von da an zog sich die Gränze 
allmählig und unter häufigen Schwankungen zurück, und er- 
reichte den höchsten Punkt am 17. Aug. 1870, worauf das 
Vorschreiten desselben wieder schnell und höchst unregel- 
mässig vor sich ging. Am 11. Nov. waren Fluren und Wälder 
schneebedeckt. Hierauf folgte ein Nachsommer , der Schnee 
wich auf den südlichen Abhängen bis 5200’, auf den nörd- 
lichen bis 4000’ in die Höhe; Mücken summten, Spinnen 
woben und Aesculus Hypocastanum blühte zum zweitenmale. 
Am 2. Dez. war der Schnee mit einem Male wieder im Thal. 
Im Vergleiche mit früheren Jahren ergibt sich aus diesen 
Sehneecurven für jedes Jahr in Innsbruck ein Vorfrühling und 
Nachsommer. 


Schluss der Sitzung halb 9 Uhr Abends. 


XIV. Sitzung, den 8. November 1871. 


Beginn der Sitzung 7'/, Uhr Abends. 


I. Der Vorsitzende Prof. M. v. Vintschgau macht 
bekannt, dass Herr Realschulprofessor Maresch seinen Aus- 
tritt aus dem Vereine erklärt hat. 

II. Eine von Herrn Dalla Torre überreichte Abhand- 
lung wurde vom Herrn Prof. Dr. Pfaundler begutachtet 
und für die Aufnahme in die Zeitschrift empfohlen. 


XXV 


IM. Herr Prof. Hofmann meldet dem Verein den Bei-: 
tritt des Herrn Ritter von Schwind, k. k. Ministerialrathes 
in Pension. | 

IV. Herr Prof. Dr. M. v. Vintschgau führt ein neues 
Experiment vor, wodurch die Art und Weise des Schlusses 
der Atrioventricularklappen demonstrirt wird. Er zeigte zu- 
erst den Schluss der Aortenklappen durch eine in die ab- 
geschnittene Aorta eingefügte und mit Wasser gefüllte Glas- 
röhre, ferner die Art und Weise, wie Valentin den 
Schluss der Atrioventricularklappen demonstrirte, indem er 
einen der Vorhöfe öffnete und in das entsprechende arte- 
rielle Gefäss ein Rohr band, während der Ventrikel mit 
Wasser angefüllt wird. Ahmt man nun mit der Hand die 
Ventrikelcontractionen nach, so sieht man die Atrioventricu- 
Jarklappen sich schliesen, und dass Wasser in der Röhre steigen. 
Prof. Vintschgau hat diesen Versuch so abgeändert, dass er 
nach Abtragung der beiden Vorhöfe und Unterbindung der Co- 
ronar-Arterien die beiderseitigen Semilunarklappen zerstörte, 
je ein Glasrohr in die arteriellen Gefässe band, und den durch 
eine Wassersäule bewirkten Schluss der Mitralis und Tricu- 
spidalis frei zur Anschauung brachte. 

V. Herr Prof. Dr. Heine trägt vor über die nenesten 
Behandlungsmethoden der: Gelenkskrankheiten in ihrer phy- 
siologischen Bedeutung. Derselbe hebt Eingangs seines Vor- 
trages hervor, dass man die Erfolge, die man heute bei der 
Behandlung der Gelenkskrankheiten erzielt, nicht der rohen 
Empirie verdanke, sondern hauptsächlich wissenschaftlichen 
Studien über die Gelenke unter abnormen Verhältnissen, den 
pathologisch-anatomischen, histologischen Untersuchungen, und 
endlich dem Experimente. Der Vortragende will nicht von 
allen Gelenkskrankheiten sprechen, sondern vorzüglich von 
der Ent-ündung, und der aus ihr hervorgegangenen Anchy- 
lose, da die Gesichtspunkte für die Therapie derselben bei 
den meisten übrigen Gelenkskrankheiten mehr oder weniger, 
ebenfalls in Rechnung kommen können. Von jeher war das 
Hüftgelenk, als eines der freiesten und das schwerstzugängliche 


XXVI 


von allen, der Prüfstein der Methoden der Behandlung. Was 
diese nun anbelangt, so kann man nicht eben sagen, dass 
man in der neueren Zeit bloss neue Methoden erfunden habe, 
sondern im Gegentheil, dass man häufig zu den alten zu- 
rückkehrte, um sie in verbesserter Form wieder zu ver- 
wenden. 

Im Beginne dieses Jahrhunderts wurde die Gelenksent- 
zündung bloss mit dem antiphlogistischen Apparat behandelt, 
und eine Hauptrolle spielte dabei das Glüheisen. Da jedoch 
die Winkelstellungen desshalb nicht ausblieben, wandte man 
die ruhige Lagerung zur Behandlung der Entzündung an, 
und strebte Beseitigung der Winkelstellung durch Extension 
an. Man wollte durch Extension am Fusse und Contraex- 
tension am Damme die Schiefstellung des Beckens beseitigen. 
Diesem Verfahren kam man zu Hülfe durch die Durch- 
schneidung der verkürzten Muskeln und Fascien. 

Nach der Einführung der Chloroformnarkose wagte man 
sich daran, dieselbe Procedur durch Reissen subeutan mit 
einer gewissen Gewalt vorzunehmen, es entstand das brise- 
ment force oder redressement brusque. Damit suchte man 
die fehlerhafte Stellung zu beseitigen. Es galt nun die fol- 
gende Entzündung zu bekämpfen, und diess suchte man durch 
die absoluteste Ruhe, nämlich durch die unbewegliche Lage- 
rung im Gypsverband zu erreichen. Allein gerade am Hüft- 
gelenk hatte diess seine besondere Schwierigkeiten, die durch 
keinen der bisher zur Immobilisirung dieses Gelenks ange- 
wandten Gypsverbände mit einfachem Beckengürtel vollständig 
überwunden wurden. 

Der Vortragende versuchte zuerst im Jahre 1865 
einen Verband anzulegen, der ausser dem ganzen Becken 
auch das obere Drittel des gesunden Ober-Schenkels um- 
fasste, wodurch die Unbeweglichkeit vollkommen erreicht 
wurde. Diese Behandlung machte einen eigenen Appa- 
rat nothwendig, auf dem der Kranke gelagert und durch 
den sein Gelenk in der durch die Operation erzielten Stel- 
lung erhalten werden konnte. Unter den verschiedenen Ap- 


XXVII 


paraten, die angegeben wurden, leisten die wenigsten das 
Gewiinschte. Der Apparat, den Vortragender in Heidelberg 
konstruirte und durch geraume Zeit anwandte, ist im Felde 
und im Frieden an den schwersten Fallen erprobt. Der 
Apparat besteht aus drei an Verbindungsstangen gegenein- 
ander verschiebbaren Stativen, mit Fixationsplatten fir das 
Kreuz, die Kniekehle und die Ferse, an welchen diese Theile 
durch Tücher festgebunden werden. Ist eine Ein- oder Aus- 
wärtsstellung des Beines erforderlich, so kann der ganze 
Apparat in die derselben entsprechende Richtung gebracht 
werden, indem man ihn um den Fixirungspunkt der Ver- 
bindungsstange am Stativ der Beckenplatte dreht, und durch 
seitlich gerichteten Zug eines um den Vorfuss geschlungenen 
Tuches kann auch eine fehlerhafte Drehung des kranken 
Beins korrigirt werden. 

Dieser Apparat hat noch den Vorzug, dass er die Hilfe 
von Assistenten entbehrlich macht, und sich auch für andere 
Zwecke anwenden lässt. Zur Extension und Contraextension 
bei Lagerung auf dem Apparat, verwendet der Vortragende 
Heftpflasterstreifen. Andere bedeutende Chirurgen wollen nun 
die Erfahrung gemacht haben, dass das brisement force und 
der Gypsverband ihre Schuldigkeit nicht thun, und sie kehrten 
daher zur älteren Methode der Extension zurück, welche mit 
neuen Modificationen von Volkmann wieder: eingeführt wurde. 
Volkmann wurde zu dieser Umkehr noch weiter veranlasst 
durch die Beobachtung von Druckerscheinungen an den 
knöchernen Bestandtheilen entzündeter Gelenke. Bei einer 
Betheiligung der Gelenkenden an der Entzündung findet man 
nämlich in Folge von Muskelkontraktion, von Schrumpfung 
des mitentzündeten periartikulären Bindegewebes und der Ge- 
lenkkapsel, an Stellen, wo die Gelenkenden gegeneinander- 
gedrückt wurden einen Decubitus, von dem man jetzt den 
Schmerz im Gelenke ableitet. Es galt nun diesen Druck 
zu beseitigen, und dazu dient am besten dit Extensionsme- 
thode, welche dabei im Gewande einer Distractionsme- 
thode erscheint; durch diese soll auch immobilisirt und eine 


XXVIII 


vorhandene Beckenschiefstellung beseitigt werden. Volkmann 
lässt die Extension, wie die Contraextension durch Gewichte 
ausüben, wobei jedoch, die richtige Vertheilung der beiden in 
einem gegebenen Falle vorausgesetzt, immer nur die Eleva- 
tion oder die Senkung des Beckens, d. i. die Adduktions- oder 
Abductionsstellung des Oberschenkels ausgeglichen werden 
kann. Um den Zug zu seiner vollen Wirkung zu entfalten, 
soll dem Beine eine Unterlage gegeben werden, auf der es 
leicht gleitet, und der Druck des zur Extension verwandten 
Verbandstiicks, durch Vermehrung der Angriffspunkte mög- 
lichst vermindert werden. Das erreicht Volkmann durch 
seinen Schlitten-Apparat. Er gibt indessen selbst zu, dass 
eine Immobilisirung durch diese vervollkommnete Distraktions- 
methode nicht vollständig erreicht werde. Er glaubt auch, 
dass die Erhaltung eines gewissen Grades von Bewegung 
bei der Behandlung der Gelenkanchylosen geradezu wünschens- 
werth sei, indem man bei absoluter Ruhe an ganz gesunden 
Gelenken, leichte Entzündungserscheinungen, als Folge der 
Immobilisirung, auftreten sah. Der Vortragende will die Ex- 
tension durch Gewichte keineswegs verdammen, nur will er 
nicht gelten lassen, dass sie den Gypsverband überflüssig 
mache, und ebensowenig zugeben, dass diese Methode die 
Beckenschiefstellung zu beseitigen vermöge. 

Die Bewegungen des Hüftgelenkes erfolgen um 5 Axen, 
alle drei Bewegungsrichtungen kommen bei der pathognomo- 
nischen Stellung des Beines in Betracht; neben der Eleva- 
tion des Beckens, wie sie durch abnorme Adduktionsstellung 
bedingt wird, kann es sich um einen fehlerhaften Drehungs- 
und Beugungswinkel handeln, denen ebenfalls Rechnung zu 
tragen ist, was bisher nicht geschah. Volkmann mass die 
Beckenschiefstellung bloss durch einen T-förmigen Stab, dessen 
horizontaler Theil an beide spinae ilii ant. sup. angelegt 
wurde, wobei der senkrechte Theil jenes Stabes durch seine 
Abweichung von der Medianlinie den Grad der Schiefstellung 
angeben sollte. Dadurch lässt sich natürlich die fehlerhafte 
Beckenstellung nicht in allen Componenten messen. 


XXIX 


Vortragender konstruirte daher einen Massstab (Coxan- 
kylometer), der sich in einem Universalgelenke bewegt, 
das einem Kugelgelenk nachgebildet ist, und an welchem 
sich an dreierlei Bögen, die in den verschiedenen Axen vor- 
genommenen Bewegungen, durch Zeiger ablesen lassen. Eine 
Verbesserung wurde erst kürzlich an diesem Coxankylometer 
angebracht, indem statt der Halbbögen, bloss Viertelbögen 
verwendet wurden, die es möglich machen, dass das Instru- 
ment sich völlig an den Trochanter anlegt, Sobald der 
fehlerhafte Winkel gemessen ist, wird das brisement force 
angewandt, wieder gemessen um zu sehen, was erreicht wurde, 
und nun der Gypsverband angelegt. Dieser fixirt nun zwar 
in der oben angegebenen Ausführung das bei dem brisement 
force gewonnene Resultat, aber er distrahirt nicht. Man 
findet freilich den Decubitus nicht an allen erkrankten Ge- 
lenken, und daher kann man sich die Frage vorlegen, ob 
in Fällen, wo der Knochen nicht selbst von der Entzündung 
ergriffen ist, eine Distraction nöthig sei. Es lässt sich nem- 
lich nicht gut einsehen, warum der Druck den die Knochen 
bei Verkürzung der Muskeln oder Schrumpfung des Binde- 
gewebes aufeinander ausüben, so schädlich sein soll. In 
Fällen, wo die Gelenkshöhle und der Knochen nicht selbst 
affizirt sind, ist die Distraction daher gewiss unnöthig. 

Um Distraction undImmobilisirung zu verbinden, 
konstruirt der Vortragende einen Gypsverband, der über den 
Knöcheln oder oberhalb des Knie’s circular durchtrennt wird, 
so dass er aus einem oberen und unteren Stücke besteht, 
die durch eingegypste, eiserne Extensionsschienchen vermittelst 
Schrauben voneinander entfernt werden können, so dass die 
Gelenkenden des kranken Gelenkes distrahirt werden. Auf 
diese Art ist das Gelenk fixirt und distrahirt zugleich. Die 
Extension kann auf über zwei Zoll ausgedehnt werden. 

Die Immobilisirung hat in den kranken Gelenken bei 
langer Dauer gewisse Veränderungen zur Folge, als Schwel- 
lung der Synovialhaut, Auflockerung des Knorpels und Bei- 
mengung von Eiterzellen zur Synovia. Man findet in Folge 


XXX 


davon nach Abnahme langliegender Verbände, die Gelenke 
in einem gewissen Reizzustande. 

Menzel fand schon nach 12 Tagen bis zu einigen Wochen 
der Immobilisation diese Veränderungen auch an gesunden Ge- 
lenken von Hunden, nicht aber von Kaninchen. Man war 
geneigt diese Veränderungen von der zu grossen Reizung des 
Gelenkes bei den ersten Bewegungen abzuleiten. 

Fröhlich meinte die Synovia ändere ihre Zusammen- 
setzung und wirke reizend. Der Vortragende glaubt, dass 
diese Veränderungen nur durch eine Art Entzündung her- 
vorgerufen werden können, die eben wieder erklärt werden 
müsse. Er glaubt, dass das plötzliche Aufhören des Druckes 
nach Entfernung des Verbandes eine fluxionäre Hyperaemie 
der Synovialhaut setze, in Folge deren jene entzündlichen Ver- 
änderungen entstehen. 

Was leichte Anchylosirungen anbelangt die im Gyps- 
verband entstehen, so sind dieselben wie Menzel zeigte, stets ' 
nur von Schrumpfungen der Weichtheile herrührend, denn 
nach Durchtrennung derselben sind die Gelenke vollkommen 
beweglich. Dieser Anchylosirungen wegen, lässt auch der 
Vortragende vor der definitiven Abnahme den Gypsverband 
in der Gelenksgegend circulär durchtrennen, und in ver- 
schiedenen Winkelstellungen fixirbare Schienchen eingypsen. 
Durch passive Bewegungen werden die geschrumpften Weich- 
theile an der Extensions- und der Flexionsseite gedehnt, und 
die Schienchen in den extremen Stellungen fixirt. Durch 
diesen Stellungswechsel mit folgender Fixation der Gelenke 
wird jede weitere entzündliche Reizung vermieden. 

Schluss der Sitzung 8°, Uhr. 


XV. Sitzung, den 22. November 1871. 


Beginn der Sitzung 7, Uhr Abends. 
I. Herr Ministerialrath Ritter v. Schwind wird ein- 


stimmig als Mitglied aufgenommen. 
II. Der Vorsitzende theilt mehrere Tausch-Einlaufe mit: 


XXXI 


1) Med. chirurg. Rundschau, IV. Bds. 2. Heft. 

2) Bullettino della societa entomologica Italiana anno III. 
trimestre I. e I. 

3) Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt, Jahr- 
gang 1871, Bd. XXI. Nr. 3. 

Ill. Herr Josef v. Trentinaglia trägt vor über den 
Gang der Temperatur in den ostrhatischen Alpen. Das Gebiet, 
welches der Vortragende durchforschte, war bisher fast gänz- 
lich in dieser Richtung noch unbeachtet; dasselbe erstreckt 
sich von Landeck im Oberinnthale westlich durch das Patz- 
naun, Rossanna- und Stanzerthal, bis zum Arlberg; und 
zieht sich südlich bis zum Piz Albuin, der Granzspitze zwischen 
der Schweiz, Tirol und Vorarlberg. Gemessen wurden die 
Temperaturen von Luft und Wasser von 2000 bis über 
10.000 Fuss. — Nach den Gebrüdern Schlagintweit fällt 
die Temperatur bei einer Erhöhung von 166 M. — 500! 
um 1° C. Dieses Mittel wurde in den Tauern, Oetzthaler- 
und einem Theil der Schweizeralpen gefunden; es sinkt jedoch 
in der Nähe gewaltiger Schnee- und Eismassen in einer 
Höhe von 8000’ an. Eine Reihe von Messungen an ver- 
schiedenen Spitzen ausgeführt zeigte dem Vortragenden, dass 
in den Ostalpen das Mittel der Erhebung, bei der sich eine 
Temperatursabnahme um 1° ©. bemerkbar macht, in einer 
Höhe von 6000’ um 50’ (—-190’) geringer ist, als in den 
Westalpen. In einer Höhe von 8—9000’ treten in den Mitteln 
Oscillationen ein, deren Ursache dem Vortragenden unbe- 
kannt sind. 

Ein zweiter Gegenstand der Beobachtung waren Mes- 
sungen der Lufttemperatur auf und in der Nähe von Schnee- 
und Eisfeldern. Bezüglich der Temperatur in geringen Höhen 
über dem Schnee, bestätigte der Vortragende im Allgemeinen 
die Resultate der Gebrüder Schlagintweit von der Pasterze, der 
Unterschied derTemperatur betrug '/,’ über demSchnee und 6’ über 
demselben, um 8 Uhr Morgens am Jamthalergletscher 10.25 
und um 1 Uhr Mittags 2%.2, am Vermunder-Gletscher 30.3 


und 3°.6. Diese Temperatursunterschiede traten nur bei 


XXXII 


schénem Wetter auf, bei regnerischem konnte nie ein Tempe- 
ratursunterschied beobachtet werden. Die mittlere Tempe- 
ratur des Gletscherwindes stellte sich nach diesen Messungen 
des Vortragenden um 2".3 höher heraus, als die von den 
Gebriidern Schlagintweit angegebene. 

In einer Entfernung von 100 Schritten vom Gletscher 
oder Schneefelde, zeigte sich ebenfalls ein Temperatursunter- 
schied, es wurde an drei Orten ein Unterschied im Mittel 
von 1°.96 gefunden, über 100 Schritte hinaus verwischt sich 
dieser Einfluss bald. Bei Gletschern war die Temperaturs- 
erniedrigung innerhalb 100 Schritte jedoch bedeutender, als 
bei Schneefeldern, und zwar um 1°.6 C. Diess macht sich 
auch durch das Zurücktreten der Alpenflora bemerkbar. — 
Ein drittes Objekt von Messungen waren die Temperaturen 
von Quellen, Flüssen und Bächen. An dem kältesten Bache 
des Fimberthales, mass der Vortragende die Temperatur an 
der Quelle in einer Höhe von 5533’ zu verschiedenen Tages- 
zeiten, und fand sie im Maximum 19.9 C. Messungen von 
10 zu 10 Schritten, und später von 100 zu 100 ergaben 
eine unregelmässige Wärmezunahme, für die keine genügende 
Erklärung gefunden werden konnte, da der Boden durchaus 
gleichartig war, und die Lufttemperatur nur um 0%.1—1°.0 
schwankte. Mit Ausnahme einer einzigen Quelle über 8000’ 
fand der Vortragende bei einer mittleren Elevation von 5400’ 
das Mittel aus den Temperaturen der Quellen des ganzen 
Gebietes 50.72C., also um 0°.47 geringer als in den Tauern, 
während für die nördlichen Kalkalpen bei einer Höhe von 
3—6000', die mittlere Quellentemperatur 5°.3 und für die 
nördlichen Schweizeralpen 4° beträgt, woraus sich als Mittel 
für die Centralalpen 50.22 ergibt. Im Mittel sinkt die Tem- 
peratur der Quellen um 1° bei 1000’ Erhöhung. 

Auf die Temperatur der Flüsse und Bäche übergehend, 
bemerkt der Vortragende, dass an jenen Bächen, die ihren 
Ursprung Gletschern verdanken, wie Inn, Trisanna , die 
Temperatur in der Mitte des Baches um 0°.4 niedriger ist, 
als an den Rändern. 


XXXII 


Die Temperatur der grössern Bäche erhöht sich nicht 
nur durch die Insolation, sondern auch während der Nacht 
durch den Contact mit der Luft, aber im geringeren Grade, 
wie aus gleichzeitigen Messungen an der Ill, der Trisanna 
u, dgl. m., bewiesen wurde. 

Je grösser der Bach ist, und je weniger er Gletscher- 
wasser mit sich führt, desto langsamer ist seine Erwärmung 
im weiteren Verlauf, während Gletscherwasser schon nach 
wenigen Stunden eine bedeutende Zunahme zeigen. So zeigte 
der Klosterthalbach am Ursprung vom Gletscher 1° C., und 
nach 6stündigem Laufe 30.7, also 1°.7 Zunahme, der Inn 
von Tarasp bis Kufstein in einer Länge von 45 Stunden 
eine Erwärmung von 30.55, also 00.47 auf 6 Stunden. 

Von Seen sind im ganzen Gebiete nur drei kleine vor- 
handen, die der Erwähnung werth sind; der grosse Vermundsee 
hat eine Mitteltemperatur von 90,51, der kleine von 7°, 
beide sind von einem Gletscherbache durchströmt. Der Scheid- 
see, welcher von keinem Gletscher gespeist wird, hat 10°. 
Die mittlere Temperatur dieser drei Seen beträgt also 90.8, 
und zwar um 2°.8 mehr als die derer aus den Centralalpen. 
— Im Ganzen geht aus allen diesen Messungen hervor, dass 
die Temperatur der Gewässer eine viel höhere ist in den 
Westalpen, als in den Ostalpen, allein das Sommermaximum 
ist in den Westalpen viel tiefer. 


Schluss der Sitzung 8%, Uhr Abends. 


XVI. Sitzung, den 6. Dezember 1871. 


Beginn der Sitzung 7, Uhr Abends. 


I. Der Vorsitzende legt die eingelaufenen Druckschrif- 
ten vor: 

1) Leopoldina, Amtliches Organ der k. Leopoldino- 
carolinischen deutschen Akademie der Naturforscher. Heft VII 
Nr. 5, 6; 

Naturw.-med. Verein, 1871. II. Hit. 9 


XXXIV 


II. Prof. Pfaundler wird vom Vorsitzenden Prof. v. 
Vintschgau ersucht seinen Vortrag: „Ueber neue Appa- 
rate zur Herstellung sehr intensiver Lichtquellen“, halten 
zu wollen. 

Prof. Pfaundler erörterte zunächst das steigende Be- 
dürfniss nach intensiven Lichtquellen, welches durch die Ent- 
deckung des elektrischen Lichtes, desshalb nicht befriedigt 
worden ist, weil dasselbe zu theuer kommt, als dass es all- 
gemein angewendet werden könnte. Er besprach sodann die 
Entdeckung des Knallgaskalklichtes durch den engl. Marine- 
offizier Drumond und die mannigfachen Versuche, dasselbe 
als Strassenbeleuchtung einzuführen, sowie die Schwierigkei- 
ten, welche sich. dabei entgegenstellten. 

Hierauf beschrieb er das Licht von Tessie du Motay, 
welches darauf beruht, dass in die Flamme eines mit kohlen- 
stoffreichen Dämpfen beladenen Leuchtgases ein Strahl Sauer- 
stoffgas eingeführt wird. Die Vor- und Nachtheile dieses 
Verfahrens wurden ebenfalls dargelegt, und durch Experimente 
illustrirt. 

Dieser Gegenstand führte dann zur Besprechung der 
interessanten Erscheinung der sogenannten reciproken 'Flam- 
men, welche darauf beruht, dass Brennstoffe und Sauerstoff 
ihre Stelle wechseln, indem z. B. die Flamme selbst von 
letzterem gebildet wird, während die Umgebung aus Wasser- 
stoff oder Leuchtgas besteht. Der Vortragende zeigte eine 
solche Flamme vor. 

Als nächstes Beleuchtungssystem kam nun die Carbo- 
xygenlampe von Dr. D. Philipps zur Besprechung und 
Vorzeigung. Ihre Lichtstärke wurde mittelst eines Bunsen’schen 
Photometers mit der einer Stearinkerze verglichen, und circa 
90mal so stark als die der letzteren gefunden. Den Schluss 
des Vortrages ‚bildete die Beschreibung des Mallet’schen 
Verfahrens zur fabrikmässigen Darstellung -sauerstoffreicher 
Luft. 

Die zu dem Vortrage gehörenden Zeichnungen und Ta- 
bellen wurden mittelst einer Duboscy’schen Laterne, und 


XXXV 


mittelst Drumond’schen Lichtes auf eine weisse Wand projicirt, 
wodurch zugleich die Verwendung dieses Lichtes zu Demon- 
strationen ersichtlich gemacht wurde. 


XVII. Sitzung, den 20. Dezember 1871. 


Beginn der Sitzung 7'/, Uhr Abends. 


I. Der Vorsitzende H. Prof. M. v. Vintschgau theilt 
folgende Einläufe mit: 

1) Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in 
Bern aus den Jahren 1860, 61, 64, 65, 66, 67, 68, 69 
und 70. 

2) Verhandlungen der schweizerischen naturforschenden 
Gesellschaft bei ihren Versammlungen aus den Jahren 1860 
bis 1869. 

3. Lotos, Zeitschrift für Naturwissenschaften, herausge- 
geben vom naturhistor. Vereine „Lotos* in Prag, 20. Jahr- 
gang 1870. 

4) Medizinisch-chirurg. Rundschau, Dezemberheft 1871. 

5) Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt, 
Jahrgang 1870, Nr. 15. 

II. Der Vorsitzende legt das I. Heft des II. Jahrganges 
der Berichte des naturwissenschaftlich - medizinischen Ver- 
eins vor. 

Il. Der Vorsitzende verliest eine Zuschrift der Senken- 
bergischen naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt a/M., 
welche den Empfang der zum Tausche eingesandten Hefte 
der Berichte des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereins 
meldet, und sich bereit erklärt, ihren Bericht pro 1870/71 
zu senden. 

IV. Die Herren Dr. Peplar und Dr. Elsler melden 
ihren Austritt aus dem Vereine. 

V. Der Vorsitzende verliest eine Zuschrift vom Vereine 
der prakt. Aerzte Oberösterreichs, in welcher dem hiesigen 
Vereine mitgetheilt wird, dass ersterer in der General-Ver- 

9 4 


XXXVI 


sammlung am 9. Sept. 1871 beschlossen habe, eine Petition an 
den hohen Landtag zu richten, dahin lautend, dass bei Verhand- 
lungsfragen über Sanitäts- Angelegenheiten das Gutachten der 
ärztlichen Vereine eingeholt werde, ferner beim hohen Reichs- 
tage zu petitioniren, dass die ärztlichen Vereine, ähnlich wie 
die Handelskammern, durch Delegirte, die die Vereine aus 
ihrer Mitte wählen, bei dem Landtage und dem Reichsrathe 
vertreten werden. 

Herr Statthaltereirath v. Barth stellt den Antrag, dass 
diese Zuschrift des Vereines der Aerzte Oberösterreichs per 
circulandum den in Innsbruck wohnenden Mitgliedern bekannt 
gegeben werde. 

Dieser Antrag wird einstimmig angenommen. 

VI. Prof. M. v. Vintschgau macht eine kurze Mit- 
theilung über die eiweissstoffführenden Zellen der Gerstenkör- 
ner, und zeigt die betreffenden Präparate vor. Der Vortrag 
wird im Berichte des Vereines erscheinen. 

VII. Prof. A. Kerner legt dem Vereine mehrere neue Arten 
Brombeeren vor, deren Diagnosen und Beschreibungen in diesen 
Blättern erscheinen werden. Hierauf hält derselbe den nach- 
folgenden unter dem Titel: „Unter Schnee und Eis“ angekün- 
digten, von Herrn A. Zimmeter stenographirten Vortrag: 

„Ich knüpfe an einen Vortrag an, den ich hier im 
verflossenen Jahre über die Flora des Himalaja im Ver- 
gleiche zu der unserer Hochgebirge, und des arktischen Nor- 
dens gehalten habe. Ich habe damals nachgewiesen, dass 
die in botanischen Werken so sehr verbreitete Anschauung, 
dass die arktische Flora mit unserer Hochalpen-Flora, als 
nahezu identisch angesehen werden könne, ganz und gar 
unrichtig ist; es bestehen gewisse Analogien, aber es ist 
gewiss unberechtigt, diese Floren miteinander zu identificiren. 

In ähnlicher Weise ist auch die Angabe, die man so 
sehr verbreitet findet, dass die klimatischen Verhältnisse des 
hohen Nordens mit denen unserer Hochgebirge die grösste 
Aehnlichkeit besitzen, als unrichtig zu bezeichnen. 

Man kennt die klimatischen Verhältnisse des hohen Nor- 


XXXVI 


dens, wenigstens was den Sommer anbelangt, ziemlich lange, 
man weiss, dass sich der arktische Sommer dadurch aus- 
zeichnet, dass er niemals von Frösten und Schneefällen unter- 
brochen wird; in unsern Hochgebirgen aber sind bekanntlich 
Schneefälle und Fröste in den Sommermonaten eine gewöhn- 
liche Erscheinung. Im Sommer ist die Witterung bei uns 
sehr unbeständig, im arktischen Norden, wo die Sonne im 
Sommer nie untergeht, kommt es niemals mehr zu Frösten, 
wenn einmal die Mitteltemperatur des Tages über 0° ge- 
stiegen ist. 

Die Erwärmung erfolgt dann verhältnissmässig sehr rasch 
und in 8 Tagen ist gewöhnlich, nachdem einmal die Mittel- 
temperatur über 0° gestiegen ist, der Boden schneefrei; ge- 
waltige Giessbäche stürzen über den noch gefrorenen Boden 
hin, und erwärmen so die oberflächlichsten Schichten; es 
sprosst in kürzester Zeit eine üppige Vegetation hervor, und 
man zählt nicht weniger als 124 Arten von Blüthen-Pflanzen. 
Im kurzbemessenen Sommer kommen dann die Eskimo’s mit 
ihren Rennthierheerden in die nördlicheren Gebiete, und mit 
ihnen jene Mückenschwärme, die alle arktischen Reisenden als 
so ausserordentlich lästig schildern. Ueber diesen Sommer baben 
wir schon lange ziemlich genaue Aufschlüsse, weniger wusste 
man bisher über den Winter des arktischen Nordens. Wir 
haben über diesen Winter zuerst Aufschlüsse bekommen durch 
die Expedition von Kane, deren Mitglieder allerdings unfreiwillig 
2 Winterim hohenNorden zubringen mussten, dasie bekanntlich 
bei der Expedition zur Aufsuchung Franklins eingefroren waren. 
Wenn wir schon die Ausdauer bewundern müssen, mit welcher 
diese im hohen Norden eingefrorenen Männer trotz der ge- 
ringen Aussicht jemals wieder in ihre Heimath zurückzu- 
kommen, dennoch wissenschaftliche Beobachtungen machten, 
so müssen wir jedenfalls eine noch weit grössere Bewunderung 
einem Manne zollen, dessen Reise weniger im Publikum be- 
kannt geworden ist; ich meine v. Middendorf, der schon vor 
2 Dezennien von Wissensdurst getrieben eine Expedition in 
den hohen Norden allein ausführte, um dort meteorologische 


XXXVI 


und andere naturwissenschaftliche Studien auszuführen. Er 
schiffte den Taymur-Fluss entlang, und gelangte über den 
76. Grad nördl. Breite hinaus, und blieb dann unter dem 
75.9 fast den ganzen Winter im Schnee vergraben. 

Aus den Beobachtungen dieses Mannes nun entnehme 
ich folgende Daten über den arktischen Winter. Am 20. Aug. 
stand die Tagestemperatur zum ersten Male unter 0,0 Sie 
erhob sich von da an nicht mehr über den Gefrierpunkt bis 
zum 8. Juni des folgenden Jahres; schon im September zeigte 
sich eine Kälte von 19° R. (bei allen Thermometerangaben 
sind Grade nach Reaumur gemeint.). In der arktischen Winter- 
nacht fiel das Thermometer bis auf — 40°, Kane beobach- 
tete sogar — 43°.5 und Mac Clure — 47°. 

Diese Daten geben ein recht anschauliches Bild über 
die enormen Kältegrade, die im hohen Norden im Winter 
beobachtet werden. Die Menge des Schnee’s ist dabei ver- 
hältnissmässig gering. Kane beobachtete 8 Schuh Schnee- 
höhe und Middendorf erzählt, dass weite Strecken ganz 
schneefrei geblieben seien, allerdings Strecken, von welchen 
der Wind den Staubschnee in muldenförmige Vertiefungen 
hinweggepeitscht hatte. 

Vergleichen wir nun mit diesen klimatischen Verhält- 
nissen des Nordens, die klimatischen Verhältnisse unserer 
Alpenregion! Ich erwähnte schon früher, dass der Sommer 
in der Alpenregion eine äusserst unbeständige Witterung 
zeige, dass in jedem Monate Schneefälle vorkommen, Fröste 
eintreten, dass also der alpine Sommer im Vergleiche zum 
arktischen Sommer ein ungünstiger genannt werden muss. 

Man möchte nun denken, wenn schon der Sommer sich 
so ungünstig im Verhältniss zum hohen Norden zeigt, wie 
mag es sich erst im Winter ausnehmen; welche enormen 
Kältegrade mögen auf den höchsten Kuppen unserer Alpen 
im Winter herrschen? Um diese Frage aufzuhellen, unter- 
nahm es der bekannte Schweizer Gletscherforscher Dollfuss 
ein kleines Steinhäuschen auf dem Matterhorn zu einer me- 
teorologischen Station einzurichten. Es liegt dieses Häus- 


XXXIX 


chen 10564 Wiener Fuss iiber dem Meere, also 309, Fuss 
höher, als die Spitze unseres Habicht; Dollfuss bewog drei 
Männer, nämlich Melchior und Jakob Blattner aus Meyringen 
und Gorret aus Val Tournanche, ein ganzes Jahr über 
in dem Steinhäuschen zu verbleiben und meteorologische Be- 
obachtungen auszuführen. Es wurde dort täglich 11mal ab- 
gelesen und wurden die Verhältnisse des Luftdruckes, der 
Feuchtigkeit, Wärme u. s. f. auf das genaueste bestimmt. 

Was den Sommer anbelangt, so ergab sich das Resul- 
tat, dass er, wie vorauszusetzen war, eine sehr geringe Mittel- 
temperatur zeigt. Der wärmste Monat war der Juli und 
hatte eine Mitteltemperatur von + 0°.8. Ich habe mir auch 
die Temperatur desselben Monates aus arktischen Stationen 
notirt und führe dieselbe des Vergleiches wegen hier an. 
Dieselbe stellt sich in Nowaia Semlja, unter 731, Grad 
nördlicher Breite auf 4°.7 und im Renslaer Hafen in Grön- 
land unter dem 78. Grad nördlicher Breite auf + 30,9, ist 
also im arktischen Gebiete bedeutend höher, als auf dem 
Matterhorn. 

Wie sieht es nun im Winter am Matterhorn aus? Die 
Antwort hierauf geben einige Notizen, die ich aus dem me- 
teorologischen Journal der früher genannten Matterhorn- 
Beobachter entnommen habe. Sie schrieben anfangs Dezember: 
„Während eines starken Windes erwärmt die Sonne die 
Luft kaum fühlbar. Zur Zeit völliger Windstille sind die 
Sonnenstrahlen aber sehr kräftige, wärmer als in der Ebene. 
Wenn die Lufttemperatur im Schatten niedrig war, sassen wir 
im vollen Sonnenschein vor der Hütte und rauchten wie die 
Türken.* — Am 18. Dezember: „Man kann sagen, es ist ein 
wahrer Sommertag gewesen; wir haben die Röcke ausge- 
zogen, und neben uns ist der Schnee geschmolzen.” Am 
21. Dezember : „Bei einem so schönen Wintertage wird man 
hier oben ganz jung“! 

So geht es fort: die Beobachter werden nicht müde, 
ihr Erstaunen und Bewundern über die klimatischen Ver- 
hältnisse in dieser Höhe auszudrücken, 


XL 


Einige andere Daten, die von Interesse sein dürften, sind 
folgende: die Temperatur sank nur an wenigen Tagen auf 16° 
Kälte. Die tiefste im ganzen Winter beobachtete Temperatur 
war — 17°, wobei zu bemerken ist, dass diese kälteste 
Zeit erst im März eintrat, dass sich da also ein alter Er- 
fahrungssatz unserer Bauern bestätigte, dass die grösste 
Kälte vor dem Februar in den Tiefen, nach dem Februar 
aber in den Höhen sich einstellt. Uebrigens überrascht uns 
im allgemeinen diese verhältnissmässig so geringe Kälte 
von — 17°. Wir finden ja z. B. iu Genf als Minimum, das im 
Jahre 1828 beobachtet wurde — 20°; dasselbe Minimum 
in Wien im 50Oger Jahre; in Klagenfurt — 24°.5, und in 
Innsbruck am 30. Dezember 1788 — 25°. — Es wäre 
kühn zu behaupten, dass die Temperaturen, welche die Mat- 
terhorn-Beobachter notirten, als die allein massgebenden an- 
zusehen seien, und dass man von jenen einem Winter, einen 
Schluss ziehen dürfe auf alle folgenden; jedenfalls aber geht 
aus ihnen hervor, dass die Wintertemperatur in unseren 
Hochalpen weit geringer ist, als die, welche im arktischen 
Norden angetroffen wird. Es wird diess auch theilweise be- 
stätiget durch einige Daten, welche von den Mitgliedern des 
Alpine-Club gewonnen wurden, die in verschiedenen Höhen 
an geschützten Stellen Minimum - Thermometer ausgestellt 
hatten. Auch diese Thermometer zeigten nämlich, dass in 
der Regel in den Höhen von 10.000 Fuss das Minimum 
sich auf — 16° stellt, nur an einigen Punkten auf — 21°, 
Die tiefste Temperatur, die man am Stilfserjoch innerhalb 
4 Jahren beobachtete, beträgt auch nur — 23°. 

Wie mässig sind aber alle diese Kältegrade unseres 
Hochalpenwinters im Vergleiche zu jenen furchtbaren Kälte- 
graden, die im arktischen Norden auftreten, unter deren 
Einfluss die Hunde Kane’s närrisch geworden sind! 

Unsere Matterhorn-Beobachter erzählen, dass sie aller- 
dings manchmal meinten, es sei der jüngste Tag gekommen, 
besonders dann, wenn es anfıng den Hochschnee über die 
Hütte zu wirbeln. Sie waren manchmal vollständig einge- 


XLI 


schneit, dann kamen aber wieder heftige Windstösse, die den 
lockern Schnee wegfegten. 


Der Schnee in jenen höheren Regionen ist von dem Schnee, 
der in den Tiefen vorkommt, wesentlich verschieden; er ist 
nämlich staubartig; im Winter fällt dort niemals flockiger Schnee. 
Es ist auch schwierig an diesen hochgelegenen Punkten die 
Schneemenge zu messen. Man weiss nicht, was von oben 
und was von unten kommt, und man kommt mit den In- 
strumenten nicht mehr zurecht. Die Schneetiefe ist darum 
auch ausserordentlich ungleich; in den muldenförmigen Ver- 
tiefungen speichert sich der Schnee mässig auf, auf gewölbten 
Höhen bleibt er nur in geringer Menge liegen. Vor der 
Hütte lag im Durchschnitt 8 Schuh tief Schnee. Das ist 
verhältnissmässig eine geringe Schneehöhe, namentlich gering, 
wenn man die Angaben vergleicht, die wir über die Höhe 
des Schnee’s auf den Alpenpässen der Schweiz haben, z. B. 
Bernhard, Gotthard, Simplon u. s. w., wo der Schnee 5—6 
Klafter hoch sich aufschichtet. 


Ich muss es dahingestellt sein lassen, ob diese geringe 
Schneehöhe bei 10.000 Fuss auf Rechnung des Umstandes 
kommt, dass die Dunstmenge in der Atmosphäre im Winter 
dort eine geringe ist. Es ist nämlich nachgewiesen eben aus 
diesen Beobachtungen am Matterhorn, dass dort die Dunst- 
menge allerdings eine. ausserordentlich geringe ist. Es wäre 
also denkbar, dass die Matterhorn - Station in einer Region 
liegt, wo die Niederschlagsmenge schon abnimmt; soviel aber 
ist gewiss, dass in der Höhenregion von 8—9000 Fuss die 
Schneemenge eine ausserordentliche ist, nicht bloss in der 
Schweiz, sondern auch in den Gebirgen um Innsbruck. Der 
Pächter von Kühtei, eines bekannten Hofes, der am Ueber- 
gange zwischen Sellrain und Oetzthal liegt, erzählte mir, 
dass alljährlich der Schnee um das Haus herum wenig- 
stens 3 Klafter hoch liege. Um zu ebener Erde Licht zu 
bekommen, müssen die Leute Schneefänge ausschaufeln, und 
um in den etwa 20 Sehritte vom Hause entfernten Stall zu 


XLII 


kommen, graben sie sich durch den Schnee einen Tunell, der 
dann erst im März zusammenbricht. 

Es ist gerade übermorgen 10 Jahre, dass ich selbst 
eine Winter-Exkursion auf die hohe Salve ausführte, in Be- 
gleitung des hiesigen botanischen Gärtners Herrn Zimmeter 
und zweier Bauern von Brixen. Nachdem wir die Holzgränze 
überschritten hatten, war die“ Schneemenge wenigstens um 
das 3fache grösser, als sie sich im Thale gezeigt hatte. 

Wir kamen bei einer Sennhütte vorbei, und von ihr 


ragte nur der Giebel aus dem Schnee hervor. Ein Stall, der 
neben ihr sich befand, erschien uns nur als schwache Wöl- 


bung, die im Schnee kaum angedeutet war. Es wäre, wegen 
der Tiefe des Schnees, die ich dort beiläufig auf 3 Klafter 
schäzte, kaum möglich gewesen, weiter zu kommen, wenn 
nicht ein eigenthümlicher Umstand uns zu Statten gekommen 
wäre. Nach jedem Schneefalle wirkt nämlich die Insolation 
an hellen Wintertagen ausserordentlich kräftig und veran- 
lasst bald eine Krustenbildung über den Schneeschichten. 
Wenn die Insolation wochenlang anhält, so wird die Kruste 
so dick, dass sie einen ganz gut trägt. Die obersten Schich- 
ten waren nun allerdings nicht mit dieser Kruste überzogen, 
aber in einer Tiefe von anderthalb Fuss war eine bedeutende 
Kruste, in die wir nicht mehr einbrachen und in die wir 
nur mittels des Bergstockes tiefer einzudringen vermochten. 
Auf der Kuppe des Berges angekommen glaubte ich fast die 
Excursion gescheitert; wir sahen nämlich das Häuschen, das 
auf der Kuppe sich befindet, nicht. Es war ein kolossaler 
Schneehaufe davor und erst als wir auf diesen hinaufge- 
klettert waren, sahen wir, dass das Häuschen nicht ganz im 
Schnee vergraben, und dass glücklicherweise gerade der Platz 
vor der Thüre schneefrei war. Diese Schneeschichte mochte 
allerdings durch Anwehung vermehrt gewesen sein; sie be- 
trug über 4 Klafter. 

Daraus geht also hervor, dass in der Höhen-Region 
zwischen der Baumgrenze und 7—8000 Fuss die Schnee- 
masse ausserordentlich ist. 


XL 


Eine Frage, die jeden Botaniker und Zoologen gewiss 
sehr interessirt, ist die, wie sich wohl die Wärmeverhält- 
nisse, welche für die Biologie der Thiere und Pflanzen von 
grösster Wichtigkeit sind, unter diesen Schneemassen ge- 
stalten. 

Ueber diese Wärmeverhältnisse ist uns nun, was den 
arktischen Norden anlangt, durch Untersuchungen v. Midden- 
dorf’s und Kane’s eine ganze Reihe von interessanten Daten 
bekannt geworden. — Eine der wichtigsten Erscheinungen im 
hohen Norden ist jedenfalls die, dass sich von den Küsten 
des weissen Meeres bis zum ochotzkischen Meere der Boden 
bis in bedeutende Tiefen fest gefroren zeigt; es ist diess das 
sogenannte Grundeis oder unterirdische, sibirische Eis. An 
der Mündung der Petschora beträgt die Tiefe des unterirdi- 
schen Eises 50, am Ob 400 Fuss und an der Lena wurde 
sie sogar durch Bohrversuche mit 670 Fuss bestimmt. Dass 
in einem solchen Boden keine Quellen vorkommen, versteht 
sich von selbst; wenn im Frühlinge der Schnee schmilzt, 
fliesst das Wasser oberflächlich ab, aber Quellen entspringen 
dori nie. 

Es ist nun höchst interessant zu wissen, wie sich dieses 
Grundeis im Sommer verhält, ob es im Sommer aufschmilzt 
oder nicht. Trotz der verhältnissmässig nicht unbedeutenden 
Wärme, die den arktischen Sommer auszeichnet, ist die Tiefe 
bis zu der das Eis aufschmilzt eine verhältnissmässig sehr 
geringe. Middendorf fand, dass im Taymur-Lande, speziell 
am Taymursee an den günstigsten Stellen Anfangs August 
der Boden nur bis zu 14” aufgethaut war, an schattigen 
Stellen nur bis zu 2”; und in dieser aufgethauten Schichte 
wuchs doch eine üppige Vegetation! Die Wurzeln reichten 
genau so weit, als das Eis im Sommer aufthaute, und das 
Eis vergleicht v. Midderdorf mit einem Felsen, den die Wur- 
zeln nicht weiter durchdringen können. 

Von einem solchen Grundeise wissen wir in unsern 
Alpen nichts. Wir kennen Quellen noch bis zu 9000 Fuss; 
ob sie alle das ganze Jahr über fliessen, vermag ich nicht zu 


XLIV 


entscheiden, wenigsteus nicht, was die héchstgelegenen Quellen 
zwischen 8000 und 9000 Fuss anlangt; soviel aber ist ge- 
wiss, dass bei 7000 Fuss auch im Winter die Quellen noch 
lustig hervorsprudeln. 

Ich will die Parallele weiter ziehen und fragen, wie 
sich im Vergleiche zum arktischen Gebiete die Temperaturs- 
verhaltnisse des Bodens in unsern Hochgebirgen verhalten. 
Dariiber liegt bisher so gut wie gar nichts vor. Sonder- 
barer Weise wurde es auch am Matterhorn versäumt, darüber 
Beobachtungen anzustellen. 

Da nun aber gerade diese Verkällnisse für die orga- 
nische unter dem Winterschnee begrabene Welt von grösster 
Wichtigkeit sind, so habe ich es selbst unternommen, einige 
dahin abzielende Fragen zu lösen. Ich versuchte diese Lö- 
sung dadurch anzubahnen, dass einige Quellen in unsern 
Hochgebirgen um Innsbruck monatlich gemessen wurden; 
ebenso habe ich von 1000 zu 1000 Fuss Minimum-Thermo- 
meter eingegraben. Was die Quellen anlangt, so wurden 
besonders 2 auf’s Korn genommen, eine an der Nordseite 
des Hafele-Kar bei 7300 Fuss und eine zweite an der west- 
lichen Abdachung des Patscherkofels über 6000 Fuss. Was 
erstere anlangt, die durch ihre Kälte berühmte Quelle am 
Hafelekar, so stellte sich bald heraus, dass sie nicht weiter 
zu Untersuchungen zu verwenden war. Im Oktober hörte sie 
nämlich auf zu fliessen. Sie hat im Sommer nur 09.5 und der 
Umstand, dass sich in nächster Nähe Schneelager bis in den 
Hochsommer hinaus erhalten, liess mich annehmen, dass 
sie durch Schuttland abfliessendes Schneewasser sei. Sie 
musste aufgegeben werden. 

Ich muss hier einschalten, dass ich bei diesen Unter- 
suchungen mich der Beihülfe eines der Lehramtskandidaten: 
Peter Kammerer erfreute, der sich die Sache sehr angelegen 
sein liess und diese mühsamen Untersuchungen mit durch- 
führen half. Es war nun vorzüglich auf die Quelle am Patscher- 
kofel abgesehen und wurde nun die Temperatur dieser Quelle 
auch im Winter monatlich gemessen. Es stellte sich da 


XLV 


heraus, dass der Gang der Temperatur dieser Quelle von 
dem Gange den die Temperaturen der Thalquellen beobachten 
lassen, wesentlich abweicht. Die Quellen in den Thälern 
zeigen die tiefste Temperatur fast alle im März, während die 
höchste Temperatur regelmässig im September eintritt. Sowohl 
Maximum, wie Minimum waren aber beider Patscherkofelquelle 
verschoben; das Minimum trat erst nach dem Schneeschmelzen 
in der zweiten Hälfte Mai ein, und das Maximum stellte 
sich im Oktober ein. Es ist also das Maximum und Minimum 
auch nicht gleichmässig verschoben. Während bei den Thal- 
quellen die Temperatur vom März an durch 6 Monate steigt 
und eine gleiche Zeit hindurch fällt, stellt sich hier heraus, 
dass die Temperatur 5 Monate lang im Steigen und 7 Mo- 
nate im Abnehmen begriffen ist. Das Minimum in der 
2. Hälfte Mai war 2°.4, das Maximum 3°.6. 

Durch Berechnung der Angaben, welche die von 1000 zu 
1000 Fuss eingegrabenen Maximum- und Minimum-Thermo- 
meter lieferten, stellte sich auch heraus, dass die mittlere 
jährliche Bodentemperatur mit zunehmender Seehöhe in ganz 
anderem Verhältnisse abnimmt, als die mittlere jährliche Luft- 
temperatur. Ich habe die betreffenden Zahlen zusammengestellt 
und es ergab sich, dass bei einer Höhe von 3000’, für welche ich 
die Lufttemperatur mit 6°.2 bestimmte, die Bodentemperatur um 
10.5 höher war. Bei 4000’ war die Bodentemperatur 4°.8 und 
um 1°.6 höher als die Lufttemperatur derselben Höhe. Bei 
5000’ war die mittlere Bodentemperatur 4°.1 und um 2°.4 
höher als die Lufttemperatur. Bei 6000’ war sie 30.50 und 
3° höher, bei 7000 Fuss 2°.6 und 3°.6 höher als die Luft- 
temperatur der gleichen Höhe. Es stellte sich also heraus, 
dass mit zunehmender Höhe die Bodentemperatur verhält- 
nissmässig weit höher ist als die Lufttemperatur. — Die 
Minimum-Thermometer gaben auch darüber Aufschluss: wie 
tief der Boden in der Hochalpen-Region gefriert. Es stellte 
sich heraus, dass in der Seehöhe von 6—7000 Fuss der- 
selbe nicht tiefer als 60 Centimeter, also nahezu 2 Fuss 
einfriert. In der Tiefe von 1 Fuss zeigte das Minimum- 


XLVI 


Thermometer in der Höhe von 7000 Fuss — 59.3; in der 
Tiefe von 65 Centimeter, also circa 2 Fuss zeigte dort das- 
selbe dagegen 0°.1 Hier war also der Boden nicht mehr 
gefroren und man kann also im Mittel etwa 60 Centi- 
meter als die Tiefe aunehmen, in welcher in einer Höhe von 
7000 Fuss bei uns der Boden einfriert. 

Für die Pflanzenwelt ist das von grosser Wichtigkeit. 
Ich habe Bestimmungen vorgenommen über die Länge der 
Wurzeln unserer Alpenpflanzen; die tiefstgehenden Wurzeln 
zeigen einige Alsineen, deren Länge ich = '% Meter, d. i. 
also 114 Fuss fand. Daraus ergibt sich, wenn wir diess zu- 
sammenhalten mit der Tiefe, bis zu welcher der Boden einfriert, 
dass unsere Alpenpflanzen „von der Wurzel bis zum Gipfel“ 
im Verlaufe des Winters vollständig gefrieren müssen. 

Es gibt mir das auch Veranlassung über das Gefrieren 
der Pflanzen einige Bemerkungen zu machen. Man hat in 
früheren Zeiten gemeint, dass die Pflanzen eine gewisse 
Eigenwärme haben, mit deren Hilfe sie dem Einflusse der 
Kälte zu widerstehen im Stande seien. Diese Idee ist längst 
aufgegeben worden. Man hat gefunden, dass in der That 
die Pflanzen, wenn sie einer gewissen Temperatur unter 0° 
ausgesetzt sind, vollständig gefrieren. Es fragt sich also, 
ob sie dabei auch erfrieren, d. h. ob sie durch das Ge- 
frieren getödtet werden. Die ersten Untersuchungen, die 
darüber angestellt wurden, verdanken wir einem Franzosen 
Senebier. Er sagte, es friere der Zellsaft gerade so, wie 
das Wasser in einer Glasflasche, er dehne sich dann ent- 
sprechend dem bekannten Verhältnisse bei dem Gefrieren 
aus und es werde dadurch die Zellhaut gerade so gesprengt, 
wie die Glasflasche. Dadurch würde die Pflanze nicht mehr 
im Stande sein, weiter zu vegetiren. — Das wurde durch 
eine geraume Zeit von Jahren fest geglaubt; es fiel keinem 
ein, weitere Untersuchungen zu machen. Erst in den Drei- 
siger Jahren wurden von Göppert einschlägige Untersuehungen 
wieder in Angriff! genommen. 

Géppert wies nach, dass von einem solchen Zerreissen 


XLVI 


nichts zu sehen sei, dass die Zellhaut nicht zerrissen werde. 
Er fand, dass gewisse Pflanzen allerdings vernichtet werden, 
andere dagegen nicht. Damals spuckten aber noch die natur- 
philosophischen Ideen in den Köpfen der Naturforscher und 
Göppert erklärte sich dieses „Getödtet werden“ der Pflanzen 
so, dass er sagte, es werde die „Lebenskraft* zuerst ge- 
tödtet und in Folge dieser Vernichtung der Lebenskraft tre- 
ten dann die chemischen Prozesse der Verwesung in ihre 
Rechte. 

Im Jahre 1857 erschien eine fleisige Arbeit des Giessner 
Professors Hoffmann über dasselbe Thema; auch er wies 
nach, dass ein Zerreissen der Zellhäute nicht stattfinde, er- 
klärte aber die ganze Erscheinung in der Weise, dass er 
annahm, die Zellhaut habe eine gewisse Elastizität, die für 
jede Pflanzenart eine bestimmte sei. Diese Elastizität könne 
nun überschritten werden, die Zellen können über ein ge- 
wisses Maass ausgedehnt werden und dann höre die Elastizität 
auf, ähnlich so wie an einem Kautschuk, den man über ein 
gewisses Maass hinaus zerrt und der dann in dieser Lage 
verbleibt. 

In neuester Zeit nun hat man die Frage neuerlich in 
Angriff genommen; besonders war es Professor Sachs, der 
das Gefrieren auf das sorgfältigste studierte. Ich will nicht 
zu weitschweifig werden und beschränke mich darauf hervor- 
zuheben, dass es nach seinen Untersuchungen Störungen der 
Molekular-Verhältnisse der Pflanzen-Zellen sind, die da mass- 
gebend werden. 

Die einzelnen Moleküle müssen wir uns mit Wasser- 
hüllen umgeben denken und dieses Wasser wird durch das 
Gefrieren affizirt, es gefriert, es wird von den festen Theilen 
getrennt, und es frägt sich, ob das Aufthauen langsam oder 
rasch erfolgt. Erfolgt es langsam, dann kann das Wasser 
ebenso langsam, wie es früher auskristallisirte, sich wieder 
mit den festen Theilen verbinden; wenn das Aufthauen aber 
sehr rasch geschieht, so fliesst Wasser in die Intercellular- 
räume ab, es können sich dann die normalen Imbibitions- 


XLVI 


verhältnisse und Spannungsverhältnisse nicht wieder her- 
stellen und die Pflanze geht zu Grunde. Dadurch erklärt 
sich, dass es gelingt, Pflanzen, die langsam aufthauen, zu 
retten, während rasch aufthauende zu Grunde gehen. 

Es kommt nun noch die Frage in Betracht, wie sich 
die Thiere bei dieser Temperatur im der Alpenregion verhalten 
mögen. Ich habe vor einigen Jahren Untersuchungen über 
eine Alge angestellt, nämlich über Haematococcus pluvialis, 
der sich besonders häufig in den kleinen Marmorbecken der 
Denkmäler auf unseren Friedhöfen findet. In diesen Marmor- 
becken sammelt sich Wasser, das im Herbste bis auf den Grund 
gefriert. Ich nahm solches Eis mit nach Hause, liess es 
aufthauen und die Algen hatten nicht gelitten. Neben diesen 
Algen fanden sich aber auch kleine Räderthierchen , beson- 
ders eines, das bei uns häufig vorkommt, Roseola alpina. 
Dieses Räderthierchen liess, kaum aufgethaut, seine Räder 
wieder lustig spielen, hatte also durch das Einfrieren nicht 


gelitten. Ebensowenig leiden Schnecken durch’s Gefrieren. 


Herr Gremblich, ein anwesendes Mitglied unseres Vereines 
hat Schnecken aus dem gefrorenen Boden ausgegraben und 
die Temperatur an dieser Stelle, wo sie sich durch lange 
Zeit befunden hatten, gemessen, welche 4—5° unter 0 be- 
trug, er hat sie dann erwärmt, und sie deckelten sich in 
kürzester Zeit ab, und zeigten sich alle lebend. 

Nicht weniger als 23 Arten wurden untersucht und 
nachgewiesen, dass sie alle sofort lebten. — Im verflossenen 
Sommer besuchte ich einen der Gipfel der Stubaiergruppe, 
den Feuerstein, der mitten aus dem Stubaier-Eismeer empor- 
ragt. Dort fand ich mehrere Spinnen, die jedenfalls im 
Winter die Reise in die Tiefe nicht antreten können, die 
also oben gewiss überwintern, die auch nicht die Fähigkeit 
haben in bedeutende Tiefen sich einzugraben, also gewiss den 
langen Winter über gefroren bleiben, und dennoch nicht zu 
Grunde gehen. Ein anderer Beobachter O. F. Müller erzählt, 
dass er einige Käfer: Ditiscus-Arten gefrieren liess; nach dem 
Aufthauen schwammen sie lustig im Wasser wieder umher, 


XLIX 


Dass Fische gefrieren können, wird von zahlreichen Beob- 
achtern behauptet: ich erwähne davon Rudolphi, Pallas, Otto, 
Fabricius. Sie behaupten, dass Fische wochenlang gefroren 
sein kénnen, ohne desswegen zu Grunde zu gehen. 

Amschel liess 40 Frösche gefrieren und sie dann langsam 
aufthauen, und 38 waren am Leben geblieben. — Dass warm- 
blütige Thiere durch Gefrieren zu Grunde gehen, ist eine be- 
kannte Sache. Die Murmelthiere in unserer Hochalpenregion 
halten einen Winterschlaf, aber in einer Tiefe, in welcher 
es nie mehr einfriert. Die Tiefe der Kammern, wo sie über- 
wintern, beträgt 4—5 Schuh und die Temperatur ist dort 
jedenfalls über 0°. 

Ich möchte zum Schlusse nur noch die Frage auf- 
werfen: wie es sich mit den Pflanzen und Thieren verhalten 
möge, die durch lange Zeit, nicht bloss durch 1 Jahr, son- 
dern durch mehrere Jahre unter Schnee und Eis vergraben 
bleiben. — Dass der Frost ihnen nicht schade, dass sie 
vollständig gefrieren können, und dann wieder aufthauen und 
weiter leben, unterliegt keinem Zweifel. Es frägt sich aber, 
wie es sich mit Pflanzen und Thieren verhalte, die mehrere 
Jahre unter der Schneedecke begraben liegen. 

Ich erwähne hier zunächst einer einschlägigen ganz 
merkwürdigen Mittheilung Demidoffs. Er erzählt, dass er 
eine Partie von Pflanzen nach Russland geschickt erhielt 
und darunter auch einen Pack von Obstbäumen, die 
durch Zufall in einen Eiskeller geriethen, und dort durch 
21 Monate vergessen worden waren. Man glaubte natür- 
lich, dass sie zu Grunde gegangen seien. Demidoff aber, 
der selbe von A. Thouin erhielt, bemerkt, dass sie aussahen, 
als wens sie erst kürzlich aus dem Boden ausgegraben wor- 
den wären, und er liess sie daher auch einsetzen, und siehe 
da, sie wuchsen alle kräftig an! 

Ich schalte noch eine Beobachtung ein, die ich selbst 
machte. Vor 2 Jahren besuchte ich die Tarnthaler Köpfe 
im Hintergrunde des Navisthales im Osten des Brenner. Es 
war verhältnissmässig ein sehr warmer Sommer und der 

Naturw.-med. Verein. 10 


L 


Führer drückte seine Verwunderung darüber aus, dass der 
Schnee in einer Mulde in einer gewissen Höhe vollständig 
weggeschmolzen war, nachdem er dort, wie er sagte, 3 Jahre 
lang gelegen hatte. In diesem Sommer war er aber abge- 
schmolzen und hier fand ich nun eine Anzahl lebender Pflan- 
zen, nämlich Polytrichum sexangulare, Weissia crispula, 
Dicranum Starkii, mehrere Bryum- Arten, Peltigera crocea, | 
Sibbaldia procumbens, Soldanella pusilla und Salix herbacea, 
letztere in schönster Blüthe. Sie waren also durch 3 Jahre 
unter Schnee und Eis vergraben gewesen und hatten nicht 
aufgehört zu leben! 

Es taucht uns da unwillkürlich die Frage auf, wie es 
denn sein möchte, wenn sie noch längere Zeit unter Schnee 
und Eis vergraben blieben. Im erstarrten Zustande sind sie 
vor der Verwesung geschützt und wenn sie 3 Jahre unter 
Schnee und Eis vergraben, die Fähigkeit zu vegetiren erhiel- 
ten, so ist ebensogut anzunehmen, dass sie auch durch: De- 
zennien sich lebend erhalten können. — Es wäre sehr interes- 
sant Untersuchungen hierüber anzustellen. Vielleicht liesse 
sich in unserer Gletscherregion ein derartiger Versuch aus- 
führen und experimentell ermitteln: wie lange Pflanzen unter 
Schnee und Eis begraben sein können, ohne dadurch zu 
Grunde zu gehen.“ 


Ueber 
die Zählung der Herzschläge 


bei 
physiologischen Versuchen über den Vagus und den 
Sympathicus 
von 


G. P. Vlacovich, und M. Vintschgau, 
Prof. der Anatomie an der Univer- Prof. derPhysiologie an der Univer- 
sität zu Padua sität zu Innsbruck 
aus der italienischen Abhandlung im Auszuge mitgetheilt 
von 


M. Vintschgau. 


In den folgenden Zeilen will ich einen kurzen Auszug 
einer Arbeit wiedergeben, welche gemeinschaftlich mit meinem 
ehemaligen Collegen G. P. Vlacovich in Padua unternommen 
wurde. Die Originalarbeit ist in italienischer Sprache unter 
dem Titel: Della numerazione dei battiti cardiaci nelle 
ricerche fisiologiche sul vago e sul simpatico per G. P. 
Vlacovich, Prof. di Anatomia nell’ Universita di Padova 
e M. Vintschgau, Prof. di Fisiologia nell Universita 
d’ Innsbruck in den Atti del r. Istituto veneto di scienze 
lettere ed arti erschienen. 

Obwohl vor mehreren Jahren begonnen, konnten die 
Untersuchungen doch, in Folge von Umständen aller Art, 
insonderheit aber in Folge der Entfernung, die uns seit dem 
Jahre 1866 trennt, erst vor Kurzem zur Veröffentlichung ge- 

10% 


u ON) seh 


langen; sie sind eigentlich als Vorstudien einer längeren Unter- 
suchung über die Wirkung des Vagus und des Sympathicus 
auf die Herzbewegungen anzusehen. Der Inhalt derselben 
bildet aber fiir sich ein abgeschlossenes Ganzes, wenn auch 
hie und da sich noch einige Liicken finden, die wir in Folge 
des erwähnten Umstandes auszufüllen nicht in der Lage 
waren. 

Wir waren bestrebt, fiir jene Versuche, bei welchen man 
die Wirkung des Vagus und des Sympathicus auf die Fre- 
quenz der Herzschläge ermitteln will, eine Methode ausfindig 
zu machen, welche gestattet ihre Zahl auch bei jenen Thieren, 
denen ein sehr häufiger Pulsschlag eigen ist, am Ende einer 
jeden beliebigen Zeiteinheit auf eine genaue, einfache, leichte, 
rasche Weise und ohne nennenswerthe Beeinträchtigung der 
physiologischen Functionen des der Untersuchung unterworfenen 
Thieres zu erfahren. 

Dass die Zählungsmethode die zuletzt erwähnte Eigen- 
schaft haben müsse, ist selbstverständlich, wie auch, dass 
dieselbe sich einer strengen Genauigkeit zu erfreuen habe, 
dagegen wird es nicht überflüssig sein, über die übrigen eben 
angeführten Eigenschaften eine kurze Erörterung zu geben. 

Von einer einfachen Methode fordern wir, dass sie ohne 
sehr komplizirte Vorrichtungen anwendbar sei, so dass nicht 
bloss die Erlernung ihrer Gebrauchsweise sich einfach ge- 
stalte, sondern dass auch zugleich dadurch das Eintreten jener 
Störungen in der Thätigkeit der angewendeten Apparate ver- 
mindert werde, welche den Gang des Versuches verzögern 
können. 

Wir nennen sie eine leichte, wenn bei der Zählung die 
Sinnesorgane und die Aufmerksamkeit nicht fortwährend an- 
gestrengt werden, indem in solchem Falle entweder die Er- 
müdung zu Fehlern Veranlassung gibt, oder wenn man. die 
erforderlichen Erholungsperioden einschaltet, die Dauer des 
Versuches bedeutend verlängert werden müsste, und letzterer 
Umstand allein im Stande ist, die Frequenz der Herzschläge 
zu beeinträchtigen. 


ee QQ ae 


Unter Raschheit verstehen wir die Möglichkeit, dass der 
Beobachter am Ende jeder Zeiteinheit schnell die Zahl der. 
Pulsschläge erfabre, um eben den erwähnten Uebelstand 
zu vermeiden, wie es auch, was besonders zu betonen ist, 
zur Erreichung einer Vermehrung der Herzschläge durch 
schwache Reizung des Vagus, nach den Angaben Schiff’s und 
Moleschott’s, nothwendig ist die Stromstärke nicht bloss nach 
der Thiergattung und nach der Individualität des Thieres zu 
reguliren, sondern sie auch bei zwei sich folgenden Reizungen 
im Verlaufe eines Versuches abzuändern. 


Alle Methoden, die man zur Ermittelung der Pulsfre- 
quenz anwenden kann, lassen sich, sobald man von der be- 
sonderen Art der vorzunehmenden Versuche absieht, in zwei 
grosse Abtheilungen unterbringen; die erste enthält alle jene 
Methoden, bei weichen irgend ein Instrument, oder irgend 
ein mechanisches Hilfsmittel zur Anwendung kommt; die 
zweite dagegen jene, bei welchen weder ein Instrument, noch 
ein mechanisches Hilfsmittel angewendet wird. 

In die erste Abtheilung sind einzureihen: 

1) Die Auscultation der Herzschläge mittelst des Sthe- 
toskops. 

2) Die Beobachtung der Bewegungen einer in das Herz 
eingestochenen Nadel. Diese Methode nennen wir kurzweg 
die Methode der Herznadel. 

3) Die graphische Methode. 

4) Jene, welche von uns die Methode der mechanischen 
Zählung genannt wurde, und die darin besteht, dass die 
Herznadel mit einer die Bewegung der Nadel notirenden 
mechanischen Vorrichtung verbunden wird. 

Zur zweiten Abtheilung dagegen gehören folgende Me- 

thoden: 
| 5) Die Zählung der Pulsschläge einer oberflächlich lie- 
genden Arterie. . 

6) Die Zählung der Herzschläge, welche durch die auf 

die Herzgegend aufgelegte Hand wahrgenommen werden. 


a WOO ee 


7) Die Zählung der Pulsschläge des blossgelegten Her- 
zens, oder einer blossgelegten Arterie. 

In den vorliegenden Untersuchungen wurden alle Zäh- 
lungsmethoden der Herzschläge einer näheren Prüfung oder 
wenigstens einer eingehenden Betrachtung unterworfen. 


Nach unserem Ermessen ist die Methode der mechani- 
schen Zählung die genaueste und darum fiel auf sie die Wahl, 
um mit ihr alle anderen zu vergleichen und zu prüfen. Zu 
ihrer Würdigung wollen wir vor Allem die von uns in An- 
wendung gezogene mechanische Vorrichtung beschreiben. !) 

In einen elektrischen Kreis sind folgende Theile einge- 
schaltet : 

1) Ein metallischer Hebel; ein Ende desselben steht 
durch einen Seidenfaden mit einer in das Herz eingestochenen 
Nadel in Verbindung, das andere nach abwärts umgebogene 
Ende kann in ein mit Quecksilber gefülltes Näpfchen tauchen. 
Dieses umgebogene Ende nennen wir kurzweg Schnabel. Der 
Hebel folgt den Bewegungen der Nadel und schliesst oder 
öffnet den elektrischen Kreis je nachdem der Schnabel in 
das Quecksilber taucht oder nicht. 

2) Ein Apparat, der die Nadelbewegungen registrirt; 
als solchen kann man den Morse’chen Schreibapparat, oder 
ein elektrisches Zählerwerk anwenden. 

3) Eine Pendeluhr, welche automatisch mit Beginn der 
für die Zählung der Herzschläge bestimmten Zeiteinheit den 
elektrischen Kreis schliesst, und ihn am Ende derselben Zeit- 
einheit ebenso unterbricht. 

Hinsichtlich der genauen Details der einzelnen Apparate, 
müssen wir auf unsere italienische Schrift verweisen: wir 
geben hier daraus das Wichtigste wieder. 

1) Das Kaninchen wird auf die gewöhnliche Weise auf 


1) Eine kurze Beschreiking des Apparates wurde von uns vor 
mehreren Jahren veröffentlicht. $S. Sitzungsberichte der k. Akad. in 
Wien Bd. L. 8. 418--427. 


An 
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+0 


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ein Brett befestigt. (Der von Czermak angegebene Kaninchen- 
Kopfhalter, der uns ausgezeichnete Dienste geleistet hätte, 
war zur Zeit als wir unsere Versuche vornahmen, nicht 
bekannt.) 

2) Die Herznadel hat eine Länge von 70 Mm. und ein 
Gewicht von 30.6 Ctgr.; es leisteten uns aber auch leichtere 
und kürzere Nadeln denselben Dienst. — Die Nadel wird durch 
den dritten Intercostalraum nicht weit vom Brustbein, ohne 
dass vorher die Haut gespalten wird, in das Herz einge- 
stochen. Man trifft für gewöhnlich einen Punkt näher der 
Basis als der Spitze des Herzens. 

Die Nadelschwingungen müssen eine Amplitude von 
wenigstens 3—4 Mm. haben, wenn der Hebel regelmässig 
funktioniren soll; ferner muss man dafür sorgen, dass die 
Gleichförmigkeit der .Nadelschwingungen durch die Respi- 
rationsbewegungen nicht beträchtlich gestört werde. Diese 
Störungen kommen bei Kaninchen nicht sehr häufig vor, 
wohl aber bei anderen Thieren, so dass für die letzteren 
unsere Hebelvorrichtung nicht anwendbar ist. !) 

Es sei hier bemerkt, dass wenn auch in vielen Fällen 
die Schwingungen der Nadel in einer vertikalen Ebene statt- 
finden, es doch nicht selten geschieht, dass dieselben eine 
mehr oder weniger elliptische Bahn beschreiben; diese rota- 
torischen Bewegungen der Nadel üben jedoch keinen Einfluss 
auf jene des Hebels, da dieser nur in einer senkrechten Ebene 
schwingen kann. 

Während der Dauer eines Herzschlages macht die in 
das Herz eingestochene Nadel zwei einander entgegengesetzte 
Schwingungen, die eine nennen wir systolisch oder cephalisch, 
die andere dagegen diastolisch oder abdominal. 

3) Der Hebel besteht aus dünnem Kupferdraht, (Durch- 
messer ungefähr '/, Mm.), besitzt ein Gewicht von 27 Ctgr. 


1) In diesen Fällen lässt sich mit Erfolg der elektrische Doppel- 
hebel von Czermak, über welchen erst jüngst von seinem Erfinder eine ge- 
naue Beschreibung gegeben wurde, anwenden. Note von M. Vintschgau. 


en VG) me 


und eine Länge von 13 Ctm. (ohne den Sehnabel.). Das 
Verhältniss zwischen beiden Hebelarmen ist wie 1: 3-4. 

Der kürzere Hebelarm steht, wie schon oben erwähnt 
wurde, durch einen Seidenfaden in Verbindung mit der Herz- 
nadel, der längere dagegen kann mit dem Schnabel in das Queck- 
silbernäpfchen eintauchen. Nun ist der Hebel einerseits und 
das Quebksilbernäpfchen anderseits mit den Leitungsdrähten 
verbunden, während deren Träger die Feststellung der Vor- 
richtungen in jeder beliebigen Richtung im Raume erlauben, 
so dass es leicht möglich ist, jene Lage des Hebels zu fin- 
den, in welcher derselbe genau den Bewegungen der Nadel 
folgt. 

Zu jeder Nadelschwingung gesellt sich eines der beiden 
Bewegungsstadien des Hebels nämlich bei der Cephalbewegung 
der Nadel das aufsteigende, bei der abdominalen dagegen das 
absteigende Stadium. 

Bei beiaen Bewegungsstadien des Hebels lassen sich zwei 
Abschnitte unterscheiden, nämlich jener des Ein- und jener 
des Austauchens aus dem Quecksilbernäpfchen. 

Der Hebel funktionirt ganz gut, wenn er mit dem 
Horizont einen Winkel von ungefähr 15°—20° bildet, so 
zwar, dass der freie längere Arm tiefer steht; wenn ferner der 
Seidenfaden sowohl mit der Nadel, als auch mit dem Hebel 
einen nach dem Abdomen des Thieres offenen stumpfen Winkel 
bildet, und wenn endlich Nadel, Faden und Hebel sc gut als 
möglich sich in einer Ebene befinden. 

Die Bewegungen des Hebels sollen ziemlich ausgiebig 
und so geregelt sein, dass sie nicht bloss ein treues Bild 
der Nadelbewegungen seien, sondern es muss jede Hebel- 
schwingung ganz deutlich beide Phasen des Ein- und des 
Austauchens durchmachen: da aber die letzteren nicht alle 
eine vollkommen gleiche Amplitude haben, so ist es, um 
diesen kleinen Ungleichmässigkeiten wenigstens theilweise vor- 
zubeugen, zweckmässig, dass der Hebelschnabel den Boden 
des Quecksilbernäpfchens erreiche, noch bevor die Nadel ihre 
Abdominalschwingung vollendet hat; wobei man noch den 


gg os 


Vortheil hat, dass die Nadel sowohl am Ende der Abdo- 
minal- als auch im Beginne der Cephal-Schwingung etwas 
entlastet wird. | 

Diese wenigen Ardeutungen über die Einrichtungen, 
welche in der Original-Arbeit eine ausführliche Schilderung 
erfuhren, sind hinreichend, um dem bis jetzt beschriebenen 
Theile des Apparates die zweckentsprechende Lage zu geben; 
und wir wollen nur noch schliesslich erwähnen, dass unsere 
Vorrichtung sich auch bei Kaninchen anwenden lässt, die 
sich in ihrer gewöhnlichen Stellung befinden. Zu diesem 
Zwecke genügt es, wenn das Brettchen, auf dem das Kanin- 
chen aufruht, eine hinreichend grosse Oeffnung besitzt, durch 
welche die Nadel hindurchgeht und ihre Schwingungen leicht 
ausführt. Die Abänderungen in der Lagerung der übrigen 
Theile des Apparates ergeben sich von selbst. 

4) Um die Zahl der Herzschläge zu registriren oder 
was dasselbe ist, um die Zahl der durch die Hebelbewe- 
gungen verursachten Stromunterbrechungen zu notiren, be- 
dienten wir uns anfangs des Schreibapparates von Morse. 
Da aber die Zählung der auf dem Papier verzeichneten Punkte 
zu viel Zeit in Anspruch nahm, bedienten wir uns später 
eines elektrischen Zählerwerkes, durch dessen Einrichtung wir 
sofort am Ende jeder Zeiteinheit über die Zahl der Puls- 
schläge genaue Auskunft erhalten konnten. 

Eine Beschreibung der Einrichtung des Zählerwerkes ist 
nicht nöthig, da ähnliche Vorrichtungen zu verschiedenen phy- 
sikalischen Zwecken in Verwendung sind; es genüge die 
Bemerkung, dass ein Assistent die Aufgabe hat die Zahl 
zu notiren, von welcher der Zeiger bei Beginn der Zeitein- 
heit ausgeht, und bei der er am Ende derselben stehen bleibt, 
um dann bei Berücksichtigung der Zahl der vollendeten ganzen 
Umdrehungen, durch kurze Berechnung die Anzahl der inner- 
halb der Zeiteinheit stattgefundenen Unterbrechungen zu finden. 
Zu den Notirungen reicht die Zeit einer Sekunde zu, so dass 
zwischen zwei Beobachtungen eine Unterbrechungszeit von 
wenigstens einer Sekunde einzuschalten ist. 


BER TC ER 


Da die Angabe des Beginnes und des Endes der Zeit- 
einheit mittelst eines verabredeten Zeichens durch einen As- 
sistenten, der eine gewöhnliche Sekundenuhr beobachtet, häufig 
nicht ganz richtig ist, und die Möglichkeit vorliegt, bei zwei 
unmittelbar sich. folgenden Beobachtungen einen Fehler von 
einer Sekunde zu begehen, selbst dann, wenn der Maximal- 
werth der einzelnen Zeichenfehler 1/, S. nicht übersteigen 
sollte, so haben wir eine Sekundenpendeluhr in den elek- 
trischen Kreis eingeschaltet, welche die eben bezeichnete Auf- 
gabe automatisch löst, und dadurch einen zu diesem Zwecke 
verwendeten Assistenten entbehrlich macht. 

Das Sekundenpendel, welches durch Gewichte in 
Schwingung erhalten wird, bewegt ein gezähntes Rad mit 
31 (statt mit 30) Zähnen, so dass das Rad eine volle Um- 
drehung in dem Zeitraume von 62 Sekunden vollendet. Die 
Axe des Rades steht mit einem Ende des elektrischen Kreises 
in leitender Verbindung. Dieselbe Axe trägt einen niedrigen 
metallischen Cylinder, welcher, weil er mit der ersteren fest 
verbunden ist, eine volle Umdrehung ebenfalls in 62 Sekunden 
vollendet. 1) 

Die Mantelfläche dieses niedrigen Cylinders ist in zwei mit 
einander parallele und gleich grosse Zonen getheilt, eine vor- 
dere und eine ‘hintere. — Denkt man sich nun jede Zone in 
62 gleiche Theile eingetheilt, so entspricht selbstverständlich 
jeder Theil genau einer Sekunde. — An jenen zwei Theilen 
der vorderen Zone, welche der 61. und 62. Sekunden ent- 
sprechen, ist nun eine nicht leitende Substanz eingeschaltet, 
wodurch der Strom durch volle 2 Sekunden unterbrochen 
bleibt, diese Unterbrechung beginnt genau in dem Moment, 


1) In der italienischen Abhandlung S. 24 des Separatabdruckes 
(S. 1572 Atti del r. Istituto veneto di scienze lettere ed arti Bd. XVI. 
Serie III) findet sich durch Versehen angegeben, dass das gezähnte 
Rad 62 Zähne statt 60 besitzt. Es soll dagegen heissen, dass das ge- 
zähnte Rad 31 statt 30 Zähne besitzt. Eine gleiche Correctur muss 
auch S. 28 des Separatabdruckes (8.1576 Atti etc.) vorgenommen werden. 


RR EN 


in welchem das Pendel 60 Schwingungen eben vollendet hat, 
dauert durch die zwei nächstfolgenden Schwingungen fort, 
und hört in dem Moment auf, in welchem das Pendel die 
63. Schwingung beginnt, nämlich jene Schwingung, welche 
der ersten Sekunde der nächstfolgenden Zeiteinheit entspricht. 
— In der hintern Zone ist die nichtleitende Substanz anders 
vertheilt, es findet nämlich in der dem 31. Theile entspre- 
chenden Stelle die erste, in der dem 62. entsprechenden die 
zweite Unterbrechung statt, so dass bei der Anwendung dieser 
zweiten Zone die Zeiteinheit einer Beobachtung bloss 30 Se- 
kunden, das Intervall zweier Beobachtungen eine Sekunde, 
dagegen bei Anwendung der vordern Zone die. Zeiteinheit 
einer Beobachtung 60 Sekunden und das Intervall 2 Sekunden 
beträgt. Man begreift nun leicht, warum das gezähnte Rad 
31 Zähne haben musste, und warum auch das Zifferblatt 
in 62 gleiche Theile eingetheilt wurde. 

Es bliebe nun weiter zu beschreiben wie der Conductor 
beschaffen sein soll, welcher die Aufgabe hat, den zweiten 
Leitungsdraht mit der Mantelfläche des Cylinders in Berührung 
zu bringen, und zugleich auch dem Experimentator es még- 
lich macht, die Verbindung auf der vorderen oder auf der 
hinteren Zone zu vermitteln. “Es lässt sich diess natürlich 
auf sehr verschiedene Weise bewerkstelligen, und wir müssen 
für die von uns angewendete Art auf unsere italienische Ab- 
handlung verweisen, da eine gedrängte Beschreibung unver- 
ständlich ausfallen würde. 

Folgende Bemerkung können wir hier nicht: übergehen. 
Die Einschaltung der Pendeluhr in den elektrischen Kreis, 
in welchem sich auch der Hebel befindet, ‘bedingt eine be- 
sondere Unzukömmlichkeit; sobald nämlich durch Bewegungen 
des Kaninchens oder durch eine andere Ursache eine Unter- 


brechung in einer Beobachtung eintritt, so geht diese natür- 
lich verloren, und ausserdem muss man mit dem Beginne 


der nächstfolgenden so lange warten, bis die Pendeluhr den 
Anfang der Zeiteinheit anzeigt; es wäre vielleicht möglich, 
diesen Uebelstand zu beseitigen, da jedoch die Nothwendigkeit 


ek ROB. ee 


nicht vorlag, so haben wir uns in dieser Richtung keine 
weitere Mühe gegeben. 

Sobald man die eben beschriebenen Vorrichtungen während 
der Reizung des Vagus oder des Sympathicus bei Kaninchen 
anwendet, so ist neben dem Experimentator bloss ein Assistent 
"nothwendig. Der Experimentator kann die Reizung der Nerven 
reguliren und die Hebelbewegungen überwachen, der Assistent 
beobachtet dagegen die Bewegungen des Zählers. 

Wir haben nicht unterlassen, die eben beschriebene 
mechanische Methode einer strengen Prüfung zu unterwerfen, 
und wollen in Kürze deren hauptsächlichsten Resultate mit- 
theilen. Zuvor ist es jedoch nöthig die Gründe anzuführen, 
warum wir dem elektrischen Zählerwerk den Vorzug vor dem 
Morse’schen Schreibapparat gegeben haben. 

Da das Prinzip, nach dem dieselben functioniren, das 
gleiche ist, so ist es auch von vornherein verständlich, dass 
bei einer tadellosen Konstruktion die Exaktheit der Zählung 
bei beiden dieselbe sein muss; in der That zeigte sich auch, 
dass die mit beiden Apparaten gleichzeitig vorgenommenen 
Zählungen ‚vollkommen übereinstimmende Resultate lieferten. 

Die strenge Beurtheilung der von beiden Instrumenten 
dargebotenen Unterschiede hat uns veranlasst, dem elektri- 
schen Zählerwerke den Vorzug zu geben; denn in der That 
lässt sich ja bei Anwendung des Morse’schen Schreibappa- 
rates die Zahl der Herzschläge am Ende der Zeiteinheit nur 
mit bedeutendem Zeitaufwande erfahren, was dagegen mit 
höchst geringer Mühe, und sehr schnell bei dem elektrischen 
Zählerwerke geschieht. — DerMorse’sche Schreibapparat bietet 
allerdings den Vortheil dar, dass man stabile Zeichen der 
Herzbewegungen erhält, so dass zu jeder Zeit eine Kontrolle 
möglich ist, bei dem Zählerwerk ist diess nicht thunlich; und 
dazu kann es vorkommen, dass der Assistent bei der Ab- 
lesung einen Fehler begeht. Die Erfahrung hat uns jedoch 
gezeigt, dass das Begehen eines solchen Fehlers eine grosse 
Seltenheit ist; wesshalb wir es auch nicht für nothwendig 
erachteten, zur Erkennung einer höchst seltenen Irrung von 


Seite des Assistenten unsere mechanische Vorrichtung durch 
die gleichzeitige Einschaltung des Morse’schen sschreibappaz 
rates zu kompliziren. 

Aus dem Mitgetheilten ersieht man. wohl deutlich, dass 
unsere Vorrichtung, die durch die Bewegungen der Nadel 
verursachten Unterbrechungen des elektrischen Kreises mit 
Leichtigkeit, mit Geschwindigkeit und mit Exaktheit zu er- 
kennen gestattet. Es liesse sich jedoch einwenden, dass die 
mechanische Methode in Vergleich zu jener der Herznadel 
nicht einfach ist; bei einer näheren Betrachtung wird man 
aber leicht einsehen, dass die wichtigste Komplizirtheit der 
mechanischen Methode in Vergleich zu jener der Herznadel, 
nur in der Anwendung des elektrischen Stromes besteht, da 
das Zählerwerk und die Uhr, die gleichzeitig als: Rheotom 
und Zeitanzeiger dient, (beide ziemlich einfache Instrumente, 
welche lange Zeit in brauchbarem Zustande erhalten werden 
können), die Methode durchaus nicht kompliziren. | 

Um über die Exaktheit unserer mechanischen Vorrich- 
tung ein sicheres Urtheil fällen zu können, war es unum- 
gänglich nothwendig, unsere Aufmerksamkeit noch auf zwei 
andere Punkte zu richten; wir mussten uns nämlich Gewiss- 
heit verschaffen, ob die Schwingungen der Nadel den Be- 
wegungen des Herzens auch vollständig und genau entsprechen, 
und ob der Hebel den Nadelbewegungen genau folgt, so dass 
wirklich bei jeder Herzbewegung bloss eine Unterbrechung 
des elektrischen Kreises erfolgt. 

Zwei Ursachen kann es geben, welche die Ueberein- 
stimmung zwischen den Bewegungen des Herzens und jenen 
der Nadel stören, nämlich: 

1) der Widerstand des Hebels, 

2) der Einfluss der Respirationsbewegungen. 

Da aber der Hebel sehr leicht und sehr beweglich kon- 
struirt ist, so kann auch sein Widerstand die Nadelbewe- 
gungen nicht beinträchtigen, worüber wir in der Folge auch 
einige experimentelle Beweise anführen werden. 

Leichter kann es geschehen, dass die Respirationsbe- 


ees Rh 


wegung auf die Uebereinstimmung zwischen Herz- und Nadel- 


bewegung störend einwirke; und schon Küthe hat der Methode 
von Moleschott diese Einwendung gemacht. Wir theilen jedoch: 


die Meinung Moleschott’s, dass die Respirationsbewegungen 
die eben genannte Uebereinstimmung nicht ändern können, 
müssen aber hinzufügen, dass dieselbe nur so lange andauert, 
als a) die Respirationsbewegungen innerhalb der gewöhnlichen 
Grenzen der Frequenz und Stärke gegenüber jenen des Herzens 
sich halten, und b) die Nadel in der für den bestimmten 
Zweck geeigneten Stelle eingeführt wurde. 

Wir haben in unserer italienischen Abhandlung einige 
theoretische Gründe erwähnt, welche geeignet sind, zu 
zeigen, dass insolange die zwei zuletzt angeführten Bedingun- 
gen erfüllt sind, die Uebereinstimmung zwischen Herz- und 
Nadelbewegung durch die Respirationsbewegungen nicht ge- 
stört werden kann. An diesem Orte beschränken wir uns 
darauf zu erwähnen, dass wenn die Respirationsbewegungen 
wirklich im Stande wären, in irgend einer Weise für die 
ebengenannte Uebereinstimmung hinderlich zu werden, in 
diesem Falle die Unregelmässigkeiten in dem Rythmus der 
Nadelbewegung dem Beobachter durchaus nicht entgehen 
können, solang die Pulsschläge die Zahl von 3—6 in der 
Sekunde nicht übersteigt. Nun aber konnten wir in hundert 
und aber hundert Beobachtungen, die wir vornahmen, bevor 
wir noch das elektrische Zählerwerk anwendeten, niemals 
eine Rythmusunregelmässigkeit der Nadelbewegung wahrneh- 
men. Es wurde endlich die volle Uebereinstimmung zwischen 
Herz- und Nadelbewegung aus den vergleichenden gleichzei- 
tigen Zählungen mit der Auscultation und mit der graphischen 
Methode ganz deutlich nachgewiesen, wie diess noch später 
weitläufiger erörtert werden soll. 

Wenn nun auch nach dem Angeführten die Ueberein- 
stimmung zwischen den Bewegungen des Herzens und jenen 
der Nadel bewiesen ist, läge doch noch die Möglichkeit vor, 
dass die Bewegungen des Hebels mit jenen der Nadel nicht 
übereinstimmen und zwar aus verschiedenen Gründen: in Folge 


2 Og) 3 


1) des Widerstandes des Hebels gegenüber den Be- 
wegungen der Nadel; 

2) der sekundären Schwingungen des Hebels, unabhängig 
von den Nadelbewegungen ; 

3) einer zu grossen Ungleichheit in den Schwingungen 
der Nadel, bedingt durch die Respirationsbewegungen ; 

4) der Bewegungen des Thieres. 

Der Widerstand des Hebels ist, wie später näher ge- 
zeigt werden wird, zu klein um die erwähnte Uebereinstimmung 
zu stören; in jenen Fällen aber, in welchen die Nadelschwin- 
gungen zu klein sind und in Folge dessen auch jene des 
Hebels, wodurch wiederum der Schnabel desselben aus dem 
Quecksilber nicht herauszutreten vermag, können natürlich 
einige Herzschläge nicht notirt werden; nachdem aber die 
Erkennung der Ursache dieser letzten Störung leicht ist, so 
ist es auch deren Beseitigung. 

Die sekundären Schwingungen des Hebels könnten ent- 
weder durch dessen Elastizität oder durch ein Zurückprallen 
beim Anstossen auf dem Boden des Quecksilbernäpfchens er- 
zeugt werden; unsere Erfahrung hat uns aber gezeigt, dass 
solche sekundäre Schwingungen des Hebels nicht vorkommen. 

In Hinsicht der ungleichen Nadelschwingungen in Folge 
der Respirationsbewegungen haben wir zu bemerken, dass 
bei Kaninchen, bei welchen die Respiration vorzugsweise den 
Abdominaltypus besitzt, solche Unregelmässigkeiten höchst 
selten störend einwirken, dieselben dagegen bei jenen Thieren 
vorkommen, bei welchen die Bewegungen des Brustkorbes stark 
sind; bei solchen Thieren lässt sich auch unsere Vorrichtung 
nicht anwenden. 

Damit unsere Vorrichtung regelmässig arbeite, ist es auch 
bei Kaninchen nöthig, dass 

a) die Herzbewegungen kräftig seien ; 

b) der Ort, in welchem die Nadel durch die Thoraxwand 
eingeführt wird, richtig gewählt sei, 

c) die Nadel tief genug in das Herz eingestochen werde, 
und endlich 


— 100. = 


d) der Hebel eine richtige Stellung habe, sowohl in 
Bezug auf die Nadel, als auch in Bezug auf das Quecksil- 
bernäpfchen. 

Ueber die Art und Weise die drei letzten Bedingungen 
zu erfüllen, wurde schon früher gesprochen. 

Wir wollen aber hier erwähnen, dass wir uns auch ex- 
perimentell überzeugten, dass eine volle Uebereinstimmung 
zwischen den Bewegungen des Herzens und jener des Hebels 
bestehe. — Diese Ueberzeugung erhielten wir dadurch, dass 
wir in einem Experiment die Herzschläge durch den Morse’schen 
Schreibapparat, die Pulsschläge dagegen durch ein in die 
Carotis eingeführtes Quecksilbermanometer auf die Trommel 
des Ludwig’schen Kymographion notiren liessen; ausserdem 
wurden in vielen anderen Versuchen die Herzschläge gleichzei- 
tig durch unsere Vorrichtung notirt und durch die Auscultation 
gezählt. Die Uebereinstimmung war so gross, dass der Unter- 
schied nur 1 oder 2 Einheiten betrug. Dieser kleine Unter- 
schied ist sehr gering, und kann höchst wahrscheinlich von 
verschiedenen Umständen abhängen, die bei einer anderen 
Gelegenheit zur Erwähnung kommen werden. 

Man hat noch ein weiteres Mittel sich zu überzeugen, 
dass wirklich die Respiration bei den Kaninchen keinen 
störenden Einfluss auf die Bewegungen des Hebels ausübt; 
und dieses Mittel ist die Wahrnehmung jener kleinen Ge- 
räusche, welche beim Oeffnen und Schliessen des elektrischen 
Kreises entstehen, und welche sobald der Hebel regelmässig 
funktionirt einen gleichmässigen Rythmus besitzen, der mit 
enem der Herz- und Nadelbewegungen übereinstimmt. Diess 
gilt aber nur so lange, als die Respirationsbewegungen der 
Kaninchen jene Form beibehalten, welche für gewöhnlich beob- 
achtet wird und so lange ihre Frequenz und ihre Kraft inner- 
halb der gewöhnlichen Gränzen bezüglich jener des Herzens 
eingeschlossen bleiben. 

Um uns noch weiter von der Wahrheit dieser Erfah- 
rung zu überzeugen, haben wir einige Versuche mit dem 
Sphygmographion von Marey vorgenommen, welches zu diesem 


— 10) — 


Zwecke folgende kleine Abänderungen erfahren musste. Es 
wurde nämlich die kleine Feder entfernt, welche die schrei- 
bende Vorrichtung niederdrückt, und letztere an ihrem hin- 
teren Theil etwas ver.ängert, wodurch dieselbe zu einem zwei- 
armigen Hebel umgestaltet erscheint, dessen zwei Arme ähn- 
lich unserem Hebel das Verhältniss 1:4 darbieten; der hintere 
Theil der schreibenden Vorrichtung konnte dann durch einen 
-Faden mit der Herznadel verbunden werden. — Bezüglich dieser 
weiteren bestätigenden Versuche verweisen wir auf die ita- 
lienische Abhandlung, da ein Auszug der erhaltenen Resul- 
tate nicht leicht möglich ist. 

Die Unruhe des Thieres wird selbstverständlich die 
Schwingungen des Hebels stören, es ist aber klar, dass sie 
auch den gleichmässigen Fortgang aller übrigen Zählungs- 
methoden ebenfalls mehr oder weniger beeinträchtiget, wir 
fügen jedoch hinzu, dass schwache Bewegungen des Thieres 
die Zählung der Herzschläge mittelst der Auscultation oder 
mit der Methode der Herznadel fortzusetzen gestatten, wäh- 
rend dagegen bei Anwendung der mechanischen Methode die 
Zählung wenigstens für eine Zeiteinheit verloren geht. 

Wir haben weiter die Verletzungen berücksichtigt, welche 
die Nadel verursachen kann. 

Solaug die Nadel in die Herzventrikeln eingestochen wird, 
hat man keine nachtheiligen Folgen zu fürchten, da in dem 
Falle die Kaninchen sehr viele Verletzungen ohne jeglichen 
Nachtheil ertragen; sobald dagegen die Vorhöfe oder die in 
der Nähe des Herzens liegenden grossen Gefässe verletzt werden, 
tritt die Möglichkeit einer Haemorrhagie ein; wir beobach- 
teten eine solche jedoch nur in seltenen Fällen, in denen 
man manchmal schon während des Versuches die Zeichen 
des eingetretenen Blutergusses wahrnehmen konnte. Es lässt 
sich ausserdem nicht in Abrede stellen, dass auch eine Ver- 
letzung der Lungen möglich ist, und somit auch die nach- 
theiligen Folgen derselben eintreten können. Dagegen ist 
zu bemerken, dass wir bei zehn Kaninchen, die wir darauf 


untersuchten, kein Zeichen einer Lungenverletzung wahrnehmen 
Naturw.-med. Verein. 11 


ae I 


konnten, woraus zu schliessen ist, dass entweder die Lunge 
wirklich unversehrt blieb, oder wenn auch eine Verletzung 
derselben stattfand, diese von keiner Bedeutung war und 
keinen Pneumothorax zur Folge hatte. 

Es ist hier weiter zu erwähnen, dass sowohl die Ver- 
letzung selbst, als auch das Liegenbleiben der Nadel einen 
Einfluss auf die Herzbewegungen haben könnte. Theore- 
tisch müssen wir diesen Einfluss zugeben, ohne jedoch uns 
mit Bestimmtheit aussprechen zu können, worin derselbe 
eigentlich besteht, obwohl wir in unserer italienischen Ab- 
handlung einige Möglichkeiten in’s Auge gefasst haben. Wenn 
man aber bedenkt, dass die Nadel sowohl während der 
Reizung als auch während der Ruhe im Herzen eingestochen 
bleibt, so dass die experimentellen Bedingungen in beiden 
Fällen unverändert bleiben, wenn man noch weiter bedenkt, 
dass wir uns die Aufgabe gestellt hatten, die Lehre Schiff’s 
und Moleschott’s bezüglich des Einflusses der Reizung des 
Vagus und des Sympathicus auf die Herzbewegungen zu 
prüfen, und bei den Versuchen der genannten Physiologen 
ebenfalls eine Nadel in’s Herz eingeführt wurde, so wird man 
es begreiflich finden, dass für unsere diessbezüglichen Ver- 
suche die Ermittelung des Einflusses der Nadel auf die Herz- 
bewegungen nicht unumgänglich nothwendig war, und dass 
wir uns desshalb der Verpflichtung enthoben glaubten, zwei 
Versuche, die zu dem ebenerwähnten Zweck vorgenommen 
wurden, und nebenbei gesagt nur ein widersprechendes Re- 
sultat gaben, zu wiederholen. 

Dagegen aber schien es uns, nachdem bei unseren Ver- 
suchen das Herz den Widerstand der Nadel und des Hebels 
zu überwinden hatte, vielmehr nothwendig, zu ermitteln, ob 
dieser Widerstand von Bedeutung war und ob Grund genug 
vorhanden sei, demselben einen Einfluss auf die Resultate 
der Versuche zuzuschreiben. 

Wir suchten den Widerstand des Hebels dadurch zu 
bestimmen, dass wir jenes Gewicht zu ermitteln trachteten, 
welches nothwendig war, damit der Hebel von einer Neigung 


— 103 —. 


von 20° bis in die Horizontallage emporgehoben werde. In 
der geneigten Stellung ruhte der Schnabel des Hebels auf 
dem Grunde des mit Quecksilber gefüllten Napfchens. Um 
das eben bezeichnete Resultat zu erhalten, waren im Mittel 
40 Ctg. nothwendig, — Nachdem durch Messung des kürzeren 
Hebelarmes sich für denselben die Länge von 3 Ctm. 
ergab, so waren wir im Besitze von allen den nöthigen Ele- 
menten, um die Arbeit zu berechnen, die das Herz machen 
muss, damit der Hebel die bezeichnete Bewegung ausführen 
könne. 

Wir fanden, dass diese Arbeit ungefähr bloss 0.000004 
eines Kilogrammeters beträgt, also eine ziemlich geringe 
Grösse, die in Wirklichkeit noch kleiner ist, da, wenn die 
Nadel ihre cephalische Bewegung beginnt, der Hebel noch 
auf den Grund des Quecksilbernäpfchens aufruht, wodurch 
natürlich das Herz etwas entlastet ist. Sobald die Nadel 
die Abdominalbewegung ausführt, hat das Herz keine Arbeit 
zu verrichten um den Hebel zu bewegen, da er durch sein 
eigenes Gewicht nach abwärts strebt; es wäre eher möglich, 
dass in diesem Falle der Hebel eine Zerrung auf die Nadel 
und dadurch auch auf das Herz ausübe, das geringe Gewicht 
des Hebels aber und der Umstand, dass er den Grund des 
Quecksilbernäpfchens früher erreicht, als die Nadel ihre Ab- 
dominalschwingung vollendet hat, schliesst die Möglichkeit 
einer Zerrung aus. 

Da das Herz in den Versuchen von Schiff und Mole- 
schott bloss die Nadel zu bewegen hatte, so versuchten wir, 
ob es wenigstens approximativ möglich wäre, eine verglei- 
chende Bestimmung in dieser Richtung vorzunehmen, und 
ermittelten zu diesem Zweck das Gewicht, welches nöthig ist, 
damit unsere Nadel, die in die Thoraxwand eines todten 
und ausgeweideten Kaninchens an dem gewöhnlichen Ort ein- 
gestochen war, eine Schwingung von 9° 15’, die grösste 
die sie überhaupt macht, vollführe. Das dazu nöthige Gewicht 
betrug im Mittel 24 Ctgr., die Länge des innerhalb der Thorax- 
wand liegenden Nadelstückes war 12 Ctm. Nach Analogie 

11* 


thane 104 ae 


der Berechnung fiir den Hebel, erhalten wir fir die Nadel 
0.000002 Kilogrammeters. Das Herz bewegt aber die Nadel 
gegen den Kopf und gegen die Fiisse; desshalb ist die zur 
Bewegung der Nadel nothwendige Herzarbeit 0,000004 Kilo- 
grammeters; und wenn man dazu noch jene Arbeit addirt, 
die das Herz ausführen muss, um den Hebel zu bewegen, 
so resultirt fiir die Gesammtarbeit zur Bewegung des Hebels 
und der Nadel 0.000008 Kilogrammeters. 

Wir brachten dann eine Nadel in Anwendung, die mit 
jener von Moleschott vollständig übereinstimmte, und wieder- 
holten die Versuche genau nach der eben erwähnten Art. 
Es zeigte sich, dass, damit diese Nadel eine Schwingung von 
90 15’ ausführe, ein Gewicht von 67 Ctg. nothwendig war, 
woraus sich die Arbeit von 0.000004 Kilogrammeters be- 
rechnete, also für beide Excursionen der Nadel eine Ge- 
sammtarbeit von 0.000008 Kilogrammeters, dieselbe Grösse, 
wie sie für den Hebel und unsere Nadel erforderlich war. 

Nach einer ungefähren Berechnung der Arbeit, welche 
der linke Ventrikel eines Kaninchens bei jeder Systole aus- 
führen muss, um das Blut in Bewegung zu setzen, fanden 


—— 


wir, dass das Verhältniss zwischen der Arbeit des linken ~ 


Ventrikels, und jener, welche fiir die Bewegung der Nadel 
und des Hebels erforderlich ist, wie 680 zu 1 steht. Zur 
Bewegung der Nadel und des Hebels, ist also nur ein ge- 
ringer Bruchtheil der Arbeit des linken Ventrikels nöthig, ein 
Bruchtheil, der in Wahrheit noch geringer wird, wenn man 
zur Arbeit des linken Ventrikels auch jene der rechten und 
der beiden Vorhöfe hinzurechnen würde. 

Hieraus wird ersichtlich, dass die vom Herzen bei der 
Nadel und Hebelbewegung verrichtete Arbeit sich höchst ge- 
ring stellt im Vergleich zu jener, welche für die Blutbewe- 
gung nothwendig ist; da aber doch ein Plus von Arbeit er- 
fordert wird, so kann man nicht läugnen, dass dadurch die 
Freiheit der Herzbewegung etwas beeinträchtigt werde, und 
diess vorzugsweise, weil der Hebel beim Aufsteigen die Nadel- 
bewegung etwas hemmt, beim Niedersinken dagegen die Nadel 


= 105 2 


wahrscheinlich zu einer rascheren und ausgiebigeren Schwingung 
zwingen könnte, wodurch eine grössere Verletzung oder wenig- 
stens eine grössere Reizung des Herzfleisches, als wenn die 
Nadel für sich allein bewegt wird, entstehen, und auf diese 
Weise eine Aenderung in der Zahl der Herzschläge erzeugt 
werden könnte. 

Um die eben angeregte Frage zu erledigen, nahmen wir 
wohl zwei vergleichende Versuche vor, deren Resultat im 
Allgemeinen das war, dass sich kein nennenswerther Unter- 
schied weder in der Frequenz der Pulsschläge noch im Blut- 
drucke zeigte, sei es, dass das Herz bloss die Nadel allein, 
oder die Nadel und den Hebe! bewegte. Es ist wohl wahr, 
dass zwei Versuche allein unzureichend sind, um die Frage 
endgiltig zu entscheiden, und wir hätten dieselben wieder- 
holt, wenn sich im weiteren Verlaufe unserer Studien deren 
Nothwendigkeit herausgestellt haben würde. 

Wir müssen hier noch hinzufügen, dass der Hebelwider- 
stand sehr klein ist im Vergleiche zu jenem, welchen das 
Herz überwinden muss, um das Blut in Bewegung zu er- 
halten; und dass auch für den Widerstand des Hebels das- 
jenige gilt, was wir oben für die Nadel angeführt haben, 
dass nämlich bei den Versuchen, um die Wirkung der Vagus- 
und Sympathicusreizung auf die Herzbewegungen zu ermitteln, 
der Hebelwiderstand sowohl während der Reizung als auch 
während der Ruhe vorhanden ist. 

Man kann, wenn man glaubt, dass das Gewicht der 
Nadel oder des Hebels zu gross sei, dasselbe vermindern, 
indem man den Hebel aus Magnesiumdraht anfertigt, und 
eine Nadel anwendet, die nur 5 Ctm. lang und 17 Ctgr. 
schwer ist, wie wir es auch probeweise, und zwar mit gutem 
Erfolge versucht haben. 

Sowohl beim Arbeiten des Schreibapparates von Morse, 
als auch des elektrischen Zählerwerkes wird durch die Be- 
wegungen des Ankers ein Geräusch erzeugt, in Folge dessen 
die Kaninchen erschrecken könnten; somit wäre auch eine 
Veränderung in der Frequenz der Herzschläge möglich, wo- 


— 106 — 


durch die Wirkung der Reizung eine Aenderung erfahren kann. 
Wir sahen jedoch, dass die Kaninchen nur im Beginne einer 
Versuchsreihe manchmal durch leichte Bewegungen des Kopfes 
oder der Ohren, selten des ganzen Körpers ein Zeichen der 
Aufregung geben, und dass sie sich bald an das Geräusch 
gewöhnen. Wäre es nothwendig, so kann man das Geräusch 
vollständig beseitigen, indem man das Zählerwerk in einem 
Nebenzimmer aufstellt. Das Geräusch kann abgeschwächt 
werden, indem man den Apparat, wie wir es gethan haben, 
auf nicht resonirende Unterlagen aufruhen lässt, und man 
ihn gleichzeitig in einen Glaskasten einschliesst. 


Nachdem wir die mechanische Methode als Grundlage 


zur Vergleichung aller übrigen Zählungsmethoden anwenden 
wollten, so war es unsere Pflicht, genau zu untersuchen, ob 
wirklich mit derselben kein Fehler möglich sei. 

Sobald alle Theile des Apparates regelrecht funktioniren, 
ist nur im Beginne und am Ende einer Zeiteinheit ein Fehler 
möglich. Derselbe hängt einerseits von den besonderen Be- 
ziehungen ab, welche zwischen den Bewegungen der Uhr, 
des Hebels und des elektrischen Zählerwerkes bestehen, an- 
dererseits von dem Umstande, dass das Zählerwerk nur einen 
sehr flüchtigen Augenblick eines Herzschlages notirt. 

Die über die erwähnten Verhältnisse von uns angestellten 
Beobachtungen, die sich im Auszuge nicht wohl wiedergeben 
lassen, haben uns die Gewissheit verschafft, dass der mögliche 
Fehler niemals 1%, Pulsschläge für jede beliebige Zeiteinheit 
übersteigen kann, ja dass in vielen Fällen dieser Fehler gleich O 
wird. Er ist so gering, dass man ihn ohne Bedenken voll- 
ständig vernachlässigen kann. Nur der graphischen Methode 
würde der angegebene Fehler nicht anhaften, und sie müsste 
in der That allen anderen Zählungsmethoden vorgezogen 
werden, wenn überhaupt ihre Anwendungsweise eine leichte 
und unserem Zwecke entsprechende wäre. 

Da bei allen Zählungsmethoden, mit Ausnahme der 
graphischen, nur eine verschwindend kleine Periode einer 
einzelnen Herzbewegung in’s Auge gefasst werden kann, 


— 107 — 


sind bei ihnen ähnliche Fehler, wie bei der mechanischen 
Methode, möglich; wesshalb wir bei den von uns unternom- 
menen vergleichenden Versuchen die Unterschiede von ein 
oder zwei Pulsschlägen in der Zeiteinheit vollständig vernach- 
lässigten. 

Wir gehen nun auf die Besprechung einer anderen Zäh- 
lungsmethode, nämlich der Auscultation über und werden die 
Resultate mittheilen, welche wir in Bezug auf ihre Genauig- 
keit bei Vergleichung derselben mit der mechanischen Methode 
erhalten haben. 

Bezold war der erste, welcher für die in Rede stehenden 
Versuche sich der Auscultation bediente; obwohl man seiner 
Methode, sowohl der Art der Zählung als auch der Zeit- 
Beobachtung einige Einwendungen machen könnte, wollen 
wir uns doch bloss mit unseren vergleichenden Versuchen 
beschäftigen. 

Die Anwendung eines gewöhnlichen Sthetoskopes hat 
bei ähnlichen Versuchen den Nachtheil, dass der Beob- 
achter leicht ermüdet, und dadurch mit dem Kopfe auf den 
Brustkorb des Thieres einen Druck ausübt, welcher besonders 
bei dünnwandigem Brustkorb einen Einfluss auf die Frequenz 
der Herzschläge haben kann. Um diese Uebelstände zu be- 
seitigen, befestigten wir das gewöhnliche Sthetoskop an ein 
eisernes Stativ und applieirten es leise auf den Thorax des 
Thieres; mit dem Sthetoskope wurde ein Kautschukschlauch 
verbunden, so dass die Auscultation auch bei der gewöhn- 
lichen Kopfstellung vorgenommen werden konnte. 

Um den Uebelstand zu vermeiden, dass der Beobachter 
selbst die Sekundenuhr beobachte, oder dass ein Assistent 
Anfang und Ende der Zeiteinheit angebe, haben wir die 
früher beschriebene Pendeluhr mit einer Vorrichtung verbun- 
den, welche dieses automatisch ausführt. 

Diese Vorrichtung ist nichts anderes als eine elektrische 
Glocke, welche so eingerichtet werden musste, dass sie so- 
wohl beim Schliessen als auch beim Oeffnen des elektrischen 
Kreises durch die Uhr einen einfachen deutlichen aber dumpfen 


— 108 — 


und nicht nachklingenden Ton gab; wir nannten diese Vor- 
richtung, den elektrischen Anzeiger. Er unterscheidet sich 
von allen ähnlichen Apparaten durch das Vorhandensein 
zweier Glocken und durch das Fehlen jener Vorrichtung, durch 
welche die Glocken so lange läuten, als der elektrische Kreis 
geschlossen bleibt. 

Unsere Untersuchungen waren ziemlich vorgeschritten, 
als wir daran dachten, den elektrischen Anzeiger gleichzeitig 
sowohl mit der Pendeluhr als auch mit dem Zählerwerk zu 
verbinden, und zwar in der Art, dass der elektrische Anzeiger 
nur zu Beginne und am Ende der Zeiteinheit ein Zeichen 
gebe. Zu diesem Zweck genügt es nämlich, den elektrischen 
Anzeiger in einem Nebenkreis der Art einzuschalten, dass 
durch die Bewegungen des Hebels der Nebenkreis nicht unter- 
brochen wird, wohl aber durch die Uhr sowohl der Haupt- 
kreis, in welchem sich Hebel und Zählerwerk befinden, als 
auch der Nebenkreis, in welchen bloss der elektrische Anzeiger 
eingeschaltet ist. 

Der Beobachter zählte immer bloss von eins bis zehn, 
die Zehner wurden sowohl vom Beobachter selbst, als auch 
von einem nebenstehenden Assistenten notirt, so dass in 
dieser Richtung keine Irrung möglich war. 

Die Methode der Auscultation ist gewiss von Allen die 
einfachste und auch diejenige, bei welcher das Herz frei von 
jeder Reizung und von jeder Belastung bleibt, hat aber den 
Nachtheil, dass der Beobachter sehr leicht ermüdet, wodurch 
häufig Erholungspausen eintreten müssen, wenn man nicht 
einen zweiten Assistenten zur Verfügung hat. Bei Kaninchen 
ist übrigens die Anwendung eines Sthetoskopes mit Kaut- 
schukrohr unerlässlich, da man sonst einen Druck auf den 
Brustkorb ausübt, wodurch, wie wir uns überzeugten und 
worüber wir bei einer anderen Gelegenheit die betreffenden 
Mittheilungen machen werden, die Frequenz der Herzschläge 
geändert wird. Bei Kaninchen muss ferner die Vorsicht 
gebraucht werden, dass das Sthetoskop fortwährend mit dem 
Brustkorbe in Berührung bleibe, da wir die Beobachtung ge- 


— 109 — 


macht haben, dass bei einer jeden neuen Application des 
Instrumentes nicht selten eine Aenderung der Frequenz der 
Herzschläge eintrat. 

Sobald die Auscultation in der von uns angegebenen 
Weise angewendet wird, kann man sicher sein, dass sie, 
wenn die Pulsfrequenz 300 Schläge in der Minute nicht 
übersteigt, ganz genaue Resultate gibt, wie wir durch ver- 
gleichende Versuche ermittelten. Ob jedoch, wenn die Fre- 
quenz 300 Schläge in der Minute übersteigt, noch richtige 
Resultate mittelst der Auscultation zu erzielen sind, können 
wir nicht angeben, da zufälliger Weise im Laufe dieser Ver- 
suche kein Kaninchen zur Beobachtung kam, das eine so 
hohe Frequenz zeigte. In unserer italienischen Abhandlung 
findet man die eingehenden Belege für die eben mitgetheilte 
Behauptung, wogegen wir uns hier bloss auf folgende An- 
gaben beschränken müssen. 

In 189 einzelnen Beobachtungen, bei welchen gleichzeitig 
zwei Beobachter mit zwei verschiedenen Sthetoskopen aus- 
eultirten, betrug der Unterschied nur in 13 Beobachtungen, 
also in 6.7%, mehr als 1 Schlag in der Zeiteinheit. Der 
grösste Unterschied, 7 Pulsationen, kam nur ein einziges 
Mal vor. !) 

In 337 einzelnen Beobachtungen, in welchen gleichzeitig 
die mechanische Methode und die Auscultation angewendet 
wurde, betrug der Unterschied nur in 25 Beobachtungen, 
also in 7.4%, mehr als 2 Schläge in der Zeiteinheit. Der 
grösste Unterschied war 10 Pulsationen und kam nur ein 


1) In der italienischen Abhandlung Seite 89 des Separatabdruckes 
(Pag. 1637 Att. del r. Istituto veneto di scienze etc. Tomo XVI Serie III) 
wurden aus Versehen zwei Zahlen unrichtig geschrieben. An der er- 
wähnten Stelle soll es nämlich heissen: Wenn man jene Versuche, in 
welchen ein Unterschied von 1 oder 2 Pulsschlägen in der Zeiteinheit 
erhalten wurde, mit jenen zusammenaddirt, bei welchen eine vollstän- 
dige Gleichheit vorhanden war, so erhält man die Summe von 176, eine 
Zahl, welche zur Gesammtzahl der Versuche, 189, das Verhältniss von 
93%, gibt. 


— 110 — 


einziges -Mal vor. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in 
diesem Falle ein Ablesungsfehler am Zahlerwerk stattgefun- 
den habe. 

Wir haben mit beiden Methoden zusammen nicht weniger 
als 526 gleichzeitige Beobachtungen gemacht, und fanden 
darunter bloss 19 Mal einen Unterschied von 4 Pulsschlägen 
oder darüber, also im Ganzen 3.6%. 

Aus diesen Resultaten der vergleichenden Versuche er- 
hellt, dass unser Ausspruch, die Methode der Auscultation 
sei bezüglich der Genauigkeit der Zählung eine sehr gute, 
vollkommen berechtigt ist, wir ziehen jedoch derselben die 
mechanische Methode vor, weil letztere noch genauer und 
leichter anwendbar ist, d. h. weniger ermüdet. 

Die mechanische Methode bietet ferner den Vortheil 
der objektiven Sicherheit über die Genauigkeit der Zählung, 
was bei der Auscultation und ebensowenig, — wir wollen 
es schon jetzt bemerken, — bei der einfachen Herznadel- 
methode der Fall ist. Sobald also die Herzfrequenz eine 
ziemlich hohe ist, wird man immer die mechanische Methode 
den beiden letzterwähnten vorziehen und sollten die Respi- 
rationsbewegungen ihrer zweckmässigen Anwendung hinderlich 
sein, so könnte man dem abhelfen durch den elektrischen 
Doppelhebel von Czermak, welcher gewiss gute Dienste leisten 
wird. 


Wir gehen nun auf die Betrachtung der Methode der 
Herznadel über. In den ersten Versuchen sind wir genau 
nach den Angaben von Moleschott (Untersuchungen zur Na- 
turlehre ete. Bd. VII. S. 407) verfahren. Wir sahen jedoch 
recht bald ein, dass man einen Assistenten entbehren kann, 
ohne dass die zwei anderen mehr ermiiden und desshalb 
führten wir in der Methode von Moleschott einige Modifica- 
tionen ein. 

Die zwei Assistenten alternirten ebenfalls in der Zäh- 
lung der Nadelschwingungen (der Herzschläge), die Substi- 
tution der Assistenten fand immer in jenem Moment statt, 


— 11 — 


in welchem der zählende Assistent bis inclusive zehn gezählt 
hatte, der austretende Assistent machte auf ein Papier ein 
Zeichen. Am Ende der Zeiteinheit war es nun ziemlich 
leicht aus der Zahl der Zeichen, welehe beide Assistenten 
notirt hatten, die Zahl der Zehner zu erkennen, und durch 
Zugabe der bis zum Ende der Zeiteinheit noch über die Zehner 
gezählten Schläge ziemlich rasch deren Gesammtsumme zu 
erfahren. 

Um aber diese an und für sich sehr leichte Berechnung 
zu vereinfachen und alle möglichen Fehler in der Notirung - 
der Zehner zu vermeiden, oder um wenigstens ihre Zahl rasch 
zu erkennen, waren die Papierbögen in vertikale Colonnen 
eingetheilt; am Kopfe der Colonnen schrieben wir | die fort- 
laufenden Zahlen in der Art, dass auf dem Papierbogen, 
welcher dem 1. Assistenten übergeben wurde, die ungeraden 
Zahlen, auf jenem, welcher dem 2. Assistenten anvertraut 
wurde, die geraden geschrieben standen. Es ist selbstver- 
ständlich, dass beim Beginne jeder Zeiteinheit der 1. Assi- 
stent mit der Zählung beginnen musste, und dass 16 Colonnen 
auf jedem Bogen mehr als genügend sind. Diese Methode 
nannten wir die modifizirte Moleschott’sche Methode; sie ge- 
stattet jeden Fehler in der Notirung der Zehner allsogleich 
zu erkennen, 

Wenn man auch der Moleschott’schen Methode, und 
der von uns modifizirten nachrühmen kann, dass dieselben 
einfach sind und am Ende der Zeiteinheit die Pulsschläge 
rasch zu erfahren gestatten, ohne den Versuch bedeutend zu 
verlängern, bleibt es doch fraglich, ob die Zählung ganz exakt 
ist. Es wurde daher diese Methode in der genannten Rich- 
tung von uns geprüft. 

Aus theoretischen Gründen lässt sich sagen, dass die 
Zählung eine fehlerhafte werde, entweder weil keine Ueber- 
einstimmung zwischen den Bewegungen der Nadel und jenen 
des Herzens stattfindet, oder weil das Auge des Beobachters, 
sowohl während der Zählung, so wie auch, in dem Augenblicke, 
in welchem ein Assistent den anderen substituirt, den Nadel- 


— 12 — 


bewegungen nicht genau folgen kann. Es ist jedoch nicht zu 
läugnen, dass bei jenen Thieren, bei welchen der Brustkorb 
stark bewegt wird, der Fall vorkommen kann, dass die 
Nadel fortwährend ihre Oscilaticnsamplitude ändert, wodurch 
ihren Bewegungen nicht so leicht zu folgen ist; davon über- 
zeugten wir uns bei Lämmern, bei welchen die Zählung der 
Nadelschwingungen sehr schwer wird, obwohl die Herzfrequenz 
eine sehr geringe ist. Bei Kaninchen dagegen, bei welchen 
die gewöhnliche Athmungsart eine andere ist, geschieht diess 
selten und nur ausnahmsweise. 

Die hauptsächlichsten Fehler bei der Methode von Mole- 
schott, und bei der von uns modifizirten hängen nicht so 
sehr von der Athmung als vielmehr von anderen Um- 
ständen ab. Die nähere Betrachtung der Fehlerquellen er- 
laubt uns folgende Schlüsse: 

1) So lang die Herzfrequenz die Zahl von 230 bis 240 
Pulsschläge in der Minute nicht übersteigt, lässt sich die 
Zählung der Nadelschwingungen sowohl nach der Mole- 
schott’chen als auch nach der von uns modifizirten Methode 
ziemlich genau vornehmen. 

Unter 12 vergleichenden Versuchen, die wir vornahmen, 
betrug in keiner der Unterschied mehr als 2 Schläge in der 
Zeiteinheit, und auch dieser Unterschied kam nur zweimal vor. 

2) Wenn die Herzfrequenz die obenbezeichnete Gränze 
von 230—240 Pulsschläge in der Minute übersteigt, dann 
kann die Exaktheit der Zählung im Verhältniss mit der stei- 
genden Herzfrequenz abnehmen und der Fehler ziemlich gross 
werden. 

In 30 Doppel-Zählungen mit der mechanischen und mit 
der modifizirten Moleschott’schen Methode, bei welchen die 
durch das Zählen erhaltene Frequenz zwischen 249 und 292 
Schlägen in der Minute schwankte, betrug nur in 5 Ver- 
suchen der Unterschied nicht mehr als 2 Pulsschläge in der 
Zeiteinheit, in den übrigen 25 Zählungen war derselbe be- 
deutend grösser. Er überstieg in, einigen Fällen (4) zwanzig, 
in anderen (5) sogar dreissig Pulsschläge in der Minute. 


— 113 — 


Der grösste Unterschied betrug 39 Pulsschläge in der 
Minute. 

Bei diesen Versuchen zählten wir. die Schwingungen der 
Nadel, die mit dem Hebel in Verbindung stand, so dass man 
einwenden könnte, der Hebel habe die Nadelschwingungen 
in der Art behindert, dass man denselben mit dem Auge 
nicht gut folgen konnte. Wir änderten desshalb die Ver- 
suche, so dass die Schwingungen einer zweiten in das Herz 
eingestochenen Nadel gezählt wurden; erhielten jedoch in drei 
vorgenommenen Zählungen ebenfalls bedeutende Unterschiede. 

3) Ein Theil der Fehler, die man bei der Zählung der 
Nadelschwingungen begeht, sobald die Herzfrequenz gross ist, 
rührt vom Wechsel der Assistenten bei der Zählung der 
Zehner, und es ist wahrscheinlich, dass der Fehler in dem 
Augenblick vorkomme, in welchem ein Assistent den An- 
dern ersetzt. 

Um uns davon zu überzeugen, haben wir nicht die 
Nadelschwingungen, sondern die Funken gezählt, welche ent- 
stehen, wenn der Hebel das Quecksilber verlässt. Wir liessen 
nun diese Funken in einer Reihe von Versuchen bloss von 
einem Assistenten, in einer zweiten dagegen von zwei Assi- 
stenten, also nach der modifizirten Moleschott’schen Methode 
zählen ; gleichzeitig wurden die Herzschläge mit dem Zähler- 
werk notirt. 

In sechs Zählungen mit einem Assistenten allein war 
die Uebereinstimmung eine sehr zufriedenstellende, da nur 
ein einziges Mal der Unterschied zwei Pulsschläge in der Mi- 
nute erreichte, und zweiMal gleiche Zahlen erhalten wurden. 

In der zweiten Versuchsreihe dagegen, in welcher zwei 
Assistenten die Zählung vornahmen, wurde in keiner der 6 
Beobachtungen die volle Uebereinstimmung erreicht, und der 
Fehler stieg bis auf 6 Pulschläge in der Zeiteinheit (60”). 

Da nun ein elektrischer Funke sich leichter fixiren lässt, 
als die Schwingungen der Nadel, und da in den obener- 
wähnten Versuchen der Fehler so gering ausfiel, so: gewinnt 
folgende Behauptung sehr an Wahrscheinlichkeit. 


— 114 — 


4) Sobald die Herzfrequenz eine sehr hohe ist, dann 
werden die Zählungsfehler nicht bloss von dem Wechsel der 
Assistenten bedungen, sondern sie rühren auch theilweise 
von der grösseren Schwierigkeit her, mit der das Auge den 
Nadelschwingungen folgt. 

Unsere Versuche, welche die Exaktheit der Zählungen 
mittelst der Moleschott’schen Methode zu prüfen hatten, sind 
nicht genügend, um dieselbe definitiv zu verwerfen, sie be- 
weisen bloss, dass man sich dieser Methode nicht bedienen 
darf, sobald die Frequenz grösser ist als 230—240 Schläge 
in der Minute, Es ist aber hier zu bemerken, dass es un- 
statthaft wäre, auf Grund der Fehler, die man nach dieser 
Methode der Zählung begeht, den Werth der von Moleschott 
erhaltenen Resultate in Zweifel zu ziehen, da die Kaninchen, 
deren sich Moleschott zu seinen Versuchen bediente, für 
gewöhnlich eine niedrige Herzfrequenz zeigten, so zwar, 
dass dieselbe sehr häufig 200 Schläge in der Minute nicht 
überstieg. 

Schliesslich seiauch bemerkt, dass die Nadel mit der Fahne 
des Muskeltelegraphes von Dubois- Reymond verbunden wer« 
den kann, wie diess seit mehreren Jahren durch einen von uns 
(Vintschgau) bei Vorlesungsversuchen geschieht, wie es auch 
leicht möglich ist, die Einrichtung nach dem Vorschlage 
Wagner’s so zu treffen, dass die Nadel auf ein leeres Glas an- 
schlage. Man erzielt jedoch durch diese beiden Einrichtungen 
für die in Rede stehenden Versuche keinen nennenswerthen 
Vortheil. 


Wir wollen nun eine andere Zählungsmethode näher 
betrachten, nämlich die graphische. 

Die graphische Methode lässt sich in der Weise an- 
wenden, dass : 

1) Die Pulsschläge einer Arterie auf ein Sphygmogra- 
phion übertragen werden, oder dass 

2) man eine Arterie mit dem Manometer eines Kymo- 
graphions, oder endlich 


= My — 


3) die Herznadel mit einer schreibenden Vorrichtung in 
Verbindung bringt. 

Wir haben bloss die letztere Methode einer theoreti- 
schen Untersuchung unterworfen, da Brondgeest dieselbe zur 
Wiederholung der Versuche von Moleschott anwenden wollte; 
während die zwei anderen Methoden bis jetzt zu dem in 
Rede stehenden Zwecke keine Anwendung fanden, und auch 
eine solche schwerlich finden werden, indem das Sphygmogra- 
phion sich nur bei solchen Thieren anwenden lässt, die irgend 
eine oberflächliche Arterie von ziemlicher Dicke besitzen; bei 
diesen Thieren lässt sich jedoch die Pulsfrequenz ohne be- 
sondere mechanische Vorrichtungen bestimmen. Die Anwen- 
dung des Manometers ist bei den oft erwähnten Versuchen, 
wie ersichtlich, nicht leicht zulässig. 

Die graphische Methode, sei ihre Anwendungsweise jede 
beliebige, hat unstreitig den grossen Vortheil, dass sogar ein 
Bruchtheil einer Schwingung notirt wird, und beim Gebrauche 
des Manometers können selbst die Respirationsbewegungen 
keinen Einfluss auf die Zahl der zu notirenden Herzschläge 
geltend machen; dieser Vortheil gilt jedoch für die Methode 
von Brondgeest nur unter jenen Voraussetzungen, die wir bei 
Besprechung der Methode der Herznadel näher erörtert haben, 

Bei der graphischen Methode hat man den weiteren 
Vortheil das Autogramm der vorgenommenen Versuche zu 
besitzen, einen Vortheil, den man auch bei der mechanischen 
haben könnte, wenn in den elektrischen Kreis gleichzeitig mit 
dem Zählerwerk auch der Schreibapparat von Morse einge- 
schaltet würde. 

Der graphischen Methode kann man dagegen weder Ein- 
fachheit noch Leichtigkeit der Anwendungsweise nachrüh- 
men; ausserdem hat sie noch den grossen Nachtheil, dass 
die Zählung der gezeichneten Curven eine höchst zeitraubende 
und beschwerliche Arbeit ist und dass man am Ende der 
Zeiteinheit die Zahl der Pulsschläge niemals rasch erfahren 
kann, was eben bei den in Rede stehenden Versuchen un- 
umgänglich nothwendig ist. 


— 116 — 


Die von Brondgeest vorgeschlagene graphische Methode 
hat nicht bloss, in physiologischer Beziehung alle Nachtheile, 
welche der Methode der Herznadel und der mechanischen 
zukommen; sie lässt dieselben noch stärker hervortreten durch 
den Umstand, dass der Hebel wie er in der Vorrichtung 
von Brondgeest angebracht ist, die Bewegung der Nadel noch 
weit mehr beeinträchtigt, als diess in der mechanischen 
Methode der Fall ist. 

Brondgeest hat seiner graphischen Methode überdiess 
ganz eigene Vortheile zugeschrieben, als da sind: es sei 
möglich, jede Aenderung der Pulsfrequenz zu erkennen, welche 
innerhalb des kurzen Zeitraumes von zwei Sekunden statt- 
fand; man könne weiter die Dauer der einzelnen Herzschläge 
bestimmen, und endlich sei es möglich, die einzelnen Herz- 
schläge in Hinsicht ihrer relativen Kraft zu vergleichen. 

Der erste Vortheil kann nicht bestritten werden, hat jedoch 
keinen Werth in den Versuchen, die bestimmt sind, den Einfluss 
des Vagus und des Sympathicus auf die Herzschläge zu er- 
forschen. Was die angegebenen Vortheile des Apparates von 
Brondgeestin den zwei anderen Richtungen anbelangt, so können 
sie nach unserem Dafürhalten nicht richtig sein, weil auf die 
Nadelbewegungen nicht bloss die Herzbewegungen, sondern 
auch die respiratorischen einen Einfluss ausüben; weil weiters 
die Schwingungen der Nadel nicht bloss abhängig sind von der 
Kraft, mit welcher die Locomotion jenes Theiles des Herzens 
geschieht, in den die Nadel eingestochen wurde, sondern auch 
von der Grösse dieser Locomotion, und letztere auch unter 
normalen Verhältnissen verschieden sein kann. 


Anlangend die drei Methoden der Zählung der Herz- 
schläge, welche wir in die zweite Abtheilung aufgenommen 
haben, nämlich die Zählung der Pulsschläge einer Arterie, 
oder des blossgelegten Herzens, oder endlich die Zählung der 
Herzschläge mittelst der auf den Brustkorb aufgelegten Hand, 
beschränken wir uns auf folgende Bemerkungen. 

Die erste Methode wurde von uns nur in wenigen vor- 


— 1171 — 


läufigen Versuchen angewendet, musste aber bald verlassen 
werden, da besonders bei den Kaninchen keine oberflächliche 
Arterie vorhanden ist, welche einen deutlichen Puls zeigt. 
Die dritte Methode kann nur bei Thieren mit ziemlich resi- 
stentem Brustkorb in Anwendung kommen, so dass eine Com- 
pression desselben nicht leicht möglich ist. Die Blosslegung 
des Herzens endlich lässt sich bei den uns beschäftigenden 
Versuchen wohl bei den Amphibien und Reptilien, nicht aber 
bei den Säugethieren anwenden. 


Einer von uns (Vlacovich) hat zwei Operationsmetho- 
den angegeben, welche bei Hühnern das Herz blosszulegen 
gestatten, ohne beträchtliche Störung der physiologischen 
Funktionen. 


Die erste Methode, welche von Vlacovich schon im Jahre 
1859 angewendet wurde, hat den wichtigen Vortheil, dass 


sie die Herzbasis und die grossen Blutgefässe, die von ihr 
abgehen, direkt zu beobachten erlaubt, ohne dass eine sehr 
eingreifende Operation vorgenommen werden muss. — Zu diesem 
Zweck wird zuerst der Kropf (Ingluvies) geöffnet, entleert 
und etwas bei Seite geschoben; darauf wird bloss jene fibröse 
Haut entfernt, welche die obere Brustapertur verschliesst. 

Die zweite Verfahrungsweise erlaubt dagegen die Herz- 
nadel, und somit auch die mechanische Vorrichtung anzu- 
wenden, ohne dass die Respirationsbewegungen störend ein- 
wirken, und da diese Art der Blosslegung des Herzens bei 
Vögeln vielleicht sich noch zu anderen Versuchen eignet, so 
wollen wir dieselbe hier beschreiben. 

Das Thier wird am besten auf das Vivisectionsbrett so 
fixirt, dass die linke Seite nach oben zu stehen kommt, und 
dass der entsprechende Flügel den Brustkorb nicht bedecke. 
Es werden nun einige Federn ausgerupft und mit den Fingern 
der mittlere Rand der grossen Incisur des Brustbeins auf- 
gesucht, jener nämlich, welcher zwischen dem Brustbeinkör- 
per und der langen Abdominal- Apophyse desselben Knochens 


sich befindet. Die Brustmuskeln werden schichtenweise ein- 
Naturw.-med. Verein. 12 


ee, 


geschnitten, bis man auf jene Membran stösst, die die ge- 
nannte Incisur verschliesst. Der Schnitt muss bei Hühnern 
ungefähr in der Gegend des concaven Randes des Brust- 
beinkammes beginnen; es genügt für denselben eine Länge 
von 3 bis 4 Ctm. Es wird bei dieser Operation nur die 
Unterbindung jener zwei oder drei Gefässe nothwendig, welche 
vorzugsweise in den tieferen Schichten der Muskeln ver- 
laufen; da die Blutung aus den kleineren Gefässen sehr bald 
von selbst aufhört, oder die Blutstillung mit einem Schwamm 
bewerkstelligt werden kann, welcher in eine Eisenchloridlösung 
eingetaucht wurde. 

Damit die Bewegungen der Nadel kein Hinderniss finden, 
trägt man zweckmässig am inneren Rande des Schnittes 
einen kleinen Theil der Muskeln ab. 

Es wird dann die obengenannte Faserhaut eingeschnitten 
und ein Theil derselben entfernt, indem man sie von den 
Bändern der Incisur ablöst; letztere wird etwas vergrössert, 
indem man mit einer Zange einen kleinen Theil des Brust- 
beines an der oberen und inneren Seite entfernt. 

Man sieht hiernach das Pericardium, welches von der 
Leber theilweise bedeckt wird, und durch dasselbe die Herzbe- 
wegungen. Man könnte schon jetzt die Nadel einstechen; da 
aber besonders durch wiederholte Einstiche leicht Hämorrhagien 
stattfinden, und das geronnene Blut die Herzbewegungen der 
Art beeinträchtigt, dass die Herzfrequenz sich sehr verlang- 
samt, so ist es rathsam das Pericardium zu Öffnen, um 
die Blutcoagula rasch entfernen zu können. 

Damit aber nach Eröffnung des Pericardiums die Nadel 
einen festen Punkt habe, ist es angezeigt, dieselbe durch 
einen Lappen des ersteren durchzustechen, jedoch mit Ver- 
meidung jeder Zerrung, damit die Nadel in ihrer Bewegung 
in keiner Weise beeinträchtigt werde. 

Durch diese Verfahrungsweise unterliegt die Nadel wohl 
den Respirationsbewegungen, aber nur in so weit, als die- 
selben auch eine Locomotion des ganzen Herzens bedingen ; 
dagegen kann die Bewegung der Thoraxwand bei der Re- 


Sa JOS) 


spiration keinen Einfluss auf die Schwingungen der Nadel 
haben, wodurch der Unterschied in der Amplitude der Nadel- 
schwingungen bedeutend abgeschwächt wird, und somit werden 
auch die Hebelschwingungen weniger ungleichförmig. 

Die mit dem Marey’schen Sphygmographion, und mit 
der mechanischen Methode vorgenommenen Versuche haben 
den Beweis geliefert, dass die angegebene Operationsweise 
zu dem Zwecke der Zählung der Pulsschläge mittelst der 
mechanischen Methode geeignet ist. 

Dass die Respiration ziemlich regelmässig vor sich geht, 
ist selbstverständlich. 

Die Operation lässt sicht auch gleichzeitig auf beiden 
Seiten vornehmen. Man schneidet nämlich das Brustbein 
ungefähr in der Mitte der Quere nach durch, dasselbe ge- 
. schieht etwas oberhalb des oberen Randes seines Kammes; 
der zwischen beiden Schnitten eingeschlossene Knochentheil 
wird entfernt. Man hat somit Gelegenheit, die Herzbewe- 
gungen durch mehrere Stunden zu beobachen, ohne die künst- 
liche Athmung einleiten zu müssen. 

Wird gleichzeitig der Vagus am Halse blossgelegt und 
gereizt, so hat man ausserdem Gelegenheit, die Wirkung 
der Vagusreizung auf das Herz eines warmblütigen Thieres 
direct zu demonstriren. 


Innsbruck im November 1871. 


12% 


Kleine Mittheilungen 


über dic 


eiweissstoffführenden Zellen der Gerste. 
Von 
M. v. Vintschgau. 


(Mit einer Tafel.) 


Es ist eine längst bekannte Thatsache, dass beim Weizen 
(Triticum vulgare) unmittelbar unter den Hüllen eine 
Reihe von Zellen vorkommt, welche mit sehr kleinen Körn- 
chen von Albuminsubstanzen erfüllt sind. Diese Zellen nennt 
man Kleberzellen. 

Es wird für gewöhnlich angeführt, dass bei allen Cere- 
alien nur eine Reihe solcher Kleberzellen vorkomme, wess- 
wegen ich nicht wenig überrascht war, bei der Untersuchung 
der gemeinen Gerste (Hordeum vulgare), konstant mehrere 
Reihen ähnlicher Zellen zu finden. 

Da es mir unwahrscheinlich schien, dass diese Thatsache 
unbekannt sei, so stellte ich Nachforschungen in der botanischen 
Literatur an; es war mir aber nicht möglich, darüber irgend 
eine Angabe zu finden. — Ich habe auch die Herren Prof. 
Kostelecky in Prag und Kerner in Innsbruek mündlich 
darüber befragt und Herr Tempsky in Prag war so 
gütig, bei Herrn Prof. Sachs Erkundigungen einzuziehen. 
Die Antworten lauteten immer dahin, dass die Anzahl der 


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— 121 — 


hier in Rede stehenden Zellenschichten noch nicht bekannt 
ist, wesshalb ich mich entschloss, alle jene Gerstenarten, 
deren ich habhaft werden konnte, in der genannten Richtung 
zu untersuchen. 

Herr Prof. Kostelecky in Prag hatte die Freundlich- 
keit, mir mehrere Gerstenarten zu übergeben, andere erhielt 
ich von der k. patriotisch-ökonom. Gesellschaft in Prag und 
von der landwirthschaftlichen Schule in Hohenheim. 

Folgende sind die Gerstenarten, die ich in meine Unter- 
suchungen einbezog: Hordeum vulgare, zeocriton, nigrum, 
distichon, coeleste, nudum, polystichum, hexastichum, hy- 
malaiense. 

In allen diesen neun Arten, ist die Anzahl der eiweiss- 
stoffführenden Zellen !) niemals geringer, als zwei, ja sie 
kann auf 3, 4, hie und da sogar auf 5 steigen. 

In der beigefügten von H. M. Dietl, Assistenten am 
physiol. Institute, ausgeführten Zeichnungen zeigt Fig. 1 einen 
Durchschnitt der Gerste, und zwar a) die Hüllen der Gerste, 
b) die eiweissstoffführenden Zellen, ce) einige der grossen Ei- 
weissstoff und Amylumkörner enthaltenden Zellen. 

Die eiweissstoffhaltigen Zellen haben im Allgemeinen 
eine polyedrische Gestalt, und wie man alle möglichen Formen 
findet, so ist auch ihre Grösse sehr verschieden. — Ich habe 
wohl bei allen obengenannten Gerstenarten die Zellen ge- 
‚messen, und zwar immer in zwei aufeinander senkrechten 
Richtungen, aber so verschiedenartige Zahlen erhalten, dass 
es keine Bedeutung hätte, auch nur einige Mittelwerthe an- 
zuführen. 


1) Nach den übereinstimmenden Angaben von Bibra, Payen und 
Meissner findet man in der Gerste keinen Kleber, wie im Weizen, es 
kommen wohl im Wasser un!ösliche Eiweissstoffe vor, dieselben be- 
sitzen aber durchaus nicht die eigenthümlichen und allgemein bekannten 
Eigenschaften des Weizen-Klebers; aus diesem Grund vermied ich das 
Wort kleberführende Zellen, und zog dagegen die unverfänglichen 
Ausdrücke eiweissstoffiührende oder Eiweissstoff enthaltende Zellen in An- 
wendung. 


— 122 — 


Die Dicke der Zellenwand, welche gemeinschaftlich meh- 
reren Zellen angehört, schwankt bei allen Gerstenarten mit 
Inbegriff einiger wildwachsenden, die ich später namentlich 
anführen werde, zwischen 2.1 und 6.3 u., jedoch kommen 
diese beiden Extreme selten vor, und die meisten Zellen- 
wände besitzen eine Dicke von 4.0 u.; es muss aber er- 
wähnt werden, dass eine Zellenwand nicht überall die gleiche 
Dicke aufweist, sondern dass sie an den Ecken, wo mehrere 
Zellen zusammenstossen dicker ist, wie diess auch an Fig. 1 
ersichtlich ist. 

In der grossen Längsfurche der Gerste findet man diese 
Zellen nicht bloss kleiner werden, sondern auch die Anzahl der 
Schichten sich immer mehr verringern, so dass sie bald auf 
eine einzige reducirt erscheinen, und selbst in dieser sind die 
Zellen nicht allein klein, sondern auch spärlich, und hören 
endlich in der Tiefe der Furche auf. — Beim Weizen da- 
gegen sieht man bekanntlich die Kleberzellen in der Tiefe 
der Furche eine continuirliche Reihe bilden. 

Wenn man einen Schnitt anfertigt parallel mit der 
Oberfläche des Gerstenkornes, und man bloss die eiweiss- 
stoffführenden Zellen trifft, so stellt sich, wie nicht anders zu 
erwarten, eine schöne Mosaik dar. 

Durch besondere Maschinen wird die Gerste von den 
Spelzen befreiet, und die so bereitete Gerste führt die Namen 
Gerstengraupe, Perlengerste, gerollte Gerste, Ulmergerste. 

Ich habe sechs Arten von Gerstengraupe untersucht, 
die sich voneinander durch ihre Grösse unterschieden. 

Schon mit blossem Auge lässt sich wahrnehmen, dass die 
kleinste Sorte, welche in der Kunstmühle von H. Schweig- 
hofer zu Hall bei Innsbruck, mit Nr. 1 bezeichnet wird, 
an ihrer Oberfläche nur eine geringe Menge von eiweissstoff- 
haltigen Zellen enthält, je gröber dagegen, nämlich je dicker 
und grösser die gerollte Gerste ist, ein desto grösserer Theil 
ihrer Oberfläche ist mit jenen Zellen bedeckt. Mit Zuhülfe- 
nahme des Mikroskopes überzeugt man sich leicht, dass die 
gröberen Sorten von gerollter Gerste, die mit Nr. 6 bezeich- 


— 123 — 


net werden, nicht bloss an den meisten Stellen der Ober- 
fläche fast alle eiweissstoffführenden Zellen en'halten, son- 
dern dass sehr häufig noch Reste der Samenhüllen an den- 
selben haften geblieben sind. 

Durch die Güte des Herrn Prof. Kerner in Innsbruck 
wurde mir die Möglichkeit geboten, drei wildwachsende Arten 
von Gerste zu untersuchen, nämlich Hordeum murinum, se- 
calinum und maritinum; bei diesen fand ich bloss eine 
Reihe von den oftgenannten Zellen, so dass diese wildwach- 
sende Gerstenarten in dieser Beziehung sich von den übrigen 
Cerealien durchaus nicht unterscheiden. 

Schliesslich will ich die Botaniker noch auf eine andere 
Thatsache aufmerksam machen. — In der Mitte jeder ei- 
weissstoffführenden Zelle, findet man einen bald runden, bald 
ovalen Körper, welcher einem Kern nicht unähnlich sieht. 

Bei vier Getreide-Arten (Triticum vulgare, Hordeum 
vulgare, Secale cereale Avena sativa), die ich untersuchte, 
liess sich dieser Körper nachweisen, sobald man die Durch- 
schnitte trocken anfertigte und mit Nelkenöl behandelte. 

Beim Hafer lässt sich dieser Körper am leichtesten und 
sichersten nachweisen, sobald man in der angegebenen Weise 
verfährt. (Fig. 2.) Seine Grösse beträgt im Mittel 7.0 u. 

Ob man es hier mit einem wirklichen Kern oder mit 
einem anderen Gebilde zu thun hat, kann ich nicht ent- 
scheiden. — Dieser Körper scheint vom Wasser stark ange- 
griffen, ja vielleicht aufgelöst zu werden, da mir seine Ge- 
genwart nur dann mit Sicherheit darzuthun gelungen ist, 
wenn ich das Befeuchten der Präparate mit Wasser vermied. 


Innsbruck im Dezember 1871. 


Novee plantarum species. 


Auctore 


A. Kerner. 


1. Rubus przecox 


turionibus arcuato-deflexis, obtusangulis, pilis fasct- 
culatis spersis et aculeis conformibus validis munitis, folüs 
quinatis, petiolis et petiolulis teretibus, pilis horizontaliter 
patentibus villosis, foliolis radiatim dispositis, omnibus 
petiolulatis, ovatis, longe acuminatis, tenuibus, utringue viri- 
dibus et pilosis, ramulis florigeris abbreviatis, inflores- 
centia pseudo-racemosa, laxa, pedunculis elongatis, paten- 
tibus viridibus tenuibus, superioribus approximatis corym- 
bosis, floribus magnis, sepalis in dorso viridibus pilosis, 
albido-marginatis, post anihesin et in fructu patulis, 
staminibus stylos aequantibus, germinibus glabris. 


In locis umbrosis humidiuseulis ad silvarum oras in vallibus transal- 
pinis, circa Goritziam solo arenoso et argillaceo. 


Schössling und Stamm bogenförmig zur Erde gekrümmt, 
0.5—1 Centim. im Durchmesser, rundlich - stumpfkantig 
mit gestreiften Seiten, in der Jugend ziemlich reichlich mit 
abstehenden 1—2""%: langen gebüschelten Haaren bestreut, 
die auch auf die Stacheln übergehen, aber im Alter sich 
mehr und mehr verlieren; zwischen je zwei Blättern mit 
5—10 gleichgrossen nahezu 1 Centim. langen Stacheln besetzt, 
welche sich aus einer länglich-linealen, schmalen 1 Centim. 


— 12 — 


langen Ansatzfläche und einer stark zusammengedrückten, drei- 
eckigen Basis in eine schwachgeneigte und etwas gekrümmte 
Spitze verschmalern. Die ganze Pflanze ohne Stieldrüsen. 
Die Blätter der Schösslinge lang gestielt, fünfzählig, selten 
durch Verschmelzung der seitlichen Blättehen vierzählig und 
dreizählig; der gemeinschaftliche Blattstiel, so wie die Stiele 
der Theilblättchen stielrund, von wagrecht abstehenden 1— 2" 
langen, weichen Haaren zottig, (ähnlich wie bei Fragaria 
elatior) und mit nicht sehr zahlreichen aber kräftigen aus 
breiter zusammengedrückter Basis in eine zurückgekrümmte 
Spitze vorgezogenen Stacheln bewehrt; die Theilblättchen ra- 
dial gestellt, gross, dünn und weich, oberseits dunkler grün 
und glanzlos, unterseits blassgrün und etwas glänzend, an 
beiden Flächen von mehr weniger abstehenden schimmernden 
Haaren bekleidet, und längs dem Mittelnerv an der unteren 
Fläche mit gekrümmten Stachelchen bewehrt, am Rande von 
breiteiförmigen kurzen plötzlich in ein lineal-pfriemliches 
0.5—1™™ langes abstehendes Spitzchen zusammengezogenen 
wimperhaarigen Zähnen gesägt. Das endständige Theilblatt- 
chen aüs zugerundeter Basis eiförmig, lang zugespitzt, 10 
bis 14 Ctm. lang, 6—7 Centim. breit, an einem 4—6 Ctm. 
langen Stielchen, also mehr als doppelt so lang als dieses Stiel- 
chen; die beiden seitenständigen mittleren Blättchen verkehrtei- 
förmig, lang zugespitzt, 9—13 Centim. lang, 4—6 Centim. 
breit, an einem 1.5—3 Centim. langen Stielchen; die bei- 
den unteren Blättchen länglich — Jlanzettlich oder länglich 
— verkehrteiförmig, 7—8 Centim. lang, 3 Centim. breit, an 
0.5 Centim. langen Stielchen. Wenn die beiden seitlichen 
Blättchen einer Seite zu einem verschmolzen sind, so er- 
scheint das durch diese Verschmelzung entstandene Blättchen 
tief zweilappig. Die Nebenblätter sehr schmal lineal, 1.5 Ctm. 
lang, langhaarig gewimpert. — Die blüthentragenden Zweige 
nur 20—35 Centim. lang, also wenig länger als die Schöss- 
lingsblätter, kantig, grün, abstehend behaart und mit zurück- 
gekrümmten Stacheln bewehrt. Die Blätter der blüthen- 
tragenden Zweige in Farbe und Bekleidung mit den Blättern 


— 126 — 


der Schösslinge übereinstimmend, aber dreizählig, die Theil- 
blättchen verhältnissmässig breiter, nicht so lang zugespitzt, 
unregelmässiger und gröber gesägt, das mittlere an einem 
1~2 Centim. langen Stielchen, die beiden seitlichen an sehr 
kurzen Stielchen oder fast sitzend; die Nebenblätter etwas 
breiter als jene der Schösslinge. Der Blüthenstand präsentirt 
sich als eine lockere 5—15 blüthige unten sehr gestreckte, 
oben sehr verkürzte, gestutzte Scheintraube !) deren oberste 
langgestielte 2—4 Blüthen die gipfelständige zuerst sich ent- 
faltende ‘Bliithe überragen oder mit ihr in gleicher Höhe 
stehen und fast doldenartig gruppirt sind. Die 2—-4 unter- 
sten entfernt stehenden Blüthen von laubartigen einfachen 
oder dreizähligen Blättern gestüzt, die im Zuschnitt so wie 
in der Berandung und Bekleidung mit den tieferstehenden 
stengelständigen Laubblättern übereinstimmen; die folgenden 
oberen Blüthen von Bracteen gestützt, welche in ihrer Form 
den Nebenblättern ähneln, im Umriss lanzettlich erscheinen 
und gewöhnlich in drei lineale haarige Zipfel gespalten sind. 
Die Blüthenstiele sind abstehend, etwas spreizend, 2-4 Ctm. 
lang, dünn, grün, abstehend behaart, wehrlos oder mit 1-3 
sehr kleinen gekrümmten Stachelchen besetzt. Die Blüthen 
zeigen einen Durchmesser von 2.5—3 Centim. Die Kelch- 
zipfel sind 7—9™™: lang, eiförmig, lang zugespitzt, mit grüner 
abstehend behaarter weissberandeter Aussenfläche und weiss- 
lichfilziger Innenfläche; sie sind zur Zeit der Blüthe abstehend 
oder nur halb zurückgeschlagen, nach dem Abblühen gewöhn- 
lich sternförmig ausgebreitet und erst zur Zeit der Frucht- 
reife wieder etwas mehr zurückgeschlagen. Die Kronenblätter 
sind 8””- breit und 12™- lang, also kaum zweimal so lang 
als die Kelchzipfel, sie sind weiss, ausgebreitet, breit ellip- 
tisch oder verkehrteiförmig, plötzlich in den sehr kurzen 


1) Ich schlage für die aus einfach-traubenförmig angeordneten Blü- 
then gebildete cymatische Inflorescenz, welche für Rubus fruticosus, Rubus 
fastigiatus und einige verwandte Arten so charakteristisch ist, den Na- 
men Scheintraube, racemus spurius vor, analog der Bezeichnung: 
Scheinähre, spica spuria. 


—ı 20. — 


Nagel zusammengezogen, aussen spärlich behaart. Die Staub- 


fäden sind 6—7™™"- lang, ausgebreitet, und überragen in 
dieser Stellung nicht die Griffe. Die ‘Fruchtknoten sind 
orün, kahl; die Griffel grünlich, die reifen Früchte glänzend 
schwarz. 

Diese Brombeerenart blüht verhältnissmässig sehr zeit- 
lich uud öffnet ihre Blüthen bei Görz schon Mitte oder Ende 
Mai; auch die Früchte reifen früher als jene der meisten 
andern Rubus-Arten, bei Görz gewöhnlich schon im Juli. 

Der hier beschriebene Rubus ist R. fastigiatus Krasan 
in Verh. d. zool.-bot. Ges. XV., 330, aber nicht R. fasti- 
giatus W. u. N.!) — R. fastigiatus W. u. N. besitzt näm- 


1) Ueber R. fastigiatus W. & N. herrschen bei den Autoren zweier- 
lei Ansichten. O. Kuntze hält R. fastigiatus W. & N. für identisch mit 
R. suberectus Anderson, und auch Focke gibt an, dass er Weihe’sche 
Originalexemplare als „R. fastigiatus“ bestimmt besitze, die nichts an- 
ders sind, als R. suberectus Anders. Die von W. & N. gegebene Ab- 
bildung stellt aber eine andere mit R. fruticosus L. = R. plicatus 
W. & N. näher verwandte Pflanze dar und Wirtgen, so wie Bayer be- 
ziehen daher auch R. fastigiatus W. & N. nicht auf R. suberectus 
Anders., sondern anf jene an R, fruticosus L. = R. plicatus W. & N. 
sich näher anschliessende Rubus-Art. Das wahrscheinlichste ist, dass 
Weihe & Nees beide hier erwähnte Formen nicht geschieden, sondern 
beide unter dem Namen R. fastigiatus verstanden haben. Das zweck- 
mässigste scheint mir darum auch zu sein, den durch seine runden nur 
oberhalb der Mitte schwach fünfkantigen, mit kleinen, kegelförmigen, 
geraden Stacheln bewehrten Schössling, durch die fast kahlen Blätter und 
die kurzen Stiele der mittleren Seitenblättchen ausgezeichneten Rubus 
suberectus Anders. mit diesem seinem ältesten Namen zu benennen, da 
gegen jenen zweiten durch fünfkantigen nach oben zu mit sehr kräfti- 
gen grossen Stacheln bewehrten und durch langgestielte mittlere Seiten- 
blättehen ausgezeichneten, dem R. fruticosus L. zunächst stehenden aber 
von diesem doch wieder durch die lang zugespitzten ebenen Theilblätt- 
chen, die grösseren Blüten die längeren den Griffeln gleichhohen oder 
diese etwas überragenden Staubgefässe leicht zu unterscheidenden Rubus 
mit dem Namen Rubus fastigiatus W. & N. zu bezeichnen, wie es auch 
Wirtgen und Bayer gethan haben. Will man dann dem Namen R. fasti- 
giatus W. & N. allenfalls noch ein „ex parte“ beisetzen, so kann man 
das immerhin thun. 

Mag man übrigens der einen oder anderen Auffassung huldigen, sa 


lich oberseits deutlich vertiefte eingedrückte oder rinnige Blatt- 


und Blättchenstiele, derbes Laub mit schwacher wenig ab- 
stehender Behaarung und entweder ganz kahle oder nur an 
den obersten Interfoliartheilen mit zerstreuten einfachen Haa- 
ren in der Jugend bekleidete Schösslinge und unterscheidet 
sich sonach sehr wesentlich von dem oben beschriebenen 
Rubus. Insbesonders dürfte auf das zuletzt angeführte Unter- 
scheidungsmerkmal hier einiges Gewicht zu legen sein, nach- 
dem durch O. Kuntze nachgewiesen wurde, dass die Schöss- 
linge des R. fruticosus und der mit diesem zunächst ver- 
wandten Arten mit einfachen im Alter schwindenden 
Haaren, dagegen die Schösslinge des R. silvaticus, R. vul- 
garis und der an diese sich anschliessenden Arten mit ge- 
büschelten bleibenden Haaren mehr weniger reichlich be- 
setzt sind. Die Schösslinge des oben beschriebenen R. prae- 
cox tragen nun deutliche, wenn auch spärliche Büschelhaare 
und hiedurch würde sich also dieser Rubus in die letztere 
Gruppe reihen. Ueberblickt man aber die anderen Merk- 
male dieses Rubus: die grüne weissberandete Aussenfläche 
der abstehenden Kelchzipfel, die über die Griffel nicht hin- 
ausragenden Staubgefässe, die eigenthümliche oben geschil- 
derte Inflorescenz und die kurzen blüthentragenden Zweige, 
und berücksichtiget man die ganze Tracht desselben, so lässt 
sich nicht in Abrede stellen, dass er dem R. fastigiatus 
W. u. N. und R. fruticosus L. weit näher verwandt ist, und 
es ist auch sehr begreiflich, wie er von Krasan für Rubus 
fastigiatus genommen werden konnte. — Aus diesen Bemer- 
kungen ergibt sich freilich auch das Resultat, dass das Vor- 
handensein der einfachen oder gebüschelten Haare an den 
Schösslingen als Merkmal zur Eintheilung der Homoacanthi 
in untergeordnete Gruppen füglich nicht verwendet werden 
kann und dass eine nur auf dieses Merkmal gegründete 


viel ist gewiss, dass weder dieser zuletzt erwähnte R. fastigiatus W. &N. 
ex parte, noch R. suberectus Anders. mit den in dem südöstlichen Ge- 
lände der Alpen bei Görz vorkommenden von Krasan für R. fastigiatus 
gehaltenen Rubus übereinstimmt. 


— 129 — 


Gruppirung eine ganz kiinstliche sein wiirde. — Viel uatiir- 
licher scheint es mir dagegen, ein anderes biologisches, an 
getrockneten Exemplaren freilich nicht mehr zu erkennendes 
Merkmal zur Gruppeneintheilung der hier in Rede stehenden 
Rubus-Arten zu verwenden, das ist die Bliithezeit. R. fru- 
ticosus L., R. suberectus Anders., R. fastigiatus W. u. N. 
stehen nämlich zu einer Zeit bereits in voller Bliithe, in 
welcher unter ganz gleichen äusseren Verhältnissen R. sil- 
vaticus W. u. N., R. vulgaris W. u. N. und die mit diesen 
verwandten Arten ihre Blüthenknospen noch gar nicht geöff- 
net haben und man könnte die ersteren füglich unter dem 
Namen der Praecoces zusammenfassen. — In diese 
Gruppe der frühblühenden Homoacanthi, welche in Europa 
den nördlicheren Landstrichen angehört, während sie auf den 
südlichen Halbinseln unseres Continentes durch keine einzige 
Art vertreten ist, gehört nun auch der oben beschriebene 
Rubus praecox und ich glaube denselben als den südlichsten 
Vorposten dieser Gruppe ansehen zu können. 


2. Rubus gorizianus 


turionibus et truncis arcuato-deflexis, 5-angularibus, glab- 
rescentibus , parce aculeatis: aculeis conformibus, validis 
subreclinatis, glabratis; foliis quinatis, foliolis magnis, 
radiatim dispositis, omnibi:s petiolulatis, tenuibus, ellipticis, 
brevissime acuminatis, erregulariter serratis, discoloribus, 
supra viridibus siriqulosis, subtus albidis tenuissime ad- 
presse tomentosis, inflorescentia pauciflora, ovata, e cymulis 
1—3-floris composita, inferne foliata, superne nuda, pe- 
dunculis tenuibus tomentosis et parce aculeolatis, sepalis 
sub anthesi et in fructu reflexis, cano-tomentosis, inermi- 
bus, petalis albis late ellipticis, sepala viv duplo superan- 
tibus, staminibus stylos superantibus, germinibus viridibus 

pilis elongatis ewignis obsitis. 

In dumetis et ad silvarum oras prope Goriziam. 


Schössling bogig zur Erde geneigt, 4—6™™ dick, fünf- 


— 130 — 


kantig im frischen Zustande mit flachen glatten, im getrock- 
neten Zustande mit etwas vertieften Seiten, in der Jngend 
mit spärlichen Büschelhaaren bestreut, im Alter kahl, zwi- 
schen je zwei Blättern mit 3—8 gleichgrossen 6-—8™™: lan- 
gen kahlen Stacheln besetzt, welche sich aus einer linealen 
‚ nahezu 1 Centim. langen Ansatzfläche und zusammenge- 
drückten dreieckigen Basis in eine gerade wagrecht abste- 
hende oder etwas rückwärts geneigte Spitze verschmälern. 
Die ganze Pflanze ohne Stieldrüsen. Die Blätter der Schöss- 
linge gross, dünn und weich, lang gestielt, fünfzählig, die 
Theilblättchen radial gestellt, alle gestielt; das endständige 
Blättchen breit elliptisch, kurz zugespitzt, an der Basis etwas 
herzförmig ausgerandet, 6—15 Centim. lang, 4—10 Ctm. 
breit, an einem 2--4 Centim. langen Stielchen, also bei- 
läufig 3—4 mal so lang als dieses Stielchen; die mittleren 
seitenständigen Blättchen etwas schmäler, elliptisch, zum 
Theile auch verkehrteiförmig, sehr kurz zugespitzt, 6-12 Ctm. 
lang, 3—7 Centim. breit, an Stielchen, welche 1—1.5 Ctm. 
Ausmaass zeigen; die unteren seitlichen Blättchen 5—9 Ctm. 
lang, 2—4 Centim. breit, an ,2—-3™™. langen Stielchen; alle 
Blättchen unregelmässig grob gesägt mit breit eiförmigen 
kurz bespitzten, nach Vorne und Auswärts gerichteten Säge- 
zähnen, oberseits dunkelgrün, glanzlos, mit schimmernden 
anliegenden Strichelhaaren bestreut, unterseits von dicht ver- 
wobenem aber sehr kurzem dünn aufgetragenem und eng 
‚anliegendem Filze weisslich oder weisslich-graugrün, längs 
dem Mittelnerv so wie an dem flaumhaarigen Blattstiele mit 
einigen kurzen zurückgekrümmten Stachelchen besetzt. Die 
Nebenblätter 1 Centim. lang, 1%. breit, lineal, wimper- 
haarig. Die blüthentragenden Zweige 25—50 Centim. lang, 
kantig, grün, flaumhaarig, die Blätter der blüthentragenden 
Zweige mit jenen der Schösslinge im Zuschnitt, in der Be- 
randung und Bekleidung übereinstimmend; der Blüthenstand 
armblüthig, im Umrisse eiförmig, aus 1—2 blüthigen seltener 
3 blüthigen locker gestellten abstehenden, traubig angeord- 
neten Cymen gebildet. Die 4—5 unteren Aeste der Inflores- 


— 131 — 


cenz von laubartigen dreizähligen oder einfachen im Zuschnitt 
so wie in der Berandung und Bekleidung mit den tiefer 
stehenden Stengelblättern übereinstimmenden Blättchen ge- 
stützt, die obersten Cymen von häutigen flaumhaarigen lineal- 
lanzettlichen ungetheilten oder in drei lineale vorgestreckte 
Zipfel getheilten Bracteen gestützt. Die Blüthenstiele dünn, 
von sehr kurzen Härchen filzig, graugrün, zugleich von län- 
geren abstehenden Haaren flaumig und von spärlichen 
2— 4m. Jangen, mit der Spitze etwas zurückgeneigten Stachel- 
chen bewehrt. Die Blüthen sind mittelgross, 2.5 Centim. im 
Durchmesser. Die Kelchzipfel sind 6—7™: lang, 3—3.5™- 
breit, eiförmig, zugespitzt, die Spitze manchmal in ein kleines 
grünes Anhängsel auslaufend, gleichmässig graufilzig, unbe- 
wehrt, zur Blüthe- und Fruchtzeit zurückgeschlagen. Die 
Kronenblätter weiss, an der Aussenfläche mit zarten Härchen 
bestreut, rundlich-elliptisch, 8" breit und 10": lang, also 
nicht ganz doppelt so lang als die Kelchzipfel, gegen die 
Basis in einen 1"”- breiten sehr kurzen Nagel zusammen- 
gezogen. Die Staubfäden kahl, weiss, 6—7"" lang, deut- 
lich über die Griffel hinausragend. Die Fruchtknoten grün, 
mit vereinzelten langen Haaren bestreut, die Griffel grünlich. 

Der hier beschriebene Rubus nähert sich einigermassen 
dem R. silvaticus W. u. N. und R. pubescens W. u. N. — 
Ersterer unterscheidet sich aber durch den büschelhaarigen 
reichstacheligen Stamm, die unterseits grünen Blätter, die 
bis zur Spitze beblätterte Inflorescenz, die reich und lang- 
nadeligen Blüthenstiele und die langhaarig-zottigen Kelch- | 
zipfel; letzterer durch den anch im Alter noch büschel- 
haarigen Stamm, die behaarten Stacheln, die derben Blätter, 
die reichblüthige Inflorescenz nd die dichtbehaarten Frucht- 
knoten. Die zuletzt angeführten Unterscheidungsmerkmale 
sind freilich nur relativ und vielleicht ist daher R. gorizia- 
nus nichts anders, als eine durch den schattigen Standort 
bedingte Form des R. pubescens. Habituell weicht derselbe 
von R. pubescens allerdings sehr ab. 

Krasan, der den hier beschriebenen Rubns bei Görz 


Map 


gesammelt, muthmasst in demselben einen der Combination: 
fastigiatus X amoenus entsprechenden Bastart. Da aber 
der bei Görz vorkommende Rubus, welchen Krasan für R. 
fastigiatus hielt, nicht die gleichnamige Pflanze von Weihe 
und Nees, sondern der im Früheren beschriebene R. prae- 
cox ist und da auch der echte R. amoenus Portenschlag bei 
Görz schwerlich vorkommt, vielmehr der von Krasan für „R. 
amoenus“ genommene Rubus mit R. rusticanus Merc. zu 
identifiziren sein dürfte !), so würde wohl der R. gorizianus 


1) Der Name Rubus amoenus Portenschlag wird mit Unrecht von 
Focke und anderen neueren Rubologen mit R. rusticanus Merc. indenti- 
fizirt. Ich selbst hielt diese beiden Rubus früher für identisch und habe 
den in Südtirol sehr verbreiteten R rusticanus Merc. unter dem Namen 
R. amoenus vielfach versendet. Bei der Untersuchung einiger in Dal- 
matien und Istrien gesammelten Rubus wurde ich aber darauf aufmerk- 
sam, dass dort zwei Arten vorkommen, welche sich zwar sehr ähnlich 
sehen, die aber doch sicherlich auseinander zu halten sind. — Die vio- 
letten Stämme und Zweige des einen sind kahl oder nur mit spärlichen 
sehr kurzen Büschelhaaren bestreut, aber mit einer dünnen weissen 
brüchigen sich stellenweise fast schülferig oder kleienartig von der Epi- 
dermis abhebenden Schichte überzogen, welche abgeschabt und auf einem 
Gläschen erwärmt rasch zerschmilzt und sich unzweifelhaft als Wachs- 
überzug zu erkennen gibt; die Zweige des zweiten sind von dichtem 
eng anliegenden glanzlosen grauen sammtigen Filze bekleidet. — Der 
Rubus mit dem Wachsüberzuge ist nun R. rusticanus Merc. und ist zu 
Folge der von mir eingesehenen Exemplare im Wiener botan. Hofkabi- 
nete so wie mach meinen eigenen Beobachtungen in Portugal und 
Granada, Südfrankreich, Südschweiz, Südtirol, Görz, Fiume, Italien und 
Sizilien, Griechenland und Macedonien und auch im nördlichen Afrika 
(Algier) verbreitet. Der Rubus mit den filzigen Zweigen ist dagegen 
R. amoenus Portenschlag. Durch die Güte Prof. Fenzl’s wurde ich in 
die Lage gesetzt, die Pflanze Portenschlags selbst einzusehen und mich 
zu überzeugen, dass die Beschreibung welche Visiani in der Fl. dalm. 
III, 248, wo von R. fruticosns var. amoenus = R. amoenus Portensch. 
herb.! gesagt wird „caulibus velutino-pubescentibus“ in der That ganz 
richtig ist. — Ob dieser echte R. amoenus Port. eine eben so grosse 
Verbreitung im südlichen Europa besitzt, wie R. rusticanus Merc. muss 
ich vorläufig dahingestellt sein lassen. Bei Pola in Istrien sammelte 
ich ihn selbst; im Herb. des Wiener bot. Hofkabinetes sah ich denselben 
aus Dalmatien und Griechenland. 


too 


wenn derselbe überhaupt einer hybriden Befruchtung sein 
Dasein verdankt, richtiger als ein der Kreuzung: praecox 
X rusticanus entsprechender Bastart zu deuten sein. 

Dass es hybride Rubus geben könne, unterliegt wohl 
keinem Zweifel, ja es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die 
Zahl derselben, so wie bei den verwandten Gattungen Geum, 
Potentilla und Rosa eine sehr grosse ist, und dass die 
Schwierigkeiten, welche diese Gattung der Phytographie dar-- 
bietet, zum guten Theile gerade von dieser grossen Zahl 
hybrider Arten herrühren. Ich sage hier ausdrücklich: hy- 
bride Arten; denn ich bin der festen Ueberzeugung, dass 
sich durch Bastartirung auch Arten bilden können. Wie ich 
an anderer Stelle!) gezeigt habe, ist nämlich nach dem 
gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse nicht mehr daran 
zu zweifeln, dass zwar unzählige in der freien Natur ge- 
bildete und sich fort und fort bildende Bastarte wieder zu 
Grunde gehen, ohne die Ausgangspunkte neuer Arten zu 
werden, dass aber unter dem Zusammentreffen günstiger Be- 
dingungen die einmal erzeugten Bastarte sich auch erhalten 
und vermehren, konkurrenzfähig werden, sich ausbreiten und 
sich einen Verbreitungsbezirk schaffen, das heisst also zu 
Arten werden; denn wie anders sollen wir Pflanzen nennen, 
welche in unzählbaren Individuen sich über ein bestimmtes 
Areal verbreitet haben, sich dort dureh Früchte erneuern 
und vermehren, und sich auf dem gebildeten Areale durch 
Generationen mit ihren Merkmalen gleichförmig erhalten! 
Wenn ich mich aber auch für das Vorhandensein zahlreicher 
Bastarte in der Gattung Rubus erkläre, so glaube ich doch 
anderseits wieder, dass wir von dem Ziele: die einzelnen 
Rubusarten in Betreff ihrer Entstehungsgeschichte jetzt schon 
richtig zu deuten, noch sehr weit entfernt sind. Wir wissen 
gegenwärtig nicht einmal annähernd, welche Arten als die 
Stammarten, und welche als Bastarte aufzufassen sind. Da 
sich leider verhältnissmässig nur wenig Phytographen mit 


*) Oesterr. bot. Zeitschrift XXI Nro. 21. 
Naturw.-med. Verein. 13 


— 134 — 


Rubus eingehender beschäftiget haben, so liegt über diese 
Verhältnisse in der Literatur überhaupt nur wenig vor. Das 
wenige aber, was vorliegt, zeigt, dass die Ansichten über 
die Frage, ob dieser oder jener Rubus als ein Bastart zu 
deuten sei, und welche Arten etwa als seine Stammarten 
zu bezeichnen wären, sich oft schnurstraks entgegenstehen. 
Von den Einen wird R. suberectus Anders. als ein „unzweifel- 
hafter* Bastart aus R. Idaeus L. und R. fruticosus L. an- 
gesehen, während Andere diesen hybriden Ursprung mit eben 
so grosser Entschiedenheit in Abrede stellen und wider Andere 
diese Pflanze für einen der Combination corylifolius >< Idaeus 
entsprechenden Bastart erklärten. Die Arten der Gruppe: 
Corylifolii werden von mehreren Autoren für Bastarte aus 
R. caesius L. mit Arten der verschiedensten Gruppen ange- 
sehen, während andere Autoren in dem massenhaften Vor- 
kommen und in der normalen Entwicklung reifer Früchte 
einen Gegenbeweis gegen die hybride Natur der Corylifolii 
finden zu können glauben. — Darin liegt aber gerade eine 
der grössten Schwierigkeiten, dass alle jene Anzeichen, welche 
man bei anderen Pflanzengattungen zur Deutung der hybriden 
oder nichthybriden Natur mit Erfolg benützt, bei der Gattung 
Rubus im Stiche lassen. Ob ein Strauch reife Früchte zur 
Entwicklung bringt, oder ob seine Fruchtanlagen abortiren, 
hat beispielsweise bei der Beurtheilung der hybriden Natur 
eines Rubus nur einen sehr untergeordneten Werth. Ich 
beobachtete einige reichlichst blühende Sträucher des R. can- 
dicans Weihe (R. thyrsoideus Wimmer), also einer Art, welche 
von allen Autoren als nicht hybrid angesehen wird, und die 
in der Regel anderwärts reichlich fructifizirt, durch eine Reihe 
von Jahren ganz steril bleiben, während an derselben Stelle 
R. dumetorum, den die meisten Rubologen für einen Bastart 
halten, alljährlich normale vollzählige Früchte entwickelte. 
Dieser letztere von den meisten Autoren für hybrid erklärte 
Rubus gehört zu den verbreitetsten Arten, und findet sich 
in zahlreichen Individuen in Gegenden, wo die eine seiner 
gemuthmassten Stammeltern vollständig fehlt. Ich erwähne 


— 15 — 


dieser Dinge nur, um damit zu zeigen, wie misslich es ist, 
bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse über Rubus 
die einzelnen Arten in Betreff ihres Ursprunges zu erklären 
und a prior; zu sagen, ob ein gegebener Rubus ein Bastart 
sei oder nicht. Aber auch a posteriori wird sich in vielen 
Fällen der Beweis der hybriden Abstammung einer wildge- 
wachsenen Pflanze nur schwer herstellen lassen. Bei solchen 
Formen, welche in ihren Merkmalen zwischen zwei nahe .ver- 
wandten Arten derselben Gruppe die Mitte halten, wird es 
wenigstens immer zweifelhaft bleiben, ob nicht die fragliche 
Pflanze, welche sich als Mittelform präsentirt, ein Ueber- 
bleibsel der Stammpflanze ist, aus welcher sich eben jene 
zwei nahe verwandten Arten im Laufe der Zeit entwickelt 
haben. Dass die Stammpflanze zweier Tochterarten dem Ba- 
starte eben dieser Tochterarten ganz gleichsehen muss, liegt 
auf der Hand. Ich erwarte mir darum auch von künstlich 
eingeleiteten Bastartirungen und Culturversuchen zur Ent- 
scheidung der hier in Rede stehenden Fragen kein besonders 
befriedigendes Resultat und glaube, dass diese Versuche in 
vielen Fällen unsere Zweifel darüber, ob eine gegebene in 
der freien Natur aufgefundene Mittelform hybriden oder nicht 
hybriden Ursprungs ist, nicht zu lösen im Stande sein werden. 

Damit soll natürlich der Werth, welchen derartige künst- 
lich eingeleitete Bastartirungen und Culturversuche in mehr- 
facher ‘Beziehung haben, nicht in Abrede gestellt werden, ja 
ich halte es auch durchaus nicht für überflüssig in jedem 
speziellen Falle auch ohne Culturversuche die Frage zu er- 
örtern, von welchen anderen Arten ein gegebener wildwach- 
send gefundener Rubus abstammen könnte; denn es wird 
eine solche Erörterung jedenfalls wesentlich dazu beitragen, 
die systematische Stellung der betreffenden Pflanze, so wie 
die Verwandtschaftsverhältnisse derselben klar zu machen. 

Was ich aber für ganz unzweckmässig und verwirrend 
halte, ist der Versuch, die Nomenklatur der Rubusarten ent- 
sprechend den ganz unsicheren Muthmassungen über kybride 
oder nichthybride Natur einzurichten und die einzelnen Arten, 

Lon 


— 136 — 


welche man fiir hybrid halt, auf diese Muthmassung hin mit 
einem nach der Schiede’schen Methode formulirten Doppel- 
namen zu bezeichnen. Wenn ich auch nicht zu denjenigen 
gehöre, welche ein umfangreiches Synonymenregister in einer 
Pflanzengattung für ein Unglück halten, vielmehr ein solches 
weitläufiges Register bei jeder reichgegliederten Pflanzen- 
gruppe als etwas Selbstverständliches, als einen durch den 
Entwicklungsgang unserer Kenntnisse nothwendig bedingten 
lehrreichen Appendix ansehe, so wird mir doch vor den 
endlosen Synonymen-Reihen bange, welche durch die Ein- 
führung der Schiede’schen Formeln in ganz überflüssiger Weise 
provocirt werden. Da die Autoren, welche dieser Nomen- 
klatur huldigen, darüber, was als nichthybride Stammart an- 
zusehen sei, durchaus nicht übereinstimmen, da der eine den 
Formenkreis einer Art enger, der andere weiter zieht, da 
überdiess auch über die Benennung jener Arten, über welche 
die meisten Autoren in Betreff der Umgränzung einig sind, 
und welche alle einstimmig für nichthybride Stammarten 
halten, die Akten noch lange nicht geschlossen sind, so ist 
es erklärlich, dass fast jeder der Autoren, dem von ihm ge- 
muthmassten hybriden Rubus andere nach der Schiede’schen 
Methode formulirte Namen gibt, so wie es anderseits unver- 
meidlich wird, dass jedesmal, sobald sich bei Erweiterung 
unserer Kenntnisse die Aenderung des Namens einer Stamm- 
art als nothwendig herausstellt, auch die Namen aller jener 
gemuthmassten hybriden Rubus geändert werden müssen, an 
welchen die Autoren jene Stammart betheiligt halten. Um 
nur ein paar Beispiele anzuführen, sei hier erwähnt, dass 
Krasan den Rubus corylifolius Sm. als R. caesius X dis- 
color, ©. Kuntze als R. caesius X fruticosus, Focke als 
R. caesius X amoenus erklärt, und dass R. dumetorum von 
Fischer-Ooster als R. caesius X glandulosus von Focke als 
R. fruticosus X caesius, von Krasan als R. caesius X dis- 
color bezeichnet wird. — O. Kuntze nennt den R. macro- 
phyllus W. u. N.: R. fruticosus X sanctus; den R. macroa- ~ 
canthus W, u. N.: R. candicans X sanctus; den R. Sprengelii 


— 137 — 


Weihe: R. caesius X sanctus; den R. pycnostachys J. P. 
Müller: R. sanctus :tomentosus und den R. vestitus Weihe: 
R. radula X sanctus. Es ist aber jetzt nachgewiesen, dass 
R. sanctus Schreb. eine von allen Arten die O. Kuntze unter 
seinem „R. sanctus“ zusammenfasst, ganz verschiedene im 
Oriente heimische Pflanze ist, welche an keinem der oben 
aufgezählten von O. Kuntze gemuthmassten Bastarten be- 
theiliget sein kann, und es müssten daher jetzt dem ent- 
sprechend alle diese Kuntze’schen Namen wieder geändert 
werden. — Es genügt wohl dieser wenigen Beispiele — denen 
ich leider noch eine grosse Zahl an die Seite stellen könnte 
— um zu zeigen, welcher ebenso endlose als überflüssige 
Synonymenwust durch diese ungeschickte Nomenklatur in 
einer Pflanzengruppe herbeigeführt werden muss, in welcher 
man weder darüber, was als Stammart gelten soll, noch 
über die Abgränzung, noch über die Benennung dieser Stamm- 
arten zu einem nur einigermassen befriedigenden Abschlusse 
gekommen ist. 

Diesen etwas ausführlicheren Exkurs glaubte ich hier ein- 
schalten zu müssen, um damit mein Verfahren bei der Be- 
handlung der im Nachfolgenden beschriebenen Rubus zu be- 
gründen und zu rechtfertigen. Manche der hier von mir 
beschriebenen Rubus mögen vielleicht hybriden Ursprunges 
sein, manche sind es wahrscheinlich nicht. Die Gründe, 
welche für und gegen eine solche Muthmassung sprechen, 
werde ich in den einzelnen Fällen stets angeben, es aber 
vermeiden, zur Bezeichnung der beschriebenen Arten Namen 
zu wählen, welche eben nur auf einer Muthmassung beruhen 
und daher vielleicht schon in kürzester Zeit wieder geändert 
werden müssten, 


3. Rubus persicinus 
turtonibus et truncis validis, obtusangulis, erectis, superne 
arcuatis, pilis sparsis fasciculatis et aculeis validis con- 
formibus rectis munitis, foliis quinatis, foliolis radiatim 


— 138 — 


dispositis, omnibus petiolatis, obovatis, acuminatis, inae- 
qualiter serratis, supra glabris, pianis, subtus griseo- 
velutino- pubescentibus, inflorescentia oblonga, densiuscula, 
e cymulis erecto-patentibus composita, pedunculis cano- 
tomentosis, aculeolis brevibus paucis munitis, floribus spe- 
ciosis, sepalis reflexis ‚ovatis, brevissime apiculatis, utrinque 
aequaliter cano-tomentosis, petalis late ellipticis, laete per- 
sicinis vel roseis, sepala plus duplo superantibus, germini- 
bus viridibus, pilis longis sparsis obsitis, stylis in bast 
roseis, staminibus pallide roseis superatis. 

In regione montana Tiroliae septentrionalis , solo calcareo. 

Mächtiger bis zu 2 Meter hoher Strauch, mit hoch- 
bogigen Stämmen. Schösslinge aufrecht, sehr kräftig, 1 bis 
1.5 Centim. dick, unten fast stielrund, oben stumpfkantig 
mit flachen gestreiften Seiten, mit Büschelhaaren spärlich 
bestreut, an der Lichtseite gewöhnlich roth-braun überlaufen, 
zwischen je zwei Blättern mit 4—8 gleichgestalteten 1 Centim. 
langen Stacheln besetzt, welche sich aus einer 1 Centim. 
langen länglich-linealen Ansatzfläche und stark zusammen- 
gedrückten, dreieckigen, rothbraunen, kahlen oder mit einigen 
gebüschelten Haaren bestreuten Basis in eine kräftige gerade 
oder sehr schwach gekrümmte gelbe Spitze verschmälern. 
Die ganze Pflanze ohne Stieldrüsen. Die Blätter der Schöss- 
linge lang gestielt, fünfzählig; der gemeinschaftliche Blatt- 
stiel so wie die Stielchen der Theilblattchen stielrund, flaum- 
haarig und mit gekrümmten Stachelchen (6—12 am gemein- 
schaftlichen Blattstiele) bewehrt; die Theilblättchen radial 
gestellt, oberseits dunkelgrün, in der Jugend längs dem 
Mittelnerv mit spärlichen Striegelhaaren besetzt, später kahl, 
glatt und eben, mit sehr schwachen fettigem Glanze, unter- 
seits grau-grün, sammtig-weichhaarig, an dem kräftig vor- 
springenden Mittelnerv mit gekrümmten Stachelchen besetzt, 
am Rande von eiförmig-dreieckigen mit den Spitzen nach 
Vorne und Auswärts gerichteten Zähnen unregelmässig dop- 
pelt gesägt. Das endständige Theilblättchen aus zugerun- 
deter oder schwach herzförmiger Basis rundlich-verkehrt- 


— 4139. — 


eiförmig, zugespitzt, 8-11 Centim. lang, 5—8 Centim. breit, 
an einem 3—5 Centim. langen Stielchen, also beiläufig dop- 
pelt so lang als dieses Stielchen; die beiden seitenständigen 
mittleren Blättchen elliptisch-verkehrteiförmig, zugespitzt, 8 
— 10 Centim. lang, 4—6 Centim. breit, an Stielchen, welche 
1.8—2.8. Centim. in der Länge messen, also nur um die 
Hälfte kürzer sind als das Stielchen des endständigen Blätt- 
chens; die beiden seitlichen unteren Blättchen länglich ver- 
kehrteiförmig, 6—-9 Centim. lang und 3—4.5 Centim. breit, 
an 4—6™™- langen Stielchen. Die Nebenblätter sind sehr 
schmal lineal, 1.5—2 Centim. lang, und langhaarig gewim- 
pert. Die blüthentragenden Zweige sind 20—40 Centim. 
lang, also beiläufig doppelt so lang als die Blätter, aus deren 
Achseln sie hervorgegangen, unten stielrund, oben stumpf- 
kantig, grün oder rothbraun überlaufen, von abstehenden 
weichen zarten Haaren dicht flaumig und mit sehr spär- 
lichen zurückgekrümmten 2—6""- langen Stacheln bewehrt. 
Die Blätter der blüthentragenden Zweige fünfzählig und drei- 
zählig; die Theilblättchen kürzer gestielt, schmäler und weniger 
zugespitzt, als jene der Schösslingsblätter, in der Berandung, 
Bekleidung und Färbung aber mit diesen übereinstimmend. 
Der Blüthenstand im Umrisse länglich, aus traubnförmig 
angeordneten dreiblüthigen und untermischten einblüthigen 
nahezu gleichlangen Cymen zusammengesetzt, bei einer Breite 
von 3.5—7 Centim., 6—20 Centim. lang, verhältnissmässig 
schmal und gedrängt, was davon herrührt, dass die kurz- 
gestielten Cymen aufrecht abstehen und nicht ausgesperrt 
sind. Die 2—3 untersten Cymen von laubartigen dreizähli- 
gen Blättern gestützt, die in Zuschnitt, Bekleidung und Be- 
randung mit den tiefer stehenden Laubblätter übereinstim- 
men; die folgenden oberen Cymen von grauhaarigen läng- 
lichen, gewöhnlich in 2—3 vorgestreckte lineale Zipfel gespal- 
tenen Bracteen gestützt. Die Spindel des Blüthenstandes 
gerade, grauhaarig, wehrlos oder mit vereinzelten zurück- 
gekrümmten Stachelchen besetzt; die Blüthenstiele grauhaarig- 
filzig mit wenigen 1—3™™- Jangen strohgelben Stachelchen 


— 140 — 


besetzt, manchmal auc ganz wehrlos. Die Blüthen ansehn- 
lich, 3 Centim. im Durchmesser. Die Kelchzipfel sind zur 
Blüthe- und Fruchtzeit zurückgeschlagen, 5—6™™: lang, 4™™- 
breit, eiförmig, sehr kurz bespitzt, beiderseits gleichmässig 
kurz-haarig grau-filzig, unbewehrt. Die Kronenblätter sind 
schön pfirsichblüthroth oder rosenroth und verblassen etwas 
gegen das Ende der Blüthezeit; sie sind breit elliptisch, 
8—9™»- breit und 12—13""- lang, also mehr als doppelt 
so lang als die Kelchzipfel; gegen die Basis zu in einen 1™™ 
breiten Nagel zusammengezogen und oberhalb dieses Nagels 
beiderseits mit kurzen Härchen bestreut. Die Staubfäden 
sind schön rosenroth, 6—7"” lang, und überragen deutlich 
die Griffel. Die Fruchtknoten sind grün mit vereinzelten 
langen Haaren besetzt; die Griffel an der Basis rosenroth 
gegen die Spitze grünlich. Die Früchte glänzend schwarz, 
reichlich entwickelt. 

Der hier beschriebene Rubus, den ich seiner lebhaft an 
die Blüthen des Pfirsichbaumes erinnernden grossen rothen 
Blumen wegen R. persicinus genannt habe, ist eine Zierde 
der unteren Waldregion unserer nördlichen Kalkalpen, und 
findet sich insbesonders gerne an Waldblössen und in Holz- 
schlägen an sonnigen warmen Lehnen; um Innsbruck ins- 
besonders am Fusse der Solsteinkette an den Abhängen des 
Mittelgebirges in dem Höhengürtel von 600—1000 Meter. 
Allem Anscheine nach ist derselbe durch das Gelände der 
Kalkalpen weit verbreitet. Er gehört in die Gruppe der 
Homoacanthi und reiht sich an R. vulgaris W. u.N. an, unter- 
scheidet sich aber von diesem so wie von den mit ihm zu- 
nächst verwandten Arten durch den mächtigen aufrechten 
oben hochbogigem Stamm mit oberseits kahlen Blättern, durch 
die gedrängte nicht ausgesperrte Inflorescenz mit gerader 
nicht schlängelig hin- und hergebogener Spindel, durch die 
sehr kurzbespitzten Kelchzipfel, die grossen die Kelchzipfel 
um mehr als das doppelte überragenden Kronenblätter und 
die mit langen Haaren besetzten Fruchtknoten. — Von R. 
fruticosus L. und den mit diesem zunächst verwandten durch 


— 141 — 


die hochbogigen Stämme mit R. persicinus übereinstimmenden 
Arten unterscheidet sich derselbe durch mit den zerstreuten 
gebüschelten Haaren besetzten Schössling, die stielrunden 
Blattstiele, die unterseits grausammtigen Blätter, die aus 
kurzgestielten Cymen zusammengesetzte Inflorescenz, die an 
der Aussenfläche einfärbig grauen, gleichmässig dichtfilzigen 
Kelchzipfel, die rothen Blumenblätter und Griffel, die über 
die Griffel deutlich hinausragenden rothen Staubfäden und 
die mit langen Haaren besetzten Fruchtknoten. — Von R. 
candicans Weihe (R. thyrsoideus Wimmer) und den an diesen 
sich anreihenden Arten, mit welchen R. persicinus durch die 
schmale aus Cymen zusammengesetzte Inflorescenz, und die 
sehr kurz bespitzten, gleichmässig graufilzigen Kelchzipfel über- 
einstimmt, unterscheidet sich derselbe durch den büschel- 
haarigen aufrechten Schössling, die verhältnissmässig kurzen 
blüthentragenden Zweige, die unterseits grausammtigen etwas 
schimmernden (nicht anliegend dicht weissfilzigen, glanzlosen) 
Blätter, grössere, rothe Blüthen und langhaarige Fruchtknoten. 


4. Rubus centronotus 
turionibus arcuato-deflexis, subteretibus, pilis fasciculatis 
sparsis evanescentibus et aculeis copiosis conformibus vali- 
dis rectis munitis, folits quinatis, foliolis pedatim dispositis, 
omnibus petiolulatis, subtus canescenti-velutinis, injlores- 
centia compvsita, cymulis erecto-patentibus, pedunculis 
cano-tomentosis , aculeolis rectis horizontaliter patentibus 
copiosis armatis, floribus mediocribus, sepalis sub anthesi 
reflexis, cano-tomentosis , in dorso pilosis, glandulis stepi- 
tatis parvis exiguis et aculeolis stramineis rectis obsessis, 
staminibus stylos virescentes vin aequantibus, germinibus 
longe pilosis. 

In dumetis et silvis caeduis in Tirolia septentrionali; ad Oenipontem 
selo calcareo alt. 600—1000 Met. 

Schössling und Stamm bogenförmig zur Erde gekrümmt, 
0.5—1 Centim. im Durchmesser, stielrund, nur oben schwach- 


— 1 SS 


kantig, unbereift, in der Jugend mit spärlichen Biischel- 
haaren besetzt, die sich aber bis zum zweiten Jahre voll- 
ständig verlieren, sehr reichstachelig, aber ohne Stieldrüsen. 
Die Stacheln gleich gross, 6—8™™- lang, aus einer 4—6™™. 
langen, länglichen Ansatzfläche und einer zusammengedrückten 
dreieckigen Basis in eine horizontal abstehende oder sehr 
schwachgeneigte gerade Spitze verschmälert, gewöhnlich 20 
bis 30 zwischen je zwei Blättern, meistens gruppenweise ge- 
stellt, d. h. nicht gleichmiéssig über den Interfoliartheil ver- 
theilt, sondern zu 2, 3 oder 4 zusammengerückt. Die Blätter 
der Schösslinge lang gestielt, fünfzählig, die gipfelständigen 
durch Verschmelzung der seitlichen Blättchen auch vierzäh- 
lig und dreizählig; der gemeinschaftliche Blattstiel, so wie 
die Stiele der Theilblättchen oberseits etwas eingedrückt, 
mit kurzen Büschelhaaren bestreut und von sehr zahlreichen, 
kräftigen, etwas geneigten und gekriimmten 5—6™" Stacheln 
bewehrt; die Theilblättchen fussförmig gestellt, d. h. die 
basilären Blättchen von den Stielen der mittleren seiten- 
ständigen Blattchen entspringend, oberseits hellgrün, glanzlos, 
in der Jugend mit sehr kurzen schimmernden Striegelhaaren 
spärlich bestreut, im Alter kahl, unterseits graugrün, sammtig 
-— weichhaarig, schimmernd und längs dem Mittelnerv mit 
kurzen gekrümmten Stachelehen bewehrt, am Rande von breit- 
eiförmigen plötzlich in ein lineal-pfriemliches nach Vorne und 
Auswärts abstehendes Spitzchen zusammengezogenen Zähnen 
unregelmässig gesägt. Das endständige Theilblättchen aus 
herzförmig-zugerundeter Basis breit-eiförmig, spitz oder kurz 
zugespitzt, 7—9 Centim. lang, 5—6.5 Centim. breit, an 
einem 2.5 --3.5 langem Stielchen, die beiden seitlichen Blätt- 
chen verkehrteiförmig, spitz oder kurz zugespitzt, 6—8 Centim. 
lang, 3.5—4.5 Cent. breit, an kurzen nur 0.5-—1 Cent. langen 
Stielchen ; die beiden seitlichen unteren, von den Stielchen der 
mittleren entspringenden Blattchen länglich, 4—4.5 Cent. lang, 
2—2.5 Centim breit, an sehr kurzen 2™™- langen Stielchen 
oder auch sitzend und an den gipfelständigen Blättern manch- 
mal mit den benachbarten Blättehen verschmolzen, und dieses 


— 143 — 


durch die Verschmelzung entstandene Blattchen dann tief zwei- 
lappig. Die Nebenblatter sehr schmal lineal, etwas tiber 1 Cent. 
lang, wimperhaarig. Die blüthentragenden Zweige 40-—50 
Centim. lang, etwas hin- und hergebogen, schwachkantig mit 
horizontal abstehenden oder etwas geneigten, 0.5 Cent. langen 
und einigen eingestreuten kurzen, nur 1™™: langen Stacheln 
reichlich besetzt, unten grün oder braunroth überlaufen und 
mit kurzen Büschelhaaren bestreut, nach obenhin dichter 
bekleidet, die Blätter der blüthentragenden Zweige langge- 
stielt, dreizählig; die Theilblättchen der unteren Blätter kurz 
und breit, fast ruudlich oder rundlich-rhombisch, von eiför- 
migen, spitzen grossen Zähnen, tief gesägt, unterseits grün, 
von schimmernden Haaren sammtig-weichhaarig, jene der oberen 
Blätter in der Berandung mit den Blättern des Schösslings 
übereinstimmend, unterseits grau, sammtig-filzig, schwach- 
schimmernd, das mittlere rundlich-eiförmig, spitz oder kurz 
zugespitzt, an einem 2—3 Centim. langen Stielchen; die 
beiden seitlichen schief-eiförmig oder auch zweilappig an einem 
3—p™ Jangen Stielchen. Der Blüthenstand im Umriss läng- 
lich-eiförmig, nach oben verschmälert, aus traubenförmig an- 
geordneten 8—5bliithigen Cymen zusammengesetzt. Die 2—3 
untersten entferntstehenden Cymen von laubartigen dreizäh- 
ligen Blättern gestützt, die im Zuschnitt, so wie in der Be- 
randung und Bekleidung mit den tieferstehenden , stengel- 
ständigen Laubblättern übereinstimmen; die folgenden oberen 
Cymen genähert, von Bracteen gestützt, welche tief dreispaltig 
sind, und deren linealer verlängerter grauhaariger Mittel- 
zipfel über die Blüthenknospen hinausragt. Die Blüthen- 
stiele aufrecht-abstehend, so wie die Spindel des Blüthen- 
standes graufilzig und reichlich mit 1—3™™: langen horizontal 
abstehenden oder etwas rückwärts geneigten, geraden, nadel- 
formigen, strohgelben Stacheln bewehrt. Die Blüthen mittel- 
mässig gross, 2 Centim. im Durchmesser. Die Kelchzipfel 
zur Zeit der Blüthe zurückgeschlagen, eiförmig, zugespitzt, 
6-—7™™ lang, 4™- breit, graufilzig, an der äusseren Fläche 
von längeren den Filz überragenden abstehenden Haaren, so 


— 144 — 


wie von spärlichen, den Filz kaum überragenden Stieldrüsen 
bekleidet und überdiess mit nadelförmigen, strohgelben, ge- 
raden Stachelchen besetzt. Die Kronenblätter ausgebreitet, 
weiss, rundlich, in einen sehr schmalen Nagel zugeschweift, 
1 Centim. lang, 8™™" breit, kaum doppelt so lang als die 
Kelchzipfel, beiderseits flaumhaarig, die Staubfäden nur 3— 
Hum. Jang, aufrechtabstehend, den Griffeln gleichhoch oder 
von den Griffeln deutlich überragt. Die Fruchtknoten grün, 
langhaarig, die reifen Früchte glänzend schwarz. 

Der hier beschriebene Rubus gehört in die Abtheilung 
der Homoacanthi und zwar in die Gruppe der spätblühenden 
Arten mit büschelförmig behaarten Schösslingen, langen 
blüthentragenden Zweigen und gleichmässig grau-filzigen am 
Rücken nicht grüngefärbten Kelchzipfeln. — Durch die fast 
stielrunden sehr reichbestachelten Stämme, die fussférmig ge- 
stellten Theilblättchen, die mit nadelförmigen kleinen Stachel- 
chen reichlich bewehrten Kelchzipfel und die kurzen, die Griffel 
nicht überragenden Staubfäden unterscheidet er sich aber 
von allen Arten dieser Gruppe. Er erinnert durch mehrere 
dieser zuletzt hervorgehobenen Merkmale, an einige Arten 
aus der Abtheilung der Corylifolii, unterscheidet sich aber 
von allen Arten dieser Gruppe wieder durch die deutlich- 
gestielten unteren seitlichen Theilblättchen, den viel kräfti- 
geren mit grossen Stacheln bewehrten Stamm und die in der 
Jugend mit Büschelhaaren bestreuten Schösslinge. Muthmass- 
lich ein Bastart zweier Arten, von denen die eine der Gruppe: 
Homoacanthi die andere der Gruppe Corylifolii angehört. 


5. Rubus baldensis 
turionibus arcuato-dejlexis, angulatis, pilis dispersis exiquis 
brevibus stellatis munitis, serius glabratis, aculeis confor- 
mibus validis rectis, foliis quinatis, foliolis radiatim dispo- 
sitis petiolulatis, obovatis, acuminatis, subtus albo-tomen- 
tosis supra canescentibus, pilis parvis stellatis copiosissimis 
et pilis longioribus simplicibus micantibus vestitis, foliis 


— 145 — 


ramulorum florigerorum quinatis, inflorescentia nuda, ecymu- 

lis subtrifloris patentibus composita, pedunculis cano-tomen- 

tosis aculeolatis, eglandulos:s, floribus minoribus, sepalis 

sub anthesi et in fructu reflexis cano-tomentosis, eglandu- 

losis, petalis obovatis, roseis, staminibus stylos superan- 
tibus, germinibus glabris. 

In collibus apricis ad vinnearum margines, in dumetis et fruticetis 
in ditione transalpina; in Tirolia australi et in Venetia in regione in- 
feriore montis Baldi solo calcareo et argillaceo. 

Schösslinge und Stämme bogenförmig zur Erde gekrümmt, 
3—6™™" im Durchmesser, fünfkantig, mit vertieften gestreif- 
ten Seiten, gewöhnlich rothbraun oder violettbraun über- 
laufen und stellenweise von anliegenden weisslichen, glanz- 
losen aus Wachs gebildeten dünnen Häutchen etwas schülferig, 
in der Jugend sehr spärlich mit kurzen meist sternförmig 
ausgebreiteten Büschelhaaren bestreut, im Alter kahl, zwischen 
je zwei Blättern mit 5—10 gleichgrosen 5—7"" langen 
Stacheln besetzt, welche sich aus einer linealen 5—7™™- 
langen Ansatzfläche und einer stark zusammengedrückten, 
dreieckigen manchmal mit sehr kurzen Büschelhaaren be- 
streuten Basis in eine strohgelbe, an den dicksten Theile 
der Schösslinge gerade, wagrecht abstehende, an den peitschen- 
formigen, dünnen Ende der Schösslinge schwach rückwärts- 
gekrümmte Spitze verschmälern. Die ganze Pflanze ohne 
Stieldriisen. Die Blätter der Schösslinge lang gestielt, alle 
fünfzählig, der gemeinschaftliche Blattstiel, so wie die Stiele 
der Theilblättchen oberseits eingedrückt — rinnig, mit kurzen 
meist sternförmig ausgebreiteten Büschelhaaren bestreut und 
mit kräftigen ziemlich zahlreichen (”—15 an dem gemein- 
schaftlichen Blattstiele) stark zurückgekrümmten Stacheln be- 
wehrt; die Theilblättchen radial gestellt, oberseits grau- 
grün, mit einem sehr feinen aus unzähligen, dichtgedrängten, 
kleinen Sternhärchen und dazwischenstehenden 4—5mal länge- 
ren, einfachen etwas schimmernden Striegelhaaren gebildeten 
sammtigweich anzufühlenden Ueberzuge bekleidet, unterseits 
mit sehr dichtgewobenem, weissen oder etwas in’s Gelblich- 


ae MBS Se 


grüne ziehenden glanzlosen Filze und gleichmässig verstreuten 
über den Filz sich erhebenden, schimmernden Büschelhaaren 
bedeckt. Die gelblichen vorspringenden Nerven heben sich 
deutlich von dem Filze ab und der Mittelnerv ist mit einigen 
gekrümmten Stachelchen bewehrt. Der Rand der Blättchen 
ist an der unteren Hälfte von entfernten verhältnissmässig 
grossen Zähnen einfach gesägt, ober der Mitte von mehr 
gedrängten, breiteiförmigen in ein pfriemliches Spitzchen ver- 
schmälerten, wimperhaarigen Zähnen unregelmässig doppelt 
gesägt. Das endständige Theilblättchen aus herzförmiger 
Basis verkehrteiförmig, zugespitzt, 4—7 Centim. lang, 2—4 
Centim. breit, an einem 1—2 Centim. langen Stielchen; die 
beiden seitenständigen mittleren Blättchen länglich-verkehrt- 
eiförmig, zugespitzt, an der Basis asymetrisch, schief zuge- 
rundet oder schief herzförmig, 3.5—6 Centim. lang, 1.5 
—5 Centim. breit, an einem 2—7™™". langen Stielchen; die 
beiden seitlichen unteren Blättchen länglich, spitz, 2.5—D Cent. 
lang, 1—2.5 Centim. breit, an 1—2™™- langen Stielchen. 
Die Nebenblätter schmal lineal, 1—1.5 Centim. lang, büschel- 
haarig. Die blüthentragenden Zweige 15—40 Centim. lang, 
kantig, violettbraun überlaufen, mit sternförmig ausgebreiteten 
kurzen Büschelhaaren bestreut und mit zurückgekrümmten 
derben Stacheln bewehrt. Die Blätter der blüthentragenden 
Zweige fünfzählig und durch Verschmelzung der seitlichen Blätt- 
chen theilweise auch dreizählig; die Theilblättchen. weniger 
zugespitzt, übrigens im Zuschnitt in der Berandung, Beklei- 
dung und Farbe mit den Blättern der Schösslinge überein- 
stimmend. Der Blüthenstand im Umrisse länglich, schmal, 
aus traubig angeordneten kurzgestielten fast wagrecht ab- 
stehenden meist dreiblüthigen, seltener durch Verkümmerung 
auch 2- und 1bliithigen Cymen zusammengesetzt. Alle Aeste 
der Inflorescenz von grauhaarigen 0.5—1 Centim. langen 
Bracteen gestützt, welche in drei lineale vorgestreckte Zipfel 
gespalten sind. Die Spindel des Blüthenstandes gerade, 
graufilzig, mit zahlreichen 2—3™" langen starkzurückge- 
kriimmten Stacheln bewehrt. Die Blüthenstiele graufilzig, mit 


eh 


zekrümmten nadelförmigen 1—2™™ langenStachelchen besetzt, 
abstehend, spreizend. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser 
von 1.5—1.8 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der 
Blüthe zurückgeschlagen, 5—6™™ lang, an der Basis 3™™- 
breit, eiförmig, in ein kurzes, pfriemliches Spitzchen zusam- 
mengezogen, unbewehrt und drüsenlos, beiderseits mit ein- 
färbigem, lichtgrauen dichten Filze bekleidet. Die Kronen- 
blätter ausgebreitet, rosenroth, 5™™ breit und 7—8™™: lang, 
also kaum 1%,mal so lang als die Kelchzipfel, verkehrt- 
eiförmig, in den Nagel allmählis zusammengezogen, an der 
Aussenfläche mit sehr spärlichen kurzen Härchen bestreut 
oder ganz kahl. Die Staubfäden 4—6™™ lang, weiss, die 
Griffel tiberragend. Die Fruchtknoten sind grün, kahl; die 
Griffel grünlich. — Die Früchte zum grösseren Theile abor- 
tirt, die zur vollen Reife gelangten glänzend schwarz. 

Der hier beschriebene Rubus gehört einer im südlichen 
Europa und im Oriente heimischen, im mittleren Europa 
nur durch R. tomentosus vertretenen Gruppe an, welche ins- 
besonders durch das gemeinsame Merkmal der auf der oberen 
Blattflache vorkommenden, bald die ausschliessliche Beklei- 
dung bildenden, bald mit schimmernden Striegelhaaren ge- 
mengten, bald ungemein zahlreichen und zu dichtem Filze 
verwobenen, bald nur sehr spärlichen und zerstreuten kleinen 
sternförmigen Härchen charakterisirt ist, und die vielleicht 
am zweckmässigsten mit dem Namen Stelligeri bezeichnet 
werden dürfte. Von R. baldensis unterscheiden sich die Arten 
dieser Gruppe in folgender Weise: R. sanctus Schreb. ') 


1) Der Name „R. sanctus Schreber* wurde in neuerer Zeit von 
0. Kuntze in Ref. d. deutschen Brombeeren S. 17 für eine Gruppe von 
Arten in Anwendung gebracht, mit welcher die Schreber’sche Pflanze 
so gut wie gar keine Verwandtschaft hat. O. Kuntze sucht dieses 
Vorgehen a. a. O. S. 21 und 23 des Näheren zu begriinden und dort 
insbesonders die Angabe Sprengel’s: die Schreber’sche Pflanze gehöre zu 
R. tomentosus, zu wiederlegen. Er behauptet bei dieser Gelegenheit, 
dass R. sanctus Schreb. an der oberen Blattflöche nur striegelige Be- 
haarung zeige und dass diesem Rubus der sternhaarige Ueberzug an der 


— 148 — 


durch Schösslinge und Zweige, welche mit einem aus kleinen 
Sternhaaren gewobenen, zusammenhängenden aschgrauen Filze 
dicht überzogen sind, durch kleinere gekrümmte bis fast zur 
Spitze mit demselben aschgrauen Filze überkleidete Stacheln, 
fussförmig gestellte Theilblättchen, eiförmigen Zuschnitt des 
Endblättchens, sehr kurze Stielchen der mittleren seitlichen 
Theilblättchen, verlängerte Aeste der Inflorescenz und haarige 
Fruchtknoten; R. collinus DC. durch die fussförmig ge- 


stellten Blättchen der Schösslinge, die fast kreisrunden kurz 


zugespitzten endständigen Theilblättchen, die nicht nur filzigen, 
sondern auch abstehend zottig behaarten, blüthentragenden 
Zweige, Blüthenstiele und Kelchzipfel, weisse fast kreisrunde 
Blumenblätter und haarige Fruchtknoten; R. Ripartii G. 
Genev. durch die gekrümmten Stacheln, die fussförmig ge- 
stellten Theilblättchen der Schösslingsblätter, die dreizähligen 
Blätter der blüthentragenden Zweige, die nicht nur filzigen, 
sondern auch abstehend zottig behaarten, blüthentragenden 


oberen Bettfläche abgehe. Wie O. Kuntze zu dieser Behauptung kom- 
men konnte, ist geradezu unerklarlich. Thatsächlich sind nämlich alle 
Exemplare des R. sanctus Schreb. (ich untersuchte Exemplare von Sie- 
ber, Zuccarini, Heldreich, Kotschy ete., darunter auch Schösslinge von 
Kotschy bei Teheran gesammelt) an der oberen Blattfläche nicht nur 
mit striegeligen Haaren bestreut, sondern mit kleinen sternförmigen 
Härchen wie übersäet, was auch schon von W. O. Focke in der Oester. 
bot. Zeitschr. XX,, 100 hervorgehoben wurde. Wenn Schreber von R. 
sanctus sagt „foliola supra viridia pilosa, subtus tomentosa“ so ist da- 
mit nur ausgedrückt, dass die Blatter zweifarbig: oberseits schwächer 
behaart und daher griinlich, unterseits dagegen dicht filzig weisslich 
erscheinen. — Ueber die Gestalt der Haare äussert sich Schreber 
nicht näher, wie denn überhaupt in der Zeit, in welcher Schreber 
den Rubus sanctus beschrieb, die minutiösen Unterschiede in der 
Behaarung zur Charakterisirung der Brombeeren noch nicht herbeige- 
zogen wurden. Dass die Gestalt der Haare als ein vortreffliches Merk- 
mal bei der Feststellung und Unterscheidung der Brombeeren benützt 
werden könne, wurde erst in der neuesten Zeit entsprechend gewürdiget, 
und gerade O. Kuntze hat sich in dieser Beziehung — abgesehen von 
dem oben erwähnten speziellen Falle, wo er offenbar im Irrthum ist — 
wesentliche Verdienste erworben. 


— 149 — 


Zweige, Bliithenstiele und Kelchzipfel und die haarigen Frucht- 
knoten; R. pellitus Rip. durch die gekriimmten Stacheln, 
die dreizähligen Blätter der blüthentragenden Zweige, die nicht 
nur filzigen sondern auch abstehend zottig behaarten bliithen- 
tragenden Zweige, Bliithenstiele und Kelchzipfel und die kur- 
zen von den Griffeln überragten Staubfaden; R. amictifolius 
Rip. durch die fast kreisrunden endständigen Theilblättchen 
und die kurzen von den Griffeln überragten Staubfäden ; 
R. tomentellus Rip. durch die gekrümmten Stacheln, die fast 
kreisrunden Theilblättchen, die dreizähligen Blätter der blüthen- 
tragenden Zweige und die haarigen Fruchtknoten; R. tomen- 
tosus Willdenow durch die liegenden mit viel kleineren 
Stacheln besetzten Schösslinge, die vorherrschend dreizähligen 
Blätter der Schösslinge und blüthentragenden Zweige, die 
niemals zugespitzten Theilblättchen der Schösslingsblätter, 
das Fehlen der über den Sternhaarfilz sich erhebenden schim- 
mernden Striegelhaare an der obern Blattfläche, die gelblich- 
weissen schmäleren Blumenblätter und die über die Griffel 
nicht hinausragenden Staubfäden. !) 

Durch die Form der Schösslinge und Stacheln, durch 
den stellenweise in Gestalt weisslicher Schülfern an der Rinde 
der Schösslinge, Stämme und Zweige sich abscheidenden 
Wachsiiberzug, durch die Form der Inflorescenz und die 
rothe Farbe der Kronenblätter erinnert R. baldensis einiger- 
massen an R. rusticanus Merc., der sich aber wieder durch 
die rundlich-eiförmigen, oberseits kahlen (nicht sternhaarigen 
und auch nicht striegelhaarigen) Schösslingsblätter, die län- 
geren Stielchen der mittleren seitlichen Theilblättchen, die 
grösseren Blüthen und die haarigen Fruchtknoten unterscheidet. 

Ich halte es nicht für unmöglich dass R. baldensis einer 
hybriden Vereinigung des im Nachfolgenden beschriebenen 
R. australis mit R. rusticanus sein Dasein verdankt, demnach 
als ein der Combination: australis X rusticanus entspre- 


1) Die Unterschiede der beiden gleichfalls in die Gruppe der 
Stelligeri gehörigen im Nachfolgenden beschriebenen Rubus megatham- 
nus und Rubus australis sind bei diesen angegeben. 


Naturw.-med. Verein. 14 


oO a 


chender Bastart aufzufassen wäre. In seinen Merkmalen 
hält er in der That zwischen diesen beiden genannten Arten 
die Mitte, und in den Gegenden, wo ich R. baldensis beob- 
achtete, finden sich beide muthmassliche Stammarten in 
grosser Individuenzahl verbreitet. R. baldensis ist übrigens 
dort nicht vereinzelt, sondern gleichfalls in grosser Menge 
anzutreffen. 


6. Rubus megathamnus 


turionibus validis ex arcu magno decumbentibus, auctumno 
apice radicantibus, 5- angularibus, pilis dispersis exiguis 
brevibus fasciculatis et stellatim expansis munitis, serius 
glabratis, aculeis conformibus validis, foliis quinatis ; petiolis 
et petiolulis subglabris, supra depressis vel subcanaliculatis, 
foliolis pedatim dispositis, omnibus petiolulatis, subrotundo- 
ovatis, acutis, discoloribus, supra obscure viridibus molli- 
bus, tomentoso-velutinis, submicantibus, subtus albo-tomen- 
tosis, opacis; inflorescentia oblongo-pyramidata, multiflora 
decomposita, rachi jflecuosa, cano-pilosa, glandulis stipi- 
tatis exiguis et aculeis longis compressis reclinatis armata, 
pedunculis cano-pilosis, glandulis stipitatis sparsis et aciculis 
copiosis rectis patenlissimis instructis, sepalis sub anthesi 
refleais, utringue cano-tomentosis, pilosis et glandulis 
stipitatis ewiguis praeditis, petalis suborbiculatis, albis, 
subtus pilosulis; staminibus stylos superantibus, germini- 
bus pilosis. 

In dumetis ad margines silvarum et in silvis caeduis in Austria 

inferiori; ad latera montium supra Rossatz in valle Danubii. 


Sehr reich astiger umfangreicher, fast undurchdringliche 
Hecken bildender Strauch mit bogenförmig zur Erde ge- 
krümmten mit den Spitzen in der Erde wurzelschlagenden 
Schésslingen. Schösslinge und Stämme von sehr wechseln- 
der Dicke, 3—12"%- im Durchmesser, fünfkantig, mit spär- 
lichen sehr kurzen meist sternförmig ausgebreiteten Büschel- 
haaren bestreut, im Alter kahl und an der Lichtseite gewöhn- 


— 151 — 


jich violettbraun überlaufen, zwischen je zwei Blättern mit 
7—12 gleichgestalteten 5—8™™- langen Stacheln besetzt, 
welche sich aus einer 5—7™™- langen lineal-länglichen An- 
satzfläche und zusammengedrückten, dreieckigen Basis in eine 
lange, kräftige, rückwärtsgeneigte und am oberen Ende der 
Schösslinge auch zurückgekrümmte, strohgelbe Spitze ver- 
schmälern. Die Schösslinge, Stämme und Zweige ohne Stiel- 
drüsen. Die Blätter der Schösslinge lang gestielt, fünfzählig, 
die gipfelständigen durch Verschmelzung der seitlichen Blätt- 
chen auch vierzählig und dreizählig, der gemeinschaftliche 
Blattstiel, so wie die Stiele der Theilblättchen oberseits ein- 
gedrückt — rinnig, kahl oder mit spärlichen kleinen, meist 
sternförmig ausgebreiteten Büschelhaaren bestreut und mit 
kräftigen ziemlich zahlreichen (6—12 am gemeinschaftlichen 
Blattstiele), stark zurückgekrümmten Stacheln bewehrt; die 
Theilblattchen fussförmig gestellt, oberseits grün, mit einem 
sehr feinen aus zahlreichen kurzen und sehr kurzen, ein- 
fachen und dazwischen eingestreuten, sehr spärlichen, stern- 
formigen Härchen gebildeten, sammtig - weichen, stellenweise 
schwachschimmernden Ueberzuge bedeckt, unterseits mit sehr 
dichtanliegendem weissen, glanzlosen Filze bekleidet, aus 
welchem sich die gelblichen, vorspringenden Nerven scharf 
abheben; längs dem Mittelnerv an der unteren Fläche mit 
gekrümmten Stachelchen bewehrt, am Rande von breit-eiför- 
migen, plötzlich in ein pfriemliches Spitzchen zusammenge- 
zogenen, wimperhaarigen Zähnen unregelmässig doppeltge- 
sägt. Das endständige Theilblättchen aus herzförmiger Basis 
rundlich-eiförmig, spitz, 5—12 Centim. lang, 4—10 Centim. 
breit, an einem 2—5.5 Centim. langen Stielchen; die beiden 
seitenständigen mittleren Blättchen, rundlich-verkehrteiförmig, 
spitz, an der Basis immer etwas asymetrisch, schief zugerun- 
det oder schief herzförmig, 4—12 Centim. lang, 3—9 Centim. 
breit, an einem 0.5—3 Centim. langen Stielchen; die beiden 
seitlichen untern Blättchen schief-eiförmig oder elliptisch, 
spitz, 3.5—9 Centim. lang, 2—6.5 Centim. breit, an 3-—-6™™: 
langem, stets an den Stielen der mittleren Blättchen ent- 
14 * 


ee 


springenden Stielchen. Wenn die beiden seitlichen Blattchen — 
einer Seite zu einem verschmolzen sind, was an den 10—12 
obersten Blättern der sehr langen Schösslinge und Schöss- 
lingsäste gewöhnlich der Fall ist, so erscheint das durch 
Verschmelzung entstandene Blättchen tief zweilappig. Die 
Nebenblätter sind sehr schmal lineal, 1—1.5 Centim. lang, 
haarig und manchmal mit einigen Stieldrüsen besetzt. Die 
blüthentragenden Zweige 35—70 Centim. lang, kantig, grün 
oder violettbraun überlaufen, mit sehr kurzen, gebüschelten 
meist sternförmig ausgebreiteten Härchen bestreut, und mit 
wiederhackig herabgekrümmten Stacheln bewehrt. Die Blätter 
der blüthentragenden Zweige dreizählig, in Zuschnitt, Beran- 
dung, Farbe und Bekleidung mit den Blättern der Schöss- 
linge übereinstimmend. Der Blüthenstand im Umrisse länglich- 
pyramidenförmig, reichblüthig, aus doppelt-dreifach zusammen- 
gesetzten, traubenförmig angeordneten Cymen gebildet. Die 
4—8 unteren Aeste der Inflorescenz von laubartigen, drei- 
zähligen oder einfachen Blättern gestützt, die in Zuschnitt, 
Berandung und Bekleidung mit den tieferstehenden Laub- 
blättern übereinstimmen; die folgenden oberen Aeste von 
1—2 Centim. langen Bracteen gestützt, welche in drei lineale, 
grauhaarige mit spärlichen Stieldrüsen besetzte, vorgestreckte 
Zipfel gespalten sind. Die Spindel des Blüthenstandes, schlänge- 
lig hin- und hergebogen, grauhaarig, mit vereinzelten Stiel- 
drüsen und zahlreichen nach rückwärts abstehenden grossen 
0.5—1 Centim. langen zusammengedrückten Stacheln be- 
wehrt. Die Blüthenstiele aufrecht-abstehend, grauhaarig, mit 
zerstreuten, kurzen Stieldrüsen und sehr zahlreichen, gedräng- 
ten, fast wagrecht abstehenden 1—3”"- langen, nadelförmigen 
Stachelchen besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser 
von 2.5 Centim. Die Kelchzipfel zur Zeit der Blüthe zu- 
rückgeschlagen, 5—6""”- lang, an der Basis 3—4””- breit, 
eiförmig, in ein pfriemliches Spitzchen zusammengezogen, un- 
bewehrt, beiderseits mit einfärbigem, lichtgrauen Filze bekleidet 
und an der Aussenfläche überdiess mit spärlichen Büschel- 
haaren und einzelnen Stieldrüsen bestreut. Die Kronenblätter 


ina 


1 Centim. breit und etwas über 1 Centim. lang, also doppelt 
so lang als die Kelchzipfel, ausgebreitet, weiss, rundlich, in 
einen sehr kurzen Nagel plötzlich zugeschweift, aussen mit 
kurzen Härchen besetzt. Die Staubfäden sind 6—7"”- lang 
und überragen die Griffel. Die Fruchtknoten sind grün, mit 
spärlichen, langen, gebüschelten Haaren besetzt; die Griffel 
grünlich. — Die Früchte waren stets abortirt. 

Von dem hier beschriebenen Rubus unterscheidet sich der 
im Vorhergehenden beschriebene R. baldensis durch die hand- 
förmig (nicht fussförmig) gestellten, zugespitzten, schmäleren ' 
im Verhältnisse zur Blattlänge kürzer gestielten Theilblätt- 
chen, den aus dichtgestellten, sternförmigen Härchen gebil- 
deten Ueberzug der oberen Blattfläche, den Mangel der Stiel- 
drüsen an den Bracteen, Blüthenstielen und Kelchen, die 
kurzen, zurückgekrümmten Stacheln an der Spindel der In- 
florescenz, die rothen verkehrteiförmigen, allmählig in den 
Nagel zusammengezogenen Kronenblätter und die haarlosen 
Fruchtknoten; R. macroacanthus W. u. N. durch viel zahl- 
reichere Stacheln der Schösslinge (20—30 an einem Inter- 
foliartheile), durch anders bekleidete, langzugespitzte Theil- 
blättchen, den Mangel der Sternhaare an der oberen Blatt- 
fläche und den Mangel der Stieldrüsen an den Kelchen und 
Blüthenstielen; R. bifrons Vest durch die oberseits schon in 
der Jugend kahlen (nicht feinsammtigen, weichanzufühlenden) 
Blätter, den Mangel der Sternhaare und den Mangel der 
Stieldrüsen an der Spindel und den Verzweigungen des 
Blüthenstandes, so wie an der Aussenseite der Kelchzipfel. — 
Jedenfalls steht aber R. megathamnus dem R. bifrons Vest 
am nächsten und stimmt mit demselben, insbesonders in der 
Form der Schösslinge und Stacheln, im Zuschnitte und in 
der fussförmigen Stellung der Blättchen, so wie in der Form 
der Blumenblätter ganz überein. 

An keinem der zahlreichen Blüthenstände des R. me- 
gathamnus sah ich bis jetzt eine reife Frucht sich entwickeln. 
— Dieser Umstand, sowie das mehr vereinzelte Vorkommen 
liessen die Muthmassung aufkommen, das R. megathamnus 


— 154 — 


vielleicht einer hybriden Befruchtung seine Entstehung ver- 
dankt, und als Bastart aufzufassen ist. Für diesen Fall 
müsste dann jedenfalls R. bifrons als die eine Stammart 
angesehen werden. Als zweite Stammart könnte allenfalls 
R. tomentosus in Betracht kommen. Die in den sammt- 
artigen Filz der oberen Blattseite eingestreuten Sternhaare 
deuten wenigstens auf diese Art hin. Auch die spärlichen 
Stieldrüsen an der Spindel und den Verzweigungen des Blüthen- 
standes, sowie an der Rückseite der Kelchzipfel sprechen nicht 
dagegen, da diese Theile auch an R. tomentosus häufig mit 
Stieldrüsen besetzt vorkommen. Nur ist nicht recht zu be- 
greifen, dass sich weder der charakteristische Zuschnitt der 
Blätter, noch die so charakteristische, länglich-verkehrteiför- 
mige Form der Blumenblätter des R. tomentosus an R. me- 
gathamnus ausspricht, ja nicht einmal angedeutet erscheint. 
Die Kronenblätter des R. megathamnus sind nämlich fast 
kreisrund, geradeso wie bei R. bifrons; auch ist bemerkens- 
werth, dass die Schösslinge und Aeste nicht schmächtiger, 
und die Stacheln nicht kleiner sind, als jene des R. bifrons, 
sondern diese an Umfang fast übertreffen, also durchaus nicht 
an die schmächtigen mit vielen Stacheln bewehrten Schöss- 
linge des R. tomentosus erinnern. Dennoch wüsste ich keinen 
anderen Rubus zu bezeichnen, welchen man etwa als die 
zweite Stammart ansehen könnte, und ich möchte trotz der 
eben ausgesprochenen Bedenken die Möglichkeit, dass R. 
megathamnus ein der Combination: bifrons >< tomentosus 
entsprechender Bastart ist, nicht ganz ausschliessen. — Die 
Verhältnisse des Vorkommens würden nicht gegen diese 
Möglichkeit sprechen; ‘denn sowohl R. bifrons, als auch R. 
tomentosus finden sich auf den Bergen bei Rossatz in Nie- 
derösterreich, wo ich R. megathamnus auffand, in grosser 
Menge. 


la 


7. Rubus australis 
turionibus arcuato-deflewis, procumbentibus , angulatis, pilis 
brevissimis stellatis, pilis longioribus fasciculatis patenti- 
bus, aculeis inaequalibus et aciculis glanduliferis varie 
modo munitis, foliis ternatis (rarius quinatis), foliolis 
rhomboideis, acutis, in margine dense ciliatis, grosse ser- 
ratis et supra medium lobulatis, discoloribus, supra canes- 
centibus, pilis parvis stellatis copiosissimis et pilis lon- 
gioribus simplieibus micantibus vestitis, infra tomento albo, 
velutino , molli, in nervis nitidulo vestitis, inflorescentia 
oblonga, angusta, e cymulis subtrifloris, erectis composita, 
pedunculis aculeolatis, cano-tomentosis et villosiusculis 
floribus minoribus, sepalis oblongo-ovatis, sub anthesi et 
in frnctu reflewis, cano-tomentosis et in dorso villosius- 
culis, petalis obovato-oblongis, albis, staminibus stylos 
parum superantibus, germinibus glabris. 


Ad latera montium calcareorum, ad silvarum oras et in silvis caeduis 
in Dalmatia, Carnia, Venetia, Tirolia et Gallia australi. 


Schösslinge und Stamm in niederem Bogen zur Erde 
geneigt, liegend und mit den Spitzen anwurzelnd, 3—5™™ 
im Durchmesser, stumpf, fünfkantig, mit flachen oder auch 
etwas hohlkehligen Seiten, olivengrün oder schmutzig roth- 
braun überlaufen, in der manigfachsten Weise mit Stacheln, 
Stieldrüsen und Haaren besetzt, gewöhnlich mit kleinen Stern- 
haaren bestreut und zugleich von vielmal längeren, die Stern- 
haare weit überragenden, abstehenden, gebüschelten Haaren 
dicht zottig, seltener nur mit zerstreuten abstehenden Büschel- 
haaren besetzt; die Stacheln bald ziemlich gleichgross 4—6™”- 
lang und nur 6—15 an einem Interfoliartheile, oder un- 
gleich gross, in allen Längen von 1 bis zu 6™- und bis zu 
25 an einem Interfoliartheile vorhanden; alle Stacheln aus 
einer sehr schmalen, linealen Ansatzfläche rasch in eine ge- 
rade oder etwas zurückgekrümmte, strohgelbe Spitze ver- 
schmälert und nahe der Ansatzfläche mehr weniger mit Büschel- 
haaren bestreut; die Stieldrüsen kürzer als die Büschelhaare 


— 156 — 


und nur 0.5—1™™: lang, bald reichlich, bald nur spärlich 
vorhanden, manchmal an einzelnen Schösslingen auch ganz 
fehlend. Die Blätter der Schösslinge lang gestielt; der ge- 
meinschaftliche Blattstiel, so wie die Stielchen der Theil- 
blättchen oberseits rinnig, abstehend behaart und mit zurück- 
gekrümmten Stacheln, welche jenen der Schösslinge an Grösse 
fast gleichkommen, besetzt. Die Theilblättchen vorherrschend 
dreizählig, seltener fünfzählig, und dann immer fussförmig 
gestellt, oberseits graugrün mit einem sehr kurzen, aus dicht- 
gedrängten kleinen Sternhaaren und dazwischenstehenden 4 
bis 5mal längeren, einfachen, etwas schimmernden Striegel- 
haaren gebildeten, sammtig anzufühlenden Ueberzuge bekleidet, 
unterseits weiss, mit eimem sammtig anzufühlenden, sehr 
weichen, längs den Nerven schimmerndem Filze überzogen, 
und längs dem Mittelnerv auch mit kleinen, strohgelben ge- 
krümmten Stachelchen bewehrt. Der Rand der Blättchen 
von abstehenden, dichtgestellten Haaren gewimpert. Das end- 
ständige Theilblättchen 5— 8 Ctm. lang, 3—7 Ctm. breit, an einem 
1 - 2Ctm. langen Stielchen, im Umrisse rhombisch oder eiförmig- 
rhombisch, spitz, an der Basis zugerundet oder etwas herzförmig, 
im unteren Drittel grobgesägt, von der Mitte an gelappt, 
und zwar an jeder Seite mit 4—6 Läppchen, die von wenigen 
eiförmig-dreieckigen, sehr kurzbespitzten Zähnen grobgesägt 
erscheinen. Die seitenständigen Blättchen 3.5—7.5 Centim. 
lang, 2.5—5 Centim. breit, an einem 2—3”"m. langen Stiel- 
chen, rhomboidisch, spitz, an der Basis zugerundet, am Aussen- 
rande gewöhnlich zweilappig oder zweispaltig, im unteren 
Drittel grobgesägt, ober der Mitte klein gelappt und die 
Läppchen grobgesägt. Selten sind die Blätter fünfzählig, 
und dann erscheinen die mittleren, seitlichen Blättchen rhom- 
bisch-eiförmig oder länglich-eiförmig und die unteren seiten- 
ständigen Blättehen länglich-eiförmig. Die Nebenblätter 1— 
1.5 Centim. lang, schmal, lineal oder lineal-lanzettlich, lang 
zugespitzt, von gebüschelten, langen Haaren zottig und manch- 
mal auch mit Stieldrüsen besetzt. Die blüthentragenden 
Zweige gewöhnlich 20—50 Centim., an kümmernden Exem- 


— 17 — 


plaren manchmal auch nur 10 Centim. lang, stumpfkantig, 
grün, mit kurzen Sternhärchen, langen Biischelhaaren, zer- 
streuten Stieldrüsen und kleinen strohgelben 1- 3™™: langen, 
schwach zurückgekrümmten Stachelchen mehr weniger dicht 
bekleidet. Die Blätter der blüthentragenden Zweige in der 
Berandung, Farbe und Bekleidung mit den Blättchen der 
Schösslinge übereinstimmend, alle dreizählig, das endständige 
Theilblättchen an einem 0.5—1 Centim. langen Stielchen, 
rundlich-rhombisch oder verkehrteiförmig-rhombisch, meist 
abgestumpft, seltener spitz; die seitenständigen Blättchen an 
einem sehr kurzen, fast unmerklichen Stielchen oder sitzend, 
schief rhombisch, manchmal zweilappig, so wie das endstän- 
dige Blättchen an der Basis zugerundet, ganzrandig und ober 
der Mitte grob doppelt gesägt, oder kleingelappt mit grob- 
gesägten Läppchen. Der Blüthenstand schmal, im Umrisse 
länglich, 3—10 Centim. lang, 2.5—5 Centim. breit, aus 
1—3blüthigen, traubig angeordneten, fast gleichlangen auf- 
rechten Cymen zusammengesetzt; die 2—4 unteren Aeste der 
Inflorescenz gewöhnlich von laubartigen, dreizähligen Blättern 
gestüzt, die mit den tiefer stehenden Laubblättern im Zu- 
schnitt und in der Berandung übereinstimmen, die folgenden 
oberen Aeste von grauzottigen Bracteen gestützt, welche so lang, 
oder fast so lang als die Blüthenstiele sind und in 3—5 lineale 
vorgestreckte Zipfel gespalten sind. Die Spindel des Blüthen- 
standes fast gerade oder gegen die Spitze zu etwas schlängelig, 
sowie die Blüthenstiele graufilzig und kurzzottig, mit ungleichen, 
kurzen, dünnen Stachelchen und manchmal auch mit vereinzelten, 
kleinen Stieldrüsen besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durch- 
messer von 1.5— 1.8 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der 
Blüthe und auch zur Zeit der Fruchtreife zurückgeschlagen, 
länglich-eiförmig, kurzbespitzt, 4—b”""- lang, an der Basis 
mm. breit, unbewehrt und drüsenlos, beiderseits mit einfär- 
big-grauem Filze bekleidet und an der Rückseite auch noch 
mit längeren Büschelhaaren besetzt. Die Kronenblätter aus- 
gebreitet, weiss, mit einem schwachen Stich in’s Gelbliche, 
der insbesonders an getrockneten Exemplaren deutlicher her- 


a len 


vortritt, 7—10™ lang, 4—6™™. breit, also doppelt so lang 
als die Kelchzipfel, länglich, verkehrteiförmig, in den Nagel 
allmählig zusammengezogen, an der Aussenfläche mit winzigen 
anliegenden Härchen bestreut. Die Staubfäden 4—6™™: lang, 
weiss, die Griffel ein wenig tiberragend. Der Fruchtboden 
langhaarig, so dass die Haare desselben zwischen den ein- 
zelnen Fruchtknoten gewöhnlich sichtbar werden, die Carpelle - 
selbst aber kahl. Die Griffel grünlich. Die Früchte glänzend 
schwarz, süss. Die Fruchtsteinchen elliptisch, 4”®- lang, 
2mm. breit; der Querdurchschnitt derselben rundlich. 

Der hier beschriebene Rubus gehört in die Abtheilung 
der Stelligeri. — Diese Abtheilung lässt sich naturgemäss 
nach der Form der Kronenblätter in zwei Gruppen theilen, 
nämlich in eine Gruppe, als deren Repräsentant R. collinus 
DC. angesehen werden kann, und deren Arten sich durch 
rundliche Kronenblätter auszeichnen, und in eine zweite 
Gruppe, als deren bekanntester Repräsentant R. tomentosus 
Willd. !) zu betrachten ist und deren Arten länglich-verkehrt- 


1) Fischer-Ooster hat in Rubi bernenses p. 28 und 38 darauf auf- 
merksam gemacht, dass R. tomentosus Borkhausen in Römers Neues 
Mag. d. Bot. I., 2 (1794) und R. tomentosus Willd. in Spec. pl. I. 
1083 (1799) schwerlich eine und dieselbe Pflanzenart bedeuten. In der 
That passt Borkhausen’s Beschreibung schlecht auf jene Pflanze, welche 
von den neueren deutschen Floristen für R. tomentosus genommen wird. 
Focke suchte zwar in der Oest. bot. Zeitschr. XX., 102 die Auffassung 
Fischer-Ooster’s -zu widerlegen, und “meint Borkhausen sei von dem 
Vorurtheile befangen gewesen, der von ihm a. a. O. behandelte Rubus 
müsse mit R. oceidentalis L. identisch sein. „Dieser Wahn,“ schreibt 
Focke, „verführte Borkhausen nach Merkmalen zu suchen, welche Linné 
von dem Rubus occidentalis angibt. So glaubte er einen leicht ver- 
schwindenden Reif zu bemerken, welcher vielleicht in einem Staubüber- 
zuge bestanden haben mag, ferner gibt er an, der Strauch sei rund, 
eine Unrichtigkeit, welche mit einer inkorrekten Ausdrucksweise verbunden 
ist“. — Ich gestehe aber, dass ich diese Ansicht Focke’s nicht theilen 
kann. Nimmt man an, dass frühere Autoren in ihre Beschreibungen auch 
Merkmale aufgenommen haben, welche die beschriebenen Pflanzen that- 
sächlich nicht besitzen, so ist damit der Willkühr in der Deutung der 
von unseren Vorgängern aufgestellten Arten Thür und Thor geöffnet. 


le 


eiformige, beim Trocknen gelblichwerdende Kronenblätter be- 
sitzen. Die beiden im Vorhergehenden, beschriebenen Arten 
der Abtheilung Stelligeri, nämlich R. baldensis und R. me- 
gathamnus gehören in die erstere Gruppe, der hier beschrie- 
bene R. australis gehört dagegen in die letztere Gruppe und 
schliesst sich unmittelbar an R. tomentosus Willd. an, als 
dessen südliche Paralleiart ich ihn auch auffasse. 


Der Wortlaut der Beschreibung lässt sich nicut wegdisputiren und ist 
darum immer auch von grösserem Werthe als sog. Originalexemplare 
aus der Hand des Autors, weil bei diesen letzteren die Möglichkeit 
einer- Verwechslung doch nie ganz ausgeschlossen werden kann. Ich 
glaube darum, dass auch in diesem Falle Borkhausen’s Beschreibung 
mehr zu berücksichtigen ist, als das von Focke im Roth’schen Herbar 
gesehene Borkhausen’sche Originalesemplar, welches Focke mit dem R. 
tomentosus der neueren deutschen Floristen für identisch erklärt. Ich 
zweifle durchaus nicht an der Richtigkeit dieser Angabe Focke’s und 
will derselben sogar beifügen, dass auch der in der Wetterau’schen 
Flora exsiccata unter Nr. 652 ausgegebene „R. tomentosus Borkh.“ mit 
dem R. tomentosus Willd. und der neueren deutschen Floristen identisch 
ist. Damit sind aber doch die Zweifel über den R. tomentosus Borkh. 
in Röm. Neuem Mag. d. Bot. p. 2 noch nicht behoben; denn die An- 
gaben Borkhausen’s: dass sein R. tomentosus einen stielrunden mit 
abwischbaren Reif bedeckten Stengel besitze , lasst sich, wie schon ge- ; 
sagt, nicht wegdisputiren. Es sind nur zwei Fälle denkbar. Entweder 
hat Borkhausen, wie Fischer-Ooster muthmasst, eine andere Pflanze ge- 
meint, als den R. tomentosus Willd. und der neueren deutschen Floristen, 
oder er hat unrichtige Angaben gemacht, gewisse Merkmale erdichtet 
und somit die Beschreibung einer gar nicht existirenden Pflanze gege- 
ben. Sollte das letztere der Fall sein, so hätte seine Beschreibung und 
seine ganze Arbeit überhaupt keinen Werth und verdiente dann auch 
‚nicht weiter berücksichtiget zu werden. Mit demselben Rechte, mit 
welchem Focke voraussetzt, Borkhausen habe die Angaben über die Form 
und den Reif der Blätter erdichtet, könnte ja ein auderer wieder be- 
haupten, Borkhausen habe in seiner Beschreibung die Form und Be- 
kleidung der Blätter unrichtig dargestellt. — Zum wenigsten ist daher 
der R. tomentosus Borkhausen eine zweifelhafte Pflanze, und man 
thut daher gut, R. tomentosus Willd. zu schreiben, da die von Willd. 
in Sp. pl. II, 1083 (1799) gegebene Beschreibung keinerlei Zweifel 
aufkommen lassen kann. 


— 160 — 


Ich habe Gelegenheit gehabt den R. tomentosus Willd. 
am Rhein, an der oberen Donau bei Regensburg, im nieder- 
österreichischen Donauthale, im Gebiete der Wiener Flora 
und im mittelungarischen Berglande an zahlreichen Standorten 
lebend zu beobachten, und habe getrocknete Exemplare dieser 
Pflanze aus den verschiedensten Gegenden des mittleren und 
südlichen Deutschlands, Böhmens, Mährens, Ungarns, u. Sieben- 
bürgens vorliegen. Allen Exemplaren aus dieser von den 
Rheingegenden durch die Wetterau über Baiern, Böhmen, 
Mähren, Niederösterreich und Ungarn nach Siebenbürgen sich 
erstreckenden Zone, fehlen die abstehenden Büschelhaare an 
den Schösslingen, und die einfachen in den matten Stern- 
haarfilz der oberen Blattfläche eingesprengten schimmernden 
einfachen Striegelhaare, die Theilblättchen derselben sind un- 
gewimpert, verkehrteiförmig, gegen die Basis keilig ver- 
schmälert, stets mehr als 1/,mal so lang als breit, und die 
Staubfäden überragen nicht die Griffel. — Diese Merkmale 
unterscheiden nun eben den R. tomentosus Willd. von den 
habituell sehr ähnlichen R. australis, dessen Verbreitungs- 
bezirk sich südwärts an jenen des R. tomentosus anschliesst 
und sich vom südlichen Frankreich (Montpellier) durch das 
Gelände der Alpen und zwar vorzüglich die südlichen Alpen- 
thäler (Südschweiz, Tirol, Görz) nach Oberitalien und Dal- 
matien erstreckt. Aus dieser südlichen Zone ist mir R. 
tomentosus Willd. bisher nur aus der höheren Bergregion 
Dalmatiens bekannt geworden; im niederen Hügellande, Küsten- 
gebiete und Flachlande ist dagegen in dieser Zone R. australis 
sehr verbreitet und ersetzt dort gewissermasen den R. to- 
mentosus Willd. Ich glaube darum auch den R. triphyllus 
Bell. (nicht Thunb.), sowie den R. tomentosus Nocca et 
Balbis und der anderen italienischen Autoren mit R. australis 
identifiziren zu können. 


— 161 — 


8. Rubus dasyclados 
turionibus elongatis, ew arcu magno decurvo procumbentibus, 
5-angularibus, pilis copiosis simplicibus et binatis, elon- 
gatis, patentibus, pilisque occultatis parvis stellatim expan- 
sis et glandulis stipitatis inaequalibus vestitis, aculeisque 
conformibus rectis horizontaliter patentibus armatis; folio- 
lis subcoriaceis, pedatim dispositis, omnibus petiolulatis, 
ovatis, acuminatis, discoloribus, supra glaberrimis, obscure 
viridibus, infra tomento denso, albo, adpresso et pilis 
sparsis tenuibus tomentum superantibus obductis; inflores- 
centia pyramidata, e cymulis multifloris composita; sepa- 
lis sub anthesi et in fructu reflexis, in dorso canescentibus, 
villoso-tomentosis, glandulis stipitatis et aculeolis rectis 
munitis; petalis albis, obovatis; staminibus stylos vires- 
centes superantibus ; germinibus glabris. 

Ad silvarum oras et in silvis caeduis in regione montana Tiroliae; 
ad Oenipontem in declivitatibus montium vallem Oeni septentrionem ver- 
sus cingentium, solo calcareo. 

Umfangreicher Strauch von 1—1.5 Meter Höhe mit 
sehr langen Schösslingen und Stämmen, welche bogenförmig 
zur Erde gekrümmt und gewöhnlich zu undurchdringlichen 
Dickichten verschlungen sind. Schösslinge 4—8™" im Durch- 
messer, fünfkantig, mit flachen, gestreiften Seiten, schmutzig 
olivengrün, an der Lichtseite gewöhnlich dunkelbraun über- 
laufen, mit kleinen ausgebreiteten Sternhärchen, 3—5mal 
längeren, abstehenden Büschelhaaren !) wagrecht abstehenden 
ungleich langen zarten Stieldrüsen und wagrecht abstehenden 
conformen 4—-6™™ langen Stacheln, welche sich aus einer 
4—5mm. Jangen, schmalen, linealen Ansatzfläche und stark 
zusammengedriickten, dreieckigen, rothbraunen, mit langen 


1) Die „Büschelhaare“ bestehen bei dieser so wie überhaupt bei 
den meisten Rubus gewöhnlich aus paarweise vereinigten, verlängerten 
Haaren, seltener findet sich ein aus 3 oder 4 Haaren gebildetes Büschel 
zwischen diese paarweise vereinten Haare eingesprengt, oder es ist in 
Folge Verkümmerung das Büschel nur durch ein einziges Haar re- 
präsentirt. 


— 162 — 


Haaren bestreuten Basis allmählig in eine gerade strohgelbe 
Spitze verschmälern, besetzt. Jeder Interfoliartheil trägt 
‚10—25 Stacheln. Die Stieldrüsen und langen Büschelhaare, 
welche eine dichte Bekleidung des Schösslings bilden, ver- 
lieren sich zum Theile über Winter, so dass die Stämme zur 
Zeit der Blüthe immer weniger dicht bekleidet sind, als die 
Schésslinge. Die Blätter der Schösslinge langgestielt, vor- 
herrschend fünfzählig, gegen den Gipfel der Schösslinge zu 
durch Verschmelzung der seitlichen Blättchen auch vierzählig 
und dre'zählig; der gemeinschaftliche Blattstiel, sowie die 
Stielchen der Theilblattchen oberseits schwach eingedrückt, 
mit kurzenausgebreiteten Sternhärchen u. wagrecht abstehenden 
Stieldrüsen bedeckt, gleichzeitig von abstehenden, nahezu 1””- 
langen Büschelhaaren dicht zottig und mit schwachgekrümmten 
3——4™. Jangen Stacheln bewehrt; die Theilblättchen fuss- 
förmig gestellt, derb, im Herbste fast lederig, oberseits dunkel- 
grün, glanzlos, schon in der Jugend vollständig kahl, unter- 
seits mit gelblichweissem, dichtanliegenden Filze bedeckt und 
gleichzeitig von schimmerden über den Filz aufragenden ein- 
fachen und büscheligen Haaren flaumig-zottig. Das Nerven- 
netz sehr markirt; die Nerven oberseits durch sehr fein- 
vertiefte Linien angedeutet, unterseits scharf vorspringend, 
von weisslichgelber, die stärkeren Nerven manchmal auch 
von röthlicher Farbe; der Mittelnerv mit kleinen, schwach- 
gekrümmten Stachelchen besetzt. Der Rand der Blätter von 
eiförmig-dreieckigen in ein kleines, kallöses Spitzchen aus- 
laufenden, gewimperten Zähnen, unterhalb der Mitte einfach —, 
oberhalb der Mitte unregelmässig, doppeltgesägt. Das end- 
ständige Theilblättchen rundlich-eiförmig, lang zugespitzt, an 
der Basis zugerundet oder etwas herzförmig, 7—12 Centim. 
lang, 3.5—9 Centim. breit, an einem 1.5—2.3 Centim. 
langen Stielchen, die beiden mittleren, seitenständigen Blätt- 
chen verkehrteiförmig oder schief elliptisch, zugespitzt, 6 bis 
11 Centim. lang, 2.8—6 Centim. breit, an einem nur 6— 12mm. 
langen Stielchen, die beiden unteren seitlichen Blättchen 
länglich, lanzettlich, spitz 4—8 Centim. lang, 1.5—4 Centim. 


— 18 — 


breit, an einem sehr kurzen 1—3”"- langen Stielchen. Wenn 
die beiden seitlichen Blättchen einer Seite zu einem ver- 
schmolzen sind, so erscheint der Aussenrand des durch Ver- 
schmelzung entstandenen Blattchers mit einem kleinen Lappen 
oder einer vorspringenden Ecke versehen. Die Nebenblätter 
1.5—2 Centim. lang, schmal, lineal, grün, mit kurzen Stiel- 
drüsen und langen Wimperhaaren besetzt. Die blüthentragen- 
den Zweige 20—60 Centim. lang, kantig, grün, von kurzen, 
ausgebreiteten Sternhärchen, drei bis viermal längeren ab- 
stehenden Büschelhaaren, kurzen wagrecht abstehenden Stiel- 
drüsen und rückwärts geneigten, ungleichen, 3—6""- langen 
Stacheln bekleidet. Die Blätter der blüthentragenden Zweige 
dreizählig, die Theilblättchen der unteren Blätter dieser Zweige 
oberseits mit schimmernden, anliegenden, einfachen Striegel- 
haaren bestreut, unterseits graugrün, sammtig-weichhaarig, 
am Rande grobgesägt, im Umrisse rundlich-verkehrteiförmig, 
stumpf, die Theilblättchen der oberen Blätter der blüthen- 
tragenden Zweige in der Berandung und Bekleidung mit den 
Theilblättchen der Schösslingsblätter übereinstimmend, auch 
in der Grösse und im Umrisse diesen sehr ähulich, und nur 
dadurch abweichend, dass sie verhältnissmässig breiter und 
kürzer zugespitzt erscheinen. Der Blüthenstand pyramiden- 
förmig oder eiförmig, reichblüthig, aus 3 — vielblüthigen, 
-traubenformig angeordneten, nach obenhin gedrängt stehenden 
Cymen zusammengesetzt. Die 2—8 unteren Aeste des Blüthen- 
standes von laubartigen, einfachen oder dreizähligen Blättern 
gestützt, welche im Zuschnitt, sowie in der Berandung, Farbe 
und Bekleidung mit den tieferstehenden, stengelständigen 
Laubblättern übereinstimmen; die folgenden, kürzergestielten 
Cymen von lineal-lanzettlichen, ungetheilten oder dreispaltigen 
grünen mit Stieldrüsen und Wimperhaaren besetzten Bracteen 
gestüzt. Die Blüthenstiele, sowie die Spindel des Blüthen- 
standes von anliegendem Sternhaarfilze, langen abstehenden 
Büschelhaaren, zahlreichen Stieldrüsen und spärlichen, stroh- 
gelben, nadelförmigen, geraden, ungleichlangen Stachelchen 
besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser von 1,8 bis 


— 164 — 


2 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der Blüthe und 
Fruchtreife zurückgeschlagen, 6—7™™" lang, an der Basis 
3—3.5™™ breit, eiförmig, zugespitzt, die Spitze an sehr 
üppigen Exemplaren manchmal in ein grünes, lanzettliches, 
laubartiges Anhängsel verlängert; die obere Fläche der Kelch- 
zipfel ist mit einfärbigem, weisslichen Filze bekleidet, die 
äussere untere Fläche mit graugrünem Filze bedeckt, in 
welchem zahlreiche, strohgelbe Nädelchen und kurze Stiel- 
drüsen eingestreut sind. Die Kronenblätter sind 8—10""- 
lang, 5—6""”- breit, ausgebreitet, weiss, verkehrteiförmig oder 
länglich-verkehrteiförmig, allmählig in den 1””: breiten Nagel 
verschmälert, mit sehr kurzen Härchen bestreut. Die Staub- 
fäden sind weiss oder theilweise röthlich überlaufen, 6™™ 
lang, deutlich die grünlichen Griffel überragend. Die Frucht- 
knoten sind kahl und das Köpfchen der Fruchtknoten ist 
von dem Kreise der Staubblätter durch einen breiten, nackten 
Hof getrennt. Die Früchte glänzend schwarz. 


Der hier beschriebene Rubus gehört in die Abtheilung 
der Glandulosi und zwar in die Gruppe Vestiti. Diese zu- 
erst von Bayer im Botan. Excursionsb. pag. 297 aufgestellte 
Gruppe der Glandnlosen, deren bekanntester Repräsentant 
R. vestitus W. u. N. ist, zeichnet sich durch die gleich- 
grossen kräftigen Stacheln der Schösslinge, und insbesonders 
dadurch aus, dass sich unter den langen abstehenden Büschel- 
haaren, welche dem Schössling ein zottiges oder rauhhaariges 
Ansehen geben, regelmässig auch kurze, sternförmig, ausge- 
breitete Härchen finden. — Von allen Arten dieser Gruppe 
unterscheidet sich nun R. dasyclados durch die zahlreichen 
Stieldrüsen des Schösslings und die oberseits vollständig 
kahlen, unterseits mit dichtanliegendem, gelblich-weissen Filze 
bekleideten Blätter. 


R. dasyclados gehört zu den selteneren Rubus-Arten 
und scheint auf das alpine Gelände beschränkt. In der Um- 
gebung von Innsbruck, wo R. vestitus W. u. N. fehlt, ist 
R. dasyclados der einzige Repräsentant der Gruppe: Vestiti. 


Se PGR = 


Er findet sich daselbst insbesonders an warmen Lehnen am 
Fusse der Kalkberge in; dem Höhengürtel von 600—1000 
Meter. " 


9. Rubus reticulatus 


turionibus procumbentibus, flagelliformibus, apice radican- 
tibus, teretibus, sparsim pilosis, glandulis stipitatis et 
aculeis inaequalibus parvis tenuibus rectis munitis; foliis 
ternatis, foliolis ex cordata basi ovatis, acuminatis, dis- 
coloribus, supra obscure viridibus et strigulosis, infra 
tomento albe arcte adpresso vestitis et eleganter reticulato- 
venosis, lateralibus brevissime pedicellatis; inflorescentia 
parva, pyramidata vel ovata e cymulis paucifloris compo- 
sita, sepalis sub anthesi reflewis, in dorso cano-tomentosis 
et glandulis stipitatis avuleolisque rectis aciculiformibus 
obsitis, petalis albis, erectis, oblongo-obovatis, staminibus 
erectis, stylos virescentes vix superantibus. 


In silvis montanis Tiroliae septentrionalis ad Onipontem. 


Schösslinge peitschenförmig, auf den Boden hingestreckt, 
liegend, an den Spitzen anwurzelnd, 70—130 Centim. lang, 
an den dicksten Stellen 3™™-, gewöhnlich aber nur 2”. im 
Durchmesser, fast stielrund, grün, an der Lichtseite dunkel 
violettbraun oder rothbraun überlaufen und an beschränkten 
Stellen in der Umgebung der Stacheln manchmal mit einem 
schülferig sich abhebenden, weisslichen Wachsüberzuge ver- 
sehen, mit spärlichen, zerstreuten Büschelhaaren, zahlreichen 
0.5— 1”=- langen Stieldrüsen und ungleichlangen, kleinen 
Stacheln deren kräftigste nicht über 3”"”- lang sind, und 
sich aus einer 2.5™™: langen, linealen Ansatzfläche und kurz 
dreieckigen, zusammengedrückten Basis plötzlich in eine nach 
rückwärts geneigte Spitze verschmälern, bekleidet. Die Blätter 
der Schösslinge, langgestielt, vorherrschend dreizählig, sehr 
selten einige auch vierzählig und fünfzählig; der gemein- 


schaftliche Blattstiel, so wie die Stielchen der Theilblättchen 
Naturw.-med. Verein, 15 


— 166 — 


oberseits etwas rinnig eingedriickt, in derselben Weise wie 
des Stamm des Schösslings bekleidet, nur etwas dichter be- 
haart als dieser. Die Theilblättchen zweifarbig, oberseits 
dunkelgrün mit schimmernden, den Sekundärnerven parallel 
aufliegenden Striegelhaaren bestreut, unterseits mit weissem, 
kurzen, dichtanliegenden Filze bekleidet. Die Nerven an 
der unteren Blattfläche gelblich-weiss, sowohl der Primärnerv 
als auch die Secundärnerven, und die rechtwinkelig zu ein- 
ander gestellten anastomosirenden Nerven dritter und vierter 
Ordnung, deutlich vorspringend und zu einem äusserst zier- 
lichen Netze verbunden, das einigermassen an das Nerven- 
netz der Salix reticulata erinnert. Der Rand der Theil- 
blättchen von kurzen, breiteiförmigen in ein kleines Spitzchen 
plötzlich zusammengezogenen, gewimperten Zähnen unregel- 
mässig gesägt; das endständige Theilblättchen eiförmig, zuge- 
spitzt, an der Basis herzförmig, 4—-7 Cent. lang, 2-—4.5 Cent. 
breit, an einem 1—2 Centim. langen Stielchen, die beiden 
seitenständigen Blättchen 3.5—6.5 Cent. lang, 2—4 Cent. 
breit, fast sitzend, an einem nur 1—3™™"- langen Stielchen, 
schief eiförmig oder rhomboidisch, spitz oder etwas zugespitzt, 
an der Basis herzförmig, am Aussenrande gewöhnlich mit 
einer vorspringenden Ecke oder einem abstehenden Lappen 
versehen. Ist das Blatt fünfzählig, so sind die Theilblätt- 
chen fussförmig gestellt, und die an den kurzen Stielchen der 
mittleren Blättchen sitzenden seitlichen unteren Blättchen sind 
elliptisch oder eiförmig, spitz, 2.5—3.5 Centim. lang und 
1.5—2 Centim. breit. Die Nebenblätter 4—5™™ lang, sehr 
schmal, lineal, fast fädlich, mit kurzen Stieldrüsen und 
Wimperhaaren bestreut. Die blüthentragenden Zweige 5 bis 
25 Centim. lang, aufrecht, unten stielrund, nach obenhin 
stumpfkantig, zickzackformig hin- und hergebogen, grün, 
violettbraun überlaufen und von reichlichen, verfilzten Büschel- 
haaren, zahlreichen, ungleichlangen Stieldrüsen und geraden, 
ungleichlangen, horizontalabstehenden , nadelförmigen, bis zu 
2m. Jangen Stachelchen dicht bekleidet. Die oberen Blätter 
der blüthentragenden Zweige den Blättern der Schösslinge 


a, LOR ee 


gleichgestaltet, die unteren dagegen im Vergleiche zu den 
Schösslingsblättern weniger zugespitzt, mitunter sogar abge- 
stumpft, kürzer und verhältnissmässig breiter, gröber gesägt, 
unterseits nur mit sehr dünnem Filze bekleidet und daher 
gewöhnlich weisslich-grün. Der Blüthenstand nur 5—4 Centim. 
lang, von den obersten Blättern der Blüthenzweige überragt, 
im Umrisse pyramidenförmig, aus trauhig angeordneten Cymen 
gebildet, von welchen die untersten meist 3—Dbliithig und 
von laubartigen, einfachen oder dreizähligen Blättern gestützt, 
die oberen sehr genäherten meist nur zwei- und einblüthig 
und von dreispaltigen Bracteen gestützt erscheinen. Die 
Blüthenstiele, sowie die Spindel des Blüthenstandes sind von 
verwobenen Haaren graufilzig und mit ungleichlangen, roth- 
braunen Stieldriisen und geraden, horizontal abstehenden, 
strohgelben, nadelförmigen, bis zu 3™™ langen Dörnchen 
reichlich besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser von 
1.2—1.5 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der Blüthe 
zurückgeschlagen, eiförmig, langzugespitzt, 4—6”"- lang, an 
der Basis 2.5—3"%": breit, an der Innenfläche mit einfär- 
bigem, weisslichen Filze bekleidet, an der Aussenfläche grau- 
fllzig und mit zahlreichen, rothbraunen Stieldrüsen und nadel- 
förmigen, strohgelben Dörnchen besetzt. Die Kronenblätter 
weiss, aufrecht abstehend, 6—8™™: lang, 3— 4”: breit, läng- 
lich-verkehrteiförmig, allmählig in den Nagel verschmälert. 
Die Staubfäden aufrecht, weiss, 5™- lang, die grünlichen 
Griffel kaum überragend. Die Fruchtknoten kahl. Die Früchte 
an keinem der beobachteten Exemplare zur Entwickelung 
gelangt. 

R. reticulatus wurde bisher nur im Gebiete der Inns- 
brucker- Flora und auch da nur selten und vereinzelt be- 
obachtet. — Er gehört in die Abtheilung der Glandulos; 
und reiht sich in die Gruppe des R. hirtus W. K. — Von 
allen Arten dieser Gruppe unterscheidet er sich aber auf 
den ersten Blick durch den dichtanliegenden weissen Filz und 
das sehr markirte, kleinmaschige Adernetz der unteren Blatt- 
fläche, in welchem die Nerven vierter und fünfter Ordnung 


15% 


me 


noch deutlich vorspringen und durch ihre Anastomosen un- 
zählige kleine, quadratische Felderchen im Durchmesser von 
beiläufig 1”: bilden. | 

Das verhältnissmässig seltene Vorkommen und der Um- 
stand, dass an keinem der beobachteten Exemplare dieses 
Rubus reife Früchte zur Entwickelung gelangten, lässt die 
Muthmassung aufkommen, dass derselbe einer hybriden Be- 
fruchtung sein Dasein verdankt. — In diesem Falle würde 
nun jedenfalls R. hirtus W. K. als die eine Stammart an- 
zusehen sein, da dieser, wie schon bemerkt, durch zahlreiche 
Merkmale mit R. reticulatus übereinkommt. Da dem R. 
hirtus W. K. der weissfilzige Ueberzug, und das scharfvor- 
springende, kleinmaschige Nervennetz der unteren Blattfläche 
fehlt, würde man eine unserer Rubus-Arten mit zweifarbigem 
unterseits weissfilzigen Laube als zweite Stammart muth- 
massen können. Von solchen finden sich in dem Gebiete, 
wo R. reticulatus wächst, R. australis, R. candicans Weihe 
— thyrsoideus Wimmer), R. bifrons Vest und R. dasyclados. 
Aus der Reihe dieser Arten ist zunächst R. australis aus- 
zuschliessen, weil kein einziges der Merkmale, welche diesen 
Rubus besonders charakterisiren an R. reticulatus ausge- 
sprochen ist. Würden die durch ihre hohen kräftigen Schöss- 
linge und Stämme ausgezeichneten Arten: R. candicans Weihe 
und R. bifrons Vest betheiliget sein, so müsste R. reticu- 
latus jedenfalls dickere Schösslinge und höheren Wuchs zeigen, 
als er sie in Wirklichkeit besitzt. In der That sind aber 
sowohl die peitschenförmigen auf den Boden liegenden Schöss- 
linge, so wie die aufrechten blühenden Zweige des R. reti- 
culatus nicht kräftiger, sondern vielmehr noch zarter und 
schmächtiger, als jene des R. hirtus W. K. Auch ist nicht 
abzusehen, von welcher dieser beiden in Frage stehenden 
Arten R. reticulatus das eigenthümliche Nervennetz entlehnt 
haben sollte. Am ehesten könnte daher nach R. dasyclados 
in Betracht kommen, da bei dieser Art die Schösslinge ge- 
wöhnlich nur einen Durchmesser von 5—6™™ zeigen, sehr 
verlängert sind, und mit ihren Enden auf den Boden hinge- 


Be 


ee eg 


worfen erscheinen; auch ist das Nervennetz an der unteren 
weissfilzigen Blattfläche des R. dasyclados sehr markirt, wenn 
auch lange nicht so scharf abgehoben, wie an R. reticulatus. 
Anderseits spricht aber gegen die Annahme, dass R. reti- 
culatus ein der Combination: dasyclados X hirtus entsprechen- 
der Bastart sei, der Umstand, dass die Schösslinge des R. 
reticulatus nicht dichter, sondern vielmehr spärlicher behaart 
sind, als jene des R. hirtus W. K., während doch das erstere 
an einem der Combination: dasyclados X hirtus entsprechen-: 
den Bastarte vorausgesetzt werden müsste, ebenso spricht 
der Umstand dagegen, dass die Blättchen des R. reticulatus 
weniger zugespitzt und mit kürzeren, breiteren, zahlreicheren 
Zähnen berandet erscheinen, als es die Blättchen beider 
fraglichen Stammarten sind. 


10. Rubus Ebneri 


turionibus procumbentibus teretibus leviter pruinosus, junio- 
ribus parce pilosis, adultis glabratis, glandulis stipitatis 
brevibus copiosis aculeisque copiosis rectis parvis strami- 
neis subconformibus munitis, foliis quinatis, foliolis pedatim 
dispositis, omnibus petiolulatis, utrinque viridibus, planis, 
pilis micantibus sparsis vestitis, terminali ex cordata basi 
ovato-rhombeis, breviter acuminatis, lateralibus oblique 
ovatis vel obovatis, acutis, ramulorum florigerorum folüs 
ternatis: terminali longe pedicellato sub-rotundo, acuto, 
lateralibus pedicellatis oblique ovatis; inflorescentia com- 
posita flexuosa, ovata vel pyramidata, folia superiora via 
excedentia, pedunculis erecto-patulis pilosis, glandulis sti- 
pitatis brevibus et aculeolis rectis aciculiformibus stra- 
mineis obsitis; floribus mediocribus; sepalis sub unthesi 
reflexis, in fructu arrectis, in dorso sublomentosis, canes- 
centi-viridibus glandulis stipitatis minimis et aculeolis 
aciculiformibus minutis adspersis; petalis patulis, albis, 
oblongo-obovatis, in unguem sensim sensimque contractis, 
staminibus albis, erectis, stylos virescentes superantibus. 


— 10 — 


In silvis umbrosis montanis Tiroliae septentrionalis; ad latera mon- 
tium vallem Oeni ad Oenipontem septentrionem versus eingentium. 


Niederer 30—50 Cent. hoher Strauch, dessen auf dem 
Boden hingeworfene Schösslinge an der Spitze einwurzeln 
und der im unbehinderten Wuchse mit seinen zahlreichen 
Stämmen, Zweigen und Schösslingen, Strecken von einem 
Quadratmeter und selbst darüber in dichtem Schlusse über- 
deckt. Die Schösslinge 3—5™™- im Durchmesser, stielrund, 
längsstreifig, grün, an der Lichtseite häufig braunroth oder 
braunviolett überlaufen, von einem sehr zarten, diffusen Wachs- 
überzuge hechtblau bereift, mit zahlreichen, horizontal-ab- 
stehenden kleinen nur 0.5™™ langen Stieldrüsen und an jedem 
Interfoliartheile mit 20—35 ziemlich gleichgestalteten, 3 bis 
Hmm. Jangen, strohgelben Stachelchen. besetzt, welche sich aus 
einer langlich-linealen 2—4""®- langen Ansatzfläche und drei- 
eckigen, zusammengedrückten manchmal violettüberlaufenen 
Basis, sehr allmälig in eine dünne, gerade, etwas rückwärts- 
geneigte Spitze verschmalern, in der Jugend auch mit sehr 
spärlichen vereinzelten, kurzen Büschelhaaren bestreut, welche 
aber alsbald schwinden, so dass dann der Schössling nur 
mit Stieldrüsen und Stacheln bekleidet ist. Die Blätter der 
Schösslinge lang gestielt, fünfzählig, nur am untersten Theile 
der Schösslinge auch dreizählig; der gemeinschaftliche Blatt- 
stiel, so wie die Stielchen der Theilblättchen oberseits etwas 
eingedrückt-rinnig, mit spärlichen Büschelhaaren, Stieldrüsen 
und zahlreichen, strohgelben Stachelchen besetzt, welche mit 
jenen des Stengels in Form, Farbe und Grösse überein- 
stimmen; die Theilblättchen fussförmig gestellt, oberseits 
dunkelgrün mit schimmernden Striegelhaaren bekleidet, unter- 
seits blasser grün, mit einem aus schimmernden, unregel- 
mässiggestellten, ziemlich zahlreichen, aber die Blattfläche nicht 
ganz verhüllenden Haaren gebildeten Ueberzuge bedeckt. Die 
Nerven zart, gelblich, der Mittelnerv mit zahlreichen 1—3™™ 
langen, geraden Stachelchen bewehrt. Der Rand der Blättchen ist 
von kleinen, kurzen, breiteiförmigen, plötzlich in ein kleines 
Spitzchen zusammengezogenen Zähnen einfach gesägt. Das 


— 11 — 


endständige Theilblättchen aus herzförmiger Basis eiförmig 
oder eiförmig rhombisch, spitz oder kurz zugespitzt, 6—9 Ctm. 
lang, 4—6 Cent. breit, an einem 2—3 Cent. langen Stiel- 
chen, die beiden seitenständigen, mittleren Blättchen ver- 
kehrteiförmig, spitz oder kurz zugespitzt, an der Basis asy- 
metrisch, zugerundet, 5—8 Cent. lang, 3—5 Cent. breit, 
an 1—1.5 Cent. langen Stielchen, die beiden seitenständigen 
unteren Blättchen elliptisch, schief-eiförmig oder rhomboidisch, 
spitz oder stumpflich, 3.5—5.5 Cent. lang, 1.8—3 Cent. 
breit, an einem 2-—4™- langen Stielchen. Wenn die beiden 
seitlichen Blättchen einer Seite zu einem verschmolzen sind, 
so erscheint das durch diese Verschmelzung entstandene 
Blättchen im unteren Drittel des äusseren Randes mit einem 
stumpfen Lappen versehen. Die Nebenblätter schmal, lineal, 
1 Centim. lang, mit Stieldrüsen und Wimperhaaren besetzt. 
Die hlüthentragenden Zweige 20—45 Cent. lang, aufrecht, 
zickzackförmig hin- und hergebogen, unten stielrund, nach oben- 
hin kantig, grün, mit abstehenden Büschelhaaren, kurzen 
Stieldrüsen und zahlreichen, strohgelben, rükwärtsgeneigten, 
ungleichen in der Länge zwischen 2 und 4™ schwankenden 
Stacheln bekleidet. Die Blätter der blüthentragenden Zweige 
dreizählig; die Theilblättchen derselben in der Färbung, Be- 
kleidung und Berandung mit den Theilblättchen der Schöss- 
lingsblätter übereinstimmend; das endständige Theilblättchen 
rundlich-rhombisch , spitz, 6—9 Cent. lang, 4—6.5 Cent. 
breit, an einem 1—2.5 Cent. langen Stielchen; die beiden 
seitenständigen schief eiförmig oder rundlich-rhombisch, spitz 
oder stumpflich, 5—8 Cent. lang, 3—5 Cent. breit, an einem 
2—6™™" langen Stielehen, im unteren Drittel des äusseren 
Randes manchmal mit einem stumpfen Lappen oder einer 
vorspringenden Ecke versehen. Der Blüthenstand im Umrisse 
eiförmig oder pyramidenförmig, über die obersten Laubblätter 
wenig oder gar nicht emporragend, aus traubig angeordneten 
Cymen gebildet, von welchen die untersten und obersten meist 
nur 1—2blüthig, die mittleren 3—5bliithig erscheinen. Die 
untersten 2-—3 ziemlich entferntstehenden Cymen in den 


2a 


Achseln grosser sie weitüberragender Laubblätter, welche 
mit den tieferstehenden Laubblättern in Farbe, Zuschnitt, 
Bekleidung und Berandung übereinstimmen, die oberen sehr 
genäherten Cymen von grünen, haarigen und mit zahlreichen 
kurzen Stieldrüsen besetzten, dreispaltigen Bracteen gestützt. 
Die Spindel des Blüthenstardes schlängelig hin- und herge- 
bogen, so wie die aufrecht-abstehenden Blüthenstiele, grau- 
flaumig, mit zahlreichen sehr zarten, kleinen Stieldrüsen und 
zahlreichen 1—3™™: langen, horizontalabstehenden oder etwas 
rückwärtsgeneigten, nadelförmigen , strohgelben Stachelchen 
besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser von 2 Cent. 
Die Kelchzipfel sind zur Zeit der Blüthe zurückgeschlagen, 
zur Zeit der Fruchtreife aufgerichtet, 5™™ lang, an der Basis 
zum. breit, dreieckig-eiförmig, in ein lineales 1—2™™: Janges, 
grünes, pfriemliches Spitzchen plötzlich zusammengezogen, 
an der inneren Fläche mit einfärbigem, weisslichen Filze be- 
kleidet, an der äusseren Fläche filzig, graugrün, mit hellerem 
Rande, mit zahlreichen, kurzen Stieldrüsen und kurzen, stroh- 
gelben, nadelférmigen Stachelchen bestreut. Die Kronen- 
blätter ausgebreitet, weiss, 9—11™™. lang, 5™™- breit, läng- 
lich, verkehrteiförmig, allmälig in den 1”®- breiten Nagel 
zusammengezogen, doppelt so lang als die Kelchzipfel, an 
der Aussenfläche mit sehr spärlichen, winzigen Härchen be- 
streut. Die Staubfäden 5—6™™ lang, weiss, aufrecht, über 
die grünlichen Griffel deutlich emporragend. Die Frucht- 
knoten mit sehr kurzen, gebüschelten , zarten Härchen be- 
streut. Die Früchte zum Theile abortiert; die ausgereiften 
schwarz. 

Der hier beschriebene Rubus, welchen ich in angenehmer 
Erinnerung an die zahlreichen, mit meinem Schwager, dem 
Histologen Dr. V. v. Ebner ausgeführten, botanischen Exkur- 
sionen R. Ebneri benannt habe, mahnt durch seine stiel- 
runden, bereiften, mit kleinen, geraden, strohgelben Stacheln 
besetzten Schösslinge auf das lebhafteste an R. dumetorum 
W.u. N. und macht auch in seiner ganzen Tracht den Ein- 
druck einer in die Abtheilung der Corylifolii gehörigen Art, 


— 13! — 


unterscheidet sich aber von allen Arten dieser Abtheilung 
durch die deutlichgestielten, seitlichen unteren Theilblättchen 
der fünfzähligen Schösslingsblätter, durch die deutlichgestielten 
seitlichen Blättchen der dreizähligen Blätter der blüthen- 
tragenden Zweige, und durch die Kronenblätter, welche doppelt 
so lang als breit und im Umrisse länglich-verkehrteiförmig 
erscheinen. — Diese Form der Kronenblatter, so wie die 
zahlreichen kleinen Stieldrüsen des Schösslings mahnen an 
die Arten der Gruppe Glandulosi, und es wäre nicht un- 
möglich, dass R. Ebneri der hybriden Verbindung zweier 
Arten sein Dasein verdankt, von welchen die eine der Gruppe: 
Glandulosi die andere der Gruppe: Corylifolii angehört. — 
Aus diesen beiden Gruppen finden sich in den Wäldern, in 
welchen ich R. Ebneri auffand, besonders häufig der R. du- 
metorum W. u. N. und R. hirtus W. K. und vielleicht ist 
derselbe daher als ein der Combination : dumetorum X hirtus 
entsprechender Bastart aufzufassen. 


Analyse einer Ovarialcystenflissigkeit 
von 


Professor Richard Maly. 


Von der gynäkologischen Klinik der hiesigen Universität 
erhielt ich die Punktionsflüssigkeit einer grossen Ovarial- 
cyste einer zum zweiten male punktirten Frau. 

Die Flüssigkeit betrug etwa 25 Pfunde, war schwach 
alkalisch, braun, trübe, dick, lange Fäden ziehend, und 
liess sich nur schwer schöpfen, da sie wieder theilweise 
zurückfiel. 

Die grosse Flüssigkeitsmenge, und die zähe viscide 
Beschaffenheit, welche man seit Scherer!) einem eigen- 
thümlichen (seltneren) Eiweisskörper zuzuschreiben pflegt, 
veranlassten mich eine nähere Untersuchung vorzunehmen. 

Die ersten Coagulationsversuche zeigten schon die von 
Scherer betonte Eigenthümlichkeit des Paralbumins 
sich beim Kochen schlecht in Flocken auszuscheiden, und 
auch nach Zuspritzen von etwas Essigsäure eine milchigtrübe 
unfiltrirbare Flüssigkeit zu geben. 

Mucin war nicht nachweisbar, ja die ursprüngliche etwas 
verdünnte Flüssigkeit wurde durch Essigsäure eher aufge- 
hellt als getrübt. Auch das Suchen auf Paraglobulin gab 
kein reines Resultat, es wurde wohl nach starkem Ver- 
dünnen, Zusatz einer Spur Essigsäure und Einleiten von 


1) Annalen der Chemie.. Bd. 82. 


— 15 — 


Kohlensäure eine trübe Flüssigkeit erhalten, aber es setzten 
sich keine deutlichen Flocken ab. 

Es war hingegen leicht die Eiweisskörper von den übri- 
gen Substanzen auf folgende Weise zu trennen. Eine Quan- 
tität von circa 10 Pfund der zähen Flüssigkeit wurde mit 
fast dem doppelten Volum Weingeist gefüllt und tüchtig 
geschüttelt. Die dicke Fällung, welche beinahe die ganze 
Flüssigkeit breiig machte, hatte das faserig zähe und fädige 
Aussehen von Fibrin und war von Blutfarbestoff schwach 
röthlich gefärbt. In der Flüssigkeit blieben keine merklichen 
Mengen der Eiweisssubstanzen zurück. Beides, die gefällten 
Eiweisskörper und die Flüssigkeit wurden nacheinander 
untersucht. 

Ein Klumpen der fasrigen Fällung wurde, nachdem er 
zwölf Stunden unter Weingeist gestanden war, abgepresst, 
noch einmal mit Weingeist durchgeschüttelt und zwischen 
Papier stark ausgepresst, und war nun eine filzige fädige 
Masse die sich leicht zerpflücken liess. Dieser Presskuchen 
von Eiweisskörpern liess sich durch Wasser gut in zwei 
Theile, einen löslichen A und einen unlöslichen B trennen. 
Mit Wasser übergossen quoll er stark auf, die Fasern wur- 
den zu schleimigen Flocken, die sich wenn gleich langsam 
durch ein Filter trennen liessen. 

A. Die Lösung. Die Löslichkeit eines durch Wein- 
geist coagulirten Eiweissstoffes im Wasser bestätigte das Vor- 
handensein des sog. Paralbumins, das ja nach Scherer’s 
Charakteristik eben dadurch ausgezeichnet ist, und sich durch 
diese Eigenschaft vom Serum- und Eieralbumin unterscheidet. 
Die wässerige Lösung wurde neuerdings von Alkohol weiss 
gefällt, oder getrübt, und die Trübung verschwand auf Zu- 
satz von viel Wasser wieder, selbst noch, wenn der Nieder- 
schlag 24 Stunden unter Alkohol gestanden hat. Gegen- 
versuche mit einer verdünnten Eieralbuminlösung überzeugten 
mich, dass schon nach wenigen Minuten bei diesem die 
Weingeistfällung im Wasser unlöslich ist. Die anderen 
Reactionen dieses Paralbumins wurden alle mehrfach vorge- 


— 176 — 


nommen und finden sich auch darunter noch solche die mit 
dem gewöhnlichen Albumin nicht übereinstimmen. 

1. Kochen allein fällt nicht, obwohl die Reaction weni- 
ger alkalisch war, als eine verdünnte Eieralbuminlösung 
(eines Parallelversuches) die ohne Säurezusatz gerann. Hin- 
gegen fällt Kochen und eine Spur Essigsäure milchig; etwas 
mehr Essigsäure löst wieder, und die Fällung erscheint zum 
zweiten Male nach Zusatz von Kochsalzlösung. (Dieselben 
Reactionen, und die folgenden zeigte auch die ursprüngliche 
verdünnte Cystenflüssigkeit. Da aber diese nicht klar war, 
so könnten schwache Trübungen darin übersehen worden 
sein. Doch da sie im verdünnten Zustande beim Erhitzen 
nicht gerann und nicht mehr trübe wurde, so scheint: kein 
Serum albumin darin enthalten gewesen zu sein.) 

2. Kochsalzlösung und Kochen fällen, ebenso Kochsalz- 
lösung und verdünnte Essig- oder Salzsäure. Der Nieder- 
schlag ist in viel Wasser löslich. 

3. Salpetersäure fällt, auch im Ueberschuss. 

4. Salzsäure allein fällt nicht, weder verdünnt noch 
concentrirt. 

5. Schwefelsäure fällt nicht. 

6. Kupfervitriol fällt, der Niederschlag ist im Ueber- 
schusse des Fällungsmittels löslich. 

7. Bleizucker fällt nicht, und trübt nicht. 

8. Sublimat gibt einen weissen Niederschlag. 

9. Ferrocyankalium fällt einen reichlichen Niederschlag 
sowohl in der mit Salzsäure, als in der mit Essigsäure an- 
gesäuerten Flüssigkeit. 

10. Essigsäure allein fällt nicht. 

Diese Reactionen stimmen mit denen Scherers, so- 
weit sie von beiden Seiten gemacht wurden überein, nämlich 
1, 3, 4 8 9 und 10. Zu der Differenzialdiagnose von 
Scherer, welche letzterer wiederholt neuerdings 1) betonte, 
nämlich der Löslichkeit des weingeistig gefällten Paralbumins 


1) Virchow, Jahresbericht ete. 1866. 


u 


in Wasser, wäre noch nach obigem hinzuzufügen: die Nicht- 
fällbarkeit durch conc. Salzsäure und die Nichtfällung durch 
Bleizucker. Hingegen hätte ich als Unterschied zwischen 
Scherer’s und meinem Paralbumin zu erwähnen, dass S. 
die Weingeistfällung in körnigen Flocken erhielt, ich aus 
der ursprünglichen Cystenfliissigkeit in Fäden etc., aus der 
Lösung A. als milchige Trübung. Diese äussere Form der 
Ausscheidung mag wohl durch die Gegenwart anderer Sub- 
stanzen bedingt werden, die wir dermalen nicht kennen. 

Ich habe die Details der Reactionen hier umsomehr mit- 
getheilt, als in der praktischen Beziehung, das Vorkommen 
und daher auch die Eigenschaften des Paralbumins eine grosse 
Bedeutung für die Differenzialdiagnose von Ovarialkystomen 
und ascitischen Flüssigkeit gewinnt. In diesem Sinne be- 
spricht Waldeyer !) das Vorkommen des Paralbumins. 
Waldeyer hat auf Grund der zwei Reactionen: Fällbar- 
keit durch Kohlensäure, und Löslichkeit des Alkoholpräci- 
pitates in zahlreichen Fällen von Ovarialkystomen das Paral- 
bumin nie vermisst, in ascitischen Flüssigkeiten hingegen nie 
gefunden. 

Dies soll vom chemischen Standpunkte aus hier noch- 
mals desshalb betont werden, weil sich seit Scherer’s ersten 
Mittheilung über Paralbumin die Angaben darüber durch 
alle Hand- und Lehrbücher so hinziehen, als ob diese Ei- 
weissmodification ein seltenes Vorkommniss in gewissen Ova- 
rialeysten sei, während es dort doch als Regel, vielleicht 
immer auftritt. Dieses constante Auftreten in so kysto- 
matös entarteten Eierstöcken gewinnt ein hohes Interesse, ' 
da Waldeyer ?) nachgewiesen hat, dass die Flüssigkeit des 
Graaf’schen Follikel „eine fast reine Paralbuminlösung“ ist. 

B. Ein anderer Theil der Weingeistfällung aus der ur- 
sprünglichen Cystenflüssigkeit, war wie schon bemerkt in 
Wasser unlöslich. Ich habe mich überzeugt, dass eine ein- 


1) Archiv für Gynaekologie I. Band, pag. 252, Berlin, Hirschwald. 
2) Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig 1870, 


Te 


mal mit Wasser ausgelaugte Partie des nun flockig gelati- 
nös gewordenen Niederschlags an Wasser auch bei längerem 
Stehen fast nichts mehr abgab. Wohl aber war auch dieser 
Theil noch ein Eiweisskörper. 


Um ihn in Lösung zu bringen, wurden verdünnte Al- 
kalien und verdünnte Säuren angewendet. Von letzteren 
war besonders Salzsäure geeignet; sie löste langsam in kaltem 
Zustande, aber sehr rasch, wenn sie zu den mit Wasser 
erhitzten Flocken gesetzt wurde, es zeigt sich dann Auf- 
hellung, und bald ist alles gelöst. Dies sprach gegen Syn- 
tonin, von dem Hoppe-Seyler angibt, dass es gerade 
beim Kochen unlöslich in sehr verdünnter Salzsäure wird. 
Auch entstand aus dieser Lösung beim Neutralisiren kein 
Niederschlag, somit ist Syntonin ausgeschlossen. Es blieb 
noch zu unterscheiden, ob dieser Theil der Eiweisskörper ein 
Albuminat: (albuminsaures Kali nach Kraut: Gmelin 7. Bd. 
3. Abtheilung) oder durch den Weingeist coagulirtes Albu- 
min ist. Für Ersteres und gegen letzteres sprachen die Löslich- 
keit in verdünnter Salzsäure, und die ebenfalls sehr leicht 
zu Stande gekommene Lösung durch ein paar Tropfen ver- 
dünnten Aetzkalis, während verdünnte Essigsäure weniger 
lösend wirkt, als Salzsäure. Endlich spricht gegen coagu- 
lirtes Albumin, dass die ursprüngliche verdünnte Lösung beim 
Erhitzen ohne Essigsäurezusatz nicht genau. 


Die Lösung in mit ein paar Tröpfchen Kali versetztem 
Wasser, gab folgende Reactionen, die mit dem eines Alkali- 
albuminats: (oder Casein) übereinstimmen. 

1. Eine Spur Essigsäure fällt dicke, weisse Wolken, die 
im Ueberschuss der Essigsäure löslich sind. 

2. Nach Zusatz von einigen Tropfen phosphorsauren 
Natrons fällt Essigsäure nicht mehr, auch wenn sie bis zur 
starksauren Reaction hinzugefügt wird. 

3. Salpetersäure erzeugt in der kleinsten Menge einen 
in mehr Salpetersäure löslichen Niederschlag, der auf Zusatz 
von cone. Salpetersäure wieder erscheint. 


— 719 — 


4. Kohlensäure eingeleitet, erzeugt Fällung, die von ver- 
dünnter Essigsäure gelöst wird. 

5. Kochsalzlösung und Kochen fällen, ebenso Salmiak. 

6. Alkohol erzeugt zarte Flocken, die sich beim Er- 
wärmen zum Theil lösen. 

Eintragen von kristallisirtem Bittersalz, fällt in Zimmer- 
temperatur. 

Diese Reactionen sind die eines Alkalialbuminates. In 
der Asche war neben etwas Schwefelsäure viel Natron, aber 
kein Kali nachweisbar. Es ergeben sich daher für die Kystom- 
flüssigkeit zwei Eiweisskörper, nämlich: Paralbumin und Na- 
tronalbuminat, und es sind beide, wie diese Versuche zeigen, 
nach der Fällung mit Alkohol durch Behandlung des Nieder- 
schlags mit Wasser trennbar. 


Die obenbezeichnete weingeisthältige Flüssigkeit, welche 
von den coagulirten Albuminstoffen abfiltrirt war, wurde ab- 
destillirt, von einigen Flocken befreit und im Wasserbade 
zur Trockne gebracht.. Aus dem gebliebenen bräunlichen, 
zerreiblichen Rückstand wurden 4 Auszüge gemacht, 1. ein 
ätherischer, 2. ein alkoholischer, 3. ein ätherischer nach 
Säurezusatz und 4. ein wässeriger. 

1. Der ätherische liess nach dem Abdunsten einen 
geringen, meist kristallinischen. Rückstand von frappantem 
Honiggeruch. Durch Wasser, liess sich eine fettig-kristalli- 
nische Substanz trennen, die dabei zurückblieb, und nach 
dem Umkristallisiren aus heissem Alkohol alle Eigenschaften 
des Cholesterins zeigte. Die davon getrennte, wässerige Flüssig- 
keit war sauer, und gab nach dem Kochen mit Zinkoxyd 
eine sehr kleine Menge eines Zinksalzes, das den mikroskopi- 
schen Formen des Zinklactats ähnlich war. 

2. Der alkoholische Auszug wurde durch Schütteln 
mit 4mal erneutem, absoluten Alkohol erhalten. Der beim 
Abdampfen gebliebene, schwachgelbe, syrupdicke Rückstand 
hatte wieder den Honiggeruch, war sauer und von mikroskopi- 
schen Kriställchen getrübt. Letztere erwiesen sich noch als 


— 180 — 


Cholesterin, dem auch einige ölige, leicht Myelinformen lie- 
fernde Trépfchen beigemengt waren. Zucker, Leucin, Gallen- 
' Substanzen waren nicht vorhanden. Die Natur des syrup- 
förmigen Hauptbestandtheils dieser Auszüge konnte nicht 
eruirt werden. 


3. Nach dem Auslaugen mit Alkohol wurde der Rück- ~ 


stand mit etwas Salzsäure vermischt und wieder mit Aether 
geschüttelt. Dieses hinterliess einen braunen, sauren Syrup, 
der fast nur aus Milchsäure bestand. Das damit dargestellte 
Zinksalz war zweimal umkristallisirt, und dann weiss geworden. 

0.3496 grm, im Exicator (ohne Vacuum) getrocknete 
Substanz verlor bei 100° 0.0448 grm. Wasser und hinter- 
liess 0.1020 grm. Zinkoxyd. Diess stimmt in Kristallwasser 
und Zinkgehalt genau mit flleischmilchsaurem Zink überein. 


Gefunden proc. Berechnet proc. 
Wasser 12.81 12.90 
Zinkoxyd 29.17 29.04 


Auch die Löslichkeit des Salzes war um vieles grösser, 
als die des gewöhnlichen Zinklactates. Ein Vorkommen von 
Fleischmilchsäure in solcher nicht unbeträchtlicher Menge in 
Transudaten, ist noch nicht konstatirt, wohl aber einmal das 
Vorkommen einer Milchsäure überhaupt in Transudaten nach- 
gewiesen worden (Gmelin, Zoochemie pag. 243) bei manchen 
Formen von Puerperalfiebern. 

4. Endlich wurde ein wässeriger Auszug gemacht, wobei 
sich fast Alles des noch vorhandenen Rückstands löste. Die 
Lösung gab abgedampft, mächtige Kristallisationen von Koch- 
salz (und etwas schwefelsaurem Salz) und eine etwas ge- 
färbte, syrupöse Mutterlauge, die durch Alkohol in dicken, 
weissen, kompakten und kleberigen Flocken gefällt wurde. 
Die Fällung, welche am Platinblech die Eigenschaften eines 
verkohlenden Eiweissstoffes zeigte, wurde noch zweimal in 
Wasser gelöst und wieder mit Alkohol gefällt. Sie war 
nun fast weiss, und ihre wässerige, schwache, opolescirende 
Lösung verhielt sich wie folgt. 

Verdünnte Säuren fällen nichts, klären die Lösung nur 


— 151 — 


vollständig auf. Ebensowenig fällen concentrirte Säuren; 
Essigsäure plus Kochsalz; Ferrocyankalium in saurer Lösung; 
Kupfervitriol oder Sublimat. Alkohol fällt in neutraler, saurer 
und alkalischer Lösung. Bleizucker bewirkt Trübung, Blei- 
essig Fallung. Die Xantoproteinreaction ist schwach; das 
Millon’sche Reagens gibt in verdünnter Lösung nichts. Al- 
kalische Kupferlösung wird nicht reduzirt, aber nach vorher- 
gehendem Kochen mit verdünnter Schwefelsäure wurde unter 
3 Versuchen 2mal Reduction erhalten. 

Endlich wnrde ein Diffusionsversuch mit vegetabilischem 
Pergament angestellt mit nach wenigen Stunden positivem 
Resultate, was durch die Fällbarkeit mit Alkohol konstatirt 
wurde. 

Diese Substanz ist demnach nicht mehr als eigentlicher 
Eiweisskörper zu betrachten, da die meisten Eiweissreagentien, 
die Säuren, Metallsalze, Fenocyankalium fehlschlagen. Sie 
könnte eher zu jenen albuminoiden Substanzen zu rechnen 
sein, die Scherer !) als Colloidkörper bezeichnet, anderseits 
aber muss die Eigenschaft durch Pergament zu diffundiren, 
als Differenzialmoment zu Gunsten der Peptone betont werden. 
Man kann sich in der That nicht wundern, über das reich- 
liche Vorkommen eines Peptons in einer Cyste von den 
Dimensionen der in Rede stehenden, die bei ihrer Grösse 
vielfach vom Verdauungsschlauch berührt, eine bedeutende 
Diffusionsfläche den so leicht diffusiblen Peptonen darbot. 

Die grösste Aehnlichkeit von den verschiedenen sog. 
Peptonen zeigte der Körper noch mit dem Schleimpepton 
von Eichwald ?), obwohl es auch mit diesem noch Diffe- 
renzen aufweist, so z. B. wurde aus Eichwald’s Schleim- 
pepton mit Säuren kein reduzirender Körper erhalten. Sub- 
stanzen wie diese sind gegenwärtig eben nicht genauer prä- 


1) Sitzungsberichte physikal. ‘pmed. Gesellschaft in Würzburg. 
März 1865. 

2) Canstatt, Jahresbericht über die Fortschritte d. gesammt. Me- 
dizin I. Bnd. pag. 105. 

Naturw.-med. Verein. 16 


Sa Bot 


cisirbar, als dass sie die generellen Figenschaften der Peptone 
theilen, und die einzelnen Differenzen genügen nicht, ver- 
schiedene scharfgekennzeichnete Species auseinanderzuhalten. 


Aschenbestandtheile, der Kystomflissigkeit. 


Herr Prof. Dr. Ed. Hofmann hat einige Aschenbe- 
stimmungen der im vorhergehenden beschriebenen Flüssigkeit 
in meinem Laboratorium ausgeführt, und mir folgende Re- 
sultate übergeben. 

11.201 grm. Flüssigkeit gaben 0.911 grm. Trockensub- 
stanz oder 8.13 proc. 

12.334 grm. Trockensubstanz wurde im Platintiegel ver- 
kohlt, mit heissem Wasser ausgezogen, dann weiterhin die 
Kohle verbrannt, nocheinmal ausgekocht, und dann der Rest 
der Kohle eingeäschert. Die beiden wässrigen Auszüge gaben 
zusammen 1.160 grm Rückstand (lösliche Asche.) Die im 
unlösliche betrug 0.065 grm. oder: 

Trockengewicht 100 

Organisches 90.08 

lösliche 9.40 
| unlösliche 0.52 


Die lösliche Asche war der überwiegenden Menge nach 
Kochsalz. Auf 100 Theile herechnet wurden erhalten: 
Kochsalz 82.85 
Chlorkalium 4.10 
Kohlens. Natron 8.39 
Pyrophors. Natron 1.18 
Schwefelsaure \ g 
Salze (aries 
Die unlösliche Asche war sehr gering, locker gelb, und 
enthielt phosphorsaures Eisen, phosphorsauren Kalk und Mag- 
 nesia und Schwefelsäure. 
Innsbruck Jänner 1871. !) 


1) Diese Mittheilung wurde der Vereinsleitung erst im Jänner 1872 
übergeben. 


za 


Bericht über die im physiol.-chem. Laboratorium vom 
Oktober 1870 bis heute ausgeführten Arbeiten. 


Ausser obiger Mitthtilung über die Ovarialflüssigkeit sind 
folgende Abhandlungen publicirt worden: 

1. Ueber die Trommer’sche Zuckerreaction 
im Harn; 

2. einfache Darstellung von salzsaurem Krea- 
tinin aus Harn; beide von R. Maly in den Sitzungsberichten 
der Wiener-Akademie Bnd. 63 Märzheft 1871. Letztere Ab- 
handlung auch in den Annalen der Chemie und Pharmazie 
Bnd. 160. 

3. Bemerkungen über einen schwefelhaltigen 
Körperim Harn von Dr. W. Löbisch. Wiener-Sitzungs- 
berichte Bnd. 63. 

4. Ueber die sogenannte Kryptophansäure J. 
L. W. Thudichum’s von Dr. J. Pircher. Centralblatt für 
die medizinischen Wissenschaften in Berlin. 1871. Nr. 21. 

5, Künstliche Umwandlung von Bilirubin in 
Harnfarbstoff von R. Maly. Centralblatt für die medi- 
zinischen Wissenschaften in Berlin. 1871. Nr. 54. 

6. Schlussuntersuchungen über die Abietin- 
säure von R. Maly. Annalen der Chemie und Pharm. von 
Liebig etc. Bnd. 161 pag. 115. 

Ausser diesen bereits publicirten Arbeiten ist eine Unter- 
suchung durchgeführt worden, über die Umwandlung der Oxy- 
benzoesäure und Paroxybenzoesäure in der Blutbahn an der 
sich theilweise Dr. Löbisch betheiliget hat, und endlich in 
Gemeinschaft mit Prof. Hofmann, und Herrn J. Donath 
eine Arbeit, die unter dem Titel Beiträge zur Chemie des 
phosphorsauren Kalk’s und des Leim’s in einiger Zeit ver- 
öffentlicht werden wird. 

Innsbruck im Jänner 1872. 

Prof. R. Maly. 


Io“ 


Ophthalmologische Mittheilungen 


Prof. Ludwig Mauthner. 


1. Drei Fille von erworbener Hypermetropie. 


Als Formen erworbener Hypermetropie kennt man 1. die 
Hypermetropie in Folge von Aphakie, und 2. jene, die, wenn 
auch nur in geringem Grade, im höhern Alter sich bemerkbar 
macht. Ferner sieht man H auftreten: 3. bei Glaucom, 4. bei 
Verfärbung und Atrophie des Sehnerven, und 5. nach Angina 
diphtherica. Die Ursachen der H, welche unter den drei 
letztgenannten Verhältnissen sich zeigt, sind entweder schwer 
oder gar nicht zu begreifen. So ist für jene Abnahme des 
Brechzustandes, welcher, wie Jacobson sah, nach diphtheri- 
tischer Angina sich entwickelt und später wieder vollständig 
verschwindet, absolut kein halbwegs verständlicher Grund 
aufzufinden. Als Curiosum wird weiters, also 6. angeführt 
jene H, die durch Compression des Bulbus von rückwärts 
und die dadurch erzeugte Verkürzung der Augenaxe und 
7. jene, die durch Vortreibung der Macula lutea durch retro- 
retinale feste Exsudate oder Neubildungen, und jene, die durch 
centrale Netzhautablösung zu Stande kommt. Die beiden letz- 
teren Formen sind Curiosa, weil allerdings die physikalische 
Existenz der H evident ist, aber leider weder der Arzt noch 
der Patient in der angenehmen Lage sich befinden, dieser 
pbysikalischen H irgend welche Aufmerksamkeit zu schenken. 


— 18 — 


Endlich und 8. kann erworbene Hypermetropie durch Ver- 
änderungen in der Cornea bewirkt werden. 

Hören wir einige Stimmen in Betreff dieses letzteren 
Punktes. 

Donders!): „Ich habe zuweilen bei centralen Hornhaut- 
geschwüren einen hohen Grad von Hypermetropie beobachtet, 
an deren Stelle Emmetropie oder gar Myopie, verbunden mit 
unregelmässigem Astigmatismus, trat, sobald bei arteficieller 
Mydriasis auch die seitlichen Theile der Hornhaut beim direk- 
ten Sehen mit ins Spiel kamen.“ Nagel?): „Erworben 
scheinen höhere Grade von Hyperopie, abgesehen von Linsen- 
verlust, nicht vorzukommen. — Weniger hohe Grade von 
Hyperopie können dagegen erworben werden 1. durch Ab- 
flachung der Cornea, der ganzen oder des mittleren Theiles 
in Folge ulceröser Erkrankungen.* v. Stellwag*): „Es wer- 
den Convexitätsverminderungen einzelner Trennungsflächen des 
dioptrischen Apparates mitunter auch erworben. Indem dann 
aber die Krümmung wohl immer eine sehr unregelmässige ist, 
wird nicht sowohl Hypermetropie, als vielmehr irregulärer 
Astigmatismus mit Uebersichtigkeit als Grundlage das Resultat 
sein. Hierher gehören die Verflachungen der Hornhaut als 
Folge schrumpfender Narben u. s. w.“ Schweigger *): „Bei 
Abflachung der Cornea durch centrale Facetten können hohe 
Grade von Hypermetropie gleichzeitig mit unregelmässigem 
Astigmatismus auftreten. “ 

Die angeführten Citate mögen genügen, um zu zeigen, 
dass man wohl zur Zeit des Vorhandenseins eines centralen 
Hornhautgeschwiirs die Existenz hochgradiger Hypermetropie 
bisweilen nachweisen konnte, ohne dass aber ein solcher Nach- 
weis begreiflicher Weise irgend welche praktische Bedeutung 


1) Die Anomalien der Refraction und Accommodation. Ueber- 
setzung pag. 205. 

2) Die Refractions- und Accommodationsanomalien des Auges, 
pag. 65. 

3) Augenheilkunde, 4. Auflaze, pag. 806. 

4) Handbuch der spec. Augenheilkunde, pag. 51. 


— eo 


hätte; dass hingegen von Anderen Fälle nicht beobachtet zu 
sein scheinen, in welchen eine durch einen geschwürigen Process 
gesetzte und nach erfolgter Heilung zurückgebliebene centrale 
Hornhautabflachung eine solche Durchsichtigkeit und dabei 
— wenn auch irregulärer Astigmatismus nicht gänzlich aus- 
geschlossen erscheint — eine so regelmässige Krüm- 
mung bewahrt hätte, dass hochgradige, durch Convex- 
gläser corrigirbare Hypermetropie zurückgeblieben wäre, 
dass also nicht der irreguläre Astigmatismus die Correction 
unmöglich und den Nachweis der vorhandenen H ohne Nutzen 
für das Auge gemacht hätte. 

Ich habe bisher auch nur zwei solche Fälle gesehen, 
von denen ich den einen bereits in meiner Ophthalmoscopie 
pag. 159 erwähnte. Ich will denselben hier nochmals vor- 
führen und den zweiten beifügen. 

Der erste Fall betraf einen 18jährigen jungen Mann, 
Namens Samuel Braun, welcher 4 Jahre vor der Zeit, zu 
welcher er sich vorstellte, seiner Angabe nach eine heftige 
Entzündung des rechten Auges durchgemacht hatte, und nun 
anfrug, ob denn die seitdem so sehr herabgesetzte Sehkraft 
dieses Auges nicht doch wieder gehoben werden könnte. Ich 
will ausdrücklich erwähnen, dass, so sehr auch nach der An- 
gabe des Kranken die Aufmerksamkeit sofort auf die Unter- 
suchung der Cornea gelenkt werden musste, um so mehr, als 
die Iris und Pupille sich normal erwiesen, doch weder im 
Tageslichte, noch bei seitlicher Beleuchtung zunächst eine 
Trübung oder sonstige Anomalie der Hornhaut ohne Weiteres 
auffiel. Den gewöhnlichen rohen Spiegelungsversuch erinnere 
ich mich nicht gemacht zu haben. Bei der Untersuchung im 
durchfallenden Lichte bot sich mir jedoch ein höchst merk- 
würdiges, noch nie gesehenes Bild dar. Durch die Pupille 
ging ein dunkler Streifen und in dem Felde unterhalb des- 
selben erschienen mir, ohne dass ich mein myopisches Auge 
(M '/,) durch ein Glas corrigirt hätte, die Objecte des Augen- 
grundes so hinlänglich scharf und deutlich und dabei in jener 
geringen Vergrösserung, wie ich sie im staaroperirten Auge 


— 187 — 


zu sehen gewohnt bin. Die Diagnose einer H '/, konnte, da 
ich beim Abstand von 3” zwischen dem Knotenpunkte meines 
Auges und jenem des untersuchten den Augengrund eben noch 
deutlich sah, sofort gestellt werden. Wenn ich mich dem 
Auge möglichst annäherte, so konnte ich gewahren, wie im 
Gesichtsfelde nach oben die Netzhautgefässe scharf abge- 
schnitten abbrachen und verschwanden, in diesem Theile des 
Gesichtsfeldes eben nichts als die gleichmässige, gelbrothe 
Färbung des Augengrundes zu sehen war. Wenn ich mein 
Auge corrigirte, so erschien mir nunmehr der übrige Augen- 
grund in der dem emmetropischen Auge entsprechenden star- 
ken Vergrösserung, während gleichzeitig das Miniaturbild der 
mehr central gelegenen Netzhautpartie noch immer wenn auch 
undeutlich sichtbar blieb. Auf die Erscheinung der Verdopp- 
lung der Objecte des Augengrundes will ich hier nicht ein- 
gehen. Es war gerade so, als wäre ein Loch durch die 
Linse hindurchgeschlagen. Da diese Annahme gerade 
nicht sehr plausibel war und andererseits die allseitige An- 
wesenheit der Linsenreflexe sofort die Hoffnung auf einen 
derartigen Fund raubte, so musste man die Ursache in der 
Hornhaut suchen. Liess man das Spiegelbild einer Kerzen- 
flamme über die Hornhaut gleiten, so hatte man das schöne 
Schauspiel, wie plötzlich an einer bestimmten Stelle das Bild 
wie mit einem Sprunge grösser wurde, ohne gleichzeitig 
merklich verzerrt zu werden, eine Strecke weit die 
gleiche Grösse bewahrte, um dann wieder in seine beschei- 
deneren Dimensionen ebenso ohne Uebergang zurückzufallen. 
Auf diese Weise konnte man leicht die Peripherie der Ab- 
flachung, welche sich vom Centrum der Hornhaut nach unten 
und aussen erstreckte, feststellen, und nun erst gelang es, 
die betreffende Partie auch direct zu sehen und von ihrer 
Umgebung mit dem Gesichtssinne abzugrenzen. 

Die Untersuchung mit Gläsern und Sehproben ergab: Das 
gesunde linke Auge emmetropisch, dessen Sehschärfe 2%, ,. 
Das rechte Auge konnte auf 20’ Abstand das grosse A 
(Snellen) nicht erkennen, auf 10’ Abstand wurde das A un- 


ee oe 


deutlich gesehen, mehr errathen, S also kaum 1% 09: In de 
Nähe konnte das rechte Auge nur Schrift Nr. 14 J., und 
diese auf keine grössere Entfernung als auf 4” lesen. Das 
Auge wurde durch Convex 3Y,, Y,” vor die Cornea gestellt, 
corrigirt, hatte mit diesem Glase S 294, und las damit Nr. 3 
Jäger auf 8”. Stellte man das uncorrigirte Auge auf 2’ von 
Snellen’s Tafel, so wurden nur die Buchstaben XL zögernd 
genannt; hielt man nun ein Prisma von 16° mit der Kante 
nach abwärts vor das Auge, so dass das Glas also durch 
Deduction (Abwärtswendung) des Auges überwunden werden 
musste und die Lichtstrahlen daher durch eine zwar periphere, 
aber normal gekrümmte (obere) Hornhautpartie einfielen, so 
wurden sofort die Lettern XX fliessend gelesen. 

Leider konnte die ophthalmometrische Messung der Cornea 
nicht vorgenommen werden. Fragen wir uns, welcher Werth 
für den Krümmungsradius in der abgeflachten Stelle durch 
die Rechnung gewonnen werden kann, so lautet die Antwort: 
Nehmen wir den Krümmungsradius der Hornhaut (nach Don- 
ders) mit 7:7 Mm. und legen wir der Linse einen solchen 
Einfluss auf die Brechkraft des Auges bei, dass ihre Ent- 
fernung aus dem Pupillargebiete eines emmetropischen Auges 
H '/, erzeugen würde, dann ergibt sich, dass, falls dieser 
Grad von H in einem emmetropischen Auge nicht durch 
Aphakie, sondern durch Hornhautabflachung entstehen soll, 
der Radius der Cornea seinen Werth von 7:7 Mm. in jenen 
von 9:63 Mm. ändern müsse. 

Es ist klar, dass in unserem Falle die ganze Hyper- 
metropia acquisita manifest war, denn das linke emmetro- 
pische Auge hatte ja die Führung. Es ist aber andererseits 
a priori wahrscheinlich, dass, falls bei solcher erworbener 
Hypermetropie das betreffende Auge die Rolle des allein 
sehenden übernehmen müsste, ein solches Auge in Betreff des 
latenten und manifesten Theils seiner H ein ähnliches Ver- 
halten zeigen würde, wie das mit typischer Hypermetropie 
behaftete. Ein Beispiel dafür liefert 

der zweite Fall. Eduard Appeller, 22 Jahre alt, stellte 


— 189 — 


sich mir am 12. Mai 1870 vor. Das linke Auge war phthi- 
sisch in Folge einer vor vielen Jahren erfolgten Verletzung 
durch einen eingedrungenen fremden Körper. Am rechten Auge 
war eine centrale Triibung und Abflachung der Hornhaut er- 
kennbar, von solcher Beschaffenheit, dass die Trübung gegen 
den Mittelpunkt zu sich nahezu verlor. Bei der ophthal- 
moscopischen Beleuchtung sah ich durch jene centrale Stelle 
ohne Correctionsglas die Objecte des Augengrundes noch bei 
einem Abstande der Augen van 1,” (also dem der beider- 
seitigen Knotenpunkte von 2”) möglichst deutlich. Das Bild 
trug nämlich das Gepräge einer durch irregulären Astigma- 
tismus erzeugten, jedoch nicht bedeutenden Verzerrung. Es 
bestand also H '/,. Das uncorrigirte Auge zeigt S '%/), 
Hm ist Y,,, mit Convex 16 ist S— !Y,,, auch werden ein- 
zelne Buchstaben von XX. noch gelesen. Patient liest ohne 
Glas unter sehr starker Verengerung der Augenlidspalte Nr. 1 
Jäger auf 514, Nr. 3 noch auf 7”, aber zégerud; mit Con- 
vex 16 (leichter, als mit Convex 12, aber doch noch auch 
mit diesem letzteren Glase) Nr. 1 auf 7, Nr. 3 auf 91%”. 
Es wird ihm zum Sehen in die Nähe Convex 16 verordnet. 

Wir haben in den zwei angeführten Fällen das erste 
Mal H Y,, das zweite Mal H '/,. Die Sehschärfe des corri- 
girten Auges ist im ersteren Falle 1/41/,, im zweiten 1%. 
Trotzdem also die Sehschärfe der beiden Augen nicht viel 
differirt, hat das erste Auge ohne Glas kaum eine Seh- 
schärfe 1%, 90, das letztere dagegen S !Y,,. Brauche ich zu 
sagen, dass nicht sowohl der Unterschied im Grade der Hy- 
permetropie (es handelt sich um eine Differenz von Y,, die 
bei so hohen Graden von H für die Prüfung der Sehschärfe 
des unbewaffneten Auges auf 10° sehr wenig in Betracht 
kommt) die Ursache dieser Erscheinung ist, als vielmehr der 
Umstand, dass im erstern Falle die Hypermetropie gar nicht, 
im letztern hingegen zum grössten Theile durch die Accom- 
modation gedeckt wurde? 

Ich füge nun einen dritten Fall von erworbener Horn- 
hautabflachung bei, der uns eine neue Ursache für diese Art 


I ee 


der erworbenen Hypermetropie kennen lehrt. Die 50jährige 
Taglöhnerin Ursula Tripp wurde am 9. Juni 1870 auf meine 
Klinik aufgenommen. Es handelte sich um eine melanotische 
Geschwulst am linken Auge, welche vom Limbus conjunctivae 
ausgehend auf die Hornhaut gewuchert war, ihre mächtigste 
Entwicklung nach unten, eine weniger mächtige nach aussen, 
eine Andeutung ihres Entstehens nach oben zeigte und nur 
den innern Hornhautrand intact liess. Der dem Pupillargebiete 
gegenüber liegende Theil der Hornhaut war von Geschwulst- 
bildung frei; doch liess sich bei seitlicher Beleuchtung in 
dieser Partie eine feine punktförmige oberflächliche Trübung 
erkennen. 

Das rechte gesunde Auge war emmetropisch, dessen 
Sehschärfe 2%,, nahezu. Das linke Auge zeigte Hyper- 
metropie, und zwar betrug die Hm Y,,; nach Atropinein- 
träuflung wurde Convex 10 als das corrigirende Glas ge- 
funden, die Sehschärfe (mit dem corrigirenden Glase) betrug 
20/.,. Der Augenspiegel zeigte ausser der Hypermetropie 
die (von der Trübung der Hornhaut herrührenden) Erschei- 
nungen eines gewissen Grades von irregulärem Astigmatismus. 

Als die Patientin nach Entfernung der Geschwulst geheilt 
entlassen wurde, war die Hypermetropie — verschwunden. 
Es war dieses Phänomen besonders bei der Untersuchung mit 
dem Augenspiegel äusserst überraschend. Das Auge war 
emmetropisch, verwarf selbst Convex 80 entschieden und 
hatte Sehschärfe 2%, ,. Die centrale Hornhautpartie war dabei 
fast zur Norm zurückgekehrt, die ophthalmoscopischen Er- 
scheinungen des irregulären Astigmatismus waren grössten- 
theils verschwunden. Offenbar hatte der am untern Drittheil 
der Hornhaut haftende mächtige Geschwulstlappen die Ab- 
flachung derselben bewirkt. Unter den früher gesetzten Be- 
dingungen hätte dabei der Hornhauthalbmesser um 0.38 Mm. 
zunehmen müssen, so dass er nunmehr (statt 7.7 Mm.) 
8:08 Mm. betrug. 


22190, © 


2. Ein Fall von Chorioideremie. 


Ortner Andreas, ein 32jähriger Müller aus Innichen im 
Pusterthale, stellte sich am 1. Juni 1871 im Ambulatorium 
meiner Klinik vor. Auf die entsprechenden Fragen gab er 
folgenden Bescheid: „Seitdem ich mich erinnere, weiss ich, 
dass ich immer schlecht gesehen habe. Ich sehe zwar die 
Gegenstände, die in gerader Richtung vor mir sich befinden, 
sehe aber dabei nicht, was rechts und links, oben und unten 
von ihnen liegt. Ich habe immer bei Tage besser als gegen 
Abend gesehen, und ist einmal die volle Dämmerung da, so 
sehe ich eigentlich so gut, wie Nichts, Ich habe auch die 
Bemerkung gemacht, dass es mit dem Sehen im Sommer 
besser als im Winter geht. Seit ich vor 15 Jahren den 
Typhus überstand, ist mein Sehvermögen entschieden schlechter 
geworden. Ich habe sieben Geschwister, von denen ein Bruder, 
der 26 Jahre alt ist, genau dieselbe Art der Schlechtsichtig- 
keit darbietet, wie ich sie selbst darbiete. Meine Eltern sehen 
zwar gut, aber ein Bruder meines Vaters sah auch schlecht, 
und meine Grossmutter von väterlicher Seite wurde in ihrem 
70. Lebensjahre vollkommen blind.“ 

Aeusserlich war an den Augen des Patienten nichts 
Krankhaftes wahrzunehmen. Spannung und Beweglichkeit der 
Bulbi normal, Cornea normal, die Irides von blaugrüner Farbe, 
die Pupillen im Tageslichte vollkommen schwarz und frei be- 
weglich. Ich benützte diesen Fall, um meinen Hörern zu 
demonstriren, wie man bei Krankheitsprocessen, die nur mit 
Hilfe des Augenspiegels erkennbar sind, doch gar oft aus den 
sich markirenden Symptomen die Diagnose mit mehr oder 
weniger Sicherheit noch vor der Spiegelprüfung machen könne, 
und wies darauf hin, dass wir bei unserem Kranken fast mit 
Bestimmtheit darauf rechnen könnten, eine typische Pigment- 
entartung der Netzhaut zu finden. 

Doch wie gross war mein Erstaunen, als ich nur einen 
Blick in das eine oder andere der Augen mit dem Spiegel 
warf. Allein, ehe wir auf die Resultate der ophthalmosco- 


= 1927) — 


pischen Prüfung eingehen, sei zunächst Folgendes über Brech- 
kraft, centrale und periphere Sehschärfe der Augen erwähnt. 
Das rechte Auge zeigte blos Sc— %99, es wurde auf 5’ 
nur das grosse A deutlich erkannt, wenn man auch die mit 
dem Spiegel bestimmte Myopie durch — '/,, corrigirte. Das 
Sehfeld reichte vom Fixationspunkte 10° horizontal nach innen 
(gegen die Nase zu), fehlte gänzlich gerade nach aussen 
(gegen die Schläfe), erreichte gerade nach oben 15°, gerade 
nach unten 5°, in der Diagonale (im Meridiane von 45°) 
nach oben innen 15°, nach oben aussen 5°; nach unten innen 
15°, nach unten aussen 0°. 

Das linke Auge zeigte M '/,, mit — \/, war die cen- 
trale Sehschärfe 1%, ,; Nr. 3 Jäger wurde auf 5” gelesen. 
Das Gesichtsfeld war nieren- oder bohnenförmig. Die Con- 
vexität der Bohne war gerade nach oben, die Concavität 
gerade nach unten gerichtet. Dabei stand die Fixationsstelle 
im Nabel der Bohne, so dass also das Sehfeld gerade nach 
abwärts vollkommen fehlte, in der Diagonale nach unten innen 
und unten aussen aber vorhanden war, und zwar sich in er- 
sterer Richtung bis zu 15°, in letzterer bis zu 10° erstreckte. 
Nach oben, und zwar gerade nach oben, sowie in den beiden 
Diagonalen ergab sich eine Ausdehnung von je 5°. Der 
grösste, der Querdurchmesser des Sehfeldes zeigte 34°, und 
zwar 15° gegen die Nase, 19° gegen die Schläfe. 

Bei der Beleuchtung mit dem Augenspiegel auf einige 
Zolle Abstand sah man, wo man auch hinblicken mochte, 
Nichts von dem gewöhnlichen gelbröthlichen, sondern nur einen 
grellen weisslichgrünen Reflex. In diesem Momente wurde mir 
klar, dass falls die Opticusfasern der Retina ihr Mark am 
Rande des Sehnervenquerschnitts sämmtlich wieder ange- 
nommen und in ihrem ganzen Netzhautverlaufe (mit Ausnahme 
der Stelle der Macula lutea) beibehalten hätten, dann nicht 
blos dieser eigenthümliche Reflex des Augengrundes, sondern 
auch die von Geburt an bestehende concentrische Einengung 
des Sehfeldes, ebenso die centrale Amblyopie (die bei grosser 
Ausdehnung der sogenannten Opticusausbreitung [Jäger] schon 


— 193 — 


öfter beobachtet wurde [Schweigger]) erklärt, und auch das 
Vorkommen des gleichen Uebels bei einem Bruder des Pa- 
tienten nicht merkwürdig sein würde, da es ja doch nicht das 
erste Mal wäre, dass ich markhaltige Fasern der Retina bei 
zwei Geschwistern sah (s. Ophthalmoscopie pag. 264). Aber 
auch diese diagnostische Vermuthung erwies sich als un- 
richtig. Die genaue Untersuchung zeigte vielmehr: 
Rechtes Auge. Die brechenden Medien rein, Myopie 
Aa. Der Sehnerv zeigt im Ganzen eine rundliche Gestalt, 
ist gleichmässig geröthet, seine Grenzen jedoch allseitig voll- 
kommen verwaschen. Der Ursprung und Verlauf der Netz- 
hautgefässe ist normal, das Caliber der Arterien verringert. 
Der Sehnerv ist ringsum bis zu den äussersten Grenzen des 
Augenspiegel-Sehfeldes von einer weissgrünlich glänzenden, 
bei der Prüfung im aufrechten Bilde eine deutliche Streifung, 
aber nicht die geringsten Niveaudifferenzen dar- 
bietenden Fläche umgeben. Jedoch lassen sich auf dieser 
letztern (abgesehen von der Verästlung der Netzhautgefässe) 
einzelne, wenn auch wenige Details unterscheiden. Zunächst 
sieht man in der Nähe des inneren Randes des Sehnerven 
(im Abstande eines 1/, Pupillendurchmessers) ein Gefäss aus 
der Sclerotica hervorkommen, welches bogenférmig um den 
obern Sehnervenrand herumgeht, und ein zweites ähnliches 
am untern Rande des Opticus auftauchen, das, im Gegen- 
satze zu dem mehr gestreckten innern obern Gefässe, eine 
starke Schlängelung zeigt und gleichfalls nach aussen ver- 
läuft. Diese beiden Gefässe anastomosiren nicht sichtbar mit 
einander und schicken ebensowenig irgend welche Aeste ab, 
die noch bei 15maliger Vergrösserung erkennbar wären; denn 
sonst müsste man dieselben auf der weissen Unterlage trefi- 
lich sehen. Die Gefässe zeigen auch keine Theilung, ver- 
dünnen sich und entziehen sich bald der Beobachtung. Ich 
will hier gleich beifügen, dass am linken Auge nur Ein 
derartiges Gefäss, welches genau dem innern obern des 
rechten Auges entspricht, vorkommt. Es ist klar, dass die 
genannten Gefässe Analoga des von Ed. v. Jäger der Ver- 


— 194 — 


gessenheit entrissenen arteriellen Scleroticalgefässkranzes sind, 
wiewohl sie nicht innerhalb, sondern auf der innern Fläche 
der Sclera liegen, und wiewohl in dem Auge, in welchem zwei 
solche Gefässe vorkommen, das eine statt am äussern am 
untern Rande der Papille emportaucht. Ausser den eben ge- 
nannten Stämmchen sieht man auf der weissen Fläche nur 
noch sparsame Reste vollkommen anomal gestalteter Chorioi- 
dealgefässe, ganz ähnlich denen, wie sie beim Colo- 
boma chorioideae zu beobachten sind, und ferner 
vereinzelte schwarze Pigmentformationen, die sich aber durch- 
aus nicht auf die Peripherie des Augengrundes beschränken, 
von punktförmiger, dreieckiger, vielstrahliger und schollen- 
artiger Form (aber immer deutlich eine Zusammensetzung aus 
kleineren Pigmentpunkten zeigend), Pigmentbildungen, wie sie 
gleichfalls auf colobomatösen Partien der Aderhaut sich finden. 
Nur an der Stelle der Macula lutea ist etwas mehr von der 
Aderhaut zu sehen. Es findet sich da ein deutlich entwickeltes, 
wenn auch wenig dichtes Chorioidealgefässnetz, an einzelnen 
Stellen des Umkreises stehen schwarze und rostbraune Pig- 
mentflecken. Aber auch an der Macula zeigt sich keine Spur 
des normalen Stroma- oder Epithelialpigments. 

Am linken Auge gestaltet sich das Bild etwas anders. 
Im hintern Linsenpole eine kleine dreieckige, die Spitze nach 
abwärts kehrende durchscheinende Trübung. Im Glaskörper, 
und zwar in dessen hinterm Abschnitte flottirende, punkt- 
und fadenförmige Opacitäten. Der Sehnerv, die Netzhaut- 
gefässe, sowie die vom Sehnerven nach oben, innen und unten 
gelegenen Partien des Augengrundes zeigen dasselbe Verhal- 
ten, wie im rechten Auge, nicht so die Macula lutea und der 
von ihr nach aussen gelegene Theil der Aderhaut. Die Macula 
lutea erscheint als ein scharfbegrenzter, rothbrauner, 
rhombischer, die Ecken nach oben und unten, innen und 
aussen kehrender Fleck, dessen Diagonale dem Pupillendurch- 
messer an Grösse gleicht und an welchem das wohl ent- 
wickelte und gut pigmentirte Aderhautepithel die Beobachtung 
tiefer liegender Details nicht gestattet. Von der äusseren 


0195 0 


Peripherie des gelben Flecks sieht man deutlich entwickelte, 
ein Netz bildende Chorioidealgefässe auf dem weissen Grunde 
nach aussen ziehen; je weiter nach aussen, desto enger wer- 
den die Maschen des Netzes, und in der äussersten Peripherie, 
die der Untersuchung zugänglich ist, sieht man auch noch 
das pigmentirte Epithel auftreten. 

Wir brauchen in unserem Falle keine Differentialdiagnose 
zu machen. Ich glaube nicht, dass Jemand den beschriebenen 
Befund anders deuten wollte, als er zu deuten ist. Es handelt 
sich um den Mangel der Aderhaut in beiden Augen, 
und zwar fehlt die Chorioidea am linken Auge vollstän- 
dig, und nur das einigermassen reguläre Gefässnetz an der 
Macula lutea erinnert an die abhanden gekommene Membran. 
Im rechten Auge ist zum Glücke für den Besitzer der 
Augen das Pigmentepithel an der Stelle des gelben Flecks 
in seiner Entwicklung wenigstens nicht erheblich gestört wor- 
den, auch ist im äussern Abschnitte des Auges ein deutliches 
Rudiment der Aderhaut wahrzunehmen. 

Man kann natürlich nicht mit Bestimmtheit angeben, in 
welcher Weise durch Hemmungen in der embryonalen Ent- 
wicklung das Stroma, sowie das Pigmentepithel der Chorioidea 
sammt der Stäbchen- und Zapfenschichte grossentheils ver- 
loren ging; aber es lässt sich die Sache ganz gut so vor- 
stellen, dass zunächst jenes Gewebe, welches, das äussere 
Blatt der primären Augenblase umgebend, zum Stroma und 
zum Blutgefässsystem der Aderhaut werden soll, in seiner 
Entwicklung gestört, zu Grunde gerichtet wurde, und dass 
unter dieser Störung auch das äussere Blatt der primären 
Augenblase, das sonst zum Pigmentepithel sich umstaltet, 
litt. Da die Stäbchen und Zapfen aus dem innern Blatte der 
primären Augenblase in die Epithelzellen des äussern Blattes 
hineinwachsen (wobei die letzteren die Pigmentscheiden für 
die ersteren bilden), so konnten sie dort mit zu Grunde 
gehen, wo das Epithel schwand, oder sie fanden, falls sie 
zur Zeit des Epithelschwundes noch nicht sntwickelt waren, 
keine Stütze vor und konnten sich nicht oder wenigstens 


— 190 


nicht gehörig entwickeln. Dabei ist in der Ausbildung der 
ınneren Netzhautschichten, nach dem Augenspiegelbefunde 
zu urtheilen, ebenso wenig eine Störung vorgekommen, als in 
jener der Sclerotica. 

Am linken Auge, im welchem das centrale Pigmentepithel 
erhalten ist, besteht auch noch eine respectable centrale Seh- 
schärfe: Y,; im rechten hingegen, wo von diesem Epithel 
Nichts zu sehen ist, ist die centrale S höchst mangelhaft: 
Yo: In der nächsten Umgebung des gelben Flecks functioniren 
auch noch Stäbe und Zapfen in beiden Augen so weit, dass 
die Lichtempfindung vermittelt wird. In der äussersten Grenze 
des äussern Feldes des linken Auges, in welchem wir auch 
normales Epithel sehen, ist keine Lichtempfindung, weil diese 
Stelle auch im normalen Auge nicht mehr pereipirt. Der 
grösste Theil der Netzhaut ist jedoch in beiden Augen, entspre- 
chend dem gänzlichen Verluste der Stabschichte, unempfindlich. 

Dieser in der Literatur einzig dastehende Fall hat noch 
das Interessante an sich, dass bei dem amblyopischen Bruder 
des Aderhautlosen sich aller Wahrscheinlichkeit nach derselbe 
Befund ergeben dürfte. Ich werde in jeder Weise trachten, 
dieses Individuums ansichtig zu werden; vielleicht dass sich 
dadurch noch weitere Aufschlüsse über Chorioideremie ge- 
winnen lassen. 

Zum Schlusse noch folgende Bemerkungen. Wir sagten 
bereits, dass die Irides von blaugrüner, die Pupillen von 
schwarzer Farbe waren. Die Iris liess sich auch auf keine 
Weise durchleuchten; in ihr und wahrscheinlich auch im 
Ciliarkérper war es zur vollkommenen Entwicklung der ein- 
zelnen Schichten, also auch des pigmentirten Stratums ge- 
kommen. Dagegen gelang es sehr leicht, durch seitliche Be- 
leuchtung der Sclerotica das Augeninnere zu erleuchten. Der 
Umstand, dass die Pupillen für gewöhnlich schwarz waren, 
trotzdem fast der ganze Augengrund alles einfallende Licht 
reflectirte, ist ein klarer Beweis für die Richtigkeit der Er- 
klärung, welche Helmholtz für das Augenleuchten gab, — 
falls es noch einer neuen Stütze hiefür bedürfte. 


= 19. —: 


Wir sehen im linken Auge, und zwar im hintern Theile 
des Glaskörpers flottirende Trübungen. Ich überlasse es meinen 
Lesern, ob sie daraus den Schluss ziehen wollen, dass diese 
Trübungen aus der Aderhaut stammen oder nicht. Für die 
Verfechter der erstern Ansicht könnte der Umstand sprechen, 
dass in jenem Auge, in welchem wenigstens einige Rudimente 
der Aderhaut vorhanden sind, sich Trübungen finden, während 
sie in dem ganz aderhautlosen Auge fehlen. 

Ebenso will ich nicht entscheiden, ob das verringerte 
Caliber der Netzhautarterien, das ich früher erwähnte, eine 
pathologische Bedeutung habe oder nicht. 


3. Eine sonderbare Verletzung. 


Der 48jahrige Knecht Parnter Pankraz, welcher sich 
mir am 8. Februar 1870 vorstellte, ist ein wahrer Unglücks- 
mensch. Vor 11 Jahren hatte ihn eine Kuh mit dem Horne 
ins linke Auge gestossen, in Folge dessen er auf demselben 
im Verlaufe von 14 Tagen gänzlich erblindete, und vor zwei 
Jahren flog ihm ein Holzsplitter in das rechte Auge und 
machte auch auf diesem, unter gleichzeitiger Setzung von 
Cataracta, dem Sehvermögen ein Ende. 

Das linke Auge ist dasjenige, welches uns interessirt. 
Dasselbe zeigt nur nach innen und nach aussen vom gelben 
Flecke an sehr begrenzten Stellen quantitative Lichtempfin- 
dung, und auch diese war einige Wochen später (was übri- 
gens bei der langen Dauer des Uebels auffallend ist) vollständig 
geschwunden. 

Patient gibt an, es wäre der Stoss von der Nasenseite 
her erfolgt. Es lässt sich aber weder in dieser Gegend, 
noch an irgend einer anderen Stelle der Ueberrest einer 
Scleralwunde und ebenso wenig an irgend einem Punkte der 
Hornhaut eine Trübung entdecken. Die Cornea erscheint 


überhaupt, sowie die Sclerotica in jeder Beziehung normal, 
Naturw.-med. Verein. 17 


" 


a 


die Iris dagegen fehlt vollkommen (von Ciliarfortsätzen ist 
trotzdem Nichts zu sehen), und die Linse ist vollständig ver- 

schwunden. Von der obern Ciliarkörpergegend ziehen eigen- 
thümliche grauliche, bei Bewegungen des Auges erzitternde 
Fäden nach ab- und rückwärts in den Glaskörper, der aber 
sonst vollkommen durchsichtig erscheint. Der Sehnerv ist 
sehr deutlich sichtbar, in seiner Farbe nicht merklich alterirt; 
die Netzhaut fast allseitig abgelöst, besonders die untere 
Hälfte derselben weit vorn im Glaskörper flottirend, dabei 
ausserordentlich diaphan, das hinter ihr liegende Fluidum 
wasserklar, daher das Tanzen der Netzhautgefässe bei Be- 
wegungen des Auges besonders schön sich darstellend. Vom 
Sehnerven gegen die Macula lutea gehend sieht man hinter 
der abgelösten Netzhaut einen glänzenden Chorioidealriss, der 
in der Gegend des gelben Flecks in eine grosse Anzahl 
glänzender gelbweisser Striche sich auflöst. 

Bei dem Umstande, dass es nicht möglich ist, eine 
Rissstelle in der Leder- oder Hornhaut nachzuweisen, muss 
man sich fragen, ob die Annahme einer Berstung der Bulbus- 
kapsel in unserem Falle eine nothgedrungene sei. Es fehlt 
Linse und Iris. Die erstere hätte, durch das Trauma aus 
ihren Verbindungen gelöst und nach Zerreissung der Kapsel, . 
sich im Laufe der 11 Jahre resorbiren können; aber wo 
bliebe dann die Iris? Darin liegt eben das Merkwürdige 
des ganzen Falles. Die Iris ist allerdings noch im Innern 
des Auges, aber wo? Man sieht im unteren Augenraume 
eine von der unteren Irisinsertion nach rückwärts streichende 
dunkle compacte, nur in der Gegend des hinteren Augenpols 
Lücken zeigende, wie zusammengerollte Masse, die offenbar 
nichts Anderes als die abgelöste Iris ist. Aber vor dieser 
abgelösten Iris liegt die abgelöste Netzhaut, so 
dass die Netzhautgefässe über die in der Tiefe 
des Auges versenkte Regenbogenhaut streichen. 

Dieses curiose Unicum muss man sich so zu Stande 
gekommen denken, dass im Momente des Anpralls des Kuh- 
horus (ohne dass die Bulbuskapsel barst) totale Ablösung 


led a 


der Iris (so dass die Membran nur noch an ihrer tiefsten Stelle 
haften blieb), und ebenso Netzhautablésung mit peripherem 
untern Risse der letztern Membran erfolgte, und nun der 
abgelöste Irisklumpen durch das Netzhautloch hinter die ab- 
gelöste Retina schlüpfte. 


Innsbruck, den 5. Februar 1872. 


17* 


Bade-Versuche. 
Von Prof. O. Rembold. 


Ich habe im Jahre 1871 einige calorimetrische Bade- 
Untersuchungen an mir selbst vornehmen lassen, um zu con- 
statiren, ob Morphin- und Chininsalze und einige andere Stoffe 
am Gesunden eine wesentliche Beeinflussung der Wärmeab- 
gabe hervorzurufen im Stande sind. Um die Versuche zum 
Vergleiche des Zustandes eines fieberhaft Kranken besser ein- 
zurichten, wurden Controlversuche bei längerem Fasten an- 
gestellt. In der hierauf folgenden Zeit, der Convalescenz ent- 
sprechend, wurden abermals Messungen vorgenommen. 

Die Veisuche ergaben, dass die Wärmeabgabe beim 
Gesunden durch Chinin wenig beeinflusst wird, dass Morphin 
die Wärmeabgabe vermehrt, dass Wein im höheren Grade 
diess zu bewirken im Stande ist, dass gewisse Salze, z. B. 
Chlornatrium, dem Badewasser beigesetzt, keinen wesentlichen 
Effect hervorbringen, dass endlich während des Fastens die 
Temperatur des Körpers in der Ruhe und die Wärmeabgabe 
im Bade nahezu dieselbe wie bei gewöhnlicher Kost ist, hiebei 
aber bei gleicher Wärmeabgabe die Temperatur des Körpers 
während des Bades bedeutend herabgesetzt wird. Diese 
Herabsetzung der Körpertemperatur hielt noch durch Wochen 
über die Zeit des Fastens hinaus an, und verschwand vor 
Erreichung des früheren Körpergewichtes. 


a 


Die therapeutische Wichtigkeit derartiger nur als Vor- 
versuche zu betrachtender Untersuchungen läge darin, Medi- 
kamente zu finden, welche einen für fieberhafte Kranke gül- 
tigen antipyretischen Werth besässen. Diess dürfte allerdings 
noch lange nicht erreicht werden, und einstweilen genüge es, 
gefunden zu haben, dass gewisse Medikamente, z. B. Mor- 
phium, die Wärmeabgabe nicht vermindern und somit in dieser 
Hinsicht bei Fieberhaften unbedenklich verabreicht werden 
können. 

Was die Messung selbst betrifft, so verhielt sich die 
Abkühlungsgeschwindigkeit der Badewanne zur Controlswanne 
wie 0-932: 1. Angewendet wurden 179°5 Kilogramme Wasser. 
Die Temperatur des Wassers wurde 2° ‘niederer genommen, 
als die Mastdarmtemperatur des Badenden war, und das Bad 
so lange genommen, bis die Temperatur des Wassers um 2° 
niederer geworden war. Die Berechnung der Wärmeabgabe 
erfolgte aus der Differenz der Abkühlungszeit beider Wannen.*) 

Das Wasser in beiden Wannen wird durch Schaufel- 
räder fortwährend bewegt, der Badende schwebt oberhalb der 
Schaufel, in der Controlswanne ist durch eingelegte lufthältige 
Cylinder das. Wasser auf dasselbe Niveau wie in der Bade- 
wanne erhöht, die Ablesung an den Thermometern erfolgt 
unter Anklopfen an den Thermometern mittelst Convexbrille. 
Die Messungen ergeben, wie folgt: 


~ *) Die Abkühlungszeit der Badewanne A = P,, der zweiten Wanne: 
0:932 = P,, das Gewicht des Wassers = 179-5 gesetzt, ergibt sich für 
obige Versuche an Wärmeabgabe in Calorien per Minute 
2. (P, — P,) 179-5 
Pie Bo : 


welche Berechnung nur einen approximativen Werth hat. 


di 


— 202 — 


I. Periode. Gemischte Kost. 


s 5 Dauer = 3 
A S| des Bades in| 5 & 
3 aA Minuten = a | Luft d Anmerkung 
3 & 8 |(Zeit a.m. und) 4 3 
aoe) PO les 
> i=] 
8./5.| 37°83 | 61:5 p. m. | 376 1149 |1°8 
9./5.|37°6 | 59'42a.m. [376 |145 | 1°59 
10./5. | 37-9 a. m. — |13°8 | 2°08 | Vor dem Bade 
starke Bewegung. 
— 1376 p- m. — [151 |1'55 
17./5.|37°2 | 65 a. m. — 1140 [2°02 | '/, gr. Morphium 
mur. 11/, St. vor 
dem Bade. 
19./5. | 38°0 a. m. — [140 |1'575| 12 gr. Chininum 
bisulfur 11/, St. 
vor dem Bade. 
20,/5. 376 a. m. — |15°0 | 1°85 | 24 gr. Chinin. 
22./5.| 37°6 as — | — |1°78 | ', gr. Morphin. 
23./5.|37°6 — — | — |17 |% gr Morphin. 
24./5.| 37:8 — — | — [167 | Ohne Medikament. 
26,/5. 378 = a — [154 | Y,, gr. Morphin 
subeutan !/, St. 
vorher. 
27./5.|37°5 u — | — |1°80 | 1, gr. Morph. sub- 
cutan. 


Es ergab sich somit ohne Medikamente in der Ruhe 
— 1°65, nach Bewegung d — 2:08 
für Morphin d = 1:77 
fir Chinn d == 1'712, 
somit Werthe, deren geringe Differenz erst in der zweiten 
Periode eine grössere wird. 


— 203 — 


I. Periode. 


Fastenzeit. Dreimal täglich leere Suppe, 1 Schale schwar- 
zen Kaffee, 1 Schoppen Bier. Abnahme an Körpergewicht in 
12 Tagen von 145 auf 1351/2 Pfd. Der Beginn des Fastens 
war am 30. Mai, somit der 1. Juni der dritte Tag des 
Fastens. 


2 a Dauer =| S 
= 3 | des Bades in | 2 © 
3 e | Minuten ® 8 | Luft d Anmerkung 
2 = (Zeit a.m. und] & re 
as pm) |) |e 8 
3 a 
1,/6.| 38°2 | 80°55 a.m.| — |18°9 | 1°93 | Vorher starke Be- 
wegung. 
3./6.137°5 | 61:0 a.m. | — {15°99 [164 
5./6.|37°4 |69°45 a.m.| — |16°6 | 1°64 


7,/6.|375 | 66-05 a.m. |37.04| 156 |2-0 | % gr. Morphin. 
8./6. 377 | 66°4 a. m. 1372 |16°2 | 1°62 | %, gr. Morph. Un- 


wohlsein. 
— 1382 p- m. BUT 1162 |2'02 | '/, gr. Morph. sub- 
976/376 | 657 am. (372 lied Iıa | 
— 1379 |66'33 p. m. 1374 |16°6 | 1°54 
10,/6.1379 | 668 {37-4 [162 |1-67 |2&gr. Chinin 14, 


Stunde vor dem 
Bade. 


In der zweiten Hälfte dieser Zeit ergab sich, dass das 
Bad die Körpertemperatur um 0:5 durchschnittlich herab- 
setzte, während sonst die Einwirkung nur 0:1 betragen hatte. 

Ohne Medikament ergab sich 

d — 1°57, nach Bewegung 1°93, 
für Morphin d == 1°87 
für Chinn 4d — I-67. 
Für Morphin trat somit die Wirksamkeit deutlicher hervor. 


— 204 — 


Ill. Periode. Ohne Fasten. 


MS Sar TTT MEM pT DUM ea TE 
4 > 2 . Dauer = = \ | 
& 5 =| des Bades in = a 
Ee = Minuten 2 a | Luft |) d Anmerkung 
= © 8 (Zeit a.m. und 3 7 
= go m.) aS 
8 ne 2 
23./6.| 37°8 res a.m. |37°3 !18'4 | 1°66 | Das Badwasser 
enthielt 2°/, Koch- 
salz. 
24./6.'38°0 | 91:4 a. m. | 36°85] 19°0 | 2°27 | Wein vor und zu 
374 Beginn des Bades. 


27./6.|37.6 16710 a.m.|37°5 |17°6 | 1°63 | 3 Schalen kalten 


starken Kaffee vor 
dem Bade. 


29,/6.|37°6 | 68°47 a.m.|36°9 |16°6 | 1°15 |% Flasche Cognac 
vor dem Bade. Be- 
deutendes Unwohl- 
sein, Frostempfin- 
dung. Nachmittag 


| | 


Mehrere darauffolgende Versuche ohne Medikament er- 
geben wieder d—1'65, die Temperatur nach dem Bade nur 
um Y,,° niederer. Es war somit beiläufig 14 Tage nach der 
Fastenperiode noch die Wärmeabgabe im Bade mit Ernied- 
rigung der Körpertemperatur um 0°5 vergesellschaftet. Con- 
valescenten wird eine starke Abkühlung daher leichter schäd- 
lich werden können. 

Wein hat die stärkste Wärmeabgabe bei gleichzeitiger 
Temperaturherabsetzung hervorgebracht, während ein übel- 
schmeckender Cognac eine Art Collapsus hervorrief, dem nach 
dem Bade ein Schüttelfrost folgte. 

Es ergibt sich somit aus dem Ganzen, dass Wein und 
Morphin eine Vermehrung der Wärmeabgabe bewirken. Ob 
bei Wein diess mit einem höheren Blutdrucke zusammen- 
hängt, bleibe dahingestellt. 

Für alle Narcotica ist a priori anzunehmen, dass das 


— 205 — 


Warme-Empfindungs-Centrum abgestumpft und die Wärme- 
abgabe weniger empfunden wird und somit mehr Wärme ab- 
gegeben werden kann, ohne dass die gewöhnliche Regulirung 
hiefür eintritt. 

Wegen Unwohlsein konnte ich die Versuche an mir selbst 
nicht länger fortsetzen. Dem Dr. Kölle, welcher die viel Zeit 
in Anspruch nehmenden Ablesungen vornahm, erstatte ich 
hiemit. meinen Dank. 


Mittheilungen aus den Kliniken und Instituten 


der Universitit zu Innsbruck. 


Bericht 
über die in der pathologisch-anatomischen Anstalt in 
Innsbruck vom October 1870 bis October 1871 
vollführten Obductionen 
von 


Prof. Schott. 


In dem oberwähnten Zeitraume wurden 137 Obductionen 
vorgenommen, deren Ergebnisse in Allgemeinen in folgen- 
der Uebersicht vorliegen. 

Von den 137 Obductionen entfallen 84 auf die medici- 
nische Klinik, Abtheilung und Beobachtungszimmer, 22 auf 
die chirurgische Klinik und Abtheilung, 2 auf die Augenklinik, 
29 auf die Gebär-Abtheilung und Findelanstalt. 

Die Obducirten vertheilen sich dem Geschlechte nach in 
74 Männer und 63 Weiber. 

Berücksichtiget man die einzelnen Monate, in Hinsicht 
der Anzahl der Obductionen, sowie das Alter der Obducirten, 
so ergeben sich zunächst für die einzelnen Monate folgende 
Daten: 


— 207 — 


Im October 1870 wurden 10 Sectionen unternommen 8 M. 2 W. 


„ November „ > 10 = x 6G. Avs 
„ December „ 19 5 4 18,0, 
„Jänner 1871 „ 8 + x 4,14, 
„ Februar „ “18 „ # 8 „10, 
„ März ol 5 9,, 12, 
„ April a Sl n i An las 
» Mai ” ” 10 ” » 4 9 6 7) 
» Juni ” ». 16 » » 9, 1, 
„ Juli » pee LO ” ” 6,4, 
» August , » 4 » ” 3, 1, 
» September ,, Divers ” » Bee) Zn.) 

137 74 Py) 63 >) 


Es lässt sich hieraus entnehmen, dass in den Monaten 
März, December, Februar, Juni, und zwar vorzüglich im Monate 
März, die meisten Sterbefälle vorkamen. 

Für die Monate December und Juni ist die höhere Ziffer 
begründet in den überwiegenden Fällen von Lungenkrank- 
heiten, für Februar und März durch den Puerperalprocess. 

Die Berücksichtigung des Alters liefert folgende Zahlen: 

Ye. Jahr alt 20098 nur Wall 
5 ” by) en 1 D 

zwischen. 10 und 20. 5 5° -..: .. 6 Fälle 
i 20.15.80... 50 Hy oe RO 
” 30 AQ: 5 RYO: AZO Hey 


by) 
” 40 » 50 ” » GER is 22, ” 
4.50, 4 60 eoglund) und als, 
B80) 5.20: iy Tics ONE GS 
00,80 nel, 
Fa BO 90K , a. ae, 
137. 


Hieraus wird ersichtlich, dass die meisten Sterbefälle der 
Altersklasse zwischen 20—30 Jahren zukommen. Es ist 
diess für das Jahr 1870-71 ausnahmsweise begründet in dem 
Auftreten des Puerperalprocesses, indem nach den im vorher- 
gehenden Jahre geschöpften Erfahrungen die höheren Alters- 
klassen eine grössere Sterblichkeit ergaben. 


— 208 — 


Die Todesfälle nach den Erkrankungen der Organe ge- 
orduet, mit Rücksicht der den Tod zunächst | cn 
Ursache, giebt folgende Uebersicht: 

Bluterguss zwischen die Hirnhäute. Apoplexia inter- 
MEDIO: Se ite A ck cate el 
Goumchand: Atrophia cotebri 
Gehirnblutung. Haemorrhagia cerebri. 
Gehirnhöhlenwassersucht. Hydroceph. chron. 
Rückenmarksentzündung. Myelitis. 
Rippenfellentzündung. Pleuritis : 
Luftansammlung im Brustraume. Pronmethene (f 
Luftröhrenentzündung. Bronchitis . 


Nervensystem 
SSS ST \omn. 


Luftrohrenerweiterung. _Bronchiectasie 
Höhlenbildung in der Lunge. Phthisis pulmonum 2 
Lungenerweiterung. Emphysema pulmonum . 
Lungenentzündung. Pneumonie' . .'. . 1 
| Lungenbrand. Gangraena pulmonum,. 


Respirationsorgane 


Bay [ Herzbeutelentzündung. Pericarditis is 
3 & ER Herzentzündung. Myocarditis > 
= . ligseppancntztndone, Endocarditis . a 
Bauchfellentzündung 5 


Typhus. . N 
Dysenterie. Ruhr . 


Fromm ßBr-ümNHr Hmm Oe 


Nierenentzündung. Nephritis 


Kindbettfieber. Process. puerperalis 30, 
Säuferwahnsinn. Delirium tremens . Tas 
Blutzersetzung. Septicaemie . Ge 
Syphilis . eis 
Krebs. Carcinoma 3% 
Tuberculose . 10, 
Sarcoma. . atl. Hes 
Knochenvereiterung. «Caries .QG-- 05 „iiodsanes . sean iaveliaagy 
Muskelvereiterung».iowanulsnanu ) YUN! Beet gl dees 
Erschöpfung der Kräfte. Marasmus . 1... 2 5 
Summe 137. 


Es erschienen demnach die meisten Sterbefälle bedingt 


—_ fe = 


durch Krankheiten der Respirationsorgane (46), und durch 
Kindbettfieber (30). 

Ich habe im Vorhergehenden durch die statistische Zu- 
sammenstellung zunächst in kurzen Umrissen einen allgemeinen 
Ueberblick des der pathologisch-anatomischen Anstalt zu Ge- 
bote stehenden Materiales geliefert. Die Resultate der Leichen- 
untersuchungen lassen es mir jedoch auch wünschenswerth 
erscheinen, die so mannigfaltigen pathologischen Befunde der 
einzelnen . Organe und Systeme, sowie die Complicationen und 
Folgezustände derselben, wenngleich in gedrängter Kürze, noch 
in Betracht zu ziehen. 


A. Nervensystem. 
I. Hirnhäute. 

1. Harte Hirnhaut. 

a) Pachymeningitis. externa. Die äussere Fläche der 
Dura‘ mater zeigte sich bei Entwicklung des puerperalen 
Osteophyt (30 Fälle) mit einer zarten gallertigen oder vascu- 
larisirten Bindegewebsschichte bekleidet, und inniger der inne- 
ren Schädeltafel adhaerent. 

b) Pachymeningitis interna. Die Entzündung 
der Innenfläche der harten Hirnhaut liess sich in 9 Fällen 
ermitteln, und zwar bei Delirium tremens, Lungenphthise, 
Emphysem, Herzbeutelentzündung, Speiseröhrenkrebs und 
Pneumothorax. Die Innenfläche der verdickten Dura mater 
war ‚entweder in ihrer ganzen Ausdehnung oder bloss über 
der rechten oder linken Grosshirnhemisphäre mit einer bald 
zarteren, bald derberen, vascularisirten, bisweilen rostbraun 
pigmentirten und von kleinen Haemörrhagien durchsetzten 
Pseudomembran bedeckt. 

c) Partielle Verdickung der Dura mater und Ver- 
wachsung derselben mit Narben der Kopfhaut konnte in einem 
Falle von syphilitischer Knochenzerstörung am Schädel. bei 
einer 59jährigen Frauensperson nachgewiesen werden. 

d) Knochenneubildung in der Falx cerebri fand 
sich bei einem 69jährigen, an Pneumonie verstorbenen Manne 


— 210° — 


vor; es stellte dieselbe ein 4 Cm. langes biconvexes, 1/2 Cm. 
dickes, mit scharfen schneidigen Randern versehenes Knochen- 
sttick dar. 

e) Neubildungen. Sarcoma. In zwei Fällen ent- 
wickelten sich von der Innenfläche der Dura mater erbsen- 
bis kirschengrosse Geschwiilste, wovon die eine weich, ober- 
flächlich feinhöckerig, blassröthlich gefärbt, die andere derber 
mit glatter Oberfläche versehen war und am Durchschnitte 
deutliche weissliche netzförmige Züge erkennen liess. Ihr Sitz 
war die linke Schläfegrube, sowie die rechte hintere Schädel- 
grube zunächst des Hinterhauptsloches. 

2. Arachnoidea. 

Dieselbe erwies sich in der Mehrzahl der untersuchten 
Fälle in bald grösserer, bald geringerer Ausdehnung, in der 
Höhe des Scheitels, zunächst der Falx cerebri, verdickt, 
milchig getrübt und mit zahlreichen pacchionischen Granula- 
tionen versehen; von Letzteren konnte manchmal ein Durch- 
bruch der Dura mater, sowie ein Hereinwuchern in den Sinus 
longitudinalis superior ermittelt werden. 

Erweiterung der Subarachnoidealräume durch reichliche 
Ansammlung seröser Flüssigkeit, so dass dieselben bisweilen 
beutelartig vorgewölbt erschienen, ergab sich als Folge von 
Gehirnschwund, und Oedem desselben. 

3. Pia mater. 

Die Veränderungen, welche sich an der Pia mater er- 
kennen liessen, betrafen zunächst den veränderten Blutge- 
halt derselben, indem dieselbe entweder blutleer war, oder 
es zeigten sich deren Gefässe, insbesondere dem Hinterlappen 
des Gehirns entsprechend reichlich mit Blut gefüllt (Hypo- 
stase). Bei Herzkrankheiten, Peribronchitis, Geisteskranken 
mit Gehirnschwund waren die Gefässe oft auffällig erweitert 
und stark geschlängelt. Bei den genannten Erkrankungen, 
sowie namentlich im vorgerückten Alter erschienen die Arterien 
des Gehirns in ihren Wandungen ungleichmässig verdickt. 

Eine mehrfache Zerreissung der Pia mater erfolgte 
in einem Falle von Zertrümmerung der Schädelbasis. 


— 211 — 


Eine Infiltration des Gewebes der Pia mater 
mit einem gelblichen, wie gallertigen Ergusse fand an der 
Gehirnbasis bei Tuberculose statt, in welchem Falle dasselbe 
auch von zahlreichen hirsekorngrossen, weissgelblichen Knöt- 
chen meist zunächst den Gefässen durchsetzt war. 

Bisweilen waren die Plexus chorioidei laterales zu Cysten 
entartet. 

Intermeningeale Hämorrhagie war der Befund 
bei einem 60jährigen Manne, dessen Schädelbasis in Folge 
eines Sturzes zertrümmert wurde. Zwischen der Dura mater 
und Arachnoidea, sowie unterhalb der zerrissenen Pia mater, 
namentlich zwischen ersteren, lagerte ein die ganze rechte 
Grosshirnhemisphäre bedeckender und deren Windungen ab- 
plattender, gegen 3’” dicker Bluterguss. 


il. Gehirn. 


a) Die Erweiterung der Gehirnhöhlen erschien 
in zwei Formen, entweder als acut sich entwickelnde oder als 
chronische. Der Hydrocephalus acutus war stets der Begleiter 
der Meningitis tuberculosa; der chronische hingegen als Be- 
fund bei Geisteskranken und alten Leuten, oder bei Endo- 
carditis nachweisbar. Als Todesursache ist derselbe für zwei 
Fälle zu verzeichnen. 

b) Obwohl die Gehirnatrophie als senile nicht so 
selten zur Beobachtung kam, ausgezeichnet durch einen mehr 
gleichmässigen Schwund der Gehirnwindungen, Vertiefung der 
Furchen, Erweiterung der Subarachnoidealräume und der Ge- 
hirnhöhlen, so ist nur 1 Fall, betreffend einen auf der Irren- 
abtheilung Verstorbenen, zu erwähnen, in welchem sich der 
Schwund besonders an den Stirnlappen, durch Verkleinerung 
der Windungen daselbst, sowie durch bedeutende Derbheit 
des Gehirns, dessen Höhlen gleichzeitig erweitert waren, 
kennzeichnete. 

c) Die Gehirnhämorrhagie erschien in folgender 
Weise: a) entweder als capillare, #) in Form grösserer 
apoplectischer Herde oder y) als apoplectische 


Cyste. Der Sitz der Blutergiisse waren die Gehirnwindungen, 
der Seh- und Streifenhiigel, das Kleinhirn und Centrum semi- 
ovale. Als Ursache derselben ergab sich: ftir die capillare 
Apoplexie eine die Meningitis tuberculosa begleitende fluxio- 
näre Hyperämie; für die grösseren Blutergüsse: eine Throm- 
bose der Hirnarterien bei Herzerkrankungen, oder der Nach- 
weis von mit reichlicher Gefässentwicklung versehenen Gliomen, 
bei einem mit Syphilis behafteten Manne. 

d) Die Gehirnarterien, besonders die Arteria basi- 
laris, fossae Sylvii etc., liessen in mehr als der Hälfte der 
Fälle eine Erweiterung, starke Schlängelung und Verdickung 
ihrer Wandung erkennen. 

e) Von Parasiten fand sich 1mal Cysticercus cellu- 
losae zwischen den Gehirnwindungen, an der Basis des linken 
Hinterlappens, eingebettet vor. 


— 22 — 


Il. Rückenmark. 


Entzündung und Erweichung des Halstheiles des 
Rückenmarkes war bei einem 17jährigen Mädchen zu er- 
mitteln, deren oberste Halswirbel sowie der bändrige Apparat 
durch Entzündung zerstört waren, so dass schliesslich der 
luxirte Epistropheus das Rtickenmark comprimirte. 


B. Respirationsorgane. 


1. Schilddrüse. 

Eine Vergrösserung derselben ergab sich in 50 Fällen. 
Dieselbe war veranlasst: 23mal durch Drüsenneubildung, 
13mal durch Cystenbildung, wobei die Grösse der Cysten 
selbst Faustgrösse erreichte, 10mal durch gallertige Infiltra- 
tion, und 4mal durch Verkalkung. Sie betraf entweder beide 
Hälften gleichmässig, oder kam an der einen oder anderen 
Hälfte stärker zur Entwicklung. Je nach dem Grade und der 
Art der Vergrösserung war die Luftröhre entweder von beiden 
oder nur einer Seite comprimirt. In einzelnen Fällen reichte 
der Mittellappen zungenförnig verlängert bis zur Kehlkopfs- 
höhe oder dem Zungenbeine. Einmal liess sich an der Seite 


— 213 — 


des rechten Schildknorpels ein haselnussgrosser, aus Schild- 
drüsenparenchym bestehender Knoten nachweisen, welcher von 
einem Zweige der Arteria thyreoidea superior versorgt wurde, 
und von dessen unterem Ende sich ein 1” 5” langer, 1” 
dicker, aus Drüsensubstanz bestehender Fortsatz zum ver- 
grösserten Mittellappen verfolgen liess. 

b) Careinom der Schilddrüse in Form kleiner, 
hanfkorn- bis erbsengrosser weisslicher Knoten ergab sich 
Imal bei Oesophaguskrebs. 

2. Kehlkopf. 

a) Eine Verknöcherung seiner Knorpel ist erwäh- 
nenswerth als nicht seltener Befund bei alten Leuten. 

b) Oedem der Kehlkopfschleimhaut, welches 
zur bedeutenden Verengerung des Kehlkopfeinganges führte, 
war lımal bei Syphilis nachweisbar. Es zeigte sich hiebei der 
Kehldeckel verdickt, seine Schleimhaut, sowie jene der Kehl- 
kopfshöhle stark geröthet und mit zarten kleinen rundlichen 
Wucherungen reichlich bedeckt, zwischen welchen bald tiefere, 
bald seichtere rundliche oder unregelmässige, wie benagte, an 
der Basis mit diphtheritischem Belege versehene Substanzver- 
luste sich eingelagert befanden; ein ähnliches Verhalten zeigte 
das rechte Stimmband. 

c) Geschwürsbildung ergab sich ausser dem ober- 
wähnten Falle noch in 3 Fällen von Tuberculose, woselbst 
die Substanzverluste an der hinteren Kehlkopfswand, über 
dem Musculus transversus, an der Basis des rechten Giess- 
beckenknorpels und eingreifend in die rechte morgagnische 
Tasche, ihren Sitz hatten. Dieselben variirten von Hanfkorn- 
bis Linsengrösse; die umgebende Schleimhaut war mit einer 
reichlichen Epithelwucherung versehen. 

3. Trachea. 

a) Verknöcherung der Luftröhrenknorpel war das 
Ergebniss der Befunde alter Leute, und meist combinirt mit 
gleichzeitiger Verknöcherung der Kehlkopfs- und Rippenknorpel. 

b) Compression der Luftröhre, und zwar seitliche, 


erfolgte wie erwähnt in den Fällen von beträchtlicher Ver- 
Naturw.-med. Verein. 18 


— 21a — 


grösserung der Schilddrüse. Einmal jedoch war dieselbe be- 
dingt durch Vergrösserung der Lymphdrüsen am Halse, welche 
krebsig entartet waren; hiebei war der untere Antheil der 
Trachea, sowie namentlich der linke Bronchus, von einer 
derben, weissen, schwieligen Aftermasse umfasst, welche sich 
längs den Bronchialverzweigungen innerhalb der Lunge wei- 
terhin verfolgen liess; die geröthete Bronchialschleimhaut war 
besonders linkerseits von länglichen, striemenförnigen, weiss- 
lichen Aftermassen durchwuchert, welche in den Bronchien 
dritter Ordnung schliesslich in Form kleiner rundlicher Knoten 
auftraten. Hiedurch wurde die Lichtung der Bronchien wesent- 
lich verengt. 

In einem anderen Falle wurde die seitliche Compression 
veranlasst durch einen vom Ringknorpel bis zur zweiten 
linken Rippe herabreichenden Eiterherd. 

c) Hyperämie der Luftröhrenschleimhaut war 
der Befund bei intensiven Bronchialcatarrhe, Pneumonie, Herz- 
erkrankungen und bei Puerperalprocess. 

d) Ecchymosirung der Trachealschleimhaut fand sich 
bei einzelnen Herzerkrankungen, und 

e) Tuberculose der Trachealschleimhaut 1mal bei 
ausgebreiteter Tuberculose vor. 

f) Den Inhalt der Luftröhre bildete zäher eitriger 
oder bräunlich gefärbter Schleim bei Phthisis und Pneumonie, 
trübe bräunliche oder gallig gefärbte Flüssigkeit beim Puer- 
peralprocesse. 

4. Pleura. 

Die pathologischen Veränderungen, welche sich an der 
Pleura vorfanden, lassen sich in Folgendem resumiren: 

a) Ecchymosen fanden sich als erwähnenswerth in 
2 Fällen bei Herzerkrankungen vor. 

b) Entzündung. Dieselbe erschien in acuter Form 
als selbstständige Erkrankung oder als Begleiterin von Pneu- 
monie, Puerperalprocess, Herzkrankheiten, Phthisis, Septi- 
caemie. Der Befund war hiebei je nach der Intensität und 
Dauer des Processes verschieden, insoferne sich die Pleura 


Sy 


nur mit einer zarten faserstoffigen Exsudatschichte bedeckt 
zeigte, der Erguss nur ein sparsamer war, oder es steigerte 
sich Letzterer bis zur Menge von mehreren Pfunden. Hiebei 
liess sich diess häufiger linkerseits constatiren. Anderemale 
war die Pleura von einer zarten, feinfilzigen, zottigen oder in 
Form eines Maschenwerkes auftretenden Pseudomembran 
bedeckt. 

Residuen vorangegangener Pleuresien liessen sich in 
83 Fällen ermitteln, und zwar war 35mal eine totale Ver- 
wachsung der Lunge mit dem Rippenfell, Zwerchfelle und 
Herzbeutel, 50mal nur eine partielle Verwachsung nachweis- 
bar, wobei sich das Verhältniss zwischen rechter und linker 
Seite als gleichwerthig darstellte. Die, die Verwachsung ver- 
mittelnden Psendomembranen erschienen meist in Form dünner, 
gefässhaltiger, bindegewebiger Lamellen, und nur in wenigen 
Fällen erreichten dieselben die Mächtigkeit einer mehrere 
Millimeter dicken Schwarte. 

e) Neubildungen. Von denselben sind ausser den 
erwähnten bindegewebigen einerseits der Tuberkel, anderer- 
seits das Carcinom bemerkenswerth. 

Der Tuberkel erschien in Form kleiner miliarer grau- 
gelblicher Knötchen in 3 Fällen bei allgemeiner Tuberculose. 

Das Carcinom kam 4mal zur Beobachtung; 2mal im 
Gefolge von Oesophaguskrebs, 1mal bei Carcinom der Lymph- 
drüsen am Halse und der Bronchien, und 1mal bei Krebs der 
Sexualorgane eines Weibes. Die Pleura zeigte sich in einem 
Falle von zahlreichen, verschieden grossen und geformten, 
weissen derben, gleichsam wie aufgetropften, am Durchschnitte 
einen trüben weisslichen Saft entleerenden Aftermassen be- 
deckt; in einem anderen mit hanfkorn- bis über erbsengros- 
sen, im Centrum deutlich nabelförmig vertieften weissen After- 
massen überwuchert. Die zu jenen Knoten zuführenden Gefässe 
waren stark erweitert, geschlängelt und lebhaft injieirt. 

d) Abnormer Inhalt der Pleurahöhle. Derselbe 
bestand entweder in der Ansammlung von seröser Flüssig- 
keit (Transudat) bis zu der Menge von 4 Pfund, bedingt 

18* 


— 216 — 


durch Herzerkrankungen, hydrämische Beschaffenheit des 
Blutes, oder, wie schon erwähnt, in eitrigem Exsudate oder, 
wenngleich in selteneren Fällen, in dem Ergusse beigemeng- 
tem Blute. Einmal stellte sich derselbe als anormale An- 
sammlung von Gas dar. 

Bei einem 13jahrigen Mädchen war der rechte Brust- 
raum durch das nach Abwärtswölben des Zwerchfelles, das 
Hinüberdrängen des Herzens nach links und das Vorwölben 
der Intercostalräume erweitert, und in demselben nebst einem 
Pfunde seröser Flüssigkeit eine beträchtliche Menge Gas ent- 
halten, welches bei Eröffnung der Thoraxhälfte mit zischen- 
dem Greräusche entwich. Die an die Wirbelsäule gedrängte 
rechte Lunge zeigte in dem hinteren Antheile des Oberlappens 
einen umschriebenen brandigen Zerfall der Lungensubstanz 
mit Verschorfung der sie bedeckenden Pleura. 

5. Lunge. 

a) Bronchitis. Abgesehen von dem häufigen Vor- 
kommen derselben bei Herzerkrankungen, Phthisis, Tubercu- 
lose, Emphysem und Pneumonie ist ein Fall von Bronchitis 
crouposa bei einem im December 1870 verstorbenen 24 Jahre 
alten Manne erwähnuenswerth, in welchem die Schleimhaut der 
feineren Bronchien mit einer croupösen Exsudatschichte be- 
kleidet, das umgebende Lungenparenchym dunkel geröthet, 
‚ blutreich, luftleer oder selbst pneumonisch infiltrirt war. 

b) Peribronchitis. Dieselbe erschien häufig in Be- 
gleitung von Phthisis und Tuberculose der Lungen, wesshalb 
wir den Befund derselben unter einem mit letztgenannten Ver- 
änderungen schildern wollen. Die Mehrzahl der beobachteten 
Fälle betraf Männer im Alter zwischen 20 und 30 oder 40 
und 50 Jahren. Die Lungenbefunde stellten sich in folgender 
Weise dar. 

Die Lungen waren bald mehr, bald weniger vollständig 
mit der Brustwand verwachsen, am intensivsten an den Spitzen, 
woselbst sich narbige Einziehungen der Lungenoberfläche vor- 
fanden. Unterhalb derselben, in deren Bereiche die Lungen- 
substanz in grösserer oder geringerer Ausdehnung verödet 


— 217 — 


und reichlich schwarz pigmentirt erschien, waren in manchen 
Fällen nur eine, in anderen mehrere Höhlen nachweisbar, 
welche von der Grösse einer Haselnuss bis zu jener eines 
kleinen Apfels wechselten, ja bisweilen sogar den ganzen 
Lungenflügel einnahmen. Dieselben waren entweder leer, nur 
wenig oder reichlich mit zähem puriformem Schleime, Eiter 
oder Blute erfüllt; sie erschienen glattwandig, mehr weniger 
ausgebuchtet, zumeist mit grösseren Bronchien in Verbindung, 
oder es communicirten die Höhlen untereinander. Ihre Innen- 
fläche war bekleidet mit einem gelblichen, leicht abstreifbaren 
Belege. Grössere Höhlen zeigten sich durchsetzt von rund- 
lichen, entweder gerötheten oder hlassgrau gefärbten Balken, 
welche entweder solid waren, durch obliterirte Gefässe und 
Bronchien gebildet wurden, oder es verlief inmitten derselben 
ein in seiner Lichtung verengter oder thrombirter Gefässast. 
Anderemale zeigten solche Balken an einer ihrer Seite flach- 
rundliche Erhebungen, die sich als aneurysmatische Erweite- 
rung des im Balken verlaufenden Gefässes darstellten, wobei 
die Gefässwand daselbst mit einer spaltförmigen oder un- 
regelmässigen Lücke eröffnet war, deren Rändern theilweise 
noch coagulirtes Blut anhaftete. Das zunächst gelegene Lun- 
genparenchym war über verschieden grosse Strecken verödet, 
luftleer. In weiterer Entfernung zeigte dasselbe, bald nur auf 
die Oberlappen beschränkt, oder, wenngleich in geringerem 
Masse, auch in den Unterlappen, die feineren Bronchialver- 
ästigungen in ihren Wandungen beträchtlich verdickt, ihre Lich- 
tung hochgradig verengt, vollständig aufgehoben oder dieselbe 
von einer gelbkäsigen Masse verstopft, so dass der Lungen- 
durchschnitt das Bild von in Gruppen beisammenstehenden, 
hirsekorngrossen, gelblichen, querdurchschnittenen Knötchen 
ergab, bei deren genauer Besichtigung man jedoch central 
eine feine Oeffnung (die verengte Lichtung des Bronchus) 
oder den querdurchschnittenen in seiner Wandung verdickten 
und durch käsige Masse verstopften Bronchus erkennen komnte. 
Das zwischenliegende Lungenparenchym erwies sich entweder 
lufthältig, blutarm, oder in der Umgebung selbst erweiterter 


= 218. == 


Bronchien, deren Schleimhaut geröthet war, entspechend 
einzelnen Lobulis, dicht luftleer, grauröthlich hepatisirt, oder 
verkäst, wobei ihre Schnittfläche fein granulirt oder homogen 
erschien und jene Lungenantheile sich mehr vorwölbten. Die 
Unterlappen boten namentlich in ihren hinteren Parthien das 
Bild der Hypostase, oder es waren daselbst Bronchialerwei- 
terung, Peribronchitis und verkäsende Herde gleichfalls mehr 
oder weniger ersichtlich. 

Als Complicationen ergaben sich: 

I. im Circulationsapparate. 

1. Vergrösserung des Herzens durch active 
Dilatation des rechten Ventrikels, sowie Erweiterung des 
Pulmonalarterien-Conus und mässige Erweiterung der Iugular- 
venen, in jenen Fällen, wo sich bei geringer Gefässneubil- 
dung in den, die Verwachsung vermittelnden Pseudomembra- 
nen, kein Collateralkreislauf entwickelt hatte. 


2. Fettmetamorphose des Herzfleisches mit Er- 
schlaffung und leichter Zerreisslichkeit. 


3. Thrombusbildung entweder in den Herzhöhlen 
oder den Pulmonalarterienverzweigungen. 

4. Aneurysmatische Erweiterung der die Ca- 
venen durchziehenden Gefässstämme mit Anätzung derselben 
und tédtlicher Blutung, oder einmal, aneurysmatische Er- 
weiterung der Gehirngefässe. 

5. Infarete in der Milz. 

Il. Im Verdauungsapparate: 

1. Geschwüre im Dickdarme oder Dünndarme. 
In ersterem dieselben der Querachse des Darmes entsprechend 
gelagert, mit aufgeworfenen callösen Rändern versehen, in 
letzterem die Follikel entweder hyperplastisch, verkäsend, oder 
durch ferneren Zerfall rundliche, sowie unregelmässige Sub- 
stanzverluste gebildet. Hiebei am Peritoneum keine Ver- 
änderung. 

2. Dysenterie. 

III. Als fernere Complicationen sind erwähnenswerth: 


zog 


Tubereulosis. Zunächst in Form kleiner, rundlicher 
Kuötchen. 

a) in der Bronchialschleimhaut, b) in der Lungensub- 
stanz, c) der Pleura d) in den Meningen, e. Leber, Milz, 
Niere, f) dem Peritoneum und zwar in jenem Antheile, welcher 
vorhandenen Darmgeschwüren entspricht, g) dem Larynx 
und h) der Uterusschleimhaut. 

IV. Amyloide Degeneration der Leber, Milz und Niere. 

V. Morbus Brightii. 

c) Compression der Lungen, erfolgte in all’ jenen 
Fällen, wo eine reichliche Ansammlung von Transudat oder 
Exudat, die betreffende Pleurahöhle erfüllte; meist waren 
hiebei nur die Unterlappen bis zur Luftleere comprimirt; 
einmal war die Compression der ganzen rechten Lunge ver- 
anlasst durch Ansammlung von Gas bei Lungengangrän. 

d) Emphysema pulmonum war als umschriebenes, 
auf kleinere Antheile beschränktes, ein nicht seltener Befund 
bei Schwielenbildung oder theilweiser Verödung der Lungen- 
substanz. Die ganze Lunge betreffend war dasselbe einmal 
bei einem 33 Jahre alten Manne nachweisbar, und hiebei 
dem entsprechend das rechte Herz vergrössert. 

e) Die Entzündung der Lunge erschien in zwei 
Formen. 

a) sie betraf! entweder einen ganzen Lappen oder doch 
den ‚grössten Theil desselben oder 

b) sie war auf einzelne Läppchen beschränkt. 

Ersteres in 9 Fällen, letzteres, die Fälle der Peribron- 
chitis und Phthisis abgerechnet, iu 3 Fällen. Das Contingent 
hiefür lieferten ‚meist Männer zwischen 40 und 50 Jahren. 

f) Lungenbrand. Gangräna pulmonum kam dreimal 
zur Beobachtung. In dem einen Falle war rechterseits die 
Interlobularspalte zum Theile verwachsen, und so zwischen 
den Lungenlappen eine wallnussgrosse Höhle gebildet, welche 
durch eine spaltförmige Oeffnung mit der Brusthöhle com- 
municirte, und mit einer übelriechenden, schmutzig gelbbraunen 
Masse erfüllt war. Das der Höhle zunächstgelegene Lungen- 


a 


parenchym war bis zu 2 Cm. in die Tiefe in eine schwarz- 
braune, zerfallende, übelriechende, pulpöse Masse verwandelt; 
der zweite Fall both Interesse, da er gleichzeitig zur Ent- 
stehung eines Pneumothorax Anlass gab, der dritte endlich 
insoferne als durch den brandigen Zerfall der Lungensubstanz 
ein grösserer Ast der Pulmonalarterie angeäzt, und hiedurch 
rasch der Tod durch Blutsturz veranlasst wurde. 

g) Carcinoma. Hievon sind vier Fälle zu verzeichnen. 
Sie betreffen zwei Männer und zwei Weiber im Alter zwischen 
50 und 60 Jahren. In zwei Fällen (Männer) war der pri- 
märe Krebs in der Speiseröhre, und secundäre weissliche, 
derbe Krebsknoten von Bohnen- bis zu Taubeneigrösse in die 
Lungensubstanz eingelagert. Von den beiden anderen Fällen 
(Weiber) war der eine in Begleitung mit Krebs der Lymph- 
drüsen am Halse, und krebsigen Degeneration der Bronchien, 
der andere combinirt mit krebsiger Entartung der Retrope- 
ritonealen Lymphdrüsen. 


C. Circulationsorgane. 


1. Herzbeutel. 

a) Eine Ausdehnung desselben erfolgte durch reich- 
liche Ansammlung von Serum, bei Herzkranken, oder bei 
Hydraemie, einmal durch eitriges Exudat. 

b) Umschriebene Verdickungen des visceralen 
Pericardialblattes in Form von Sehnenflecken war in neun 
Fällen über dem rechten Ventrikel, dem Herzohre oder dem 
linken Ventrikel nachzuweisen. 

c) Die Entzündung des Pericardiums erschien 
zweimal in acuter Form; einmal war das Pericardium be- 
deckt, mit einer weichen, gelblichen, zottigen und feinareo- 
lirten, serös eitrig durchtränkten Exudatschichte, hiebei in 
der Pericardialhöhle, eitrige Flüssigkeit angesammelt, das 
zweitemal war dasselbe von einer zarten, feinfilzigen Pseu- 
domembran bedeckt. In beiden Fällen erschien das Herz 
erschlafft, fahlgelblich, mürbe. 


— 21 — 


d) Eine totale Verwachsung des Herzens mit 
dem Herzbeutel kam einmal zur Beobachtung. 

2. Herz. 

a) Eine Verkleinerung desselben, mit auffälligem 
Schwunde der normalen Fettanhäufung, und seröser Durch- 
tränkung des subserösen Bindegewebes an der Herzspitze; 
stärkerer Schlängelung der, in ihren Wandungen verdickten 
Gefässe, war in einzelnen Fällen hohen Alters, als senile 
Atrophie zu ermitteln, und hiebei das Herzfleisch von dunkel- 
brauner Färbung. 

b) Eine Vergrösserung des Herzens ergab sich 
in 22 Fällen. Hievon entfällt mehr als die Hälfte für Er- 
krankungen des Herzens, der übrige Theil auf consecutive 
Vergrösserungen, bedingt durch Erkrankung der Lungen, Miss- 
staltungen des Thorax, Erkrankungen der Aorta. Die Ver- 
grösserung des Herzens war meist bedingt durch active Dila- 
tation des rechten Ventrikels, in zwei Fällen (Pericarditis) 
jedoch in passiver Erweiterung beider Ventrikel begründet. 

c) Entzündung der Muskelsubstanz des 
Herzens Myocarditis. Dieselbe stellte sich einmal der- 
art dar, dass an einer, der Herzspitze des linken Ventrikels 
entsprechenden Stelle, das Herzfleisch erweicht und entfärbt 
war, das Endocardium daselbst sich geschwellt und ge- 
röthet zeigte, und demselben geschichtete und theilweise er- 
weichte Fibrinmassen anhafteten. Die Thrombusmasse des 
Ventrikels gab Veranlassung zur Embolie in der linken Ar- 
teria fossae Silvii. In anderen Fällen war das Resultat der 
Muskelentzündung — Schwielenbildung in den Papillarmuskeln 
oder der Ventrikelscheidewand. Einmal fand sich Schwielen- 
bildung in der Wand des linken Ventrickels vor, in der 
Nähe der Herzspitze, und war der schwielig degenerirte 
jedoch verdünnte Antheil sackig nach aussen vorgewölbt. 
(Aneurysma cordis chronicum partiale.) 

d) Die Entzündung der Klappen führte in zwei 
Fällen zur Bildung von Vegetationen an der Bicuspidalis, 
sonst zur Verdickung und Verkürzung der Klappenzipfel, zur 


— 222 — 


’ 


Verwachsung derselben untereinander, zur Verengerung des 
Ostiums, Verkürzung und Verdickung der Sehnenfäden. Diese 
Veränderungen betraffen die zweizipflige Klappe allein, oder in 
Combination mit ähnlichen Veränderungen der Aortaklappen. 

e) Fettmetamorphose und moleculärer Zerfall der 
Muskelsubstanz war häufiger Befund bei Pericarditis, Endo- 
arteritis chronica und acuten Entzündungsprozessen. 

f) Pigmentbildunng fand sich in atrophischen Her- 
zen vor. 

3. Gefässe. 

a) Arterien. Die Endoarteriitis chronica deformans 
liess sich in mehr als 60 Fällen in verschiedenem Grade und 
Ausdehnung an der Aorta ermitteln; sie führte am häufig- 
sten zur Verdickung der Intima, seltener zu deren Verkal- 
kung; sie war am intensivsten an der erweiterten Aorta- 
wurzel demnächst dem Brust- oder Bauchtheile derselben. 
Häufig waren ähnliche Veränderungen an den Gehirnarterien 
nachweisbar, oder an der Arteria lienalis. Einmal waren 
bei einem 24jährigen Arbeiter die Arterien der oberen wie 
unteren Extremitäten beträchtlich verdickt und verkalkt, 
"während in der Aorta keine derartige Veränderung nachweis- 
bar war. 

b) Erweiterungen fanden sich im arteriellen Systeme 
als spindelförmige oder cylindrische vor, an der Aortenwurzel, 
der Bauch-Aorta und den Gehirngefässen. 

c) Thrombosen waren nachweissbar in der Pulmonal- 
arterie, bei Phthisis, Pneumonie, bei Herzkrankheiten (sechs) 
und einmal in den Gehirngefässen. 

Venen. 

a) Erweiterung derselben ergab sich in der Pia 
mater bei Geisteskranken, ferner in den unteren Extremi- 
täten an den Hautvenen zweimal in ausgedehntem Masse, so 
dass dieselben nicht bloss cylindrisch, sondern auch viel- 
fach gewunden, sackförmig erweitert waren. 

b) Thrombosis der Venen kam zweimal zur Beob- 
achtung. Beidemale bei Tuberculosis. In dem einen Falle 


war die linke Vena cruralis und iliaca, sowie sämmtliche 
Muskeläste durch eine Gerinnung verstopft, welche eine gelb- 
lichröthliche Farbe hatte und das Gefäss vollständig obturirte, 
wobei deren centrales Ende in Erweichung begriffen war. 
Die Venenwand, welcher der Thrombus innig adhaerirte 
erschien verdickt die betreffende Extremität oedematös ge- 
schwellt. Im zweiten Falle war die Gerinnung in der rechten 
Cruralvene eine wandständige und reichte sich verschmäch- 
tigend in die Vena cava inferior herein. 

Entzündungen und Thrombosen der Lymph- 
gefässe wurden nur in den Seitenwandungen des Uterus 
beim Puerperalprozesse beobachtet. 


D. Krankheiten der Verdauungsorgane. 


Peritoneum. 

a) EineErweiterung der Bauchhöhle durch starke 
Auftreibung der Gedärme, Ansammlung von Flüssigkeit, war 
in 30 Fällen zu konstatiren, bei Puerperalprocess, Herzer- 
krankungen und Geschwülsten im Unterleibe. 

b) Entzündung des Bauchfelles erschien in 

a. acuter Form in 15 Fällen des Puerperalprozesses, 
einmal bei Prostatahypertrophie und in zwei Fällen von Ova- 
riencysten. Das Peritoneum war mässig geröthet, über dem 
Zwerchfelle, Leber, den ausgedehnten Darmschlingen, mit 
einer faserstoffigen Exudatschichte bedeckt, durch welche die 
Darmwindungen untereinander vielfach verklebt waren. In der 
Bauchhöhle war eine grössere oder geringere Menge flockigen 
Eiters angesammelt. 

8. Die chronishe Form erschien achtmal in nach- 
stehender Weise: entweder war das Peritoneum stellweise 
verdickt, schiefergrau gefärbt, mit Pseudomembranen ver- 
sehen, durch welche WVerwachsungen veranlasst wurden, 
z. B. Ovariencisten; oder es betraf die Verdickung nur das 
Mesenterium des Dünndarms, das Omentum. In einem 
Falle war die Verdickuug des ganzen Peritoneums so be- 
trächtlich, dass dasselbe in eine, 1 Cm. dicke 'Schwarte 


— 224 — 


verwandelt war, mit welcher die gleichfalls schwielig degene- 
rirten Bauchmuskeln verwachsen waren. Die Leber war 
von einer derben Kapsel umhüllt, das grosse Netz verdickt, 
geschrumpft, desgleichen das Mesenterium des Dünndarmes. 
In der Bauchhöhle war ein reichlicher Erguss gelblicher ei- 
weisshältiger Flüssigkeit. 

c) Von Neubildungen kam 2mal Tuberculose des 
Peritoneums, im Vereine mit Tubereulose der Lungen, Leber, 
Milz, Nieren und Pleura zur Beobachtung, sowie 2mal Car- 
cinom; in diesen Fällen war der primäre Krebs im Oeso- 
phagus und Magen. | 

Oesophagus. 

Carcinoma. Hievon sind 3 Fälle zu verzeichnen, 
welche sich bei Männern zwischen 50 und 60 Jahren vor- 
fanden. In dem einen Falle erschien die Schleimhaut des 
Oesophagus geröthet, mitunter gelockert und geschwellt. Einen 
Centimeter oberhalb der Bifurcation der Trachea befand sich 
in der Speiseröhre, mehr der linken Seite angehörig, ein un- 
regelmässig rundlicher, die Schleimhaut strahlenförmig an sich 
heranziehender und mit derselben innig verwachsener, derber, 
weisslicher Knoten, unterhalb welchem zunächst mehrere klei- 
nere, etwa erbsengrosse, weissliche, verschiebbare gelagert 
waren, die endlich an der Cardia unter einander verschmolzen 
und eine beträchtliche Verengerung derselben bedingten. Alle 
erwähnten Knoten sind von einem Gefässkranze umgeben. 
Die Oesophaguswand ist beträchtlich verdickt durch eine derbe 
weissliche besonders in submucösen Bindegewebe entwickelte 
Aftermasse. Hiebei fand sich gleichzeitig Carcinom des Ma- 
gens, der Leber, Lunge, Pleura, Peritoneums und der Mesen- 
terialdrüsen vor. 

Der zweite Fall ist erwähnenswerth wegen seiner Com- 
plication mit Lungenphthise. Es wucherte ebenfalls entspre- 
chend der Theilungsstelle der Trachea, den Oesophagus ring- 
förmig umgreifend in der Längsausdehnung von 2” eine die 
Wand desselben vollständig substituirende, weisse, warzig- 
blättrige oder hahnenkammähnliche, unregelmässig zerklüftete 


Aftermasse, welche in ihrer Mitte zerfällt und deren Ränder 
wallartig aufgeworfen sind. Dieselbe durchbricht an der vor- 
deren Wand den mit ihr innig verwachsenen Bronchialstamm 
und veranlasst durch ihren theilweisen Zerfall eine Communi- 
cation zwischen beiden mittelst mehrereu kleinen Lücken; an 
der betreffenden Stelle sind die Knorpeln usurirt. 

Magen. 

Eine Lageveränderun g desselben ergab sich 1mal 
in Folge des Angewachsenseins des Colon transversum an die 
vordere Bauchwand; es wurde hiedurch der Magen mehr 
senkrecht gestellt. ‘ 

Erweiterung der Magenhöhle zeigte sich haupt- 
sächlich bei Bauchtellentzündung. 

Verengerung Imal bei Carcinom desselben. 

Die Magenschleimhaut war in 2 Fällen stark hy- 
perämisch, lmal mit Ecchymosen und Imal mit kleinen run- 
den hämorrhagischen Errosioneu versehen. 1lmal erschien 
dieselbe schiefergrau piginentirt. 

Erweichung des Magengrundes ergab sich in 
6 Fällen; bei Meningitis tuberculosa, Pneumonie, Puerperal- 
process und Peritonitis im Gefolge einer Ovariencyste. 

Carcinom des Magens wurde bei einem 57jährigen 
Manne beobachtet. Der Krebs, welcher sich von der Cardia 
aus auf die hintere Magenwand erstreckte, führte an ersterer 
zu einer bedeutenden Verengerung derselben, so dass sie kaum 
für eine Federspule durchgängig war, an letzterer hingegen 
zur Bildung eines unregelmässig ausgebuchteten, mit aufge- 
worfenen Rändern und kraterförmig vertiefter Basis versehenen 
Geschwiires. Das Peritoneum, Pleura, Leber, Lymphdrüsen 
und Schilddrüse sind von Krebsmassen durchsetzt. 

Darm. 

Diverticulum. 3 Schuh von der Coecalklappe  ent- 
fernt erhob sich von der untersten Ileumsschlinge ein 1” 
langes und 1/2” breites, mit abgerundetem Ende versehenes 
Divertikel. 

Eine übermässige Ausdehnung des Dickdarms 


— 226: — 


bis zu Armdicke erfolgte einmal auf Grundlage einer Knickung 
des Colon transversum durch Anwachsung des grossen Netzes 
an das Colon ascendens. 

Knickung des Colon transversum wurde ein 
andermal veranlasst durch Anwachsung desselben an die vor- 
dere Bauchwand. 

Vorlagerung von Diinndarmschlingen in einem 
Leistenbruchsacke wurde zweimal beobachtet. 

Verwachsung einzelner Ileumschlingen zu 
einem faustgrossen Convolute, vermittelt durch pigmentirte 
Pseudomembranen, fand sich 1mal, ausgedehntere Verwach- 
sungen durch tuberculisirende Pseudomembranen 2mal vor. 


Strietur des Colon ascendens war veranlasst durch 
ausgebreitete vernarbende Geschwüre. 


Pigmentirung der Dünndarmschleimhaut erschien 2mal 
als ausgebreitete schiefergraue, lmal nur beschränkt auf. die 
Umgebung der solitären Follikel, Imal im Umkreise ver- 
narbter typhöser Geschwüre. 


Schwellung der solitären Follikel des Dünndarms er- 
gab sich bei Myocarditis, Tuberculose, Parasiten im Darm- 
kanal und Puerperalprocesse. 


Croupöse Entzündung der Dünndarmschleimhaut 
war imal bei einer Puerpera nachweisbar. 


Ileotyphus erschien 1mal im Stadium der Geschwürs- 
bildung, 1mal mit vernarbenden Geschwüren. Im ersteren 
Falle war gleichzeitig hämorrhagischer Erguss in die Ellbogen 
und Kniegelenke, im letzteren Pneumonie zugegen. 


Geschwüre im Dünndarm waren in 13 Fällen zu 
constatiren. Dieselben erschienen entweder als rundliche, den 
solitären Follikeln oder Peyerischen plaques entsprechende, 
durch Verkäsung der hyperplastischen Drüsen bedingt, oder 
als unregelmässige mit aufgeworfenen Rändern versehene. 
5mal waren dieselben combinirt mit gleichzeitiger Geschwürs- 
bildung im Dickdarme, 4mal mit secundärer Tuberkelentwick- 
lung, an den Rändern der Geschwüre, dem Peritoneum oder 


ae gage 


der Pleura. Bei allen beobachteten Fallen war Phthisis der 
Lungen und peribronchitische Processe zugegen. 

Geschwiirsbildung im Dickdarme konnte 11mal 
ermittelt werden; 5mal, wie oben erwähnt, im Vereine mit 
Diinndarmgeschwiiren, 2mal mit secundärer Tuberkelbildung ; 
auch hiebei war regelmässig Phthisis der Lungen, Peribron- 
chitis oder verkäsende Pneumonie zugegen. 

Follicularvereiterung oder Erweichung der mit 
einem kleien-ähnlichen Belege versehenen Schleimhaut ergab 
sich in 6 Fällen, in Combination mit Phthisis pulmonum, 
Endocarditis, Gangraena pulmonum und Pericarditis. 

Als abnormer Darminhalt ist erwähnenswerth 
theerähnlich eingedicktes Blut bei einem verjauchenden Ma- 
genkrebs, ferner als häufiger Befund zahlreiche Ascaris lum- 
bricoides und Trichocephali. 


E. Krankheiten der Leber. 

Eine Lageveränderung derselben war zu beobachten 
entweder als nach Aufwärtsgedrängtsein oder als Herabrücken 
derselben. Ersteres wurde bedingt durch starke Ausdehnung 
der Gedärme, in Folge von Paralyse ihrer Wandungen bei 
Peritonitis puerperalis, letzteres veranlasst durch abnorme 
Ausdehnung des rechten Brustraumes, bedingt durch Pleuritis, 
Pneumothorax. 

Ihre Gestalt erschien verändert durch Eindruck der 
falschen Rippen an der Oberfläche des rechten Lappens, wo- 
durch sich verschiedene tiefgreifende Furchen entwickelten, 
welchen entsprechend das Peritoneum sich verdickt zeigte. 
Anderemale war die Gestaltveränderung veranlasst (in zwei 
Fällen) durch abnorme Lappung bei Syphilis oder (8mal) 
durch Verkleinerung mit uneben höckriger Oberfläche (granu- 
lirte Leber). 

Verwachsung mit dem Zwerchfelle durch Pseudo- 
membranen war abgesehen von den Adhäsionen bei granu- 
lirter Leber 2mal nachweisbar, und hiebei imal in den 
Pseudomembranen kreidige Concretionen eingebettet, 


— 228 — 


Eine Verkleinerung war bei granulirter Leber, seniler 
Atrophie und vorzüglich in dem einen Falle von abnormer 
Lappung nachweisbar, in welchem die Leber sich nicht viel 
grösser als eine mässig geschwellte Milz erwies. 

Consistenzveränderungen ergaben sich als be- 
deutende Zunahme derselben: bei der granulirten (8) und 
gelappten (2) Leber, ferner bei deren amyloider Degenera- 
tion (2); als Verminderung, unter dem Bilde der Erschlaffung 
insbesonders beim Puerperalprocesse oder auch in Fällen von 
überwiegendem Fettgehalte. (5 Fälle mit Phthisis.) 

Muskatnussleber war in exquisitem Grade zu er- 
mitteln bei Endocarditis, Fettentartung des Herzfleisches, 
Bronchitis crouposa, Peribronchitis, Phthisis pulmonum. 

Extravasate fanden sich nur lmal im Gefolge von 
Pyaemie vor. 

Als die gewichtigsten Erkrankungen sind hervorzuheben 
granulirte Leber — 8 Fälle, gelappte Leber — 2 Fälle, 
amyloide Degeneration — 2 Fälle, bei Syphilis und Dysenterie. 

Von Neubildungen waren 4mal Tumor cavernosus, 
bis zu Erbsengrösse, 4mal miliare Tuberkel, und 6mal Carei- 
nome, im Vereine mit Krebs des Magens oder der Speise- 
röhre, der retroperitonealen Lymphdriisen und der Harnblase 
aufzufinden. 

Die Gallenblase enthielt in 5 Fällen cholesterin- 
hältige Gallensteine. 


F. Krankheiten der Milz. 


Als Veränderungen der Milz ergaben sich: 

Abnorme Lappung derselben (1 Fall), beträcht- 
liche Verdickung der Kapsel (7 Fälle), diess beson- 
ders bei endocarditischen Processen; Verwachsung mit 
der Umgebung (2 Fälle), Vergrösserung derselben in 
22 Fällen, und zwar als acute Schwellung bei Peribronchitis, 
Bronchitis, Pneumonie, Typhus, Pyaemie, acuter Tuberculose, 
Puerperalprocess, oder als chronische bei Herzerkrankungen, 
granulirter Leber; in einem Falle von Nierenphthisis war 


— 229 — 


dieselbe über 9” lang. Verkleinerung erfolgte 3mal in 
hohem Alter, Imal bei Syphilis. Im Parenchym derselben 
fanden sich Imal kreidige Concretionen, 3mal ver- 
fettende Infarcte, bei Endometritis und Phthisis pulmo- 
num vor. Amyloide Degeneration ergab sich in zwei 
Fällen von Syphilis und Dysenterie, Tuberkelbildung 
amal im Vereine mit acuter Tuberculose. 


G. Krankheiten des Urogenital-Systems. 

Niere. 

Von Krankheiten der Niere sind bemerkenswerth: 

a) Eine tiefe Lagerung der rechten Niere, welche 
über der Synchondrosis sacro-iliaca aufzufinden war. 

b) Verkleinerung der Nieren, welche hiebei eine 
unebene höckerige Oberfläche, narbige Einziehungen, sowie 
Verwachsung der verdickten Kapsel mit der Rindenoberfläche 
darboten und meist reichlich mit Fett umhüllt waren. Diese 
Befunde, welche sich in 17 Fällen ergaben, waren anzutreffen 
im vorgerückten Alter, bei Endocarditis, Verfettung des Herz- 
fleisches, oder als Ausgang der Brightschen Erkrankung. 
Einmal war die Atrophie nur auf die linke Niere beschränkt. 

ec) Eine Vergrösserung der Nieren war zumeist 
nur als Schwellung derselben, auf Grundlage vermehrten Blut- 
gehaltes oder häufiger wegen parenchymatöser Entzündung zu 
ermitteln, so bei allen fieberhaften Erkrankungen, vorzüglich 
bei Peribronchitis, Phthisis pulmonum, Herzkrankheiten, Puer- 
peralprocess. In einem Falle betraf die Vergrösserung nur 
die rechte Niere, da die linke atrophirt war, in einem anderen 
war die Vergrösserung der rechten Niere so beträchtlich, dass 
dieselbe die Länge von 6” und die Breite von 4” erreichte. 
Die Vergrösserung war dadurch bedingt, dass die Niere in 
eine mehrfächerige Höhle verwandelt war, deren einzelne 
Fächer mit einer gelbkäsigen Masse erfüllt waren. 

d) Verfettende Infarete in der Rindensubstanz 
liessen sich 1mal im Gefolge von Lungenphthisis nachweisen. 


e) Amyloide Degeneration war in 2 Fällen von 
Naturw.-med. Verein. == 19 


7.250 


Syphilis, nebst gleichzeitiger ähnlicher Degeneration der Leber 
und Milz vorhanden. 

f) Von Neubildungen fanden sich vor: &) Cysten- 
bildungen 7mal; dieselben erreichten die Grösse eines 
Hanfkornes, Erbse oder Haselnuss; ihr Inhalt war klare 
gelbliche oder eine bräunliche, zähe, colloide Flüssigkeit. 
ß) Fibrome 3mal; dieselben waren hanfkorngross entweder 
in der Corticalis oder Pyramidensubstanz eingelagert. y) Tu- 
berkel 3mal, in der Form blassgelblicher, stecknadelkopf- 
grosser Knötchen bei secundärer miliarer Tuberculose. 

g) Eine Entzündung der Schleimhaut des Nie- 
renbeckens mit Ansammlung schleimig eitriger Flüssigkeit da- 
selbst liess sich in 7 Fällen des Puerperalprocesses ermitteln. 

Harnblase. 

Abgesehen jene Fälle wo eine Ausdehnung der Harn- 

blase abhängig war von einer reichlichen Ansammlung von 
Harn, liess sich dieselbe fünfmal begründen durch eine Hy- 
pertrophie der Prostata; hiebei waren die Blasenwandunge.ı 
verdickt, hypertrophirt. 
An der Blasenschleimhaut fand sich: Injection 
zweimal beim Puerperalprocess, Ec chymosirung derselben 
einmal bei Syphilis und einmal bei passiver Herzerweiterung, 
Oedem bei Endocarditis vor. 

Von Neubildungen konnte einmal Carcinom nach- 
gewiesen werden, welches seinen Sitz an der hinteren Blasen- 
wand, und zwar oberhalb der Einmündung der Uretheren in 
die Harnblase hatte, und bis zum Scheitel der Blase nach 
aufwärts reichte. 

Die Vergrösserung der Prostata betraf Männer 
im Alter zwischen 60 und 70 Jahren. In den fünf zur 
Untersuchung vorliegenden Fällen erwies sich die Prostata 
entweder gleichmässig vergrössert oder es betraf die Ver- 
grösserung vorzüglich den mittleren Antheil, welcher in Form 
einer Uvula in die Blasenhöhle hereinragte. In einem Falle 
(bei einem 66jährigen Manne, welcher an Ischias litt) war 
die Prostata zu einen Orangegrossen Tumor umgewandelt der 


ae 


mässig weich war, an seiner Oberfläche etwas feinhöckrig er- 
schien, und am Durchschnitte einen trüben, milchigen Saft 
entleerte. Derselbe drängte das Rectum nach rechts, griff 
dasselbe umhüllend, einerseits auf das Kreuzbein über, und 
wucherte anderseits durch das linke Foramen ischiadicum 
nach aussen, hiebei einen Druck auf den Nervus ischiadicus 
ausübend, dessen Scheide geröthet erschien und dessen Um- 
gebung ödematös war. 

Von pathologischen Zuständen des Hodens konnte 
nachgewiesen werden einmal a) Ansammlung seröser 
Flüssigkeit in der Scheidenhaut des Hodens, deren Wan- 
dungen, sowie Oberfläche durch Bindegewebswucherungen ver- 
diekt waren, b)hochgradige Atrophie des Hodens bei 
einem 74jährigen Manne, und endlich c) Schwielenbil- 
dung im Corpus Highmori. 

Uterus. 

Als Abweichungen vom Normalzustande sind zu ver- 
zeichnen: 

a) Eine Lageveränderung desselben; sie erschien 
entweder: als @) seitliche Abweichung von der Me- 
dianlinie, wegen angeborner Kürze des betreffenden Ligamen- 
tum latum in sechs Fällen; zweimal nach links, viermal 
nach rechts. $) als Retroflexion sechsmal, y) als Ante- 
flexion einmal, und endlich d) als Elevation achtmal, im 
Gefolge von Ovariencysten. 

b) Veränderungen der Grösse. Eine Verkleine- 
rung des Uterus in auffälliger Weise liess sich in vier Fällen 
erkennen, als das Ergebniss des Altersschwundes, einmal 
jedoch war die Kleinheit des Uterus in mangelhafter Ent- 
wicklung begründet. Die Vergrösserung war in der Mehr- 
zahl durch vorangegangene Schwangerschaft bedingt und ist 
nur zweimal als Hypertophie mit Dickenzunahme der hinteren 
Wand nachgewiesen worden. 

c) Eine Entzündung des Peritonealüberzuges 
des Uterus erschien als acute bei den später zu erwähnenden 
Fällen des Puerperalprocesses, als chronishe zweimal, mit 

Jig) 


= 2e2 == 


Entwicklung von Pseudomembranen, welche nebst Uterus, 
Tuben und Ovarien umhüllten. 

d) Entztindung der Uterussubstanz, sowie 
seiner Schleimhaut war nur beim Puerperalprocesse 
nachweisbar 

e) Eine ‘Verengerung der inneren wie äusseren 
Oeffnung des Cervicalkanales fand sich einmal vor, und hatte 
hiedurch der Uterus, eine Sanduhrform acquirirt. 

f) In zwei Fällen waren die Venen des Plexus uterinus 
beträchtlich erweitert. 

g) Von Neubildungen konnten sechsmal Fibrome, 
zweimal Myome bis zur Haselnussgrösse, bald in der hinteren 
oder vordereren Wand sitzend, ferner zweimal Blasen- 
polypen und zweimal Tuberkel der Uterusschleimhaut, 
sowie zweimal kleine Cysten im Cervicalkanale ermittelt 
werden. 

Ovarien. 

a) Kine betrachtliche Schrumpfung derselben war in 
neun Fällen, als Ergebniss hohen Alters zu constatiren. 

b) Eine Vergrösserung in allen Fällen des Puer- 
peralprocesses, hiebei zeigte sich 

c) Eechymosirung der Oberfläche der Ovarien zweimal. 

d) Bluterguss in die Grafschen Follikel einmal. 

e) Der Entzündung der Ovarien wird bei Abhand- 
lung des Puerperalprocesses gedacht werden. 

f) Von Neubildungen fand sich einmal ein erbsen- 
grosses Fibrom im rechten Ovarium, siebenmal Cystenbil- 
dung vor; hievon waren in zwei Fällen die im linken Ova- 
rium befindlichen Cysten bis Hühnereigross. Von den übrigen 
sind folgende erwähnenswerth: 

a) Im rechten Ovarium eine apfelgrosse, mit Fett und 
Haaren gemengte Dermoidcyste, bei einer Puerpera. 

b) Eine Cystenentartung des linken Ovarium mit Tor- 
sion seines Ligamentes; das betreffende Ovarium war zu einen 
über 8” im: Längendurchmesser betragenden, länglichrund- 
lichen Sacke verwandelt, dessen Oberfläche sich glatt er- 


— 233 — 


wies. Dasselbe war nach rechts hintibergelagert und in der 
rechten Rippenweiche, sowie dem unteren Abschnitte der 
rechten vorderen Bauchwandhälfte durch zahlreiche, aber kurze, 
derbere oder zartere Pseudomembranen fixirt; an seine hintere 
Fläche ist ein Theil des grossen Netzes angewachsen. Die 
vordere untere Hälfte des degenerirten Ovariums erweist 
sich in der Ausdehnung von 4” durch eine flachrundliche 
Geschwulst verdickt, welche aus verschiedenen, grossen Hohl- 
räumen besteht, die eine gallertige, bräunliche Flüssigkeit, 
oder eine, von zahlreichen, glattwandigen Lücken durchsetzte, 
weissliche Bindegewebsmasse enthalten. An der linken Seite 
der Geschwulst lagert mit nach aufwärtsgerichtetem Fransen- 
ende, die bei 6” lange in ihren Wandungen verdickte Tuba, 
und zunächst derselben ein schwielig degenerirter Antheil 
des Ovariums. Die Wand der Cyste ist ziemlich dick, nach 
Innen glatt; den Inhalt bildete eine bräunliche Flüssigkeit. 
Die Gefässe in der Cystenwand sind erweitert. Der Stiel, 
der nach rechts hinübergelagerten Cyste zeigt, dass das Ova- 
rium von hinten nach vorne einmal um sein Ligamentum 
und die Tuba herumgedreht wurde. Die linke Uterushälfte 
höher stehend. 

c) Das linke Ovarium ist zu einem 9” langen und 7” 
breiten, elliptischen, an seinem inneren Ende schmäleren, am 
äusseren breiteren Tumor verwandelt, dessen Oberfläche ge- 
lappt, uneben höckerig erscheint. Seine Consistenz ist mit 
Ausnahme kleiner, oberflächlich gelagerter Cysten überall 
derb. Am Durchschnitte erscheint dasselbe an der Peripherie 
weisslich oder gelbröthlich, faserig oder homogen, hie und 
da von kleinen hanfkorn bis haselnussgrossen, glattwandigen 
Höhlen durchsetzt. Central ist eine eiförmige, ein und einen 
halben Zoll lange, und einen Zoll breite, durch einspringende, 
halbmondförmige Leisten getheilte, glattwandige Höhle ein- 
gelagert, unterhalb welcher (gegen den Hilus des Ovariums) 
der Tumor weicher wird, und die Schnittfläche mehr den 
Anblick eines von grösseren und kleineren Hohlräumen durch- 
setzten Maschenwerkes acquirirt; die Tuba ist verlängert. 


— 234 -— 


Das rechte Ovarium hiebei in eine 7” lange und 3” 
breite, gelappte ähnliche Geschwulst verwandelt, welche in 
der Excavatio recto-uterina lagernd mit dem degenerirten, 
linken Ovarium verwachsen ist. Der Uterus verlängert, seine 
Höhle verengt, sein Fundus nach vorne geneigt. 

d) Das rechte Ovarium ist zu einer colossalen einkäm- 
merigen Cyste verwandelt, welche die Gedärme nach links 
und rückwärts, das Zwerchfell mit Verengerung der Brust- 
räume bedeutend nach aufwärts drängte, und überdiess 
in seiner ganzen Ausdehnung mit der Bauchwand verwachsen 
war; die rechte Hälfte des vergrösserten und dichwandigeren 
Uterus höherstehend. 

Tuba. 

Ausser der vorerwähnten Verlängerungen der Tuben 
im Gefolge von cystoider Entartung der Eierstöcke, sind noch 
erwähnenswerth Cystenbildungen, welche sich entweder 
zunächst des Fransenendes, oder 1 bis 11,” von demselben 
entfernt, vorfanden. Dieselben waren höchstens bohnengross, 
und mit einem dünnen, fadenförmigen */,” langen Stiele ver- 
sehen. Einmal waren die Tuben in Pseudomembranen ein- 
gebettet, und einmal Cysten nachweisbar, ausgehend vom 
Parovarium. 


H. Knochensystem. 

1. Schüdel. 

Als erwähnenswerthe Anomalien am Schädel sind fol- 
sende hervorzuheben. 

a) Dolichocephalus, mit Verknöcherung der Pfeil- 
naht, welcher entsprechend eine wulstige Hervorragung sich 
vorfindet. 

b) Asymetrie des Schädels durch in die Lambda- 
naht eingelagerte Schaltknochen. 

c) Persistenz der Stirnnaht. Zweimal. 

d) Usurder inneren Schädeltafel, in Form ver- 
schieden grosser, meist rundlicher, bis an die äussere Tafel 
reichender, grubiger Vertiefungen, welchen entsprechend der 


— 235 — 


Knochen durchscheinend wurde, oder als Vertiefung und Ver- 
breiterung der Furche fiir die Arteria meningea media der- 
art, dass selbst die äussere Schädeltafel stellweise mehr ge- 
wölbt, und auffällig verdünnt erschien. 

e) Fractura cranii. Bei einem 60jährigen Tag- 
löhner zeigte die Untersuchung einen Bruch des Schädels, 
welcher sich vom rechten oberen Augenhöhlenrande nach ein- 
wärts durch die obere Orbitalwand bis zum linken Processus 
clinoideus posticus erstreckte, nach aus- und aufwärts sich 
theilend bis zur Stirne und Schläfe reichte. Der rechte Ober- 
kieferkörper mehrfach gebrochen, wobei ein Sprung durch 
die Fossa canina, das Foramen infraorbitale, und die untere 
Augenhöhlenwand sich fortsetzt. Der Jochbogen an seinem 
vorderen und hinteren Ende abgebrochen. 

f) Puerperales Osteophyt. In allen Fällen des 
Puerperalprocesses zeigte sich die innere Schädeltafel beson- 
ders der Stirn- und Seitenwandbeine mit einer zarten, leicht 
abhebbaren, fein porösen Knochenneubildung bedeckt. 

g) Osteome kamen zweimal zur Beobachtung, einmal 
bei Phthisis, einmal bei Endocarditis. Dieselben erreichten 
bis Erbsengrösse, waren deutlich an ihrer Basis halsähnlich 
eingeschnürt, und von auffälliger Derbheit. 

h) Syphilis eranii. Einen Zoll von der Kranznaht 
entfernt, befindet sich entsprechend der Vereinigung beider 
Stirnhälften ein bohnengrosser, trichterförmig gestalteter Sub- 
stanzverlust im Knochen, dessen Umgebung etwas sclerosirt 
erscheint. — Der Substanzverlust im Knochen war ausge- 
füllt durch eine von der Dura mater und der Beinhaut her- 
vorwuchernde gelbkäsige Masse. Bei einem zweiten Falle war 
der Befund folgender: Der Gehirnschädel oval. Stirnnaht 
vorhanden. Die Oberfläche des Schädeldaches ist uneben, 
höckrig, besonders über dem rechten Stirn- und linken Sei- 
tenwand-Beine woselbst sich zahlreiche grössere und kleinere, 
unregelmässige, mit glatter Oberfläche versehene Vertie- 
fungen oder unregelmässig verästigte sternförmige Ausgra- 
bungen vorfinden, in deren Umgebung die Knochensubstanz 


ag oe 


verdickt ist. Unterhalb des rechten Stirnhöckers ist ein 
dreieckiger, nicht ganz einen Centimeter langer, mit schar- 
fen Rändern versehener, und entsprechend dem unteren 
vorderen Winkel des linken Seitenwandbeines, ein rundlicher 
1, Cm. langer Substanzverlust im Knochen, welche beide 
nur durch die Dura mater und Narben der weichen Schädel- 
decken verschlossen sind. In der nächsten Umgebung dieser 
Substanzverluste ist der Knochen verdünnt, weiterhin ge- 
winnt derselbe jedoch an Dicke, welche die Norm weit über- 
trifft. Die Gesichtsknochen liefern trotz des Alters des 
Individuums (59 Jahre) den Befund einer hochgradigen Atro- 
phie, wie sie sich erst im hohen Alter ergibt; sie sind nämlich 
sämmtlich verschmächtiget, verdünnt, besonders Ober- und 
Unterkiefer geschwunden, die Alveolarfortsätze fehlen, das 
Kinn weit vorstehend. Die Gelenksverbindung zwischen 
Atlas und Hinterhaupt ist vollständig anchylosirt. 

i) Von Neubildungen wurde einmal eine hasel- 
nussgrosse Epulis beobachtet, welche sich vom Zahnfleische 
der linken Unterkieferhälfte erhob und durch seine bräunliche 
Färbung auszeichnete. 

2. Wirbelsäule. 

a) Luxation des Epistropheus bei einem siebzehn- 
jährigen Mädchen nach Zerstörung des bändrigen Apparates 
mit Compression des Rückenmarkes. 

b) Anchylosis zwischen Atlas und Hinterhaupt. 

c) Verkrümmung der Wirbelsäule erschien als 
bogenförmige nach rückwärts, mässigen Grades, im hohen 
Alter; hingegen waren seitliche Verkrümmungen häufiger zu 
constatiren, obgleich dieselben keinen besonders: hohen Grad 
erreichten; in der Mehrzahl waren dieselben beim weiblichen 
Geschlechte nachweisbar, und entweder durch asymetrische 
Beckenformen oder Rachitis bedingt. Hochgradige seitliche 
Verkrümmung combinirt gleichzeitig mit Krümmung der Wir- 
belsäule nach rückwärts ergab sich in zwei Fällen in welch 
beiden, namentlich dem einen, eine bedeutende Verengerung 
des Beckens sich vorfand. Die beiden erwähnten Fälle be- 


— 237 — 


treffen Gebärende und musste bei einer derselben wegen 
Beckenenge die Sectio caesarea vorgenommen werden. 

3. Brustkorb. 

Als bemerkenswerthe Veränderungen sind einerseits die 
Misstaltungen desselben bei den hochgradigen Verkrümmungen 
der Wirbelsäule, ferner die langen schmalen Thoraces der 
Phthisiker anzuführen. Besonderes Interesse bot der Befund 
eines bejahrten Mannes, dessen Brustbein sich, seinem Kör- 
per entsprechend, beträchtlich verdickt, und schwach S-förmig 
verkrümmt zeigte. 

4. Becken. 

Die meisten der anzuführenden Anomalien gehören dem 
weiblichen Geschlechte an, und sind Gebärenden entnommen. 

a) Niedriges Becken mit weitem Schambogen; Becken- 
eingang kartenherzförmig, starkes Hereinragen des Promon- 
torinms, der rechte Kreuzbeinflügel ist mehr vorgeschoben ; 
die Symphysis ossium pubis um 1” aus der Mittellinie nach 
links verschoben. Die Durchmesser am Beck eneingange 
sind verkürzt. Die Conjugata misst 3Y,”, der Querdurch- 
messer 4!/”, der rechte schräge Durchmesser 4Y,”, der 
linke 41/,”. — Im Beckencavum beträgt der gerade Durch- 
messer 4” 1”’, dem Beckenausgange 4” 4’”, der Querdurch- 
messer nicht ganz 4”, 

b) Schiefes Becken. Verkrümmung der Lenden- 
wirbelsäule nach rechts. Linke Beckenhälfte höher stehend. 
Torsion des Kreuzbeins nach vorne rechts. Starkes Herein- 
ragen des Promontorium, die linke Beckenhälfte weniger in- 
clinirt. Der rechte Kreuzbeinflügel 1” 2”, der linke 1” 7”. 
Durchmesser am Beckeneingange: Conjugata 31%”, 
Querdurchmesser 4°%,”, die schrägen 4%,”. Im Beckencavum 
der gerade Durchmesser 4” 8”. Am Beckenausgang 4” 
3”, Querdurchmesser 4” 1’’”. Der Kanal des Kreuzbeines 
wegen Mangel der Wirbelbogen nach hinten offen. 

c) Schiefes weites Becken. Lordotische Krüm- 
mung der Lendenwirbelsäule. Die rechte Beckenhälfte höher 
stehend; weiter Schambogen, Symphysis ossium pubis aus 


— 238 — 


der Mittellinie nach links verschoben, Beckeneingang querel- 
liptisch. Der rechte Kreuzbeinfliigel 11/,”, der linke 2”. 
Synchondrosis sacro iliaca knorpelig. Durchmesser am Becken- 
eingange: Conjugata 3°%/,”, Querdurchmesser 5’ i1’”’, der 
rechte schräge 5” 7’, der linke 5” 3”. In der Becken- 
höhle. der gerade Durchmesser 4” 7’’, Beckenausgang 4” 4", 

d) Symetrisches Becken. Beckeneingang ent- 
sprechend der Conjugata elliptisch. Durchmesser im Becken- 
eingang: Conjugata 41,” Querdurchmesser 4”, die schrägen 
A” 3”. In der Beckenhöhle gerader Durchmesser 4” 9”. 
Beckenausgang 4” 4”. (Querdurchmesser im Beckenraum 
4” 1", Beckenausgang 3°%,”. Es sind die geraden Durch- 
messer alle verlängert, die queren hingegen verkürzt. 

e) Niedriges Becken. Eingang kartenherzförmig, die 
queren und schrägen Durchmesser verkürzt. Conjugata am 
Beckeneingange 4”. Querdurchmesser 4” 9”’, der rechte 
schräge 4” 9”, der linke 4” 6”. Im Beckencavum der ge- 
rade Durchmesser 4” 3/”, der Querdurchmesser 4” 7”, 
Beckenausgang und gerader Durchmesser 4” 1’””, der quere 
Aft SR | 
f) Niedriges Becken. Sämmtliche Durchmesser ver- 
grössert. Beckeneingang Conjugata 4” 6”’, Querdurchmesser 
51”, der rechte schräge 5” 2’, der linke 5” 3”, Im 
Beckencavum der gerade Durchmesser 4’ 9”, der quere 
5” 4”, Beckenansgang gerader Durchmesser 4” 9’, der 
quere 41/,”. 

g) Schiefes Becken. Die linke kleinere Hälfte steht 
höher, die Symphysis ossium pubis ist nach rechts verscho- 
ben, der Beckeneingang. erscheint querelliptisch; aie rechte 
Hälfte ist mehr inclinirt. Beckeneingang: die Conjugata 3” 
1°, Querdurchmesser 5“ 3’, rechter schräger 4‘ 11°, 
linker 5‘ 3°. Der Abstand der linken Pfanne vom Pro- 
montorium 3° 3°, jener, der rechten Pfanne 3° 8°; der 
gerade Durchmesser in der Beckenhöhle 4' 4‘, am Becken- 
ausgang 3//,‘’,, der Querdurchmesser in Beckencavum 5‘ 
2‘, am Ausgang 4° 4°. Es ist also die Conjugata und 


u a 


der rechte schräge Durchmesser verkürzt, der Querdurchi- 
messer, linke schräge und rechte 'Stenochorde verlängert; 
hiebei der rechte Oberschenkelknochen 3‘ unterhalb des 
grossen Trochanters verdiekt und nach vorne und aussen 
gebogen, um 3 Mm. verkürzt. 

h) Schiefes und enges Becken. Eingang nieren- 
förmig, linke Beckenhälfte höher stehend, rechtes Darmbein 
weiter nach aussen gerichtet, grösser; der linke Sitzknorren 
mehr herausgezerrt. Flacher Schambogen. Krümmung der 
Lendenwirbelsäule nach vorne und links. Im Beckeneingange 
Conjugata 2° 2°, Querdurchmesser 4‘ 2’, rechter schräger 
4‘, linker 4° 2°. Abstand der Pfanne vom Promontorium 
links 1° 8’, rechts 2’ 2“. Im Beckencavum gerader 
Durchmesser 3° 3’, am Ausgang 4’ starkes Zurückweichen 
des Kreuzbeinendes. @Querdurchmesser in der Beckenhöhle 
4 2%, Ausgang 4’ 1°, der linke Kreuzbeinflügel i‘ 
breit, der rechte 1’ 4‘ (Sectio caesarea.) 

i) Geheilter Bruch der rechten Beckenhälfte. 
Von der rechten Beckenhälfte ist ein, die Spina anterior 
superior et inferior, den oberen Pfannentheil, und ein Stück 
des horizontalen Schambeinastes enthaltender 4/,‘ langer, 
dem Darmbeine entsprechend 2° breiter, an Letzterem. win- 
kelig geformter Knochenantheil abgebrochen ; derselbe : ist 
nach ein- und aufwärts gerückt, mehr horizontal‘ gestellt, 
und mit seinem, dem Darmbeine entsprechenden Antheile, 
über die innere Fläche des hinteren Darmbeinantheiles. hin- 
übergeschoben und daselbst, sowie das vordere Ende mit dem 
horizontalen Schambeinaste durch compacte Knochenmasse 
vereinigt. Nur das’obere Pfannenstück bleibt von dem unte- 
ren, durch eine 2" lange und 1'/,‘‘ breite klaffende ‚Lücke 
getrennt, welche durch derbe, schwielige Bindegewebsmasse 
verschlossei ist. Die von der Pfanne gebildeten Begränzungs- 
ränder der erwähnten Lücke sind üunregelmässig zackig. 
Durch die oberwähnte Dislocation des abgebrochenen Kno- 
chenstückes erscheint die innere Fläche des rechten Darm- 
beines, in ihrem ‘vorderen Antheile der Concavitaet verlustig, 


— 240 — 


vielmehr mit einem flach-convexen nach hinten etwas spitz 
auslaufenden Knochenwulste bedeckt, dessen Oberfläche glatt, 
und nur an den Rändern stellenweise porös erscheint. Der 
gegen die Beckenhöhle gewendete freie Rand desselben, wel- 
cher die Linea arcuata vertritt, und von der Synchondrosis 
sacro iliaca dextra in ziemlich gerader Richtuug zum Tuber- 
culum pubicum dextrum zieht, ist theilweise abgerundet, theil- 
weise mit stumpf konischen, vorspringenden Knochenzacken 
versehen. Die äussere Darmbeinfläche zeigt deutlich in ihrem 
vorderen unteren Abschnitte das nach Aufwärtsgedrängt- 
sein des abgebrochenen Knochenstückes, sowie eine Ver- 
dickung und theilweise Abrundung oder zackige Knochen- 
bildung der einstigen Bruchfläche. Der Rest der Gelenks- 
pfanne erscheint vergrössert, um ‘/,‘’ nach einwärts gedrängt, 
und durch Verknöcherung des Limbus cartilagineus und 
Wucherung des Pfannenrandes bedeutend vertieft. Durch die 
erwähnten Veränderungen erfahren der Beckeneingang, sowie 
die Beckendurchmesser wesentliche Abweichungen. Ersterer 
zeigt, wegen Hereinragen des verschobenen Knochenstückes 
eine asymetrische Form, da die gekrümmte Linie dieser Seite 
durch eine gerade verlaufende ersetzt wird; bezüglich der 
Durchmesser ergibt sich eine Verkürzung des queren am 
Beckeneingange um %/,‘’, in der Beckenhöhle um !/,‘', ebenso 
ist der linke schräge Durchmesser verkürzt. 

k) Osteomalacisches Becken mit schnabelförmig 
vorspringender Symphysis ossium pubis, Einbiegung der hori- 
zontalen Schambeinäste, Näherung der Pfannen, mehr senk- 
rechter Stellung der Darmbeinkämme, deren innere Lamelle 
geknickt erscheint. Die Knochen sind auffällig weich und 
biegsam. (45 Jahre alte Pfründnerin, gestorben an Lungen- 
und Darm-Phthise. ) 


3. Extremitäten. 
Von den Abweichungen, die sich an den Extremitäten 
vorfanden, sind erwähnenswerth: 


a) Verkrümmungen. Hieher sind zu beziehen: der 


SO 


sub 4. g) erwähnte Fall der Verkrümmung der oberen Hälfte 
des rechten Oberschenkels; ferner nachstehender Befund: 
Die Oberschenkelknochen sind bedeutend verkürzt; der 
rechte 81/2”, der linke 9” lang; sie sind plump, der rechte 
mehr gleichmässig rund, der linke gekrümmt. Die beiden 
Schenkelköpfe stehen unterhalb des Niveau des grossen Tro- 
chanters, ihr Hals ist kurz und unter einem rechten Winkel 
mit dem Trochanter vereinigt. Die Condylen sind. auffällig 
niedrig, aber verbreitert, beide fast gleich hoch, die Fossa 
der Patella demgemäss gleichfalls sehr niedrig; die Fossa 
poplitea ist enge und tief. Das untere Gelenksende beider 
Oberschenkelknochen hat noch insoferne eine abnorme Stellung, 
als der äussere Condylus nach hinten, der innere nach vorne, 
die Fossa der Patella nach aussen, die Fossa poplitea nach 
innen gewendet ist, oder bei normaler Stellung der Condylen, 
der grosse Trochanter nach vorne, der Gelenkskopf nach 
rückwärts gekehrt erscheint; hiebei macht sich am Mittel- 
stücke des Knochens durchaus keine Drehung desselben be- 
merkbar; nur ist eben die Linea aspera femoris bei normaler 
Stellung der Gelenksköpfe zur Pfanne nicht an der Rückseite 
des Knochens aufzufinden, sondern ist dieselbe nach einwärts 
gerückt. Die Tuberositas Condyli interni ist beiderseits stark 
entwickelt. Ein Halbirungsschnitt des Knochens zeigt die 
Rindenschichte an der Vorderseite des Knochens, im Mittel- 
stücke 4 Mm., an der Rückseite 7 Mm. dick sclerosirt. Die 
betreffenden Unterschenkelknochen sind seitlich, schwach S-för- 
mig gekrümmt, die rechten 25”, die linken 251/2” lang. Die 
Füsse sind klein, wegen veränderter Stellung der Kniegelenke 
(nach aussen) stark auswärts gerichtet. Es ergibt sich hieraus 
ein bedeutendes Missverhältniss zwischen Ober- und Unter- 
schenkelknochen (8—9” zu 25”); ferner findet auch durch 
die veränderte Richtung der Kniegelenke der eigenthümlich 
watschelnde Gang seine Erklärung, zu welchem wohl auch 
die Kleinheit und geringe Vertiefung der Hüftgelenkspfanne 
beigetragen haben mag. Zu berücksichtigen ist endlich auch 
noch die geringe Körperentwicklung. Die betreffende Person 


— 242 — 


(Magd, 22 Jahre) mass nur 46”. Das Becken zeigte sich 
beträchtlich verengt (siehe 4. h) und musste desshalb wie 
erwähnt die Sectio caesarea vorgenommen werden. 

b) Von Fracturen sind zu bemerken: ein complicirter 
Bruch des rechten Oberschenkelknochens, sowie ein geheilter 
‚Bruch der rechten Tibia. 

c) Hyperostosis liess sich ermitteln zweimal an der 
Tibia, welche durch Knochenauflagerungen beträchtlich ver- 
dickt, abgerundet, plump mit rauher Oberfläche versehen er- 
schien; 1mal fand sich ein ähnlicher Befund an den oberen Ex- 
tremitätknochen vor. Bedingt waren jene Veränderungen durch 
Syphilis. 

6. Gelenke. 

Die Gelenkserkrankungen bestanden in: 

a) Hygroma cysticum praepatellare. Es wurden 
zwei derartige Fälle beobachtet, in welchen über dem rechten 
Kniegelenke eine flachrundliche, von verdickter Haut bedeckte, 
über wallnussgrosse Geschwulst sich vorfand, die sich als 
Cystendegeneration des praepatellaren Schleimbeutels erwies. 
Die Wandungen der Cyste erschienen bei 5 Mm. dick, ihre 
Innenfläche mit zottigen Wucherungen versehen, deren ein- 
zelne mit ziemlich langen, dünnen Stielen versehen waren. 
Den Inhalt bildete eine wasserhelle, fadenziehende, in einem 
Falle mit freien Körpern gemengte Flüssigkeit. 

b) Luxation. Hievon kamen zwei Fälle zur Unter- 
suchung. Der eine betraf einen 7ljährigen Mann, der: an 
Pneumonie starb und an dessen linkem Schultergelenke sich 
die Erscheinungen früher bestandener Luxation vorfanden; die 
Gelenkskapsel zeigte nach vorne und unten eine über 1” 
lange, mehr spaltförmige, mit verdickten Rändern versehene 
Oeffnung, einstiger Riss der Kapselwand, durch welche man 
in eine kleine Höhle gelangte, deren Wandungen glatt, an 
einer Stelle Knochenneubildungen einschlossen. Der zweite 
Fall war eine Subluxation der grossen Zehe. Dieselbe war 
in schräger Richtung über die zweite und dritte Zehe herüber- 
gelagert; die erste Phalanx derselben war über den inneren 


Se 


Rand des Capitulums des betreffenden Metatarsusknochens 
nach einwärts verschoben, und ihre Gelenksfläche der schiefen 
Stellung entsprechend abgeschliffen. Die innere Seite des 
Gelenksendes des Metatarsusknochens der grossen Zehe war 
durch eine Knochenneubildung, entsprechend dem hervorra- 
gendsten Punkte, unförmlich verdickt. 

c) Resection der Gelenksenden des Ellbogenge- 
lenkes kam Imal zur Beobachtung. 

d) Acute Gelenksentzündung fand sich Imal im 
Gefolge des Typhus vor und hatte dieselbe Ellbogen und 
Kniegelenke ergriffen. 

e) Chronische Entzündung der Gelenke. Die- 
selbe betraf die verschiedeusten Gelenke; so wurden in einem 
Falle fast sämmtliche Gelenke, selbst jene der Fingerglieder 
mit den Erscheinungen der chronischen Entzündung behaftet 
angetroffen; die Gelenkskapsel war verdickt, desgleichen die 
Synovialmembran, welche namentlich an den kleineren Ge- 
lenken sich schiefergrau gefärbt zeigte; hie und da war es 
zu membranösen Verbindungen der Gelenksenden gekommen. 
Häufiger waren die Befunde der Arthritis chronica deformans 
im Knie-, besonders Hüftgelenke. Hiebei waren wesentliche 
Missstaltungen des Gelenkkopfes durch Abplattung und Kno- 
chenwucherung, Usur des Knorpels, zottige Wucherung der 
Synovialmembran oft in sehr beträchtlicher Menge, sowie’ freie 
Körper von über Taubeneigrösse nachweisbar. 


I. Muskelsystem. 


Als pathologische Zustände im Muskelsystem kamen nur 
Entzündungsprocesse zum Nachweise, und zwar als acute 
6mal. 5 hievon entfallen auf Puerperalprocesse, der sechste 
betraf einen 15jährigen Fleischerjungen, welcher nach erfalg- 
tem Sturze an Lungenentzündung starb. Bei demselben zeigte 
sich der linke Psoasmuskel in seiner ganzen Ausdehnung ge- 
schwellt, erbleicht und seine Muskelbündel durch Eiter aus- 
einandergedrängt, welcher selbst stellenweise in unregelmässig 
begrenzten Hohlräumen eingeschlossen erschien. 


— 244 — 


Zu den chronischen Entzündungsformen ist jener Fall 
hinzuzurechnen, bei welchem nächst der Verdickung des Pe- 
ritoneums ausgedehnte Schwielenbildung in der Bauchmusku-- 
latur nachweisbar. / 


KX. Puerperalprocess. 

Von puerperalen Erkrankungen sind 30 Falle zu ver- 
zeichnen, welche am häufigsten in den Monaten Februar und 
März zur Beobachtung kamen, und Frauenspersonen im Alter 
zwischen 20 und 30 Jahren betrafen. 

Bei Allen liessen sich an der inneren Schädeltafel der 
Stirn und Seitenwandbeine zarte, leicht ablösbare, bald mehr, 
bald weniger blutreiche, blassviolette, fein poröse oder schwam- 
mige Osteophyten nachweisen, und erschien dem entsprechead 
die äussere Fläche der Dura mater mit einer zarten vascu- 
larisirten oder gallertigen Bindgewebsschichte bekleidet. 

Das Gehirn und seine Häute erwiesen sich in mässigem 
Grade hyperämisch. 

Die Brusträume waren meist; durch hohen Zwerchfells- 
stand, wegen Ausdehnung der Bauchhöhle, von unten her 
verengt, in 10 Fällen eitriges Exsudat daselbst angesammelt; 
hiebei war das Rippen- und Lungenfell mit einer fibrinösen 
Exsudatschichte bekleidet. Die; Menge des Exsudates ge- 
wöhnlich keine sehr beträchtliche. Die hinteren Antheile der 
unteren Lungenlappen boten das Bild der hypostatischen Hy- 
perämie; nur imal war Pneumonie zugegen. 

Das Herzfleisch erschien regelmässig erschlafft, von fahler 
bräunlicher Farbe. die Ventrikel mit dunklem flüssigen oder 
gestockten Blute erfüllt. Einmal liess sich Insufficienz der 
zweizipflichen und Aorten-Klappen mit Stenose der Ostien 
ermitteln. Die Entzündung des Bauchfelles mit eitrigem Ex- 
sudate, welche sich in 22 Fällen constatiren liess, verbreitete 
sich entweder über das ganze Bauchfell oder war beschränkt 
auf die Umgebung, des Uterus. Das Peritoneum erschien 
hiebei blassroth injicirt, die ausgedehnten Dünndarmschlingen 
durch Exsudat mit einander verklebt. 


— 245 — 


Die Leber zeigte sich regelmässig erschlafft, von ocker- 
gelber Farbe und enthielt Imal einen kleinen Tumor caver- 
nosus. Die Milz war geschwellt, blutreich, 1mal mit einem 
gelbröthlichen keilförmigen Infarcte versehen. 

In den meist ausgedehnten und mit gallig gefärbter 
Flüssigkeit oder Schleim erfüllten Magen war 1mal Erwei- 
chung seines Grundes, imal hämorrhagische Errosionen zu- 
gegen, und bildete in diesen Fällen eine schwarzbräunliche 
Flüssigkeit oder bräunlich gestriemter Schleim den Magen- 
inhalt. 

Die Schleimhaut der Gedärme, welche sich zumeist etwas 
geschwellt, aber bleich zeigte, war in einem Falle mit crou- 
pösem Exsudate im Dünndarme, 1mal mit diphtheritischen 
Schorfen im Dickdarme versehen. 

Fast in jeder Puerpera-Leiche waren im Dünndarme, oft 
bis zu 12, Ascaris lumbricoides, im Dickdarme zahlreiche 
Trichocephali aufzufinden. 

Die Nieren waren vergrössert durch Schwellung der 
Rinde, welche schlaffer und bleicher erschien, beim Durch- 
schneiden einen trüben Saft entleerte und oberflächlich deut- 
lich die erweiterten Harnkanälchen als weissgelbliche netz- 
förmige Zeichnungen erkennen liess. In einem Falle war 
die Rinde hyperämisch und von kleinen Eiterherden durch- 
setzt; Imal enthielt dieselbe ein kleines Fibrom. In 7 Fällen 
erschien die Schleimhaut des Nierenbeckens geröthet und ge- 
schwellt, letzteres mit trüb eitriger Flüssigkeit erfüllt. Die 
Harnblasenschleimhaut war in vier Fällen catarrhalisch ge- 
schwellt und geröthet. 

In allen untersuchten Fällen war der Uterus nahezu 
kindskopfgross; seine Wandungen bei %,” dick, meist schlaf, 
blassröthlich gefärbt, von erweiterten Gefässen durchzogen. 
Seine Innenfläche zeigte sich missfärbig, mit zerfallenden De- 
ciduaresten bekleidet, in Form eines Breies leicht abstreifbar. 
Die angrenzende Muskelsubstanz blutig imbibirt oder blass. 
In 3 Fällen konnten in der Uterussubstanz Eiterherde nach- 
gewiesen werden. 

Naturw.-med. Verein. 20 


— 246 — 


Die Placentarinsertionsstelle war in 3 Fallen an der 
vorderen Uteruswand, imal hatte dieselbe einen tieferen Sitz 
an der hinteren Wand. 

Entzündung und Thrombose der Lymphgefässe des 
Uterus vervollständigte m 20 Fällen den puerperalen Befund. 

Diphtheritis der Vaginalportion des Uterus, sowie der 
Vaginalschleimhaut fand sich 1mal vor; ebenso wurde 1mal 
ein puerperales Geschwür am Scheideneingange nachgewiesen. 

Von Neubildungen wurden 3mal Fibrome bis zu Nuss- 
grösse aufgefunden, welche sich etwas geröthet und succu- 
lenter als gewöhnlich zeigten. 

Die Ovarien waren stets vergrössert, ihre Oberfläche 
geröthet, ihr Parenchym saftiger, in der Nähe des Hilus oft 
von Eiterherden durchsetzt; das betreffende Schwangerschafts- 
Corpus luteum war überwiegend im rechten Ovarium anzu- 
treffen. In einem Falle waren im linken Ovarium mehrere 
kleine rundliche, mit klarem Serum erfüllte Cysten. Ein 
andermal war das rechte Ovarium vergrössert, eine kleinapfel- 
grosse rundliche Cyste enthaltend, welche mit einem gelb- 
lichen, starren, von feinen hellbraunen Haaren durchsetzten 
Fette erfüllt war. Die Cystenwandungen zeigten verschieden 
grosse Inseln von Hautneubildungen (Dermoideyste). Ver- 
eiterung der Lymphdrüsen längs der Lendenwirbelsäule wurde 
3mal, Abscesse in den Muskeln 5mal beobachtet, und zwar: 
a) in den Muskeln unterhalb des rechten Kniegelenkes, b) in 
beiden oberen Extremitäten (den Pronatoren), c) in der 
Beckenmuskulatur und den oberen Extremitäten, d) in den 
Muskeln des rechten Oberschenkels, e) an verschiedenen 
Körperstellen. 

Decubitus fand sich vor: 1mal über den Trochanteren 
und Kreuzbein, imal nebstdem noch über den Dornfortsätzen 
der Wirbel und über den Schultern. 

Von besonderem Interesse waren die Abweichungen, 
welche sich am Becken ermitteln liessen. Fast in allen unter- 
suchten Fällen war eine Abweichung vom Normalzustande, 
in bald grösserem, bald geringerem Grade erkennbar. Ent- 


— 241 — 


L) 


weder waren die Beckendurchmesser alle verkürzt oder ver- 
längert, oder es machte sich diess Verhältniss, und zwar 
überwiegend, nur für einzelne derselben geltend. Es erschienen 
demnach die Beckenformen symmetrisch oder asymmetrisch. 
Der Beckeneingang war entweder herzförmig oder im Längs- 
oder Querdurchmesser elliptisch. Die Beckenformen näherten 
sich umsomehr den rhachitischen, als dieselben überdiess in 
vielen Fällen auffällig niedrig, mit erweitertem Schambogen 
versehen waren. Sehr häufig zeigte sich die Symphysis ossium 
pubis aus der Mittellinie nach links abweichend; der rechte 
Kreuzbeinflügel oft um 4” kürzer als der linke, ohne dass 
eine Verknöcherung der Synchondrosis sacro-iliaca vorhanden 
war. Das Promontorium sprang in vielen Fällen stark vor, 
und zeigte. die Wirbelsäule oft eine schwache, seitliche 
Verkrümmung. In einzelnen Fällen wurden auffällig breite 
Lendenwirbel beobachtet. Eine bedeutende seitliche Ver- 
krümmung der Wirbelsäule, ist nur für zwei Fälle zu ver- 
zeichnen, ebenso ist bemerkenswerth ein Fall mit ausgezeichnet 
schiefen Becken, bei welchem eine Verkürzung des rechten 
Oberschenkelknochens constatirt werden konnte, die durch 
eine Krümmung des oberen Antheiles desselben (geheilte In- 
fraction) bedingt war, während alle übrigen Knochen das 
normale Verhalten zeigten, ferner ein Fall mit bedeutender 
Beckenenge. 
Eine übersichtliche Zusammenstellung der verschiedenen 

Abweichungen der Beckendurchmesser ergibt Folgendes: 

Conjungata Querdurchmesser rechter schräger linker schräger D. 

ag u Au Duss Du On 4" Dans 

3" Bi 4 1109 4“ (De 4“ (1000 

3" dou Alt afc 4" add A 4 

ae a {Ua ye 6“ AS Qi 5M 

IL 94 Ae 10° As Au Add nu 

3 gil 4" 91 4“ eee un Qua 

3h 10° Bi 3 4 109° 5M 109 

4“ 54 sin 5M 1 ak 4'' 6 

Aug 2 54 nu 5M Bid 1 

20 * 


SOAR a= 


Conjugata Querdurchmesser rechter schräger linker schräger D. 

4" Bild 4“ Ze Au yee A nu 

4" Bil 4” 10° 4" 6 4" 9144 

4. uud Id OU 54 1 Arch 11‘ 

4“ 6‘ 54 11000 5 4° 94 

4'' gu 59 4" git 4“ gis 

Erwähnenswerth ist noch der Befund einer 22jährigen 

Magd, bei welcher wegen bedeutender Beckenenge die Sectio 
caesarea vorgenommen werden musste. Die ganze Körper- 
länge derselben mass 46°. Die Oberschenkel waren auffäl- 
lig verkürzt, die Knie nach aussen gerichtet. Beckendurch- 
messer: Conjugata 2’ 2‘, Querdurchmesser 4‘ 2°, rechter 
schräger 3° 9‘, linker 4‘ 2“. Die Veränderungen an 
den Oberschenkel- und Unterschenkel-Knochen, sind im Kapitel 
Knochen sub a erwähnt. 


L. Septicaemie. 


Die Fälle von Septicaemie ergaben nachstehende Ver- 
änderungen: Icterische Färbung der Haut, Blasenbildung der 
Epidermis (bei einem complicirten Knochenbruche) oder Blut- 
austritt in das Unterhautzellgewebe, einmal eitrige Pleuritis 
ferner Ansammlung misfärbigen, röthlichen Serums in den Brust- 
räumen. Die Lungen zeigten Hypostasen in den hinteren 
Antheilen der Unterlappen, einmal Infarctbildung. Das Herz 
enthielt dunkelrothes, meist flüssiges fibrinarmes Blut; einmal 
erschien dasselbe theerähnlich eingedickt. Entzündung des 
Bauchfelles ergab sich einmal im Verein mit gleichzeitiger 
Pleuritis. Die Milz war jedesmal geschwellt und auffällig 
weich. Vereiterung der Lymphdrüsen konnte einmal con- 
statirt werden. 


M. Syphilis. 
An der allgemeinen Decke fanden sich entweder Narben 


vor, oder es zeigte, wie in emem Falle, am Halse und den 
oberen Extremitäten, die Haut sich braunroth, diffus oder um- 


— 249 — 


schrieben gefleckt, mit bräunlichen Borcken bedeckt, zwischen 
welchen die Epidermis sich kleienähnlich abschilferte. Am 
Vorderarme war inmitte der so veränderten Hautstellen, noch 
normale Haut eingeschlossen, die Ränder der bräunlichgefärbten 
nnd mit Borcken bedeckten Parthien in weissliche Narben 
übergehend. Die Schleimhäute ergaben zunächst an den 
Genitalien Narbenbildung, einmal einen Defect des weichen 
Gaumens, und einmal Geschwürsbildung am Kehldeckel und 
den Stimmbändern. In Betreff des Knochensystems war 
in zwei Fällen Zerstörung der Schädelknochen nachweisbar, 
in welchen der vorhandene Defect durch die verdickte Dura 
mater und Beinhaut verschlossen wurde. Einmal fanden sich 
ähnliche Zerstörungen an der Clavicula und den beiden 
Schulterblättern vor. Meist waren die langen Röhrenknochen, 
besonders die Tibia durch Knochenneubildung verdickt, un- 
förmlich plump geworden. Einmal jedoch war das Brustbein 
in ähnlicher Weise verändert. Veränderungen in den Ge- 
lenken liess sich nur in einem Falle nachweisen, in welchen 
fast sämmtliche Gelenke Entzündungserscheinungen, Usur des 
Knorpels darbothen. In den inneren Organen konnte 
einmal der Befund von Gliomen im Gehirn ermittel werden, 
welche zur Haemorrhagie, und sofort zum Tode führten, 
ferner einmal abnorme Lappung der Leber, endlich amyloide 
Degeneration der Leber, Milz und Nieren. Eiu Fall war 
besonders ausgezeichnet durch die Entwicklung eines vor- 
zeitigen Marasmus, Als Complicationen ergaben sich Lungen- 
phthise, Pneumonie, Verdickung der Herzklappen, sowie der In- 
nenhaut der Aorta, Uterusfibrom und tiefe Lage der Nieren. 


N. Carcinoma. 


Von den 8 untersuchten Fällen von Carcinom betreffen 
3 die Speiseröhre, je 1 den Magen, Leber, Trachea. Harn- 
blase und die Sexualorgane. Der Speiseröhrenkrebs 
führte Imal zum Durchbruch in den linken Bronchus und 
war lmal combinirt mit Magenkrebs, ferner mit Carcinom 


— 250 — 


der Leber, Lunge, Pleura, Peritoneum und Mesenterialdriisen. 
Der Krebs der Trachea, welcher ebenfalls auf den 
Bronchus übergriff, bedingte hiedurch eine Verengerung des- 
selben; der Harnblasenkrebs ist bemerkenswerth wegen 
seines Sitzes an der hintern Blasenwand; der Krebs der 
Leber war ausser den vorerwähnten Fallen Imal als se- 
cundärer zu beobachten nach Amputation einer krebsig ent- 
arteten Brustdrüse; als Krebs der Sexualorgane ist 
zu erwähnen eine krebsige Entartung des Uterus, welche 
denselben jedoch nicht, wie gewöhnlich, nur an der Vaginal- 
portion befallen hatte, sondern den ganzen Uterus gleichmässig 
betraf. Wie schon früher bei den einzelnen Organen erwähnt, 
waren nebst diesen primären Erkrankungsherden noch secun- 
dare nachweisbar, und konnte demgemäss Carcinom noch 
nachgewiesen werden in der Schilddrüse, Pleura, Lunge, 
Peritoneum und den Lymphdrüsen. 


0. Sarcom. 


Hievon sind 3 Eälle zu verzeichnen. 


a) Osteosarcoma centralis des Oberkiefers. 
Beide Gesichtshälften,, besonders die linke, sind beträchtlich 
verdickt und hiedurch eine Verzerrung des linken, gleich- 
zeitig nach vorne gedrängten Nasenflügels veranlasst; rechter- 
seits hingegen findet sich ausser der Anschwellung der Wange 
noch eine zwischen dem inneren Augenwinkel und Nasen- 
wurzel: gelegene, bis zum Nasenflügel dieser Seite herabrei- 
chende- flache, Anschwellung vor, durch welche der rechte, 
scheinbar tiefer stehende Bulbus nach aussen gedrängt wird. 
Die beiden Wangen fühlen sich derb an, und ist über den- 
selben die äusserlich unveränderte’Haut innig fixirt. In der 
rechten Parotisgegegend zeigt, sich, eine 35°” lange, 2™™ breite 
Schnittwunde, ‚von welcher aus man bei 5™™.in\ die Tiefe 
gelangt. Die. Anschwellung des Gesichtes ist bedingt, durch, 
eine in der Flügelgaumengrube Jagernde,: linkerseits ; Orange: 
grosse, derbe, weissliche, nach aussen ‚deutlich begrenzte und 


— 251 — 


von einer bindegewebigen Hiille umfasste Neubildung, welche 
auf der Schnittfläche deutlich fasrig oder feinlückig erscheint, 
und sich von feinen kleinen Knochenantheilen durchsetzt zeigt. 
Die erwähnte Aftermasse greift nach vorne in den Ober- 
kieferkörper über, denselben vollständig substituirend, und 
schliesst dem entsprechend auch den letzten Backenzahn ein; 
nach einwärts dringt dieselbe in den unteren Nasengang ein 
und verengert denselben theils durch Wulstung der degene- 
rirten Schleimhaut, theils durch Entwicklung eines etwa kirsch- 
grossen rundlichen Tumors, dessen Oberfläche feinhöckerig 
ist. An der unteren Fläche des Keilbeinkörpers vereinigt 
sich die Geschwulstmasse mit jener der anderen Seite, welche 
weniger entwickelt ist, jedoch gleichfalls in ähnlicher Form 
in den unteren Nasengang hereindrängt, nach aufwärts das 
Siebbein durchbricht und zur rechten Seite der Crista galli 
unterhalb der Dura mater in Form kleiner weicher Tumoren 
zu Tage tritt; von hier aus dringt sie in die Augenhöhle, 
den Bulbus, wie erwähnt, nach aussen drängend, und wuchert 
andererseits an der rechten Seite des Keilbeinkörpers mit 
kleinen, hanfkorngrossen, rundlichen, weichen Tumoren in die 
rechte mittlere Schädelgrube die Dura mater durchbrechend, 
welche daselbst, sowie in der vorderen Grube mit einer rost- 
braun pigmentirten Pseudomembran bedeckt ist. 

b) Epulis an der linken Unterkieferhälfte. (H, i,) 

c) Lymphosarcoma in der rechten Achselgegend. 
Bei einem 71jahrigen Taglöhner, welcher an Pneumonie ver- 
starb, fand sich eine von der rechten Achselhöhle bis zur 
Tten Rippe herabreichende, uneben höckrige, von unverän- 
derter Haut bedeckte, mässig weiche, weissliche, beim Durch- 
schneiden einen milchigen Saft entleerende Aftermasse vor. 


P. Tuberculosis. 


Die mit Tuberculose Behafteten gehörten dem jüngeren 
oder mittleren Lebensalter an; in allen Fällen war dieselbe 
als secundäre zu betrachten, indem sie sich zu bestehenden 


— 22 — 


käsigen Herden hinzugesellte; als solche ergaben sich am 
häufigsten verkäsende pneumonische Herde, oder Verkäsung 
des Bronchialinhaltes, der Bronchialdrüsen, der Drüsen des 
Darmkanales und Mesenteriums. Die miliaren Knötchen wur- 
den nachgewiesen in den Meningen, Larynx, Trachea, Pleura. 
Lunge, Peritoneum, Leber, Milz, Nieren und Uterus- 
schleimhaut. 


Bericht 


über die medicinische Klinik in Innsbruck im Solar- 
Jahre 1871 


von 


Dr. Th. Kölle, klinischem Assistenten. 


— 


Ich erstatte hiemit einen kurzen Bericht über die an der 
Klinik im Laufe des Jahres 1871 entlassenen Kranken, 
hauptsächlich um einen Einblick in die sanitären Verhältnisse 
Innsbrucks zu eröffnen, soweit sich derselbe aus der Ueber- 
sicht einer kleineren Krankenanstalt überhaupt entnehmen 
lässt. 

Innsbruck ist unter den Landeshauptstädten Oesterreichs 
im letzten Decennium mit der geringsten Sterblichkeitsziffer 
bezeichnet, und es ist meines Wissens über das Vorkommen 
epidemischer Krankheiten hierorts noch keine öffentliche Mit- 
theilung erfolgt. Eigenthümlich ist unter den klimatischen 
Verhältnissen vor Allem das Vorkommen des Föhn, ohne 
dass demselben hervorragende Einwirkungen zuzuschreiben 
wären. Die Grundwasserschwankungen sind leider nicht be- 
kannt, da die Stadt ihr Trinkwasser durch Leitungen aus 
dem Gebirge bezieht. Canalisation existirt für das Spül- 


— 254 — 


wasser, während die für die Excremente bestimmten Senk- 
gruben nur wenige Male des Jahres entleert werden. 

Behandelt wurden an der medieinischen Klinik im Jahre 
1871 595 Personen mit einem Mortalitätspercent von 13:5. 

Typhus liefert im Vergleich mit ähnlich grossen Alpen- 
städten nur wenig Material. Im Jahre 1868 waren nur 
15 Fälle, kein Todesfall; 1869 18 Fälle, 1 Todesfall; 1870 
13, 1 Todesfall; 1871 11, 1 Todesfall, somit in den letzten 
4 Jahren nur 57 Fälle mit dem Mortalitätspercent 53, und 
darunter war der im Jahre 1871 tödlich verlaufene Fall ein 
in der dritten Krankheitswoche mit Darmblutungen über- 
brachter Engländer, der auf der Reise, muthmasslich in Basel, 
inficirt worden war; der im Jahre 1870 verstorbene Fall be- 
traf eine seit Jahren im Spitale liegende, durch Poly-Arthritis 
äusserst herabgekommene Patientin. Wir könnten daher un- 
sere Mortalitätsziffer selbst noch weiter herabschrauben. 

Auch in den früheren Jahrgängen unserer Protokolle 
finden wir sehr wenig Typhen verzeichnet, nur während der 
Zeit des Baues der Brennerbahn finden sich höhere Zahlen, 
so z. B. 1866: 29 Typhen mit hoher Mortalität (31%). 
Es waren grösstentheils Eisenbahnarbeiter, von denen die 
meisten bei schon länger bestehender Krankheit mehrere 
Stunden weit, darunter 3 mit schon erfolgter Darmperforation 
überbracht wurde. Der Typhusherd war die erste, südlich 
gelegene Eisenbahnstation Patsch. 

Die hier verbreitete Meinung, dass Typhus in Innsbruck 
selten vorkomme, ist daher begründet. Die auffällig geringe 
Mortalitatsziffer wagen wir einstweilen nicht der Behandlung 
mit kühlen Bädern allein zuzuschreiben, die nach dem Vor- 
gange von Liebermeister u. A. an der Klinik eingeführt wurde. 

Bei dem Umstande, dass in den nahe gelegenen Ort- 
schaften längs der Brennerbahn wiederholt heftige Typhus- 
Epidemien vorgekommen sind, ist es jedenfalls auffällig, dass 
Innsbruck so mässig von dieser Krankheit heimgesucht wird. 

Die Häuser, aus denen in den letzten 20 Jahren die 
meisten Fälle zur Behandlung kamen, liegen ferner über- 


— 255 — 


wiegend in dem luftiger und besser gebauten neuen Stadt- 
theile; es ist jedoch auch jede andere Strasse vertreten. Eine 
förmliche Hausepidemie ist uns nur von zwei Häusern am 
linken Inn-Ufer bekannt geworden. 

Alle Fälle waren bisher Ileo-Typhen; erst im Jänner 
1872 kam ein lethal verlaufener Fall von T. exanthematicus 
an einem Eingebornen zur Beobachtung, und somit ist auch 
für hier das Vorkommen beider Formen constatirt. An den 
Deo-Typhen ist die Roseola nur sehr selten zur Beobachtung 
gelangt. 

Soweit unsere Kenntniss von Nordtirol reicht, sind bisher 
nur Epidemien von leo-Typhus vorgekommen, neben dem 
Wippthale an der Brennerbahn auch in anderen hochgelegenen 
Thälern (Dux, Oetzthal, Tilliach, Sexten, auch in Fassa in 
Südtirol ete.). 

Wichtiger noch als Typhus scheint für die österreichi- 
schen Alpenländer in diesem Jahrhunderte die Dysenterie ge- 
wesen zu sein. Bis zu den letzten Jahren findet sich in 
unseren Protokollen die Diagnose häufiger, und die Sections- 
befunde an anderweitigen Krankheiten verstorbener Bewohner 
Innsbrucks ergaben häufig Reste von Dysenterie und Enteritis 
follicularis. Mit voller Bestimmtheit konnte hiebei ein Viertel, 
und zwar das nördlich gelegene, mehr von .ärmeren Leuten 
bewohnte Stadtviertel (S. Nikolaus und Hötting), als Herd 
bezeichnet werden. Im Jahre 1871 kamen nur mehr zwei 
schwerere acute Fälle vor, und ebenso hatten sich die Sec- 
tionsbefunde der älteren Fälle vermindnrt. 

Im Vergleich mit Norddeutschland (S. Heubner, Wagner’s 
Archiv 1871) ist die Dysenterie in den Alpenländern jeden- 
falls eine weit häufiger auftretende Krankheit. 

Cholera ist nur im Jahre 1854 in Innsbruck mit einer 
geringen Anzahl von Krankheitsfällen aufgetreten. Die Fälle 
‚betrafen grösstentheils Eisenbahnarbeiter; doch entwickelte 
sich damals im Spitale selbst eine Hausepidemie. Als voll- 
ständig Cholera-immun kann, da auch einzelne Fälle ausser- 
halb. des Spitals vorkamen, Innsbruck nicht bezeichnet werden, 


- 256 — 


Von den acuten Exanthemen kamen im Jahre 1871 nur 
wenige Fälle zur Beobachtung, nachdem in den vorhergehen- 
den Jahren stärkere Epidemien von Morbilli und Variola ge- 
herrscht hatten. 

Intermittens kam grösstentheils an Italienern zur Be- 
obachtung. In den letzten 10 Jahren wurden nur drei in oder 
um Innsbruck entstandene autochthone Fälle verzeichnet, und 
es ist diese Krankheit in Nordtirol nur an einem Punkte in 
der Nähe von Brixlegg einheimisch, während das Etschthal 
mehrere Herde aufweist. Ebenso finden sich öfter Fälle ver- 
zeichnet, welche mit Intermittens von Ungarn in längerer 
Fusswanderung bis hieher gelangen, reisende Handwerksbur- 
schen u. dgl., so dass also ein mehrmonatliches Verweilen in 
Alpenländern vor Recidiven nicht vollkommen schützt. 

Croup und Diphtheritis, an Kindern in einzelnen Jah- 
ren hier häufiger als in den östlichen Ländern Oester- 
reiehs auftretend, kommt auch an Erwachsenen alljährlich, 
wenn auch in vereinzelten Fällen, im Spitale zur Beobach- 
tung. Im Jahre 1871 kam ein Fall von exquisitem Larynx- 
croup mit glücklichem Ausgange (Behandlung: Kälte) an 
einem 30jährigen Frauenzimmer zur Behandlung, nachdem 
kurz vorher aus demselben Quartiere ein tödtlich verlaufener 
Fall von Bronchitis crouposa aufgenommen worden war. 

Skorbut ist in den letzten Jahren nahezu erloschen, im 
Jahre 1871 kam ein Fall mit den heftigsten wiederkehren- 
den Anfällen von Epistaxis aus einer Strafanstalt in Tirol 
hieher, in früheren Jahren waren Fälle aus Häusern nahe 
dem Sillkanale zur Aufnahme gelangt. 

Diabetes mellitus boten zwei Fälle dar, einer aus Süd- 
tirol mässigen Grades, der andere aus der Gegend von 
Innsbruck mit 6—10 Perzent Zucker. Opium mit Fleisch- 
diät verminderte bei beiden den Zuckergehalt, von anderen 
versuchten Medikamenten erwähne ich Phenol ohne jedweden 
Erfolg. 

Der schwere Fall war wiederholt auf Wärmeabgabe 
calorimetrisch (1 Jahr ante mortem) im Bade gemessen 


/ 


a 


worden. Er gab trotz der grossen Nahrungszufuhr nicht 
mehr Wärme ab als wie gesunde Leute seiner Constitution 
und diess bei dem colossalen Stoffwechsel scheinbar auffällige 
Faktum lässt sich wohl zur Genüge aus der mangelhaften 
Oxydation, der Abfuhr des zur Erzeugung von Wärme nicht 
verwendeten Zuckers erklären. Der Patient war nie fett- 
leibig gewesen und hatte nie an cephalischen Symptome 
gelitten. | 

Leukämie, lienale, war ım letzten Jahre in keinem neuen 
Falle zugewachsen, in den letzten 4 Jahren waren drei 
hochgradige Leukämische in Behandlung gewesen, was bei 
circa 3000 Kranken als nicht mehr besonders seltenes Vor- 
kommen bezeichnet werden muss. Ebenso ist Maliamus 
verschwunden, der nur im Kriegsjahre 1366 zur Beobachtung 
gelangt war. 

Von den Erkrankungen einzelner Organe hebe ich unter 
den Erkrankungen des Nervensystems die Haemorrhagia 
cerebri nur desswegen hervor, weil die Meinung existirt, dass 
der in Innsbruck zeitweise herrschende Föhn letzte Veran- 
lassung für das Eintreten derselben sei. Die Spitalslisten 
sprechen nicht dafür, wenn auch zugegeben werden muss, 
dass manche Menschen durch den Föhn verstimmt werden 
und an Hyperästhesien leiden. Bei einem angeblich exquisit 
daran leidenden Manne wurden Temperaturmessungen und 
calorimetrische Messungen vorgenommen, um zu ersehen, ob 
eine Störung in der Wärmeregulirung dem Zustande voran- 
gehe; es wurde aber kein positives Resultat erzielt. 

Ein mit schweren Störungen im Gebiete des Nerven- 
systems ausgezeichneter, durch vorübergehenden therapeuti- 
schen Erfolg trügerischer Fall blieb auch nach der Autopsie 
räthselhaft. Es betraf dies einen 26 jährigen Metzgergesellen, 
welcher nach länger dauernder beiderseitiger Abducens-Läh- 
mung an allgemeiner Parese erkrankte, wobei bald Pharynx- 
lähmung sowie Lähmung des Zwerchfells und der äusseren 
Respirationsmuskel deutlicher hervortrat. Der Kranke wurde 
durch Tage mittelst künstlicher Respiration und Fütterung 


— 258 — 


mittelst Schlundröhre am Leben erhalten, wobei die Erstickungs- 
noth in Folge des in den Larynx hinabgeflossenen Mund- 
schleimes durch mechanische Entfernung des Schleimes aus 
dem Larynx sowie durch die mittelst Schlundröhre beige- 
brachten Brechmittel in den gefährlichsten Momenten gehoben 
worden war. Es trat eine nahezu vollständige Besserung 
ein, der Kranke ward übermüthig und verliess wider unsere 
Anordnung das Zimmer. Auf der Treppe fiel er erschöpft 
zusammen; im Laufe der nächsten Tage kehrten die früheren 
Lähmungserscheinungen zurück, und er konnte trotz künst- 
licher Respiration nicht erhalten werden. Diphtheritis war 
nicht vorausgegangen, Trichinosis nicht anzunehmen. Es fand 
sich neben Hyperämie des Gehirnes, Röthung des Facialis- 
Kernes, im Halsantheile des Rückenmarkes eine sehr geringe 
Hämorrhagie im Centralkanale, und Austritt von weissen 
Blutkörperchen in die perivasculären Lymphriiume: Erschei- 
nungen, welche znm grösseren Theile von der Asphyxie ab- 
geleitet werden könnten. In den Respirationsmuskeln waren 
nur einzelne zerstreute verfettete Fasern aufzufinden. 

Die künstliche Ernährung mittelst Schlundröhre wurde 
mit noch besserem Erfolge bei einem andern schweren Ner- 
venleiden — abgesehen von Irrsinnigen — angewendet. Eine 
seit einem Jahre und zwar plötzlich bei der Feldarbeit hemi- 
plegisch gewordene Arbeiterin zeigte durch längere Zeit im 
gelähmten Beine vollständige Anästhesie selbst gegen die 
stärksten Ströme einer Stöhrer’schen Batterie mit 32 Ele- 
menten. Diese Anästhesie schwand, kehrte wieder und schwand 
abermals. Nach einer Reihe hysterischer Symptome trat 
später Erbrechen und mehrwöchentlicher Trismus mit Obnu- 
bilation, Unempfindlichkeit der Nasenschleimhaut gegen Aetzam- 
moniak ein. Die Patientin wurde durch Wochen mit der 
Schlundröhre gefüttert und konnte schliesslich das Bett und 
das Spital verlassen. 

Von den unter Anwendung des constanten Stromes ge- 
besserten Neurosen hebe ich nur einen Fall von Facialis- 
Lähmung hervor, welcher nach mehrmonatlichem Bestande 


— 29 — 


in unsere Behandlung kam. Durch weitere zwei Monate 
schien trotz Anwendung der Elektrieität kein Erfolg erzielt 
zu werden, im 3. Monate schwand allmälig die Lähmung 
bis auf eine mässige Spur. 

Unter den Erkrankungen der Respirations-Organe ist 
croupöse Pneumonie häufig, ihr Culminationspunct fällt gegen 
das Ende des Februar. Die alpinen Winter-Beschäftigungen, 
das Herabschaffen von Holz und Heu aus dem Hochgebirge 
liefern neben den andern gewöhnlicheren Ursachen hinlänglich 
viele Fälle. 

Interessanter erschien uus das Auftreten von Phthisis 
an den Bewohnern der verschiedenen nachbarlichen Hoch- 
thäler, darunter an Individuen — Sennern — welche nie 
vorher ihre Heimat verlassen hatten. Die bis vor kurzem 
noch brennende Frage des Einflusses des Höhenklima auf 
Phthisis lässt sich zwar nur durch umfängliche genaue Er- 
hebungen lösen; der hiesigen Klinik wuchsen Phthisiker aus 
Höhen über 1000 Meter nicht selten zu. Anderseits hat 
man Gelegenheit bei den chronischen Fällen Individuen zu 
treffen, die durch Verweilen auf alpinen Höhen während des 
Sommers sich vortrefflich erholen, und es wird insbesonders 
in der ländlicher Praxis diesem Gebrauche bei allen mög- 
lichen Krankheiten gehuldigt. Die chronischen Katarrhe ver- 
schlimmern sich hiebei in kälteren Jahren oft genug, umso- 
mehr, als in den primitiven Alpenhütten für Comfort nicht 
gesorgt ist. — In Innsbruck selbst ist Phthisis nicht so 
häufig wie in Grossstädten, jedoch nicht etwa als selten zu 
bezeichnen. 

Lungenbrand und putride Bronchitis scheint jedenfalls 
seltener als wie im Norden z. B. Königsberg (nach Leyden) 
vorzukommen; die in den letzten Jahren zur Behandlung 
gekommenen wenigen Fälle waren alle schon in nahezu despe- 
ratem Zustande überbracht und die verschiedensten Inhala- 
tionen (Phenol, Thymol etc.) erwiesen sich hiebei als un- 
wirksam. 

Herzerkrankungen der verschiedensten Art kommen wie 


— 260° — 


anderwärts häufig zur Aufnahme; das Tragen sehwerer Lasten 
im Gebirge dürfte immerhin für die Entstehung und Zu- 
nahme von Volumszunahme des Herzens nicht ohne Bedeu- 
tung sein. 

Bei den Erkrankungen der Digestionsorgane ist nach 
den Protokollen auffällig, dass das Carcinoma oesophagi 
ebenso häufig vorkommt wie care. ventriculi. 

Einer der im vorigen Jahre abgelaufenen Fälle von care. 
oesoph. war wegen Athembeschwerden eingetreten, ohne De- 
glutitionsbeschwerden zu erwähnen. Die Untersuchung ergab 
über der linken Lunge bei vollem Percussionsschalle Mangel 
jedes Respirationsgeräusches. Die aus den übrigen Symptomen 
bewiesene Stenose des oesophagus, liess vermuthen, dass das 
Carcinom in den linken Hauptbronchus, denselben vollständig 
verschliessend, hineinwuchere. Die Autopsie bestätigte den 
Umstand, in der betreffenden Lunge war schliesslich totale 
Pneumonie aufgetreten. — 

Unter den Krankheiten, welche durch Nahrungsmittel 
hervorgerufen sein können, suchten wir bis jetzt vergebens 
nach Pellagra. Da in der Umgegend von Innsbruck fast nur 
Mais gebaut wird, wäre die Annahme der Existenz dieser 
Krankheit nach den herrschenden Anschauungen berechtiget. 
Eine Patientin mit progressiver Muskelatrophie, beschuldigte 
dieses Nahrungsmittel als vermeintliche Ursache ihres Leidens. 

Von den Vergiftungen ist im Jahre 1871 ein Fall mit 
Aetzammoniak beobachtet worden. Ein kräftiger Büchsen- 
macher trank, um die Folgen eines intensiven Alkoholismus 
zu paralysiren, angeblich eine halbe Unze Aetzammoniak. 
1/, Stunde später überbracht, wurde er mittelst Magenpumpe 
seines Mageninhaltes entledigt, und Essig durch den Magen 
gepumpt. In den ersten acht Stunden der Anwesenheit 
schwankte die Temperatur zwischen 36.5 und 37.0. Erst 
in der neunten Stunde stieg die Temperatur auf 38.4, um 
während der nächsten fünf Tage zwischen 39—39.4 zu 
schwanken. Ausser der Anätzung der Mundschleimhaut war 
bei gleichzeitiger Heiserkeit eine intensive Röthe der Schleim- 


— 261 — 


haut der Stimmbänder, ohne deutliches croupöses Exsudat, zu 
bemerken. Nach Wochen war eine Stenose des oesophagus 
nicht zurückgeblieben. 

Unter den Fällen von Icterus war ein älteres Weib mit 
Hyperplasie des Pankreaskopfes und retrograder Schwellung 
sämmtlicher Lymphdrüsen abwärts dieser Stelle. Sie war 
aus demselben Quartiere, aus welchem einige Zeit vorher ein 
exquisiter Fall von sogenannter Pseudoleucaemia lymphatica 
zugewachsen war. Auch der letztgenannte litt an Icterus, 
Schwellung der Lymphdrüsen um den ductus choledochus. 
Bei Beiden war Jodkali umsonst gegeben worden, der Tod 
erfolgte nach Eintritt von Lungenhypostase. 

Bei chronischer Albuminurie wurde wiederholt Milchkur 
und Verweilen in alpinen Höhen während der Sommer-Ferien 
versucht. Einen erheblichen Erfolg kann ich bisher nicht 
verzeichnen. 

Von den auf der Klinik behandelten Hautkranken kann 
ich das Vorkommen von Psoriasis, Favus, Herpes tonsurans 
in mässiger Anzahl erwähnen. Die Favus-Fälle der letzten 
zehn Jahre waren mit Ausnahme eines einzigen Südtirolers 
aus andern Ländern zugewachsen, besonders aus Nord-Venetien 
und Krain, so dass diese Krankheit glücklicherweise zu den 
in Tirol selteneren zu gehören scheint. Von hartnäckigen 
Ekzemen des Jahres 1871 erwähne ich einen Knaben aus 
einem abgelegenen Seitenthale Nordtirols, der seit 4 Jahren 
an einem Ekzem bettlägerig gewesen war, den Schulbe- 
such versäumt hatte, und unter Anwendung von Theerpräpa- 
raten in wenigen Monaten geheilt wurde. 

Um durch weiteres Aufzählen gewöhnlicher Beobach- 
tungen nicht zu ermüden, schliesse ich diesen Bericht, um 
zunächst nur das minder zahlreiche Vorkommen einzelner 
. epidemischer Krankheiten und das Auftretun einzelner seltener 
Krankheitsformen in Tirol, speciell in Innsbruck , constatirt 
zu haben. 


Naturw.-med. Verein, Dal 


Statistischer Bericht 


und 
casuistische Mittheilungen aus der chirurgischen 
Klinik in Innsbruck 


von 
Prof. Dr. C. Heine, 


unter Mitwirkung der Assistenten Privat-Docent Dr. Lang 
und Dr. Schlemmer. 


A. Statistischer Bericht. 
Am 31. Dez. 1870 waren in Behandlung verblieben 57 Kranke 


im Jahre 1871 wurden neu aufgenommen . . 442 „ 
Die Gesammtsumme der in Behandlung ge- 
standenen Kranken beträgt somit . . 499 


Von den 442 neu aufgenommenen Kranken entfallen 
387 für die chirurgische Klinik und Abtheilung; darunter 
waren 291 Männer und 96 Weiber mit Einschluss der Kinder 
unter 6 Jahren. 

Die Zahl von 55 Geschlechtskranken vertheilt sich auf 
26 Männer, 28 Weiber und 1 Kind. 

Von den 499 stationären Kranken wurden 


geheilt entlassen . . "2. ee aan 
gebessert entlassen . . Mm... ort 
ungeheilt entlassen .. are. ee el 
transferintt . 2.0.00. Rd a Me 
starben... u 0 N ea 
Der Gesammtabgang beziffert sich also anf . . . 439 


und bleiben mit 31. Dezember 1871 in Behandlung 60 
Die Zahl von 24 Todten auf 499 Kranke ergibt eine 


Mortalität von nur 4.8%. . 


ER Oye) es 


Der höchste Tagesstand fällt auf den Monat Dezember 
mit 42 Mannern und 25 Weibern, zusammen 67 Kranken. 

Da der normale Belagraum der chirurgischen Männer- 
Klinik und Abtheilung nur 30 Betten — mit Einschluss der 
Reservebetten — enthält, so mussten aushilfsweise 5 Noth- 
betten errichtet werden. 

Auf der chirurg. Weiberklinik und Abtheilung wurden 
21 Normalbetten, 1 Reservebett und 2 Nothbetten belegt. 

Die Abtheilung für geschlechtskranke Männer enthält 
7, die für geschlechtskranke Weiber 6 Betten. 


Die 387 stationäre chirurgischen Kranken vertheilen sich 
auf folgende Krankheitsformen: 


Einfache Verletzungen der äusseren Bedeckungen und 


Weichthele . . . 71 
Complizirte Verletzungen ( acne facies nad Sehnen) 15 
Frakturen I LAN fia gell Fi Aenea 
Luxationen . . il enllelos: rende 
Entzündung der äusseren Weichtheile AR ER NEN 0 OO) 
Verschwärung der äusseren Weichtheile . , . . . 26 
Entzündung der Beinhaut und Knochen; Nekrose . . 25 
Verschwärung der Beinhaut und Knochen; Caries . . 6 
Entzündung der Gelenke . . . , a 
Entzündung der Muskeln, Sehnen und Sahleinbentel „u. 10 
Geschwülste der äusseren Weichtheile und der von ihnen 

eingeschlossenen ‚Organe, ; has ese) =D 
Geschwülste des Skelets . . . . a eve ee oe net 
Geschwiilste der Körperhöhlen und innern Organe . . 11 
Angeborene Defekte (Deformitäten) der Weichtheile, 

Knochen und Gelenke . . 7 


Erworbene Defekte der Weichtheile, en u. deut 11 
Krankheiten der Blut- und Pr on 8 


Nervenkrankheiten . . . 3 
Verletzungen und Frlcrankuncen ae 
Schädelhöhle, 1... aus. ee 
Ohrhöhle san issih’ 2.4 eerste a ee 


21” 


— 264 — 


me CO Ol BD & 


Augenhöhle . 

Nasen-, Stirn- und Bighmorshöhle 

Mundhöhle : ; 

Kehlkopfs, Trachea, Schilddrüse Ä 

Brusthöhle kr oe ea 

Bauchhöhle. . 02.3... aka deidaneke ve 

männlichen Hammorgane . . ik A 2020028 

männlichen Geschlechtsorgane . . . . . 10 

weiblichen Geschlechtsorgane . . . .. O 

Mastdarms: 03) u.a 2 aa La ae 
in Beobachtung waren... bs Wace) = a eh Ce 


Zusammen . 387 
Unter den 55 Geschlechtskranken litten an 
Blenorrhoen (d. Urethra oder Vagina) . . 13 
verschiedenen syphilitischen Affektionen . 42 
Auf die oben angeführten 387 an stationären Kranken 
beobachteten chirurgischen Erkrankungen kamen 139 Ope- 
rationen, welchen noch 17 an ambulanten Patienten ausge- 
führte beizuzählen sind. 
Die Gesammtsumme von 156 Operationen erwächst aus: 
4 Arterienligaturen in der Continuität u. zw: 

1 der Carotis communis als Vorakt zur Verhinderung 
einer lebensgefährlichen Blutung bei der Exstirpa- 
tion eines Sarkoms der Tonsille. 

1 Ligatur der art. femoralis in trigono wegen Nach- 
blutung nach der transkondylären Amputation des 
Oberschenkels. 

1 Ligatur der art. Iliaca externa. 

Unterbindung sämmtlicher Aeste der art. femoral. 
in trigono (sämmtliche 3 bei ein und demselben 
Kranken). 
4 Amputationen 
3 des Oberschenkels und zwar 
1 transkondylär nach Prof. Heine wegen eines 
comminutivenBruches beider Unterschenkelknochen 
mit weitgehender Zerquetschung der Weichtheile, 


m 


1 


— 265 — 


2 in der Mitte des Oberschenkels nach Langenbeck ; 
wegen progredienter Phlegmone und Septichaemie 
nach einer complicirten Luxation des Fussgelen- 
kes +, und eine wegen eines dritten Recidivs 
eines Sarcoms ; 

des Vorderarmes im unteren Drittheil wegen 

Wundstarrkrampf nach einer Schussverletzung der 

Hand 7. 


20 Operationen am Knochensysteme und zwar 


7 


10 


ar 


Resectionen 

3 in der Continuität — der beiden Bruchenden 
eines mit Bildung einer Pseudarthrose geheilten 
Oberschenkels ; einer ersten Rippe wegen Necrose; 
eines Oberkiefers wegen Carcinom im Antrum 
Highmori, 

3 von Gelenken: eines Handgelenkes wegen 
Caries der Handwurzelknochen, eines Ellbogen- 
gelenkes wegen Caries und fungöser Gelenks- 
entzündung +, eines Mittelfussknochens und Keil- 
beines wegen Caries; 

1 osteoplastische Resektion des Unterkie- 
fers behufs Exstirpation eines Sarcoms der Tonsille. 

Nekrotomien: 3 des Fumur, 3 der Tibia, 1 des 

os Tali, 2 des Humerus, 1 der ersten Rippe. 

Operationen zur Heilung der Pseudarthrose: Ein- 

treiben von Elfenbeinstiften am Humerus, 1 peri- 

osteoplastische Vereinigung beider Fragmente der 

Patella. 

Osteopalinklasis bei einem schlechtgeheilten Bruche 

des Unterschenkels. 


8 Operationen an Gelenken: 
4 Repositionen von Luxationen: einer frischen des 


Humerus, 1 veralteten des Humerus (nach Prof. 
Heine’s Methode). 

1 Spontanluxation des Femur und 1 veralteten 
des Femur; (Siehe die casuist. Mittheilungen.) 


— 266 — 


3 Brisements forces: 2 des Hüftgelenkes, 1 des Knie- 
gelenkes. 

1 Exstirpation eines Gelenkkörpers durch direkte In- 
cision unter Verschiebung der Haut. (Casuistische 
Mittheilung.) 

ö Tenotomien: 2 der Achilles-Sehne, 1 der Apo- 
neurosis plantaris bei Klumpfüssen. 

2 Operationen des Ganglion, 1 subcutane Discission, 
1 durch Zerdrücken. (Beide im Ambulatorium.) 

63 Operationen zur Entfernung von Ge- 
schwülsten: 
57 Exstirpationen von: 


1 
5 


5 


4 


bo Ot OD = 


(=P) 


Dermoidcyste in der seitlichen Halsgegend. 
Atheromen, 3 des Gesichts und 2 der Schädel- 
decken. 
Lymphomen, 3 am Halse, 2 am Unterkiefer 
(1 am Halse, 1 am Unterkiefer ambulatorisch). 
Lipomen, 1 über dem Schulterblatte, 1 über 
der Hinterbacke, 1 im Nacken, 1 tiber dem 
rechten Scheitelbeine (Fibro-Lipom [ambulato- 
risch]). 
Exostose am Oberschenkel (Abmeisselung). 
Melanomen — der Wange — im Ambulatorium, 
Keloiden: 2 am Ohrläppchen, 3 im Nacken. 
Myxomen der Nasenhöhle (durch Abdrehen 1, 
Abschneiden mit der Scheere 1). 
Sarkomen, theils einfachen Formen, theils Com- 
binationen mit Fibrom, Myxom, Chondrom, 
Osteom und Adenom. 
1 der Tonsille (mit osteoplast. Resect. des 
Unterkiefers und Ligatur der Carotis). + 
1 des Oberkiefers (Epulis sarcomatosa) am- 
bulatorisch. 
1 von der Nasenwurzel und aus der Nasen- 
höhle — später Plastik. 
2 am Oberschenkel, das erstemal unter Ab- 


2 


— 247 — 


meisselung des verknöcherten Stieles die 
primäre Geschwalst, das zweitemal mit dem 
Ekraseur von Maisonneuve das Rezidiv. 
1 der Leistengend +. 
25 Carcinomen: 

7 der Lippe (bei einigen folgte Plastik). 

1 der Zunge. 

1 der Nase und Wangengegend (Plastik). 

7 der Submaxillardrüsen nach Exstirpation 
der obenaufgeführten Carc. der Wange 
und Lippe. 

7 der Brust- und Achseldrüsen (1 Todesfall). 

2 der Leistendrüsen (Carc. des Penis, siehe 
die Amput. des Penis). 

Caustische Zerstörungen von Geschwülsten: 

1 von Papillomen im Nasenrachenraume mit dem 
Porcellanbrenner ; 

1 von einem recidivirenden Carcinom in den Unter- 
kieferlymphdriisen durch Cauterisation a fléches. + 


4 Parenchymatöse Injectionen in Geschwiilste: in 


9 


10 


2 Lymphome von Jodtinctur; 

2 Struma parenchymatosa von Jodtinctur ; 

1 Carcinom der Brustdriise von Chlorzinklésung und 
Chlorwasserstoffsiure (1%, und 0°1%). 

Punctionen: 

einfache: 1 Ovariencyste +; 

1 Hydrokele (ambulatorisch) ; 
mit nachfolgender Jod-Injection: 

1 Cyste der Schamlippe; 

4 Hydrokelen (eine davon doppelt); 

2 Struma cystica (eine Struma mixta). 
Operationen der Hasenscharte (ein Operirter 
starb). 

Plastische Operationen, und zwar: 
3 Cheiloplastiken nach Exstirpationen von Lippen- 
Carcinomen. 


f= 


= 


ee 


— 268 — 


Uranoplastik nach der Exstirp. des Oberkiefers 
wegen Care. Antr. Highmori. 

Uranoplastik und Staphylorhaphie bei einem Pala- 
tum fissum. 

partielle Rhinoplastik aus der Stirnhaut, nach der 
Exstirpation eines Adenosarkoms der Nasenhöhle 
und Nasenwurzel. 

partielle Rhino- und Meloplastik nach der Exstir- 
pation eines Carcinoms der Nase und Wange. 
partielle Meloplastik nach einer im Jahre 1870 
wegen Carc. des Antr. Highmori ausgeführten Re- 
sect. des Oberkiefers. 

Versetzung und Höherstellung des Nasenflügels als 
Nachoperation zu einer früher ausgeführten Hasen- 
schartenoperation. 

Bildung von Nasenléchern bei erworbenem Ver- 
schlusse derselben. 


7 Tonsillotomien (5 davon im Ambulatorium). 


1 Explorativ-Incision bei einer vermutheten Ova- 


riencyste. + 


2 Operationen bei Hernien: 


1 
1 


Radicaloperation der freien Leistenhernie nach Wood. 
Herniotomie ohne Eröffnung des Bruchsackes bei 
einem Leistenbruche. (S. cas. Mittheilungen.) 


3 Operationen an Vagina und Uterus: 


1 


Vordere Uterus-Scheidennaht wegen einer Ante- 
und Lateralversion des Uterus (Anfrischung und 
Naht der Scheide und Vaginalportion). 

Seitliche Uterus-Scheidennaht (bei derselben Pa- 
tientin) zur Behebung der nach der Heilung der 
Anteversion noch bestehenden seitlichen Abweichung 
des Uterus. 

Kolpokleisis — Querverschluss der Scheide bei einer 
wiederholt ohne Erfolg operirten Blasenscheiden- 
fistel. 


— 269 — 


2 Operationen an der Harnröhre: 

1 Urethrotomia externa wegen eines in der Harnröhre 
eingekeilten kleinen Blasensteins. (Siehe casuist. 
Mittheilungen.) 

1 foreirte Dilatation nach Thompson bei Striktur der 
Urethra. 

3 Steinschnitte: 
2 Seitensteinschnitte ; 
1 hoher Steinschnitt. (Siehe casuist. Mittheilungen.) + 
2 Amputationen des Penis wegen Carcinom (die 
später nachgeschickte Exstirpation der Leistendrüsen 
ist oben aufgeführt). 
2 Phimosenoperationen. 
Radicalschnitte bei ebensoviel Hydrokelen. 
3 Operationen am Rectum: 

1 Spaltung der Mastdarmfistel ; 

1 Cauterisation des Vorfalles der Mastdarmschleimhaut 
mit rauchender Salpetersäure; 

2 Abbrennen von Hämorrhoidalknoten nach Langen- 
beck. 1 + 


Im Ambulatorium wurden im Laufe des Jahres 1871 
533 Kranke behandelt; ausser Operationen im Gebiete der 
kleinen Chirurgie wurde eine Anzahl von Gipsverbänden theils 
wegen Frakturen, theils wegen Gelenkentzündungen an den 
oberen Extremitäten gemacht. 


= 


Von dem in vorstehender Uebersicht enthaltenen Beob- 
achtungsmateriale folgen im Anschlusse einige der interessan- 
testen Fälle in ausführlicherer Mittheilung, sowie diess schon 
im letztjährigen Berichte geschehen. Es soll dabei auch in 
Zukunft so verfahren werden, dass bei der Auswahl der 
zur Veröffentlichung bestimmten Falle auf möglichst grosse 


— 210 — 


Mannigfaltigkeit Rücksicht genommen wird, damit der ärzt- 
liche Leserkreis unserer Vereinschrift mit der Zeit eine 
Auslese der sämmtlichen wichtigeren, in der Klinik vertre- 
tenen, chirurgischen Krankheiten in die Hand bekomme, und 
damit, einen Ueberblick über die von dem derzeitigen Vor- 
stande derselben vertretenen Grundsätze, was deren Auf- 
fassung und Behandlung betrifft, gewinne. 


B. Casuistische Mittheilungen. 


I. Fractur des Hüftbeins. — Gypsverband. — 
Heilung. 


Der Fall verdient aus mehreren Griinden einem weitern 
Leserkreise zugeführt zu werden. Einmal war die Verletzung 
durch eine verhältnissmässig geringe Schädlichkeit hervorge- 
rufen; weiters fehlten die mit der Fraktur der Darmbein- 
schaufel sonst einhergehenden schweren Complicationen, und 
schliesslich verlief die Heilung schnell und ohne Zwischen- 
fälle, was wohl ausschliesslich der in ähnlichen Fällen sonst 
nicht üblichen Immobilisirung zu verdanken ist. 

Livia Antonio, Maurer, 51 Jahre alt, stolperte am 
29. Nov. 1871 um 6 Uhr Morgens am Eingange des grossen 
Tunels hinter Patsch bei einem Wechsel, fiel auf die linke 
Seite und konnte nicht wieder aufstehen. Nach einer kurze 
Zeit andauernder Bewusstlosigkeit rief er um Hilfe, wurde 
/, Stunde später von herbeigeeilten Arbeitern aufgelöst, 
und um 4 Uhr N. M. zu uns gebracht. 

Der Kranke lag mit nach links geneigtem Stamme, das 
linke Bein war leicht gebeugt und abducirt. Die linke Gluteen- 
gegend angeschwollen und blutunterlaufen; die linke Darmbein- 
schaufel unter Crepitation beweglich; die Bruchlinie begann unter 
dem linken obern Stachel, zog nach aussen, und rückwärts und 


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verlor sich hinter der Gesässmuskulatur, sie umgränzte so- 
mit wenigstens die obere Hälfte der Schaufel. Bei passi- 
ven Bewegungsversuchen mit dem linken Beine äusserte der 
Patient namenlosen Schmerz an der Bruchstelle und warf es 
zum Schrecken aller Anwesenden mit Blitzesschnelle in starke 
Beugung. Keine nachweisbare Verletzung des Hüftgelenkes, 
keine per anum et urethram. 

Um das Fragment wenigstens von Seite der Extremi- 
täten zu immobilisiren, wurde am 30. Nov. ein das Becken 
und beide Beine in toto umfassender Gypsver- 
band angelegt, und die Erschlaffung der Gesässmuskulatur 
durch Abduction und Auswärtsrollung in beiden Hüftgelenken 
erzielt. Während der kaum 1/, Stnnde dauernden Procedur be- 
fand sich derKranke mit dem Becken und dem linken Beine 
auf dem Heine’schen Fixationsapparate, das rechte wurde 
von einem Assistenten gehalten. Hierauf Lagerung auf einer 
mehrtheiligen Matratze mit Fugenbildung, so dass Leibschüs- 
sel etc. ohne den Kranken heben zu müssen, untergeschoben 
werden konnten. 

Der nahezu den halben Körper einhüllende Verband 
hatte nicht nur keinen Nachtheil für den Kranken, sondern 
übte auf denselben sichtlich einen sehr wohlthätigen Ein- 
fluss, ja man glaubte sogar die Ueberzeugung schöpfen zu 
sollen, dass mit Beckenfrakturen Behaftete in einen solchen 
Gypsverbande leicht transportabel würden. 

Der weitere Verlauf gestattete sich zu einem sehr günsti- 
gen: Nur einmal war die Temperatur auf 38.2 C. gestiegen. 

Am 23. Dez. konnte der Verband entfernt werden, und 
ein massiger fester Callus verrieth die Bruchstelle. 

Am 4. Jänner 1872 erster Gehversuch; zwei Wochen 
später verlies Patient geheilt die Klinik. 


I. Blasenstein — Coxankylose links — Spermato- 
cele rechts — Sectio lateralis dextra et alta — 
Sepsis — Tod 7 Tage nach der Operation. 


M. J. 71 Jahre alt, Bauer aus Gries gelangte am 


— 22 — 


1. August 1871 zur Aufnahme. Er erzählte, dass er schon 
von seiner Jugend an, öfter als andere Leute* habe Harn 
lassen müssen. Schmerzen in der Blase bestanden erst seit 
2 Jahren, von welcher Zeit angefangen der Harn trübe und 
nach anstrengenden Touren roth gewesen sein soll. Die 
Coxankylose entwickelte sich aus einer schleichenden seit 
21 Jahren bestehenden Coxitis. 

Die Sondirung der Blase durch die nur fürNr. 9—10 durch- 
gängige Urethra constatirte die Anwesenheit eines ziemlich glat- 
ten, keinen hellen Ton gebenden Steines in der sehr contrahirten 
und vulnerabeln Blase, der eben wegen des stets andauern- 
den Blasenkrampfes nicht genau gemessen werden konnte. 
Der Harn war trübe, oft blutig, aber noch nicht alkalisch. 
Das linke Bein liess sich im Hüftgelenke kaum auf 100° 
beugen, und ebenso mangelhaft abduciren, wodurch eine aus- 
giebige Entfaltung der linken Mittelfleischgegend unmöglich 
wurde. Ausserdem bestand eine rechtseitige, mittelgrosse 
Hydrocele. 

Im Uebrigen sah Patient für sein Alter gut und kräf- 
tig aus. 

Am 7. August wurde als Vorakt die Punction der 
Hydrocele, welche sich durch die in der entleerten Flüssig- 
keit nachgewiesenen, zahlreichen Spermatozoen als Sperma- 
tocele herausstellte, vorausgeschickt. 

Operation am 12. August. 

Da es nicht gelang das ankylotische, tinke Hiiftgelenk 
in der Narkose zu beugen, so musste der Seitensteinschnitt 
rechts angelegt werden. Derselbe wurde, abgesehen von einigen 
Schwierigkeiten, welche durch das Ausgleiten des Itinera- 
riums nach Eröffnung der Urethra hervorgerufen wurden, und 
den Gang der Operation aufhielten in der gewöhnlichen Weise 
zu Ende geführt. Der deutlich gefühlte Stein jedoch stellte 
sich als sehr gross heraus, und es erwies sich seine Extrac- 
tion durch die gesetzte Wunde trotz langer Bemühung als 
unausführbar. Eine Vertiefung der Wunde zur Erreichung 
dieses Zweckes, hätte über die Grenzen der Prostata hin- 


— 213 — 


ausgeführt und ein Bilateral- oder Quadrilateralschnitt wäre 
wegen der linksseitigen Coxankylose schlecht ausführbar ge- 
wesen — hätte auch noch immer nicht genug Raum für den 
Stein gegeben. Man schritt somit zum Blasenschnitt ober- 
halb der Symphyse, wobei die starke Spannung der Recti 
die quere Trennung ihrer Ansätze nöthig machte, und die 
stark contrahirte Blase das Emporziehen und die Eröffnung 
derselben ohne Verletzung des Peritoneums sehr erschwerte. 

Es wurde ein voluminöser Stein herausbefördert, und 
danach durch die Exploration noch ein zweiter entdeckt, 
der nach der Extraction als ebenso voluminös sich heraus- 
stellte. Beide lagen in einem auf der linken Seite befind- 
lichen Divertrikel der Blase. Vereinigung der Blasenwunde 
durch 10 Conjunctivalnähte, Einlegen des Rudtorffer’schen 
Katheters durch die Mittelfleischwunde, locale antiseptische 
Behandlung und innerliche Darreichung von Opiumtinctur. 
In den ersten 2 Tagen befand sich der Kranke ziemlich 
wohl, das Fieber schwankte um 38° und 39° C. 

Am 14. nahm der Eiter der oberen Wunde einen jau- 
chigen Charakter an, am 16. stellten sich bereits Symptome 
zweifelloser allgemeiner Sepsis ein, der der Kranke trotz 
sorgfältiger Behandlung erlag. 

Beide Steine sind gleich gross, plattrund, hart und ge- 
schichtet, je 41/, Cm. lang und 3%, Cm. breit, und bestehen 
zum grössten Theile aus Harnsäure mit nur einer Spur von 
phosphorsauren Kalk. 


Ill. Blasenstein. — Blasenlähmung. — Seitenstein- 


schnitt. — Heilung auch der Blasenlähmung. 


H. Chr., 48 J., Berghutmann aus Klausen, schreibt den 
im J. 1867 aufgetretenen lästigen Harndrang wiederholten 
Erkühlungen zu. Im Oktober 1868 stellte sich Harnver- 
haltung und später eine fieberhafte Krankheit ein. Zu wie- 
derholten Malen wurde nun die Applikation des Katheters 
nöthig, bis der Patient ganz und gar auf die instrumentale 


— 214 — 


Entleerung der Blase in ein- bis zweistündlichen Pausen an- 
gewiesen blieb und sich desshalb den Selbstkatheterismus 
einübte. 

Bei der klinischen Untersuchung wurde sofort in der 
Blase ein Stein entdeckt, dessen ein Durchmesser auf 2, 
der andere schwankend auf 21,—3 Cm. sich bestimmen 
lies. Der Harn war von reichlichem Schleim-, Eiter- und 
Blutzusatze getrübt, roch intensiv nach Ammon. und reagirte 
alkalisch. 

Am 7. November 1871 wurde der Stein, der sonder- 
barer Weise trotz der seit Jahren von Aerzten und dem 
Patienten in Anwendung gebrachten Metallkatheter bisher 
nicht gefühlt wurde, durch die Sectio lateralis in der ge- 
wöhnlichen Weise mit der Steinzange herausbefördert. Aus 
dem weitern sehr günstigen Verlaufe ist als charakteristisch 
hervorzuheben, dass der Harn nicht wie gewöhnlich durch 
die Wunde continuirlich absickerte, sondern sich innerhalb 
der gelähmten und starrwandigen Blase ansammelte und bei- 
läufig zweistündlich entweder durch die Wunde oder Urethra 
mit dem Katheter herausgeschafft werden musste. Doch 
nahm auch dies durch die Localbehandlung der Blase, welche 
in Wasser- und später in Tanininjectionen (1 Gr. auf 1 Unze) 
von 20° C. bestand, alsbald eine bessere Wendung. So 
konnte am 15. November der Harn schon durch 8 Stunden 
gehalten werden; am 23. urinirte Patient schon theilweise 
per urethram; am 28. November legte er den Katheter ganz 
bei Seite; und vom 11. Jänner 1872 angefangen floss auch 
durch die inzwischen oberflächlich gewordene Mittelfleisch- 
wunde kein Tropfen Harnes mehr ab. 

In demselben Masse nahm auch der Urin zusehends 
ein besseres Aussehen an und erhielt sich constant in saurer 
Reaction. 

Der Stein hat Grösse und Form einer Pflaume, ist in 
der Rinde porös, im Kern hart. Erstere besteht vorwaltend 
aus kohlensaurer Magnesia und Kalk mit Spuren von phos- 
phorsaurem Kalk und Ammoniak-Magnesia, letzterer umge- 


— 275 — 


kehrt vorwaltend aus phosphorsaurem Kalk und Ammoniak- 
Magnesia mit Spuren von kohlensaurer Magnesia nnd Kalk. 


IV. In der Urethra eingekeilter Blasenstein von 
1.3 Cm. Länge und 1 Cm. Dicke. — Aeusserer Harn- 


röhrenschnitt. — Heilung. 


Seit 3—4 Jahren pflegte der 20 Jahre alte J. J. an 
plötzlicher Unterbrechung des Harnstrahles zu leiden, die 
gewöhnlich nach leichten kolikartigen Schmerzen sich von 
selbst hob. In den ersten Junitagen 1871 artete die sonst 
nur momentane Strahlunterbrechung in eine dauernde Harn- 
verhaltung aus und zwang ihn die chir. Klinik aufzusuchen. 

Die Blase war bis nahezu zum Nabel hinan ausgedehnt, 
ihre Gegend sehr empfindlich. Die Pars membranacea urethrae 
barg einen von der Perinealgegend aus deutlich gefühltem 
fest eingezwängtem harten Körper, anf den die per urethram 
eingeführte Metailsonde mit hellem Klange aufschlug. Nur 
int Mühe gelang es den dünnsten Katheter neben dem 
Steine in die zu entleerende, enorm ausgedehnte Blase zu 
leiten. — 

Nach vergeblichen Versuchen mit dem Leroy’schen Löffel 
die Extraction des Steines vorzunehmen, wurde der äussere 
Harnröhrenschnitt über dem Steine am 7. Juni ausgeführt, 
sodann 2 Ligaturen, 3 Harnröhrennähte angelegt, Der weitere 
Verlauf gestaltete sich zu einem nahezu reactionslosen. Ein 
Theil der Harnröhre heilte per primam, der übrige per 
secundam, da sich Patient 2 Nähte herausriss. Am 20. Juni 
konnte der Kranke vollkommen geheilt entlassen werden. 

Der sehr harte, geschichtete, lichtbraune, leicht höckerige 
Stein bestand seiner Hauptmasse nach aus oxalsaurem Kalk. 
(Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im Beginne 
des heurigen Jahres bei einem Privatpatienten des Hrn. Prof. 
Heine auch die Sectio mediana wegen eines mit hochgradiger 
Strictur und Prostatahypertrophie complicirten Blasensteines mit 
bestem Erfolge ausgeführt wurde.) 


raue 


V. Offene Sprunggelenkswunde mit Fractur des 

äussern Knöchels complicirt. — Conservative 

Behandlung. — Heilung mit freier Beweglichkeit 
des verletzten Gelenkes. 

Am 18. August 1871 wurde uns ein dreijähriges Kind 
übergeben, das am vorhergehenden Tage mit dem rechten 
Fusse unter das Rad eines leeren Steinwagens gerieth und 
bei der Aufnahme folgende Verletzung darbot: Die äussere 
Hälfte der Beugeseite des rechten Sprunggelenkes war durch 
eine vierkreuzerstiickgrosse mit Koth, Sand und: sonstigem 
Schmutz verunreinigte Wunde blosgelegt, und der äussere 
Knöchel quer gebrochen; keine Luxationsstellung. Die ge- 
nannte Wunde setzte sich gegen den Unterschenkel sowohl, 
wie gegen den Fussrücken hin, je 2, Querfinger breit in 
eine oberflächliche Abschilferung fort. 

Die Behandlung bestand in einem das Gelenk immobili- 
sirenden gefensterten Gypsverband, der mit der Ris-Bill- 
roth’schen Schiene derart verbunden wurde, dass der Unter- 
schenkel fusswärts sanft anstieg, und in Carbolwasser- und 
Eisüberschlägen. 

Das Fieber hielt sich lange Zeit hindurch auf über 39 
und steigerte sich in der 2. Septemberwoche, in Folge einer 
längs des innern Knöchels nach aufwärts ziehenden Phleg- 
mone auf über. 40° C. Inzwischen war die Gelenkswunde 
allenthalben mit Granulationen ausgefüllt, der Gypsverband 
konnte entfernt werden und ausgiebige Incisionen der phleg- 
monösen Stellen brachten auch diese bald zur Heilung. 

Am 10. October war allenthalben feste Vernarbung — 
das Sprunggelenk in seinen Bewegungen gar nicht behindert. 

Eduard Lang, klin. Assistent. 


VI. Freier Gelenkskörper und Hydrarthros im 
linken Kniegelenke. — Entfernung des Gelenk- 
körpers durch direkten Einschnitt. — Heilung. 

M. M., 68 |Jahre alt, Taglöhner aus Arzl erzählte bei 
seiner Aufnahme auf die chirurg. klin. am 6. Mai 1871, dass 


— 277 — 


er vor ungefähr 30 Jahren beim Fällen eines Baumes von 
einem unter dem Hiebe seines Gefährten abspringenden 
Stücke Holz heftig am linken Knie getroffen worden sei. 
Durch einige Tage nach diesem Trauma soll das Knie ge- 
schwollen und schmerzhaft gewesen sein, allein er ging da- 
mals sowie in der Folge seiner anstrengenden Beschäftigung 
nach. Auf besondere Strapazen folgte immer ein Gefühl von 
Spannen mit geringer Empfindlichkeit des Knies; ob letzteres 
aber gleichzeitig auch angeschwollen sei, konnte der Kranke 
nicht angeben. 

Seine Aufmerksamkeit blieb immer auf dasselbe gerich- 
tet und liess ihn 2 Jahre nach dem Unfalle die Entdeckung 
machen, „dass sich etwas ober dem Knie herumschiebe.* 
Kurze Zeit darauf klemmte sich der bewegliche Körper unter 
Erregung eines heftigen Schmerzes zum ersten Male und 
später so oft ein, dass der Kranke die Bedingungen hiezu 
ausfindig machte und sich gewöhnte mit möglichst starr ge- 
strecktem Knie zu gehen, 

Sonst war der Patient durch einige Wochen (April und 
Mai 1871) auf der intern. Klinik wegen einer Insufficienz 
der Bicuspidalklappe (deren Zusammenhang mit einem vor- 
ausgegangenem Gelenksrheumatismus nicht festgestellt wer- 
den konnte) behandelt worden. 

Der Patient ist ein knochiger, muskelstarker Mann von 
gesundem Aussehen trotz eines Emphysems und einer hoch- 
gradigen Insufficienz der Bicuspidalklappe, 

Beim Anblicke seiner Kniee fiel deren massige Ent- 
wickelung auf, welche bedingt wird durch eine beide inneren 
Knorren des Schienbeines nahe der Gelenkslinie umgebende 
stark vorspringende, etwa daumendicke, etwas höckerige 
Knochenleiste. 

Das rechte Knie erschien eckig, mit wohlausgeprägten 
Patellargruben, am linken jedoch sind diese verstrichen und 
bemerkte man eine beträchtlich stärkere Füllung des unter 
dem Extens. cruris quadriceps liegenden Antheils der Ge- 
lenkskapsel. 

Naturw.-med. Verein. 2? 


— 208 


Das linke Knie mass über der Mitte der Patella um 
2 Cm. mehr im Umfange als das rechte; 2 Querfinger über 
dem oberen Rande der Kniescheibe aber nur 39 Cm. wie 
das gesunde. Diese Gleichheit auf der gesunden und kran- 
ken Seite fand ihre Erklärung in dem Umstande, dass die 
Muskulatur des linken Oberschenkels hinter jener des rech- 
ten um ein beträchtliches an Masse zurückstand. 

Die linke Kniescheibe ballotirte bei einfachem Anschlag 
nur wenig, ganz deutlich und stark aber, wenn die obere 
prall gefüllte Gelenkstasche gleichzeitig mit der Hand com- 
primirt und deren Inhalt in den unteren Gelenksabschnitt 
entleert wurde. 

Beim Abtasten des Gelenkes findet man in der unter 
dem Quadriceps liegenden Ausstülpung desselben einen viel- 
höckerigen knochenharten Körper von der Grösse einer zah- 
men Kastanie, welcher sich nach jeder Richtung frei herum- 
schieben liess und glatt unter den Fingern gleitete. 

Weitere freie Körper liessen sich nicht eruiren, eben- 
sowenig waren grössere Gelenkzotten vorhanden, denn man 
fühlte ausser einer beträchtlichen Verdickung der Kapsel 
allenthalben glatte Wandungen. 

Da eine radikale Heilung ohne Entfernung des Gelenks- 
körpers nicht denkbar war, so wurde dem Kranken ein dies- 
fälliger Vorschlag gemacht. Obschon ihm die Möglichkeit 
einer eiterigen Kniegelenksentzündung mit dem Ausgange in 
eine Anchylose nicht verschwiegen worden, entschloss sich 
derselbe zur Operation. 

Der Patient musste zwei der Operation vorausgehende 
Tage absolut ruhig im Bette zubringen, um jeden Reizungs- 
zustand des Gelenkes zu beseitigen. 

Am 9. Juni machte Herr Prof. Heine die Operation in 
folgender Weise: 

Der Gelenkskörper wurde in der Gelenkstasche soweit 
als möglich nach oben und aussen gebracht und hier unter 
Verschiebung der Haut von den vier Fingern eines Assi- 
stenten fixirt. Ueber ihn wurden nun die Weichtheile in der 


— 219 — 


Länge von circa 1'/, Zoll in langsamen Zügen vorsichtig 
durchtrennt bis die Kapsel zum Vorschein kam. Der Schnitt 
in letztere wurde unter gleichzeitigem Hineindrängen des 
Gelenkskörpers in die Wunde nur soweit gemacht, dass der- 
selbe nicht im ganzen Umfange bloslag, so die Communi- 
cation der Gelenkshöhle mit der äusseren Luft völlig ab- 
schloss und die Kapsel mit den Weichtheilen mehr über ihn 
herabgestreift werden musste. Unter der Nachhilfe eines 
hinter ihn gebrachten kleinen Häckchens schlüpfte der Ge- 
lenkskörper durch die enge Oeffnung, welche hinter ihm von 
den nachrückenden Fingern des Assistenten luftdicht geschlos- 
sen wurde. Synovia war nicht ausgetreten. 

Fünf Knopfnähte schlossen die kleine Wunde, ein die 
ganze Extremität bis zum Hüftgelenke umfassender starker 
Gypsverband sicherte die absolute Ruhe des eröffnet gewe- 
senen Kniegelenkes. 

Der Patient war nicht narkotisirt gewesen, hatte aber 
nicht über besondere Schmerzhaftigkeit der kurzen Operation 
zu klagen. 

In der zweiten auf die Operation folgenden Nacht tra- 
ten sehr heftige reissende Schmerzen im Knie auf und der 
Patient bekam die Empfindung, dass der Verband mit jeder 
Minute enger werde. Ein Fenster wurde noch in derselben 
Nacht ausgeschnitten, und 2 Eisbeutel auf das leicht bedeckte 
Knie gelegt; am Morgen waren die Schmerzen nahezu völlig 
geschwunden. 

Die Schwellung welche sich vorfand, machte bei der 
geringen Temperatursteigerung keine weitern Bedenken. Vom 
13. Juni an war der Kranke fieber- und schmerzenfrei; am 
20. wurde das Gypsfenster wieder mit Gypsbinden geschlos- 
sen. Die Nähte waren am 10. und 11. entfernt worden; 
die Wunde war ohne dass es zur Bildung auch nur eines 
Tropfens von Eiter gekommen wäre, geheilt. 

Am 10. Juli wurde der Gipsverband abgenommen. Das 
Gelenk war frei beweglich , nicht schmerzhaft, aber der 
Hydrarthros noch nicht verschwunden. Nach Anlegung eines 

22* 


— 280 — 


neuen, starken, gefensterten Gipsverbandes wurde daher eine 
Compression des Gelenkes unter Zuhilfenahme von Bade- 
schwämmen nach der von Prof. Heine angegebenen Methode 
vorgenommen. 

Am 26. Juli konnte eine Kniekappe auf das nun auch 
von seinem serösen Ergusse befreite Gelenk angelegt werden 
und der Kranke seine ersten Gehversuche machen. 

Der Kranke hatte die chir. Klinik inzwischen so ange- 
nehm gefunden, dass er die Krücken lange nicht lassen 
wollte und darum erst am 16. Oktober mit vollkommen her- 
gestelltem Knie entlassen werden konnte. 

Der Gelenkskörper war, wie nach der Schätzung erwar- 
tet wurde, etwas über 2 Cm. lang 1'7 Cm. breit und nahezu 
1 Cm. dick, seine Oberfläche war grobhöckerig, gleich einer 
Maulbeere, seine Consistenz stand zwischen Knochen - und 
Knorpelharte. 

Die mikroskopische Untersuchung, welche erst nach vor- 
gingiger Behandlung mit verdünnter Chromsäure (der etwas 
Chlorwasserstoffsäure zugesetzt worden war) vorgenommen 
werden konnte, ergab einen geschichteten Bau, bedingt durch 
verschieden breite Lagen von hyalinem Knorpel mit unregel- 
mässig vertheilten, meist grossen Nestern schöner Knorpel- 
zellen und Lagen von echtem Knochengewebe mit dicht 
stehenden Knochenkörperchen. Die oberflächliche Schichte 
bestand in ungleicher Dicke aus verkalktem Knorpel mit sehr 
dichten kleinen Knorpelzellen, welche meist in radıären Strei- 
fen angeordnet waren. Dünne Streifen ähnlicher verkalkter 
Parthien zogen sich im Inneren des Gelenkkörpers parallel 
zur Oberfläche hin. 

Bemerkenswerth ist an diesem Falle, dass der chron. 
Hydrarthros trotz seines gewiss sehr langen Bestandes und 
der Lebensweise des Kranken, welche tiefere Gewebsstörungen 
der Serosa des Kniegelenks begünstigte in verhältnissmässig 
kurzer Zeit völlig geheilt wurde. Ferner liefert der Verlauf 
der durch die Operation gesetzten Gelenkswunde einen Be- 
leg für die Wichtigkeit einer schnell bewirkten, absoluten und 


a) 


— 281 — 


dauernden Immobilisirung bei penetrirenden Verletzungen 
grösserer Gelenke. 


VII. Veraltete Luxation des rechten Oberschen- 
kels. Reposition. Wiederherstellung der Brauch- 
barkeit der Extremität. 


Der im Foigenden mitgetheilte Fall verdient wegen der 
langen Dauer der Luxation und der Schwierigkeiten, mit 
welchen die Wiederherstellung normaler Verhältnisse zu kämpfen 
hatte, sowie vielleicht nicht minder wegen seiner Aetiologie 
einige Berücksichtigung. 

Am 31. Mai 1871 wurde L. Th, eine 31jährige kräf- 
tige und gesunde Dienstmagd aus Faggen mit den Erschei- 
nungen einer Luxatio femor. iliaca dextra auf die chirurg. 
Klinik aufgenommen. Die Pat. kam auf zwei Krücken. Ihre 
rechte untere Extremität war beträchtlich verkürzt, im Hüft- 
und Kniegelenke leicht gebeugt und einwärts gerollt. Die 
Spitzen der Zehen berührten den Boden, die Ferse stand 
hoch über demselben nach aussen und hinten, und konnte 
auf keine Weise bis auf denselben herabgesenkt werden. 
Beim Gehen wurde die rechte Extremität unter äusserst ge- 
ringer Flexion am Hüftgelenke (mehr durch Rotation des 
ganzen Beckens im gesunden linken Hüftgelenke) nachge- 
schleppt. Bei der Untersuchung des Gelenkes fand man die 
Pfannengegend leer, dagegen auf dem rechten Darmbeine 
einen rundlichen harten Körper, welcher die Bewegungen des 
Oberschenkels mitmachte. Beugung und Streckung, sowie 
Ad- und Abduction des rechten Oberschenkels waren nur 
in ganz beschränktem Umfange ausführbar. 

Die Luxation, um welche es sich hier handelte, war 
10 Wochen alt und entstanden, als die Patientin einen schwe- 
ren Bund Waldstreu, unter den sie hingekniet war, aufheben 
wollte. Im Augenblicke als sie den Ruck machte, um ihre 
gebeugten Knie- und Hiiftgelenke zu strecken, wurde sie von 
der Last des Bündels nach rechts und vorne niedergerissen, 

Sie empfand in demselben Augenblicke in der rechten 


— 282 — 


Hiifte einen heftigen Schmerz, ihr rechter Oberschenkel war 
starr gebeugt und an den linken angelegt, die Patientin ausser 
Stande ihn zu regen und sich vom Boden zu erheben. 

Trotz eines Repositionsversuches, welcher noch an dem- 
selben Tage vorgenommen worden war, konnte die Kranke 
ihre Extr. nicht mehr gebrauchen. 

Am 1. Juni wurde an der tief narkotisirten Patientin 
der erste Repositionsversuch gemacht. Durch Beugung, Ab- 
duction und Auswärtsrotation wurde mehrere Male versucht, 
den Schenkelkopf an seinen alten Platz zuriickzufiihren, allein 
es wurde nicht mehr als eine freiere Beweglichkeit erzielt. 

Es folgte darauf keine Temperatursteigerung und nur 
sehr geringe Schmerzhaftigkeit der Hiifte. 

Am 19. Juni wurde nach abermaliger tiefer Narcose die 
Patientin auf eine Matraze am Boden gelagert und die Re- 
position durch Ausfiihrung der oben angegebenen Bewegungen 
unter Zuhilfenahme kräftiger Traktionen bei den letzten zwei 
Akten (Abduction und Auswärtsrollung) endlich zu Stande 
gebracht. 

Bei gleichgestellten Darmbeinstacheln standen beide Tro- 
chanteren gleich hoch, der Gelenkskopf war nicht mehr auf 
dem Darmbeine zu fühlen, die rechte Extremität lag ohne 
Flexions-, Adductions- und Rotationswinkel, die Luxation schien 
also reponirt. Der rechte Trochanter sprang aber noch etwas 
stirker vor und legte den Gedanken nahe, dass entweder 
schon eine theilweise Ausfüllung, resp. Verengerung der 
Pfanne eingetreten sei, oder der Kopf trotz gleicher Länge 
beider Extremitäten nicht völlig in der noch normalen Pfanne, 
sondern an deren oberem hinteren Rande stehe. 

Die Repositionsversuche hatten lange gedauert, die Nar- 
kose war tief gewesen und begann sich zu verflachen, es 
wurde daher mit Rücksicht auf die Patientin von Versuchen, 
diesen Rest von Deformität vollends zu beseitigen, abgestan- 
den und ein Gypsverband in der von Herrn Prof. Heine 
empfohlenen Weise über die ganze kranke Extremität, das 
Becken und die obere Hälfte der gesunden angelegt. Exten- 


— 283 — 


sionsschienchen (angegeben von Herrn Prof. Heine) sollten 
den nächsten Tag angebracht werden und die völlige Herein- 
führung des Kopfes in die Pfanne beendigen. 

Am 19. Juli wurden nach Abnahme des Gypsverbandes 
die vorbeschriebenen Verhältnisse noch vorgefunden. In den 
nächstfolgenden Tagen aber rückte der Oberschenkelkopf wie- 
der etwas höher hinauf. 

Am 4. August (bis wohin wegen eines Decubitus am 
Kreuzbeine, welcher die Anlegnng eines neuen Gypsverbandes 
erschwert hätte, die Wiederholung der Repositionsversuche 
verschoben werden musste) gelang es unter Anwendung der 
erstangeführten Methode und sehr energischer Traction den 
Kopf ganz in die Pfanne zu bringen. Ein deutliches Krachen, 
welches im Augenblicke als der Kopf herabtrat, hörbar wurde, 
erweckte den Verdacht auf eine Fraktur des Schenkelhalses. 
Umsomehr musste, da nun die Extremitäten völlig gleich 
lang waren, ein neuer Gypsverband über das Becken und 
beide Extremitäten angelegt werden, 

Darauf folgenden Tages wurden abermals Extensions- 
schienchen angebracht. 

Nach acht Wochen wurde dieser zweite Gypsverband 
entfernt. 

Die rechte Extremität war so lang wie die linke, die 
Einrichtung also dieses Mal gelungen. In der zweiten Woche 
des November durfte die Kranke die ersten Gehversuche mit 
Hilfe zweier Krücken machen. 

In der Folge setzte sie dieselben fort und kam Mitte 
Dezembers so weit, dass sie mit Hilfe eines Stockes gehen 
konnte. 

Bei ihrer Entlassung am 13. Januar 1872 betrug die 
- Entfernung des rechten Trochanters von einem in der Fort- 
setzung des ganz gestreckten Oberschenkels liegenden Punkte 
der Crista ossis ilei um 4 Linien mehr als links, die Extre- 
mität war activ im nahezu normalen Umfange beweglich die 
Patientin also völlig geheilt. 


SD oy ees 


VII. Spontanluxation des rechten Oberschenkels. 
Reposition. Heilung. 

Wegen der hohen Wichtigkeit, welche der im folgenden 
anzuführende Fall für die Fragen über Spontanluxation hat, 
sieht derselbe einer ausführlichen Veröffentlichung entgegen, 
und kann darum an diesem Orte nur ein kurzer Abriss 
desselben gegeben werden. 

Am 17. Dezember 1870 wurde J. J., ein sonst ge- 
sundes und gut entwickeltes Mädchen von 13 Jahren, von 
ihrer Mutter auf die chir. Klinik gebracht. 

Das Kind hatte iu der ersten Woche des August plötz- 
lich heftige Schmerzen in der rechten Hüfte bekommen, welche 
sie zwangen, zu Bett zu liegen. 

Bald war Fieber hinzugetreten und wurden die Schmerzen 
unausstehlich, besonders wenn das Kiud sein rechtes Bein 
bewegen sollte. Es gewöhnte sich daher, mit angezogenen 
Beinen, wobei das rechte durch das linke getragen wurde, 
still zu liegen, und konnte (was die Mutter erst bei dem im 
Anfange November erfolgenden Nachlass der Schmerzen be- 
merkte) ihr Bein im Hüftgelenke nicht mehr strecken. 

Man fand bei der Aufnahme den rechten Trochanter 
stärker vorspringend und um 3, Cm. dem Darmbeinkamme 
näher als den linken. Das Bein war adducirt, einwärts ro- 
tirt, stark gebeugt und kaum beweglich. Der Gelenks- 
kopf war am Darmbeine deutlich zu fühlen und machte hier 
die geringen Bewegungen , welche überhaupt mit dem Ober- 
schenkel ausgeführt werden konnten, mit 

Von Narben in der Umgebung des Hüftgelenkes oder 
anderwärts war nichts zu sehen. Die Mobilisirung und Re- 
position der luxirten und an falscher Stelle fixirten Extre- 
mität wurde auf dieselbe Weise wie im vorigen Falle be- 
werkstelliget und der Erfolg durch einen im Schneider-Me- 
nel’schen Apparate wie oben angelegten Gypsverband ge- 
sichert. 

5 Wochen später fand sich. nach Abnahme des Gyps- 
verbandes, dass die rechte Extremität weniger frei beweglich 


— 285 — 


und um 1 Cm. kürzer sei als die linke und dass der Tro- 
chanter rechts weiter vorstehe als links, letzteres wahrschein- 
lich in Folge von Verflachung und Verkleinerung der Pfanne. 

Die Patientin wurde nun 6 Wochen mit suspendirter 
Extremität in Extension gelegt; dann aber wurde, da Be- 
weglichkeit und Längenverhältniss hiedurch nicht wesentlich 
verbessert zu werden schienen, in der Narcose ein zweiter 
Versuch gemacht, den letzten Rest von Abnormität durch 
foreirte Flexion, Adduction, Auswärtsrotation und Traction noch 
völlig zu beseitigen. Abermals Gypsverband auf die Dauer 
von 10 Wochen. 

Mitte Juni war zwar noch die Verkürzung des Beines 
um 1 Cm. und das stärkere Vortreten des rechten Trochan- 
ters vorhanden, aber der Oberschenkel im Hüftgelenke so 
weit beweglich, dass er bis zu einem Winkel von 40° ge- 
beugt, im normalen Umfange abducirt, addueirt, rotirt und 
nahezu völlig gestreckt werden konnte. 

Ende August ging die Patientin auf Krücken herum, 
die sie dann Anfangs Oktober mit zwei Stöcken vertauschte. 

Ihr Gang war zwar noch etwas unsicher, und bei grösseren 
Schritten bewegte sich auch das Becken mit, allein alles 
dies besserte sich in der Folge so beträchtlich, dass die 
Kranke am 15. Jänner mit beinahe normalfunktionirenden 
Gelenken entlassen werden konnte. 


Damals — also 4 Monate, nachdem sie das Bett ver- 
lassen und täglich immer länger dauernde Gehversuche ge- 
macht hatte — betrug die Verkürzung der krankgewesenen 


Extremität nicht mehr als 1 Cm., wie nach der 1 Reposi- 
tion, und wurde der Flexionswinkel, auf dessen Rechnung 
diese kleine Verkürzung zu setzen ist, mit 7° (mit Hülfe 
des Coxanchylometers von Herrn Prof. Heine) festgestellt. 


IX. Luxatio humeri sin. subeoracoidea inveterata. 
Reposition nach der Methode von Herrn Prof. 
Heine. i; 


Im Jahre 1867 empahl Herr Prof. Heine auf der Natur- 


— 286 — 


forscherversammlung zu Frankfurt fiir veraltete Schulterge- 
lenksluxationen nach vorne eine neue Repositionsmethode, 
welche sich in der Folge so bewährte, dass er im Jahre 1870 
schon 4 von ihm selbst durch dieselbe geheilte Fälle ver- 
öffentlichen konnte. (S. Nr. 25 und 26 der „Wiener Med. 
Wochenschrift “.) 

Seit jener Zeit sind auf der chirurg. Klinik nach dieser 
neuen Methode zwei weitere Luxationen reponirt worden, 
die im Folgenden mitgetheilte jedoch übertraf alle bisherigen 
durch die Dauer ihres Bestandes. — Ein 55jahriger Taglöhner 
war im Juni des Jahres 1870 unter der Last eines schweren 
Brettes so nach hinten übergefallen, dass er zuerst mit dem 
linken Ellbogen auf demBoden aufstiess, und sich dabei den 
humerus luxirte. Repositionsversuche, welche bald dar- 
auf von unkundigen Händen, und dritthalb Monate später 
von einem Arzte angestellt worden waren, hatten keinen Er- 
folg gehabt. Oft auftretende heftige Schmerzen und Schwel- 
lung der Schultergegend erregten die Vermuthung, dass auch 
entzündliche Vorgänge in den Gebilden des luxirten Gelenkes 
abgelaufen seien. 

Bei der Aufnahme des Kranken am 12. Febr. 1871 — 
also nahezu 8 Monate nach dem Unfalle — fanden sich die 
Symptome einer Luxatio subcoracoidea. Die activen Be- 
wegungen, waren auf ein höchst geringes Mass beschränkt, 
so zwar, dass der Patient mit dem abducirten Daumen, nur 
dann an den Mund reichen konnte, wenn er das Schulter- 
blatt stark mitbewegte, und gleichzeitig den Kopf tief herab- 
senkte. 

Die Elevation, Rückwärtsbewegung und Rotation des 
Armes war fast ganz unmöglich. Nicht viel weiter waren 
die Grenzen der passiv ausführbaren Bewegungen. 

Am 17. Februar wurde der Patient so tief narkotisirt, 
als es die bedenklich flache Respiration, in welche er bald 
verfallen war, erlaubte. Ehe noch die Muskeln völlig er- 
schlafft waren, musste die Reposition versucht werden. 

Ein Polster des Operationstisches wurde, so weit unter 


7 284. 


den Riicken des Kranken gebracht, dass die linke Schulter 
frei lag, der Kopf wurde von einem Assistenten nach der 
rechten Seite geneigt, frei gehalten. 

Zuerst wurde der Arm in seiner Luxationsstellung durch 
ausgiebige Rotations- Ab- und Adductionsbewegung möglichst 
frei gemacht; dann bei rechtwinklig gebeugtem Vorderarm so 
stark elevirt, bis der Oberarmkopf in der Achselhöhle er- 
schien. — An diesen stemmte nun ein Assistent seine. bei- 
den Daumen mit aller Kraft an, um das Zurückgleiten an 
die die ebenverlassene Stelle während der nun folgenden Her- 
abführung des Armes vor dem Gesichte zur Brust (Circum- 
duction und Senkung) zu verhindern. 

Erst nach dem dritten Versuche stand der luxirtgewesen 
Oberarmkopf an seinem normalen Platze. Man konnte seinen 
Rand von der Achselhöhle her so deutlich befühlen, dass 
über das Gelungensein der Reposition kein Zweifel aufkom- 
men konnte. Dies war von um so grösserer Wichtigkeit, 
weil die Wölbung der Schulter nun auf dieser Seite merk- 
lich stärker ausgesprochen war, als rechts (d.i. auf der ge- 
sunden Seite). Wahrscheinlich hatte die Schulter-Pfanne im 
Verlaufe der nach der Luxation verflossenen 8 Monate sich 
schon so verändert, dass der Kopf sich ihrem Grunde nicht 
ganz anschmiegen konnte. Dieser Gedanke bekam auch 
durch die in der Anamnese angeführten Symptome einer Ent- 
zündung in der verletzt gewesenen Schulter festere Gestalt. 
Trotz der angeführten, geringen Abnormität, konnten nun 
alle Bewegungen der Schulter in ziemlich grossem Umfange 
ausgeführt werden. — Dem Kranken wurde darauf bei an 
den Stamm (über ein Achselkissen) angezogenem Arme ein 
Gypsverband angelegt. 

Bei der Entfernung des Gypsverbandes am 25. März 
stand der Kopf gut, war aber die Beweglichkeit desselben 
etwas beschränkt; er wurde desshalb in der Chloroformnar- 
kose ausgiebig mobilisirt, dann aber der Arm für kurze Zeit 
wieder in einem leichten Gypsverbande fixirt. Warme Bäder 
und p: ssive Bewegungen, welche mit der äussersten Conse- 


— 2388 — 


quenz ausgeführt wurden, vergrösserten in der Folge die 
Brauchbarkeit des Armes so weit, dass ihn der Kranke bei 
seiner Entlassung bis zur Horizontalen erheben, gut rotiren 
ab- und adduciren konnte. 

Dr. J. Schlemmer, 2. klin. Assistent. 


Vier Beobachtungen von Brucheinklemmung und 
Herniotomie. 


Von den imFolgenden mitgetheilten Beobachtungen von 
eingeklemmten Hernien ist nur der erste Fall, als der 
einzige klinische des abgefaufenen Jahres, in der obigen Stati- 
stik enthalten. Von den drei übrigen gehören zwei der kon- 
sultativen Privatpraxis des Unterzeichneten an, wahrend der 
dritte allerdings auch in klinischer Behandlung stand, aber 
bereits in das laufende Jahr fällt, da er am 1. Jänner d. J. 
auf der Klinik Aufnahme fand. Ich stelle dieselben nichts 
destoweniger hier zusammen, weil sie sämmtlich in dem kurzen 
Zeitraume von 5 Monaten zur Beobachtung gelangten, und 
indem sie mancherlei Anlass zur Vergleichung bieten, alle 
(jeder in seiner Art) das Interesse des ärztlichen Leser- 
kreises dieser Zeitschrift für sich in Anspruch zu nehmen 
berechtigt sind. Von den vier eingeklemmten Brüche, waren 
zwei Leistenbrüche (beide bei klinischen Kranken männ- 
lichen Geschlechtes beobachtet), der dritte ein Schenkel- 
bruch und der vierte ein Nabelbruch (die beiden letzte- 
ren bei Frauen in der Privatpraxis zur Beobachtung ge- 
kommen). Dreimal fand sich eine Enteroepiplocele, das 
vierte Mal (bei dem Schenkelbruch) eine einfache Ente- 
rocele vor. In den drei erstgenannten Fällen hatte der 
Bruchschnitt die Heilung zur Folge, in dem letzten, am 
spätesten zur Operation gelangten, trat der letale Ausgang 
ein. Einmal wurde die Herniotomie ohne, dreimal mit Er- 
öffnung des Bruchsack’s ausgeführt, darunter einmal freilich 
entgegen der ursprünglich bestandenen Absicht. 


— 289 — 


1. Rechtseitige eingeklemmte äussere Leisten- 
hernie, Herniotomie ohne Eröffnung des Bruch- 
sack’s, Heilung per primam intentionem. 


Ein 45jahriger Arbeiter, A. D., litt seit 23 Jahren an 
einem cca. henneneigrossen r. Leistenbruch, welcher nach seiner 
Angabe nach Heben einer schweren Last plötzlich hervor- 
getreten sein soll. Seit einem Jahr erst trug der Kranke 
wegen Schmerzhaftigkeit der Bruchgeschwulst beim Arbeiten 
ein ihm verordnetes Bruchband, unter dem aber der Bruch 
stets hervorschliipfte. Den 17. Nov. 1871 Nachm. 4 Uhr, 
bemerkte Patient bei der Arbeit eine Volumszunahme des 
Bruches, die ihn nach einer Stunde veranlasste sich zu Bett 
zu begeben. Ein Versuch, den bis dahin immer reponirbaren 
Bruch zurückzubringen misslang. Patient legte das Bruch- 
band über die Bruchgeschwulst an, doch unter demselben 
vergrösserte sich der Bruch, so dass der Riemen des Bruch- 
band’s entzweiriss. Es stellte sich heftiges Bauchgrimmen 
und im Laufe der Nacht zweimaliges Erbrechen von Speise- 
bestandtheilen ein. Um 6 Uhr Abends hatte Patient noch 
eine Stuhlentleerung gehabt. Am folgenden Morgen liess er 
sich auf den Rath eines Collegen, der keinen Repositions- 
versuch machte, auf die Klinik aufnehmen. Man gewahrte 
in der obern Hodensackhälfte eine kindskopfgrosse pralle, 
- tympanitischklingende Geschwulst, die mit einem dicken Stiele 
in den Leistenkanal hineinreichte, Ein schonend ausgeführter 
Taxisversuch ergab als wahrscheinlichen Sitz der Einschnü- 
rung den äussern Leistenring. Die Geschwulst war bei Be- 
rührung empfindlich, der Gesichtsausdruck des Kranken ver- 
rieth grosse Aengstlichkeit. 

Um 10 Uhr Vormittags wurde zur Chloroformnarkose 
geschritten und nun in planmässiger Weise Repositionsver- 
suche mittelst concentrischen Drucks vom Grunde der Ge- 
schwulst her und trichterförmiger Einengung des Geschwulst- 
stiels mittelst Traktion, sowie mittelst allseitiger Compression 
des Bruchs gemacht, unter gleichzeitigem Niederdrücken der 


— 290 — 


Bauchdecke mit einer andern flachen Hand oberhalb der 
Bauchgeschwulst in der r. reg. hypogastrica. Alles verge- 
bens; der Bruch blieb so gespannt wie zuvor. Darauf wurde 
mehrere Stunden hindurch Eis applicirt, und Nachmittags 
41/2 Uhr nach erneuter Narkotisirung und nochmaligen frucht- 
losen Taxisversuchen die Herniotomie gemacht in der 
ausgesprochenen Absicht, dem äusseren Leistenring durch eine 
möglichst kleine Wunde direkt zu Leib zu gehen und den 
Bruchsack ‚uneröffnet zu lassen. Ich führte einen 11/2” langen 
schräg nach Aussen aufwärts verlaufenden Schnitt gerade 
über dem Leistenring, vertiefte ihn successive bis zur Blos- 
legung des letzteren, überzeugte mich, dass wirklich durch 
diesen die Einklemmung bedingt wurde, kerbte denselben mit 
dem konkaven Herniotom nach Oben ein und vermochte so- 
dann ohne Mühe den Bruchinhalt in die Bauchhöhle zurück- 
zuschieben. Die Incarceration war behoben. Die kleine Haut- 
wunde wurde durch 5 Knopfnähte vereinigt und Patient in 
das Bett zurückgebracht. Derselbe fühlte sich durch die 
Operation sehr erleichtert. Es stellte sich in der folgenden 
Nacht Stuhl ein. Am folgenden Tage wurden 3 Nähte, am 
zweiten die zwei übrigen entfernt. Fieber trat nicht ein. Die 
prima intentio war vollkommen gelungen. Ein taubeneigrosses, 
kolbiges Netzstück lag noch im Bruchsack vor und war. offen- 
bar mit demselben leicht verklebt, so dass es sich ohne 
stärkeren Druck nicht reponiren liess. Aus Schonung für die 
junge Narbe wurde desshalb die Reposition desselben erst 
am achten Tage nach der Operation mit Erfolg vorgenommen. 
Der Kranke wurde einige Tage später entlassen, nachdem 
er vorher mit einem passenden Bruchband versehen worden 
war, — Die richtige Diagnose der Einklemmung durch die 
Bruchpforte, der unbedeutende Eingriff durch die darauf ba- 
sirte, 24 Stunden nach eingetretener Incarceration ausgeführte 
Operation, die Wundnaht und primäre Vereinigung, sowie das 
Ausbleiben aller Reaktionserscheinungen bilden die bemerkens- 
werthen Punkte dieser Beobachtung. 


— 291 — 


2. Rechtseitige incarcerirte Scrotalhernie, Her- 
niotomie mit Eröffnung des Bruchsackhalses, 
Peritonäalnaht, Heilung. 


Der Bruch dieses 22 J. alten Kranken, F. St., besteht 
angeblich erst seit drei Jahren. Damals soll er unmittelbar 
in Folge Herabrutschens über drei Treppen als kleine Ge- 
schwulst entstanden sein, die sich später nach einem Brech- 
anfalle gegen das Scrotum herab ausdehnte. Zugleich stellten 
sich heftige Schmerzen im Unterleibe ein, die seine Aufnahme 
in’s Spital veranlassten. Man nahm die Reposition der Hernie 
vor und legte dem Patienten ein Bruchband an, das er seit 
jener Zeit ununterbrochen bei Tag und bei Nacht trug. Am 
1. Januar ds. Js. Nachmittags 4 Uhr schlüpfte der Bruch 
unversehens unter der Pelotte des schadhaft gewordenen 
Bruchbandes hervor; es gesellten sich sofort Schmerzen im 
Unterleibe hinzu, 1/2 Stunde später erfolgte Erbrechen, das 
sich wiederholte. Um 7 Uhr Abends wurde von einem Col- 
legen ein erfolgloser Taxisversuch gemacht, und um 111/2 Uhr 
Nachts der Kranke der Klinik übergeben. Er hatte verfallene 
Gesichtszüge und klagte über öftern Frostschauer. Bei der 
örtlichen Untersuchung fand sich eine strausseneigrosse r. 
Scrotalhernie, deren ‘untere Parthie sich mässig weich an- 
fühlte, während die obere prall gespannt war, und die an 
ihrem Halse besonders in der Tiefe gegen den inneren Lei- 
stenring zu sich stark eingeschnürt und sehr empfindlich 
zeigte. Sofortige von dem ersten Assistenten Herrn Dr. 
Lang sowohl ohne als in der Narkose vorgenommene Repo- 
sitionsversuche waren vergeblich. Es wurde desshalb ein 
Eisbeutel auf die Bruchgeschwulst gelegt und innerlich Eis- 
pillen verabreicht, da der Kranke wiederholt gallig-schleimige 
Massen erbrach und von anhaltendem Aufstossen gequält 
wurde. 

Den folgenden Morgen um 10 Uhr sah ich den Kranken 
in diesem Zustande und entschloss mich ohne Säumen zur 
Vornahme der Herniotomie (18 Stunden nach erfolgter 


— 292 — 


Incarceration). Der hohe Grad der Einschnürung und die 
Beweglichkeit des Einklemmungsringes bewogen mich von jedem 
weiteren Taxisversuch abzusehen. Ich beabsichtigte, wie in 
dem vorigen Falle wo möglich ohne Eröffnung des Bruchsacks 
die Einklemmung zu heben, jedenfalls aber durch eine kleine 
Incisionswunde in der Gegend des Leistenkanals, dessen innere 
Oeffnung als Sitz der Einschnürung angenommen wurde, die 
Operation ihrem Endziele zuzuführen. Ich machte zu diesem 
Zweck in der Chloroformnarkose einen 1” langen Schräg- 
schnitt an der genannten Stelle, drang durch denselben 
schichtenweise spaltend zum äusseren Leistenring vor und 
überzeugte mich, dass dieser, obgleich ziemlich eng, doch 
nicht die Ursache der Incarceration sein konnte. Ich kerbte 
ihn nichtsdestoweniger nach Aussen aufwärts ein, um dem 
Finger einen Zugang zum inneren Leistenring längs des Bruch- 
sackhalses zu bahnen. In der Höhe des letzteren fühlte ich 
am Bruchsackhalse dicht anliegend mehrere über denselben 
straff herübergespannte fibröse Stränge, welche zweifellos die 
Einklemmung bedingten. Sie schienen mir dem inneren Lei- 
stenring anzugehören, waren aber in die Aussenfläche des 
Bruchsacks so tief eingebettet, dass ich Mühe hatte, unter 
Führung des linken Zeigfingernagels einige derselben mit einem 
schmalen spitzen Bistouri zu durchschneiden. Unter die ober- 
sten suchte ich eine dünne Hohlsonde unterzuschieben; doch 
bei diesem Versuche riss die brüchige Wand des Bruchsack- 
halses ein, und ich erweiterte nun rasch die kleine Risswunde 
durch die noch ungetrennten Stränge hindurch mit dem Her- 
niotom. Beim Einreissen schon stürzte eine reichliche Menge 
klarer seröser Flüssigkeit hervor und dieser folgte zuletzt ein 
circa wallnussgrosser Knollen blutig infiltrirten Netzes. Das- 
selbe liess sich ebenso wie der übrige Bruchinhalt, der aus 
Darmschlingen bestand, durch Compression der Bruchgeschwulst 
vom Grunde her leicht in die Bauchhöhle reponiren, ohne 
dass etwas Weiteres in der Wunde zum Vorschein kam. Die 
Wunde am Bruchsackhalse wurde nun mit spitzen Häkchen 
vorgezogen, gereinigt, ihre Ränder mit der Scheere egalisirt 


— 293 — 


und sodann durch 13 Knopfnähte mit karbolisirten Seiden- 
fäden (Schliemann’sche Seide Nro. O0) vereinigt. Während 
dieser Zeit wurde von Seiten des Assistenten das Eindringen 
von Luft in die Bauchhöhle wirksam verhindert. Die Fäden 
wurden zur äusseren Hautwunde herausgeleitet, nebst zwei 
angelegten Ligaturfäden, die Wunde mit Carbolnebel bestäubt, 
offen gelassen und mit karbolisirter Watte, Guttaperchapapier 
und einer Spica coxae verbunden. Das subjektive Befinden 
des Kranken nach der Operation war ein ganz befriedigendes. 
Da ich in Erfahrung gebracht hatte, dass derselbe schon 
längere Zeit an einer Intermittens tertiana leide und seinen 
Anfall am Tage der Operation erwarte, so ordnete ich sofort 
die Verabreichung von 10 gr. Chinin. sulf. mit 1 gr. Opium 
an und liess diese Dosis 8 Tage hindurch täglich nehmen. 
Am Nachmittag nach der Operation stellte sich der Fieber- 
anfall auch wirklich ein mit einer Temperatur von 40° C. 
In der Umgebung der Wunde traten keinerlei Reaktionser- 
scheinungen auf. Am zweiten Tage nach der Operation war 
Patient fieberfrei und konnten 4 Nähte, die durchgeschnitten 
hatten, entfernt werden. Am dritten Tage wurde eine weitere 
Sutur nebst den zwei Ligaturfäden und an den folgenden 
vier Tagen die übrigen Nähte, nachdem sie durchgeschnitten 
hatten, herausgenommen. Patient, dessen Wunde in schön- 
ster Heilung begriffen war, hatte bis zu dieser Zeit (dem 
7. Tage nach der Einklemmung) noch keinen Stuhl gehabt. 
Chinin und Opium wurden nun ausgesetzt und ein Clystier 
gegeben. Darauf folgten zwei Entleerungen vereinzelter knol- 
liger Fäces. Da das ganze Rectum mit einer Menge solcher 
fester, trockener Scybala ausgefüllt war, wurde die Auslöffe- 
lung derselben vorgenommen. 

Der weitere Verlauf bietet nichts Bemerkenswerthes mehr. 
Unter fortgesetzter antiseptischer Behandlung gelangte die 
Operationswunde am 24. Tage zur vollkommenen Heilung. 
Das Wechselfieber blieb aus und der Kranke wurde am 
28. Tage mit einem gutschliessenden Bruchbande entlassen. 


Die Grundsätze, nach welchen ich bei und nach der 
Naturw.-med. Verein, 23, 


— 294 — 


Herniotomie frisch eingeklemmter Leistenhernien verfahre und 
die durch vorstehende Fälle ihre Illustration erhalten, lassen 
sich kurz dahin resumiren, dass ich: 

1. trachte, wo immer möglich eine kleine 
Wunde dem muthmasslichen Sitze der Einklem- 
mung gegenüber anzulegen; 

2. stets, wo nicht die Einklemmung durch den Bruchsack 
selbst oder innerhalb desselben von vornherein feststeht, in 
erster Linie darauf ausgehe, die Incarceration unter Schonung 
des Bruchsacks (nach Petit) zu beheben; 

3. sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen, die 
Vereinigung der äusseren Wunde, und wenn der Bruchsack 
eröffnet werden musste, der Bruchsackwunde allein oder neben 
der äusseren Wunde durch die Naht vornehme behufs Er- 
zielung einer prima intentio; 

A. (und das gilt für alle eingeklemmten Hernien gleich- 
mässig) die Nachbehandlung mit Opium leite und den spon- 
tanen Eintritt der Stuhlentleerungen abwarte. 


3. Linkseitiger eingeklemmter Schenkelbruch, 


Herniotomie, Heilung. 


Am 19. August vorigen Jahrs wurde ich von Herrn 
Dr. Theuille zu einer Frau A. H. in T. gerufen, welche seit 
Abends vorher Einklemmungserscheinungen an ihrer kleinen 
l. Schenkelhernie darbot, die gerade ein Jahr zuvor von 
demselben Collegen wie es scheint, im Zustande einer leich- 
ten Kothanschoppung zuerst wahrgenommen worden war. 
Die Kranke hatte bis dahin den „Knopf“ nicht bemerkt 
gehabt. Die Colikerscheinungen vor 1 Jahr giengen nach 
einigen Stunden vorüber, obgleich die von dem gen. Collegen 
versuchte Reposition der Hernie nicht gelang. Auch in 
späterer Zeit mehrmals vorgenommenen Repositionsversuche, 
welche die Anlegung eines Bruchbandes zum Zweck hatten, 
blieben erfolglos, so das die Annahme einer H. accreta nahe 
gelegt wurde, 


— 295 — 


Am 18. August 1871 Abends stellten sich nun neuer- 
dings Symptome von Incarceration ein, die aber diesmal wäh- 
rend der Nacht und am folgenden Morgen an Intensität 
zunahmen, zu wiederholtem Erbrechen und schmerzhafter 
Spannung der kleinen Bruchgeschwulst führten und daher 
den oben erwähnten Herrn Collegen veranlassten, telegraphisch 
meine Hülfe nachzusuchen. Ich traf mit Herrn Dr. Lang 
den 19. gegen 4 Uhr in T. ein, fand die Kranke mit ängst- 
lichem Gesichtsausdruck, kleinem schnellen Puls und leichtem 
Meteorismus. Die unterhalb des Poupart’schen Bandes im 
Schenkelbug befindliche Bruchgeschwulst hatte den Um- 
fang einer grossen Pflaume, war sehr gespannt, schmerzhaft 
und im Schenkelring fest eingeschnürt, die Bruchdecken nur 
leicht geschwellt. Da ein sofort ausgeübter Taxisversuch 
(der erste nach erfolgter Einklemmung) die Erfolglosig- 
keit, die Incarceration auf diesem Wege zu beheben, fast 
zur Gewissheit machte, überredete ich die gegen die 
Operation sich sträubende Patientin zur Einwilligung in 
dieselbe und nahm sie ohne Säumen in der Chloroform- 
narkose nach einem nochmaligen vergeblichen Versuche der 
Reposition vor. Ein circa 2 Zoll langer Längsschnitt, zwi- 
schen zwei Pincetten vorsichtig vertieft, legte den Bruchsack 
bloss; derselbe wurde ebenfalls mittelst zweier Pincetten 
etwas emporgehoben und da ich eine Verwachsung desselben 
mit dem Bruchinhalte vermuthete, mit grosser Vorsicht 
eingeschnitten. Darauf kam die matt geröthete Aussen- 
fläche einer kleinen Darmschlinge, die durch kurzes straffes 
Zellgewebe im ganzen Umfang des Bruchsacks angewachsen 
war, und nur mit geübtem Auge sich erkennen lies, zum 
Vorschein. 

Der Bruchsack wurde der Länge nach gespalten, der 
linke Zeigfinger ia denselben gegen den Schenkelring geführt 
und auf dem Nagel desselben der überaus enge Ring mit 
dem Herniotom nach Oben eingekerbt, darauf die kleine 
stark hyperämische Darmschlinge grösstentheils mit dem 
Skalpellstiele rings aus dem Bruchsack ausgelöst und ohne 


23° 


—/ 296: — 


Schwierigkeit reponirt. Die Wunde wurde zur Hälfte durch 
Knopfnähte geschlossen. in den untern Winkel eine Charpie- 
Möche eingelegt und ein Spica-Verband darüber gemacht 
Die Operation gieng sehr rasch und ohne Schmerz. für die 
Kranke von statten, die sich durch dieselbe sehr’ erleichtert 
fühlte. Die von Herrn Dr. Theuille geleitete Nachbehandlung 
stiess auf keine unangenehmen Zufälle mehr. Der vereinigte 
Theil der Wunde heilte per primam, der übrige auf dem 
Wege der Eiterung fast ohne Fieber und ohne alle perito- 
nitischen Erscheinungen innerhalb 4 bis 5 Wochen. Am 
21. September gieng die Kranke schon wieder ihren gewohn- 
ten Beschäftigungen nach. Der erste Stuhl hatte sich erst 
8 Tage nach der Herniotomie auf ein Clysma eingefunden. 
Die Genesene trägt jetzt ein Bruchband, das ihren Bruch 
reponirt hält. Ich habe sie seit der Operation nicht mehr 
gesehen. 

Herr Dr. Theuille, dem ich die bezüglichen obigen No- 
tizen verdanke, theilt mir mit, dass die kleine Hernie, wenn 
sie sich gelegentlich wieder hervordrange, sehr leicht re-| 
ponirbar sei. 


& 


4. Eingeklemmter grosser Nabelbruch bei einer 
Erwachsenen, späte Herniotomie, Tod durch 


Septicämie. 


Ein älteres Fräulein von ziemlicher Corpulenz, welches 
schon seit einer Reihe von Jahren an einem reponiblen Nabel- 
bruch litt, wegen dessen sie ein Bruchband trug, verspürte, 
während ihres Aufenthaltes am Achensee am 20. August'v. J. 
Morgens 10 Uhr in Folge heftigen Lachens, plötzlich unter 
intensivem Schmerz ein Hervortreten ihres Bruches von mehr 
als gewönlichem Umfang. Sie wurde von: Uebelsein befallen 
und musste sich legen. Zwei zufällig anwesende. Collegen‘, 
wurden nach mehrfachen von ihr selbst angestellten, vergeb- 
lichen Repositionsmanövern, nach Ablauf einer Stunde hin- 


— 297 — 


zugerufen, konstatirten eine Brucheinklemmung, und nahmen 
ohne Verzug sowohl ohne als mit Chloroform wiederholte 
Taxisversuche vor. Als auch diese nicht zum erwünschten 
Ziele führten, veranlassten sie die Kranke sich nach Inns- 
bruck transportiren zu lassen und meine Hülfe anzusuchen. 
Der Transport musste circa 2 Stunden per Wagen auf holpe- 
rigen Wegen und 1 Stunde per Bahn ausgeführt werden und 
griff die Kranke sehr an. Abends traf sie hier ein, den 
andern Morgen 10 Uhr wurde ich hinzugezogen, nachdem 
am Abend zuvor von Herrn Collegen Lantschner erneute 
Versuche zur Reposition, aber wie die früheren ohne Erfolg 
gemacht worden waren. Als ich die Kranke sah, machte 
sie mir gleich einen sehr ungünstigen Eindruck. Sie hatte 
die Nacht über öfters gebrochen, und litt an beständigem 
Aufstossen. Ihr Gesicht war sehr geröthet, der Ausdruck 
desselben hatte etwas Aengstliches und der Puls war 
‘klein und fliegend, der Unterleib in Folge von Moteoris- 
mus ausgedehnt und mässig gespannt. Die Nabelbruchge- 
schwulst trug auf ihrer Höhe die verstrichene Nabelnarbe 
und hatte die Grösse eines Kindskopfs. Sie war von 
fettreichen, stark ödematösen und entzündlich infiltrirten, 
leicht gerötheten Bauchdecken bedeckt, sehr gespannt und 
schmerzhaft, und sass mit breiter Basis der vorderen Bauch- 
wand auf. Ihr Inhalt fühlte sich ziemlich derb an, soweit 
sich neben der nicht unbeträchtlichen Quantität Bruchwassers 
erkennen liess. Es wurde der Kranken ohne Verzug die 
Narkotisirung behufs erneuter Vornahme der Taxis und even- 
tuellen, sofortigen Uebergang zur Herniotomie vorgeschla- 
gen, über deren Gefahren im Hinblick auf die verflossene 
Zeit seit der Einklemmung, den unzuträglichen Transport und 
die Fettleibigkeit der Kranken ich deren Angehörige nicht 
im Zweifel liess. Es kam zur Operation, die ich mit Hülfe 
der Herren DDr. Lantschner und Läng ausführte. In der 
Medianlinie der Bruchgeschwulst wurde ein Längsschnitt in 
der Länge ihrer zwei unteren Drittel durch die Haut ge- 
führt, dann die Zellgewebs-Schichten successive zwischen 


— 298° — 


zwei Pinzetten getrennt und der sehr dünne Bruchsack 
blosgelegt. Eine Einkerbung des die Incarceration bewir- 
kenden Nabelrings ausserhalb des Bruchsackes erschien un- 
thunlich. Letzterer wurde daher in der Ausdehnung des 
Hautschnittes gespalten, worauf nach Abfluss einer ziem- 
lichen Menge bräunlichen Bruchwassers eine röthlichgefärbte 
Masse fettreichen Netzes zum Vorschein kam. Dieses wurde 
behutsam auseinandergelegt, und gegen den Nabelring hin 
verfolgt, wo ich sehr bald eine von dem Netz rings umhüllte 
kleine, blauröthliche Dünndarmschlinge entdeckte, die mit 
dem Netz im Nabelring eingeklemmt war. Letzterer wurde 
auf der Hohlsonde nach mehreren Richtungen eingekerbt, 
bis sich die Darmschlinge, an der noch kein Zeichen 
von Brand wahrgenommen wurde, reponiren liess, und das 
gleichfalls gut erhaltene Netz ohne Schwierigkeit zurückge- 
bracht werden konnte. Die Operationswunde wurde darauf 
sorgfältig antiseptisch gereinigt, und die äussere Wunde bis 
auf den unteren Winkel, zur Verhütung eines Vorfalls durch 
die Naht geschlossen, Die Kranke, die von der Operation 
nichts gefühlt, befand sich nach derselben ganz wohl. Den 
Tag über dauerte nur das lästige Aufstossen fort, Erbrechen 
kam nicht wieder, das Fieber hielt in mässigem Grade an. 
Die Nacht war etwas unruhig, am Morgen fand sich etwas 
Wundsekret im Bruchsack angesamuelt, es wurde daher der 
grösste Theil der Nähte entfernt, és entleerte sich wie bei 
der Operation viel braunröthliches, wässeriges Sekret, das 
auch aus der Bauchhöhle noch in einiger Menge nachfloss. 
Antiseptischer Verband, Eis, Chinin. Am folgenden Tage 
zeigte sich eine circumskripte Peritonitis links vom Nabel, 
und wiederum Abfluss einer nun etwas übelriechenden, iait 
feinen Gasbläschen gemischten Flüssigkeit. In den Bruch- 
decken entwickelte sich eine septische Phlegmone. Das Sen- 
sorium der Kranken war nicht mehr ganz frei, sie sprach 
viel, war heiter, verstand unsere Fragen, antwortete jedoch 
hastig und unzusammenhangend. Ihre Züge waren etwas 
dekomponirt und hohes Fieber vorhanden. Chinindosis ver- 


— 299 — 


stärkt. Bis Abend bildete sich die sehr akut entstandene 
Septicaemie vollends aus, in der Nacht delirirte die Kranke, 
am folgende Tage und in der folgenden Nacht verfiel sie in 
Sopor, und verschied am 4. Tage nach der Operation Morgens 
11 Uhr. Die Sektion konnte leider wegen äuserst rapider 
Fäulniss nicht gemacht werden. 

Heine. 


Personalstand des Vereines im Jahre 1871. 


Vereinsleitung. 


Vorstand: Herr Prof. Dr. Max Ritter v. Vintschgau. 
Vorstand-Stellvertreter: Herr Prof. Dr. Ludwig Ritter 


v. Barth. 


Kassier: Herr Prof. Dr. Carl Dantscher. 
Schriftführer: Herr Dr. Josef Oellacher. 


Mitglieder. 


Herr An-der-Lan Eduard Dr. v., k. k. Hauptmann in 


Innsbruck. 

Ausserer Anton, Gymnasialprofessor in Feldkirch. 
Arz Anton Graf v., k. k. Statthaltereirath in Innsbruck. 
Barth Franz Ritter v., k. k. Statthaltereirath in Inns- 
bruck. 

Barth Ludwig Ritter v., Dr. phil., k. k. Universitäts- 
professor in Innsbruck. 

Baumgarten Anton, Dr. phil., k. k. Universitätspro- 
fessor in Innsbruck. 

Belrupt Karl Graf v., in Innsbruck. 

Bentzel-Sternau Albert Graf v., k. k. Rittmeister in 
Innsbruck. 

Berreitter Georg, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts- 
rath in Innsbruck. 


— all ae 


Herr Buckeisen Friedrich, Dr. phil., k. k. Oberrealschul- 


professor in Innsbruck. 

Daimer Josef, Dr. med., Assistent bei der Lehrkanzel 
der path. Anatomie in Innsbruck. 

Dantscher Carl, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor 
in Innsbruck. 

Ebner Johann Ritter v., k. k. Hofrath in Innsbruck. 
Ebner Viktor Ritter v., Dr. med., Docent an der Uni- 
versität in Innsbruck. 

Elsler Franz, Mag. Chir., Gemeindearzt in Silz. 
Enzenberg Hugo Graf v., in Innsbruck. 
Fedrigotti Wilhelm v., k. k. Oberlandesgerichtsrath in 
Innsbruck. 

Fizia Bernhard, Dr. med., Bezirksarzt in Reutte. 
Gasser Vinzenz, Dr. med., Assistent bei der geburts- 
hilflichen Klinik in Innsbruck. 

Gassner Theodor, k. k. Gymnasialdirektor und Schul- 
rath in Innsbruck. 

Glatz Josef, Dr. med., Armen- und Polizeiarzt in 
Innsbruck. 

Gillhuber Josef, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts- 
rath in Innsbruck. 
Grabmayer Ernst v., k. k. Landesgerichtsadjunkt in 
Innsbruck. 

Hausmann Raphael, Dr. med., prakt. Arzt in Meran. 
Heine Carl, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor in 
Innsbruck. | 

Heinisch Anton, Dr. med., k. k. Bezirksarzt in Bozen. 
Heller Camil, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor in 
Innsbruck. 

Hinterwaldner Johann, k. k. Professor an der Lehrer- 
bildungsanstalt in Innsbruck. 

Hofmann Eduard, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor 
und Sanitätsrath in Innsbruck. 

Kerner Anton, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor 
in Innsbruck. 


— 3802 — 


Herr Kiechl Franz Dr., Assistent bei der Lehrkanzel der 


Physik in Innsbruck. 

Krischek, Eduard, Dr. Pil K..kı Be 
in Innsbruck. 

Lang Eduard, Dr. med., I. Assistent bei ar ehr. 
Klinik in Innsbruck. 

Lantschner Ludwig, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck. 
Laschan Ignaz, Dr. med., k. k. Statthaltereirath in 
Innsbruck. 

Lechleitner Christian, Dr. phil. k. k. ee 
in Innsbruck. 


" Leithe Friedrich, Dr. phil., k. k. Universitäts-Biblio- 


thekar in Innsbruck. 
Löbisch Dr. Wilhelm. 

Malfertheiner Josef, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck. 
Maly Richard, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor 


~ in Innsbruck. 


Maresch Josef, k. k. Landeschulinspektor in Innsbruck. 
Mauthner Ludwig, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor 


in Innsbruck. 


Mayrhofen Virgil, Ritter v., Dr. med., k. k. Univer- 
sitätsprofessor und Sanitätsrath in Innsbruck. 
Messmer Alois, k. k. Oberrealschulprof. in Innsbruck. 
Mörz Isidor, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitätsrath 
in Innsbruck. 

Oellacher Josef, Chemiker u. Hausbesitzer in Innsbruck. 
Oellacher Josef, Dr. med., Docent an der. Universität 
in Innsbruck. 


Paulweber Michael, k. k. Gymn.-Prof. in Innsbruck. 
Peche Ferdinand, Dr. phil., k. k. Universitätsprofessor 
in Innsbruck. 

Pfaundler Leopold, Dr. phil., k. k. Universitätsprofessor 
in Innsbruck. 

Plaseller Josef, Dr. med., k.k. Berickaarde und Sani- 
tätsrath in Innsbruck. 


— 303 — 


Herr Platter Hugo, Dr. phil., Professor an der Biirgerschule 


3433 3 


in. Innsbruck. 

Pircher Johann, Dr. med., k. k. Statthalterei-Concipist 
in Innsbruck. 

Peplar Ludwig, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in 
Innsbruck. 


, Pusch Karl, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck. 


Putz Gottlieb, Dr. med. in Meran. 

Reinisch Ferdinand Ritter von in Innsbruck. 

Rembold Otto, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor 
in Innsbruck. 

Romberg Rudolf, Fabriksdirektor in Innsbruck. 
Schlemmer Josef, Dr. med., Il. Assist. bei der chirurg. 
Klinik in Innsbruck. 

Schmidt Josef v. Wellenburg, Dr. k. k. Rechnungs- 
rath in Innsbruck. 

Schott Ferdinand, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor 
in Innsbruck. 

Schönach Anton, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck. 
Schumacher Anton, Chef der Wagner’schen Universitäts- 
Buchhandlung in Innsbruck. 

Sennhofer Carl, Dr. chem., Assistent bei der Lehr- 
kanzel der Chemie in Innsbruck. 

Settari Franz, Dr. med., prakt. Arzt in Meran. 
Strasser Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in 
Innsbruck. 

Strasnitzky Johann, Dr. med., k. k. Stabsarzt in 
Innsbruck. 

Stumreich Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in 
Innsbruck. 
Schwind Franz, Ritter v., k. k. Hofrath in Pension in 
Innsbruck. 

Thun-Hohenstein Franz Graf v., k. k. Generalmajor 
in Wien. 

Toggenburg Georg Ritter v., k. k. geheimer Rath in 
Bozen. 


BE ISOs 


Herr Trentinaglia Josef v., k. k. Gerichtsadjunkt in Innsbruck. 


N 


Tschurtschenthaler Anton, Dr. med., k. k. Universitäts- 
professor und Sanitätsrath in Innsbruck. 

Vintschgau Max Ritter v., Dr. med., k. k. Duyzız 
professor in Innsbruck. i 

Wawra Johann, k. k. Oberbaurath in Innsbruck. 
Weiler Josef, k. k. Oberrealschulprofessor in Innsbruck. 
Wildner Franz, Dr. med., k. k. TRIBIE SE 1 olon0n 
in Innsbruck. 

Winter Josef, Dr. med., k. k. Bezirksarzt in Brixen. 
Wocher Franz v.. Dr. med., Stadtphysikus. 


2 $- 


Inhalt des II. Jahrganges. 


1. Heft. Sein 

Satzungsberichte . . . Sedans NEOAII0DE 
Die Waldquelle zu Marienbad, eine Siatie aus Hae Balneotechnik 

und Balneochemie von M. J. Dietl . . ..... =. 1 
Analyse der Therme am Brenner (Brennerbad) von L. Barth, 

Kewoe nin bh ofe ry und) R Kölle, cn |... sb 26 


Analyse der Raniglerquelle (bei Bozen) von denselben . , 29 
Analyse der Pirchabrucker Quellen (Eggenthal bei Bozen) von 
diemsiellben.. . .- AN HU in aus 31 
Resultate der iusteorologivelion Bechucheunpen zu eee im 
Jahre 1870. Zusammengestellt von Carl Wilhelm von 
Diana vorrei studephıl tic) i u ee 36 


Py und >, Hieft. 


Surzumesberichte ‘. . , - Sct cree ne NOL Nos 
Ueber die Zählung der Herzschläge bei nleielosischen Versuchen 

über den Vagus und den Sympathicus von G. P. Vlacovich, 

Prof. der Anatomie an der Universität zu Padua, und M. 

Vintschgau, Prof. der Physiologie an der Universität zu 

Innsbruck, aus der italienischen Abhandlung im Auszuge mit- 

getheilt von M. Vintschgau. . . RES NER 87 
Kleine Mittheilungen über die eiweisssto führenden Zellen der 

Gerste (mit einer Tafel) von M. v. Vintschgau „ 120 
Novae Plantarum species. Auctore A. Kerner. . . 124 
Analyse einer Ovarialeystenflüssigkeit von Prof. ehr Ma 174 
Bericht über die im physiol.-chem. Laboratorium vom October 1870 

bis Jänner 1872 ausgeführten Arbeiten. . . . 183 
Ophthalmologische Mittheilungen von Prof. Ludwig Mautner . 184 
Bade Versuche voniibrot,O; Rembold.,. . 9) e200) 


Mittheilungenaus den Kliniken und Instituten der 

Universitat zu Innsbruck: 

Bericht über die in der pathologisch-anatomischen Anstalt 
in Innsbruck vom October 1870 bis October 1871 voll- 
führten Obductionen von Prof. Schott SER 

Bericht über die medicinische Klinik in Innsbruck im Solar- 
Jahre 1871 von Dr. Th. Kölle, klinischem Assistenten 

Statistischer Bericht und casuistische Mittheilungen aus der 
chirurgischen Klinik in Innsbruck von Prof. Dr. ©. Heine, 
unter Mitwirkung der Assistenten Privat-Docent Dr. Lang 
und Dr. Schlemmer. N 

Personalstand des Vereines im Jahre. 1871 


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