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des
naturwissenschaftlich-medizinischen
VEREINES
in
INNSBRUCK.
aT Jahrgang.
1. Heft.
INNSBRUCK.
Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung.
1870.
Naturwissenschaftlich-medizinischer Verein.
I. Sitzung, den 18. Marz 1870.
Nach einer kurzen Begriissung der Vereinsmitglieder
durch den 1. Vorsteher und Mittheilung der Genehmigung
der Statuten des Vereins durch die h. Statthalterei mit we-
nigen Abänderungen und Zusätzen wird von dem 1. Vor-
steher
Herr H. Platter als neues Mitglied auf Grund seiner
Meldung vorgeschlagen. Einstimmig gewählt.
Als Sitzungstag wird Mittwoch durch Stimmenmajorität
festgesetzt.
Darauf erhält Herr Prof. Pfaundler das Wort zu
seinem angekündigten Vortrag über Rechenmaschinen:
Nach einem kurzen Ueberblicke über ältere derartige
Apparate beschreibt er einige Bestandtheile der neuern Rechen-
maschine von Thomas und erläutert ihre Anwendung bei der
Ausführung der 4 Rechenspecies.
Hierauf berichtet derselbe über eine Reihe von Wärme-
capacitätsbestimmungen des Wassers unter 0, welche Herr
Hugo Platter im physikalischen Laboratorium ausgeführt hat.
Zu diesem Zwecke wurden Glaskugeln mit dünnen Ansatz-
röhren mit Wasser gefüllt zugeschmolzen, in einem Kälte-
gemische von Wasser und salpetersaurem Ammoniak auf
einige Grade unter 0 abgekühlt und nachdem die Temperatur
daselbst konstant geworden, was man an der konstanten
Höhe des Wassers in der engen Röhre erkannt, in ein mit
Naturw.-med. Verein. 1
If
Wasser höherer Temperatur gefülltes Calorimeter getaucht.
Die aus den bezüglichen Temperaturbeobachtungen abgelei-
teten Resultate würden ein Ansteigen der Capacitaét von 0°
bis — 3° C. ergeben. Die erhaltenen Zahlen sind aber
nicht sicher genug, um jetzt schon veröffentlicht werden zu
können. Mischungsversuche dieser Art scheinen nemlich eine
Fehlerquelle in sich zu schliessen, welche auch bei früher
mitgetheilten Capacititsbestimmungen des Wassers über 0°
die Abweichungen zu gross ergaben, wovon sich der Vor-
tragende durch Bestimmungen mittelst des elektrischen Stro-
mes überzeugt hat.
Schliesslich wird das Resultat der in dieser Sitzung
statutenmässig vorgenommenen Wahl der Geschäftsführer für
das laufende Jahr mitgetheilt und erscheinen als gewählt:
Herr Prof. Heller zum ersten, Herr Prof. Heine zum
zweiten Vorsteher, Herr Prof. Dantscher zum Kassier
und Herr Dr. Fizia zum Schriftführer.
Schluss der Sitzung 8 Uhr.
If. Sitzung, den 30. März 1870.
Nach Lesung des Protokolls der letzten Sitzung stellte
der 1. Vorsteher Herr Prof. Heller bezüglich der Heraus-
gabe der Vereins-Zeitschrift den Antrag: Ein Comite aus
4 Mitgliedern zu wählen, welches in der nächsten Sitzung
die Vorschläge hiezu zu machen habe und schlägt die Herren
Professoren: Barth, Heine, Mauthner und Pfaundler vor,
womit sich die Anwesenden für einverstanden erklären.
Hierauf wurde über einen Antrag der Herren Profes-
soren: Barth, Dantscher, Heine, Hofmann, Maly, Mauthner,
Rembold die Latrinenfrage Innsbrucks betreffend debattirt,
gegen welchen Herr Prof. Pfaundler sprach, indem er meinte,
dass es Sache des Vereines wäre diese Angelegenheit bloss
theoretisch zu behandeln und erst dann mit practischen Vor-
schlägen vorzutreten, wenn der Verein um Rathschläge an-
Il
gegangen wird und beruft sich dabei auf die Resolution, die
bei der vorjährigen hiesigen Naturforscher-Versammlung be-
schlossen wurde. Er selbst, der die Cloakengeschichte Mün-
chen’s studirte, stellte darüber in den Sitzungen des hiesigen
landwirthschaftl. Vereins verschiedene Anträge, welche aber
resultatlos blieben.
Gegen den Vorredner sprach zunächst Herr Prof. Heine,
welcher die Nützlichkeit des Vereines für diese Stadt her-
vorhebt, wenn derselbe sich auch mit praktischen Fragen
beschäftigt und sieht die Angelegenheiten, die die Naturfor-
scher-Versammlung vertreten hat, als verschieden von denen
an, die dieser Verein vertritt, der sich an locale Verhält-
nisse hält und glaubt, indem er sich auf die in Heidelberg
erzielten Erfolge beruft, dass die Rathschläge dieses Vereins
nicht unberücksichtigt bleiben werden.
Herr Prof. Barth billigt das vom Vorredner Gesagte
und meint, dass es Sache des Vereins sei, in dieser Angele-
genheit besonders die sanitäre Seite zu berücksichtigen.
Nachdem noch Herr Prof. Rembold die Nützlichkeit
des Studiums dieser Frage besprach und sich auf England
berief, wo ein eigener Sanitätsrath besteht, der sich unter
Anderem auch mit ähnlichen Fragen beschäftigt, wurde zur
Abstimmung geschritten und der Antrag mit Majorität an-
genommen.
Hierauf hielt Herr Prof. Kerner einen Vortrag über
die Sexualität der Pflanzen. Er erläuterte den Vorgang bei
der Befruchtung der s. g. Zwitterblüthen und wies an einer
Reihe von Beispielen nach, dass die noch vor kurzem all-
gemein vorausgesetzte Selbstbestäubung bei der weitaus grössten
Mehrzahl der Pflanzen durch besondere oft sehr complizirte
Vorrichtungen in den Blüten unmöglich gemacht werde. Nebst
einigen durch Sprengel und Hildebrand bereits bekannt ge-
machten diessfälligen Erscheinungen wurden besonders die
von Prof. Kerner im verflossenen Sommer beobachteten Vor-
gänge bei der Befruchtung der Phyteuma Halleri, Berberis
vulgaris, Impatiens nolitangere und Salvia glutinosa einge-
1*
IV
hender behandelt. Die Besprechung der Bedeutung des Ge-
setzes der vermiedenen und unvortheilhaften stetigen Selbst-
befruchtung im Pflanzenreiche wurde einer späteren Versamm-
lung des Vereines vorbehalten.
Zum Schlusse schlägt der 1. Vorsteher Herr Prof.
Heller ein Comite von 6 Mitgliedern, nemlich die Herren
Prof. Barth, Heine, Hofmann, Rembold, Dr. Berreiter und
Dr. Glatz vor, welche sich mit dem besagten Cumulativ-An-
trage, die Latrinenfrage Innsbruck’s betreffend, näher be-
schäftigen sollen, und welche auch einstimmig gewählt
wurden. |
Schluss der Sitzung 8%, Uhr.
III. Sitzung, den 2. Mai 1870.
Nach Lesung des Protokolls der letzten Sitzung wurden
zur Aufnahme in den hiesigen naturwissensch.-medic. Verein
vom 1. Vorsteher Herrn Prof. Heller auf ihr Ansuchen
die Herren A. Ausserer, J. Hinterwaldner, Dr. v. Trenti-
naglia, Dr. Putz, Dr. Heinisch, Wawra und Prof. v. Vintsch-
gau vorgeschlagen und einstimmig angenommen.
Nachdem noch Herr Prof. Heine dem Vereine ein von
Dr. W. ©. Bausch verfasstes Werk: „Uebersicht der Flech-
ten des Grossherzogthums Baden“ als Geschenk übermittelte
und eine Zuschrift vom ärztlichen Vereine zu Salzburg wegen
Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen mit unserem Ver-
eine vorgelesen wurde, schritt man zur Tagesordnung, auf
welcher die Lesung des Vorschlages des Comite’s, welches
bezüglich der Herausgabe der Vereins-Zeitschrift verhandelte,
stand. Derselbe wurde mit wenigen Aenderungen einstimmig
angenommen.
Zum Schlusse hielt Herr Prof. Pfaundler einen Vor-
trag über eine Modification der Dampfdichtebestimmung. (Der
ausführliche Vortrag erscheint weiter unten.)
In der Vereins- Sitzung vom 2. Mai wurde bezüglich
Vv
der Herausgabe der Vereins - Zeitschrift folgender Beschluss
gefasst:
1. Die Vereinszeitschrift führt den Namen: „Berichte des
Os
naturwissenschaftlich - medicinischen Vereines in Inns-
bruck “.
. Sie erscheint in zwanglosen Heften, von denen minde-
stens zwei im Jahre erscheinen miissen.
. Den Inhalt der Zeitschrift bilden Gegenstände der Ta-
gesordnung in den einzelnen Sitzungen, die abgehal-
tenen Vorträge vollständig oder im Auszuge, vorge-
legte wissenschaftliche Abhandlungen , Berichte aus
den wissenschaftlichen Instituten und Cliniken, me-
teorologische Beobachtungen, Correspondenzen und No-
tizen.
. Die Zeitschrift erscheint in Format, Druck und Aus-
stattung wie die Zeitschrift des Ferdinandeums.
. Der Druck wird von der Wagner’schen Buchdruckerei
um einen festgesetzten Preis besorgt. Im Falle beson-
dere Anforderungen an den Druck gestellt werden, wie
die Anfertigung von Tabellen, Zeichnungen, mathe-
matischer Formeln u. s. w., welche die Kosten der
Herstellung bedeutend erhöhen, ist früher eine Ver-
einbarung des Verfassers mit der Vereinsleitung zu
treffen.
. Von jeder Abhandlung erhalten die Verfasser auf ihren
Wunsch 25 Separatabdrücke unentgeltlich. Werden
mehr Separatabdrücke verlangt, so sind diese vom
Verfasser besonders zu zahlen und zwar für 25 Ab-
drücke per Bogen 50 kr. ö. W. Dieser Preis gilt
jedoch nur für den Fall, wenn für die Separatab-
drücke keine eigene Paginirung gefordert wird. Im
letzteren Falle würde sich der Preis per Bogen um
1 fi. erhöhen.
. Jedes Mitglied erhält die einzelnen Hefte der Zeitschrift
unmittelbar nach ihrem Erscheinen zugesandt.
8. Auch Nichtmitglieder können bei der Vereinsleitung
oder bei der Wagner’schen Buchhandlung auf die Zeit-
schrift abonniren.
Schluss der Sitzung 81/2 Uhr.
IV. Sitzung, den 18. Mai 1870.
Nach Mittheilung des Protokolls der letzten Sitzung
wurde Herr Dr. Stolz zur Aufnahme als Mitglied in den
Verein vorgeschlagen und alsdann vom 1. Vorsteher eine
Zuschrift des Central-Ausschusses der hiesigen landwirth-
schaftlichen Gesellschaft behufs der Anfrage eines gemein-
samen Vorgehens mit diesem Vereine in Sachen der Latrinen-
frage verlesen und dieselbe dem Comite in diesen Sachen
übergeben.
Hierauf hielt Herr Prof. Mauthner einen Vortrag
über das Glaucom.
Zum Schlusse zeigte Herr Prof. Tschurtschenthaler
Präparate von s. g. solidificirten Leberthran, eine Mischung
von 6 Th. Leberthran und 1 Th. Wallrath, wodurch der
unangenehme Geschmack des Leberthrans paralysirt wer-
den soll.
Schluss der Sitzung 8%, Uhr.
Y. Sitzung, den 1. Juni 1870.
In Abwesenheit des 1. Vorstehers übernahm Herr Prof.
Heine den Vorsitz.
Es wurde zur Tagesordnung geschritten und die Auf-
nahme des in der letzten Sitzung in diesem Vereine vorge-
schlagenen Dr. Stolz einstimmig angenommen.
Hierauf wurde die Abstimmung über die Aufnahme des
Herrn Dr. Winter als ordentliches Mitglied in diesen Verein
auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt.
Der Antrag des Herrn Prof. Heine, einen Vereins-
Vil
diener zu gewinnen, wurde einstimmig angenommen und hie-
zu der Diener der hiesigen med. Klinik vorgeschlagen und
ihm eine Remuneration von jährlichen 30 fl. votirt.
Zum Schlusse hielt Herr Prof. Maly einen Vortrag
über die Gallenfarbstoffe.
Schluss der Sitzung 8%/, Uhr.
VI. Sitzung, den 15. Juni 1870.
Nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung wurde
zur Tagesordnung übergegangen.
Herr Dr. Winter, k. k. Kreisarzt m Brixen, wurde
einstimmig zum Mitgliede des Vereins gewählt.
Herr J. Elsler, Gemeindearzt in Silz, hat mittelst
Zuschrift um die Aufnahme angesucht, die von dem Vor-
sitzenden empfohlen wurde.
Herr Dr. Fizia stellte alsdann 2Kranke von der hie-
sigen Augenklinik vor. Bei dem einen war am untern Lide
ein Epithelialkrebs mittelst Messers entfernt und der Sub-
stanzverlust durch Transplantation aus den benachbarten
Theilen ersetzt worden. Die Wunde war im Laufe von 3
Tagen so vollständig geheilt, dass man das operirte Lid von
-dem gesunden schwer unterscheiden konnte. Der zweite Fall
betraf ein Melanoma corneae bei einer 50jahrigen Frau. Das-
selbe stellte sich als eine rundliche Geschwulst auf der linken
Hornhaut von der Grösse einer Flintenkugel dar. In der
obern Hälfte war sie fest mit der Hornhaut verbunden, nach
unten ragte sie frei über die Bindehaut herab und liess sich
mit einer Sonde leicht in die Höhe heben. Der obere Theil
der Geschwulst zeigte eine ungleichmässig graulich bräunliche,
an 2 Stellen schwärzliche Färbung, während der untere Theil
fast ganz schwarz war und auf der Oberfläche, besonders bei
Zuhilfenahme einer Linsenvergrösserung kleine Gefässchen
sichtbar werden liess; bei seitlicher Beleuchtung bekam die
ganze Geschwulst einen röthlichen Schimmer. Dr. Fizia
VIII
machte auf die Seltenheit dieses Falles aufmerksam, da in
der ganzen Literatur bisher nur 2 Fälle bekannt sind. —
Zum Schlusse hielt Herr Prof. v. Vintschgau einen
Vortrag über die Magenverdauung und die dabei vor sich
gehenden Temperaturveränderungen beim Hunde.
Der angekündigte Vortrag des Herrn Dr. Oellacher
musste wegen vorgerückter Zeit auf die nächste Sitzung ver-
schoben werden.
Schluss der Sitzung 8%, Uhr Abends.
VII. Sitzung, den 6. Juli 1870.
Nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung wird
über die Aufnahme des in der frühern Sitzung angemeldeten
Herrn Gemeindearztes J. Elsler in Silz abgestimmt, und
derselbe einstimmig als Mitglied gewählt.
Hierauf wird vom Vereinsmitgliede Herrn Professor
v. Vintschgau mitgetheilt, dass Herr Dr. Hausmann
praktischer Arzt in Meran dem Vereine beizutreten wünscht
und die Aufnahme befürwortet.
Herr Dr. Oellacher erhält nun das Wort zu seinem
angekündigten Vortrage über die erste Entwicklung des
Herzens und derPericardialhöhle beiBatrachiern.
— Nach seinen Untersuchungen entsteht das Herz bei Bufo
einereus in jenem Stadium der Entwicklung des Embryo, in
welchem der Schwanz so eben hervorzuwachsen beginnt. Das
Herz stellt um diese Zeit eine hohle von einer Zellmasse er-
füllte Ausstülpung der Darmfaserplatte dar, welche am un-
tern Umfange des Vorderdarms über den bekannten Haut-
lappen am Kopfbruststück liegt. Später schnürt sich das-
selbe vom Darme in der Weise ab, dass es wie durch eine
Art Mesocardium mit der Darmfaserwand verbunden erscheint.
Die Entwicklung des Herzens bei den Batrachiern ist also
der beim Hühnchen völlig analog. Diess geht noch mehr
aus einem spätern Stadium hervor, wo das Herz eine zellige
IX
Auskleidung zeigt, die sich offenbar aus dem Zellhaufen, der
das Herz erfüllte, gebildet hat; der Rest derselben wird von
Oellacher als Blut angesprochen. — Die Ausstülpung der
Darmfaserwand, die das Herz darstellt, hängt in eine Höhle
hinein, die nach aussen von der Hautmuskelplatte, nach in-
nen von der Darmfaserplatte begränzt ist. Die Höhle ist
als Pericardialhöhle aufzufassen und sie verdankt ihren Ur-
sprung der Spaltung des mittleren Keimblattes. — Demselben
Processe verdanken auch ihr Entstehen die Pleurahöhlen und
ist demnach die Entstehung der Pericardialhöhle jener der
Pleurahöhle, oder wenn man will, jener der Pleuroperitoneal-
höhle analog.
Auch die Pericardialhöhle erscheint von Zellen theilweise
erfüllt, deren Bedeutung nicht näher ermittelt werden konnte.
Die aufgestellten Sätze bewies der Vortragende dürch De-
monstration an entsprechenden microscopischen Durchschnitten.
Herr Prof. L. v. Barth hielt hierauf einen Vortrag
über neue Umwandlungen des Phenols. Durch schmelzendes
Kali wird reines Phenol zum Theil angegriffen und es ent-
stehen daraus zwei isomere Säuren, Salicylsäure und Oxy-
benzöesäure, daneben ein schwerflüchtiger Körper von der
Formel des Diphenols, von welchem sich verschiedene Deri-
vate ableiten lassen. Die Untersuchung wird noch fortgesetzt.
Am Schlusse referirte Herr Professor v. Barth als
Obmann des von dem Vereine gewählten Comite’s in der
Cloakenfrage über die in dieser Beziehung gepflogenen Bera-
thungen, legte einen umfangreichen, von Herrn Prof. Hofmann
ausgearbeiteten Bericht über die Regelung der Cloakenfrage
in Innsbruck vor, und empfahl dem Vereine die aus der
Berathung des Comité’s hervorgegangenen näheren Vorschläge
zur Annahme.
Der Verein fasste den Beschluss, den Bericht des Herrn
Prof. Hofmann in Druck zu legen und die Debatte auf die
Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.
Schluss der Sitzung 9 Uhr.
VIII. Sitzung, den 20. Juli 1870.
Nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung wurde
der zur Aufnahme bereits vorgeschlagene Herr Dr. Hausmann
mit Stimmeneinhelligkeit als Mitglied des Vereines aufge-
nommen.
Herr Dr. Victor v. Ebner suchte um die Aufnahme
als Mitglied in den Verein an, die Abstimmung darüber
wurde auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt.
Da Herr Prof. Heine plötzlich abreisen musste, so
wurde der angekündigte Vortrag desselben auf die nächste
Tagesordnung verschoben und zur Debatte über die Regelung
der Cloakenfrage in Innsbruck übergegangen. Nachdem Herr
Prof. v. Barth die Vorschläge des Comite’s in dieser An-
gelegenheit vorgelesen hatte und sich Niemand zur General-
debatte meldete, wurde zur Spezialdebatte geschritten, wobei
die einzelnen Punkte mit einigen wenigen Abänderungen an-
genommen wurden. Hierauf wurde beschlossen, die ange-
nommenen Vorschläge nebst dem Comitebericht der hiesigen
Stadtvertretung vorzulegen, dessgleichen dieselben dem Cen-
tral-Ausschuss der k. k. landwirthschaftlichen Gesellschaft
mitzutheilen.
Dieselben lauten:
1. Das bestehende Abtrittgruben-System ist, wenigstens
mit der Zeit vollständig aufzugeben und dafür ein solches
einzuführen, welches vor Allem den sauitären Anforderungen
entspricht, gleichzeitig jedoch auch den landwirthschaftlichen
Interessen Rechnung trägt. — Das Tonnen-System und das
System Liernur sind gegenwärtig diejenigen, welche den ge-
nannten Anforderungen in Innsbruck noch am besten ent-
sprechen. Da über das System Liernur noch keine voll-
kommen ausreichenden Erfahrungen vorliegen, das Tonnen-
System aber sich bereits an vielen Orten bewährt hat, so
wäre vor der Hand mit der Einführung dieses Systems in-
soferne zu beginnen, dass dasselbe in neu zu bauenden Häu-
sern in Anwendung zu bringen wäre. Das eben aufgeführte
XI
Spitalgebäude bietet dazu die beste Gelegenheit, das Tonnen-
System und dessen Vortheile praktisch zu prüfen.
2. Es ist Vorsorge zu treffen, dass die vielen sanitäts-
widrigen Seiten des gegenwärtig bestehenden Gruben-Systems
thunlichst behoben werden.
Zu diesem Behufe sind Vorkehrungen anzuordnen:
a) Dass für möglichste Undurchlässigkeit der beste-
henden und etwa noch zu errichtenden Gruben ge-
sorgt werde;
b) Dass jede Grube durch eine längs der Küchenka-
mine zu leitendes entsprechendes Rohr, welches über
das Dach hinauszuführen ist, ventilirt werde;
c) Dass in angemessenen Zeitabschnitten eine Desin-
fection der-iGruben vorgenommen werde.
3. Der bis :ietzt üblichen, in hohem Grade belästigen-
den, ekelhaften und höchst sanitätswidrigen Methode der
Ausleerung der Gruben ist baldigst und ein für allemal ein
Ende zu machen.
Diess ist vorläufig der wichtigste und dringendste Punkt
der Innsbrucker Cloakenfrage. In dieser Beziehung wird vor-
geschlagen:
a) Die Ausleerung der Gruben durch anerkannt zweck-
mässige Apparate besorgen zu lassen. Pneumatische
Apparate sind am besten zu empfehlen.
b) Die Räumung der Gruben nicht mehr den einzelnen
Abnehmern zu überlassen, sondern dieselbe, wie
überhaupt die Ueberwachung des Cloakenwesens in
eine Hand zu legen, sei es nun die Gemeinde selbst
oder eine zu diesem Zwecke sich etwa bildende Ge-
sellschaft, welche dann durch Organe der Sanitäts-
polizei zu controliren wäre.
Auf diese Weise könnte die Angelegenheit sowohl für
die Bewohner der Stadt in gesundheitlicher als auch für den
Landmann in pekuniärer Beziehung am vortheilhaftesten
durchgeführt werden.
Hierauf stellte Herr Statthaltereirath Ritter von Barth
Comitébericht
über die Cloakenfrage in Innsbruck,
ausgearbeitet von
Prof. Dr. Eduard Hofmann.
Die Regelung des Cloakenwesens ist gegenwärtig eine
brennende Frage. Sie wurde es, nachdem man durch eine
Reihe von erschreckenden Erfahrungen die Ueberzeugung ge-
wann, dass die Ö oakenstoffe, die wir innerhalb des Bereiches
unserer Wohnungen der fauligen Gährung überlassen, nicht
bloss unsere Nase durch Gestank belästigen, sondern auch,
indem sie die Luft vergiften, die wir athmen, das Wasser,
das wir trinken und den Boden, auf dem wir wohnen, un-
sere Gesundheit und unser Leben bedrohen. Es ist hier
nicht der Ort, die ungemein zahlreichen Erfahrungen speziell
anzuführen, welche den eben ausgesprochenen Satz zur un-
wiederleglichen Thatsache machten, und wir verweisen in die-
ser Beziehung auf die sehr reiche Literatur des Gegenstandes.
So viel sei nur bemerkt, dass, wenn bei einer Epidemie, wie
dieses bei der Cholera geschah, zweifellos sicher gestellt
wird, dass von den Einwohnern einer Stadt vorzugsweise
nur jene Personen erkrankten, welche einen gewissen Brunnen
benützt hatten, dessen Wasser durch eine nahe Senkgrube
verunreinigt war, wenn erwiesen ist, dass die Erkrankungen
sogleich aufhörten, sobald dieser Brunnen geschlossen wurde;
wenn weiter konstatirt ist, dass die Seuche vorzugsweise und
sogar ausschliesslich nur in solchen Häusern grassirte, deren
| #%
DET) ae
Cloaken sich in verwahrlosten Zustande befanden und im
weiten Umfange den Boden und die Grundmauern des Hauses
mit Jauche durchtränkt hatten, wenn ferner, wie bei der
letzten Choleraepidemie in Prag, sich ergibt, dass die Haupt-
masse der Erkrankungen bestimmten Cloakenziigen folgte,
und dass in solchen Häuserkomplexen, die hoch gelegen und
wo der Kanalinhalt sich staute, die meisten Cholerafälle vor-
kamen; (Die Prager Choleraepidemie des Jahres 1866 von
Dr. A. Pribram und Dr. J. Robitschek. Prager Viertel-
jahrschrift XXV. Jahrgang 1868) — die Logik wohl sehr
einfach ist. Was von der Cholera erwiesen, das gilt eben-
falls vom Typhus. So sagt eine ausgezeichnete Autorität
Liebermeister: „Alles drängt dazu anzunehmen, dass in Ab-
tritten, Düngerhaufen u. dgl., dann aber auch in dem von
organischen und der Zersetzung fähigen Substanzen durch-
tränkten Untergrunde bewohnter Plätze die Entwicklung des
Typhusgiftes stattfinde“; und es ist ihm gelungen den Aus-
bruch des Typhus in der Kaserne zu Zürich (1865); die
Epidemie zu Soloturn (1865); sowie jene in Basel (Schoren-
fabrik 1867) unwiderleglich auf diese ätiologischen Momente
zurückzuführen (Deutsches Archiv für klin. Medizin 7. Bd.
2. Heft). Auch in Bezug auf Scharlach, Masern, Cronp,
Diphtherie existiren ähnliche Beobachtungen, ebenso in Be-
treff der Tuberculose.
Ferner ist es nicht unwahrscheinlich, dass gewisse Epi-
zootien (z. B. Milzbrand) in Vergiftung des Organismus un-
serer Hausthiere dureh Aufnahme faulender Stoffe ihren näch-
sten Grund haben ').
1) So sagt Delafond bei der Besprechung der Milzbrandbakterien,
welche für die Ursache des Milzbrandes gehalten werden: „Wahrschein-
lich sind die Bakterien in faulenden vegetabilischen und thierischen Stoffen
enthalten, welche mit dem Getränke in den Körper gelangen. (Klob,
Studien über das Wesen des Choleraprozesses p. 56). Beobachtungen
welche den krankmachenden Einfluss faulenden Stoffe auf die Hausthiere
beweisen, finden sich bei Eulenberg (die Lehre von den giftigen Gasen
p. 316).
DEREN RAN
wa
Von ungemeiner Wichtigkeit ist in den genannten Be-
ziehungen der Nachweis, dass in solchen Städten, die ein
geregeltes Cloakenwesen besitzen, seit der Einführung des-
selben die Mortalität sich ganz auffallend vermindert hat.
So ersehen wir z. B. aus Dr. Buchanan’s Berichten (Ninth
Report of the Medical Officier of the Privy Conneil 1867),
dass in 24 englischen Städten von 160,000 bis 4000 Ein-
wohnern die Sterblichkeit an typhösen Fiebern, welche früher
13.4 auf 10,000 Seelen betragen hatte, nach Regelung des
Cloakenwesens, Einführung zwekmässiger Wasserwerke etc.
auf 7.4 sank.
Aehnliche erfreuliche Erfahrungen stehen uns für Graz
zu Gebote. Die durch unreine Luft und unreines Wasser
in erster Linie entstehenden Krankheiten, wie Wechselfieber,
Ruhr, Typhus sind dort seit Einführung des Tonnensystems
(1830) selten. Bei einer Bevölkerung von 80,000 Einwoh-
nern, kommen im Jahre 4—5 Fälle von Unterleibstyphus
im allgemeinen Krankenhause zur Aufname, so dass Prof.
Körner versichert, er sei wegen Seltenheit der Typhusfälle
in Graz in Verlegenheit, seinen Zuhörern diese Krankheits-
form genügend zu demonstriren (Die Reinigung und Ent-
wässerung der Stadt Heidelberg. Denkschrift 1870 p. 69).
Die natürliche Folge der grossen Summen solcher und
ähnlicher Erfahrungen, deren Beweiskraft jede Skeptik weichen
musste, war die Cloakenfrage, die wir als eine brennende
Tagesfrage bezeichnet haben; und es kann nicht verwundern,
wenn es gegenwärtig kaum eine grössere Stadt in Deutsch-
land giebt, wo die übelriechende Cloakenfrage nicht ventilirt
werden möchte.
Auch an Innsbruck tritt diese Nothwendigkeit heran,
umsomehr, als die gegenwärtige Einrichtung des Cloaken-
wesens in dieser Stadt nicht einmal den einfachsten Anfor-
derungen der Hygieine entspricht, vielmehr mit Uebelständen
verbunden ist, deren endliche Abschaffung im Interesse des
allgemeinen Wohles, besonders aber der öffentlichen Gesund-
heit dringend geboten erscheint.
ea yl Rae
Das System, welches hier besteht, ist das der Abtritt-
gruben. Die Excremente werden in viereckig ausgemauerten
und cementirten Gruben gesammelt, in welche sämmtliche
Fallröhren des betreffenden Hauses einmünden. Zweimal
des Jahres, im Frühjahr und im Herbst; werden diese Gruben
ausgeleert; der Inhalt wird ausgeschöpft in Kastenwägen ge-
gossen und auf die Felder verführt.
Es sei uns gestattet auf die Details dieses Systems
einzugehen und dessen sanitäre Nachtheile hervorzuheben.
Wir haben schon oben erwähnt, dass die Cloakenstoffe
vorzugsweise dadurch unsere Gesundheit bedrohen, dass sie
die Luft, den Boden und das Grundwasser verderben. Die _
Bedingungen hiezu sind bei keinem System in so begünsti-
gender Weise gegeben als bei dem der Abtrittsgruben. Diese
Thatsache ist so zweifellos, dass heutzutage kein einziger
Schriftsteller über Städtereinigung dieses System mehr ver-
theidigt, vielmehr alle übereinstimmend für Auflassung dieser
sanitätswidrigen Einrichtung plädieren. Aus demselben Grunde
hat sich die hygicinische Sektion der Naturforscherversamm-
lung in Dresden entschieden für das Verbot der Abtritts-
gruben, selbst der bestcementirten, ausgesprochen.
Was zunächst die Verderbniss der Luft anbelangt, so
macht sie sich vorzugsweise durch den Gestank kenntlich,
der aus den Abtrittgruben aufsteigt und in unsere Woh-
nungen dringt. In welcher Weise sich dieser Gestank in
den Häusern Innsbruck’s bemerkbar macht, ist bekannt; der-
selbe ist in der Regel, namentlich aber bei feuchtem Wetter,
das erste, was sich beim Betreten der Häuser uns in unan-
genehmster Weise präsentirt. Dass dem so ist, kann nicht
verwundern, wenn man bedenkt, dass in den Gruben die
Excremente ein halbes Jahr lang gesammelt und der fauligen
Zersetzung überlassen werden, ohne dass auch im Geringsten
für Ableitung der sich beständig bildenden übelriechenden Zer-
setzungsgase Vorsorge getroffen worden ware. Ventilations-
rohre und ähnliche Vorrichtungen, wie sie anderswo im Ge-
brauche sind, sucht man nemlich in Innsbruck vergebens und
BE
da die Einsteigöffnung der Grube mehr weniger dicht ver-
schlossen ist; so bleibt den Abtrittsgasen nur ein Ausweg
— das Fallrohr offen, durch welches sie natürlichen Gesetzen
folgend, einfach aufsteigen und die Luft innerhalb unserer
Wohnungen verpesten. Die Belästigung unserer Geruchsor-
gane ist aber nicht der‘ wichtigste Nachtheil, der von den
aus den Abtritten aufgestiegenen Fäulnissgasen ausgeht, bei
weitem wichtiger ist die Gefahr, welche aus dem Einathmen
einer derartig verdorbenen Luft für unsere Gesundheit resul-
tirt. Schon Griessinger behauptet (Virchov, Handbuch der
spez. Path. und Ther. Bd. II, Abth. II, p. 121) es sei sehr
wahrscheinlich, dass schon längere Inhalition von Fäkalaus-
dünstungen überhaupt zur Ursache eines Ileotyphus werden
kann. Gegenwärtig ist dieses nicht mehr zu bezweifeln.
Ausserdem sind auch andere Krankheiten nach dem Aus-
spruche Carpenters (Med. Times 12. Juni 1869) mehr we-
niger bestimmt von derselben Ursache abzuleiten z. B. Un-
verdaulichkeiten, Herzklopfen, Asthma, nervöse Symptome,
besonders bei Frauen und Kindern; ebenso anhaltende und
periodische Kopfschmerzen.
Besonders wichtig ist aber hier der Umstand, dass ge-
sundheitsschädliche Ausdünstungen aus den Cloaken ganz
wohl in unsere Wohnungen eingedrungen sein konnten und
auch häufig eindringen, ohne sich durch Gestank auffallend
zu machen. Wir eitiren hier eine treffende Bemerkung Car-
penter’s von Croydon (l. e.): „Ein guter, ehrlicher, unver-
schämter Gestank, ein solcher, der euere Nase ohne Kom-
plimente atakiert, ist wie ein offener Feind. Er warnet euch,
und ihr öffnet euere Fenster und lasst ihn heraus, wie eine
Horniss. Aber das tückische, kaum wahrnehmbare Miasma
ist das Gefährliche; und es ist da zu bemerken, dass viele
Miasmen an und für sich gar nicht stinken, sondern erst
wenn sie ozonisirt und zersetzt werden, zu dem Veranlassung
geben, was unsere Nase beleidigt“.
Ihren Höhepunkt erreicht die Verpestung der Luft durch |
Cloakengase zur Zeit der halbjährigen Ansleerung der Ab-
Naturw.-med. Verein. 2
Ba ie
trittsgruben. Diese wird auf ungemein primitive Weise vor-
genommen. Zu dieser Zeit kommt durch volle 6 Wochen
allabendlich von allen Richtungen her eine Reihe von sarg-
formig gestalteten Kastenwagen gegen die Stadt angefahren
und nimmt bald nach einbrechender Dunkelheit, ja nicht
selten noch am Tage unmittelbar vor den letzten Häusern
Innsbruck’s Posto. Dieses geschieht, weil eine gesetzliche
Verordnung den betreffenden Fuhrwerken verbietet, vor 11 Uhr
die Stadt zu betreten und die Räumung der Gruben vorzu-
nehmen. Wie wenig eine solche Beschränkung ausgibt, hat
Jeder Gelegenheit zu beobachten, der von einem Spazier-
gange etc. in die Stadt heimkehrend gezwungen ist ein sol-
ches Quee von duftenden Kothwägen zu passieren. Um
11 Uhr beginnt das übelriechende Werk und von diesem
Momente an. sind ganze Strecken Innsbrucks in ‚ein Meer
von Gestank gehüllt, einem Gestank, der Jedem, der einmal
das Unglück hatte in sein Bereich zu kommen ewig unver-
gesslich bleiben wird. Unaufhaltsam dringt derselbe in die
Wohnungen, weckt die Schlafenden aus ihrer Ruhe, verur-
sacht Kopfschmerzen, Ekel, Ueblichkeiten, Erbrechen ete. und
sie können froh sein, wenn keine bedenklicheren Folgen ein-
treten *).
1) Dass solche sich in der That einstellen können, geht aus fol-
genden Beobachtungen hervor (Eulenberg, 1. ce. b. 300 und 340). „Nach
Guérard starb ein kräjtiges neugeborues Kind in Folge der Abtrittsrei-
nigung. Die Personen, welche auf derselben Stube wohnten, litten wäh-
rend der Nacht, in welcher die Reinigung stattfand, sehr vom Gestank.
Das Kind hatte die ganze Nacht hindurch geschrien und konnte durch
nichts beruhigt werden. Gegen Morgen wurde seine Stimme schwächer
und bald nachher starb es. Morgens 8 Uhr sah es im ganzen Gesicht
blau aus. Bei der Section strotzte das Gehiın, die Lunge und das Herz
von schwarzem Blute. Guérard und seine Familie hatten ebenfalls in
Folge solcher Einwirkungen an Brustbeklemmung gelitten“. — „Als der
Inhalt einer grossen Abtrittsgrube entleert und über eine Gartenfläche
geschüttet worden war, welche in der Nähe des Spielplatzes einer Pen-
sionsschule lag, wurden nach der Mittheilung von Christison 22 Pensionäre
binnen 3—4 Stunden von heftigen Symptomen einer Magen- und Darm-
reizung, Zuckungen und äusserster Muskelschwäche befallen“.
anc
In der That wird aber bei dem gegenwärtig üblichen
Modus der Räumung der Abtrittsgruben das Möglichste ge-
leistet, um die flüchtigen Stoffe, welche sich aus dem fau-
lenden Grubeninhalte entwickeln, recht flott und bemerkbar
zu machen. Da nemlich die Jauche mit auf Stangen befe-
stigten Schöpfgefässen in grössere Eimer geschöpft, in diesen
zu den vor dem Hause stehenden Kastenwägen getragen und
in letztere ausgegossen wird, welche Prozedur sich unzäh-
ligemale wiederholt, so wird die übelriechende Masse in einer
solchen Weise zerwühlt und aufgerührt und mit einer so
grossen Fläche mit der Luft in Contakt gebracht, dass den
Milliarden in der Masse eingeschlossenen Bläschen von Zer-
setzungsgasen und anderen flüchtigen Produkten die günstigste
Gelegenheit geboten wird, die Luft im weiten Unkreise zu
verderben und ihre belästigenden und schädlichen Wirkungen
zu äussern. — Bedenkt man dazu, dass die Ausleerung der
Grube eines grösseren Hauses meist 2—3 Nächte erfordert;
dass die Belästigung nicht bloss die Bewohner des Hauses,
in welchem gerade die Ausleerung vorgenommen wird, son-
dern meist sämmtliche Parteien einer Strasse trifft, und dass
sich diese ekelhafte Prozedur innerhalb der sechswöchentlichen
Frist so oft wiederholt als die Strasse Häuser zählt, so
kann man sich einen Begriff von der Belästigung machen,
welche aus dieser primitiven Räumungsmethode für die Ein-
wohner Innsbruck’s erwächst, und wie gross die Macht der
Gewohnheit sein mnsss, wenn dieselbe durch so viele Jahre
geduldig ertragen werden konnte.
Ein weiterer, noch gefährlicherer, weil weniger auffallen-
der Uebelstand des gegenwärtigen Systems ist die unaus-
weichliche Durchjauchung des Erdbodens, namentlich des
Untergrundes der Häuser. Wenn man diesen anerkannt ge-
sundheitsschädlichen Uebelstand nur den vormals gebräuch-
lichen berüchtigten Senk- und Schwindgruben zuschreibt und
durch Ausmauerung und Cementirung der Abtrittsgruben
demselben vorgebeugt zu haben glaubt, so ist man in einem
gefährlichen Irrthum befangen. Dass Mauerwerk, mag es
9%
als GN eli
aus was immer fiir Material bestehen, der unausgesetzt auf
dasselbe wirkenden Cloakenjauche nicht lange wird wider-
stehen können, lässt sich a priori erwarten. Die Jauche
zerfrisst den Kalk, dringt langsam aber sicher zwischen die
Fugen des Mauerwerkes ein, imprägnirt die Mauersteine, die
mit der Zeit zerbröckeln, bahnt sich schliesslich einen un-
gehinderten Weg in das umgebende Erdreich und durchdringt
dasselbe, indem sie sich meist mit dem Grundwasser ver-
mischt, auf weite Strecken. Dass die Cementirung der Grube
das Eindringen der Jauche in den umgebenden Grund auf
die Dauer wird verhüten können, ist nicht anzunehmen.
Hirsch fand schon ein halbes Jahr nach der Anlegung
einer gemauerten, cementirten Grube das Wasser eines 30’
entfernten Brunnens in enormer Weise mit Faulstoffen ver-
nnreinigt. Dr. Lommer, der diese Beobachtung anführt
(Abführung der Abfälle. Horn’s Vierteljahrsschr. für ger.
und öffent. Med. St. f. 7. Bd. p. 8) sagt über diesen Ge-
genstand: „Es ist zweifelhaft, ob eine Cementirung auf die
Dauer den Behälter wasserdicht lässt, indem sie wahrschein-
lich der Einwirkung des Urins etc. nicht widersteht. Kali
und Natron und das besonders aus faulendem Harn entste-
hende Ammoniak gehen nemlich mit der Kieselsäure des
Cementes lösliche Verbindungen ein und machen diesen porös.
Auch der beste Cement wird ferner allmälich durch die Sal-
petersäure, welche sich aus dem Ammoniak bildet, zerstört“.
Hennicke (Erbkam’s Zeitschrift für Bauwesen, VII.
Jahrgang, p. 138) hat freilich angegeben, dass echter Port-
landeement nach 3 Wochen vom Urin noch nicht angegriffen
war. Dem gegenüber bemerkt L. Pappenheim (Sanitäts-
polizei, 2. Aufl., 1. Bd., p, 76) ganz richtig, dass es sich
in den Cloaken um Mischungen von überaus starker che-
mischer Angriffskraft und um eine Berührungsdauer von
manchmal mehreren Menschenaltern handle.
Virchov (Gutachten über die Kanalisation an Berlin
1868) fand bei der Begehung der eben in Bau begriffenen
Kanäle Frankfurts a. M., dass der Cement nicht einmal das
SUR Yale
Eindringen des Grundwassers aufzuhalten im Stande war“
„Das Grundwasser drang so mächtig durch das Men
dass sich auf der Kanalsohle ein kleiner Bach gebildet hatte.
Allerdings drang ein Theil des Wassers, wie es schien durch
die Steine selbst, indess war dieses offenbar der geringste.
Die Hauptmasse kam durch die Fugen, obgleich dieselben
t „gutem“ Cement verkittet waren“.
Die sogenannten wasserdichten Gruben sind daher in
der Regel nichts weniger als solche, sie unterscheiden sich
nicht viel von den gewöhnlichen Schlinggruben. Sie ver-
jauchen den Grund langsamer — aber zugleich heim-
tückischer, da man sich eben sorglos auf ihre Undurchlässig-
keit verlässt.
Die ausgetretene Jauche verbreitet sich selbst im ganz
trockenen Erdreich auf weite Strecken; noch mehr wird aber
dessen Verbreitung durch das Grundwasser vermittelt, welches
die faulenden Stoffe und die ihnen anhaftenden deletären
Keime mit sich fortreisst, so dass die schädlichen Wirkungen
oft erst in weiter Entfernung von der betreffenden Abtritts-
grube zum Vorschein kommen. — Die Bedeutung solcher
Durchjauchungen des Bodens für die Entstehung und Verbrei-
tung epidemischer Krankheiten hat wie bekannt Pettenkofer
besonders hervorgehoben und darauf seine „Grundwasser-
theorie“ basirt. Es drängt jedoch alles zu der Annahme,
dass auch eine Menge sporadischer Erkrankungen in derar-
tiger Bodenverjauchung ihren nächsten Grund haben. Die
letztere hat übrigens noch eine andere gefährliche Seite,
ausser der Verunreinigung des Trinkwassers, die, wie wir
sogleich hervorheben werden, lokaler Verhältnisse wegen in
Innsbruck fast ganz entfällt. Die mit dem Grundwasser ver-
mischte Jauche dringt nemlich in die Fundamente der Häuser,
welche sie beschädigt, indem sie durch kapillare Thätigkeit
das Mauerwerk und die Grundbalken imprägnirt. Dadurch
wird nicht bloss die Sicherheit des Gebäudes, sondern auch.
die Salubrität desselben in hohem Grade gefährdet, indem
das Mauerwerk solcher Häuser feucht und von fauligen
eG | (ees
Stoffen und massenhaften mikroskopischen Organismen durch-
setzt wird.
Unter die gefährlichsten Folgen der Bodendurchjauchung
gehört schliesslich die Verunreinigung des Trinkwassers durch
Faulstoffe. Zahlreiche Beobachtungen haben zweifellos er-
geben, dass bei epidemischen Erkrankungen die Infeetion
vorzugsweise von derartig vergifteten Trinkwasser ausgeht ').
Wir verweisen in dieser Beziehung auf die neueste Arbeit
Liebermeister’s (Archiv für klin. Med. 7. Bd., II. Heft) so-
wie auf den Bericht über die Nervenfieber-Epidemie in Born-
heim von Dr. Ripps (zur Frage über die Beseitigung der
Exkremente aus Schulgebäuden von Dr. G. Passavant, Frank-
furt a. M. 1870 p. 34).
Begreiflicher Weise sind es fast ausschliesslich gegrabene
Brunnen (Zieh- und Pumpbrunnen) deren Wasser durch Ein-
siekerung von Jauche aus nahen Abtrittsgruben, Düngerhaufen
ete. vergiftet werden kann. Innsbruck besitzt aber solche
Brunnen nicht?), sondern hat das beneidenswerthe Glück,
stets ein ausgezeichnetes Quellwasser als Trink- und Koch-
wasser benützen zu können, welches von den Bergen herab
der Stadt zugeleitet wird, und aus den überall aufgestellten
Säulenbrunnen beständig abfliesst. Da die Leitung des Was-
sers innerhalb der Stadt grösstentheils durch eiserne Röhren
geschieht, die wenige Schuhe unter der Erde verlaufen, so
ist ein Gelangen von aus Abtrittsgruben stammenden fauligen
Stoffen in das Trinkwasser innerhalb der Stadt nicht
leicht möglich, doch ist dasselbe bei Schadhaftwerden der
1) Wir wissen. dass .„vergiftete“ Brunnen schon bei unseren Vor-
fahrea als Ursache der Epidemien eine grosse Rolle spielten, und dass
man Juden und andere missliebige Personen beschuldigte, die Brunnen
vergiftet zn haben. Die letzteren waren ohne Zweifel wirklich vergiftet,
nur nicht durch die Juden, sondern durch die Cloaken, in deren Nähe man
sorgloser Weise die Brunnen angelegt hatte.
2) Mit einziger Ausnahme der Bahnwächterhäuschen, welche meist
in der Nähe des Inn oder der Sill gelegen, das von diesen herrührende
Grundwasser benützen.
Leitungsröhren, namentlich an ihren Verbindungstellen, be-
sonders aber in jenen»'Stadttheilen, wo noch hölzerne Lei-
tungsröhren bestehen, keineswegs ganz ausgeschlossen. Da-
gegen müssen wir bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam
machen, dass ausserhalb der Stadt eine Aufnahme putrider
Stoffe ganz wohl erfolgen kann. Ausserhalb der Stadt sind
nemlich die von den Bergen herabkommenden Leitungsröhren
von Holz, und sind mit Hilfe von Röhrenansätzen von Blech
einfach in einander gefügt. Diese Röhrenstränge, welche dem
Eindringen von Jauche etc. gewiss auf die Dauer kein wesent-
liehes Hinderniss bieten können, laufen, bevor sie die Stadt
betreten, durch die anstossenden Dörfer (Hötting, Mühlau)
häufig unmittelbar neben zahlreichen Düngerhaufen ete., ja
man kann sogar an einzelnen Orten, z. B. in Büchsenhausen,
beobachten, dass die Leitungsröhren unmittelbar unter den
Abzugsrinnen solcher Düngerhaufen verlaufen, und dass hie und
da mitten aus einer solchen Jauchenrinne das Quellwasser
aus der beschädigten Wasserröhre hervorsprudelt. Dass auf
diese Weise das Trinkwasser Jauche aufnehmen und in Folge
dessen krankmachende Wirkungen zeigen kann ist nicht zu
bezweifeln und wir halten tins umsomehr für verpflichtet auf
diesen Uebelstand aufmerksam zu machen als nach zuver-
lässigen Berichten (v. Ninth Report of the med. Officer
p- 295) das Trinkwasser noch bei unglaublich geringer Bei-
mengung von fauligen Zersetzungsprodukten sich als schädlich
erwiesen hat.
Fassen wir nun das bisher Gesagte zusammen, so glauben
wir ‚erwiesen zu haben, dass das bisher in Innsbruck zur
Anwendung gekommene Cloakensystem, wenigstens in der
Art und Weise, wie es bisher gehandhabt wird, die Salu-
brität der Stadt in hohem Grade bedroht. Es sei uns nun
gestattet zu untersuchen, wie sich diesen sanitären Uebel-
ständen gegenüber die Gesundheit der Stadt und ihrer Be-
wohner thatsächlich verhält.
Innsbruck wird den neuesten statistischen Zusammen-
stellungen zufolge zu den gesündesten Städten des Kaiser-
SE | sm
staates gerechnet. Wer aus dieser Thatsache etwa den
Schluss ziehen wollte, dass es aus diesem Grunde mit der
oben hervorgehobenen hygieinischen Schädlichkeiten denn doch
nicht so arg sein müsse, der würde in einer grossen Täu-
schung sich befinden. Zuvörderst möge hier bedacht werden,
dass die erwähnte Thatsache nur den österreichichen Städten
gegenüber gilt, in denen bekanntlich überall mit Ausnahme
von Graz das Cloakenwesen in einem trostlosen Zustande
sich befindet; wesshalb es eben nicht allzuhoch angeschlagen
werden darf unter diesen in den bedeutsamsten hygieinischen
Anforderungen vernachlässigten Städten die gesündeste zu
sein. Vergleichen wir die sanitären Verhältnisse Innsbruck’s
mit jenen ausseröstereichischer Städte, die ein gut oder ziem- ~
lich gut geregeltes Kloakenwesen besitzen, so erhalten wir
ganz andere Resultate. -
‘Nach den uns übergebenen Mortalitätslisten betrug die
Sterblichkeit in Innsbruck in den 7jährigen Perioden
von 1849—1855 . 21°8 pro mille
» 1856—1862)). 217.0,
„ 1863—1869 . 247 4,
Dagegen betrug die Sterblichkeit in Leipzig, einer Stadt
mit 90.000 Einwohnern im Jahre 1867 bloss 24.2 pro mille
(Kanalisation und Abfuhr mit besonderer Beziehung auf Leip-
zig. Leipzig 1869, p. 6). Noch überraschender gestaltet
sich die Innsbrucker Mortasitätsziffer gegen jener englischer
Städte. So beträgt z. B. in dem riesigen London (3 Mill.
Einwohner) die Sterblichkeitszahl nur 24 von Tausend. Nach
dem wiederholt erwähnten Ninth Report of the Medic.
Off. hat
Croydon mit 30.229 Einw. eine Sterblichkeit von 19:0 pro mille
New port „ 24.756 , DIN i QIET MD,
demnach mit Rücksicht auf die bedeutend grössere Einwoh-
nerzahl durchwegs eine günstigere Mortalitätsziffer als in un-
serer Stadt '). Wenn wir nun ferner lesen, dass in Eng-
1) Zum Vergleiche fügen wir noch folgende statistische Daten
land nach Parlamentsbeschluss jede Stadt, welche im Durch-
schnitte von 7 Jahren eine Mortalität von mehr als 23 pro
mille zeigt, für eine ungesunde Stadt erklärt und gezwungen
wird, sich einer durch eine Gesundheitskommission auszu-
führenden Untersuchung und den Anordnungen derselben zu
unterwerfen; so finden wir zu unserm Erstaunen, dass Inns-
bruck, eine der gesundesten Städte Oesterreichs, in England
unter die ungesunden gerechnet werden möchte, und wir sind
um eine Illusion ärmer.
Untersuchen wir nun weiter, wie sich speziell jene Krank-
heiten in Innsbruck verhalten, die vorzugsweise auf Infektion
durch Cloakenstoffe zurückgeführt werden können,
Unter diesen kommt in erster Reihe der Typhus in
Betracht. In Bezug auf diesen verdanken wir einem der
renommirtesten hiesigen praktischen ‚Aerzte Herrn Dr. Bereiter
folgende interessante Daten: Bis zum Jahre 1848 war der
Typhns in Innsbruck eine Seltenheit. In diesem Jahre wurde
er durch die aus Italien heimkehrenden Truppen zunächst
nach Sistrans, einem 1/, Stunden von der Stadt entfernten
Dorfe eingeschleppt. Von da aus verbreitete sich derselbe
langs des Baches bis zum ehemaligen Amraser See und dann
über Pradl herunter bis nach Innsbruck. Seit dieser Zeit
kommen jährlich zahlreiche wenn auch in der Regel mild ver-
laufende Typhuserkrankungen vor und Dr. Bereiter zählt allein
zwischen 14—40 Erkrankungen des Jahres. Im hiesigen
allgemeinen Krankenhause kommen nach Mittheilung von
Prof. Rembold jährlich 15 - 18 Typhusfälle zur Aufnahme;
und es stellt sich schon darnach die Zahl der in ganz Innsbruck
sich jährlich ereignenden Typhuserkrankungen auf 25—58;
also 14'7—54:1 pro 10,000 Einwohner; während die oben
erwähnten englischen Städte seit Regelung ihres Cloaken-
wesens bloss 74 Erkrankungen an typhösen Fiebern auf
hinzu: In Wien beträgt die Sterblichkeit pro mille 47, in Petersburg
42-4, in Paris 28, in Berlin 25. — Wien wird in seiner Sterblichkeit
nur von Kazan in Russland übertroffen, wo 52:3 von 1000 sterben.
ee
10,000 Seelen aufweisen. Diess sind in der That ganz un-
sünstige Zahlen. Wenn wir die gesunde Lage Innsbrucks
bedenken, sowie den Umstand, dass daselbst der Pauperis-
mus nicht in den erschreckenden Formen, wie in anderen
Städten sich präsentirt und dass auch andere die Entstehung
typhöser Erkrankungen fördernde Umstände, z. B. Ueber-
füllung der Wohnungen, zahlreiche Fabriken etc. nur wenig
hervortreten, so dürfte es mit Rücksicht auf die oben ge-
machten Ausführungen gar nicht gewagt sein, wenn wir die
schlechten Cloakenverhältnisse, resp. die massenhafte An-
häufung faulender Faekalstoffe innerhalb der Wohnungen als
nächste Ursache der unverhältnissmässig häufigen Typhus-
erkrankungen bezeichnen. Sorgfältige Recherchen dürften
einen solchen Zusammenhang zweifellos sicherstellen. *)
Von andern einschlägigen Krankheiten erwähnen wir die
Masern und den Croup. Beide Krankheiten kommen in
Innsbruck häufig vor und wir haben soeben eine stärkere
Masernepidemie durchgemacht, welche eine nicht geringe An-
zahl von Kindern dahinraffte. Auch diese Krankheiten war-
den wie bereits erwähnt, mit putrider Infektion in Verbin-
dung gebracht und es ist in dieser Beziehung gewiss nicht
zu übersehen, dass die grösste Zahl solcher Erkrankungen
in unserer Stadt fast stets mit der halbjährigen Ausleerung
der Abtrittsgruben zusammenfällt.
Indem wir uns auf diese Angaben beschränken, sind
wir überzeugt, dass die sanitären Nachtheile des gegenwärti-
gen Abtrittgrubensystems in noch krasserer Weise hervor-
treten möchten, wenn dieselben hierorts nicht durch zwei
Momente wesentlich abgeschwächt würden und zwar zunächst
durch den bereits hervorgehobenen Umstand, dass eine Ver-
giftung des Trinkwassers durch Cloakenjauche nicht leicht
1) Herr Dr. Bereiter theilt uns mit, dass im Dorfe Arzel, welches
durch die Menge uuf der Strasse liegender Misthaufen sich auszeichnet,
der Typhus besonders häufig sich zeigt; ein Umstand, der zur Unter-
stützung unserer Ansicht gewiss beiträgt.
a A a
erfolgen kann und zweitens durch die hier häufig herrschen-
den Winde (Sirocco), die, indem sie die Luft reinigen, die
Gefahr mildern, welcher Innsbruck sonst ausgesetzt wäre. !)
Nachdem wir nun die Uebelstände und Nachtheile des
bisher üblichen Modus des Sammelns und der Abfuhr der
Exkremente, wie wir glauben, in überzeugender Weise dar-
gelegt haben, wenden wir uns zu der Frage: Wie und wo-
durch diesen Schadlichkeiten abgeholfen werden
könnte? Der einzige rationelle Rath, den wir in dieser
Beziehung geben können, ist — gänzliche Auflassung
des gegenwärtigen Systems und Ersetzung des-
selben durch ein anderes anerkannt zweckmäs-
siges. Nur auf solche Weise ist eine radikale Ab-
hülfe möglich. Wir werden zwar nicht unterlassen, am
Schlusse dieses Promemorias jener Einrichtungen Erwähnung
zu thun, die im Falle der Beibehaltung des Abtrittsgruben-
systems gegen die aus demselben entspringenden sanitären
Uebelstände in Anwendung gezogen werden können; müssen
jedoch sogleich bemerken, dass dieselben wohl im Stande
sind, jene Uebelstände zu mildern, keineswegs aber vollstän-
dig unschädlich zu machen; wesshalb nicht zu bezweifeln ist,
dass selbst, wenn man sich vorläufig bloss mit der Akzep-
tirung solcher Einrichtungen begnügen sollte, doch die Zeit
kommen wird, wo man zu einer vollständigen Auflassung der
Abtrittsgruben wird schreiten müssen.
Die Systeme, welche mit Rücksicht auf den heutigen
Stand der Cloakenfrage einer Discussion unterzogen werden
können, sind
1. das System der Schwemmkanäle,
2. das Tonnensystem und seine Modifikationen und
3. die pneumatische Kanalisation nach Liernur.
Wir wollen nun diese Systeme einzeln sowohl vom all-
1) Die meisten Erkrankungen kommen erwiesener Massen bei an-
haliend ruhigem Wetter vor. Bei herrschendem Winde vermindert sich
die Zahl der Erkrankungen sichtlich.
ha gaia
gemeinen Standpunkte aus als besonders mit Rücksicht aut
die lokalen Verhältnisse Innsbrucks einer Würdigung unter-
ziehen.
Ad 1. Das System der Schwemmkanäle, welches wir
auch das Kanalisationssystem nennen wollen, !) ist vorzugs-
weise in England durchgeführt, hat aber auch in Deutsch-
land warme Verehrer gefunden, besonders unter den Tech-
nikern. Es ist auch in der That nicht zu läugnen, dass von
Seite der Technik in dieser Beziehung Grossartiges geleistet
wurde. Wir verweisen hier nur auf das eben in Ausführung
begriffene grossartige Wiebe’sche und Latham’sche Kanalisa-
tionsprojekt der Stadt Danzig (Vierteljahresschrift f. öffentl.
Gesundheitspflege 1. Band 2. Heft); welches sammt Wasser-
leitung der Stadt 1,200,000 Thaler kosten wird.
Was Innsbruck anbelangt, so würden sich von techni-
scher Seite der Einführung der Kanalisation keine wesent-
lichen Schwierigkeiten entgegenstellen; da das Terrain günstig
und namentlich das Haupterforderniss guter Schwemmkanäle, —
eine ausgiebige Spülung, verhältnissmässig leicht zu erzielen
wäre. Die Stadt besitzt nämlich bereits ein Schwemmkanal-
system, das für das Ablaufwasser der Häuser und der
Strassen bestimmt ist. Diese Schwemmkanäle (sogenannte
Ritschen) haben ein bedeutendes Gefälle und werden durch
die Durchleitung eines Theiles der Sill und des Inns, sowie
durch das aus den zahlreichen Brunnen beständig abfliessende
Wasser von einer solchen Wassermasse durchspült, wie sie
kaum das beste englische Schwemmkanalsystem aufzuweisen
im Stande sein dürfte. Würde man die Fallröhren der
Häuser in diese Ritschen einleiten und gleichzeitig für die
obligatorische Einführung von Watterclosetten, die freilich
wieder Zuleitung des nöthigen Wassers in die einzelnen Stock-
1) Selbstverständlich meinen wir hier nur die Kanalisation mit
gleichzeitiger ausreichender Spülung. Die alte Kanalisation, wie sie
leider noch so häufig besteht, bei welcher man die Exkremente sich
selbst überliess, ohne für Spülung zu sorgen, wird wohl heutzutage Nie-
mand mehr vertheidigen.
a a es
werke der Hauser erfordern wiirden, Sorge tragen, so ware
ein modernes Kanalisationssystem bald hergestellt. Bequem
ware ein solches System allerdings; eine andere Frage ist
aber die, ob dasselbe auch den sanitären und anderen mehr
lokalen Anforderungen entsprechen möchte. — Die meisten
Erwartungen hat man bei der Kanalisation auf die rasche
und gründliche Fortspülung der Exkremente sogleich nach
ihrer Deposition gesetzt, welche denselben nicht gestatten
sollte, innerhalb der betreffenden Stadt sich anzusammeln
und in Fäulniss überzugehen. Diese theoretischen Erwartun-
gen werden leider in der Praxis nicht bestätiget. Selbst im
strömenden Wasser sinken die Faeces allmälig zu Boden und
lagern sich an den Sohlen der betreffenden Kanäle ab, um
daselbst mit der Zeit eine starke faulende Schichte zu bilden,
die beständig Fäulnissgase ausstösst und den verschiedensten
kleinern und grössern Organismen zur Brutstätte dient. An
Stellen, wo das Terrain und andere Verhältnisse ein stärkeres
Strömen des Wassers nicht zulassen, erfolgen solche Ab-
lagerungen viel schneller und in grösserer Menge. In den
kleinen Hauskanälen, wo die Spülung nicht kontinuirlich ist,
sondern nur bei Benützung des Abortes periodisch erfolgt,
können sich die spezifisch schwereren Stoffe der Exkremente
besonders leicht absetzen. Ausserdem wird sich stets eine
Menge von Hindernissen im Laufe der Kanäle ergeben, an
denen sich der Inhalt staut und zu Niederschlägen Gelegen-
heit bietet Wie es unter solchen Umständen mit der a priori
erwarteten Geruchlosigkeit der Schwemmkanäle und den da-
mit in Verbindung stehenden sanitären Anforderungen in der
Regel bestellt ist, beweisen namentlich die so gelobten eng-
lischen Schwemmkanäle, über deren Ausdünstungen eine
Menge Klagen und Beschwerden in den englischen Blättern
niedergelegt sind. Wie es sich z. B. in dieser Beziehung
mit den von den Anhängern der Kanalisation als musterhaft
hervorgehobenen neuen Schwemmkanälen in Croydon verhält,
ist aus der oben citirten Rede Carpenters zu ersehen (7. Juni
1869), aus welcher hervorgeht, dass sich in den neuen
A DES
Kanälen eben so gut schädliche Cloakengase bilden (sewer
air), wie in den alten. Carpenter empfiehlt als vorzüglich-
stes Remedium gegen dieselben ausgiebige Lüftung der Kanäle.
ie Medic. Times and Gazette vom 12. Juli 1869 findet
dieses Mittel sehr zweckmässig und empfehlenswerth, fügt
aber die für das englische Cloakenwesen bezeichnenden Worte
hinzu: „Nichts desto weniger ist es ein betrübender Ge-
danke, dass nach 40jährigem Wortemachen und 40jähriger
Arbeit in Sachen der Gesundheitspflege, man zufrieden sein
müsse, die schädlichen Cloakendiinste in unsern Strassen ent-
weichen zu lassen.
Dass auch bei Schwemmkanälen ein Austritt des Kanal-
inhaltes in das umgebende Erdreich erfolgen kann und selbst
bei den besten Kanälen im Laufe der Zeit in der That er-
folgt, ist nicht zu bezweifeln. Man hat allerdings behauptet,
dass bei gehöriger Tieflage der Kanäle der Druck des Grund-
wassers ein Austreten des Kanalinhalts nicht gestatten wird,
vergass aber hiebei, dass der Stand des Grundwassers häu-
figem Wechsel unterworfen ist und dass es nicht überall
möglich sein wird, die Kanäle unter das niedrigste Niveau
des Grundwassers zu legen. Trotz den bisher hervorgehobe-
nen Mängeln des Schwemmkanalsystems lässt sich nicht
läugnen, dass die fortschreitende Technik im Stande sein
wird, durch zweckmässige, freilich aber ungemein kostspielige
Einrichtungen denselben zu begegnen, wenigstens sie bedeutend
abzuschwächen. Dagegen ist es die finale Unterbringung des
Kanalwassers, welche die schwächste Seite des Schwemm-
kanalsystems bildet und namentlich in Innsbruck mit den
grössten Schwierigkeiten und Uebelständen verbunden wäre.
Ein einfaches Einleiten der Massen in den Inn unter-
halb der Stadt wird wohl Niemand anrathen. Die Meinung,
als finde bei Vermischung von gährendem und gährungs-
fähigem Cloakenwasser mit viel Flusswasser eine totale Oxy-
dation und Metamorphose der organischen Masse rasch statt,
ist längst als irrig nachgewiesen, namentlich durch Frank-
land (Bericht über Wasserversorgung, Vierteljahresschrift für
pda ea
öffentl. Gesundheitspflege I. 1. pag. 109.). Pappenheim be-
merkt ganz richtig, dass selbst die stärkste Wasserverdün-
nung organische Keime, die vielleicht das schädlichste Agens
im Cloakeninhalte sind, kaum zu vernichten und unschädlich
zu machen im Stande sein wird. Zudem ist der Inn ein
verhältnissmässig seichter Fluss mit sehr wechselndem Wasser-
stand und man kann ihm trotz seiner bedeutenden Strömung
eine gleichmässige und kontinuirliche Wegschwemmung des
zugeführten Cloakeninhaltes nicht zumuthen, um so weniger
als die Erfahrung lehrt, dass mächtige Ströme und selbst
das Meer diess nicht immer vollständig auszuführen vermögen
Verschlammung des Flusses durch die Cloakensinkstoffe wäre
unausweichlich.. Das aus grobem Gerölle: bestehende Fluss-
bett würde das Zustandekommen von Ablagerungen besonders
begünstigen. Würden dann beim Fallen des Flusses die
flachen verschlammten Ufer blosgelegt, so müssten die Aus-
dünstungen des der Luft und Sonne ausgesetzten Schlammes
für die Gesundheit der Stadt und ihrer Umgebung die ge-
fährlichsten Folgen haben.
Zu diesen sanitären Bedenken gesellt sich der nicht zu
verantwortende Verlust der Dungstoffe für die Landwirth-
schaft. Die letztere würde gewiss nicht ermangeln, gegen
ein derartiges Vorgehen sich mit aller Entschiedenheit zu
verwahren, um so weniger als die herrlichen dreischurigen
Wiesengründe wie die üppigen niemals brach liegenden Mais-
und Getreidefelder der Umgebung Innsbrucks den sprechend-
sten Beweis liefern, welchen Werth die Cloakenstoffe, mit
welchen jene Ländereien zweimal im Jahre gedüngt werden,
für den Landbau besitzen,
Um der Verunremigung der Flüsse, die besonders in
solchen Gegenden, wo das Flusswasser als Trink- und Koch-
wasser fleissig benützt wird, mit den grössten sanitären Nach-
theilen verbunden ist, vorzubeugen und zugleich die im Cloaken-
wasser enthaltenen Dungstoffe zu gewinnen, hat man aller-
dings verschiedene Mittel empfohlen und angewendet, um das
Cloakenwasser vor dem Ablassen in den Fluss zu reinigen,
— 20 —
beziehungsweise die schädlichen Beimengungen auszufällen.
Sämmtliche diese Methoden, z.B. Absitzenlassen in Bassins,
Desinfektion mittelst der in Asnieres bei Paris gebräuch-
lichen Alaunmutterlauge, haben sich nicht bewährt, da eine
vollständige Reinigung des Cloakenwassers durch sie nicht
möglich ist und überdiess die ausgefällten Stoffe nur einen
geringen Dungwerth besitzen.
In welcher Weise die neuerdings gerühmte Süvern’sche
Methode (Chlormagnesium, Kalkhydrat mit etwas Carbol-
säure) diese Aufgabe zu lösen im Stande sein wird, lässt
sich gegenwärtig nicht bestimmen. Wenigstens haben die in
Berlin unter der Leitung Virchow’s gemachten Versuche noch
zu keinem endgültigen Resultate geführt. (Vorläufigen Be-
richt über diese Versuche siehe 48. Bd. von Virchow’s Ar-
chiv und Vierteljahresschrift f. öffentl. Gesundheitspfl. I. 1.
p- 96.)
Ferner hat man versucht und empfohlen, die Massen,
sobald sie die Kanäle verlassen, zur Bewässerung und gleich-
zeitigen Düngung von Landflächen, besonders von Wiesen-
grund zu verwenden, — das sogenannte Berieselungs-
System. Dieses System wird von England aus besonders
empfohlen. Schon durch längere Zeit ist dasselbe in An-
wendung in Croydon (Norwood), in Rugby und Edinburgh.
Neuestens wird ein kleiner Theil des Londoner Sielwassers
zur Berieselung von Lodge-Farm bei Barking, zwei Meilen
unterhalb London verwendet; ebenso das Kanalwasser des
Lagers von Alderschott bei London zur Berieselung einer
100 Acres messenden sterilen unebenen Sandfläche. (Viertel-
jahresschrift für öffentl. Gesundheitspfl. I. 2. p. 213.) Bei
der Durchführung der Berliner und Danziger Kanalisations-
projekte ist die gleichzeitige Berieselung grosser steriler
Landflächen in Aussicht genommen.
Die englischen Berichte lauten in Bezug auf die land-
wirthschaftlichen Resultate derartiger Berieselungen sehr
günstig; wobei aber zu erwähnen ist, dass es sich hier fast
ausnahmslos um sehr durchlässige, grösstentheils sandige
ee
Landflächen handelt. Für die wasserreichen Wiesen- und
Ackergründe des Innthals, die einer beständigen Drainage
bedürfen, wäre eine kontinuirliche Berieselung gewiss nicht
anwendbar. Bedenkt man zudem, dass im Winter die Be-
rieselung ausgesetzt werden müsste, wie diess sogar auch im
milden England geschehen muss, so dass dann das Kanal-
wasser doch in den Fluss geleitet werden müsste; bedenkt
man ferner die durch den Gestank des frei sich verbreiten-
den Cloakenwassers entstehende Verunreinigung der Luft, so
kann man wohl von der Anempfehlung des Berieselungs-
systems für Innsbruck absehen und wenn wir das oben Ge-
sagte zusammenfassen, auch von jener des Schwemmkanal-
systems überhaupt, das bei bedeutenden Kosten der Stadt,
ausser vielleicht der Bequemlichkeit, keine weiteren Vortheile,
sondern nur eine Reihe neuer Nachtheile zu bringen im
Stande wäre, die sich möglicher Weise mit der Zeit noch
belästigender erweisen möchten, als die gegenwärtigen.
Es erübrigt noch eines wichtigen Umstandes Erwähnung
zu thun, welcher zu Gunsten der Kanalisation vorzugsweise
ins Feld geführt wird, nämlich die durch gehörige Tieflegung
der Kanäle gleichzeitig zu erzielende Drainage des Unter-
grundes der Häuser und Verminderung der Bodenfeuchtig-
keit. Sorgfältige statistische Zusammenstellungen haben er-
geben, dass gewisse Krankheiten, vorzugsweise aber die
Tuberculose an solchen Orten in grösserer Häufigkeit vor-
kommen, wo für gehörige Ableitung der Bodenfeuchtigkeit
nicht gesorgt ist (vide: Ueber den Einfluss der Bodenfeuch-
tigkeit auf die Häufigkeit der Lungenschwindsucht nach
Dr. Buchanan. Vierteljahresschrift f. öffentl. Gesundheitspfl.
2. p. 232).
Die gegenwärtig bestehenden Ritschen dürften allerdings
ihrer seichten Lage wegen, wenig zur Entwässerung des
Bodens beitragen. Doch wäre diess mit der Zeit durch
Tieferlegen der Ritschen und Wahl eines durchlässigen Mauer-
werkes für die Seitenwände derselben in genügender Weise
zu erreichen, namentlich wenn gleichzeitig dafür gesorgt
Naturw.-med. Verein. 3
EN lo)
würde, dass die, in den einzelnen Häusern für die Einleitung
des Regenwassers noch bestehenden Senkgruben, sowie jene,
die in den Vorstädten (Wiltau) zur Aufnahme des, aus den
Brunnen ablaufenden Wassers bestimmt sind, aufgelassen und
alles überflüssige Wasser einzig und allein in die Kanäle
geleitet werden möchte.
Das Tonnensystem besteht im Wesentlichen darin,
dass man die Exkremente in transpotablen Gefässen, soge-
nannten Tonnen, auffängt, welche man im Souterrain unter
den Fallröhren der Abtritte aufstellt. Die Tonnen werden,
so bald sie nahezu voll sind, was in der Regel in wenigen
Tagen geschieht, weggenommen, wohl verschlossen abgeführt
und gleichzeitig durch neue ersetzt. Die hygienischen Vor-
theile dieses Systems sind sehr schätzenswerth. Die Durch-
jauchung des Bodens und die Verunreinigung des Grund-
wassers wird bei demselben gänzlich vermieden; ebenso bei
zweckmässiger Einrichtung die Verderbniss der Luft und die
aus der längeren Anhäufung der Exkremente im Bereiche
der Wohnungen entspringenden Nachtheile, wozu überdiess
der Vortheil sich hinzugesellt, dass die Cloakenstoffe für die
Landwirthschaft nicht verloren gehen.
Das Tonnensystem ist in Graz, ferner theilweise in
Leipzig, Paris, Dresden, Kiel und neuerlich in Zürich ein-
geführt.
In Graz, wo das Tonnensystem noch in seiner ursprüng-
lichen Form zur Anwendung kommt, bestehen folgende Ein-
richtungen: Im Souterrain eines jeden Hauses ist in einem
eigens dazu hergerichteten leicht zugänglichen Raume die
Tonne aufgestellt unter dem gemeinschaftlichen Abfallrohre
sämmtlicher Abtritte des betreffenden Hauses. Die Tonnen,
welche auf 2 bis 5 Eimer Inhalt berechnet sind, sind aus
Eichenholz gefügt, haben eiserne Reife und sind mit Oelfarbe
iiberstrichen. In die Oefinung des Deckels ist ein hölzerner
Trichter eingepasst, der zum Behufe des Nachsehens gehoben
werden kann, und in diesen mündet das Fallrohr. Ist die
Tonne nahezu voll, so wird die Oeffnung derselben mit einem
genau schliessenden Deckel verschlossen und mit einem Keil
befestigt und abgeführt, nachdem man sie durch eine frische
Tonne ersetzt. Die Abfuhr und das Auswechseln der Tonne
geschieht durch mehrere Unternehmungen, deren Organe zu-
gleich die Pflicht haben, zur rechten Zeit nachzusehen. Die
Abfuhr selbst geschieht am Tage mittelst eigener Wägen und
zwar, da für guten Verschluss der Tonnen gesorgt wird, ohne
die geringste Belästigung der Einwohner. Hiefür bezahlen
die Hauseigenthümer 40—50 kr. 6. W. jährlich für jede im
Hause wohnende Person, in Fällen aber, wo z. B. wegen
gleichzeitig angebrachter Wasserklosetten die Tonnen häufiger
gewechselt werden müssen, werden eigene Verträge mit der
Unternehmung abgeschlossen, die dann die ihr zukommende
Entschädigung nach der Anzahl der abzuholenden Tonnen
berechnet. Das Tonnensystem, das bereits seit 1830 in den
meisten Häusern von Graz bestand, ist seit 1867 obligato-
risch eingeführt, der beste Beweis, dass es sich die allge-
meine Zufriedenheit der Einwohner erworben. Welchen gün-
stigen Einfluss seine Einführung auf die Gesundheitsverhält-
nisse der Stadt hatte, haben wir bereits oben erwähnt.
Ganz ähnlich wird das Tonnensystem in Leipzig ge-
handhabt; nur mit dem Unterschiede, dass der Verschluss
der ebenfalls hölzernen Tonnen durch einen mit einer Quer-
leiste versehenen und durch Flügelschrauben angezogenen
Spund geschieht. Das Abholen und Auswechseln der Tonnen
wird durch dieselbe Firma (Teuthorn) ausgeführt, welche zu-
gleich die atmosphärische Räumung der in vielen Häusern
Leipzigs noch bestehenden Abtrittsgruben besorgt und sämmt-
liche Cloakenstoffe der Stadt zu Poudrette verarbeitet. Auch
hier giebt man dem Tonnensystem den Vorzug und es kommt,
wenigstens in den neueren Häusern, fast durchwegs zur Aus-
führung.
Aehnliche günstige Berichte verlauten aus Paris, Han-
nover, Stettin etc. In Zürich wurde das Tonnensystem in
letzter Zeit eingeführt und für Heidelberg hat der dortige
ärztliche Verein die Einführung desselben in Vorschlag gebracht.
3%
BIN 305) aap
Auch wir stehen nicht an, das Tonneusystem der Stadt
Innsbruck zur Annahme zu empfehlen, da dieses System unter
allen gegenwärtigen am meisten den hygienischen Anforde-
rungsn entspricht, da es ferner den hiesigen Verhältnissen
am leichtesten angepasst werden kann und da schliesslich
die dem Tonnensystem zugeschriebenen schwachen Seiten ge-
rade in Innsbruck weniger hervortreten können, als diess
vielleicht an anderen Orten der Fall sein möchte.
So wird z.B. dem Tonnensystem der Vorwurf gemacht,
dass, um das allzuhäufige Vollwerden und leichte Ueber-
laufen der Tonnen zu verhüten, das Eingiessen der Haus-
wässer und das Hineinwerfen der Küchenabfälle ete. prohibirt
werden muss, was nicht leicht vollständig möglich ist. In
Innsbruck würde dieser Umstand keine Schwierigkeiten machen.
Die Leute sind hier seit jeher gewöhnt, die Hauswässer in
die Ritschen zu giessen, da das Eingiessen derselben in die
Abtritte von Seite der Hausherren nicht geduldet wird. Die
Küchenabfälle aber werden überhaupt gar nicht weggeworfen,
sondern in den Haushaltungen gesammelt, von den Land-
leuten jede Woche abgeholt und verfüttert.
Dass Watterclosetts ganz gut auch beim Tonnensystem
bestehen können, beweist Graz, wo dieselben ziemlich zahl-
reich sind. Eine häufigere Auswechslung der Tonnen wird
dann allerdings nothwendig, doch werden dadurch, wie man
in Graz sieht, die Kosten nicht bedeutend vermehrt und die-
selben überdiess durch die Reinlichkeit und Eleganz der
Abortsitze reichlich wieder eingebracht.
Die sogenannten Diviseurs, d. h. Tonnen, in denen durch
ein senkrecht oder horizontal aufgestellte durchlöcherte Scheide-
wand die flüssigen Theile von den festen getrennt werden,
haben unter Anderem den Zweck, ein allzubaldiges Voll-
werden der Tonnen zu verhüten und indem sie zugleich den
am schnellsten faulenden Harn von den Faces sondern, ein
längeres Behalten der Tonnen im Hause zu gestatten. Die
ablaufende Flüssigkeit wird entweder in einer zweiten unter-
gestellten Tonne aufgefangen oder sie wird einfach in die
LED
Or
|
Kanäle oder den Fluss abgelassen (Zürich) oder sie wird
vorerst einem Desinfections-Verfahren unterzogen und dann
dem Flnsse übergeben — Eine vollständige Abscheidung der
flüssigen Theile findet in diesen Diviseur’s nie statt, wess-
halb sie ihren Zweck immer nur theilweise erfüllen, abgesehen
von den leichten Verstopfungen der kleinen Oeffnungen der
Scheidewand. Ein längeres Stehenlassen der Tonnen wäre
demnach auch hier nicht rathsam.
Noch weniger ist das einfache Ableiten der Flüssigkeiten
in die Sielen oder in den Fluss zu billigen; da dadurch die
sanitären Vortheile des Tonnensystems mehr weniger illu-
sorisch werden möchten. Was von einer vorhergeschickten
Desinfection zu erwarten wäre, lehrt die Erfahrung. Alle in
dieser Beziehung gestellten Erwartungen scheitern einfach an
der Thatsache, dass eine allgemeine und ausreichende Durch-
führung dieser Massregel in einer Stadt von den Einzelnen
nicht zu erwarten, und obligatorisch wegen Unmöglichkeit der
Controlle nicht durchführbar ist.
Die finale Unterbringung der Abtrittsstoffe resp. die Ver-
werthung derselben für landwirthschaftliche Zwecke, der wunde
Fleck aller Cloakensysteme hat auch beim Tonnensysteme
ihre Schwierigkeiten. Doch auch dieser gegenüber finden wir
in Innsbruck günstigere Verhältnisse. Während in vielen
Städten wegen nicht rationellen Betrieb des Landbaues die
Cloakenstoffe nur zum Theil zur Düngung verwerthet werden,
können wir für Innsbruck die erfreuliche Thatsache konsta-
tiren, dass die Landwirthschaft der Umgebung der Stadt
den von Letzterer produzirten Cloakendünger nicht nur voll-
ständig verbraucht, sondern auch gut bezahlt (15-20 fl.
für den jährlichen Cloakeninhalt eines grösseren Hauses) N.
1) In welcher Weise die Landwirthe der Umgebung Innsbruck’s
den Stadtdünger zu schätzen wissen, geht aus dem Umstande hervor,
dass sie sich die Erwerbung desselbon auch sonst noch ein schweres
Geld kosten lassen. Ieder Landwirth muss nemlich das nöthige Per-
sonal sehr gut bezahlen, die oberwähnten Kastenwägen selbst beschaffen
ete.; so dass die Auslagen für die Düngung derFelder jährlich ein hüb-
sches Sümmchen betragen.
A ee
Es steht also zu erwarten, dass auch nach Einführung des
Tonnensystems die Abtrittsmassen ihre vollständige Verwer-
thung und demnach auch die Unternehmer der Abfuhr ihre
Rechnung finden werden. Im Frühjahr und Herbst und theil-
weise im Winter würde die Verführung des Tonneninhaltes
auf die Felder ohne alle Vorbereitung erfolgen können. In
der übrigen Zeit würde die einstweilige Unterbringung der
Massen allerdings einige Schwierigkeiten machen. Dass diese
gerade nicht unüberwindlich sind, beweisen die an anderen
Orten in dieser Beziehung bestehenden Einrichtungen. So
sei z.B. die in Leipzig eingeführte verhältnissmassig einfache
und billige Prozedur beschrieben. Die Abfuhr sämmtlicher
Excremente der Stadt besorgt hier die Firma Tenthorn, welche
1/2 Stunde von der Stadt entfernt auf flachem Felde eine
Fabrick besitzt, die die Cloakenmassen zu Poudrette verar-
beitet.
Die Massen werden, sobald sie anlangen in rechteckige
lange und breite, doch bloss 11/2 Schuh tiefe Gruben ge-
gossen und in derselben durch 14 Tage der Einwirkung der
Luft ausgesetzt. Hierauf werden sie behufs Neutralisation
des Ammoniak mit Schwefelsäure behandelt und weitere 14 Tage
an der Luft getrocknet. Dann wird die Masse mittelst lei-
terartiger Formen in Ziegelgestalt gebracht und die Ziegel
unter Holzdächern auf Lattengestellen getrocknet. Die ge-
trockneten Ziegel werden nun zerschlagen und als grobes
Pulver in Fässern zum Verkaufe aufbewahrt. Die Fabrick,
welche bereits 16 Jahre besteht, verkauft den Zentner dieses
Düngers zu ‘4 Thaler.
In Bondy bei Paris verarbeitet man die Excremente
letzterer Stadt ebenfalls einfach durch Trocknen an der Luft,
nachdem man sie in flachen Gruben hatte absitzen lassen.
Die Fabrik arbeitet auf Rechnung der Gemeinde von Paris
und liefert einen jährlichen Ertrag von 340.000 Franks.
Auch für Innsbruck würde sich ein abgelegener Ort
finden lassen, wo die Cloakenstoffe während der Zeit, wo sie
nicht direkt auf die Felder verführt werden können, abge=
FOB i a
lagert, beziehungsweise zu Poudrette verarbeitet werden
könnten. Auf je einfachere Weise diess geschehen würde,
desto grösser wäre die Hoffnung auf Gewinn.
Neuerdings will F. Thon (die Lösung der Latrinenfrage.
Cassel und Göttingen 1869) ein Verfahren erfunden haben,
um die Excremente innerhalb wenigen Tagen in sehr prak-
tische Poudrette zu verwandeln und zwar auf so billige Weise,
dass mit Rücksicht auf den zu erzielenden Gewinn der Fa-
brick die Abfuhr der Kloakenstoffe aus der Stadt ganz um-
sonst geschehen kann. Die Bestätigung dieser Angaben ist
abzuwarten.
Diejenigen Methoden, welche die Exkremente sogleich
nach ihrer Absetzung desinfiziren und zu künstlichen Dünger
verwandeln sollen (System Mosselmann, Müller-Schürr, Mou-
le’sche Erdklosette) sind in soferne zweckmässig, als sie den
Feind angreifen, so lange er noch klein und daher leichter
zu bewältigen ist. Für einzelne grössere Gebäude, z. B. Fa-
briken, Schulen, Landhäuser wäre die Durchführung dieser
Methoden nicht sehr schwierig, so z.B. jene der Moule’schen
„dry-earth closets“, welche durch eine selbstwirkende Streu-
vorrichtung die Excremente sogleich nach ihrer Deposition
mit trockener Erde bedecken. Die allgemeine Einführung
solcher Einrichtungen in grösseren Städten würde auch ab-
gesehen von der Kostspieligkeit auf eine Menge Schwierig-
keiten stossen.
In mehreren nordischen Städten (Gothenburg, Norrkö-
ping, Christiania) ist nach Alex. Müller (die Reinhaltung
der Wohnungen, Dresden 1869) folgendes System eingeführt:
Harn und Faces werden schon im Abtrittstrichter durch eine
sinnreiche Vorrichtung (sog. Luftclosettes von Marino) ge-
trennt. Der Harn läuft dürch eine mit sauren Salzen, Car-
bolsäure und ähnlichen Stoffen getränktes Torffilter und wird
solchergestalt desinfizirt in die Sielen abgelassen. Die Fäces
fallen in ein Mischgefäss (Holzkasten) auf dessen Grunde
etwas Erde, Asche u. dgl. ausgebreitet ist. Hier werden
sie täglich mit gebranntem, ungelöschtem Kalk in groben
u ss
Stiicken (etwa 100 Gramme pro Kopf und Tag) gemischt,
so dass sie bei schliesslicher Abfuhr als ziemlich trockene
und brauchbare Kalkpoudrette verwerthbar sind. — Ob eine
solche Methode für Innsbruck anwendbar wäre, müssten die
Bodenverhältnisse der hiesigen Ländereien entscheiden.
Abgesehen von den zuletzt erwähnten Modificationen
glauben wir den Nachweis geliefert zu haben, dass eine all-
gemeine Einführung des einfachen Tonnensystems in Inns-
bruck keine besonderen Schwierigkeiten finden würde.
In die Details der Durchführung desselben wollen wir
uns vorläufig nicht einlassen; soviel sei nur bemerkt, dass
es unumgänglich nöthig sein wird, die Sache nicht dem Be-
lieben des Einzelnen zu iiberlassen}, sordern auf legislativen
Wege durchzuführen. Ebenso wird es sich als nothwendig
herausstellen, dass, wie dies anderswo der Fall ist die ge-
sammte Handhabung des Cloakenwesens in eine Hand ge-
legt wird; indem dieselbe entweder von der Gemeinde über-
nommen oder einer Unternehmung übertragen wird.
Es erübrigt nun noch des Systems des Capitän Liernur
Erwähnung zu thun, welches neuerlich viel von sich sprechen
machte. Das pneumatische Städtereinigungs-Sy-
stem Liernur’s (auch pneumatische Canalisation genannt) ist
im Wesentlichen ein Abfuhrsystem, das sich aber von an-
deren Abfuhrsystemen dadurch unterscheidet, dass nicht Haus
für Haus die Ausleerung des Abtrittinhaltes vorgenommen,
sondern, dass zu diesem Behufe immer eine Gruppe von
Häusern vereinigt wird. Die Fallröhren der zu dieser Gruppe
gehörigen Häuser gehen unmittelbar in eiserne oder glasirte
thönerne Röhren über, die mit einem mitten durch die Strasse
unterirdisch verlaufenden Hauptrohre verbunden sind. Dieses
letztere mündet allein oder zugleich mit 2—3 aus anderen
Strassen kommenden Hauptrohren in ein gemeinschaftliches
Reservoir, d. h. einen eisernen, an den Kreuzungsstellen der
Strassen in die Erde eingelassenen Kessel, welcher luftdicht
durch einen angeschraubten Deckel geschlossen werden kann.
Die Hauptröhren sind für gewöhnlich an der Einmündungs-
"RM
Lin og, a
stelle in den Kessel durch Hähne luftdicht verschlossen. Soll
die Reinigung vorgenommen werden, was nach Liernur täg-
lich zu geschehen hat, so stellt sich eine Dampfmaschiene
über den Kessel und pumpt denselben luftleer. Hierauf
werden die Hähne der einmündenden Rohre geöffnet und nun
schiesst der Luftdruck den Inhalt der letzteren in den Kessel
hinein. Dann werden die Hähne wieder geschlossen und der
Inhalt des Reservoirs in einen mittelst der Dampfmaschinen
luftleer gemachten Kesselwagen gesaugt, auf das Feld ver-
führt und sogleich tief untergepflügt oder einstweilen in Com-
posthaufen untergebracht.
Im Grossen, d. h. für ganze Städte und Strassen ist
dieses System noch nirgends durchgeführt, wohl aber im
kleinen Massstabe und versuchsweise in der Ferdinandska-
serne zu Prag, in welcher 3 grosse Aborte auf diese Weise
täglich gereinigt werden. Der Bericht der zur Prüfung dieses
Systems bestellten Militär- Kommission lautet günstig. Ob
es sich auch im Grossen bewährt, wird jedenfalls die Zeit
lehren, da dieses System in einigen Städten Deutschlands
und Belgiens in der That zur Ausführung kommen soll. Von
theoretisoher Seite stellen sich der Durchführbarkeit des Lier-
nur’schen Systems keine Bedenken entgegen. Von hygienischer
Seite wäre die Realisirung desselben nur wünschenswerth;
da auf diese Weise die Entfernung sämmtlicher Excremente
einer Stadt täglich und ohne die geringste Belästigung der
Einwohner erfolgen könnte.
Vom landwirthschaftlichen Standpunkte bietet das Sy-
stem den Vortheil, dass die exerementellen Stoffe noch
frisch, also mit ihrem vollen Dungwerth zur Verwendung
kommen.
Da ferner Capitän Liernur sich erbietet, die gesammten
Anlage- und Betriebskosten selbst zu übernehmen, wenn ihm
dagegen die Fäkalstoffe für die Dauer von 15 Jahren unent-
geldlich überlassen werden, und sonach die Einführung des
Systems von finanzieller Seite keine Schwierigkeiten bieten
würde, so erscheint es angemessen, die Vertretung der Stadt
a ee
Innsbruck auf die pneumatische Kanalisation aufmerksam zu
machen, mit dem Ersuchen, die gegenwärtig im Grossen be- -
vorstehenden Versuche ') mit diesem System im Auge zu be-
haiten, um, falls diese sich wie zu erwarten steht bewähren
sollten, die Einführung des Systems vielleicht auch für Inns-
bruck vorzubereiten.
Schliesslich erlauben wir uns für den Fall als eine ra-
dikale Aenderung des Cloakenwesens aus irgendwelchen in
loco massgebenden Gründen in weiter Ferne stehen und dess-
halb für die Bewohner Innsbruck’s die wenig tröstliche Aus-
sicht sich ergeben möchte, die odiosen Abtrittsgruben noch
länger zu behalten, den Vätern der Stadt die Abschaffung
wenigstens der schreiendsten Uebelstände des gegenwärtigen
Systems dringend ans Herz zu legen.
Hieher gehört zunächst die Verunreinigung der Luft in
den Wohnungen durch die aus den Abtritten aufsteigenden,
übelriechenden Ausdünstungen. Dass diesem Uebelstande
wenigstens einigermassen entgegengetreten werden kann, un-
terliegt keinem Zweifel, ebensowenig als die Thatsache, dass
in dieser Richtung bis jetzt in Innsbruck nicht einmal die
einfachsten Vorkehrungen getroffen worden sind. — Ausgie-
bige Ventilation der Abtrittsgruben ist gegen den erwähnten
Uebelstand das zweckmässigste Mittel. In den meisten Städten,
welche noch Abtrittsgruben besitzen, besteht die ausdrückliche
Verordnung, dass jede Abtrittgrube durch ein senkrecht auf-
steigendes, hinreichend weites und über das Dach hinausge-
leitetes Rohr ventilirt sein müsse. In Innsbruck finden wir
nichts Derartiges und dieses ist der Hauptgrund, warum die
Innsbrucker Abtritte einen so penetranten Geruch verbreiten.
Wir empfehlen demnach anzuordnen, dass in jedem in Bau
1) Nach einer Mittheilung von Reclam (Vierteljahresschrift für
öffentl. Gesundheigspfl. II. 1. p. 99) steht ein grösserer Versuch mit
dem Liernur’schen System in nächster Zeit in Köln a. Rh. bevor.
Ea BT ye
begriffenen Hause ausnahmslos, in den älteren sobald diess
nur thunlich, eine solche Ventilationsröhre über das Dach
geleitet werde, wobei es zweckmässig sein wird, das Rohr,
um die Ventilation von äusseren Temperaturverhältnissen
‚möglichst unabhängig zu machen, längs der Küchenkamine
anzubringen. Die Abtrittsgase würden dann, natürlichen
Gesetzen folgend, ihren Weg in’s Freie über dem Dache
finden, statt wie bisher, durch das Fallrohr in das Innere
der Häuser einzudringen.
Von anderen Vorrichtungen ist nicht viel zu erwarten.
Deckel, Klappen und ähnliche Vorrichtungen am Abtritts-
sitz, die das Aufsteigen der schädlichen Gase verhindern
sollten, haben sich, wie zu erwarten war, nicht bewährt. Am
zweckmässigsten sind noch die sogenannten Wasserverschlüsse
(Siphons), die jedoch den Uebelstand haben, dass sie im
Winter leicht einfrieren und durch absichtlich oder zufällig in
das Abtrittsrohr geworfene Gegenstände leicht sich verstopfen.
Die Durchlässigkeit der Abtrittsgruben ist, wie oben er-
wähnt, eine der gefährlichsten Seiten der letzteren, es ist
daher vorzugsweise in dieser Richtung, so weit diess über-
haupt thunlich ist, eine Ueberwachung nothwendig. Bloss ge-
mauerte, nicht cementirte Gruben sind absolut zu verbieten.
Da die Cementauskleidung wenigstens für einige Zeit gegen
den Austritt der Jauche schützt, so ist jeder Hauseigenthü-
mer zu verhalten, seiner Grube eine solche Auskleidung zu
geben und dass diess geschah, bei jedem Hause behördlich
zu konstatiren. Ferner ist, aus den oben angeführten Grün-
den, die zeitweise Erneuerung der Cementauskleidung obliga-
torisch zu machen, bei welcher Bestimmung natürlich die
durch Erfahrung oder experimentell sichergestellte Dauer-
haftigkeit des betreffenden Cementes massgebend sein müsste,
— Zur Herstellung einer wirklich wasserdichten gemauerten
Abtrittsgrube gibt es nach Thorwirth (Lohmer 1. ce. p. 8)
nur ein Mittel, nämlich die Errichtung einer doppelten Mauer
aus Backsteinen, deren ein Fuss breiter Zwischenraum mit
plastischem Thon ausgestampft wird.
a Ta) en
Eine derartige Einrichtung der Abtrittsgruben ist in
neuester Zeit fiir die ganze Provinz Schleswig-Holstein durch
eine Verfügung des Polizeipräsidiums obligatorisch gemacht
worden. Die Gruben miissen nach aussen mit einer fuss-
dicken festgestampften fetten Thonschicht umgeben werden.
Nach der gütigen Mittheilung eines Sachverständigen
muss die Thonschichte, welche zur wasserdichten Herstellung
von Abtrittsgruben anzuwenden wäre, nicht von Backsteinen
eingeschlossen sein, sondern es ist auch anderes Mauerwerk,
theilweise selbst anderes Material zulässig.
Eine weitere gesundheitsgefährliche und zugleich die be-
lästigendste Seite des gegenwärtig bestehenden Cloakensystems
ist die wahrhaft entsetzliche Art der Räumung der Abtritts-
gruben, welche wir oben vielleicht mit zu schwachen Farben
geschildert haben. Die unverantwortliche Belästigung, welcher
die Bewohner Innsbrucks in Folge jener weniger als primi-
tiven Ausleerungsmethode jährlich durch 12 Wochen aus-
gesetzt sind, war es, welche zunächst den Anstoss gab, dass
man an den so eben gegründeten naturhistorisch-medizini-
schen Verein dae Ersuchen stellte, sich der gequälten Be-
völkerung der Stadt anzunehmen und betreffenden Ortes Vor-
stellungen in dieser Richtung zu machen. Die allgemeine
Zustimmung, welche sich kundgab, als der Verein sich ent-
schloss, in der That diese Aufgabe zu übernehmen, ist der
beste Beweis, wie sehr die Bevölkerung sich sehnt, endlich
einmal von jener eckelhaften Belästigung befreit zu werden.
Wir brauchen nicht von unserm Standpunkte, mit Rück-
sicht auf das oben Ausgeführte nicht weiter zu betonen, dass
die endliche Abschaffung des bisherigen Modus der Gruben-
reinigung im Interesse der Salubrität der Stadt dringend ge-
boten erscheint, und wir geben uns der Hoffnung hin, eine
löbl. Stadtvertretung werde diesem sanitätswidrigen Gebahren
um so eher baldigst ein Ende machen, als gerade dieser
Seite des Cloakenwesens noch am leichtesten beizukommen
ist, da es eine Menge Apparate und Vorrichtungen giebt,
welche die Räumung der Gruben mit keiner oder nur ge-
Seo ees
ringer Belästigung bewerkstelligen und welche ohne grosse
Kosten angeschafft werden können.
In den meisten grösseren Städten, wo noch Abtritts-
gruben bestehen, hat man in der That schon lange die ur-
wüchsige Methode der Grubenräumung durch einfaches Aus-
schöpfen aufgelassen und hat entweder die Räumung durch
Pumpapparate oder die pneumatische Räumung eingeführt.
Was die erstere Methode anbelangt, so bedient man
sich dazu an einzelnen Orten, z. B. in München (theilweise)
und in Lyon gewöhnlicher zweistiefliger Pumpen. Sind diese
gut gearbeitet, so erfüllen sie ihren Zweck ausreichend, wie
z. B. aus dem Umstande zu ersehen ist, dass in Lyon die
Räumung auf solche Weise am Tage vorgenommen wird und
auch nur am Tage vorgenommen werden darf.
In Antwerpen, Ostende, Strassburg, Metz wird die von
Schmidt zuerst angegebene und nach Mesdagh modifizirte
Blasebalgpumpe (pompe aspirante et foulante) benützt. Es
ist eine nach dem Prinzipe der Blasebälge construirte Saug-
druckpumpe, welche den Unrath in einen Kesselwagen von
Eisenblech treibt mittelst sogenannter Spiralschläuche. Das
Saugrohr wird bis fast auf den Grund der Grube eingesenkt
und ist zur Vermeidung von Verstopfung mit einem Seiher
oder Drahtkorb am Ende versehen. Die bekannte von Sal-
viatti geleitete Berliner Commission wohnte in Ostende einer
solchen Räumung bei. Die Röhre von der dicht an die
Grube gestellten Pumpe, durch die Hausflur bis zu dem auf
der Strasse stehenden Wagen gehend, war 78 Fuss lang.
Die ganze Operation, durch welche 61 Kubikfuss geräumt
wurden, dauerte mit Montirung des Apparats, Wasserspülen,
Demontiren, Wiederaufladen der Schläuche und Pumpe 40
Minuten. Nur auf der Strasse machte sich einiger Geruch
bemerkbar, weil das Mannloch der Tonne 3—4 Mal grösser
war als der Durchmesser des Rohres. Nach Schluss des
Deckels verschwand derselbe vollständig. (Lommer |. e.,
pag. 32.)
Grosse Anerkennung hat sich die Schiettinger’sche (auch
New-Yorker) Pumpe erworben, welche in Basel, Bonn, Cöln,
Düsseldorf, Luxemburg, Mühlhausen, München ete. im Ge-
brauche ist.
„Diese Pumpe sieht einer Dampfmaschiene mit liegendem
doppeltwirkenden Cylinder sehr ähnlich. Statt der Ventille
sind jedoch Schiebersteuerungen mit Stahlmessern angebracht,
welche im Stande sind, etwaiges Verstopfen durch Zer-
schneiden der hemmenden Gegenstände zu beseitigen. Zwei
grosse Sehwungräden, von 2 Mann gedreht, setzen 2 Kur-
beln in Bewegung, an welchen die Kolben der Schieber-
steuerung befestigt sind. Von der auf 4 kleinen Rädern
ruhenden Maschiene geht ein starkes Gummirohr in die
Cloake. Dasselbe kann bis zu 200 Fuss verlängert und
20 Fuss tief hinuntergelassen werden, so dass man eine am
Ende eines langen Hofes gelegene Cloake noch von der Strasse
aus leer pumpen kann, Die Flüssigkeit wird mittelst dieser
Pumpe in ein Wagenfass gedrückt. Auf der oberen Seite
hat jedes Fass ausser der Einlassöffnung ein Sicherheitsventil
und eine Gasrohröffnung. In dem hinteren Boden befindet
sich oben eine 12 Zoll lange und 11/2 Zoll breite Wasser-
standsglasplatte und unten ein gusseiserner Ablasshahn. Der
ganze Apparat ist in 20 Minuten bequem aufgestellt und
kann ein Fass von 50 Kubikfuss in 8—10 Minuten voll-
gepumpt werden. — Sowie die Flüssigkeit das Fass füllt,
muss die darin befindliche Luft entweichen und mit ihr auch
die übelriechenden Gase der Unrathstoffe. Diese nehmen
hren Weg durch ein an die Fassöffnung angeschraubtes
Kautschukrohr, das unterhalb dem Roste eines kleinen trans-
portablen Ofens derart mündet, dass die Gase durch die da-
rin befindlichen glühenden Holzkohlen streichen müssen“.
(Die Cloakenfrage R. Hofmann, Prag 1868, p. 18.
Die Maschiene arbeitet, wie wir uns zu überzeugen Gele-
genheit hatten, präcis; und es ist bei sorgfältiger Manipulation
mit derselben fast gar kein auffallender Geruch zu bemerken.
Eine sehr saubere Methode der Ausleerung von Ab-
trittsgruben ist die sog. athmosphärische oder pneumatische
Bean gc
Räumung. Diese wird bewerkstelligt durch luftleer gemachte
Kesselwagen. Dieselben werden durch sog. Spiralschläuche mit
der Cloake in Verbindung gesetzt, so dass nun nach Oeffnung
eines Hahnes der Kloakeninhalt durch atmosphärischen Druck
in den Kesselwagen hineingetrieben wird. Das Luftleermachen
des Kessels wird entweder durch mittelst Dampf getriebenen
Luftpumpen oder durch die sog. hydropneumatische Methode
bewerkstelligt. Das erstere geschieht in New-York. Die
Unternehmer Richer & Comp. stellen den luftleeren Raum
in 5—6 Minuten in 5 Tonnenwagen zugleich her, mittelst
Luftpumpen die durch eine Dampfmaschiene von 12 Pferde-
kraft bewegt werden. Die Räumung erfolgt in so sauberer
Weise, dass nicht einmal die in der Hausflur liegenden Tep-
piche während der Arbeit weggenommen werden.
In Leipzig wird der Kesselwagen durch Wasserdampf
luftleer gemacht. Der Letztere wird in den Kessel eingeleitet,
und dann nach Verschluss sämmtlicher Oeffnungen durch Ab-
kühlung des Kessels verdichtet. Die Räumung wird am Tage
vorgenommen.
Die hydropneumatische Methode im engeren Sinne wird
vorzugsweise in Italien angewendet.
In Turin bedient man sich zu diesem Behufe eines sog.
barometrischen Brunnens. Der mit Wasser gefüllte Kessel-
wird nemlich durch eine luftdichte Verschraubung mit einem
32 Fuss langen Rohre in Verbindung gesetzt, welches in
einen Schacht lothrecht herabhängt. Das untere gebogene
Ende ist durch ein Ventil geschlossen. Sobald das letztere
mittelst eines Hebels geöffnet wird und alle Oeffnungen des
Wagenkessels bis auf die Rohröffnung geschlossen sind, läuft
das Wasser durch das Rohr aus dem Kessel so lange ab
bis im Rohre nur noch eine Wassersäule von 32 Fuss Höhe
stehen bleibt. Der Kessel ist alsdann luftleer.
Da die Lokalitäten nicht überall die Anlage eines mehr
als 32 Fuss tiefen Schachtes gestatten, hat man in Mai-
land eine Einrichtung getroffen, die überall ausführbar ist.
Man hat dort ein Reservoir angelegt, welches 20 Cub. M.
Wasser fasst. Aus diesem wird durch eine lothrechte Röhre
ein darunter befindlicher luftdichter Kessel von 16 Cub. M.
Inhalt gefüllt und dann durch ein Ventil der weitere Zufluss
abgehalten. Das im Kessel befindliche Wasser pumpt man
durch ein anderes an der entgegengesetzten Seite des Kes-
sels angebrachtes Rohr mittelst eines durch ein Göppelwerk
in Bewegung gesetzten Saug- und Druckwerkes aus dem
Kessel und macht ihn auf diese Weise luftleer. Soll nun
der vorher mit Wasser gefüllte Tonnenwagen luftleer ge-
macht werden, so verbindet man die Tonne durch ein Rohr
mit dem Kessel und lässt das Wasser aus demselben in
jenen ablaufen. Da jeder Tonnenwagen 2 Cub. Meter ent-
hält, so kann man mittelst des einen luftleeren Kessels
8 Wagen, in Zeit von 10 Stunden 60 Wagen herrichten
und mit diesen 120 Cub. Meter Unrath räumen. (Lommer
I @ m oD).
Das Liernur’sche System ist wie man sieht nur eine
Modification der schon lange bekannten pneumatischen Räu-
mung. —
Aus dem Gesagten folgt, dass es der Methoden genug
gibt, mittelst welcher die Ausleerung der Abtrittsgruben auf
bequeme und wenig oder gar nicht belästigende Weise aus-
geführt werden kann.
Die sauberste und daher am meisten zu empfehlende
Methode wäre unstreitig die atmosphärische Räumung. Al-
lerdings ist sie auch die kostspieligste der dazu nothwendigen
Apparate wegen. Was das Luftleermachen der Wagenkessel
anbelangt, so würde dasselbe keinen besonderen Schwierig-
keiten unterliegen, da die Evacuation auch ohne kostspielige
Pumpapparate bewirkt werden kann. Sehr gut könnte z.B.
die in Turin gebräuchliche Methode zur Anwendung kommen,
ohne dass die Anlegung barometrischer Brunnen resp. über
32 Schuh tiefer Schächte nothwendig wäre, da hiezu z.B. ein-
fach der am linken Innufer gleich neben der Kettenbrücke von
einer mehr als 30 Schuh betragender Höhe fast senkrecht
herabstürzender kleine Bach, dessen Wasser nie oder nur
au al Aes
höchst selten ausgehen soll, und der noch dazu unmittelbar
an der Landstrasse in den Inn sich ergiesst, benützt werden
könnte.
Die in Leipzig übliche Methode, die Wagenkessel mit-
telst Wasserdampf luftleer zu machen, würde sich ebenfalls
ihrer verhältnissmässigen Billigkeit wegen empfehlen. —
Billig und ebenfalls dem Zwecke entsprechend wäre eine
gute Pumpvorrichtung, wie z. B. die Schietinger’sche Pumpe,
die sich an vielen Orten bewährt hat und über deren Preis
und sonstige Details aus der Nachbarstadt München leicht
Auskunft erhalten werden könnte.
Selbstverständlich müssten nach Einführung eines Pump-
apparates die bisher gebräuchlichen Kastenwägen, die wie
ein Jeder sehen und riechen kann, nichts weniger als ihrem
Zwecke entsprechen, abgeschafft, und durch luftdicht ver-
schliessbare Tonnen- oder Kesselwägen ersetzt werden.
Naturw.-med. Verein. 4
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nay [ V dep jeuy
Analyse der Asche von Taxus baccata
Rudolf Kélle.
Zur Bestimmung wurden die Zweige sammt den Nadeln
von Taxus baccata, angeblich auf kalkfreiem Boden gewachsen,
verwendet.
Die quantitative Analyse ergab in 10 Theilen:
Kohlensäure... 2... 24.41
Kieselsaure; cc) op 0.....0:.00528
Schwetelsaunen. sa. ae 2531.92
Bhosphorsäure.. 2.2... 72,. 4413
Chlorau av 220 Sr ee 20.07
IMapwesiar ie. ERDE
Kalle er ar ne an 5) 0) 0 |
isenoxydin.. 0.0... Ve ee e500)
Kal een ea 5008 27.00
Natron. 2210
Thonerde und Mangan . . Spuren
Sämmtliche Zahlen beziehen sich auf die reine Asche.
Sand und unverbrannte Kohlen wurden dabei in Abrechnung
gebracht.
Im chem. Laboratorium der Universität wurden im Jahre
1869/70 ausser den angeführten Analysen und einigen andern
noch in der Ausarbeitung begriffenen analytischen Arbeiten
noch folgende Untersuchungen theils vollendet, theils begonnen :
Ueber isomere Kresole, über Umwandlungen des Phenols
(s. oben), über Bromphenolsulfosäuren, über Derivate der
Ellagsäure, über Pratokatechusäure, über Thymol, über Gum-
milack, über Gummigutt und Isuvitinsäure, über Phenoldi-
sulfosäure.
Vorliufige Notiz
über eine
Modification der Dampfdichte - Bestimmung,
von
Prof. Dr. L. Pfaundler.
Die Anwendung eines dem Regnault’schen Luftthermo-
meters ähnlichen Apparates zur Bestimmung der mit der
Temperatur steigenden Expansivkrafte von Dämpfen mittelst
Messung der zur Erhaltung eines konstanten Volumens nö-
thigen Drucksäulen ist durch zwei Umstände erschwert oder
unausführbar gemacht. Erstens darf bei Dämpfen wegen
eintretender Condensation kein Theil der den Dampfraum mit
dem Manometer verbindenden Räume einer tiefern Tempe-
ratur ausgesetzt werden, als im Dampfraum selbst herrscht,
wodurch dann wieder eine Miterhitzung des Quecksilbers mit
allen ihren erschwerenden Konsequenzen nöthig wird. Zwei-
tens ist diese Methode völlig unanwendbar für solche Sub-
stanzen, welche in Berührung mit dem Quecksilber zersetzt
werden. Hiedurch werden gerade eine Reihe solcher Ver-
bindungen ausgeschlossen, welche Chlor, Brom oder Jod ent-
halten, z. B. Brom- und Jodwasserstoff- Amylen, Phosphor-
chlorid, ferner Schwefelsäuredampf u. s. w. lauter Verbin-
dungen, für welche gerade jetzt wegen ihrer Dissociation ge-
naue Bestimmungen in grösserer Anzahl erwünscht wären.
Indem ich mir die Aufgabe stellte, die erwähnte Methode
Ahle
auch für solche Substanzen anwendbar zu machen, kam mir
der Gedanke, dies auf folgende Weise zu versuchen. Da
nach Regnault’s Bestimmungen die Spannkräfte der Dämpfe
im leeren Raum und im lufthältigen sehr nahe gleich sind,
so ist es gestattet, den Dampf durch eine Luftsäule vom
Quecksilber abzutrennen. Die völlige Vermischung derselben
mit dem Dampfe kann auf folgende Weise auf längere Zeit
genügend verhindert werden. Als Dampfraum dient ein aus
mehreren übereinanderstehenden mit Kapillarröhren verbun-
denen Räumen gebildetes Glasgefäss.. Die zu verdampfende
Substanz kommt in den untersten derselben, dessen Grösse
so berechnet ist, dass der Dampf auch bei der höchsten
Temperatur ihn nicht ganz erfüllt. Trotzdem wird beim Er-
hitzen die ausgetriebene Luft und die Diffusion einen Theil
des Dampfes in den 2, Raum überführen, von diesem gelangt
bereits ein kleinerer Bruchtheil in den dritten Raum, weil
das übertretende Luftquantum ein geringeres sein muss. Es
wird nämlich während des Erhitzens durch künstliches Er-
höhen des Druckes das Gesammtvolum von Dampf und Luft
konstant erhalten, wodurch es unmöglich wird, dass aus dem
obersten Raume eine merkliche Luftmenge entweiche. Es
ist leicht einzusehen, dass auf diese Weise bei genügender
Anzahl getrennter Räume, besonders bei grossem spez. Ge-
wichte des Dampfes und sehr regelmässiger Temperaturstei-
gerung, die Ueberführung merklicher Mengen von Dampf-
theilchen in die Kapillarröhre, welche ausser dem Erhitzungs-
raume zum Manometer führt, auf lange Zeit verhindert wer-
den kann. Bevor endlich durch fortwährende Diffussion die-
selben merklich würden, ist man längst mit einer Beobach-
tungsreihe fertig und überzeugt sich durch Uebereinstimmen
der auf rückwärtigem Wege erhaltenen Resultate mit den
früher gefundenen, von der Richtigkeit der gemachten Annahme.
Dem beschriebenen Apparate können noch einige Uebel-
stände nachgesagt werden. Abgesehen davon, dass die Em-
pfindlichkeit der Methode durch grössere beigegebene Luft-
massen verringert wird, dass durch ungleich rasches Erhitzen im
Daa aM Tia Se DAS Re
NAD as
Innern der Räume Strömungen entstehen können, welche den-
noch vor der Zeit Vermischung herbeiführen würden, ist vor
Allem als wesentlicher Emwand der zu berücksichtigen, dass
im Falle einer Dissociation auf dem Wege der Diffusion die
Bestandtheile in ungleicher Menge in die Räume vertheilt
werden können, wodurch , wie ich seinerzeit gezeigt habe,
die Dissociation beeinflusst und daher auch ein anderer (hö-
herer) Dampfdruck herbeigeführt werden kann, als bei der
herrschenden Temperatur in einem ganz vom Dampfe er-
füllten Raume eintreten würde. Um dies zu vermeiden ver-
suchte ich, statt des zweiten, dritten etc. Raumes eine lange,
irgendwie gewundene Kapillarröhre in Anwendung zu bringen.
Man sieht ein, dass es lange dauern muss, bis die in
dieser Röhre enthaltene Luft bis an ihr Ende durch Diffu-
sion mit Dampftheilen erfüllt ist: Durch einen besonderen
Kunstgriff kann man dies überdies bis nahe zum Zeitpunkte
des Beginns der Beobachtungen, also während man bis nahe
zur Beobachtungstemperatur erhitzt, vollständig verhindern,
indem man zu Anfang noch etwas Luft in der anliegenden
Manometerröhre über dem Quecksilber zurück behält, d. h.
also dessen Niveau unter der Marke einstellt und dann
diese Luft während der Zeit des Erhitzens allmälig durch
entsprechende Druckerhöhung im andern Schenkel in den
Dampfraum zurückpresst.
Ich habe bis jetzt noch keine quantitativen Versuche
nach der beschriebenen Methode angestellt, wohl aber auf
qualitative Weise bei Anwendung von Jod-, Schwefel- und
Bromamylen-Dämpfen mich überzeugt, dass die nach der Er-
hitzung abgeschnittenen Röhrentheile auf hinreichend grosse
Strecken frei von diesen Substanzen geblieben waren. Ueber
die Anwendbarkeit der Methode müssen also erst noch Ver-
suche entscheiden, welche anzustellen ich im Begriffe stehe.
Tabellen
zur Berechnung des Verlaufs der Dissociation
nebst leichtfasslicher Anleitung zum praktischen Gebrauch
derselben.
Von Prof. Dr. L. Pfaundler.
Einleitende Bemerkungen.
Als ich vor drei Jahren die Grundzüge einer Theorie
der Dissociation veröffentlichte 4), enthielt ich mich jeder Hy-
pothese über den quantitativen Verlauf derselben. Inzwischen
sind von Alex. Naumann?) und von Horstmann 3) hierüber
zwei verschiedene Annahmen vorgeschlagen worden.
Die von Naumann herrührende Annahme ist durch die
Gleichung
N V p pr
ausgedrückt, und setzt die absolute Zersetzungs-Temperatur
gleich der mittl. geometr. Proportionale zwischen den abso-
luten Temperaturen der beginnenden (eben merklichen) und
der vollendeten Zersetzung.
Die zweite, hievon wesentlich verschiedene und einge-
hendere Hypothese von Horstmann findet ihren Ausdruck
durch die Gleichung
1) Poggend. Ann. Bd. 131 S. 60.
2) Ann. Ch. Pharm. V. Suppl. Bd. 341, ferner Grundriss der Ther-
mochem. von Naumann $. 60 Anm.
3) Berichte d. deutsch. chem, Ges. Bd. I S. 210.
eS ed ey ice
h(t-To) —h*(t-To)?
Aiden Weal 2e
i = \ d [h(T-To)] ve
worin bedeuten:
A die theoretische Dichte
D die beobachtete Dichte bei der Temperatur T, (Mit-
teltemperatur der Moleküle)
T die variable Temperatur, t die Zersetzungs - Tempe-
ratur, e und 77 die bekannten Zahlen, h eine für die näm-
liche Substanz konstante Grösse.
Aus dieser Gleichung, welche den Zusammenhang zwi-
schen Temperatur und Dampfdichte gibt, leitet sich
unter Berücksichtigung der Relationen
A
DIE
Mr
Ad
py ———_———
1+y
die Gleichung für die Abhängigkeit von Temperatur und
Zersetzungsgrad ab.
x und y bedeuten nämlich die Bruchtheile der noch
unzersetzten und der schon der Zersetzung anheimgefallenen
Moleküle, deren Summe — 1 gesetzt wird.
Die „Procente der Zersetzung“ oder der „Zersetzungs-
grad“ wird also durch 100 y ausgedrückt. Bezeichnet man
ferner mit 0 dieGrösse t—T, d. i. den Temperaturab-
stand der beobachteten Temperatur von der
Zersetzungstemperatur in Graden Cels., so hat man
für den Zersetzungsgrad nach der Hypothese von Horstmann
hd —h?0?
‘ 2e
1 \ d|h(T—To =
na re — 100.49)
>
100y—100
an
wenn zur Abkürzung g (hd) statt des Integrales gesetzt
wird. Aehnlich findet man
100 = 100 = 100 y = 100 Er 8)
Für ein negatives 0 ist also y ebenso gross, wie x für
ein positives 0. Das heisst bei Temperaturen, die gleichweit
unterhalb und oberhalb der Zersetzungstemperatur liegen, ist
die Menge der unzersetzten Moleküle einerseits gleich der
Menge derjenigen, die zersetzt wurden ') andererseits. Diese
Symetrie bildet den Hauptunterschied zwischen den Hypo-
thesen von Horstmann und der von Naumann. Konstruirt
man also eine Curve, deren Abseissen gleich den Tempe-
raturabständen d, deren Ordinaten gleich den Procenten der
Zersetzung also == 100 y sind, so hat dieselbe die in Fig. I.
gezeichnete Form.
Die beiden Hälften sind kongruent. Man benöthigt da-
her nur die Hälfte der ganzen Curve und erspart %/, des
Raumes, wenn man die 2. Hälfte weglässt und statt der
Ordinaten dieser Hälfte die Ergänzungen der Ordinaten der
1. Hälfte zu 100 nimmt. Man braucht also nur die Zeich-
nung zu stürzen, und die Koordinaten an den verkehrt ge-
schriebenen Zifferreihen abzulesen ?).
Unter Figur Il. sind mehrere solcher Curvenhälften mit
Genauigkeit gezeichnet, es sind diejenigen, welche den Werthen
br 20:0152.0:025 0.032 7 bis 0210
entsprechen.
Die nahe Uebereinstimmung der Beobachtungsresultate
insbesondere der von Deville und Troost, dann von R. Müller
1) Man darf der Deutlichkeit wegen nicht sagen „zersetzten“,
denn die Anzahl der „zersetzten“ ist doppelt so gross als die Anzahl
derjenigen, die zersetzt wurden.
2) Man darf die hier besprochene Curve nicht verwechseln mit
der von Horstmann gezeichneten; denn sie stehen zu einander in dem
Verhältnisse einer ursprünglichen Funktion zur abgeleiteten. Die be-
sprochene Curve liefert also durch ihre Ordinaten die Flächenräume der
Curve von Horstmann.
MET:
angestellten Dampfdichtemessungen der Untersalpetersäure
mit den von Horstmann berechneten Dichten lässt erwarten,
dass seine Hypothese das wirkliche Gesetz darstelle, oder
doch diesem sich sehr annähere.
Dadurch entsteht das Bedürfniss einer raschen und be-
quemen Ausmittlung der wichtigen Grössen t und h aus den
Dampfdichten und umgekehrt der Berechnung der Dampf-
dichten für gegebene Werthe von t und h. Bisher war diese
Rechnung, wenn auch von keiner Schwierigkeit, doch unbe-
quem, weil sie die Benützung von grösstentheils nur in astro-
nomischen Werken enthaltenen Tafeln erforderte. Ausserdem
wäre sie sicher der Mehrzahl der Chemiker nicht geläufig,
obwohl gerade für diese das Bedürfniss darnach sich ein-
stellen wird. Ich glaube daher Manchen einen Dienst zu
erweisen, indem ich die ursprünglich nur zum eigenen Ge-
brauche berechneten Tabellen veröffentliche und eine ganz
populäre Anleitung zu ihrer praktischen Verwendung vor-
ausschicke.
Binrüchtung und Gebriauch der Dis
SoCiat?rons tape! lem.
Der Verlauf der Dissociation irgend einer Substanz ist
dann vollständig bestimmt, wenn man die Werthe von t und
h kennt. t bestimmt die mittlere Temperaturhöhe, h
den Temperaturumfang der Zersetzungsperiode. Diese
Werthe sind also zur Charakteristik einer Substanz ebenso
wichtig, wie etwa Schmelzpunkt, Siedepunkt, Dichte, Wärme-
capacität u. s. w. Bei den bis jetzt untersuchten Substanzen
liegt h zwischen 0.010 und 0.021. Je langsamer zersetzlich
ein Körper ist, desto kleiner ist sein h.
Die Tabelle enthält nun in 4 Abtheilungen die Disso-
ciationskurven für folgende 63 Werthe von h.
hb ==) O:010
0.011
0.012
0.013
0.014
0.015
0.016
0.017
0.018
0.019
0.020
0.021
0.022
0.023
0.024
0.025
0.026
0.027
0.028
0.029
0.030
0.031
0.032
0.033
0.034
0.035
0.036
47
hos
0.040
0.045
0.050
0.055
0.060
0.065
0.070
0.075
0.080
0.085
0.090
0.095
0.100
0.100
0.110
0.120
0.130
- 0.140
0.150
0.160
0.170
0.180
0.190
0.200
0.200
0.220
0.240
0.260
0.280
0.300
0.320
0.340
0.360
0.380
0.400
Muse
Diese Werthe von h finden sich in den horizontalen
Aufschriften der Tabelle.
Am linken Vertikalrande derselben sind in ganzen
Graden fortschreitend die Temperaturabstände T—t — 0 an-
geschrieben. T ist irgend eine beobachtete oder angenom-
mene Temperatur, für welche der Dissociationsgrad bestimmt
werden soll, t die Zersetzungstemperatur d. h. die Tempe-
ratur der eben halb vollendeten Zersetzung und zugleich jene,
bei welcher die Dampfdichte — ?, der theoretischen ist.
Ist also z. B. die Zersetzungstemperatur des Phosphor-
chlorids 198° Cels., so entspricht dieser ein d — 198° —
198° — 0°, der Temperatur 100° Cels. entspricht d —
100—198 — —98°, der Temperatur 0° entspricht d =
0--198 = —198°.
Man versetzt also einfach den Nullpunkt der Tempe-
raturscala in den Zersetzungspunkt.
Dort nun, wo die vertikalen und horizontalen Reihen
zusammentreffen, findet sich der Zersetzungsgrad (100 y) in
Procenten bis auf Hundertel angegeben, der diesem h und d
entspricht.
Die 63 Verticalcolumnen bilden also ebensoviele Muster,
nach welchen die Zersetzung (bis zur Mitte) verlaufen kann.
Trifft sie nicht mit diesen Mustern zusammen, so fällt sie
in ihrem ganzen Verlaufe zwischen zwei derselben hinein,
wo man dann durch Interpolation die genauen Werthe be-
rechnen oder schätzen kann.
Der Umfang der Tabelle dürfte für die meisten Fälle
jetzt schon genügen. Streng genommen ist jede Dissociations-
curve unbegrenzt. Nimmt man aber für den merklichen
Beginn der Zersetzung eine solche von 1/4% und ebensoviel
Gehalt an unzersetzter Substanz für das Ende derselben, so
reicht die Tabelle von einem Dissociationsumfang von 400°
der dem h — 0.010 entspricht, bis herab zu einem Umfang
von 10°, dem ein h — 0.400 zugehört !).
1) Ohne Festsetzung einer bestimmten Procentzahl als „merklichen“
Be oa
Wie man sich in jenen Fallen zu behelfen habe, welche
die Grenzen der Tabelle überschreiten, soll unten näher an-
gegeben werden.
Aufgaben und Beispiele
Aufgabe I.
Es sei gegeben:
die theoretische Dampfdichte 4
die beobachtete ie D
Es soll der Zersetzungsgrad p berechnet werden.
Diese Aufgabe geht, wie die folgende, der Beniitzung der
Tabelle voraus.
Man hat
4
p= 10 y = 10 (5 -1))
Beispiel.
Bei 90° Cels. wurde beobachtet die Dampfdichte der
Untersalpetersäure, N,0,, D — 1.72
92
ai rbot fee ea eee
Die theoretische Dichte beträgt 98.94 3.179
es ist also p = 100 — 1) — 84.825 %
Aufgabe IL.
Es sind gegeben:
die theoretische Dampfdichte 4
die beobachteten Dampfdichten D’ und D”
welche bei den Temperaturen T’ und T” herrschen.
Beginn resp. Ende der Dissociation ist es nicht möglich von Dissociations-
umfang zu sprechen, weil sich dieser im Verhältniss zur Procentzahl
ausserordentlich rasch ändert. So z. B. ändert sich bei der Curve h —
0.010 der Umfang um 36 Grade, wenn man statt der merklichen Zer-
setzung = '/,°/, eine solche = 1/,%/, annimmt.
1) Naumann Ann. Chem. Pharm. Suppl. V. 344.
gy Sc ae
Es soll die Zersetzungstemperatur t berechnet werden.
Man berechnet zuerst aus 7, D’ und D” nach Auf-
gabe I. die Werthe p’ und p”.
Liegen diese nicht allzuweit oberhalb und unterhalb von
50%, so kann man die Aenderung von p proportional der
Aenderung der Temperatur setzen und so t durch geradlinige
Interpolation bestimmen.
Es ıst also
50-—p’
t ca „ ’ Cry T) T’
PP 7
oder auch
p’—b0
ee
(T’—T’)
ETI
Aehnlich, aber mit geringerer Genauigkeit, wird man t
erhalten, wenn p’ und p” auf derselben Seite von 50°,
liegen.
Die Berechtigung dieser Rechnungsweise ergibt sich beim
Anblicke der Dissociationscurven von selbst. Man sieht,
wie dieselben schon von 30", an fast geradlinig verlaufen.
Beispiel:
Für Untersalpetersäure wurde gefunden:
Ber, 052.02 072.23
Bei a’ — 60.210 — 2:08
Man berechnet
pe = 42°56
Pi 92,84
pep == 1028 Dur. 820 97 50: — 2:84
woraus sich ergibt
ton
Sind die beobachteten Temperaturen zu weit von der
Zersetzungstemperatur, also p’ und p” zu weit von 50°,
entfernt, insbesondere wenn sie auf derselben Seite liegen,
so befolgt man statt des eben beschriebenen Verfahrens das
spater unter Aufgabe V angefiihrte, welches ganz allgemein
anwendbar ist.
Aufgabe IL.
Es sei gegeben:
die theoretische Dampfdichte 4
die beobachtete Dampfdichte D bei der Temperatur T
die Zersetzungstemperatur t.
Man soll das zugehörige h bestimmen.
Man rechnet zuerst aus D und 4 den Zersetzungsgrad
p nach Aufgabe I. Dann sucht man d — T—t. Es sind
nun 2 Fälle möglich; entweder ist p < 50 wo dann auch
Ö negativ ausfallen muss, oder es ist p >50 und d positiv.
a. p < 50, d ist negativ. Man sucht d in der Rand-
spalte auf und schaut horizontal nach rechts fortschreitend, -
in welcher Vertikalspalte man dem Werthe p begegnet. Das
h welches am Kopfe dieser Vertikalspalte steht, ist die ge-
suchte Zahl. Passt keine Vertikalspalte genau, so interpo-
lirt man, falls man mehr als 3 Decimalen für h haben will.
ß. Es sei p > 50 also d positiv. In diesem Falle
rechnet man 100-—p und verfährt mit dieser Zahl wie frü-
her mit p.
Beispiel zu @.
Für Bromwasserstoff- Amylen fand Wurtz bei 165°.
D5 — 5414.
Die theoretische Dichte 74 ist gleich 5.22, t = 245°.
Man berechnet p — 1.56, d — —80. Geht man mit
letzterer Zahl in die Tabelle ein, so findet man die Zahl
1.58 als nächste zu 1.56 unter einem h — 0.019. Die
Interpolation gäbe 0.01905. Sie ist aber überflüssig, weil
diese Decimalstellen doch unsicher sind. |
Beispiel zu ß.
Für Phosphorchlorid fand Cahours
bei 274° D = 3.84
Ast 12248 198
Man berechnet p — 88.54, 100 — p = 11.46
d = -+ 76. Mit dieser Zahl geht man in die Tabelle und
findet in der Vertikalspalte h = 0.011 den nächsten Werth
an 11.46.
Aufgabe IV.
Es sei bekannt:
die theoretische Dampfdichte 7
die Zersetzungstemperatur t
die Konstante h.
Es soll fiir beliebige Temperaturen z. B. T die Prozent-
zahl p und die Dampfdichte D berechnet werden.
Man berechnet zuerst T—t — 0, wird es negativ, so
findet man unmittelbar in der Vertikalreihe h und der Ho-
rizontalreihe d die gesuchte Procentzahl p.
Ist d positiv, so verfährt man ebenso, zieht dann aber
p von 100 ab. Der Rest ist die gesuchte Procentzahl (Zer-
setzungrad).
Die Dampfdichte folgt dann aus der Gleichung
4
100
Beispiel.
Für Untersalpetersäuredampf sei bekannt 4 = 3.179,
tr 51.900 10.0238.
Es sei für die Temperaturen 40° und 60° der Zer-
setzungsgrad und die Dampfdichte zu berechnen.
40 — 57.9 — — 17.9, man findet aus der Tabelle
durch Interpolation zwischen 29.65 und 30.68 die Zahl 29.75.
60 — 57.9 — + 2.1 man findet auf analoge Weise
4755 was von 100 abgezogen 52.47 gibt. Setzt man diese
Werthe in die Gleichung für D so erhält man
fir, 409° D == 2/45
für 002, Di — 2109:
Aufgabe V.
Hs sei gegeben
die theoretische Dichte 4
die gemessenen Dampfdichten D’ und D”
für die Temperaturen T’ und T’
Sc el
Die beiden Beobachtungen sollen so liegen, dass eine
unmittelbare Rechnung von t nach Aufgabe II. unthunlich
ist. Es soll also zuerst h, dann t und weiter der ganze
Verlauf der Dissociation bestimmt werden.
Man berechnet zuerst die Procente p’ und p” nach Auf-
gabe I. Es sind dann drei Fälle möglich
a, p’ und p” sind beide kleiner als 50
Baupund pw. ss...) orössen als 50
y. p’ ist kleiner, p” grösser als 50.
a. Man sucht p’ und p” und zwar beide in Einer der
Vertikalreihen und berechnet die Differenz der zugehörigen
0. Diese Differenz muss gleich gross werden, wie T’ — T.
Man findet nach einigem Probiren nach rechts und links
leicht jene Vertikalreihe, welche dieser Bedingung am nächsten
genügt). Das am Kopf dieser Reihe stehende h ist das
gesuchte.
Die Zersetzungstemperatur ist dann
ee DY + A
oder
wm. un 3”
ß. Sind p’ und p” grösser als 50, so rechnet man
100 — p’ und 100 — p” und verfährt dann wie vorhin.
Für t hat man dann
a 0”
oder (o’ und d” absolut genommen)
A NU Ms 5
y. Ist p’ kleiner, p” grösser als 50, so rechnet man
100 — p” und sucht nun wieder jene Vertikalspalte in
*) Recht bequem bedient man sich hiebei eines Zirkels, den man
an der Vertikalspalte der d auf die Differenz T'' — T’ öffnet, worauf
man jene Vertikalreihe sucht, in welcher p' und p'' gleichzeitig unter
die beiden Spitzen zu liegen kommen. Dies geht aber nicht beim Falle
y. Es würde auch dort angehen und überhaupt alle diese Regeln sich
vereinfachen, wenn man die 2. Hälfte der Tabelle hinzufügen wollte.
Ihre Berechnung hätte keine Schwierigkeit, da einfach die Ergänzungen
zu 100 zu rechnen wären.
Naturw.-med. Verein. 5
0) he man die unter 3 stehenden Zahlen zu “aan un f N
a man so h gefunden, so ist diesmal a
= T + 0 = T” — 0” (0" absolut an,
Für Untersalpetersäure wurde gefunden:
Ire ARC — anal) De — 289
Eon. 04196) 02 — 22. a
Aus # = 3.179 und D’ und D” ergibt sich zunächst —
— 125.65 | Br a
p’ = 40.04
Diese ae findet man in der Vertikalspalte | Wier
0.010 abstehend um 46°—18°—28°, da nun T” — T=
49.6 — 35.4 — 14.2° ist, so suchen wir weiter gegen
rechts und finden der Reihe nach |
in der Spalte h = 0.011 den Abstand 42 — 16 — 26
i 5 0.012 a 39 — 15 = 24
5 EN 0.013 5 36 — 14 = 22
i hy 0.014 N, 33 — 13 = 20
er 5 0.015 5, st ul)
5 “3 0.016 a 29 — 11 = 18
5 hs 0.017 = 27 — 11 = 16
a i 0.018 s 26 — 10° Hoss
N 1. 0.019 5 24 — 9 = 15
> 220.020 s 23 HZ 14
4 0.021 N 225 — 8&,—13,
| Wir bleiben also bei h — 0.020 stehen, weil der Ab-
stand 14 am besten passt. (Horstmann nimmt h = 0.0209
an, welcheZahl auch mit der Mehrzahl der Messungen besser
passt). |
Für t haben wir sodann:
t = 49.6 9 = 58.6 a
‘ oder
ti 354 1 23 583.4
Elan
Beispiel zu £.
Für Untersalpetersäure wurde gefunden :
Kine LIND Lee A, 3
Bung (100d Di — 1.68,
Man berechnet zuerst
p = 72.17 = 100 — 27.23
pl) == 189.231 =— LOO 7 LOT (.
Man geht nun mit 27.13 und 10.77 in die Tabelle,
und sucht jene Vertikalspalte, wo sie einen Abstand von
100.1 — 79.0 = 21.1° zeigen. Dies ist der Fall in der
Spalte h — 0.021, denn man findet daselbst diesen Abstand
— AIG —4) 21.5, =) 21.2%
Fir t hat man
t = 100.1 — 42.6 — 57.5 oder
t = 79.0 — 1204 = 586.
Beispiel zu y.
Für Untersalpetersäure wurde beobachtet
Kuna — 1496.02 = 224.4 — 2300
Bor 7), — 121.5, .D” — 1,62
Man berechnet:
p’ = 40.04
DL ——..96.28, — 100 — B77.
Man geht mit den Zahlen 40.04 und 3.77 in die Ta-
belle und sucht, da T’ — T’ — 71.9 ist, jene Vertikal-
spalte, für welche die mit 40.04 und 3.77 auf gleicher Höhe
befindlichen d zusammengezählt 71.9 geben. Diese Be-
dingnng erfüllt am nächsten die Vertikalspalte für h — 0.020
den daselbst entsprechen den Procentzahlen 40.04 und 3.77
die Werthe 9 und 63 deren Summe 72 ist. (Die Nach-
barreihe zur Linken gäbe 9 und 67, deren Summe 76 zu
gross, die zur Rechten 8 und 60, deren Summe 68 zu klein
wäre). ;
Schliesslich findet man
Me. 49:6) + 9, == 58.6 oder
ti 1. 0. — 1215 03 539
5%
RN Si Mahl
Aufgabe VI.
Es sei eine ganze Reihe von Dampfdichten bestimmt,
ferner die theoretische Dampfdichte bekannt.
Man soll den wahrscheinlichsten Werth von h berechnen.
Diese Aufgabe in aller Strenge zu lösen wäre von
der grössten Schwierigkeit und würde sich kaum verlohnen.
Es sollen also nur einige Winke hier gegeben werden, wie
sie mit genügender Annäherung gelöst werden kann.
Es könnte scheinen, dass es am vortheilhaftesten sei,
diejenigen Werthe von D mit einander zu kombiniren, welche
am allerweitesten von einander abstehen. Dem ist aber nicht
so. Ein Blick auf die Curven zeigt, dass die Ordinaten
zweier Nachbarcurven nicht dort am verschiedensten sind,
wo sie sich den Enden der Dissociation nähern, sondern in
der Nähe von 25% der Zersetzung weichen die Curven am
weitesten auseinander. Es muss daher auch vortheilhafter
sein, jene Dampfdichte-Bestimmungen zu benützen, welche
solchen Procenten der Zersetzung entsprechen. Kombinirt
man diese aus der untern Hälfte mit jenen aus der obern
(einer Zersetzung nahe um 75%. entsprechenden, so erhält
man nach Aufgabe V. eine Reihe von Bestimmungen des h
aus denen das Mittel einen sehr wahrscheinlichen Werth er-
geben muss, den man dann noch durch Berechnung der üb-
rigen gemessenen Dichten kontrolliren kann.
Aufgabe VIL.
Es sei von einer Substanz weder die theoretische Dichte
(also auch nicht das Molekulargewicht) noch die Zersetzungs-
temperatur bekannt; man kenne nur 3 Dampfdichten D’, D”
und D’’ für die Temperaturen T’, T’ und T’”’, von denen
man nur weiss, dass sie innerhalb der Dissociationsperiode
liegen.
Es soll hieraus. die theoretische Dichte 4, die Zer-
setzungstemperatur t, die Konstante h, also auch das Mole-
kulargewicht und der ganze Dissociationsverlauf berechnet
werden.
EN hee
Diese Aufgabe, welche allerdings von theoretischem In-
teresse, aber vielleicht weniger von praktischer Bedeutung
ist, könnte man zunächst in der Weise durch Probiren zu
lösen versuchen, dass man verschiedene 4 annimmt, die drei
p daraus rechnet und zusieht, ob sich diese in dem durch
die Temperaturen T’, T’ und T’’ verlangten Abständen in
der Tabelle finden.
Diese Methode wäre ausführbar aber sehr mühsam.
Vortheilhafter ist es, auf die ursprüngliche Gleichung
von Horstmann zurückzugehen:
ad ia ©
ee
welche wir folgendermassen umstellen:
3—24
ht — T) =f [=]
Durch Substitution der drei Versuchsresultate erhalt
man also folgende Gleichungen:
|| ae
Z Oh mda!
6m] — N
Indem man subtrahirt und dividirt erhält man
ee I ete,
ee Se
Zur Berechnung von fi, f,, f, hat man jene Tafeln
nöthig, aus denen die unsrige hervorgegangeu ist, welche den
Werth des Eingangs erwähnten Integrals aufzuschlagen ge-
statten N).
Man sucht nun durch systematisches Probiren jenen
1) Die von mir benützte Tafel ist dem Werke: „Die Anwendung
der Wahrscheinlichkeits-Theorie von Prof. Dr. A. Sawitsch, deutsch von
C. G. Lais“ entnommen.
ni! Dr en
Ein Beispiel wird dies erläutern.
Es sei gegeben für Untersalpetersäure:
ie du BOSS D’
Ditty) ==8 12.28
pa i120 5 iy | D"
Diff, — 48.1,
34 TOOL? Bo DD.
ay Shae NZ 4 AMAS: hy:
a | lO Ons
Die unbekannte 4‘ muss en 2.46 und 2 x 1.68
= — 3,36 enthalten sein. Wir versuchen daher zuerst mit
der ganzen Zahl 3 und setzen probeweise =
NA ah
© A = 3 Eat af tect Ad N
dann wird : et _ Hiezu aus
der Tafel.
4 2 a a 2.4390 3 — 2.4390 = 0.5619 | 0.55 8
D 46
„ = sas — 2.6906 3 — 2.6906 = 0.3094 0.28 i
D 2.23 : a
— — 5.5715 3 — 3.5715 = 0.5715 | — 0.56 |
84: 27T ST statt Sloane ui mal ae
Nun setzen wir probeweise 4 — 3.2 en :
| | Hiezu aus der Tafel.
A R 2 ne
a = aa DE 0.37 a
D 246 \ x
get, 62 2 oso ons | nn ‘
Dean 223 i
Ree m) TAA om I — 10809 —— 0.925 ae ei
1.63
1.040): 0.255 — 1.08 statt, 3, 94,
eT Oy
Wir sind also schon sehr nahe am richtigen Werthe
für 4, doch. ist der Werth 3.2 noch etwas zu gross.
Indem wir innerhalb dieser engen Grenzen die Aende-
rung von ee proportional der Aenderung von 7 setzen,
erhalten wir durch Interpolation sogleich emen nähern Werth:
4.08 —3.94—0.14 4.08—3.11—0.97 3.2-—3.0=0.2
0.25 40:90 1x2: 0.14
x = (0.03 ist also die Verbesserung, welche
von 3.2 ‚abzuziehen ist. 3.2 — 0.05 — 3.17 wäre also
der Werth von 4, der richtige Werth ist 3.179.
Nachdem 74 ermittelt, ergibt sich h, t etc. nach dem
Frühern mit Leichtigkeit.
Diese Methode setzt sehr genaue Dichtebestimmungen
voraus, ausserdem ist ihre Genauigkeit natürlich sehr von
einer günstigen Lage der Versuchsergebnisse bedingt.
Aufgabe VII.
Es soll eine ausserhalb die Tabelle fallende Grösse p
berechnet werden.
Handelt es sich um eine Erweiterung der Tabelle nach
oben, so ist diese nur mit Hilfe der ursprünglichen Integral-
tafel ausführbar, und zwar muss dieselbe den Werth von
hd über 2 hinaus enthalten !),
Eine Erweiterung nach rechts oder links, d. h. für noch
srössere oder noch kleinere h hat dagegen keine Schwierigkeit.
Da nämlich p gleich gross bleibt, wenn hd gleich bleibt,
so kann man für ein doppeltes, dreifaches, n faches h das
zu p gehörige d ermitteln, indem man durch 2, 3, n divi-
dirt. Aehnlich erhält man durch Multiplieiren die d zu den
kleinern h.
Beispiel.
Es sei h — 0.009, d = 100, wie gross ist p?
1) Die Tafel im erwähnten Werke von Sawitsch reicht nur bis
[>]
2, man findet aber deren, welche bis 3 reichen.
OR
Da 0.009 nicht mehr in der Tabelle enthalten ist, so
multipliciren wir mit 2 und erhalten 0.018, welches sich
vorfindet, dafür halbiren wir d und finden also in der Ver-
tikalspalte 0.018 bei d — 50 die Zahl p — 10.16.
Diese Aufgaben und Beispiele werden genügen, um den
Gebrauch der Tabelle zu erläutern. Viele dieser Aufgaben
liessen sich noch schneller an der grafischen Konstruktion
lösen, insbesondere bei Aufgabe VI würde es vortheilhaft
sein, gleich alle Werthe von p grafisch aufzutragen, um zu
sehen, welche Curve am besten entspricht. Schneller wür-
den ferner die Bestimmungen auszuführen sein, wenn man un-
mittelbar die Tabelle für die Dichten statt für die Procente
einrichten würde. In diesem Falle müssen aber beide Hälften
gerechnet werden, da sie nicht symetrisch sind.
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I. Jahrgang.
2. Heft. hessen 166
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Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung.
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XII
IX. Sitzung, den 19. Oktober 1870.
Der Vorsitzende theilte der Versammlung mit, dass die
in der letzten Sitzung angenommenen Vorschläge über die
Regelung der Kloakenfrage in Innsbruck der hiesigen Stadt-
vertretung vorgelegt und auch dem Central - Ausschusse der
k. k. landwirthschaftlichen Gesellschaft zur Kenntniss ge-
bracht wurden, sowie dass die 1. Hälfte der Vereins - Zeit-
schrift bereits ausgegeben wurde.
Das Vereinsmitglied Herr Dr. Hausmann in Meran legte
eine wissenschaftliche Mittheilung vor mit dem Ersuchen, dass
dieselbe in die Vereinszeitschrift aufgenommen werde. Wurde
Herrn Prof. Rembold zur Begutachtung übergeben.
Der in der letzten Sitzung zur Aufnahme vorgeschlagene
Herr Docent Dr. V. v. Ebner wurde einstimmig als Ver-
einsmitglied aufgenommen und vom Vorsitzenden der Beitritt
des Herrn A. Schumacher, Chefs der hiesigen Universitäts-
Buchhandlung, angemeldet.
Hierauf hielt Herr Prof. Mauthner einen Vortrag über
die Behandlung des Glaucoms.
Schluss der Sitzung 84, Uhr.
X. Sitzung, den 2. November 1870.
Der in der letzten Sitzung zum Beitritt angemeldete
Herr A. Schumacher wurde mit Stimmeneinhelligkeit als
Mitglied aufgenommen. — Die vom Herrn Dr. Hausmann
eingesendete Mittheilung wurde zum Abdruck in der Vereins-
schrift bestimmt.
Herr Dr. Oellacher trägt vor über die organischen
Veränderungen, welche der Keim des „unbefruchteten“ Hüh-
nereies durchmacht, sowohl während er den Eileiter passirt
bis zum Legen, als auch während Bebrütungsversuchen. —
(Vorläufige Mittheilung.)
Die Frage, ob der Keim des Hühnereies, wenn er dem
Einflusse der Befruchtung entzogen bleibt, nachdem das Ei
Naturw.-med. Verein. 6
XIV
den Follikel verlassen hat, überhaupt noch nachweisbare or-
ganische Veränderungen durchmacht, oder ob er nicht viel-
mehr sofort, oder doch nach einer gewissen Zeit, direkt dem
destructiven Prozesse, der Desorganisation anheimfällt, löste
der Vortragende am frischgelegten unbefruchteten Hühnereie.
Ein Stück der äussern erhärteten Schichte der Dotter-
kugel, dem gelben Flecke entsprechend, bietet bei schwacher
Vergrösserung folgendes Bild. Der gelbe Fleck zeigt an
seiner Oberfläche: 1. eine äussere, homogene, 2. eine innere,
gefleckte ringförmige Zone, 3. einen centralen rundlichen und
wieder homogenen Fleck.
Auf Durchschnitten senkrecht zur Oberfläche der Cica-
tricula sieht man, dass die äussere Zone einem Stücke
der weissen Dotterrinde, entspricht, wo diese in den kegel-
förmigen centralen Dotterfortsatz übergeht. Die Elemente
des weissen Dotters sind hier stärker angehäuft als in den
übrigen Parthien der Rinde.
Die innereZone entspricht einer ungleichmässig breiten
Schichte feinkörniger Substanz, die nach aussen und gegen
das Eicentrum hin continuirlich in die grobkörnige Masse des
weissen Dotters übergeht. Die Flecke an der Oberfläche in
dieser Zone rühren von Vacuolen her, die allenthalben in
derselben liegen.
Der centrale Fleck der Cicatricula endlich entspricht —
einer biconvexen Masse von feingranulirten Formelementen,
die häufig einen oder zwei zellkernartige Inhaltskörper enthalten
und gegenseitig durch Druck abgeplattet erscheinen. Unter-
halb dieser Masse von Formelementen zieht sich, zwischen
dieser und der Masse des weissen Dotters, die feingranulirte
vactiolenhältige Substanz der inneren Zone durch. Diese
letztere trägt auch hier, aber bloss kleinere, Vacuolen. —
Frisch untersucht liessen die Formelemente, aus der Mitte
des gelben Flecks, auf dem gewöhnlichen und dem erwärm-
baren Objectträger Contractionsphänomene beobachten, sowie
der Vortragende einmal auch unzweideutig zwei Theilungsor-
gänge unter den bekannten Erscheinungen, wie sie andere
XV
Zellen so z. B. bei der Furchung zeigen, durch das Mikroskop
verfolgen konnte.
Durch diese Erscheinungen wird die Zellennatur der in
Rede stehenden Formelemente unbestreitbar nachgewiesen und
sind dieselben daher als Zellen und ihre kernartigen Inhaltskörper
als Zellkerne zu deuten. Sowohl die Aehnlichkeit dieser
Zellen mit den Furchungselementen eines befruchteten Eileiter-
eies, als auch der Kerne der ersteren mit den Kernen der
letzteren ist eine auffallende. Die Zellen entsprechen auch
ihrer Lage nach den Furchungselementen des befruchteten
Keimes. Diese wie jene liegen im Eie an der Stelle, die
früher der ungetheilte Keim einnahm; und kann nach alle-
dem für den Ursprung der Formelemente im unbefruchteten
Eie nichts anderes angenommen werden, als dass sie, wie
jene, Theilprodukte des Keimes sind. Die eben geschilderten
Formelemente sind nach dem Gesagten als das Produkt eines
Vorganges aufzufassen, der so weit dem der Furchung analog
ist, als hier wie dort der Keim in Stücke zerfällt, die den
Werth von Zellen haben.
Die Analogie zwischen dem Zerklüftungs - Prozesse des
befruchteten und des nnbefruchteten Keimes wird aber um
so augenfälliger, als auch der Modus der Zellengenese bei
beiden Vorgängen ein überraschend ähnlicher ist.
Soweit dem Vortragenden bisher aus seinen Untersu-
chungen bekannt, sind die Flächenbilder, die der unbefruch-
tete Keim des Eileitereies darbietet, den von Coste beschrie-
benen und abgebildeten am befruchteten Eileitereie durchaus
ähnlich. Ebenso wie Coste konnte auch der Vortragende beispiels-
weise ein Stadium der Dotterzerklüftung auffinden, in dem die Mitte
des gelben Fleckes eine Mosaique polygonaler, durch Furchen
getheilter Felder einnimmt, von denen in radiärer Richtung
einzelne längere oder kürzere Furchen gegen die Peripherie der Ci-
eatricula verlaufen. Die Felder des Flächenbildes sind, wie
senkrechte Durchschnitte beweisen, der Ausdruck ringsum
abgegränzter Formelemente, ganz ähnlich denen aus einem
analogen Furchungsstadium des befruchteten Eies.
6*
XVI
Demnach darf es wohl als statthaft erscheinen auch im
unbefruchteten Hühnerei von Furchung zu reden, in einem
wenigstens ganz ähnlichen Sinne wie wir es vom befruchteten
Eie gewohnt sind.
Der Process der ,Furchung“ scheint demnach ein in
der Organisation des Keimes allein schon begriindeter Vor-
gang zu sein; der Hühnerkeim wenigstens hat in sich selbst
auch ohne die Befruchtung die Fähigkeit, sich ähnlich dem
befruchteten Keime zu „furchen“, allgemein gesprochen: neue
Elementarorganismen aus sich zu erzeugen, ein Vorgang der
bis lang nur in der Parthenogenese ein Analogon hatte.
Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass zwischen der blossen
Furchung eines unbefruchteten Keimes und der Parthogenese,
zwischen der „aspermatischen* Zeugung eines neuen, dem
Mutterthiere gleichen Tochterthieres und einer ähnlichen spon-
tanen Zeugung eines Zellenhaufens, der, so weit die Beob-
achtungen bisher ergaben, nicht einmal in eine Bildung von
Organen eingeht, wie wir sie schon im Beginne der Bebrü-
tung, ja schon am Ende der intrametrolen Periode im be-
fruchteten Eie zu finden gewohnt sind — es ist nicht zu
läugnen, dass zwischen diesen beiden Vorgängen eine grosse
Kluft liegt; so dass ein direkter Vergleich des einen Vor-
ganges mit dem anderen von vorneherein vielleicht als zu
kühn erscheinen möchte. Allein es liegen aus der jüngsten
Zeit eben ähnliche und wie es scheint unverfängliche Beob-
achtungen vor, welche den Fall einer weiteren Entwicklungs-
fähigkeit unbefruchteter Eier einerseits nicht mehr als ver-
einzelntes Faktum erscheinen lassen, andrerseits aber mit,
der vorliegenden Beobachtung im Hühnereie als Glieder einer
aufsteigenden Reihe physiologischer Erscheinungen aufgefasst
werden können, welche von der durch Pflüger beobachteten
einfachen Theilung von Primordialeiern der Katze bis zur voll-
kommenen Parthogenese leiten.
Hensen veröffentlichte (Centralblatt 1869 Nr. 26)
einen Fall von Weiterentwicklung, in einer abgeschniirten
Tube zuriickgehaltener, unbefruchteter Kanincheneier zu mehr-
XVII
kernigen Protoplasmamassen, sowie zu verzweigten kernhal-
tigen Fasern.
An diesen Fall würde sich die Furchung im unbefruch-
teten Hühnereie anschliessen.
Ein drittes Glied in der angedeuteten Reihe scheint dem
Vortragenden die von Kupffer (Max Schultze’s Archiv für
mikroskopische Anatomie 1870, 3. Heft) beobachtete Er-
scheinung zu sein, dass regelrecht aus dem Protoplasma des
unbefruchteten Eierstockseies der Ascidia canina
unter der vom Follikelepithel abgeschiedenen Zona pellucida
sich ein Epithel bildet, das nach der Befruchtung des Eies
in die Organisation des Embryo einbezogen wird und die
äussere Bekleidung des zukünftigen Thieres, die sogenannte
Testaschichte liefert. — Als letztes Glied dieser Reihe
von Vorgängen von Zellproduktion aus dem unbefruchteten
Eie erscheint endlich das, was man unter Parthenogenese
bisher allein verstand, nämlich den Fall, in welchem aus den
ohne Befruchtung im Eie erzeugten Zellen ein dem Mutter-
thiere gleiches neues Thier selbst entsteht.
Der Vortragende glaubt die ganze Reihe dieser Erschei-
nungen unter dem Namen der „parthenogenetischen* zusam-
menfassen zu dürfen.
Bebrütungsversuche ergaben, zunächst was die Bildung
einer als Anlage von Organen deutbaren Veränderung des
Keimes anlangt, ein vollkommen negatives Resultat.
Was die an unbefruchteten Eiern zu beobachtenden Ver-
änderungen anlangt so lassen sich darüber nur im Allge-
meinen Aussagen machen. Vor Allem ist im Auge zu be-
halten, dass die unbefruchteten Eier wie die befruchteten
nicht immer in demselben Stadium der Entwicklung des Kei-
mes gelegt werden; die Unterschiede sind allerdings meist
nur geringe, allein der Vortragende glaubt hervorheben zu
müssen, dass er einmal auch ein frischgelegtes unbefruch-
XVII
tetes Ei ohne Zeichen von Formelementen oder Furchen be-
obachtete. —
Eine kurze Bebrütung von 8 Stunden liess eine Ver-
kleinerung und Vermehrung der Zellen der obersten Schichten
wahrnehmen; die der untersten waren, gegeniiber denen am
frischgelegten Eie, bedeutend vergrössert und mit gröberen
Dotterelementen ganz erfüllt. Am auffälligsten war die Ver-
mehrung der Randzellen und erschienen die oberen Schichten
des Keimes nach beiden Seiten verlängert, wie ausgezogen.
Nach 2—5 Tagen der Bebrütung machte sich neben
fortwährender Zellenvermehrung (immer besonders am Rande)
— eine zunehmende Auflösung von Zellen bemerkbar. Die
Zellen wurden undeutlich und hie und da waren bloss mehr
einzelne Kerne in einer formlosen granulirten Masse vorhan-
den. Die neugebildeten Zellen lagen zerstreut wie in einer
körnigen Grundsubstanz besonders in der Peripherie der Ci-
catricula und boten meist das Aussehen derer, die man im
befruchteten Eie auf dem Boden der Keimhöhle findet. Allmäh-
lig wurde die Gränze zwischen weissem Dotter und Keim in
der Mitte undeutlich, während sie dort wo die grösste Zell-
vermehrung stattfand, am Rande, noch scharf und deutlich
ausgeprägt war.
Endlich am 5. Tage nahm eine feinkrümmlige, wie ge-
ronnene Masse die Stelle des Keimes ein, die fast gänzlich
der Zellen baar erschien. Solche fanden sich nur noch ver-
einzelnt an der Peripherie des gelben Fleckes und im cen-
tralen weissen Dotterfortsatze. —
Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass die Le-
bensfähigkeit des gefurchten unbefruchteten Keimes!, bezie-
hungsweise seiner einzelnen Elemente nach dem Legen bei
Bebriitungsversuchen noch eine Zeit lang dauert und erst nach
und nach die Auflösung von Zellen über die Neubildung die
Ueberhand gewinnt. —
Ein weiteres Ausdehnen der Bebrütungsversuche schien
demnach ohne besonderes Interesse und glaubte der Vor-
ratgende daher ohne der Vollständidkeit seiner Untersuchungen
+ ae
Ye
J
XIX
einen wesentlichen Abbruch zu thun, dieselben unterlassen
zu können.
Eine ausführlichere Schilderung dieser Beobachtungen mit
Beigabe von Abbildungen behält sich der Vortragende nach
Vervollkommnung seiner Untersuchungen vor.
XI. Sitzung, den 17. November 1870.
Herr Prof.Heine hält einen Vortragüber dieLeistun-
gen desSanitätswesensim gegenwärtigen deutsch-
französischen Kriege nach eigenen Erfahrungen.
Wir heben die Grundzüge desselben in kurzer Schil-
derung hervor:
Redner stellt sich die Aufgabe, die amtliche und mili-
tärische Hilfeleistung sowohl wie die Privatbeihilfe für Ver-
wundete und Kranke im Lager der beiden kriegführenden
Nationen während des gegenwärtigen Krieges, so wie er sie
während eines zweimonatlichen Aufenthaltes auf dem Kriegs-
schauplatze kennen lernte, in Kürze zu skizziren. Er schil-
dert vorzugsweise das Sanitätswesen der deutschen Armeen
und die freiwillige Hilfe in Deutschland, ohne jedoch die Be-
theiligung der übrigen europäischen Nationen an dem inter-
nationalen Friedenswerke und die Leistungen Frankreichs auf
diesem Gebiete ganz zu übergehen. Redner spricht mit Be-
zug auf letztere die Ansicht aus, dass nach seiner Beobach-
tung die Grundsätze der Genfer Convention in Frankreich
noch nicht in dem Maase in Fleisch und Blut des Volkes
übergegangen sind wie in Deutschland.
Die französische Regierung hat zur praktischen Durch-
führung derselben so gut wie nichts gethan, und den inter-
nationalen Hilfsmannschaften, die auf ihrer Seite Hilfe zu _
leisten kamen, geradezu Schwierigkeiten in den Weg gelegt.
Dem französischen Soldaten fehlt das Verständniss für
die aus der Convention für ihn entspringenden Wohlthaten;
ihm war nicht einmal die Achtung vor dem rothen Kreuz
zum Gesetz gemacht und desshalb schonte er vielfach die
XX
Träger desselben nicht. Selbst das aus den gebildeten Krei-
sen hervorgehende Vereinswesen zu pecuniärer und materieller
Unterstützung der Verwundeten zeigte sich in einem geradezu
noch embryonalen Entwicklungs-Stadium.
Ganz anders war die Auffassung und Lösung dieser
grossen Aufgabe der Humanität in Deutschland.
Wir müssen hier der Uebersicht halber drei Phasen
unterscheiden: |
1. Die Thätigkeit der Sanitätsvereine in der Heimat.
2. Die amtliche und freiwillige Hilfeleistung auf dem
Kriegsschauplatze.
3. Diejenige auf dem Schlachtfelde.
Die Fürsorge für das Wohl der Verwundeten und Kran-
ken in den heimatlichen Vereinen erstreckte sich in der um-
fassendsten Weise auf alle Bedürfnisse derselben. Die Or-
ganisation und Gliederung der Vereine, die Unterordnung
derselben unter gewisse Central-Vereine, ihre Cooperation im
Norden und Süden Deutschlands muss mit Bewunderung er-
füllen. Die Dienste der Männer und der Frauen, der Kna-
ben wie der Mädchen, wurden für die Zwecke der Vereine
nutzbar gemacht. Zu speziellen Leistungen wurden spezielle
Vereine in den Rahmen des grassen und ganzen Vereins-
wesens eingefügt. Den Frauen fiel naturgemäss die Haupt-
thätigkeit zu. Sie verfertigten die Verbandgegenstände und
sonstigen Lazareth-Requisiten, das Leib- und Bettweisszeug,
sonderten das Gefertigte und Zugesandte, registrirten und
legten die Vorräthe an. Sie widmeten sich aber auch den
Reservespitälern und den Sanitätsstationen auf den Bahuhöfen,
führten hier die Oekonomie und pflegten die Verwundeten
in Verbindung mit den barmherzigen Schwestern und Dia-
konissinen.
Die Männer übernahmen die Spedition der Verbandge-
genstände, die Buchführung, die Obhut über das grosse De-
pöt der Erfrischungsgegenstände, die Heilapparate und In-
strumente. Sie vermittelten die Speisung passirender Ver-
wundeter auf den Bahnhöfen, übernahmen Aus- und Ein-
XXI
ladung derselben, ja selbst den Transport von den Bahnhöfen
nach den Spitälern der betreffenden Städte in der Funktion
einfacher Kranken-Träger.
Die Knaben dienten als Führer, Boten und Begleitungs-
mannschaft. Hoch und nieder, arm und reich nahm in glei-
cher Weise Antheil an dem grossartigen Werke der Barm-
herzigkeit, das gerade im Schoosse der Heimat seine herr-
lichsten Blüten trieb.
Schwieriger schon gestaltete sich die Aufgabe auf dem
Kriegsschauplatze selbst. Schon die Verbindung zwi-
schen den heimatlichen Depöts mit dem Orte des Bedürf-
nisses, die Abführung der zu Hause aufgestappelten Vor-
räthe nach den Lazarethen des Kriegsschauplatzes hatte mit
Hindernissen aller Art zu kämpfen. Hiefür, aber noch viel
mehr zur Unterstützung der viel zu schwachen militärischen
Sanitäts - Compagnien in ihrem mühevollen Berufe auf dem
Schlachtfelde, wie zum Dienste in den Feldlazarethen, an den
Sanitäts-Etappen-Stationen, zur Begleitung der Verwundeten-
Züge und zum Depöt- Dienste bedurfte es freiwilliger
Hilfsmannschaften, welche in diesem Feldzuge zum
erstenmale in grossartigstem Maasstabe zur Verwendung ka-
men. Diese rekrutirten sich aus Studenten, Turnern, Schützen,
Technikern, Forstleuten, Beamten, ja selbst Gymnasisten.
Junge Leute von 16—17 Jahren und bejahrte Männer im Alter
von 40-50 Jahren standen in ihren Reihen. Sie vereinigten
sich zu Kolonnen unter bestimmten Namen, mit einfacher
Adjustirung und bestimmten Abzeichen, zum Theil unter
selbst gewählten Führern, in der Mehrzahl aber unter der
Führung von Johanniter- oder Malteser-Rittern, welche auch
in diesem Feldzuge wieder an der Spitze der freiwilligen
Hilfeleistung standen. Man hat diesen Ordens-Rittern in
Hinblick auf die Art der Ausführung ihres hohen Berufes,
schwere Vorwürfe gemacht. Hochmuth, mangelndes Ver-
ständniss für die Krankenpflege, Rücksicht für die eigene
Bequemlichkeit und Liebe zum Wohlleben, inmitten der Ent-
behrungen der kämpfenden Armeen, wurde ihnen zur Last
XXII
gelegt. Solche Beschuldigungen mögen Einzelne treffen, gegen
die ganze Genossenschaft geschleudert sind sie eine grosse
Ungerechtigkeit. Der Orden als Ganzes hat in Bezug auf
Organisation der freiwilligen Krankenpflege im Rücken der
drei Armeen, von welchen jede ihren besonderen freiwilligen
Sanitätsdienst besass, alles geleistet, was in einem über Nacht
hereingebrochenen Kriege von solchen Dimensionen geleistet
werden konnte. Durch ihre Beziehungen zu den leitenden
Kreisen waren sie die geeignetsten Vertrauenspersonen, welche
die so wichtige Vermittlung zwischen der freiwilligen Kran-
kenpflege und den militärischen Behörden durchführen konn-
ten. Die Einrichtung und ökonomische Verwaltung der La-
zarethe, die Anlegung und Erneuerung der Depöts, die Für-
sorge für die Verwundeten auf dem Transport, alle diese
Obliegenheiten wurden überall, wo sie in ihre Hände gelegt
waren, mit bestem Erfolge und grösster Schonung für die
feindliche Bevölkerung von ihnen erfüllt. Eine andere Frage
ist, ob einer einzelnen Körperschaft im Staate, auch für zu-
künftige Kriege eine solche privilegirte Stellung eingeräumt
werden soll. Hierauf sieht Redner sich genöthigt, eine ver-
neinende Antwort zu ertheilen, weil in der Ausübung eines
so grossen Werkes der Humanität Standesunterschiede nicht
gemacht werden sollten und die freiwillige Krankenpflege im
Felde nach seinen Erfahrungen in eine noch viel nähere Be-
ziehung zu den militärischen Behörden wie bisher gebracht,
strammer, militärischer organisirt, besser disciplinirt, und
unter eigene verantwortliche Sanitatsoffiziere mit militärischer
Autorität, unter welchen immerhin jene Ritter ihre Verwen-
dung finden mögen, gestellt werden sollten.
Es wird die Berechtigung dieser Forderung begründet
durch einzelne Missstände im Gefolge der Freiwilligenhilfe,
welche bei aller Anerkennung der aufopfernden Leistungen
der freiwilligen Sanitätsmannschaften nicht ganz verschwiegen
werden können. Einmal häuften sich dieselben an verschie-
denen Hauptetappenplätzen (wie z. B. inNancy) in zu grosser
Zahl an und belästigten dadurch die Armee und die feind-
ie Pee
| is
liche Einwohnerschaft, welche zur Verpflegung der nicht im-
mer rücksichtsvoll verfahrenden Mannschaften herangezogen,
einen besondern Hass gegen dieselben und eine geringe Ach-
tung vor der Neutralitätsbinde an den Tag legten. Anderer-
seits befanden sich blutjunge Biirschchen unter den freiwil-
ligen Kolonnen, welche den Strapatzen des Feldzuges in kei-
ner Weise gewachsen waren und daher allenthalben zur
Last fielen. Endlich schlichen sich unter dem Schutze des
rothen Kreuzes einzelne suspecte Persönlichkeiten ein; der
Feind bediente sich desselben zur Spionage wie zur Flucht,
so dass eine strenge Ueberwachung von Seite der militärischen
Behörden nothwendig wurde, die bis zur Zurücksendung ein-
zelner momentan unbeschäftigten Sanitätsabtheilungen führte.
Nicht selten zeigte sich auch unter den Freiwilligen Unlust
zu gewissen Obliegenheiten. Es kam vor, dass übertragene
Posten beliebig aufgegeben, und der Rückweg nach Hause
von Missvergnügten nach Gutdünken angetreten wurde. Dem
muss in der Zukunft gesteuert werden. Die freiwilligen Sa-
nitätsmannschaften müssen für Kriegsdauer verpflichtet, mit
militärischen Abzeichen versehen, einer bestimmten Disciplin
unterworfen, in grösserer Zahl auf dem Schlachtfelde ver-
wendet und nach militärischen Gesetzen ausrangirt und er-
gänzt werden können.
Was den Verwundeten - Transport betrifft, so ist der
Transport vom Schlachtfelde zum Verbandplatze und ersten
Aufnahmslazarethe zu unterscheiden von dem Transport nach
den weiter rückwärts gelegenen Reservlazarethen und den
Lazarethen in der Heimat. Im Allgemeinen ist zu bemerken,
dass der weitere unmittelbare Transport in die Heimat in
viel ausgedehnterem Massstabe zur Anwendung kam, als die
Zerstreuung in die nächst rückwärts gelegenen stehenden La-
zarethe auf feindlichem Boden. Der Grund davon war ein-
mal die zu Anfang strengstens durchgeführte Sonderung der
Krankenpflege der drei aufgestellten Armeen mit ihren be-
sonderen Etappenstrassen und Evakuationslinien, der Wunsch
der Verwundeten, die Heimat wieder zu-sehen, gepaart mit
XXIV
der Furcht vor der feindseligen Bevölkerung, der Drang der
heimatlichen Lazareth - Comité’s, und Lazareth - Vorstände,
viele und besonders schwer Verwundete zu beherbergen, end-
lich vielleicht auch zu einem gewissen Bruchtheil der Man-
gel eines gut organisirten Evakuationsplanes und der durch-
greifenden Handhabung desselben durch eine genügende Zahl
mit der Leitung derselben betrauten ambulirenden Militär-
Aerzte. So kam es, dass eine Unzahl Schwerverwundeter
an trefflich eingerichteten stehenden Lazarethen vorbei, ohne
genügende Transportverbände, unter unsäglichen Beschwerden
nach der Heimat gebracht wurden, um dort in Folge des
ausgestandenen Transportes nur eben noch ihren letzten Athem-
zug auszuhauchen.
Der Vortragende suchte als Chef eines grossen Kriegs-
lazarethes von 300 Betten in Nancy, in welchem er an der
Spitze von 12 freiwilligen Aerzten stand, diesem Missgriff,
so weit er in seine Sphäre reichte, die Spitze abzubrechen
und organisirte von seinem Lazarethe aus einen regelmäs-
sigen ärztlichen Revisionsdienst der durch Nancy passirenden
Verwundeten-Züge, aus welchen er prinzipiell die von dem
Transporte übermässig Angegriffenen, vor Allen Verwundete
mit penetrirenden Brust-, Bauch- und Kopfschüssen, Schuss-
fracturen des Ober und Unterschenkels, Hüft-, Knie- und
Schultergelenks-Schüssen ohne provisorische Verbände, aus-
laden und entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung in Nancy
zurückhalten liess, wodurch mancher einer verderblichen Com-
plication seiner Verletzung entging.
Die Art des Transportes der Verwundeten in den Ei-
senbahnwaggons war eine sehr verschiedene, von der ein-
fachen Lagerung auf dem mit Stroh bedeckten Boden der
Güterwägen oder der Lagerung auf Strohsäcken, Matratzen
und Bahren, die in dieselben gelegt wurden, bis zu der Un-
terbringung in einem nach amerikanischem Systeme zum Ver-
wundeten- und Kranken - Transport eingerichteten Personen-
Wagen, der ein Glied eines mit Küchenwagen, Proviant und
Verbandmaterial für eine Reihe von Tagen, mit Aerzten und
7
XXV
Wartpersonal ausgeriisteten Sanitätszugs repräsentirte. Die
best ausgestatteten Sanitätszüge dieser Art waren die wür-
tembergischen, welche in jedem der heizbaren amerikanischen
Waggons 16, beiderseits in 2 Reihen an Kautschukringen
aufgehängte Bahren enthielten. Ein Uebelstand derselben war
nur, dass die Bahre ein gar zu schmales und nur auf einer
Seite zugängiges Krankenlager darstellte, auf welchem nur
die nothdürftige Erneuerung der Verbände möglich und so-
mit auch nur ein kürzerer Transport ausführbar war. Redner
hat bei der Evakuation seines durch 21, Monate geleiteten
Lazarethes in 24 Stunden einen Sanitätszug für 70 Verwun-
dete, 6 Aerzte, 6 Krankenpfleger und eine der Küche vorste-
hende Dame aus Güterwägen improvisirt, in welchem er,
nach gründlicher Desinfection, eiserne Bettstellen mitsammt
den Betten auf Fusspolster stellen und mit Gurten fixiren
liess. Jeder Wagen war ein kleiner Krankensaal von 4-—9
Betten mit allem nöthigen Material, und einer eigenen barm-
herzigen Schwester versehen; auf seiner aussen angebrachten
Tafel standen die Namen der verwundeten Insassen, ihre
Verletzung, sowie der Name des Abtheilungsarztes. Daneben
wehte die weise Fahne mit rothem Kreuz. Der Zug enthielt
einen eigenen Offizierswagen und einen Isolirwagen für einen
Hospitalbrandkranken. Der Küchenwagen war zugleich Re-
staurations- und Absteigequartier des begleitenden Personals.
Der Krankendienst und die Verpflegung erfolgten ganz wie
im Lazarethe. Es fanden regelmässige Visiten der Aerzte
statt, die Verbände wurden kunstgerecht erneuert, die Ver-
wundeten mit warmer Küche versehen. Der Zug, der 2 Tage
von Nancy nach Karlsruhe unterwegs war, verdiente in Wahr-
heit den Namen eines fahrenden Eisenbahnspitales.
Ueber die Installirung und Einrichtung der Lazarethe
des Kriegsschauplatzes ist nur wenig Bemerkenswerthes her-
vorzuheben. Je näher sie dem Orte der Schlacht gelegen
waren, desto primitiver waren sie und desto weniger war die
Wahl zweckmässiger Lokalitäten möglich.
Französischerseits in vorsorglicher Weise angelegte La-
XXVI
zarethe fanden sich nur vereinzelt vor. Meist mussten die
Lazarethe erst deutscherseits durch Organe der freiwilligen
Krankenpflege in Schlössern, Schulen, Fabriksgebäuden ete.
angelegt und durch Vermittlung der Johanniter und anderer
Delegirter, aus den vorgeschobenen Depöts mit dem nöthigen
Material ausgestattet werden.
Je weiter von den Eisenbahnlinien entfernt, desto un-
vollkommener war diess möglich, und während schon im er-
sten Abschnitt des Krieges in Nancy fast luxuriös eingerich-
tete Lazarethe existirten, waren in den Dörfern in der Um-
gebung von Metz die vielen in Bauernhäusern, Rathhäusern
Schulen und Kirchen etablirten Lazarethe viele Wochen hin-
durch auf Strohsäcke, die man auf die Erde legte, beschränkt.
Redner war durch die Hilfe der Johanniter, die Leistungen
der Sanitätsvereine und andere mildthätige Spenden in den
Stand gesetzt, sein in einer grossen Tabaksfabrik einge-
richtetes Lazareth auf eine höhere Stufe des Comforts zu
bringen als es in Civil-Spitälern im Frieden der Fall zu sein
pflest. Aborte wurden nach dem Tonnensystem improvisirt ;
die Ventilation der Krankenräume war eine ganz ausserge-
wöhnlich gute. An vielen Orten der Heimat und des Kriegs-
schauplatzes bis in die nächste Nähe der Schlachtfelder wur-
den Barraken errichtet, deren Construktion gleichfalls mit
Zunahme der Entfernung abnehmende Vollkommenheit zeigte.
Sollen dieselben da, wo sie am meisten nöthig sind, unmit-
telbar nach einer Schlacht und in der Nähe des Schlacht-
feldes von Nutzen sein, so müssen sie leicht zerlegbar kon-
struirt und in grösserer Zahl zur rechtzeitigen Spedition an
den Ort des Bedarfes bereit gehalten werden.
Indem der Vortragende schliesslich der Leistungen des
Sanitätswesens, u. zw. des hier in erster Linie stehenden
militärischen auf dem Schlachfelde, des Transportes aus der
Gefechtslinie auf den Verbandplatz, der ärztlichen Thätigkeit
auf diesem und in den Aufnahmslazarethen nach der Schlacht
gedenkt, bekennt er nach zuverlässigen Berichten, auf diesem
Gebiete keine von den traurigen Erfahrungen früherer
XXVII
Feldzüge wesentlich abweichende Schilderungen machen zu
können. Unzureichende Hilfskräfte, langsame Bewältigung
der gestellten Aufgabe und in Folge davon nicht wieder gut
zu machende Versäumnisse, schädliche Anhäufung der Ver-
wundeten, mangelhafte Unterkunft und wenigstens zu Anfang
dürftige Verpflegung derselben, bilden hier die stehenden
Faktoren.
Nach der Ueberzeugung des Vortragenden, wurde trotz-
dem auch hier mit Rücksicht auf die Grösse der Anforderun-
gen das Möglichste auf deutscher Seite geleistet. Die Fran-
zosen liessen vielfach ihre Verwundeten ganz im Stiche, oder
vermochten sie, mit dem nöthigsten Material sehr mangelhaft
versehen, nur dem grössten Elende zu überantworten.
Es erübrigt zum Schlusse, einen Blick auf den Wir-
kungskreis zu werfen, welcher den freiwilligen Aerzten
in diesem Feldzuge eröffnet war.
Es soll hier nicht die Rede sein von der freiwilligen
Uebernahme der Behandlung verwundeter und kranker, nach
der Heimat zurückgesandter Soldaten in den dortigen Laza-
rethen von Seite der ortsansässigen Civil-Aerzte. Hier gab
es keine Ausnahme in dem Wetteifer Aller, ihre Dienste
nutzbar zu machen und desshalb auch keinen Mangel an ärzt-
licher Hilfe. Redner spricht von den in’s Feld gerückten
freiwilligen Civilärzten, welche sich die Aufgabe stellten, die
ungenügenden: Kräfte der Militärärzte zu unterstützen und
ihren gefahrvollen Beruf zu theilen, ohne dafür immer die
freundlichste Aufnahme bei ihren militärischen Collegen zu
finden.
So wenig hier geläugnet werden kann, dass das Be-
dürfniss nach solchen freiwilligen Hilfsärzten in den entschei-
denden Momenten sowohl als Behufs des Ersatzes der weiter
vorrückenden Feldlazarethe in Kriegen von grossen Dimen-
sionen ein ganz ausserordentliches ist, so gewiss ist, dass
die freiwilligen Aerzte da, wo sie am dringendsten nöthig
gewesen, bisher auch stets am spärlichsten vertreten waren.
Das ist nicht ihre Schuld, sondern wiederum die Schuld der
XX VIII
mangelnden Organisation. Solange eine solche fehlt, vermag
der einzelne auf eigene Faust sich vorwärts dirigirende Arzt
nur wenig zu leisten und daher kam es auch, dass in die-
sem Feldzuge, während auf der einen Seite Hilferufe nach
Aerzten erschollen, auf der andern unzählige unbeschäftigt
herumlaufende von Thüre zu Thüre abgewiesen wurden, und
endlich sich veranlasst sahen, ohne etwas geleistet zu haben
in die Heimat zurückzukehren.
In Erwartung einer zukünftigen, von der obersten mi-
litärischen Behörde ausgehenden einheitlichen Gliederung der
sich meldenden freiwilligen Aerzte zu freiwilligen Feldlaza-
rethen, leistet der Einzelne mehr für das Wohl der Verwun-
deten, wenn er auf Kriegsdauer geradezu in militärische Dienste
tritt, oder einem mobilen Feldlazarethe sich als Freiwilliger
zutheilen lässt. Jedenfalls sollten die freiwilligen Aerzte,
wenn sie auf Verwendung ihrer Kräfte reflektiren, auf Kriegs-
dauer oder doch bis zur Auflösung ihres Lazarethes ihre
Dienste zur Verfügung stellen und nicht wie es auch diess-
mal wieder vielfältig vorkam, von einem übertragenen Posten
weglaufen können, sobald die Lust zum Dienste sie verlassen,
oder ihre Privat-Verhältnisse sie angeblich nach Hause zu-
rückrufen. Concessionen können dabei Einzelnen gegenüber in
ausgedehnter Weise gemacht werden. Sollte es aber bleiben
wie bisher, so können freiwillige Civilärzte nur dann etwas
Grösseres leisten, wenn sie sich selbst zur Formirung eines
Lazarethes, unter einem von ihnen gewählten Chef, der Ope-
rateur von Fach sein sollte, zusammenschaaren, und mit dem
erforderlichen Verbandmaterial, Instrumenten und Apparaten,
wie den nöthigsten Erfrischungen für Verwundete ausrüsten,
oder von den Sanitätsvereinen ausrüsten lassen.
So für alle Eventualitäten vorgesehen können sie selbst-
ständig überall da eingreifen, wo Hilfe am dringendsten
Noth thut und jeden militärischerseits ihnen gewordenen Auf-
trag mit Erfolg ausführen.
Diesen Weg schlug der Vortragende auf Grund seiner
Erfahrungen aus den Jahren 1864 und 1866 in diesem
XXIX
Feldzuge ein und hatte dadurch vor vielen Andern das Glück,
in vollkommen unabhängiger Weise eine sehr ausgedehnte
und fruchtbringende ärztlich-operative Thätigkeit entfalten zu
können.
Mit der Schilderung der einzelnen Details seiner an Er-
lebnissen reichen Expedition, deren Ziel Nancy wurde, und
die darüber hinaus bis Metz und Toul sich erstreckte, been-
digt Redner seinen Vortrag und es soll von dieser Schilde-
rung nur noch kurz hervorgehoben werden, dass der Vortra-
‚gende in Carlsruhe unterstützt von dem dortigen so überaus
thätigen Frauenverein und dessen unermüdlicher Protektorin
der Frau Grossherzogin von Baden, seine Expedition aus-
rüstete, 6 Aerzte und 6 Krankenpfleger (meist junge ange-
sehene Beamte) nebst 1 Krankenpflegerin um sich sammelte,
und mit 10 Kisten voll der wichtigsten Lazarethgegenstände
versehen am 15. August an der Spitze seines freiwilligen
Lazarethes auf Bauernwägen nach Weissenburg sich dirigirte,
von dort in Güterwägen per Bahn nach Wendenheim und
Zabern und mit dem ersten Zug, der die unsicheren Vogesen-
tunnels passirte, nach Nancy vorrückte, wo ihm durch den
Chef der Johanniter für die dritte Armee und die komman-
dirende Militärbehörde die Leitung des eben installirten
grossen Verwundeten - Spitales in der dortigen Tabaksfabrik
und die Funktion eines konsultirenden Chirurgen für alle
Spitäler in Nancy übertragen wurde.
Der Vortragende leitete jenes Lazareth mit 12 freiwil-
ligen Aerzten, welche sich nach und nach unter seine Direk-
tion gestellt hatten, mit gutem Erfolge bis zum 4. Oktober,
wo der Wiederbeginn seiner Lehrthätigkeit an hiesiger Hoch-
schule und das inzwischen weiter in das Herz Frankreichs
sich vorziehende Kriegsgewitter ihn veranlassten, das Laza-
reth zum grössten Theil zu evakuiren und seine transportabeln
Verwundeten in dem erwähnten eigenen Sanitätszuge nach
Carlsruhe in die Pflege und Behandlung bewährter Collegen
in trefflich equipirte Barakenspitäler zu überführen.
Damit endete die Feldzugs - Episode, aus welcher
Naturw.-med. Verein. 7
XXX
Redner seine im Vorstehenden wiedergegebenen Erfahrungen
schöpfte.
Schluss der Sitzung 8°/, Uhr.
XII. Sitzung, den 1. Dezember.
Herr Prof. Heine stellt einen Kranken seiner Klinik
vor, bei welchem er kurz zuvor die Exstirpation eines
sarkomatösen Polypen der linken Nasenhöhle
nach osteoplastischer Resektion des linken Na-
senbeines und Nasenfortsatzes des linken Ober-
kiefers mit schönstem Erfolge gemacht hatte. Die radi-
kale Beseitigung der malignen Geschwulst, welche allein
gegen ein Recidiv zu schützen vermag, konnte weder durch
die Extraktion, noch durch die Ligatur, noch durch Ecrase-
ment oder Galvanokaustik ermöglicht werden, da der Tumor
nicht einfach gestielt war, sondern über die 3 Muscheln sich
erstreckend, sowohl an der Innenfläche des Nasenfortsatzes
des Oberkiefers als an der Siebbeinplatte und an der link-
seitigen Wand des septum narium breitbasig adhärirte und
in verästelten Auswüchsen die ganze Nasenhöhle erfüllte. Es
musste daher ein freier Zugang zur Geschwulst von Aussen
eröffnet werden, behufs gründlicher Abtragung derselben mit
Messer, Scheere und Raspatorium. Den Weg dazu bildete
die osteoplastische Resektion der linken Seitenhälfte des knö-
chernen Nasengeriistes. Diese Operation gehört jenen durch
B. v. Langenbeck in der neuesten Zeit in die Chirurgie ein-
geführten Klasse von Resektionen an, bei welchen die Aus-
sägung eines Knochenstückes im Zusammenhang mit den be-
deckenden Weichtheilen und den Weichtheilen der Umgebung
nur als Mittel zum Zweck vorgenommen wird, nach dessen
Erreichung das Knochenstück wieder eingepflanzt wird und
in seine alte Position wieder einzuheilen pflegt. Der Vor-
tragende schlägt daher vor, diese Resektionen statt osteo-
plastische, oder wie man sie auch genannt hat, kombinirte
XXXI
oder temporäre , korrekter ,Reinplantativ - Resek-
tionen“ zu nennen.
Im vorliegenden Falle war diese Operationsweise um so
mehr geboten, als ein früher von einem Arzte unternommener
Extraktionsversuch ein ganz unvollständiges Resultat ergeben
hatte. Der vorgestellte Kranke, A.O. v.St., war 52 Jahre
alt und hatte seit circa 9 Monaten eine zunehmende Ver-
stopfung seiner linken Nasenhöhle mit zeitweiligem Nasen-
bluten, seit 6 Monaten eine Auftreibung seiner linken Nasen-
hälfte, die seit /, Jahr besonders zunahm und zu Thränen-
träufeln führte, beobachtet. Bei der Aufnahme des Kranken
erschien die Nase breit sattelförmig, der linke innere Augen-
winkel wulstig vorgetrieben, das Nasenbein und der Nasen-
fortsatz emporgehoben, die Consistenz der Geschwulst elastisch,
die Hautbedeckung der Nase normal. Die Nasenscheidewand
war nach rechts verdrängt. Von vorn konnte man durch
das linke Nasenloch die von injicirter Schleimhaut überklei-
dete, weiche Geschwulst mit unebener Oberfläche, im engen
Raum zusammengedrückt erblicken; neben ihr liess sich keine
Sonde mehr durchführen, von hinten fühlte man die betref-
fende Choane von der weichen, lappigen, leicht blutenden
Neubildung ausgefüllt. Bei der am 7. November 1870 vor-
genommenen Operation wurde die Nase in ihrer Mittellinie
linkerseits vom septum bis zur Nasenwurzel gespalten, das
linke Nasenbein und der proc. nasalis emporgehebelt und die
ganze linke Seitenwand der Nase nach Aussen umgeklappt.
Die dadurch offen zu Tag gelegte Geschwulst wurde sodann
von ihrer knöchernen Basis sorgfältig abgelösst, die Oberfläche
der Siebbeinplatte mit dem Raspatorium abgeschabt und die
Anheftung der Geschwulst am sept. nar. mit einem Stück
des letzteren ausgeschnitten, dann die Blutung gestillt (eine
stärker blutende Stelle an der Innenfläche des Nasenbeines
musste durch 2 von Aussen und Innen aufgelegte und durch
darüber geknüpfte Kreuzfäden angedrückte Schwämmchen
komprimirt werden), die Seitenwand der Nase reponirt und
die Nase durch 12 Knopfnähte geschlossen.
7*
XXXII
Der Verlauf der Wundheilung war ein sehr giinstiger.
Es trat in der ganzen Ausdehnung der Wunde prima intentio
ein. Die Schwämmchen konnten am 2. Tage entfernt wer-
den, die von ihnen komprimirte Weichtheilparthie erholte
sich schnell vom Druck, ein drohendes Erisipel wurde kou-
pirt und am 11. Tage schon konnte der Kranke als voll-
kommen geheilt betrachtet werden. Das knöcherne Gerüste
der Nase zeigte sich bei seinem Austritte aus der Klinik am
26. Nov. fest, die äussere Narbe war kaum sichtbar, die
Deformität der Nase ausgeglichen, der Luftdurchtritt voll-
kommen frei. Patient fühlte sich jetzt so gesund wie lange
zuvor nicht. Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst
erwies dieselbe, der Diagnose entsprechend als ein Sarkom
mit partieller myxomatöser Umwandlung.
Hierauf hielt Herr Prof. Kerner einen Vortrag über
die Alpenflora des Himalaja und die Beziehungen derselben
zu der alpinen Flora der mittel- und südeuropäischen Hoch-
gebirge. Es wurde von ihm insbesonders hervorgehoben,
dass zwar die Zahl der vollständig identischen Arten der
alpinen Region des Himalaja und unserer Alpen ein sehr
kleiner ist, dass aber in beiden Gebieten eine grosse Zahl
homologer einander sehr ähnlichen, wenn auch specifisch ver-
schiedenen Arten existire, welche aus einer und derselben
untergegangenen Stammart hervorgegangen gedacht werden
müssen. Der Vortragende knüpft hieran die Bemerkung, dass
nicht wenige unserer Alpenpflanzen einstens aus dem central-
asiatischen Hochlande eingewandert, anderseits wohl auch
manche wieder aus den südeuropäischen Hochgebirgen nach
Osten hin übersiedelt zu sein scheinen und dass bei Gele-
genheit dieser Wanderungen beziehungsweise bei der Aus-
dehnung der Areale mehrere jetzt untergegangene Stammarten
in den verschiedenen Hochgebirgen sich in homologe Arten
differenzirten. — Der Vortrag wurde durch Vorweisung meh-
rerer Tableaus von homologen Arten aus dem Himalaja, den
Alpen und dem arktischen Norden, so wie durch Zusammen-
stellungen der besonders charakteristischen Typen von Pflan-
XXXII
zen aus verschiedenen alpinen Regionen des Himalaja, zumal
eine Gruppe von Phanerogamen (Allardia, Saussurea etc.)
aus dem Höhengürtel von 17.000—18.000’ Seehöhe er-
läutert.
Die Beschreibungen mehrerer vorgelegten neuen alpinen
Arten aus dem Himalaja werden in den Vereinsschriften
publieirt werden.
Schluss der Sitzung 8, Uhr.
XII. Sitzung, den 14. Dezember 1870.
Herr Graf Franz Thun, k. k. Generalmajor wurde
vom Vorsitzenden zum Beitritte in den Verein als Mitglied
angemeldet.
: Herr Prof. Heller machte einige Mittheilungen über
neue oder wenig bekannte Thierformen, die von ihm im Laufe
des letzten Jahres in Tirol beobachtet wurden und zeigte
mehrere Arten derselben vor. Aus der Klasse der Vögel
wurde im Oktober eine Raubmöve (Lestris parasitica), eine
sonst nordische Art, bei Kreith nächst Innsbruck noch lebend
gefangen, wo sie von langem Fluge ermüdet, auf einem Felde
sich niederliess. Von Raubvögeln wurde ein Schlangenbus-
sard (Circaetus gallicus) bei Bozen, ein Fischadler (Pandion
haliaetus) am Inn, ferner ein besonders grosses Exemplar
von Steinadler (Aquila chrysaetos) am Hechenberge geschossen.
Aus der Klasse der Krebsthiere zeigte derselbe den erst in
neuerer Zeit vom Gymnasial-Professor P. Mohr bei Brixen
entdeckten Apus cancriformis vor. Eine eingehendere Schil-
derung der von ihm in Tirol beobachteten Copepoden und
_ Ostracoden, unter denen auch 3 neue Arten sich vorfinden,
wird in den Verhandlungen folgen.
Herr Prof. Pfaundler zeigte einige Experimente aus
dem Gebiete der neueren Akustik vor, welche auf der An-
wendung vibrirender Flammen beruhen.
Er analysirte zuerst eine tönende Flamme einer soge-
XXXIV
nannten chemischen Harmonika mittelst eines bewegten Spie-
gels, dann unter Zuhilfenahme einer stroboskopischen Scheibe,
deren Umdrehungsgeschwindigkeit durch Benützung der Sy-
rene regulirt wurde.
Hierauf zeigte er verschiedene Orgelpfeifen vor, welche
mittelst Membranen mit Leuchtgaskapseln in Verbindung
standen und so die König’schen Flammenzeiger in Bewegung
setzten. Die vibrirende Bewegung dieser Flammenzeiger, die
Interferenz derselben, das gleichzeitige Erscheinen zweier
Flammenbilder bei Kombinirung zweier Pfeifen etc. wurde
ebenfalls im bewegten Spiegel sodann objectiv durch Projek-
tion auf einen Schirm zur Anschauung gebracht.
Schluss der Sitzung 81, Uhr.
Beitrag
zur Casuistik der subcutanen Injectionen.
Von
Dr. R. Hausmann in Meran.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 19. Nov. 1870).
Fraulein X, Schauspielerin, 17 Jahre alt, leidet seit
2 Jahren an einem rechtsseitigen, in jüngster Zeit an
Grösse zunehmenden subperitonäalen Tumor, welcher von
verschiedenen Seiten als carcinomatös verdächtig aufgefasst
wurde. Die Menstruation, seit 4 Jahren bestehend, ist un-
regelmässig und stets von bedeutenden Schmerzen vorher an-
gekündigt.
Im April 1869 wurde ich zu der Patientin gerufen, weil
sie bereits mehrere Tage von starken Schmerzen in der Lum-
balgegend und der Innenseite des Oberschenkels der linken
Seite befallen und so schwach war, dass sie, die noch einige
Tage vorher eine grössere Rolle kräftig durchgeführt hatte,
jetzt auffallend heruntergekommen dalag. Im Tumor fühlte
sie bisweilen „blitzähnlich durchschlagende Schmerzen“. Warme
Umschläge, Tinct. sedat. Magendie 10 Tropfen brachten auf
einige Stunden Ruhe, so dass Patientin bis gegen Morgen
des andern Tages schlief, beim Erwachen jedoch empfand
sie wieder Schmerz in dem Tumor und am Kreuz. Mittags
als sich die Patientin vor Schmerz im Bette wälzte, ging
See
ich zur subcutanen Injection über. Ich verwendete hiezu die
im Hause der Patientin von gestern noch vorhandene Tinct.
sed. Mag. und zwar nahm ich davon 4 Tropfen, wovon ich
einen Theil noch ausspritzte, um das Instrument, welches
ebenso wie die Kanüle nach jeder Injection sorgfältig gereinigt
wird, von Luft zu befreien.
Kaum war das Medikament, in der Gegend der Lenden-
wirbel links, injieirt, als die Patientin laut aufschrie: „Was
ist mit mir, mein Gesicht wird verstochen“. Sie wurde dar-
auf feuerroth im Gesicht, der Unferkiefer wurde krampfhaft
weit nach vorne gezogen, der Ausdruck erschien ungemein
geängstigt, der Puls ging hämmernd mit einer Geschwindig-
keit von mindestens 130, darauf entstand Asthma, klonische
Krämpfe an beiden Extremitäten — das Bewusstsein aber
war vollkommen erhalten.
Dieser Zustand dauerte im Ganzen kaum 5 Minuten.
Zuerst liessen die Convulsionen nach, dann nahm das Ge-
sicht die frühere Form an und der Puls kehrte zur früheren
Anzahl zurück. Endlich brach ein Schweiss aus, welcher so
stark war, dass die Matratze durchfeuchtet wurde, es folgte
ein mehrstündiger tiefer Schlaf, aus welchem die Kranke
schmerzfrei erwachte. In den folgenden Tagen traten noch ©
in der Nähe des Tumors Schmerzen auf, welche jedoch
warmen Ueberschlägen bald wichen. Menstruation erschien
nicht. Auffallend schnell raffte sich die Kranke so weit auf,
um nach einigen Tagen ihre Aufgaben wieder übernehmen zu
können.
Es erinnert dieser Fall an die 3 von Prof. Nussbaum
an sich beobachteten, im Aerzt. Intelligenzblatt 1856, Nr. 56
veröffentlichten. — Auch dort wird ein Brennen resp. Stechen
vom Scheitel, allerdings bis zur Sohle fortlaufend und bald
nach der Injection erscheinend, erwähnt, in beiden Fällen
wurde das Gesicht intensiv geröthet, in beiden trat ein un-
gemein rascher Puls auf, Bewusstsein in beiden ungetrübt.
In meinem Falle traten Convulsionen der Unterkiefer und der
Extremitäten ein, ausserdem Schweiss, wovon N. nichts er-
Ba ae
wähnt, dagegen fehlte der essigsaure Geschmack auf der
Zunge, den N. bald Anfangs verspürte.
Aehnlich den N.’schen Fällen und dem meinigen sind
die von Dr. Anton Mühe in München (Nr. 49 des Aerztl.
Intell.-Blattes 1863) veröffentlichten 5, bei welchen zunächst
ebenfalls Stechen und Brennen im Gesichte, in dreien ausser-
dem beschleunigter Puls aufgetreten war. Im fünften Fall
trat noch Asthma pector., Bewusstlosigkeit, Reflexbewegung
der obern Extremitäten, Erbrechen und Unvermögen bis zum
3. Tage zu sprechen ein. Schweiss und essigsaurer Ge-
schmack ist nicht erwähnt. — Dat erste Mal, als M. nur
die Gesichtserscheinungen beobachtete, hatte er ‘4 Gr. Morph.
acet. eingespritzt, in den nächsten 3 Fällen war je 1 Gr.
injic. worden und Stechen im Gesicht und beschleunigter
Herzschlag, im 5. Falle bei 2 Gr. Morphiumlösung Stechen,
Pulsbeschleunigung und dazu noch die übrigen Erscheinungen
beobachtet worden.
Da die Nussbaum’schen und Mühe’schen Fälle stets
solche waren, bei welchen sehr viele Einspritzungen, wie z.B.
bei der einen Patientin dreimal täglich vorgenommen wur-
den, so traten anatomische Veränderungen der Haut ein. M.
fand an den beständig gereizten Stellen chronische Entzün-
dung — es entstand seröse Infiltration der Cutis, Zellenneu-
bildung, Bindegewebe; die subcutanen Venen gingen demnach
durch verdichtetes Gewebe, welches von weicheren Partieen
durchzogen war und erweiterten sich oder wurden varicös.
Die Annahme, dass die subcutane Injection bei derartig
degenerirter Cutis leichter direkt als unter normalen Verhält-
nissen in die Venen vorgenommen werde, war nach Alledem
plausibel, um so mehr das starke Bluten der Stichöffnung
gerade bei den unglücklichen Fällen beobachtet wurde. Die
mit starker Blutung verbundenen, aber glücklich ablaufenden
Fälle erklärt Nussbaum sowohl als Mühe dadurch, dass die
Venenwände durchstochen wurden, ohne dass das Medikament
in das Lumen selbst gebracht worden war.
Eulenburg (die hypodermatische Injection der Arznei-
a ete
mittel) stellt gegen diese Theorie die Vermuthung auf, dass
es sich weniger um die Verletzung der Gefiisse, als die der
Nerven handle, ausserdem legt er besondern Werth auf die
Resorptionsgeschwindigkeit der einzelnen Körpergegenden, so
zwar, dass die Wangen und Schläfengegend die schnellste,
Rücken-, Kreuz-, Lumbalgegend die trägste Aufsaugung dar-
bieten, in Folge dessen es passiren könne, dass das eine Mal
1/, Gr. Morph. injieirt, die heftigsten Erscheinungen, 2 Gr.
dagegen ein ander Mal nichts Abnormes bemerken liessen,
je nach der Stelle also, an welcher die Injectionen vorgenommen
wurden.
„Fassen wir noch einmal die Momente zusammen,
welche für die Einspritzung in die Vene sprechen, so fin-
den wir von den Vertheidigern dieser Ansicht als Beleg
angeführt:
1) In allen Fällen war die Haut so degenerirt, dass die
subeutanen Venen, resp. Capillaren erweitert oder varicös
waren,
2) Trat stets abnorm starke Blutung ein,
3) Stellten sich Symptome ein, welche eine di-
rekte Ueberführung des Medikaments ins Blut bedingen
konnten.
Ohne wesentliche Widerlegung wurde andere Erklärung
gesucht a) in Resorptionsgeschwindigkeit, b) Verletzung von
Nerven.
Wenn wir nun erwägen, dass die Symptomenreihe der
3N.’schen ihn selbst betreffenden, der 5 anderen Mühe’schen
Fälle und der meinigen in der Hauptsache sich gleichblieben,
dass alle diese subcutanen Injectionen mit essigsaurem Morph.
vorgenommen wurden, so dürfte vielleicht anzunehmen sein,
dass gerade dieses Medicament ins Blut gebracht, diese
mit Stechen im Gesicht beginnende, Pulsbe-
schleunigung etc. einschliessende Symptomen-
gruppe hervorbringe. Dabei scheint die eingespritzte
Quantität nicht ganz gleichgiltig zu sein, denn '/, Gr., einem
an Narcotica gewöhnten Manne eingespritzt, brachte wie oben
SE ER
erwähnt ein Stechen hervor und mit zunehmender Quantität
nahmen auch die Symptome zu.
Unbedingt aber hängt die Wirkung von der Quan-
tität nicht ab, wie aus meinem Falle erhellt, denn hier wur-
den kaum 4 Tropfen injieirt; Patientin war also ungleich
mehr empfänglich als Andre für das direkt in das Blut in-
jieirte Morphium.
Ebensowenig muss eine degenerirte Cutis vorhanden
sein. Dass auch keine äussere Venenblutung in meinem
Falle vorhanden war, schliesst eine Blutung überhaupt nicht
aus, konnte sie doch gehindert sein, indem durch den nach
der Injectcon einige Zeit ausgeübten Fingerdruck die Blutung
gestillt sein dürfte.
Gegen die Resorptionstheorie kann hier die eigene An-
gabe Eulenburg’s sprechen. da die Injection in der Lenden-
wirbelgegend, der nach E. am trägsten verzeichneten Stelle
vorgenommen, die Symptome jedoch direkt nach der Injec-
tion wahrgenommen wurden und zu den fürchterlichsten ge-
hörten.
Die Annahme der Verletzung von Nerven scheint in
den vorliegenden Fällen mit der genauen Reihenfolge
ihrer Symptome nicht erklärlich.
Idiosynkrasie, als Erklärung der betreffenden Erschei-
nungsreihe, ist unstatthaft, weil nicht einzusehen, wesshalb
die Patienten 999 mal keine Idiosynkrasie zeigten und das
1000ste Mal sie erkennen liessen.
Ebensowenig lässt sich mit Hysterie Etwas anfangen,
Da nun die subeutanen Injectionen in mancherlei Fällen un-
umgänglich nothwendig geworden sind, die unglücklichen Fälle
jedoch selbst bei durch Injectionen entarteter Cutis sehr
selten sind, und als Contraindication nur jene Fällen ange-
sehen werden können, bei welchen nach Traube in Folge
eines organischen Herzfehlers die Prädisposition zu dem
Cheyne-Stokes’schen Respirationsmodus besteht, die Mor-
phiuminjection dies Phänomen hervorrufen oder zu stärkerer
Ausprägung gelangen lassen könne (Berl. Klin. Wochenschr.
SE IRR ae
1867 No. 17, Frantzel), so wird Niemand im Uebrigen von
deren Anwendung abstehen.
Bemerkt sei hier nur noch, dass sich, wie ich erfahren,
bei derlei unglücklichen Fällen eine subcutane Injection an
einer anderen als der eben angewandten Stelle vorgenommen,
die Symptome abkürzend und sehr schmerzstillend erwiesen
haben soll, was gewiss zu versuchen wäre.
Untersuchungen
über die Crustaceen Tirols.
Von
C. Heller.
I.
(Mit 2 Tafeln.)
Unter den Gliederthieren Tirols fanden bisher nur die
Insekten, Myriapoden und Arachniden eine eingehendere Be-
rücksichtigung. Zahlreiche grössere und kleinere Arbeiten
liegen vor, die uns über Vorkommen und Verbreitung dieser
Thiergruppen Aufschluss geben‘), Nur über die Klasse der
Crustaceen schweigt die Geschichte. Doch darf man daraus
sicherlich nicht den Schluss ziehen, dass diese Klasse bei
uns nicht vertreten sei. Im Gegentheile werde ich darthun
können, dass die Krebsthiere auch in unserm Lande eine
reichliche Vertretung besitzen, dass sich zahlreiche Arten
vorfinden, welche theils mit bekannten europäischen Species
übereinstimmen, theils als neue unserm Lande eigenthümliche
Formen sich erweisen.
Aus der Ordnung der Decapoden kennen wir nur drei
Arten von Krebsen in Tirol, nämlich Astacus fluviatilis F.,
A. saxatilis K. und Palaemonetes varians Leach?). Die
1) Gredler, Tirols zoologische Literatur in der Zeitschrift des Fer-
dinandeum. Jahrgang 1869 S. 207.
2) Heller, zur nähern Kenntniss der in den süssen Gewässern des
südlichen Europa vorkommenden Meerescrustaceen. Zeitschrift für wis-
senschaftliche Zoologie. XIX. Bd. I. Heft S. 157.
BE. AKC Bu
erstere Art findet sich in Nordtirol, die zweite Art in den
Gewässern Südtirols, die dritte Art nur im Gardasee.
Von Amphipoden konnte bisher nur eine Art beobachtet
werden, nämlich Gammarus pulex, welcher in Quellen und
Bächen bis zu 5000’ Höhe in der Umgebung von Innsbruck
vorkommt.
Die Isopoden sind in Nordtirol durch folgende Arten
vertreten: Asellus aquaticus L., Ligidium Persoonii Bdt,
Trichoniscus riparius Kch., T. Mengii Zdd., Philoseia mus-
corum Lt., Oniscus murarius Lt., Porcellio scaber Lt., P.
pietus Bdt., P. trivittatus Lb., P. nemorensis Kch., P. ar-
madilloides Lt., P. frontalis Lb., Platyarthrus Hoffmanns-
eggii Bdt., Armadillidium vulgare M. Edw., während über
die Verbreitung dieser Thiere im südlichen Theile des Lan- -
des noch keine ausreichenden Beobachtungen vorliegen.
Aus der Gruppe der Branchiopoden wurde erst in
neuester Zeit Apus cancriformis in Tirol vorgefunden. Herr
Professor P. Heinrich Mohr entdeckte denselben in einer
Lache bei Brixen, welche einen grossen Theil des Jahres
ganz trocken liegt und nur zeitweise mit Wasser sich füllt.
Was die Ostracoden und Copepoden betrifft, so zeigen
dieselben in Tirol einen bedeutenden Formenreichthum. Wie
ich in der nachfolgenden Abhandlung nachweisen werde, kom-
men aus der Ordnung der Copepoden 12 und aus der Ord-
nung der Ostracoden 11 verschiedene Arten vor, wovon drei
als ganz neu erscheinen. Hiebei muss jedoch hervorgehoben
werden, dass eigentlich nur die unmittelbare Umgebung Inns-
brucks in dieser Beziehung näher durchforscht wurde, wäh-
rend aus Südtirol bisher nur wenige Beobachtungen vorliegen.
Eine eingehendere Untersuchung des Landes wird noch man-
chen werthvollen Zuwachs auch aus diesen beiden Thier-
gruppen liefern und erst dann wird es auch möglich sein,
über die horizontale und verticale Verbreitung derselben ein
bestimmtes Urtheil zu fällen.
ragen
I. Copepoda.
Uebersicht der Gattunsen
A. Zwei Eiersäckchen bei dem Weibchen. Hintere An-
tennen einfach ohne Nebenast, viergliedrig. Das 5. Fuss-
paar cylindrisch. Cyclops ©. F. Müll.
B. Ein Eiersäckchen bei dem Weibchen. Hintere An-
tennen mit einem Nebenast versehen. Das 5. Fusspaar blatt-
formig.
Vorder- und Hinterleib linear, fast gleich breit. Vor-
dere Antennen 8 gliedrig, kurz, Kein Herz.
Canthocamptus Westw.
Vorderleib viel breiter wie der Hinterleib. Vordere An-
tennen lang, 25gliedrig. Ein deutliches Herz.
Diaptomus Westw.
Gattung: Cyclops 0. F. Müller.
Uebersicht der Arten:
A. Vordere Antennen 17—18 gliedrig.
Antennen aus 18 Gliedern zusammengesetzt.
C. elongatus Cls.
Antennen aus 17 Gliedern zusammengetzt.
Abdominalsegmente an ihren Verbindungsrändern glatt,
Das 2. Glied des rudimentären (5.) Fusspaars am Ende
mit 3 Borsten besetzt; die Antennen bis gegen die Basis
des Abdomen reichend.
Das Endglied der vordern Antennen mit sägeförmig ge-
zähnter Firste versehen, das 8—14. Glied mit einem Kranze
zahnförmiger Spitzen am obern Verbindungsrande, die Eier-
säckchen schwarz, gerade ausgestreckt.
C. coronatus Cls
Das Endglied der vordern Antennen mit einfacher, un-
bezahnter Längsfirste, die vorhergehenden Glieder ohne Stachel-
kranz. Eiersäckchen licht, schief gestellt.
C. tenuicornis (ls.
Re
Das 2. Glied des rudimentären Füsschens am Ende mit
2 Borsten besetzt. Antennen bis gegen das Ende des 3.
Thoracalsegments reichend. C. bicuspidatus Cls.
Das 2. Glied des rudimentären Fusspaares am Ende
mit einer einzigen Borste besetzt. Antennen bis gegen das
Ende des 3. Thoraxsegments reichend.
C. brevicaudatus (ls.
Die Abdominalsegmente an ihren Verbindungsrändern
bezahnt. Antennen kurz. Rudimentiires Fusspaar mit ein-
facher Borste am Ende des 2. Gliedes.
C. brevicornis Cls.
B. Vordere Antennen 8—12gliedrig.
Antennen aus 12 Gliedern zusammengesetzt. Die Schwimm-
füsse mit 3gliederigen Aesten. Das rudimentäre Fusspaar
1gliedrig, mit 3 Borsten am Ende. C. serrulatus Cls.
Antennen aus 11 Gliedern zusammengesetzt. Die Schwimm-
füsse mit 2 gliedrigen Aesten.
Die Abdominalsegmeote an ihren Rändern glatt.
C. minutus Cls.
Die Abdominalsegmente an ihren Rändern bezahnt.
C. Clausii Hr.
Antennen aus 8 Gliedern zusammengesetzt.
C. Gredleri Hr.
1. Cyclops elongatus.
Claus, die frei lebenden Copepoden S. 97, Taf. XI Fig. 1, 2.
Ein langgestreckter Körper von graulicher Farbe mit
weissen Eiersäckchen, 18gliedrige bis an das Ende des 1.
Segments des Vorderleibes reichende Antennen, ein rudimen-
täres aus 2 Gliedern zusammengesetztes Füsschen, wovon
das 1. Glied schmal, das 2. mit 2 Endborsten besetzt ist,
glatte Verbindungsränder der Abdominalsegmente charak-
terisiren diese Art. — In einem Falle fand ich die vordern
Antennen aus 19 Gliedern zusammengesetzt, indem das 5.
Glied in 2 Theile gespalten war. Länge 2 Mm,
Fundort: Igels.
Bask Oe a
2. Cyclops coronatus.
Claus, das Genus Cyclops im Archiv fiir Naturgeschichte. 1857. Taf.
Il, fig. 1—11. — Idem, frei lebende Copepoden S. 97, taf. II, fig.
16, taf. &, io. I:
Ist ziemlich verbreitet in Tirol. Ich fand die Art in
Lans, Seefeld, St. Ulrich, Sterzing und Doblino.
3. Cyclops tenwicornis.
Claus, das Genus Cyclops Taf. III, fig. 1—11; idem, die Copepoden
S. 99, taf. I, fig. 3; taf. II, fig. 17; taf. 4, fig. 5.
Fundort: Innsbruck, St. Ullrich, Sterzing; ziemlich
häufig.
4, Cyclops brevicaudatus.
Claus, das Genus Cyclops, Taf. I, fig. 12.
Wurde nur ein einziges Mal im Giessen bei Innsbruck
vorgefunden.
5. Cyclops brevicornis.
Claus, das Genus Cyclops Taf. II, fig. 12—-17; idem, die Copepoden
S. 99, Taf. IV, Fig. 11.
Eine der häufigsten Arten im Lanser Moor, besonders
im Frühjahr schön grün, im Sommer und Herbste aber mehr
grau gefärbt. Die vordern Antennen reichen kaum über das
1. Thoracalsegment hinaus, Das rudimentäre Füsschen be-
steht aus einem breiten Basalgliede, dessen äussere Ecke
mit einer langen Borste besetzt ist und einem schmalen kur-
zen Gliede, welches sich am Innenrande des vorigen einlenkt
und auch eine lange Borste trägt. An der Innenseite des
2. kurzen Gliedes bemerkt man noch einen kleinen abste-
henden Stachel. Die Verbindungsränder der Abdominalseg-
mente sind gezähnt. Länge 3—3.5 Mm.
6. Cyclops bicuspidatus.
Claus, Archiv fir Naturgeschichte. 1857. Taf. II, fig. 6—7.
Diese Art unterscheidet sich von den beiden vorher=
Naturw.-med. Verein. 8
en as
gehenden hauptsächlich dadurch, dass das 1. Glied des ru-
dimentären Füsschens ziemlich schmal, das 2. lang und dünn
und mit 2 Endborsten am Ende versehen ist. Farbe röth-
lichgelb. Länge 1.5 Mm.
Wurde nur ein einziges Mal im Giessen vorgefunden.
7. Cyclops serrulatus.
Fischer, Beiträge zur Kenntniss der Cyclopiden, Taf. X, fig. 22 und
23. — Claus, das Genus Cyclops, Taf. I, fig. 1—3.
Diese kleine, kaum 1.5 Mm. lange Art ist ausge-
zeichnet durch lange, aus 12 Gliedern bestehende, bis ans
Hinterende des Thorax reichende Antennen. Das rudimen-
täre Füsschen ist eingliedrig und trägt am Ende drei Bor-
sten, davon die innerste ziemlich breit, lanzettlich, am Rande
bewimpert, die beiden äussern dagegen dünn, einfach, Fär-
bung bräunlichgrün, der 2. Thoraxring oft graulichweiss, die
Basis des Hinterleibes braunroth, die Eiersäckchen grün.
Die häufigste Art bei uns in Tirol, im Norden und Sü-
den des Landes beobachtet. Von besondern Fundorten kön-
nen aufgeführt werden: Weiherburg bei Innsbruck, Lans,
Seefeld, Achenthal, Sterzing, Meran.
8. Cyclops minutus.
Claus, Copepoden S. 102, Taf. X, fig. 6—8.
Von der Körpergrösse der vorigen Art, aber von ihr
verschieden durch den Besitz von 11 gliedrigen, das Ende
des 1. Thoraxringes kaum erreichenden Antennen; die Fuss-
paare zeigen nur 2 gliedrige Ruderäste, das rudimentäre Füss-
chen ist kurz, stummelförmig, mit einzelnen Börstchen an
der Spitze besetzt, die Verbindungsränder der einzelnen Ab-
dominalsegmente sind glatt. Farbe graulich, Eiersäckchen
weiss.
Fundort: Igels, Natters bei Innsbruck.
9. Cyclops Olausii nov. sp.
(Gate I; Rig. 1,2.)
Im Lanser Moor bei Innsbruck fand ich im April und
Mai des Jahres 1869 sehr häufig eine Cyclopsart, welche
mit dem von Claus beschriebenen ©. minutus insoferne über-
einstimmte, dass die vordern Antennen aus 11 Gliedern zu-
sammengesetzt waren und auch an den Ruderfüssen sich nur
2 deutliche Glieder wahrnehmen liessen. Bei näherer Unter-
suchung ergaben sich jedoch einige wesentliche Abweichun-
gen. Die einzelnen Segmente des Abdomen waren nämlich
deutlich bei den vorliegenden Exemplaren mit spitzen Zähnen
besetzt, während bei C. minutus die Verbindungsränder der
betreffenden Segmente immer glatt sind. Auch besass das
rudimentäre Füsschen eine ganz abweichende Gestalt. Aus
diesem Grunde glaubte ich diese Form von C. minutus als
besondere Art abtrennen zu müssen.
Die vordern Antennen sind ziemlich kurz, denn sie er-
reichen nicht einmal das Hinterende des 1. Leibessegmentes
vollständig, doch kräftig, aus 11 Gliedern zusammengesetzt,
die 3 letzten Glieder von mässiger Länge. Die Oberlippe
in der Mitte fein kerbzähnig, nach aussen 2 grössere Zähne.
Die Mandibel an der Basis mit 2 langen nach hinten ge-
richteten Borsten besetzt, eine dritte kürzere ist nach vorne
gewendet. An den Maxillen erscheint der Palpartheil gut
entwickelt, an der Spitze mit 2 nach innen gerichteten Hacken.
Die Kaufüsse kräftig.
Das 1. Leibessegment ist ziemlich lang, der Hinterrand
dieses und des folgenden Segments glatt, an den 3 folgen-
den schmälern Segmenten jedoch fein gezähnelt. Die Ruder-
äste der Füsse zeigen nur 2 deutliche Glieder, indem eine
Trennung zwischen dem 2. und 3. Gliede wenig oder gar
nicht angedeutet ist. Das letzte (4.) Fusspaar ragt ausge-
streckt bis an’s Ende des Hinterleibes; sein Basalstück ist
am hintern Rande mit einer Reihe spitzer Zähnchen besetzt,
dessgleichen ist das 1. Glied am Ende gezähnelt. Das ru-
dimentäre Füsschen stimmt in seiner Form mit jenem von
8 *.
C. brevicornis überein, es besteht aus 2 Gliedern, wovon
das 1. sehr breit und an der äussern Ecke mit einer lan-
gen Borste besetzt ist, das 2. jedoch sehr kurz, an der In-
nenecke des vorigen entspringt und am Innenrande ein kur-
zes Zähnchen und an der Spitze eine lange Borste trägt.
Bei ©. minutus besteht das rudimentäre Füsschen nach Claus
aus einem kurzen, borstentragenden Stummel und einer Borste,
welche getrennt von den erstern unmittelbar am Körper ent-
springt.
Der Hinterleib erscheint ziemlich gedrungen und breit,
das 1. Segment fast so lang wie die zwei folgenden zusam-
men, jedoch breiter wie lang, alle Segmente am Hinterrande
nach oben fein gezähnt, an der Unterseite dagegen bloss die
3 letzten Segmente mit Zähnen besetzt (Fig. 2). Die Furca
etwa so lang wie die zwei letzten Abdominalsegmente, die
Schwanzborsten lang. Die Eiersäckchen schief nach aussen
gerichtet. Körper licht, nach vorn gelblichgrün, das Auge
braunroth. Länge 2.5 Mm.
10. Cyclops Gredleri nov. sp.
(Taf. I Fig. 3, 4.)
Diese kleine, kaum 1 Mm. lange zierliche Art ist aus-
gezeichnet durch den Besitz von 8 gliedrigen Antennen. Sie
schliesst sich hiedurch unmittelbar an C. magniceps, eine
von Liljeborg !), in der Ostsee beobachtete Art an. Der
Cephalothorax erscheint ziemlich breit und gewölbt, etwas
breiter wie lang, der Hinterrand gerade, die folgenden Tho-
raxsegmente allmählig verschmälert mit stumpfen nach hinten
etwas vorragenden Seitenecken, das 3. und 4. Segment am
Hinterrande, namentlich gegen die Seiten hin feingezähnelt.
Die vordern Antennen sind ziemlich kräftig und ragen
etwas über die Mitte des vordern Leibessegments nach rück-
1) W. Liljeborg, de Crustaceis ex ordinibus tribus: Cladocera,
Ostracoda et Copepoda in Scania occurrentibus. Lund 1853 p. 204,
tab. XXII fig. 1.
I eT ee
warts. Sie sind nur aus 8 Gliedern zusammengesetzt, hievon
ist das 1. Glied stark, dreieckig, das 2. und 3.Glied kurz,
ringförmig, das 4. Glied länger wie die 2 vorhergehenden
zusammengenommen, aber dünner, die 2 folgenden Glieder
wieder sehr verkürzt, die 2 Endglieder dagegen länger, alle
Glieder am obern Rande und gegen das Ende hin mit Börst-
chen besetzt. — Die Ruderäste der 4 vordern Fusspaare
3gliedrig, das 5. Fusspaar stummelförmig, mit 3 Börstchen
am Ende.
Der Hinterleib von mässiger Länge, die einzelnen Seg-
mente fast gleich breit, von vorn nach hinten nur wenig ver-
schmälert, ihr Hinterrand glatt und unbewehrt, bloss an der
Basis der Furcula mit einer Reihe feiner Börstchen versehen.
Die beiden Aeste der Furcula beträchtlich länger wie die 2
letzten Abdominalsegmente zusammen und beiläufig die Mitte
des drittletzten Segments erreichend, die innere Schwanzborste
fast von der Länge des Abdomen. — Die Eiersäckchen rund-
lich, weiss, abstehend, mit einer geringen Anzahl von Eiern
gefüllt. Die Körperfarbe licht, grau, durchscheinend. — Das
bedeutend kleinere Mänchen (Fig. 4) zeigt die vordern An-
tennen gegen das Ende hin stark verdickt.
Wurde in mehreren Exemplaren oberhalb der Arzler
Alpe in einer Höhe von 5000’ in einem Wassertroge vor-
gefunden.
Gattung: Canthocamptus Westwood.
Canthocamptus minutus.
Cyclops minutus O. F. Müller, Entomostraca p. 101, tab. XVII figs
1—7. — Monoculus staphylinus Iurine, Histoire del Monocles p. 74.
tab. VII fig. 1—19. — Canthocamptus staphylinus Claus, Copepo-
den p. 121, taf. XII fig. 4—14; taf, XII fig. 1, 3, 4.
Körper linear, cylindrisch, Vorder- und Hinterleib deut-
lich gegliedert, ersterer nur wenig breiter wie letzterer. Kopf
mit dem 1. Thoraxringe verwachsen. Die vordern Antennen
8 gliedrig, kurz, bis gegen das Ende des vorderen Leibes-
segments reichend. Hintere Antennen 2 gliedrig mit kurzem
AN of Sige
eingliedrigen Palpus an der Basis. Die Füsse mit 2 Ruder-
ästen, an den 3 vordern Fusspaaren beide 3gliedrig, am 4.
beide 2gliedrig, das 5. Fusspaar stellt 2 mit Borsten besetzte
Platten dar. Die Gabeläste des Schwanzes kurz und ge-
drungen. Das Weibchen bloss mit einem Eiersacke ver-
sehen, beim Männchen der innere Ast des 3. Fusspaares
scheerenförmig. Farbe graulichweiss. Länge 14,—1 Mm.
Ueberall häufig in Bächen und Lachen. Besondere Fund-
orte: Lans, Seefeld, Kufstein, Sterzing, Meran.
Gattung: Diaptomus Westwood.
Diaptomus Castor.
Monoculus castor, Jurine, Hist. des Monocl. p. 50, tab. IV fig. 1—6.
— Diaptomus Castor, Liljeborg, de Crustaceis p. 134, tab. XIII fig,
1—10.
Vorderkörper länglich eiförmig, breiter wie das Abdo-
men, der Kopf vom 1. Thoraxringe getrennt. Die vordern
Antennen fast so lang wie der Körper, 25 gliedrig, in beiden
Geschlechtern ungleichartig. Am 1. Paar der Schwimmfüsse
ist der innere Ast 2gliedrig, am 2.—4. Paare dreigliedrig;
am 5. Fusspaare ist der innere Ast schmal, 2gliedrig, der
äussere am Ende mit einer Zange versehen. — Körperfarbe
röthlich. Länge 3—4 Mm.
Wurde von mir nur einmal, jedoch in grosser Menge
in einer Lache bei Seefeld vorgefunden.
II. Ostracoda.
Die Bestimmung der einzelnen zu dieser Gruppe gehö-
rigen Formen ist noch immer mit grossen Schwierigkeiten
verbunden. Die Undurchsichtigkeit des Körpers, die wech-
selnde Form der Schalen in den verschiedenen Altersstufen,
die Veränderlichkeit der Farbe und Behaarung bieten ebenso
viele Hindernisse in der Bestimmung der specifischen Form.
Namentlich waren es die Schalen, welche von den früheren
Forschern fast allein beriicksichtigt wurden und nach deren
Form man die einzelnen Arten unterschieden hat. Nun weiss
man aber, dass die Gestalt der Schalen besonders nach dem
Alter wechselt. Ein junges Thier ist vorn immer höher als
hinten, während bei ausgewachsenen Individuen gerade der
Hintertheil höher und breiter erscheint. Auf diese Weise
geschah es, dass oft eine einzige Art in eine ganze Reihe
von verschiedenen Arten aufgelöst wurde, je nachdem die
dazu gehörigen Thiere in einem mehr oder weniger entwickel-
ten Stadium beobachtet worden waren. In neuerer Zeit ging
man etwas gründlicher vor, indem man auch auf den innern
Bau der Thiere eine grössere Rücksicht nahm und dadurch
verlässlichere Merkmale zur Trennung der Arten gewann.
Besonders sind es die Arbeiten von S. Fischer !), Liljeborg 2)
und Zenker 3), durch welche unsere Kenntnisse in dieser Be-
ziehung wesentlich gefördert wurden. — Nach den Unter-
suchungen des letztern sind es hauptsächlich das 3. Kiefer-
paar des Männchens und die Schleimdrüse des männlichen
Geschlechtsapparates, welche sehr brauchbare Merkmale zur
Unterscheidung der einzelnen Arten liefern. Nur tritt der.
bedauerliche Umstand ein, dass von vielen Arten nur Weib-
chen bekannt sind, dass auch bei den Arten, wo Männchen
vorkommen, diese stets seltener sind. Es würde demnach
in vielen Fällen die sichere Bestimmung der Art gar nicht
möglich sein. Nun lassen sich jedoch in der That auch bei
weiblichen Thieren hinreichende Merkmale auffinden, welche
eine scharfe Trennung der Arten bewerkstelligen lassen. Nur
müssen die Exemplare, welche zur Untersuchung dienen, voll-
kommen geschlechtsreif sein. Insbesondere ist dann zu be-
rücksichtigen die Form des 2. Antennenpaars, die Anwesen-
1) Sebast. Fischer, Abhandlung über das Genus Cypris. In den
Memoires des Savants étrangers. T. VII. Petersburg 1851.
2) W. Liljeborg, de Crustaceis ex ordinibus tribus: Cladocera,
Ostracoda et Copepoda in Scania occurrentibus. Lund 1853. p. 92.
3) W. Zenker, Studien über die Krebsthiere im Archiv für Natur-
geschichte. 20. Jahrgang. Berlin 1854.
era
heit oder Abwesenheit des Branchialanhanges am 2. Kiefer-
paare, die Gestalt der Schwanzanhänge, der Leber und der
Eierstockschläuche, die Form des Auges und der Schale.
Uebersicht der Gattungen:
Mit zwei deutlich getrennten Augen.
Notodromas Liljeb.
Mit einem einzigen Auge.
Das dritte Glied der untern Antennen mit Ruderborsten
an der innern Seite, das 2. Maxillenpaar mit einem Bran-
chialanhang. Cypris Müll.
Das dritte Glied der untern Antennen ohne Ruderborsten
an der innern Seite, das 2. Maxillenpaar ohne Branchialan-
hang. Candona Baird.
Gattung: Notodromas Liljebore.
Notodromas monachus.
Cypris monacha, 0. F. Müller Entomostraca p. 60, tab. V fig. 6-8.
— Monoculus monachus, Jurine Hist. d. Mon. p. 173, tab. XVIII,
fig. 13—14. — Notodromas monachus Liljeborg, de Crustaceis p. 95
tab. VIII fig. 1—15.
Die Schale dieser Gattung ist hoch und breit, fast wiir-
felförmig gebaut. Von der Seite angesehen ist der untere
Rand fast gerade, nur da, wo er in den Vorderrand über-
geht, ist ein rundlicher Vorsprung vorhanden. Am Ueber-
gange in den hintern Rand sind 1 oder 2 nach hinten ge-
richtete Zähne zu bemerken, die aber beim Männchen fehlen.
Vorder- und Hinterrand sind abgerundet und der Rücken
besonders in der hintern Hälfte gewölbt. Von oben ange-
sehen erscheint die Schale fast eiförmig, nach vorn hin mehr
verschmälert wie hinten, die Ränder zugeschärft, vorn und
rückwärts kielartig vorragend. Bei der Ansicht von unten
ist in der Mitte eine leichte Ausbuchtung bemerkbar und
sind hier die Schalenränder zugleich stark ausgeschweift. Die
Oberfläche bedeutend vorgewölbt, glatt, glänzend, an beiden
Enden, sowie an der Unterseite mit einigen Härchen besetzt,
sonst fast nackt. — Die Farbe ist veränderlich. Die Grund-
farbe ist weisslich oder weisslichgelb mit grössern oder klei-
nern dunkelschwarzen oder auch olivengrünen Flecken. Am
häufigsten zieht sich vor dem Auge eine breitere oder schmä-
lere schwarze oder dunkelgrüne Binde längs des ganzen vor-
dern und untern Randes bis zum Hinterrande hin. Von
oben angesehen findet sich fast immer in der Mitte ein ziem-
lich grosser schwarzer oder dunkelgrüner Fleck vor, bisweilen
ein grösserer dunkler Fleck auch am Hintertheile, der sich
nach vorn mit der Randbinde in Verbindung setzt. Die
Männchen besitzen immer eine dunklere Färbung. Vorder-
und Hinterrand stets klar und durchsichtig, besonders der
Vorderrand mit breitem, glashellem Saume versehen.
Die obern Antennen sind ziemlich schmächtig, aus 7
Gliedern zusammengesetzt; das 1. Glied dick und stark, gegen
das Ende hin verschmächtigt, mit einer Borste am Vor-
derrande nach oben; das 2. Glied kurz, ebenfalls mit einer
Borste am obern Rande; das 3. Glied verlängert, eylindrisch,
am Vorderende mit einer längern Borste nach oben und einer
kürzern Borste nach unten; die 3 folgenden Glieder kurz,
zusammen fast so lang wie das 3., das 4. und 5. am Vor-
derende oben mit 2 langen Borsten, unten je mit einem dün-
nen Borstchen, das 6. Glied mit 4 langen Borsten besetzt;
das letzte Glied schmal, etwas länger wie das vorhergehende,
am konisch verschmälerten Ende mit 3 Borsten, davon 2
länger als die dritte.
Die untern Antennen sind etwas kürzer aber stärker
wie die obern, nach unten gerichtet und aus 6 Gliedern zu-
sammengesetzt, die gegen das Ende hin an Dicke abnehmen.
Ihr 1. Glied kurz und dick, das 2. etwas längere am Vor-
derende des untern Randes mit einer langen Borste besetzt,
eine kleine dünnere Borste am Vorderende des obern Ran-
des; das 3. Glied ebenfalls ziemlich stark, etwas länger wie
das vorhergehende, in der Mitte des untern Randes mit einer
ziemlich starken, am Ende abgerundeten, fast. griffelförmigen
Borste, eine andere lange spitze Borste findet sich am Vor-
derende dieses Randes, an der Basis von 2 kleinen Borst-
chen umgeben. An der Innenseite dieses Gliedes entspringen
am Vorderende ober der schon erwähnten Borste noch 5
lange gegen das Ende hin gefiederte Borsten und ragen bis
zum Ende der Klauen des letzten Gliedes. Die folgenden
Glieder sind beträchtlich schmäler. Das 4. Glied ist kürzer
als das 3. und 5., nach vorn hin schief abgestutzt und hier
mit 2 Börstchen sowohl an der obern als untern Seite be-
setzt, das untere etwas länger. Das 5. Glied trägt am Ende
des obern Randes 2 lange, klauenförmige und 2 kurze ein-
fache Borsten, ebenso findet sich am Ende des verlängerten
letzten Gliedes eine längere und eine kürzere etwas ge-
krümmte Klaue, beide an der concaven Seite gegen die Spitze
hin feingezähnt, überdiess an der Basis 3 kleinere einfache
Börstchen.
Die Oberlippe erscheint in der Mitte ausgebuchtet und
an den seitlichen abgerundeten Läppchen fein bewimpert. Die
Mandibel fast dreieckig, nach oben zugespitzt, nach unten
verbreitert und am Kaurande mit 4—5 spitzen Zähnchen
besetzt; der Palpus Agliedrig, das 1. Glied von mässiger
Länge, an der Vorderseite mit 2 Fiederborsten, an der Hin-
terseite mit einem vierlappigen Kiemenanhang; das 2. Glied
kurz, an der Vorderseite mit 4 an der Basis etwas verdick-
ten Fiederborsten, an der Hinterseite mit 2 einfachen langen
Borsten; das 3. grössere Glied am Ende vorn mit einer
grössern Borste, hinten mit 3 beisammenstehenden Borsten
versehen, das 4. Glied schmal, konisch, am Ende mit 4 Ha-
ckenborsten.
Das 1. Paar der Maxillen ist in beiden Geschlechtern
ganz gleich geformt, nach unten hin mit 4 am Rande mit
kurzen, leicht gefiederten Hackenborsten besetzten Läppchen,
wovon das letzte 2gliedrig ist. Die Läppchen nehmen von
vorne nach hinten an Länge zu, an der Basis des 1. Läpp-
chens stehen 2 lange Borsten, nach rückwärts ragt ein drei-
eckiger, fiederlappiger Branchialanhang nach oben. — Am
2. Maxillenpaar mangelt ein Branchialanhang und ist die Ge-
el
N iia
stalt je nach dem Geschlechte verschieden. Beim Weibchen
erscheint der Kieferast 2 gliedrig, nach unten hin verbreitert
und am abgerundeten Rande des 2. Gliedes mit kurzen star-
ken Hackenborsten besetzt, der nach hinten gerichtete Papal-
anhang ist keulförmig, nach rückwärts zugespitzt, undeutlich
gegliedert, an der Spitze mit 2 Börstchen versehen. Beim
Männchen ist die Maxille der rechten Seite gewöhnlich grösser
wie der linken. Sie ist aus 3 Gliedern zusammengesetzt,
das 1. Glied kurz, das 2. länger und am Ende mit einer
Reihe kurzer steifer Hackenbörstchen bewaffnet; das 3. Glied
nach hinten gerichtet. Letzteres ist auf der rechten Seite
länger und schmächtiger als auf der linken Seite, beiderseits
mit einer spitzen Endklaue versehen, die gegen den untern
Rand des vorhergehenden Gliedes eingeschlagen werden kann,
wo sich auch gewöhnlich ein zahnartiger Vorsprung vorfindet.
Die Endklaue der linken Maxille ist mehr gekrümmt wie
jene der rechten Maxille. Von diesen 3 Gliedern dienen
beim Männchen bloss die 2 ersten zum Kaugeschäft, während
das Endglied mit der Klaue als Greiforgan zum Festhalten
des Weibchens bei der Begattung benützt wird.
Das 1. Fusspaar besteht aus 5 Gliedern, das letzte
kurze Glied mit einer Klaue und zwei Borsten versehen, am
vordern Rande vom 2. und 3. Gliede je 1 Borste. Beim
Weibchen erscheint dieses Fusspaar gewöhnlich schmächtiger,
die Endklaue kürzer als beim Männchen. — Das 2. Fuss-
paar, in beiden Geschlechtern fast gleich gebildet, ist 4 gliedrig,
das 2. und 3. Glied mit einer Borste am Ende, das 4. Glied
mit einer Borste in der Mitte des untern Randes und 3 Bor-
sten am Ende. — Die beiden Schwanzhälften erscheinen von
der Seite angesehen von der Basis gegen die Spitze hin all-
mählig verschmälert, gegen die Mitte hin nach hinten etwas
vorgewölbt, an der Spitze mit 3 Borsten besetzt, wovon die
hinterste die kleinste ist. Sie liegen gewöhnlich dicht neben
einander, hängen ziemlich fest zusammen, sind jedoch nicht
verwachsen, sondern lassen sich bei einigem Druck von ein-
ander trennen. —
Opie
_Kérperlinge 1 Mm.
Findet sich bei uns überall verbreitet, besonders in
tiefern stehenden Gewässern, wo sie ziemlich lebhaft ge-
wöhnlich mit dem Rücken nach unten gekehrt herumschwimmt.
Sie wurde von mir beobachtet im Lanser Moor, in Seefeld,
im Achensee bei Buchau, in Sterzing, Meran, Doblinosee.
Gattung: Cypris, O. F. Müller.
Uebersicht der Arten:
A. Die Ruderborsten am Ende des 3. Gliedes der un-
tern Antennen so lang wie die Endklauen oder länger.
a) Die beiden Hälften des Schwanzes wohl entwickelt,
verlängert, mit 4 Endborsten, wovon die beiden mittlern die
längsten, stachelartig.
cc) Die Schalen am Vorderende mit Zähnchen oder Höcker-
chen bewehrt.
Die Zähnchen an beiden Schalen sowohl am Vorder-
als am Hinterrande vorhanden C. pubera Müll.
Die Zähnchen oder Höckerchen bloss am Vorderrande
der rechten Schale sichtbar C. fuscata Jur.
ß) Die Schalen am Vorderende glatt.
Die Schalen mit schmalem durchsichtigen Vordersaum
versehen (braun, eiförmig) C. ovum Jur.
Die Schalen mit breitem, durchsichtigen Vordersaum
versehen.
Schalen am Hinterende bloss in der untern Hälfte mit
durchsichtigem Saum C punctata Jur.
Schalen längs des ganzen Hinterrandes mit durchsich-
tigen Saume
Schale viel länger wie hoch, grün.
C. fasciata Müll.
Schale wenig länger, wie hoch, bräunlich.
C. scutigera Fisch.
b) Die beiden Hälften des Schwanzes dünn, kurz, mit
einfacher gerader Endborste versehen. C. vidua Müll.
B. Die Ruderborsten am Ende des 3. Gliedes der un-
tern Antennen kurz, kaum die Mitte des 4. Gliedes er-
reichend. C. ornata Müll.
1. Cypris pubera.
Cypris pubera, O. F. Müller: Entomostraca p. 56 tab. V fig. 1—5. —
S. Fischer: Ueber das Genus Cypris p. 154, tab. VIII fig. 1—8;
Liljeborg: de Crustaceis p, 108 tab. X fig. 1—5. — Monoculus
ovatus, Jurine: Monocl. p. 170 tab. XVII fig. 5—6.
Die Schale rundlich eiförmig, an der ganzen
Oberfläche dicht behaart, am Vorder- und Hin-
terrande mit Stachelzähnen besetzt, Bauchrand
der Schale fast gerade, Vorder- und Hinterrand
abgerundet, Rücken convex, die Seiten stark
vorgewölbt. Die Schwanzhälften schlank, ge-
rade, die beiden Endstachel schwach gesägt,
der längere von halber Länge des Basalgliedes.
Farbe grün oder bräunlichgrün. Länge 2), Mm.
Von der Seite betrachtet erscheint die Schale eiförmig,
bei ältern Individuen fast dreieckig, indem die stark gewölbte
Rückenseite in der Mitte beinahe einen Winkel bildet, wäh-
rend die untere Seite fast gerade erscheint. Vorder- und
Hinterrand sind gleichmässig abgerundet, mit spitzen Zähnen
besetzt. Am Vorderrande sind sie gewöhnlich zahlreicher,
6—7, am Hinterrande nur 3—4, wovon die 2 untersten
stärker-und länger. Auf diese eigenthümliche Bewaffnung
des Schalenrandes wurde zuerst von Fischer aufmerksam ge-
macht und durch sie lässt sich die Art ganz leicht von allen
andern unterscheiden. Von oben angesehen erscheint die
Schale oval, in der Mitte stark vorgewölbt, nach den Enden
hin gleichmässig verschmiilert. An der Unterseite ist sie
breit, gegen die Mitte hin concav vertieft, die Schalenränder
einwärts gekrümmt. Die ganze Oberfläche der Schale ist
mit zahlreichen langen Haaren bedeckt, die besonders am
Rande stark vorragen. Die Farbe des Thieres variirt vom
Hellgriinen bis zum Dunkelolivengrünen, ja fast Schwarzen,
eu SA
was von der eben oder kurz vorher stattgefundenen Häutung,
vom Alter oder von anklebenden fremden Stoffen herrührt.
Meistens kann man an der Seite der Schale 2 schräg von
vorn nach hinten und von oben nach unten hinziehende
Streifen unterscheiden, indem die darunter liegenden Eier-
stöcke durchscheinen, daher jene Streifen zur Zeit der Reife
auch meist eine röthliche Farbe annehmen. Das Auge ist
schwarz, rundlich.
Bei jüngern Individuen ist die Schale immer mehr läng-
lich, lichter, zeigt häufig concentrisch verlaufende Zuwachs-
streifen, oder bei beginnender Verdickung ein maschiges Netz-
werk. Nach dieser verschiedenen Form der Schalen hat man
eine ganze Reihe von Arten aufgestellt, die aber nichts an-
deres sind als Entwicklungsformen von C. pubera. Als solche
sind anzusehen: Monoculus striatus Iur., Cypris reticulata
Zdd., ©. tessellata Fisch., Mon. unifasciatus Iur., C. strigata
Müll., C. insignis Zdd., C. Westwoodii Bd., C. gibbosa Bd.
Die obern Antennen sind 7 gliedrig, das 1. Glied dick,
mit einer Borste am Ende des untern Randes und einer
zweiten in der Mitte des obern Randes versehen; das 2.
Glied kurz mit einer Borste am Ende des obern Randes,
das 3. Glied das längste mit einer Borste am Vorderende
des obern und untern Randes; die 4 folgenden Glieder neh-
men allmählig an Länge ab, das 4., 5. und 6.Glied je mit
4 Borsten am Vorderende, davon jene des obern Randes
länger wie die am untern Rande stehenden, das letzte Glied
ebenfalls mit einem Borstenbüschel an der Spitze, der eben-
falls aus 2 längern und 2 kürzern Borsten besteht.
Die untern Antennen sind 5 gliedrig, die einzelnen Glie-
der stimmen in Form und Bewaffnung mit der vorhergehen-
den Art im Wesentlichen überein, nur ist das letzte Glied
bedeutend kürzer. Vom Ende des 4. und 5. Gliedes . ent-
springen 2 längere, gegen die Spitze hin feingezähnte klauen-
artige Borsten, dessgleichen vom Ende des 3. Gliedes 5 lange
Ruderborsten, die bis ans Ende der genannten Klauen
reichen.
eile), een
Die Mundtheile besitzen einen ähnlichen Bau wie bei
N. monachus, nur findet sich auch am 2. Maxillenpaar ein
deutlicher 5lappiger Kiemenanhang.
Das 1. Fusspaar ist 5gliedrig; das 1. Glied ziemlich
stark und dick, unbewehrt; das 2. Glied verlängert, am Ende
des untern Randes mit einer Borste, das 3. Glied wieder
kürzer wie das vorige und ebenfalls mit einer Borste am
Vorderende, das 4. Glied fast von gleicher Länge wie das
3., am Ende mit einer Borste, das letzte Glied sehr kurz
mit 2 Stachelborsten an der Spitze, zwischen ihnen entspringt
eine lange, stark gekrümmte, am concaven Rande fein ge-
zähnelte Klaue. — Das 2. Fusspaar zeigt 4 Glieder, von
denen das 3. am längsten erscheint, das 2. und 3. mit einer
Borste am Ende, das 4. Glied mit einer Borste in der Mitte
und 2 Borsten an der stumpfen Spitze.
Die beiden Schwanzanhänge sind lang, schmal und fast
gerade, am hintern Ende mit 2 spitzen gekrümmten End-
klauen und 2 Börstchen, eines an der Basis der längern
Endklaue, das andere vor der kürzern Endklaue am Rande.
Ich fand diese Art bisher nur in Seefeld und Meran.
2. Oypris fuscata.
Monoculus fuscatus, Jurine: Monocl. p. 174, tab. XIX fig. 1—2. —
Cypris fusca, Strauss, Memoir. du Mus. tom. VII pl. 1 f. 4—16
Fischer: Das Genus Cypris p. 156, tab. VIII fig. I—-8. — C. in-
congruens, Liljeborg: de Crustaceis p. 119, tab. IX fig. 6—7, tab,
XI fig. 1—4, tab. XI fig. 6. — Monoculus conchaceus, Jurine:
Monocl. p. 171, tab. XVII fig. 7—8.
Körper von der Seite nierenförmig, Vorder-
und Hinterrand abgerundet, der Rücken ziemlich
convex, der Bauchrand in der Mitte sanft nach
oben ausgeschweift. Die rechte Schale be-
trächtlich kürzer wie die linke, erstere am Vor-
derrande mit rundlichen höckerartigen Erhaben-
heiten besetzt, letztere mit einfachem breiten
glashellen Saum versehen. Rand und Oberfläche
behaart. Die Schwanzhälften schlank, gerade,
u RONAN
ziemlich lang. Farbe gelblich, gelblichroth,
braun oder grünlich. Länge 1.5 Mm.
Zu dieser Art dürften als jüngere Entwicklungszustände
auch gerechnet werden: Monoculus ruber, M. aurantius, M.
bistrigatus und M. ophthalmicus Jur. — Sie charakterisirt
sich hauptsächlich durch die ungleiche Länge der Schalen
und durch die Anwesenheit von körnerartigen oder höcker-
artigen Erhabenheiten am Vorderrande der kürzern rechten
Schale. Uebrigens zeigen sich ähnliche kleinere Erhabenheiten
auch bisweilen am hintern Rande der Schale zwischen dem
Ursprunge der Haare. DBei ausgewachsenen Exemplaren
erscheint die Schale von der Seite vorn immer niederer
wie hinten, ihre Höhe beträgt *4 ihrer Länge. Von oben
betrachtet ist sie eiförmig, nach vorn ziemlich verschmälert,
hinten breiter. An der untern Seite sind die Schalenränder
gegen die Mitte hin ziemlich einwärts gekrümmt. Die Farbe
der Schale ist veränderlich, bei jiingern Thieren meist lichter,
bei ältern dünkler. Am häufigsten ist die Färbung braun
mit Uebergängen in’s Gelbliche oder Rothe. Auf dem Rücken
hinter dem Auge findet sich gewöhnlich ein dunklerer Fleck,
von welchem an der Seite ein röthlicher Streifen nach hinten
und unten zieht.
Die obern Antennen verhalten sich ganz wie bei der
vorigen Art. An den untern Antennen sind die 5 Ruder-
borsten am Ende des 3. Gliedes deutlich gefiedert und rei-
chen bis an’s Ende der Klauen. Das 1. Fusspaar ist mit
einer langen, gegen die Spitze hin stark gekrümmten, am
concaven Rande fein stachelzähnigen Klaue am Ende ver-
sehen. Die Endklaue des letzten Fusspaars ist kurz.
Die Schwanzanhänge sind schlank, gerade, an der Spitze
mit einer längern stachelartigen und einer kürzern Borste,
und 2 andern Borsten am Ende des hintern Bandes be-
wafinet.
Ist die gemeinste Art bei uns in Tirol, findet sich so-
wohl in fliessendem klaren Wasser als auch in Tümpeln,
er
Lachen mit stehendem Wasser, wo faulende Pflanzenstoffe
vorhanden sind. Wurde an verschiedenen Orten in Nord-
und Südtirol, im Thal und im Gebirg, bis zu 6000’ Höhe
(z. B. in Kühthei) beobachtet.
3. Cypris scutigera.
Fischer: das Genus Cypris p. 163, tab. XI fig. 3—5.
Körper in seitlicher Lage eiförmig, Vorder-
und Hinterrand abgeruudet, der Rücken convex,
der Bauchrand fast gerade, breit. Die rechte
Schale ist etwas kürzer wie die linke, ohne Hö-
ckerbesatz am Rande Rand und Oberfläche
ziemlich behaart. Die Schwanzanhänge dünn,
lang. Die Farbe gelblichbraun, oft gefleckt.
Länge 1.4 Mm.
Zenker hält diese Art identisch mit C. Joanna Baird !)
doch ist es bei der kurzen Beschreibung und unvollkommenen
Abbildung des letzteren wohl nicht möglich sich darüber ein
sicheres Urtheil zu bilden. Sie hat einige Aehnlichkeit mit
C. fuscata, doch unterscheidet sie sich von ihr leicht durch
die seitlich mehr gewölbte Schale, durch die glatte Beschaf-
fenheit des Randes, durch die breite Unterseite. Wegen der
starken Wölbung der Seiten lässt sich das Thier nur schwer
in eine seitliche Lage bringen. Der Vordertheil ist etwas
niederer als der Hintertheil der Schale, die grösste Höhe
fällt beiläufig in die Mitte der Schale und beträgt fast die
Hälfte der Länge. Von oben angesehen ist das Thier eben-
falls eiförmig, nach vorne zugespitzt, die Seiten stark convex,
besonders nach hinten, der Hinterrand abgerundet. Von
unten betrachtet erscheint die Schale breit, die Ränder stark
einwärts gekrümmt, in der Mitte lappig vorspringend. Die
rechte Schale ist nach vorne hin etwas kürzer wie die linke.
Die Farbe der Schale ist weisslich oder grünlichgelb oder
bräunlich mit unregelmässigen weisslichen oder weislichgrauen
1) Baird, British Entomostraca p. 155 tab XVIII fig. 5.
Naturw.-med. Verein. 9
He gene} Ce Bi
wolkigen Flecken versehen, übrigens ziemlich durchsichtig.
Das Auge ist schwarz, viereckig. Die Schalenoberfläche ist
glatt und glänzend, jedoch mit langen Haaren, die auf kleinen
rundlichen Höckern entspringen, besetzt; die Haare sind be-
sonders am Vorder- und Hinterrande verlängert, am Bauch-
rande aber kürzer. Am Rande der linken Schale findet
sich vorn und hinten ein ziemlich breiter heller Saum, an
der rechten ist er schmäler. Die Muskeleindrücke sind
länglich.
Die beiden Schwanzhälften lang und dünn, leicht ge-
krümmt, mit 2 Endkrallen, die gegen die Spitze hin gezäh-
nelt sind, eine kleine Borste au der Basis derselben nach
vorn, eine andere kleine etwas abgerückt am hintern Rande.
Einzeln im Giesseu bei Innsbruck und in Gräben bei
Innsbruck gefunden.
4. Cypris punctata.
Monoculus punctatus, Jurine: Monoel. p. 175, pl. XIX f. 3—4. —
Cypris punctata, Zenker: Krebsthiere 8. 77 Taf. IIT A. — C. com-
pressa, Baird: Brit. Entom. p. 154, tab. XIX fig. 14. — C. ele-
gantula, Fischer: das Genus Cypris S. 161, Taf. X fig, 12—14.
Schalen von der Seite eiförmig, vorne nie-
driger wie hinten, Vorder- und Hinterrand ab-
gerundet, unterer Rand fast gerade. Die linke
Schale vorn mit breitem glashellem Saume, hin-
ten nur in der untern Hälfte des Randes mit
schmalem Saume vorragend. Behaarung mässig.
Die beiden Schwanzhälften dünn, ziemlich ge-
rade. Färbung gelblichgrün mit dunklernFlecken.
Länge 0.6—0.8 Mm. -
Ein hervorragendes Merkmal dieser Art ist, dass die
etwas längere linke Schale in der untern Hälfte des Hinter-
randes mit schmalem Saume vorspringt. Bei der Ansicht
von oben erscheint die Schale länglich eiförmig, nach vorne
hin stark verschmälert, seitlich mässig vorgewölbt, nach hin-
ten abgerundet. Die Oberfläche ist ziemlich glatt, mit kurzen
ge
Börstchen sparsam besetzt, nur an dea Rändern finden sich
etwas längere Börstchen vor. Die Farbe ist gelblichgrün
oder bräunlich mit dunklern braunen Flecken besäet. Das
Auge ist schwarz, ziemlich breit. Die Gliedmassen sind
schlank und beweglich, die Ruderborsten an beiden Antennen -
von grosser Länge, die Thiere können sehr fertig schwimmen
und auch hurtig am Boden laufen.
Von der vorhergehenden Art lässt sie sich leicht unter-
scheiden dnrch geringere Körpergrösse, durch schmälere Un-
terseite nnd weniger gewölbte Seitenflächen.
Fundort: Lanser Moor.
5. Cypris ovum.
Monoculus ovum, Jurine: Monocl. p. 179 tab. XIX fig. 18—19. —
Cypris ovum, Liljeborg: de Crust. p. 143 tab. X fig. 13—15;
Zenker: Krebsthiere S. 79 Taf. II B. — C. vulgaris, Zaddach,
Synopsis Crust. p. 35. — C. minuta, Baird: Brit. Entom. p. 155
tab. XVII fig. 7—8. — C. pantherina, Fischer: Das Gen. Cypris,
p. 163, tab. XI fig. 6—8.
Schale seitlich stark vorgewölbt, vorn et-
was niedriger als rückwärts, der obere Rand
gleichmässig gekrümmt, von oben angesehen
vollkommen eirund, vorn etwas schmäler wie
hinten, die Ränder der Schalen mit schmalem
lichten Saume versehen, Oberfläche ziemlich
behaart. Die beiden Schwanzhälften dünn, ge-
rade. Farbe braun. Länge 0.6 Mm.
Die grösste Höhe und Breite der Schale fällt beiläufig
in die Mitte, die Unterseite erscheint ebenfalls ziemlich breit,
indem die Ränder stark einwärts gekrümmt sind. Das Auge
ist gross viereckig, schwarz. Die Gliedmassen sind kurz,
aber kräftig und langbehaart. Die Oberfläche ist hellbräun-
lich oder röthlichbraun und oft mit einer Menge dunkler,
rundlicher Flecken besäet.
Sehr häufig in stehenden Gewässern, wo sie sich munter
herumtreibt. Von mir beobachtet in Lans, Giessen, Seefeld,
Achensee, Sterzing, Meran.
9%
Zone
6. Cypris vidua.
O. F. Müller: Entomostraca p. 55 tab. IV fig. 7—9; Jurine: Monocl.
p- 175 tab. XIX fig. 5—6; Fischer: Das G. Cypris p. 162 tab. XI
fig. 1—2; Liljeborg: de Crust. p. 111 tab. X fig. 1O—12. — C.
hirsuta, Fischer 1. c. p. 159 tab. X fig. 6—8. — C. affinis, idem
l. c. p. 160 tab. X fig. 9—11.
Schale von oben angesehen eiförmig, beider-
seits stark vorgewölbt, vorn mässig verschmä-
lert, hinten breit abgerundet, Bauchrand ziem-
lich gerade und flach, am Vorderrande der rech-
ten Schale zwischen dem Ursprunge der Borsten
mit kleinen körnerartigen Erhabenheiten, Ober-
fläche und Ränder stark behaart. Die beiden
Schwanzhälften dünn, kurz, mit einfacher ge-
rader Endborste. Farbe grünlich mit dunklen
Querbinden. Länge 0.3 Mm.
Diese kleine Art ist der vorigen sehr verwandt, lässt
sich jedoch durch mehrere wesentliche Merkmale leicht von
ihr unterscheiden. Von den beiden nach Aussen stark vor-
gewölbten Schalen ist die rechte nach vorn hin etwas kürzer
wie die linke, letztere mit einfachem glashellem Saume am
Vorderrande, erstere mit kleinen körnerartigen Erhabenheiten
zwischen dem Ursprunge der Borsten daselbst versehen. An
der Bauchseite ist die Schale ziemlich breit, indem die Rän-
der stark einwärts gekrümmt sind. Die ganze Oberfläche
ist mit kurzen steifen Börstchen dicht besetzt , die an den
Rändern eine grössere Länge erreichen, übrigens häufig punc-
tirt oder netzförmig. Das Auge ist gross, viereckig, schwarz.
Die Färbung ist sehr verschieden, selten ganz einfärbig,
grünlich oder grünlichgelb, meist mit einer oder mehreren
dunklen Querbinden versehen. Die beiden Schwanzhälften
sind im Vergleiche mit andern Arten sehr rudimentär ent-
wickelt, kurz, gerade, gegen das Ende hin verjüngt, mit
einem kleinen Börstchen vor der Spitze und einer geraden
Endborste, die fast eben so lang ist wie das Basalglied.
Nicht selten in stehenden Gewässern zwischen Wasser-
AOI. ee
pflanzen. Ich fand sie im Lanser Moor, in Seefeld und
Sterzing.
7: Cypris fasciata.
C. fasciata, Müller: Entom. p. 53 tab. IV fig. 1—3; Fischer: Das G.
Cypris p. 151 tab. V fig. 9-19. — C. clavata, Brit. Entom. p.
157 tab. XVIII fig. 4; Liljeborg: De Crustaceis p. 121 tab. XI
fig. 5—7. — C. tristriata, Baird 1. c. p. 152 tab. XVIII fig. 1—3.
— C. drcemedarius, S. Fischer 1. c. p. 153 tab. VII fig. 5—9.
Körper von der Seite angesehen viel länger
wie hoch, einem Gerstenkorn Ähnlich, vorne und
hinten abgerundet, oben wenig gekrümmt, unten
fast gerade. Die Schalen auf der Oberfläche mit
einzelnen, am Rande mit zahlreichern Haaren
besetzt, der Vordersaum glashell, durchsichtig
Die beiden Schwanzhälften schmal, lang, gerade.
Die Färbung grün. Länge 2 Mm.
Diese Art ist dadurch ausgezeichnet, dass ihre Schale viel
länger und niedriger erscheint wie bei den übrigen Arten,
so dass die Höhe höchstens nur ein Drittel des Länge be-
trägt. Vorder- und Hintertheil sind fast gleich hoch, der
Vorderrand stumpfer wie der hintere, der Rücken ist wenig
gewölbt, der untere Rand fast gerade, nur in seinem vordern
Drittheil etwas nach oben ausgeschweift, die grösste Höhe
fällt etwas hinter das Auge. Von oben angesehen ist die
Schale länglichoval, ziemlich compress, vorn und hinten ver-
schmälert. Die linke Schale etwas kürzer wie die rechte.
Die Farbe der Schale ist lichtgrün, gewöhnlich mit 2 dunk-
lern divergirenden Flecken, einem vor- und einem hinter der
Mitte. Hinter und etwas unter dem Auge findet sich auch
manchmal ein gelblicher oder röthlicher Fleck. — Die Ru-
derborsten an den untern Antennen reichen bis ans Ende
der Klauen. Die beiden Schwanzhälften sind nur an ihrer
Basis etwas angeschwollen, sonst in ihrer ganzen Ausdehnung
ziemlich schlank und gerade, am Ende mit 2 starken, etwas
gekrümmten Krallen, die vordere fast noch einmal so lang
wie die hintere, beide am concaven Rande mit spitzen Zähn-
chen besetzt, überdiess eine kürzere Borste an der Basis der
längeen und kürzern Endkralle.
Ziemlich häufig im Lanser Moor.
Cypris ornata.
C. ornata, Müller: Entom. p. 51, tab. II fig. 4—6; Jurine: Monocl.
p- 170 tab. XVII fig. 1—4. — €. Jurinei, Zaddach: Synops. Crust.
pruss. p. 36; S. Fischer: G. Cypris p. 152, tab. VI fig. 3—9; tab.
VII fig. 1—4; Liljeborg: De Crust. p. 125 tab. XI fig. 2426.
— C, reptans, Baird: Brit. Entom. p. 160 tab. XIX fig. 3. — C.
tristriata, Baird 1. c. p. 152 tab. XVIII fig. 1—3. — Monoculus
virens, Jurine l. c. p. 174 tab. XVIII fig. 15. 16. — M. villosus
Jurine 1. c. p. 178 tab: 19 fig. 14. 15.
Schale in der Seitenlage nierenförmig, vorn
und hinten gleich hoch, breit abgerundet, oberer
Rand wenig gewölbt, unterer Rand etwas vor
der Mitte ausgebuchtet, die Ränder mit längern
Haaren besetzt, die Oberfläche mehr glatt. Die
Ruderborsten am 2. Antennenpaar sehr kurz. Die
beiden Schwanzhälften lang, gerade, am hintern
Rande von der Mitte an feingezähnt. Farbe grün
oder .gelblichgrün mit dunklern Binden. Länge
1,5 Mm.
Diese ziemlich grosse und meist schön gefärbte Art
unterscheidet sich von allen übrigen durch die Form der Ru-
derborsten am 2. Antennnenpaar, welche äusserst verkürzt
sind, so dass sie nicht einmal die Mitte des 4. Gliedes er-
reichen. Diese Kürze der Ruderborsten verursacht auch die
Unfähigkeit zum Schwimmen, sie kann sich nur kriechend
vorwärtsbewegen. Die grösste Länge des Körpers beträgt
1.3 Mm., die grösste Höhe 0.8 Mm. Bei der Ansicht von
oben erscheint der Körper länglich oval, seitlich ziemlich
compress, nach vorn hin etwas mehr verschmälert wie rück-
wärts.
Das Auge ist schwarz, ziemlich breit. Die Oberfläche
der Schale glatt, äusserst sparsam behaart. Die Endklaue
Ns BECP Ye ti
des 1. Fusspaares ist lang, dünn, gebogen, an der Innenseite
bis gegen die Spitze hin feingezähnelt. Die dünnen, langen
- Schwanzanhänge charakterisiren sich dadurch, dass sie am
hintern Rande von der Mitte bis gegen die Spitze mit spitzen
Zähnchen besetzt sind. An ihrem Ende tragen sie 2 ge-
krümmte Klauen und 2 Börstchen; die hintere Klaue fast
um die Hälfte kürzer wie die vordere, beide am concaven
Rande mit Stachelzähnchen bewehrt.
Die Färbung variirt bedeutend; bald ist sie lichtgrün
mit dunklern grünen Binden am obern Rande und längs den
Seiten (Monoculus virens Iur.) oder gelblichgrün mit dunkel-
grünen oder röthlichen Zeichnungen hinter dem Auge (M. or-
natus Iur.), die sich vom Rücken gegen die Seiten hinziehen.
Eine Verschiedenheit zwischen C. ornata Müll. und M.
ornatus Tur. kann ich nicht zugeben, dagegen scheint die von
Fischer (l. c. p. 157 tab. IX fig. 7—10) unter diesem Na-
men beschriebene Form nicht hieher zu gehören, die vielleicht
eher, nach der Beschaffenheit des Vorderrandes der Schale
zu urtheilen, eine Entwicklungsform von C. pubera bildet,
wiewohl die glatte Oberfläche derselben wieder nicht dafür
spricht.
Ich fand die Art ziemlich häufig in Gräben und Lachen
bei Meran.
Gattung: Candona, Baird.
Uebersicht der Arten:
Schale grün, Schwanzanhänge kurz, mit einfacher langer
Endborste. C. brachyura Hr.
Schale weiss, Schwanzanhänge verlängert, mit 2 klauen-
förmigen Endborsten. C. candida Müll,
Candona brachyura nov. sp.
Taf. I, Fig. 1—8.
Körper von der Seite nierenförmig, noch ein-
mal so lang als hoch, Vorder- und Hinterrand
Bes Qe eee
abgerundet, Oberseite gewölbt, Bauchrand ge-
rade, in der Mitte leicht ausgeschweift. Rand
und Oberfläche der Schale mit Börstchen be-
setzt. Das 2. Antennenpaar ohne Ruderborsten.
Die beiden Schwanzhälften kurz, dünn, mit ein-
facher langer Endborste Farbe grün. Länge
0.7 Mm.
Die Schale dieser Art erscheint bei der Betrachtung
von oben ziemlich compress, nach vorn und hinten ver-
schmächtigt, die rechte Sahale etwas kürzer wie die linke,
in der seitlichen Lage nach vorn hin etwas stumpfer wie
rückwärts, die grösste Höhe unmittelbar hinter dem Auge.
Vorder- und Hinterrand mit lichtem breiten Saume versehen.
Die obern Antennen von mässiger Länge, 7 gliedrig, die
3 letzten Glieder mit langen Borsten besetzt. Die untern
Antennen ziemlich stark, fussförmig, im Allgemeinen wie bei
übrigen Cyprisarten gebaut, nur mangeln gänzlich die 5 Ru-
derborsten am Ende des 3. Gliedes. — Das 2. Maxillenpaar
ohne Branchialanhang. Das letzte Glied am 1. Fusspaar
lang, gekrümmt, klauenformig, am innern Rande feingezähnt.
Die Schwanzanhänge zeigen wie bei C. vidua eine geringe
Entwicklung. Sie bestehen aus einem kurzen mit einem klei-
nen Börstchen am Rande besetzten Basalgliede, welchem ein
langes, gerades, nur gegen die Spitze hin leicht gekrümmtes
stachelförmiges Endglied folgt. Färbung grün mit dunkler
vom Auge schief abwärts ziehender Binde.
In kleinen Tümpeln mit schlammigem Grunde oberhalb
der Arzler Alpe bei Innsbruck in einer Höhe von 4500’ ge-
funden.
Candona candida.
Cypris candida, Müller: Entom. p. 62 tab. VI fig. 7—9; Jurino: Mo-
nocl. p. 176 tab. XIX fig. 7—8. — Candona candida, Liljeborg, de
Crust. p. 127 tab. XI fig. 18, 20. — Candona lucens, Baird: Brit.
Ent. p. 160 tab. XIX fig. 1. — Cypris detecta, Müller 1. c. p. 49
tab. II fig. 1—3. — C. compressa Koch, Deutschlands Crustaceen
h. 21 tab. 17. — C. fabaeformis, Fischer: G. Cypris p. 148 tab.
Bade Ober
III fig. 6—16. —.C. pellucida, idem 1. c. p. 149 tab. V fig. 1—
4. — C. acuminata, idem 1. c. p. 148 tab. IV fig. 12—16; Zen-
ker: Krebsthiere p. 74 tab. II D. — C. pigra, Fischer 1. c. p. 158
tab, IX fig. 11—16.)
Schale von der Seite länglich, nierenförmig,
der Vordertheil etwas niedriger als der Hinter-
theil, am Rücken wenig gewölbt, der untereRand
ziemlich stark nach oben ausgeschweift, der vor-
dere und hintere abgerundet, letzterer auch bis-
weilen nach unten eckig vorspringend. Ober-
fläche fast glatt, an den Rändern mit längeren
Haaren besetzt. Vorder- und Hinterrand der
linken Schale mit hellem Saume. Dieuntern An-
tennen ohne Ruderborsten. Die beiden Schwanz-
hälften gerade oder leicht gekrümmt, mit 2 End-
klauen und einem etwas abgerückten Börstchen
am hintern Rande. Farbe weiss, oft perlmutter-
glänzend. Länge 1—1.5 Mm. |
Diese Art zeigt mannigfache Abänderungen in ihrer
äussern Form, die oft ziemlich auffallend sind. Wie schon
Zenker nachgewiesen hat, hängen diese zum Theil mit dem
Geschlechte zusammen. So ist bei den Weibchen der Hin-
terrand der Schale gewöhnlich nach unten in einen stumpfen
eckigen Fortsatz ausgezogen, während bei den Männchen der
Hinterrand mehr abgerundet erscheint. Von oben angesehen
erscheint die Schale ziemlich compress und namentlich nach
vorn hin stark verschmälert, die linke Schale gewöhnlich
länger wie die rechte, erstere vorn und hinten mit hellem
Saume versehen. Die Oberfläche der Schale ist mit wenigen
Haaren bedeckt, am Vorder- und Hinterrande sind sie zahl-
reicher.
Die obern Antennen sind schlank und dünn, die letzten
3 Glieder nach vorn und unten mit langen Borsten besetzt.
Die untern kräftigen aus 5 Gliedern zusammengesetzten An-
tennen besitzen keine Ruderborsten am 3. Gliede, daher die
Thiere auch nicht schwimmen kénnen, sondern langsam her-
umkriechen.
Die Mundtheile sind von gewöhnlicher Form, nur man-
gelt an dem 2. Maxillenpaare ein Branchialanhang.
Am Hinterleibe bemerkt man oft, besonders beim Weib-
chen beiderseits einen dreieckigen nach hinten und unten vor-
springenden Fortsatz, zwischen welchen dann gewöhnlich der
Schwanz nach unten eingeschlagen wird. Manchmal ist die-
ser Fortsatz mehr abgerundet, kurz, kann aber auch ganz
fehlen. Auch die beiden Schwanzhälften verhalten sich ver-
schieden, sie sind entweder nach ihrer Länge leicht gekrümmt
oder mehr gerade, am Ende stets mit 2 stachelartigen Klauen,
die an ihrem concaven Rande fein gezahnt sind und etwas
entfernt von ihnen am Hinterrande noch ein kleines Börstchen.
Findet sich ziemlich häufig im Schlamme stehender oder
langsam fliessender Gewässer, wo sie zwischen abgestorbenen
Blättern und Zweigen herumkriecht.
Fundort: Im Giessen bei Innsbruck, in Seefeld, in Ster-
zing, Meran.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel 1.
Fig. 1. Cyclops Clausii, Weibchen von der Rückenseite.
2 5 > Hinterleib von der Unterseite.
NICH „ Gredleri, Weibchen von der Rückenseite.
SUN en mR Vordertheil des Männchen.
Tafel IT.
Fig. 1. Candona brachyura, von der Seite.
„AZ: is von oben gesehen.
ler 5 N vorderer Schalenrand.
coy ofa N cn obere Antennen.
ay tis és 3 untere %
10° A, ” 1. Fuss.
Le eu x Schwanzanhinge von der Seite.
8.
° ” „ ” » Fläche.
Nove plantarum species
in Himalaje montibus a cl. Jeschke collecte.
Auctore
A. Kerner.
1. Primula Jeschkeana
foliis vernatione revolutivis tenuibus laevigatis, subtus fa-
riniferis, oblongis vel oblongo-ovatis, obtusiusculis, mar-
gine repando-crenulatis, versus basin membranaceam va-
ginantem sensim sensimque attenuatis, scapo elato, foliis
duplo triplove longiore infra umbellam farinaceo, bracteis
exauriculatis, ex ovata basi longe attenuatis acutis , pedi-
cellis farinaceis bracteis duplo longioribus, floribus 5—1 2,
speciosis umbellatis erectis viv nutantibus, inodoris, calyce
fere ad basin usque quinquepartito, segmentis lineari-lan-
ceolatis acutis, intus farinaceis, corollae tubum dimidium
wx superantibus, corollae hypocraterimorphae saturate vio-
laceo-purpureae limbo empanso, segmentis orbiculato-ovatis
integris. U..
Habitat in montibus Himalajae in ditione Lahul, locis soli non
expositis praecipue in declivitatibus septentrionalibus alt. 13,000 ped.
s. m. solo schistoso.
Ex sectione Aleuritia. — Distinctissima. — Corollae
lacinüs integris cum nostra supra descripta specie ew sec-
SMM ooh
tione Aleuritia Schott*) solum P. nivalis Pall., P. pur-
purea Royle, P. Stuartii Wall. et P. fimbriata Wall.
conveniunt. Differt autem P. nivalis Pall. foliis argute
et conferte denticulatis, calyce ad medium usque fisso et
floribus minoribus; P. purpurea Royle foliis lanceolatis
et calycis campanulato-tubulosi via 5-fidi dentibus obtusis ;
P. Stuarti Wall. foliis late lanceolatis acutis argute ser-
ratis, caule bipedali et floribus luteis; P. fimbriata Wall.
foliis lineari-lanceolatis acutis crenatis et calyce non
ultra medium fisso. — Structura foliorum P. Jaeschkeana
maxime cum P. longiflora All. et affinibus convenit. Dif-
ferunt autem: P. longiflora All., P. farinosa L., P. sco-
tica Hook., P. lepida Duby, P. stricta Hornem., P. ca-
pitellata Boiss., P. altaica Lehm., P. davurica Spreng.,
P. algida Adams, P. auriculata Lam. et P. pycnorhiza
Ledeb. bracteis basi auriculatis, calyce non ultra medium
‚fisso et corollae laciniis obcordatis emarginato-bifidis. —
P. borealis Duby et affines foliis spathulatis vel cuneifor-
mibus carnosulis et corollae lacinüs bifidis discrepant. —
P. elliptica Royle, P. involucrata Wall. et P. sibirica
Jacq. habitu longe alieno, foliorum lamina elliptica vel
suborbiculata, longe petiolata, bracteis basi apendiculatis et
corollae laciniis emarginato -bifidis diversissimae. — P.
denticulata Sm. et affines primo intuitu foliis rugulosis
distinctae.
Wurzelstock abgebissen, 1.5 Centim. dick, sehr kurz,
mit dicken weisslichen, fleischigen, gebiischelten Fasern be-
setzt. Blatter grundständig, sich mit ihrer Basis scheidig
deckend, alle aufrecht oder aus anfrechter Basis abstehend;
die zwei oder drei äussersten verkürzt, fast ganz häutig, sei-
dig-glänzend, weisslich oder schmutzig-röthlich überlaufen, an
der Spitze in ein krautiges längliches oder eiförmiges blatt-
artiges Anhängsel übergehend. Die folgenden Blätter gegen
*) Sectio naturalis Aleuritia Schott comprehendit Primulas ex sec-
tione Alleuritia Duby et sect. Arthritica Duby in DC. Prod. VIII. 38.
2,990
das Centrum des Blattbüschels an Länge allmählich rasch
zunehmend, 8—18 Centim. lang und 1.5—2.5 Centim. breit,
die mittleren länglich-verkehrteiförmig, die innersten länglich,
sehr allmählig gegen die breite häutige scheidig umschlies-
sende Basis verschmälert; die Blattspreite dünn, weich, glatt,
oberseits grün, unterseits mit weisslichem oder gelblich-weis-
sen im Alter manchmal mehr weniger schwindenden mehl-
artigem Staube bekleidet und von einem kräftigen vorsprin-
genden Mittelnerv durchzogen; der Rand der krautigen Blatt-
spreite in der Jugend zurückgerollt, geschweift-gekerbt oder
geschweift-stumpfgezähnt. Schaft aufrecht, 20—23 Centim.
hoch, beiläufig 3mm. dick, stielrund, durch eine ansehnliche
5—12blütige Dolde abgeschlossen, unterhalb der Dolde et-
was mehlig bestäubt. Die Deckblätter 8—12mm. lang,
sitzend, aus eiförmiger 2—3mm. breiten Basis lineal—lanzett-
lich vorgezogen, lang zugespitzt, grün oder trübviolett über-
laufen, am Rande äusserst fein gewimpert, an der Basis ohne
Aussackung, Oehrchen oder Anhängsel. Blüthenstiele aufrecht-
abstehend, kaum nickend, 12— 24mm. Jang, doppelt so lang
als die Deckblätter, mehr weniger dicht mehlig bestäubt,
manchmal von dem mehligen Ueberzuge ganz weiss. Der
Kelch beiläufig 1 Centim. lang, 0.5 Centim. breit, fast bis
zur Basis in 5 aufrechte länglich-lanzettliche spitze, an den
Comissuren und an der Innenfläche dicht mehlige, an der
Aussenfläche grüne oder trübviolett überlaufene, @—8mm.
lange und 2— 35mm. breite Abschnitte getheilt. Krone ge-
ruchlos, einfarbig, gesättigt purpurn-violett, präsentirtellerför-
mig; die Röhre 1/,—2 mal so lang als der Kelch, in der
Mittelhöhe 5mm. weit, jene der gynodynamischen Blüthen
12— 14mm. lang, fast gleichweit, jene der androdynamischen
Blüthen 14— 15mm. lang, unter dem Ansatze der Antheren
etwas verengert und dann plötzlich trichterförmig erweitert.
Der Saum 19—22mm. im Durchmesser; die Zipfel des Sau-
mes rundlich - eiförmig, ungetheilt, manchmal etwas gestutzt
oder mit einer sehr seichten geschweiften kleinen Ausrandung,
jene der gynodynamischen Blüthen 6—7mm., jene der andro-
— 100 —
dynamischen Blüthen 8mm. breit. Fruchtknoten kugelig-ei-
formig, 4—5mm. Jang und breit, meist mehlig bestäubt.
Griffel der gynodynamischen Blüthen 10mm., jener der an-
drodynamischen Blüthen 4—5mm. Jang. Die Antheren der
gynodynamischen Blüthen in der Mitte der Kelchröhre in der
Höhe der Kelchspitzen eingefügt, 2mm. lang, jene der andro-
dynamischen Blüthen oberhalb der Vereinigung der Kronröhre
dicht unter dem Saum eingefügt, 3mm. lang.
2. Swertia lahulensis
caule erecto, multifloro, folits imis oblongis, obtusis, basin
versus sensim attenuatis, caulinis oppositis oblongis, obtu-
siusculis, sessilibus, basi non connatis, floribus erectis, pen-
tameris, in cymam racemiformem terminalem digestis, ca-
lycts segmentis corolla duplo brevioribus, lineari-lanceolatis,
acuminatis, corollae impunctatae lacteo-lilacinae (pallide
flavicantis cum tinctw coerulescenti) segmentis oblongis, ob-
tusis, truncatis vel emarginatis, apice eroso-denticulatis, fo-
veis binis orbiculatis, distantibus, margine longissime fim-
briatis, stigmatis bilobi lobis orbiculatis. ¢..
In septentrionalibus montium lateribus Himalajae. Lahul; in monte
Kardangensi versus cacumen, 14—15,000 ped. sup. mare, solo schistoso.
Ex afjinibus Sw. perennis L. folüs inferioribus el-
lipticis in petiolum contractis, corollae laciniis lanceolatis
acutiusculis triste violaceis et atro-violaceo-punctatis et fim-
brits fovearum brevioribus; Sw. punctata Baumg. et Sw.
stigmantha C. Koch folits inferioribus ellipticis vel oblongis
in petiolum paene aequilongum subito contractis, corollae
laciniis violaceo-pnnetatis et foveis oblongis; Sw. connata
Fisch. et. Mey. foliis caulinis omnibus basi longe connatis
corollae segmentis punctatis et stigmate tenut; Sw. petio-
lata Royle foliis petiolatis spathulato - oblongis, caulinis
connato-vaginantibus; Sw. coerulea Royle caule flexuoso,
— 101 —
foliis caulinis lanceolatis acutis, basi connatis, corollae seg-
mentis elliptico-lanceolatis acutiusculis et foveis linearibus ;
Sw. Hugelii Griseb. et Sw. cuneata Wall. calycis segmentis
obtusis et foveis oblongo-linearibus; Sw. longifolia Boiss.
folits lineari-spathulatis, corollae segmentis elliptico - lan-
ceolatis acutis, foveis in unicam rotundato-cordatam coalitis
et stigmate tenw; Sw. persica Griseb. (Sw. Aucheri Boiss.)
et Sw. lactea Bunge floribus tetrameris et foveis solitarits ;
Sw. alternifolia Royle foliis acutiusculis, caulinis ampleai-
cauli-vaginantibus, floribus cernuis et foveis contiguis dif-
Jerunt.
Rhizom dick, schief aufsteigend. Stengel steif, aufrecht,
20—25 Centim. hoch, schwach vierkantig, an der Basis von
4—6 grundständigen Blättern umgeben, in der Mittelhöhe
nackt oder mit einem Blattpaare besetzt, oben durch eine
traubenförmige cymatische Inflorescenz abgeschlossen. Die
grundständigen Blätter, sowie die ganze Pflanze kahl, läng-
lich, stumpf oder stumpflich, ganz allmählig gegen die Basis
verschmälert, von Din gleichen Abständen verlaufenden Längs-
nerven durchzogen, 8—13 Centim. lang, in der Mitte und
im obern Drittel 15—20mm., an der schmalen Basis 3—5mm.
breit. Stengelständige Blätter 4—6 Centim. lang, 6— 10mm.
breit, gegenständig, länglich, gegen die Basis etwas verschmä-
lert. Blüthenstand 7—12 Centim. lang, aus traubenförmig |
angeordneten 3—OD blüthigen aufrechten Cymen zusammenge-
setzt; die unteren Cymen lang- die obern kurz-gestielt,
die Stiele beiläufig so lang als die sie stützenden Deckblät-
ter. Die Blüthen gestielt, aufrecht. Kelch 5theilig. Ab-
schnitte desselben ”— Sum. lang, 2mm. breit, lineal-lanzett-
lich, zugespitzt, dreinervig, grün, mit einem blassen weiss-
lichen fast häutigen schmalen Rande eingesäumt. Blumen-
krone fünftheilig, unpunktirt, weisslich, an der Aussenseite
stahlblau überlaufen, im getrockneten Zustande seidenartig
glänzend, strohgelb oder gelblichweiss mit bläulichem Anflug.
Die Abschnitte der Blumenkrone von 5—7 zarten Längs-
nerven durchzogen, 14—-15mm. lang, 4—5mm. breit, läng-
— 102 —
lich oder länglich-lineal, fast gleichbreit, an dem gerundet-
stumpfen abgestutzten oder ausgerandeten Ende mehr we-
niger ausgebissen gezähnelt. Honiggruben ober der Basis
jedes Kronabschnittes zwei, getrennt, von den seitlichen Rän-
dern und der Mittellinie des Kronabschnittes gleichweit ent-
fernt, kreisrund, nahezu 1™m. im Durchmesser mit weissen
bis zu 2mm. Jangen Fransen ringsum besetzt. Staubfäden
fünf, blass grünlich-gelb, lineal, 9mm. lang. Antheren blau-
schwarz 3—Qmm. breit. Fruchtknoten zur Zeit der vollen
Blüthe 7mm. Jang.
3. Ophelia Wilfordii
caule erecto, tetragono, glabro, dense foliato, supra medium
ramoso, ramulis erectis, brevibus, 3—5 floris, folüs oppo-
sitis, glabris, infimis obovatis rotundato-obtusis, in petiolum
contractis, mediis et superioribus ovato-lanceolatis, acutius-
culis, sessilibus, 5 nerviis, nervis duabus lateralibus ab-
breviatis, bracteis late lanceolatis, acutis, cymis in racemum
oblongum vel ovatum congestis, floribus tetrameris, calycis
segmentis lanceolatis, acutis, corolla subduplo brevioribus,
corollae rototae segmentis ovato-oblongis, obtusiusculis, ma-
culis sordide coerulescentibus sparsis, foveis solitarüs ob-
longo-linearibus, versus basin dilatatis, fimbriarum brevium
crista marginatis, filamentis distinctis, distantibus, linearibus,
basin versus vie dilatatis, germinibus oblongo-lanceolatis,
stigmate sessili bilobo.
Ad oras Mandschuriae, lat. 44—45° coll. C. Wilford anno 1859.
Caule palmari dense foliato, corollae laciniis obtu-
siusculis maculatis, foveis solitariis oblongo-linearibus fim-
briarum brevium crista marginatis ab affinibus facile di-
stinguenda.
Einjährig (vielleicht zweijährig?). Stengel 100—150
Centim. hoch, steif aufrecht, vierkantig, kahl, dicht beblättert,
— 103 —
von der Mitte an kurzästig. Die untersten, zur Zeit der
Blüthe schon verdorrten oder verfärbten Blätter verkehrtei-
förmig, vorne abgerundet-stumpf, gegen die Basis spathelig
verschmälert, 15— 20mm. lang, 5—10mm. breit, die mitt-
leren und oberen Blätter 20— 30mm. lang, 8—15™m. breit,
eilanzettlich, spitz oder spitzlich, an der Basis plötzlich zu-
sammengezogen, sitzend, kahl, dünn, aufrecht-abstehend, 5-
nervig; die drei mittleren Nerven bis zur Spitze verlaufend,
die randständigen Nerven schon im unteren Drittel der Blatt-
spreite sich verlierend. Die Deckblätter den obersten Sten-
gelblättern gleichgestaltet. Die aus den Achseln der mitt-
leren und oberen Blätter entspringenden 1—2 Centim. langen
durch eine 8—5bliitige Cyme abgeschlossenen traubig ange-
ordneten und nach oben hin etwas mehr gedrängt stehenden
Aeste bilden einen länglichen 5—8 Centim. langen, 3—4
Centim. breiten Blüthenstand. Die Blüthen sind lang gestielt,
12—14mm. im Durchmesser, die vier Zipfel des Kelches
kahl, lanzettlich spitz, 5mm. Jang, 1mm. breit. Die vier Zipfel
der radförmig ausgebreiteten Krone sind 7—8m™m. lang, 3
—4mm. breit, länglich-eiförmig, stumpf, mit verwaschenen
trübblauen kleinen Flecken bestreut, jeder Zipfel unter der
Mitte mit einer einzigen schmalen länglich-linealen, beider-
seits von einem kammförmig kurz gefransten Rande besäumten
gegen die Basis etwas erweiterten 3mm. Jangen Grube ver-
sehen. Staubgefässe 4, an der Basis getrennt, lineal, gegen
den Grund zu kaum merklich verbreitert, 4—5mm. lang.
Antheren nahezu 2mm. Jang und 1™™. breit. Fruchtknoten
4— hmm. Jang, 1.5mm. breit, lanzettlich, nach oben und unten
etwas verschmälert. Narbe klein, zweilappig mit aufrecht-
abstehenden rundlichen sammtigen Läppchen.
Diese aus der Mandschurei stammende ausgezeichnete
neue Art fand ich bei Gelegenheit der Bestimmung und Ver-
gleichung der von Jäschke im Himalaja gesammelten Ophe-
lien in der mir von Herrn Direktor Fenzl zur Ansicht gü-
tigst mitgetheilten reichen Ophelien- Sammlung des Wiener
Naturw.-med. Verein. 10
— 104 —
botanischen Hofkabinetes und theile hier ihre Beschreibung
unter einem mit den neuen Arten aus dem Himalaja mit.
4. Pleurogyne spathulata
caule inferne ramoso, ramis adscendentibus elongatis, uni-
Jloris, infra medium foliatis, supra nudis, foliis omnibus
spathulatis versus basin angustatis, obtusis, calycis seg-
mentis oblongis obtusiusculis, corolla duplo brevioribus, co-
rollae rotatae profunde 5 partitae segmentis expansis, lan-
ceolatis, obscure 3—S5nerviis, ex albido coerulescentibus et
basin versus flavescentibus, antheris pallide luteis, ovario
oblongo corollae segmentis sub anthesi eximie breviore,
stamina vie excedente ©.
In reg. alp. Himalajae; in superiore valle Tschandrae ad locum
Tsomtschigma prope jugum Kutzum c. 10000 ped. s. m.
Pl. rotata (L.) caule stricto, ramis strictis erectis,
folis caulinis oblongo - linearibus, calycis segmentis line-
aribus corollam aequantibus vel superantibus, corollae seg-
mentis lineis tenuissimis pulchre aurantiacis furcatis et
superne ansatis percursis et ovario longiore stamina duplo
superante; Pl. carinthiaca (Wulf.) et Pl. Stelleriana
(Cham. et Schlecht.) ramis nudis vel 2—4 phyllis, foliis
caulinis ovatis vel ellipticis, calycis segmentis ovatis vel
ovato-lanceolatis, corollae segmentis latioribus 7—9 ner-
vits, antheris obscure cyaneis et ovarto crasstore, ovato, sta~
mina subduplo superante differunt.
Einjährig, 8—15 Centim. hoch; in allen Theilen kahl.
Stengel zart, dünn, theilweise röthlich überlaufen, an der
Basis ästig; die Aeste bogig aufsteigend, verlängert, unter
der Mitte in gleichen Abständen mit 6—8 gegenständigen
Blättchen besetzt, oberhalb der Mitte nackt. Grundständige
Blätter spathelförmig, stumpf, gegen die sehr schmale Basis
— 10 —
allmählich verschmälert, beiläufig 1 Centim. lang und vorne
3mm. breit. Die Stengelblätter den grundständigen Blättern
gleichgestaltet, nur kleiner und kürzer, 3—8™™. lang, 1—3mm.
breit. Kelchzipfel 4—7mm. lang, 1.5—2.5mm. breit, grün,
länglich, stumpflich, aufrecht. Die geöffnete Krone 1.5 Cen-
tim. im Durchmesser; die Zipfel 8—10mm. lang, 3—4mm.
breit, lanzettlich, undeutlich und verschwommen 3—5 nervig,
weisslich, mit bläulichem Anhauche, gegen den Grund zu
gelblich und die Aussenseite meistens zur Hälfte trüb grün-
blau oder stahlblau überlaufen. Staubfäden 4—4.5mm. lang,
weiss, gleichbreit, fädlich. Antheren Imm. lang, weisslich-
gelb. Fruchtknoten 6™m. lang, 2mm. dick, länglich, über
die Antheren kaum hinausragend.
5. Paracaryum heliocarpum
oaule erecto, ramoso, pilis albis mollibus retroversis et ad-
pressis camescente, foliis trinervüs, radicalibus oblongo-
lanceolatis acutis, in petiolum attenuatis, caulinis sessilibus
lineari-lanceolatis, acutis, pilis albis mollibus tenuissimis
adpressis vel subadpressis utrinque camescentibus, ramis
inflorescentiae inferioribus ex awillis foliorum superiorum
emergentibus, superioribus nudis, cymulis ramos terminan-
tubus simplicibus vel furcatis secundifloris ebracteatis, primo
circinatis deinde elongatis rectis et erectis, pedicellis calycem
subaequantibus, patulis, calycis lobis oblongis, obtusissimis
pilis albis mollibus canescentibus, corollae tubum aequan-
tibus, corollae cyaneae limbo erecto-patente, lobis semior-
biculatis, squamulis fauci insertis membranaceis, erectis,
oblongis, lingulatis, apice trilobatis, stylo exserto corollue
limbum superante (saltem in floribus gynodynamicis) ;
nuculis 4, orbiculatis depressis, membrana plana vel pa-
rum resupinata, margine callosa in dentes aculeiformes
glochidiatos radiantes soluta, cinctis, superne in disco plano,
papillis et aculeolis glochidiatis erectis sparsis munitis, in-
10*
— UG
ferne convewiusculis, aculeis glochidiatis horizontaliter pa-
tentibus echinatis.
Lahul, in regione mont. Himalajae, 7—10,000 ped., frequens.
Zweijährig? Stengel aufrecht, 50—60 Centim. hoch,
unten bis zu 6mm. dick, von den an den Blattansätzen ent-
springenden Linien etwas kantig-längsstreifig, grau, von sehr
dünnen weissen, rückwärtsgerichteten und knapp anliegenden
parallelen Haaren gestrichelt, unten beblättert, von der Mitte
an ästig; die Aeste aufrecht-abstehend, traubenförmig ange-
ordnet, einfach oder gegabelt, die untern und mittlern aus
den Achseln der Stengelblätter entspringend und am Grunde
mit einigen Blättchen bekleidet, die obersten nackt, alle ver-
längert und mit 8—10 deckblattlosen einseitswendigen Blü-
then, beziehungsweise Früchten besetzt. Die grundständigen
und untern stengelständigen Blätter circa 15— 25 Centim.
lang, 3—4 Centim. breit, länglich-lanzettlich, zugespitzt, in
den Blattstiel allmählich verschmälert, die mittleren und
oberen stengelständigen Blätter an Grösse allmählich abneh-
mend, von 15 zu 3 Centim. lang und von 20 zu 4mm. breit,
sitzend, lineal-lanzettlich, zugespitzt und gegen die Basis et-
was zusammengezogen, alle Blätter weich anzufühlen, von
drei besonders in die Augen fallenden kräftigeren Nerven
(einem Mittelnerv und zwei an der Basis oder im untern
Drittel der Blattspreite aus dem Mittelnerv sich ablösenden
und dann mit dem Mittelnerv fast parallel gegen die Blatt-
spitze verlaufenden Seitennerven) durchzogen, welche durch
einige wenige schiefe Anastomosen verbunden sind, gleichför-
mig grau, von anliegenden unterseits und an der Basis der
obern Blattseite rückwärts-, am vordern Theile der oberen
Blattseite aber vorwärts-gerichteien parallelen und dann et-
was seidig schimmernden oder auch unregelmässig gestellten
und dann glanzlosen sehr dünnen weissen Härchen dicht be-
kleidet. Die deckblattlosen Wickel in traubiger Anordnung
zu einem länglichen Blüthenstande verbunden, nach oben zu
genähert und dort manchmal fast ebensträussig. Die Blü-
: ee
on
thenstiele einseitswendig, zur Zeit der vollen Bliithe etwas
kürzer, später etwas länger als der fünftheilige Kelch, zur
Zeit der Fruchtreife fast rechtwinklig abstehend oder auch
etwas nickend. Die Kelchzipfel gleichgross, 5mm. Jang, 2mm.
breit, länglich-Iineal, vorne gerundet stumpf, so wie die Blätter
grau, mit sehr dünnen weissen Härchen bekleidet. Krone
ansehnlich, 12mm. Jang, himmelblau, röhrig-trichterig, die
Röhre so lang als die Kelchzipfel, 5mm. lang, 3mm. weit;
der Saum nur wenig abstehend, fast aufrecht, glockig, 7mm.
lang, die obere Apertur desselben 10mm. im Querdurchmesser,
die Zipfel des Saumes halbkreisförmig. Schlundklappen auf-
recht, an der Grenze der Röhre und des Saumes entsprin-
gend, 3mm. lang, 1mm. breit, häutig, länglich - zungenförmig,
an der Basis am breitesten, am oberen Ende gerundet stumpf
und mit zwei seitlichen halbkreisförmigen Läppchen versehen,
so dass das Ende der Klappen dreilappig erscheint. Die
Staubgefässe etwas unter der Basis der Schlundklappen ein-
gefügt, die Antheren lineal-länglich 2.5mm. lang, kürzer als
die Schlundklappen. Der Griffel lang, aus der Röhre weit
hervorragend, und sogar die obere Apertur des Kronensaumes
etwas überragend. Nüsschen 4, von oben her zusammenge-
drückt, rundlich-scheibenförmig, 8—10mm. im Querdurch-
messer, dem Anthodium einer Synantheree nicht unähnlich ;
die obere Seite derselben zeigt ein flaches kreisrundes etwas
glänzendes Mittelfeld von 4—5mm. im Durchmesser, welches
mit kleinen stumpfen Warzen und Papillen und 15-—20 auf-
rechten an der Spitze widerhackigen kurzen Stachelchen be-
setzt und von einem starren, pergamentartigen, ausgebreiteten
oder etwas aufgestülpten, in radialer Richtung sehr schwach
wellig verbogenen, grob gezahnten und mit einer schmalen
callösen in beiläufig 20 wiederhackige Stachelchen ausstrah-
lenden Verdickung berandeten flügelartigen Saume umgeben
ist; die untere Seite der Nüsschen ist etwas convex und
ringsum mit horizontal abstehenden unregelmässig mehrrei-
higen an der Basis zusammengedrückten an der Spitze wider-
hackigen Stachelchen besetzt. Die Zahl der glashellen Wider-
EOS
häckchen, welche die Weichstachelchen der Früchte abschlies-
sen, beträgt vier.
Die hier beschriebene Art wurde mir unter dem Namen
Cynoglossum anchusoides Lindl. mitgetheilt. — Cyn. an-
chusotdes Lindl. weicht aber nach Abbildung und Beschrei-
bung von dem vorliegenden Paracaryum so wesentlich ab,
dass ich dasselbe für eine andere Pflanze halten muss. Cyn.
anchusoides Lindl. wird nämlich mit kurzer abstehender Be-
haarung und mit Kelchzipfeln, welche um die Hälfte kürzer
sind als die Kronröhre beschrieben; auch sollen, was kaum
glaublich ist, die Deckklappen in der Mitte der Kronröhre
aufsitzen und in diese eingeschlossen sein. Zudem ist die
vorliegende Pflanze zu Folge der Form ihrer Nüsschen ein
Paracaryum und kein Cynoglossum. Auf den letzteren
Umstand darf freilich kein besonderes Gewicht gelegt wer-
den, da das Genus Paracaryum erst nachträglich aufge-
stellt und aus Arten, welche frühere Autoren in die Gat-
tungen Omphalodes, Mattia und Cynoglossum gereiht hat-
ten, gebildet wurde. Die Beschreibung der Früchte des Cyn.
anchusoides Lindl. lässt auch immerhin die Muthmassung
zu, dass diese Pflanze richtiger jenem später aufgestellten sich
zwischen Cynoglossum und Omphalodes einschiebenden aber
weder von Cynoglossum noch von Omphalodes und Mattia scharf
abgegrenzten, durch die scheibenförmigen von oben her zusammen-
gedrückten und mit einem die ebene obere Seite der Scheibe umge-
benden flachen oder etwas aufgestülpten pergamentartigen Rande
versehenen Früchtchen charakterisirten Genus Paracaryum zu-
gezählt werden müsse. Sollte dies der Fall sein und sollte
sich herausstellen, dass auch die oben erwähnten dem Cyn.
anchusoides Lindl. zugeschriebenen Merkmale der von Lind-
ley gemeinten Pflanze, von der ich Originalexemplare einzu-
sehen nicht in der Lage bin, in Wirklichkeit nicht zukom-
men, so wäre es immerhin möglich, dass das von mir be-
schriebene Paracaruum heliocarpum mit dem Lindley’schen
Oynoglossum anchusoides identisch ist.
bi. a
ir
— 109 —
6. Cynoglossum (Paracaryum) microcarpum
caule erecto ramosissimo, pilis albidis tenuibus rigidulis
tuberculo insidentibus, inferne patentibus, superne erectis et
subadpressis munito, folüs viridibus uninerviis, radicalibus
oblongo-obovatis, in petiolum attenuatis, caulinis sessilibus,
oblongo-lanceolatis, acutis, pilis patentibus, tuberculo insi-
dentibus hispidulis, ramis ex awillis foliorum superiorum
in ramulos elongatos, ebracteatos, secundifloros, paniculam
amplam constituentes divisis, pedicellis calyce brevioribus,
deflexis, calycis lobis oblongis, obtusiusculis, hispidulis,
corollae tubum aequantibus, corollae cyaneae infundibulifor-
mis lobis rotundato-ovatis, patentibus, nuculis orbiculatis,
depressis, membrana parum resupinata in dentes aculei-
feros et glochidiatos soluta cinctis, superne in disco plano
aculeis paucis erectis glochidiatis instructis, inferne conve-
xiusculis, papillis et aculeis glochidiatis, compressis squa-
mulatis.
In regione montana sup. Himalaje. Lahul. det. Jäschke 1869.
Structura nucularum Paracaryo cristato (Lam.)
et Paracaryo heliocarpo proxima. — Paracaryum cri-
statum (Lam.) (Mattia cristata Don) caule subsimpliei
foltis lineari-lanceolatis, limbo corollae erecto-patente, nu-
culis multo majoribus ala asperata cinctis; P. heliocarpum
habitu robustiore longe alieno, foliis trinerviis mollibus
subsericeo-incanis , limbo corollae erecto, stylo longe ea-
serto et floribus nuculisque multoties majoribus differunt.
Zweijährig? — Wurzel 4—5mm. dick, senkrecht ab-
steigend, wenig verästelt und mit spärlichen Fasern besetzt.
Stengel aufrecht, 20—70 Centim. hoch, unten von schwachen
an den Blattansätzen entspringenden Linien etwas kantig-
längsstreifig und von abstehenden dünnen weisslichen einem
kleinen Knötchen aufsitzenden Haaren rauh, oben gleich den
Verzweigungen fast stielrund, von mehr aufrecht-abstehenden
oder auch anliegenden Härchen gestriegelt, reichästig; die Aeste
— ‚110° —
traubenförmig angeordnet, aus den Achseln der mittleren und
oberen Blätter entspringend, einmal oder wiederholt gegabelt;
die Zweiglein verlängert, blattlos, mit 15—30 einseitswen-
digen Blüthen beziehungsweise Friichtchen besetzt. Die grund-
ständigen Blätter zur Zeit der Blüthe ganz oder theilweise
vertrocknet, länglich-verkehrteiförmig, in den Blattstiel ver-
schmälert; die stengelständigen Blätter sitzend, länglich-lan-
zettlich, gegen die Spitze und Basis fast gleichmässig ver-
schmälert, die grössten derselben bei 5 Cent. Länge 15mm.
breit und allmälich an Grösse abnehmend, so dass die ober-
sten Blätter aus deren Achseln die Zweiglein entspringen nur
mehr eine Länge von 12mm. und eine Breite von 5™m. be-
sitzen. Alle Blätter verhältnissmässig dünn, nur von einem
in die Augen fallenden Mittelnerv durchzogen, beiderseits
grün und von abstehenden, auf kleinen scheibenförmigen
Knötchen sitzenden dünnen Haaren rauh. Die reichblütigen
blattlosen Wickel zu einer traubig-rispigen weitschweifigen
Inflorescenz verbunden. Die Blüthenstiele einseitswendig, so
lang oder etwas kürzer als der 5-theilige Kelch, nach dem
Verblühen nach abwärts gekrümmt. Die Kelchzipfel gleich-
gross, 3mm. Jang, 1mm. breit, länglich, stumpflich, grün, so
wie die Blüthenstiele von aufrecht abstehenden dünnen weiss-
lichen Haaren borstlich. Krone 5mm. im Durchmesser, tief-
blau, trichterig, mit kurzer die Kelchzipfel nicht überragender
Röhre und abstehenden rundlich - eiförmigen Zipfeln. Die
Deckklappen am Schlunde halbkreisförmig, häutig. Antheren
jmm. lang, länglich, stumpf, über die Deckklappen des
Schlundes nicht vorragend. Griffel 2mm. lang, über den
Schlund nicht vorragend, Nüsschen 4, von oben her nieder-
gedrückt, rundlich-scheibenförmig, 3™™. im Durchmesser ; die
obere Seite derselben zeigt ein flaches mit einigen (meist 5)
aufrechten an der Spitze widerhackigen Stachelehen besetztes
im übrigen glattes und etwas glänzendes Mittelfeld, welches
von einem tief gezähnten etwas aufgebogenen oder aufge-
stülpten Saume umgeben ist. Die Zähne dieser Einfassung
(beiläufig 20 im ganzen Umkreise) sind glatt, von oben her
— Hl —
zusammengedrückt, laufen in widerhackige Spitzen oder Sta-
chelchen aus und fliessen an der Basis zu einer das Mittel-
feld kreisförmig umgebenden Berandung zusammen. Die un-
tere Seite der scheibenförmigen Nüsschen ist etwas convex
und mit Papillen und kleinen an der Basis zusammenge-
drückten Stachelchen fast schuppenartig besetzt. Die Zahl
der Wiederhäckchen, welche die Weichstachelehen der Früchte
abschliesen, beträgt bald 3 bald 4.
Wie schon bei der Beschreibung der vorhergehenden
Art erwähnt wurde, ist die Gattung Paracaryum weder von
Mattia noch von Cynoglossum scharf geschieden, und es gibt
Arten, bei deren Untersuchung man zweifelhaft ist, ob man
selbe zu Cynoglossum, zu Paracaryum oder zu Mattia stellen
soll. Die Früchtchen sind nämlich in allen Abstvfungen bald
mehr bald weniger von oben her scheibenförmig zusammen-
gedrückt und die am Rande der Scheibe stehenden Stachel-
chen der Früchtchen fliessen an der Basis, bald mehr bald
weniger zu einer pergamentartigen starren Membran zusam-
men. Es schiene mir aus diesem Grunde auch zweckmäs-
siger Paracaryum als Gattung einzuziehen und der Gattung
Cynoglossum als Section unterzuordnen.
7. Orobanche Hansii
scapo striato, crasso, bast turgido, squamis latis ovatis
acutis munito, leviter glandipilo- furfuraceo, spica densi-
Jlora, bracteis tubo corollae brevioribus, ovatis vel ovato-
lanceolatis, acuminatis, striatis, glandipilis, sepalis liberis,
tubo corollae duplo brevioribus, plurinervüs, parce glan-
dipilis, bifidis, lobis aequalibus, lineari-lanceolatis, in acu-
men tenue productis, corollae externe parce et brevissime
glanduloso-pilosae, interne glabrae, solumodo ad basin labi
inferioris pilis paucis munttae, saturate violaceo-coeruleae
tubo erecto-patente, levissime incurvo, ad faucem modice
ampliato, labio superiore profunde bilobo, lobis erectis vel
— 112 —
reflewis, oblique truncatis, denticulatis, labio inferiore tri-
lobo, plicato, lobis subaequalibus, dilatatis, subtruncatis,
eroso- vel repando-denticulatis, staminibus ad medium tubi
insertis, filamentis in basi unilateraliter parce pilosis, su-
perne perpaucis glandulis stipitatis munitis, antheris bi-
cuspidatis, niveis, parce pilosulis, stigmate retuso.
Parasita in radicibus Artemisiarum in Himalajae valle Bhagae
juxta fluvium et in montium lateribus, passim. 10,000—11,000 ped.
sup. mare.
Species affınes corollae limbo violaceo - coeruleo colo-
rato: O. amethystea Thuill. bracteis flores excedentibus, se-
palis corollam aequantibus, corollae tubo paulo supra ba-
sin in genu flexo, staminibus infra medium tubi insertés ;
O. Boissieri Rehb. fil. sepalis 1—3 nerviis, tubo valde
incurvo, corollae labio superiore subintegro, porrecto, sta-
minibus infra medium insertis; O cernua Löfl. et O. cu-
mana Wall. tubo corollae valde incurvo, medio constricto,
labie inferioris lacinüs ovatis, acutis; O. coerulescens Steph.
spica lanato-villosa, bracteis flores ewcedentibus, sepalis
tubo corollae longioribus et tubo corollae magis curvato;
O. ammophila ©. A. Meyer spica albo-lanata, bracteis
jlores aequantibus, sepalis paucinerviis, tubo corollae in-
curvo-cernuo, staminibus infra medium tubt insertis et
stigmate subbipartito-divaricato; O. amoena C. A. Meyer
scapo basi viv incrassato, corolla longiori et speciostori,
limbi lobis obovato-ellipticis et staminibus infra medium
tube insertis differunt. — O. coerulea Vill., O. arenaria
Borkh. et aliae species sect. Phelypaea Tournef. bracteis
tribus et calyce monosepalo circum circa clauso munitae
multo magis recedunt.
Schaft aufrecht, längsstreifig, 18—28 Cent. hoch, 6—
12mm. dick, unten knotig angeschwollen, so wie die ihn be-
setzenden an der Basis 4—8mm. breiten dreieckig-eiförmigen,
spitzen, streifigen Schuppen mit sehr kurzen Drüsenhärchen
— 113 —
_ leicht bekleidet und dadurch von etwas mehligem Ansehen.
Blüthen in einer gedrängten 5—12 Centim. langen, 3—3.5
Centim. breiten Aehre. Jede Blüthe nur von einem einzigen
eiförmigen oder eilanzettlichen zugespitzten 6—12mm.Jangen,
3— 5mm. breiten Deckblatte gestützt. Kelchblätter zwei, ge-
trennt, 8—10nervig, 6— 10mm. lang, an der Basis 2.5—
4mm. breit, in zwei fast gleich lange, lanzettlich-lineale, fast
pfriemlich zugespitzte, violett überlaufene Zipfel getheilt, so
wie die Deckblätter mit sehr kurzen drüsentragenden Flaum-
haaren bestreut. Blumenkrone 18-—20mm. lang, aussen mit
sehr spärlichen und sehr kurzen Drüsenhaaren bestreut, innen
kahl und nur an der Grenze von Saum und Röhre an der
Unterlippe mit einigen Härchen besetzt; Röhre fast gerade,
gegen den Saum hin nur schwach gekrümmt und nur sehr
wenig erweitert, aufrecht-abstehend, 5mm. weit, violett über-
laufen, an der von den Kelchblättern zugedeckten Basis
weiss; Saum tief violettblau, zweilippig , gefaltet; Oberlippe
zweilappig, mit aufrechten oder leicht zurückgeschlagenen
schief abgestutzten und ausgebissen-gezähnelten Lappen; Un-
terlippe dreilappig; die Lappen breit, rundlich-viereckig oder
queroval, abgestutzt, am Rande ausgebissen- oder wellig ge-
zähnelt. Staubgefässe 7—8mm. Jang, in der Mitte der Kron-
röhre eingefügt, an der unteren Seite ober der Einfügungs-
stelle spärlich behaart, sonst kahl oder gegen die Antheren
zu so wie der Griffel mit einzelnen kurzgestielten Drüsen besetzt.
Antheren weiss, oben abgerundet, unten zweispitzig, mit spär-
lichen weissen Wimperhärchen besetzt. Narbe queroval, seicht
ausgerandet.
In dankbarer Erinnerung an meinen verehrten Freund
Hans in Herrnhut, dessen gütiger Vermittlung ich eine um-
fangreiche Collection von Pflanzen aus dem Himalaja ver-
danke, habe ich diese ausgezeichnete schöne Art Orobanche
Hansii benannt.
— 114 —
8. Inula obtusifolia
caule folioso, molliter cano-pubescenti, e basi adscendente,
subtereti erecto, superne subangulato, ramoso, ramis diva-
ricatis, sursum curvatis, monocephalis, subcorymbosis, fo-
liis patentibus, opacis, cano-viridibus, elliptico - oblongis,
sessilibus, obtusis, tntegris, pilis teneribus, flewuosis, mol-
libus et glandulis minutissimis superne sparse, inferne den-
sius pubescentibus, nervis in pagina inferiore prominulis,
reticulum laxwm constituentibus; ramulis foliolis 1—3 ob-
longis, obtusis, integris fultis, involucri pluriserialis squa-
mis laxe incumbentibus, inaequalibus, eaterioribus oblongo-
linearibus, viridibus, foliaceis, obtusis, cano-pubescentibus,
medüs oblongo-lanceolatis, basi albidis, scariosts, glabris,
apice viridulis, acutiusculis, pubescentibus, intimis line-
aribus, scariosis, in acumen tenue, fimbriato-ciliatum, stria
dorsali viridi vel fucescents percursum productis, floribus
disct hermaphroditis, tubulosis, floribus radit femineis 1-
serialibus, ligulatis, ligulis disco duplo longioribus, ache-
nis hirtis, pappo conformi, I-seriali, setis capillaribus
scabris.
In montibus altioribus Himalajae in ditione Lahul, 13,000—14,000
ped. sup. mare.
Ex affmitate Inulae montanae. Caule superne diva-
yicato-ramoso, ad ramos usque subaequaliter foliato, fo-
lits latis, elliptico-oblongis, obtusis, integris facile digno-
scenda.
Ausdauernd. Stengel aus aufsteigendem Grunde auf-
recht, beiläufig 30—40 Centim. hoch, oben in 2—6 aufrecht-
abstehende oder bogig-aufsteigende einköpfige, 1.5—4 Cen-
tim. lange Aeste getheilt, der ganzen Länge nach dicht be-
blättert, von sehr dünnen weichen, verbogenen, theils ab-
stehenden, theils etwas anliegenden Haaren grauflaumig, nach
oben hin von vorspringenden in die Mitteluerven der Blätter
auslaufenden Linien etwas kantig. Blätter 3-—7.5 Centim.
el
lang, 1.5—3.5 Centim. breit, abstehend, gegen die Blüthen-
köpfchen zu nur wenig an Grösse abnehmend, länglich-ellip-
tisch, mit 3mm. breiter Basis sitzend, ganzrandig, manchmal
am Rande etwas wellig, vorne gerundet-stumpf, trübgrün,
glanzlos, von dünnen, weichen, verbogenen Haaren und sitzen-
den sehr kleinen Drüsen. oberseits spärlicher, unterseits reich-
licher flaumig. Der gerade Mittelnerv und die schlänglichen
Fiedernerven, so wie die sie verbindenden Anastomosen an
der untern Seite der Blätter etwas vorspringend, ein ziemlich
weitmaschiges Netz bildend. Die einköpfigen Aeste fast eben-
sträussig, mit 1—3 länglichen, stumpfen, 1—2 Centim. lan-
gen, 5—8mm. breiten Blättchen besetzt. Die Köpfchen mit
Inbegriff des Strahles 2.5—3 Centim., das Anthodium 10—
18mm. im Durchmesser; der Blüthenboden nackt; die Hüll-
schuppen locker dachig, ungleich, die äussersten 5—7mm.
lang, 2mm. breit, blattartig, grün, länglich-lineal, stumpf,
grauflaumig; die mittleren länglich-lanzettlich, spitz, etwas
länger und schmäler als die äussersten, an der Basis weiss-
lich, mit einer am Rücken und am Rande behaarten, grünen
Spitze; die innersten S— 10mm. lang, Imm. breit, lineal, in
eine sehr dünne, fast fädliche, von einem grünen oder bräun-
lichen Rückennerven durchzogene, wimperhaarige Spitze aus-
gezogen. Blüthen gelb; die Zungenblüthen des Strahles 12mm.
lang, Imm. breit; die Röhrenblüthen der Scheibe Dumm. lang.
Haare des Pappus einreihig, rauh, nicht sehr zahlreich (circa
20). Fruchtknoten 3mm. lang, stielrund, behaart.
9. Bupleurum imaicolum
perenne, caudice lignescente, pluricipiti, ramoso, humifuso,
caulibus erectis vel ex decubitu subito adscendentibus, gla-
berrimis , striatis, foliosis, superne ramosis, basi foliorum
emortuorum residuis tunicatis; folüs erectis glabris, prut-
noso-glaucescentibus, planis, margine scarioso, albido, an-
gustissimo, non incrassato cinclis, infimis oblongis, sub-
— 116 —
spathulatis, subito subulato-acuminatis, basin versus sen-
sim attenuatis, 5-nerviis; caulinis mediis elongatis, line-
aribus, in mucronem subulatum subito acuminatis, basin
versus vie angustatis, 5—T nervüs; caulinis superioribus
imminuta longitudine acerescendo latioribus, simulque l-
neari-lanceolatis, lanceolatis, et ovato-lanceolatis, subulato-
acuminatis, J—13 nerviis; supremis bractealibus brevibus,
lanceolatis vel ovato-lanceolatis, attenuato-acuminatis, 7—
9—11 nerviis; umbellis 5—12radiatis, radiis tenuibus
inaequalibus, umbellulis 5—15 floris; involueri monophylli
et involucellorum 4—5 phyllorum foliolis minutis, lanceo-
latis, acutis, squamaeformibus; radiolis duplo longioribus,
jugis filiformibus, subtilibus, ochroleucis costatis, valleculis
laevigatis, 3 vittatis.
Himalaja; in ditione Lahul, in aridis montium lateribus, 10— 14,000
ped. s. mare; copiose.
Ex affinitate B. diversifolii Rochel et Bupl. exal-
tati M. B. — Differt autem B. diversifolium Rochel in-
volucellorum foliolis majoribus, elongato - lanceolatis, um-
bellulas sub anthesi excedentibus, foliis acutis (nec subu-
lato-mucronatis), basilaribus longissime petiolatis et meri-
carpiorum jugis subalatis; B. ewaltatum M. B. foltis
caulinis sursum sensim angustioribus, supremis linearibus,
3—5nervüs, B. cernuum Tenore (B. exaltatum Koch
Syn., non M. B.)*) foliis ut in praecedente et radice biennt;
1) Bupleurum gramineum Vill. (1787) certe non est syn. Bupleuri
cernui Tenore [= B. baldensi M. et K. (non Host), B. exaltati Koch
Syn. (non M. B.). B. rigidi Freyer (non L.), B. neglecti Cesati] ut in-
dicant Gren. Godr. et Reichb. fil. — Diagnosis et descriptio Villarsii in
Fl. Dauph. II. 575 (,,foliis supremis lanceolatis“ ... „les feuilles su-
perieures sont elargies“ . . . „linvolucre partielle est de cing feuilles
oblongues et pointues“ . . „Vivace“) optime cum B. caricifolio Willd.
(= B. canalense Wulf. = B. baldense Host) quadrat, at contra minime
cum B. cernuo Ten. (= B. exaltato Koch Syn.); preterea Villarsius
1. c. Buplenrum ranunculoidem valde similem Bupleuro gramineo dicit
ieee
— 17 —
B. gramineum Vill. (= B. caricifolium Willd., B. ca-
nalense Wulf., B. baldense Host) et B. ranunculoides L.
involucellorum foliolis triplo latioribus obovatis vel obovato-
lanceolatis, Snerviis et foliis acutiusculis (nec subulato-
mucronatis); BD. falcatum L. foliis caulinis versus basin
attenuatis, spathulatis, longe petiolatis, mericarpiorum ju-
gis argutis subalatis; B. scorzonerifolium Turcz. caulibus
basi fibrarum coma vestitis, involucellorum foliolis 6—7,
umbellulas sub anthesi superantibus; BD. marginatum Wall.
involucri foliolis 3—5 et foliorum nervis lateralibus mar-
ginalibus, hinc foliis in margine incrassatis.
Ausdauernd. Der holzige 3—Tmm. dicke Wurzelstock
in knorrige theilweise überirdische niederliegende oder auf-
strebende Aeste getheilt. Stengel aufrecht oder aus aufstei-
gender Basis aufrecht, 30—70 Centim. hoch, längsstreifig,
kahl, an der Basis von den verdorrten abbrechenden (nicht
in schopfige Fasern aufgelösten)Resten alter Blätter beschei-
det, in aufrechte oder aufrecht-abstehende, 3—10 Centim.
lange, nicht sehr zahlreiche Aeste meist erst über der Mit-
telhöhe, manchmal aber auch schon vom untern Drittel an-
gefangen getheilt. Die Blätter kahl, bläulich bereift, flach,
mit einem äusserst schmalen weisslichen durchscheinenden (un-
ter der Loupe besehen: etwas gezähnelten) nicht verdickten
Rande besäumt, langsnervig. Die Nerven sehr zart, etwas
vorspringend, über der Basis etwas divergirend, so dass die
seitlichen Nervenpaare allmählich gegen den Rand verlaufen
und sich dort verlieren, die mittleren einander mehr genäher-
ten Längsnerven fast parallel und mehr weniger deutlich bis
zur Spitze hinziehen und der mittelste Nerv in die pfriemen-
förmige Spitze des Blattes auslauft. Querlaufende, die Längs-
nerven verbindende Anastomosen fehlen. Die grundständigen
und untersten stengelständigen Blätter 3—9 Centim. lang,
3— 10mm. breit, fünfnervig, länglich-spathelig, über der Mitte
[,elle (B. ranunculoides) ressemble beaucoup a la precedente (B. gra-
mineum), elle en est peut-ötre une variété plus petite].
— 118 —
am breitesten, vorne in eine Imm. Jange pfriemenförmige Spitze
plötzlich zusammengezogen, gegen die Basis allmählich ver-
schmälert; die folgenden stengelständigen Blätter verlängert,
5— 12 Centim. lang, 4—7mm. breit, 5— nervig, lineal, gleich-
breit, vorne in eine pfriemenförmige Spitze zusammengezogen,
mit halbstengelumfassender kaum verschmälerter Basis sitzend ;
die oberen stengelständigen Blätter kürzer und etwas breiter,
4—9 Centim. lang, 6—9mm. breit, 9—13 nervig, lineal-lan-
zettlich, lanzettlich oder eilanzettlich, unterhalb der Mitte am
breitesten, vorne in eine pfriemenförmige Spitze zusammen-
gezogen mit halbstengelumfassender etwas verschmälerter Ba-
sis sitzend. Die Stützblätter der doldentragenden Aeste den
eben geschilderten obersten stengelständigen Blättern 'gleich-
gestaltet, nur noch kleiner und relativ kürzer, so dass die
obersten lanzettlichen oder eilanzettlichen Stützblätter gewöhn-
lich nur mehr Y, oder 1 Centim. lang und 2—3mm. breit
sind. Die unteren Dolden länger-, die oberen kürzer gestielt,
die obersten 2—3 Dolden meist ebensträussig. Die arm-
blüthigen unteren Dolden 5—8-, die reichblüthigeren ober-
sten Dolden 7—12strahlig. Gemeinschaftliche Hülle mit-
unter ganz fehlend, gewöhnlich aber einblätterig und das sie
bildende Blattchen dann sehr klein schuppenformig, lanzett-
lich, 1—2mm. Jang. Die Strahlen der Dolde ungleich lang,
dünn, 4—20mm. lang, bei der Fruchtreife einzelne bis zu
35mm. verlängert. Die Döldchen 5—15bliithig. Das Hüll-
chen derselben aus 4—5 kleinen schuppenförmigen lanzett-
lichen spitzen, mit den Rändern sich nicht berührenden Imm.
langen und 0.5mm. breiten, die Blüthenstiele nicht überragen-
den Blättchen gebildet. Die Blüthenstiele 1—2mm. lang. Die
Blüthen goldgelb, Imm. im Durchmesser. Früchte 4mm. lang,
2mm. breit, eiförmig-länglich, braun, bläulich bereift; Halb-
früchtehen von fünf fädlichen kaum vorspringenden (nicht
geflügelten) gelben Riefen kantig; Thälchen glatt, dreistriemig.
a 1198 —
10. Aconitum oliganthemum
tuberibus fusiformibus, caule erecto, pro more infra me-
dium flexuoso, foliis paucis munito, racemo paucifloro ter-
minato, pilis curvatis, subadpressis puberulo, folits ba-
silaribus sub anthesi adhuc vegetis, longe petiolatis, petiolo
glaberrimo, infimam caulis partem vagina membranacea
amplectente, lamina glaberrima, circuitu rotundata, 5—7-
fida, luciniis obovato-cuneatis, trifidis, lacinulis foliorum
majorum bi-trifidis, minorum integris, segmentis omnibus
porrectis, vic divaricatis, oblongo-linearibus, puncto calloso
terminatis, foliis caulinis 1—4, remotis , inferioribus lon-
ge-, superioribus breve petiolatis, 5—7-partitis, partitio-
nibus 2—3 fidis, laciniis linearibus subdivaricatis, pilis
sparsis, curvatis munitis, bracteis inferioribus foliis cau-
linis similibus, summis trifidis vel simplicibus, linearibus,
jloribus pedicellatis, in racemum pauciflorum congestis,
pedicellis bracteolis 1—2, linearibus ornatis, superne vil-
losulis, erectis, inferioribus longissimis, bracteis et floribus
longioribus, sepalis intense coeruleis, ciliatis et externe pi-
lis curvatis adspersis, casside adscendente, naviculari, se-
palis lateralibus maximis, rotundato-ellipticis, sepalis in-
ferioribus oblongo-ovatis, cucullis ew ungue arcuato hori-
zontaliter cernuis, calcare recurvato, obtusissimo, sacco
ovato, filamentis infra medium membranaceis, glabris, uni-
nervüs, supra medium subulatis, valde et longissime pi-
losis, folliculis 4—5, sericeo-villosis.
In montibus Kardangensibus Himalajae; alt. 13,000 ped. supra
mare.
Ex sectione Napellus. — Foliis radicalibus sub an-
thesi adhuc vegetis, longe pedicellatis, caule paucifolio, in-
florescentia pauciflora, floribus longe pedicellatis, casside
naviculari, filamentorum parte membranacea basilari supra
medium contracta (non bicuspidata), parte anteriori valde
pilosa et folliculis sericeo-villosis ab affınibus dignoscenda.
Naturw.-med. Verein. 11
— 120 —
Wurzelstock aus 1—3 rübenförmigen, 1.5—2 Centim.
langen, 5—8mm. dicken, mit Fasern besetzten Knollen ge-
bildet. Stengel aufrecht, 15—-30 Centim. hoch, schlank, von
kurzen, gekrümmten, weissen, drüsenlosen Härchen etwas
flaumig, unterhalb der Mitte häufig verbogen nnd gewöhnlich
etwas stahlblau überlaufen, an der Basis von den grundstän-
digen Blättern bescheidet, in der Mittelhöhe nur 1—4 blättrig,
manchmahl fast nackt, oben durch eine armblütige, traubige,
fast ebensträussige Inflorescenz abgeschlossen. Grundständige
Blätter meist 3, zur Zeit der Blüthe noch grün, kahl, lang
gestielt; die Stiele 4—15 Centim. lang, (2—3mal länger
als der Längendurchmesser der Blattspreite und meist 14
so lang als der Stengel), am Grunde in hautige weissliche
den Stengel umschliessende Scheiden verbreitert. Die Blatt-
spreite oberseits dunkler, unterseits blasser grün, 2.5—4 Cent.
lang, 3—4.5 Cent. breit, im Umrisse rundlich-nierenförmig,
mit spitzwinkeligen basilärem Ausschnitte, 5—7 spaltig, die
Lappen keilig-verkehrt-eiförmig, 2—3 spaltig, die Läppchen
ungetheilt oder 2—3spaltig, mit langlich—linealen, gerade
vorgestreckten, 2—3mm. breiten, durch ein kallöses Spitz-
chen abgeschlossenen Zipfelchen. Stengelblätter 1—4, von
einander entfernt; die Blattstiele der unteren länger, jene
der oberen kürzer als die Blattspreite; die Blattspreite mit
spärlichen sehr kurzen, gekrümmten, weissen Härchen be-
streut, im Umrisse rundlich-nierenförmig, 5—‘ theilig, mit
2—Btheiligen, linealen, spitzen, etwas spreizenden Zipfeln.
Die unteren Deckblätter den Stengelblättern fast gleichge-
staltet, nur weniger getheilt; das oberste Deckblatt meist
einfach, ungetheilt, lineal. Inflorescenz 2—5 bliitig, die Blü-
thenstiele steif aufrecht, dem Stengel nahezu parallel, mit
1—2 kleinen linealen Blättchen besetzt, von kurzen, anlie-
genden, gekrümmten und längeren abstehenden, geraden,
drüsenlosen Haaren flaumig -zottig, dicht unter der Blüthe
keilig verdickt, die unteren länger, die oberen beiläufig so
lang als die Blüthen und die Blüthen daher fast ebensträus-
sig gestellt. Blüthen 2—3 Centim. im Längen- und 1.5
— 121 —
Centim. im Querdurchmesser, dunkelblau, aussen mit ge-
krümmten weissen Härchen bestreut und am Rande gewim-
pert. Der Helm kahnförmig, aufsteigend, jenem des A. hi-
ans Rchb. und A. rotundifolium Karel. et Kiril. ähnlich, (die
Aushöhlung desselben beiläufig 1/, Centim. tief); die seit-
lichen Kelchblättcheu auffallend gross, queroval oder rundlich,
1.5—2 Centim. im Durchmesser, die zwei unteren Kelch-
blättchen länglich-eiförmig, 10— 12mm. lang, 5—7mm. breit.
Nagel der zwei oberen Blumenblätter 12— 18mm. lang, dunkel-
blau, oben fast halbkreisformig vorwärtsgebogen, mit wag-
rechter, breiter, elliptischer 4mm. langer Kaputze und kopf-
förmigem, gerundetem, etwas zurückgekrümmtem Sporne. Staub-
gefässe 6mm. lang, zur unteren Hälfte häutig, durchscheinend,
weiss oder theilweise bläulich überlaufen, einnervig, kahl, in
der Mitte plötzlich in einen dunkelblauen, von langen Wim-
perhaaren zottigen, pfrimlichen Faden zusammengezogen. An-
theren rundlich, schwarz, kahl. Bälge 4—5, dicht seidig-
zottig. Griffel 2mm. lang, kahl.
11%
Mittheilungen aus den Kliniken und Instituten
der Universitit zu Innsbruck.
Statistische Notizen und Mittheilungen
aus der chirurgischen Klinik in Innsbrnek
von
Prof. Dr. Heine.
A. Statistischer Bericht
über den Stand und die Leistungen der chirurgischen Klinik
und Abtheilung im verflossenen Jahre seit Uebernahme der-
selben durch den derzeitigen Vorstand, vom 12. Dezember
1869 bis incl. 31. Dezember 1870.
Die Gesammtzahl der innerhalb des oben angegebenen
Zeitraumes — von welchen 10 Monate auf das Schuljahr
fallen — auf der Klinik und Abtheilung für chirurgische
und Geschlechts-Kranke behandelten stationären Kranken
beträgt 429.
Von diesen wurden geheilt . . . . 288
gebessert’) 2) \.. jan "Al
ungeheilt entlassen 16
transferiert...» 2
starbenen 2020 1229
Die Mortalität berechnet sich hiernach auf die für eine
chirurgische Klinik sehr niedrige Ziffer von 5.38%.
EN
— 123 —
Es verblieben am 31. Dez, 1870 in Behandlung 57
Kranke.
Der höchste Tagesstand auf Klinik und Abtheilung im
Jahrgange 1870 belief sich auf 65 Kranke. — Eine grössere
Zahl konnte nicht aufgenommen werden, weil es an den er-
forderlichen Räumlichkeiten zur Unterbringung derselben
fehlte.
Neben der stationären Klinik wurde von dem der-
zeitigen klinischen Vorstande, gleichfalls zu Unterrichtszwecken
eine ambulatorische Klinik errichtet, in welcher leichtere
chirurgische Kranke der Stadt Innsbruck und ihrer nächsten
Umgebung ab- und zugehend behandelt wurden.
Die Gesammtzahl der im Jahre 1870 auf der Klinik
ambulatorisch behandelten Kranken betrug 407.
Die 429 stationären Kranken boten folgende hauptsäch-
lichsten chirurgischen Krankheiten der Beobachtung dar:
Verletzungen der Weichthele . . . 55
Geschwüre Nun ee on oD
Abszese . . i ses
Frakturen — frische u ie 98
Laxationen . . May)
Knochen- und Gel eokheiten 188
Orthopädische Affectionen . . . . 10
Geschwülste . . . 42
Spezielle (unter Forschen Ribriken
nicht enthaltene)
chirurgische Krankheiten des Kopfes 28
5 ” des Halses 7
> as der Brust u.
desBauches 8
5 5 desBeckens 23
a A der äussern
Bedeckungen 44
Syphilitische Affektionen . . . . 82
Zusammen . . . 429
— 124 —
Auf diese 429 Fälle kamen zusammen 110 Opera-
tionen u. Zw.:
11 Resectionen:
2 des Oberkiefers: 1 wegen Sarcom und 1 wegen Zot-
tenkrebs des Antr. Highmeri;
2 des Unterkiefers: 1 wegen Carics und 1 wegen Kie-
ferklemme nach Noma (Esmarch);
2 des Ellbogengelenkes: 1 wegen Carics und 1 wegen
käsiger Ostitis der Gelenksenden;
2 des Handgelenkes: beide wegen Carics.
2 des Kniegelenkes: beide wegen Carics
1 eines nach schlechtgeheiltem Bruche vorstehenden
oberen Bruchendes der Tibia.
2 Amputationen:
beide des Unterschenkels wegen Carics im Sprungge-
lenke,
A Exarticulationen:
2 aller Zehen wegen Frostbrand ;
1 der zweiten Zehe wegen Zermalmung.
1 des Zeigefingers wegen Lupus.
Anderweitige Knochenoperationen:
2 Devidement des Fersenbeines wegen Caries und Ne-
crose.
3 Necrotomien: 2 des Radius und 1 des Femur.
1 Osteotomie des humerus nach schlechtgeheiltem Bruche
in der Nähe des Ellbogens.
2 Osteopalinklasis (Wiederabbrechen des Knochens)
bei 2 schlechtgeheilten Fracturen des Unterschenkels.
1 Geradebrechen eines rhachitisch-verkrümmten Unter-
schenkels.
5 Brisementsforces:
1 des Ellbogengelenkes, 2 des Hüftgelenkes, 2 des Knie-
gelenkes;
5 Repositionen von Luxationen des Schultergelenkes
davon 4 frische und 1, 12 Wochen alte, nach Prof. Heine’s
Methode.
— 125 —
1 Durchtrennung der Plantaraponeurose ;
1 Tenotomie der Achillessehne;
1 Operation von Hygroma proliferum — Aus-
_ léffelung ;
5 Punctionen:
1 Hydrops antri Highmori, 1 Cystenkropf, 1 Hydroova-
rium, 2 Hydrokelen. .
39 Geschwulstexstirpationen:
1 Cyste in der Gesäss-Gegend,
2 Atherome der Schädeldecken,
1 Lipon im Nacken,
5 Lymphome: 4 der Halsgegend, 1 der Unterkiefer-
gegend,
4 Condylome (spitze),
1 hypertrophirte Haut des Rückens,
1 Lupusknoten (Kali causticum)
10 Sarkome, theilweise combinirt mit Fibrom, Myxom,
Enchondrom und Osteom:
1 der Schädeldecken,
1 der Nasenhöhle durch osteoplast.
1 der Nasenrachenhöhle en
2 der Supraclaviculardrüsen,
1 der Achseldrüsen,
1 des Thorax,
2 der Hand,
1 des Oberschenkels.
11 Carcinome:
2 an den Schädeldecken,
1 an der Schläfe — Plastik,
4 an der Unterlippe, 3mal mit Plastik,
1 an der Mamma,
2 im Rectum,
1 an der Mittelhand ;
3 Ulcera rodentia:
2 der Wange, 1 der Nasenspitze, jedesmal mit nach-
folgender Plastik ;
— 126 —
Weitere plastische Operationen:
1 des Augenwinkels,
1 der Lippe und Wange nach Noma,
1 des weichen Gaumens nach Syphilis.
Unter den bisherigen Rubriken noch nicht auf-
geführte
Operationen am Kopfe:
2 Hasenscharten-Operationen,
1 Rhinoplastik aus der Stirne;
Operation am Halse:
1 Tracheotomie Polyp der
1 Laryngotomia thyreoidea Stimmritze.
beide wegen
carcinoma-
töser Strietur
desOesopha-
gus
1 Myotomia des musc. thyreopharyngeus
1 Cartilaginotomie des Schildknorpels
Operationen an der Brust:
1 Amputatio Mamme wegen Krebs;
Operationen am Becken:
2 Operationen einer Blasenscheidenfistel,
1 Operation der Anterversio uteri (Anfrischung und
Nath) ;
Operationen an den äussern Geschlechts-
theilen:
2 äussere Urethrotomien,
1 Operation einer Harnröhrenfistel,
2 forcirte Dilatationen (Thompson) hochgradiger Strik-
turen der Harnröhre,
5 Phimosenoperationen,
1 Castration wegen einer Dermoideyste des Hodens.
Ausser diesen wurde an amhulatorischen Kranken noch
eine Anzahl kleinerer operativer Eingriffe vorgenommen.
So —
B. Klinische Mittheilungen.
Das im Vorstehenden übersichtlich klassifizirte Beob-
achtungsmaterial der Klinik in dem ersten Jahre ihrer Neu-
gestaltung, bot des Interessanten und Erwähnungswerthen so
Mancherlei, dass eine Schilderung aller vorgekommenen merk-
würdigeren Fälle an diesem Orte unmöglich ist. Ich be-
schränke mich daher darauf, nur eine kleine Zahl solcher
Beobachtungen ausführlicher mitzutheilen, welche für den uns
am nächsten stehenden Leserkreis unserer Zeitschrift, die
praktischen Aerzte des Landes ein unmittelbareres Interesse
besitzen dürften. Die folgenden kasuistischen Selekta’s wer-
den daher weniger Fälle betreffen, welche durch ihr seltenes
Vorkommen oder durch aussergewöhnliche Komplikationen
bemerkenswerth sind, als vielmehr solche, die in den Bereich
der Thätigkeit jedes Praktikers fallend den Erfolg einer auf
genaue Diagnose und richtige Indicationen basirten operativen
Behandlung auch unter schwierigen Verhältnissen und ohne
Zuhilfenahme eines besonderen Instrumentenapparates und
ohne grosse technische Fertigkeit demonstriren.
Ich unterlasse es aus diesem Grund aus der obigen Zu-
sammenstellung Fälle herauszuheben, welche durch die erst-
malige Anwendung neuer Operationen und Operationsmetho-
den, neuer chirurgischer Apparate oder durch seltene patho-
logisch-anatomische Beobachtungen besondere Beachtung be-
anspruchen können. Ich erwähne dieselben nachstehend in
der Kürze nur um ein annähernd getreues Bild von den Rah-
men unserer klinischen Thätigkeit zu geben und von unserer
Bemühung dem Geiste des Fortschrittes auf unserem Gebiete
Rechnung zu tragen, Zeugniss abzulegen. Zu diesen Fällen
gehören:
eine osteoplastische Resektion des Oberkiefers behufs
Exstirpation eines fibromatésen Nasenrachenpolypen nach einer,
von den bisher üblichen abweichenden Methode, zwei Resek-
tionen des Kniegelenkes mittelst seitlicher, die Längsachse
des Beines rechtwinkelig schneidender Querschnitte und Ab-
— 128 —
sigung der Knochenenden in vier Segmenten mittelst Drill-
borer und Stichsäge (ein Verfahren, das mir den Eiterabfluss
besser zu sichern und den Gelenkverband zwischen Femur
und Tibia weniger zu lockern schien als die bisherigen Re-
sektionsmethoden) ; eine Resektion des Ellenbogengelenkes
mit Nachbehandlung in einer neuen Resektionsschiene nach
meiner Angabe; ein Fall von carcinomatöser Striktur des
Oesophagus, bemerkenswerth durch die bei demselben zuerst
von mir ausgeführten Operationen der subkutanen Myoto-
mie des M. thyreopharyngeus und der Cartilaginotomia thy-
reoidea; ein Fall eines carcinomatösen Larynxpolypen, der
mittelst der Laryngotomia thyreoidea, nach vorausgegangener
Tracheotomie excidirt wurde, ein Fall von angeborener Der-
moideyste des Hodens bei einem 11%, jährigen Kinde in wel-
chem ich die Castration mit Erfolg ausführte und die mi-
kroskopische Untersuchung die werthvollsten Aufschlüsse über
diese Geschwulstform bot; eine Beobachtung eines kolossalen
Fibroms der seitlichen Thoraxwand, das operativ entfernt
wurde und, wie sich bei der Autopsie ergab, mit Fibrosar-
komen in der Muskulatur der Wade und metastatischen}Fibro-
men der Lunge kombinirt war; zwei Fälle von gleichfalls
über mannskopfgrossen Sarkomen des Oberschenkels, von
welchen das eine unter den grössten Schwierigkeiten exstir-
pirt wurde; ein Fall von veralteter Luxation des Schulter-
gelenks, deren Reposition nach eigener Methode überraschend
leicht gelang (vgl. Wiener med. Wochenschrift J. 1870 Nr.
25 und 26) und endlich verschiedene Fälle von Hüftgelenk-
streckungen und Oberschenkelfrakturen, in welchen zum Zweck
der Anlegung meines Gypshosenverbandes ein von mir an-
gegebener, leicht transportabler Stützapparat (den ich auch
in den Feldlazarethen auf dem französischen Kriegsschauplatz
mit bestem Erfolge benützte) erstmals zur Verwendung kam
und in welchen ich in weiterem Verlaufe die Extension mit-
telst eigener, in der Gegend des Sprunggelenkes in den Ver-
band eingegypster Extensionsschienen in vortheilhaftester
Weise mit dem Gypsverbande vereinigte.
— UE)
Die Mehrzahl dieser Fälle sieht ihrer anderweitigen Ver-
öffentlichung entgegen:
Die folgenden Mittheilungen, welche mit Ausnahme der
ersten von den beiden klinischen Assistenten abgefasst wur-
den, betreffen:
1. Einiges über Sehnenscheidenentzündun-
gen und deren Behandlung.
2. Mittheilung wegen eines Falles von sehr
hoch reichendem Carcinom des Mastdarms. Ope-
ration, grosser Blutverlust. Heilung.
3. Uleus rodens der Nasenspitze. Abtragung
mit dem Messer. Rhinoplastik. Gutes Resultat.
4. Grosser Defekt der Wange und des Mun-
des in Folge von Noma. Meloplastik und Cheiloplastik.
Narbige Kieferklamme. Esmarch’sche Operation (Anlegung
eines falschen Kiefergelenks.) Schöner Erfolg.
5. Schlecht geheilte Fraktur des untern Hu-
merusendes mit Beschränkung der Flexion des Ellebogen-
gelenkes. Subcutane Osteotomie der Frakturstelle
und Geraderichtung (operirt von Dr. Lang.) Voll-
ständiger Erfolg.
6. HochgradigeCaries des Handgelenkes und
der Handwurzel. Resektion. Persistenz des cariösen
Processes an zurückgebliebenen Handwurzelknochen.
7. Impermeable Striktur der Harnröhre, die
in Folge von Harnretention zur Punktion der Blase geführt
hatte. Urethrotomia externa. Heilung.
1. Einiges über Sehnenscheidenentzündungen
und deren Behandlung.
In die Lehre von den entzündlichen Affektionen der
Sehnenscheiden, die gerade in Tirol ein nicht unbedeutendes
Contingent zu den chirurgischen Krankheiten zu stellen sehei-
nen, ist in der neueren Zeit durch sorgfältigere pathologisch-
— 130 —
anatomische Untersuchungen grössere Klarheit gekommen.
Seitdem die Sehnenscheidenentzündungen auf Grund ihrer ana-
tomischen Charaktere und ihrer Verlaufsweise in Parallele
gestellt wurdeu zu den Gelenkentzündungen und diese Gegen-
überstellung auch in der Nomenklatur ihren Ausdruck ge-
funden, wird der Praktiker in der Differential-Diagnose der
verschiedenen Entzündungsformen der Sehnenscheiden gerin-
gere Schwierigkeiten finden. Wir unterscheiden einerseits
eine akute seröse Tenosynitis als Analogon der akuten
serösen Gelenkentztindung, hervorgerufen durch Contusionen,
Distorsionen, rheumatische Einflüsse ete. und anderseits eine
chronische seröse Tenosynitis, die als Hygrom der
Sehnenscheiden dem chronischen Hydarthros gegenüber steht
und bald diffus über eine grössere Strecke einer Sehnen-
scheide, oder deren ganzen Verlauf sich erstreckt, bald nur
in einer herniösen, gelegentlich zu Cystenbildung führen-
den Ausstülpung derselben besteht, die manchmal kaum
noch genetisch als Adnex der Sehnenscheide aufzufassen ist;
auch für diese sog. „Sehnenscheidenganglien“ gibt es an den
Gelenken ein Analogon in den hygromatös gewordenen An-
hängen der Synovialsäcke, die zuweilen zu ganz oder fast
ganz in sich geschlossenen Schleimbeutelhygromen werden wie
das Hygrom der bursa suprapatellaris, oder die hierorts ein-
mal zu meiner Beobachtung gekommenen Hygrome der bursa
poplitaca und der bursa muc. capitis interni gastrocnemii,
die meistens mit dem Kniegelenke zusammenhängen, zuweilen
aber auch davon getrennte Hohlräume darstellen.
In den Säcken der hygromatös entarteten Sehnenschei-
den kann es bei längerer Dauer und grösserer Ausdehnung
derselben zur Bildung kleiner theils freier, theils adhärenter
„Sehnenscheidenkörper“ kommen, welche ein Seiten-
stück zu.den Gelenkkörpern bilden. Diese unter dem Na-
men „corpuscula oryzoidea“ belegten Gebilde sind, wie
bekannt, kleine glattovale Reiskörnern oder Melonenkernen
ähnliche, weisse oder gelblichweisse, schlüpfrige Körperchen,
deren Entstehung noch nicht ausser allen Zweifel gestellt ist.
Laan ee Ss
Wahrend von den Altern Ansichten ganz abgesehen heutzu-
tage die Einen sie als Faserstoffgerinnsel betrachten, welche
bald die Ueberreste kleiner Blutergüsse (Velpean), bald freie
Gerinnungen des serösen Inhaltes des Hygroms (Virchow ä.
Ans., Heineke u. A.) darstellen sollten, deuten sie Andere
(Virchow, Hyrtl etc.) wohl richtiger als zottenartige Excres-
cenzen der Serosa (bez. des subserösen Bindegewebes), welche
ursprünglich gestielt aufsitzend, nachträglich successive durch
Bewegungen der Sehnen und andere mechanisch - irritirende
Einwirkungen abgerissen werden. Wir hatten Gelegenheit
auf der Klinik einen exquisiten Fall von solchem „Hygroma
proliferum“ wie es Virchow nannte, zu beobachten; dieser
Fall, der für uns, neben einigen andern, die Veranlassung zu
dieser Mittheilung wurde und dessen Details ich weiter unten
folgen lasse, forderte uns zum Studium der Genese jener
Körperchen auf.
Die äusseren Formverhältnisse derselben fanden wir so
wie sie die Mehrzahl der Beobachter schildern; nur nicht
ganz so gleichmässig, wie zwei neuere Autoren über diesen
Gegenstand, Heinecke und v. Mosengeil, hervorheben. Einige
waren grösser, andere kleiner als Gurkenkerne, nicht alle
glattoval, manche mehr rundlich, kolbig oder birnförmig, an-
dere annähernd dreieckig, Formverschiedenheiten, wie sie Vir-
chow in seinem Buch über die Geschwülste abzeichnet. Eine
grössere Anzahl derselben zeigte ganz deutlich an dem einen
Ende einen kurzen zarten Stiel; durch einen solchen hin-
gen gelegentlich zwei Körperchen zusammen und bildeten so
ein Zwillingspaar. Der Umstand, dass wir gestielte Körper-
chen in gewisser Menge zu sehen bekamen, beruht vielleicht
auf der eingeschlagenen Behandlungsmethode, die wir weiter
unten angeben werden. Heinecke und Mosengeil wollen das
Vorkommen von Stielen an den Körperchen nicht zugeben;
beide lassen dieselben frei in der Sehnenscheide als Gerin-
nungsprodukt aus dem serösen Inhalte entstehen. Heineke
weiss die Ursachen der Gerinnung nicht anzugeben; um ein
kleinstes Gerinsel, das sich im Centrum verflüssigt, lässt er
— 132 —
neue Fibrinniederschläge in concentrischer Schichtung erfol-
gen; ihre konstante Form erhalten die Körperchen nach sei-
ner Ansicht dadurch, dass sie von der auf- und abgleitenden
Sehne hin- und hergerollt werden. Wie diess bei der An-
wesenheit so vieler Körperchen in verhältnissmässig engem
Raum möglich sein soll, ist schwer einzusehen; dieselben sind
auch in ihrer Mehrzahl nicht walzenförmig, sondern plattoval
in Folge gegenseitigen Drucks. Ihre gleichmässige Grösse
würde für eine so ziemlich gleichzeitig erfolgende, flockige
Gerinnung mit beschränkter weiterer Entwicklung des einzel-
nen Gerinnsels sprechen, eine Vorstellung, die etwas durch-
aus gezwungenes an sich hat. Die Homogenität der Schich-
ten des Körperchens erscheint Heineke als Hauptkriterium
seines Charakters als Gerinnungsprodukt. Mosengeil lässt
die Fibrinbildung im füssigen Sehnenscheideninhalt durch ex-
travasirte Blutkörperchen, oder um abgeschlossene Epithel-
zellen oder eingewanderte Bindegewebskörperchen herum in
concentrisch-lamellöser Schichtung erfolgen. Seine histologi-
schen Untersuchungen, die er an in Müller’scher Flüssigkeit
gehärteten, dann mehrere Tage in Glycerin-Gummi gelegten,
mit Alkohol ausgezogenen und schliesslich in Wasser aus-
gelaugten Präparaten vornahm, ergab ihm Abwesenheit jed-
weder organischen Struktur, keine Andeutung von zelligen
Elementen, feinschaligen Bau mit unregelmässigen Zerklüf-
tungen. Die unzweckmäzsige Behandlung der Präparate vor-
züglich das Liegenlassen in Glycerin und der nachherige Zu-
satz von Wasser, tragen nach meiner Ansicht die Schuld an
diesem negativen Untersuchungsresultat.
Wir haben unsere Corpuscula oryzoidea längere Zeit in
eine schwache Chromsäurelösung gelegt, dann in eine Mischung
von Mandelöl und Wachs eingebettet, hierauf Schnitte ange-
fertigt, diese mit Carmin tingirt, in schwach angesäuertem Wasser
gewaschen, mitabsolutem Alcohol entwässert und nachBehandlung
mit Terpentinöl in Canadabalzam eingeschlossen. Ganze Quer-
schnitte wie zerzupfte Präparate wurden der mikroskopischen Un-
tersuchung bei 3—400facher Vergrösserung unterworfen und
— 133. —
zeigten durchweg in concentrischer Anordnung ein fein reti-
kuläres Bindegewebe, das in eng verstrickter maschenartiger
Verflechtung kleine Zellen mit Zellkernen trug. In den äus-
sersten (jüngsten) Schichten waren die Zellen grösser, blass,
feinkörnig, einige mit 2 Kernen versehen von Spindelform
oder sternförmig mit feinen Fortsätzen versehen, die sie mit
anliegenden Zellen verbanden. Im Centrum fand sich eine
kleine Höhle in Folge schleimiger Erweichung. An der Peri-
pherie sassen da und dort vereinzelte grössere Zellen von
zweifellos epithelialem Typus auf, welche die Ueberbleibsel
einer kontinuirlichen epithelialen Umhüllung darzustellen schie-
nen. Auf grössere Strecken hin lagerte an der äusseren
Contour der organisirten Bindegewebsschichten eine schmälere
Zone von feinkörnigem, strukturlosem Fibrin an, welches sich
offenbar auf die Oberfläche des Körperchens niedergeschlagen,
und die epitheliale Hülle an den betreffenden Stellen zerstört
hatte. Dem entsprechend gaben einzelne Körperchen schon
makroskopisch eine rauhe, filzige Oberfläche zu erkennen,
während die Mehrzahl eine glatte, glänzende Aussenfläche
zeigte. In den bindegewebigen Strata’s der Reiskörperchen
sahen wir da und dort feine, gewundene, gablig sich theilende
Kanäle mit einfach kontrurirten Wandungen, welche wir als
Capillaren deuten zu dürfen glaubten. Die auffälligste und
bisher noch nicht erwähnte Erscheinung des mikroskopischen
Bildes war aber eine disseminirt über die bindegewebige
Grundsubstanz sich vertheilende Anhäufung von scharf kon-
turirten, grobkörnigen, runden, etwas geschrumpften Zellen,
mit ein oder mehreren Kernen, welche frei im Gewebe lie-
gend, ihrer Form und Grösse nach nichts anderes sein konn-
ten, als Eiterkörperchen; Eiterkörperchen, welche das Pro-
dukt der Entzündung bildeten, die wir zum Zwecke der Hei-
lung in der Sehnenscheide erzeugt hatten. Da solche Eiter-
körperchen sich in allen von uns untersuchten corpuscula
oryzoidea fanden, auch in jenen, welchen jede Andeutung
eines Stieles fehlte, die also jedenfalls zur Zeit der Erregung
der Eiterung schon ihre Verbindung mit der Sehnenscheiden-
— 134 —
wand verloren hatten, so sind wir berechtigt, eine Einwan-
derung derselben aus dem flüssigen Inhalt der Sehnenscheide
anzunehmen und können in dieser Beobachtung eine klinische
Illustration zu dem bekannten Experimente v. Recklinghau-
sen’s erblicken, welcher diese Einwanderung von Eiterkörper-
chen an ausgeschnittenen Hornhäuten, die er einem lobenden
Thiere in Körperhöhlen mit entzündeter Auskleidungsmem-
bran eingelegt hatte, zuerst nachwies.
Wir sehen somit, in Uebereinstimmung mit Virchow’s
neuerer Ansicht, die Reiskörperchen als bindegewebige Aus-
wüchse der Serosa und des subserösen Bindegewebes der
Sehnenscheide an, welche mit der Zeit, zum Theil wenigstens
durch die Bewegungen der Sehne oder durch die massenhaften
Nachschübe benachbarter Körperchen von ihrem Mutterboden
losgerissen werden. Die Analogie mit einer gewissen Gat-
tung von Gelenkkörper wird hiedurch eine vollständige und
wie diese, so kann auch bei jenen der centrale Kern des
Neugebildes sich schleimig verflüssigen oder knorpelig wer-
den, wovon einige unserer Sehnenscheidenkörper erste Spu-
ren wahrnehmen liessen. Denkbar ist dabei immerhin, dass
gelegentlich eine kleine Exerescenz von einer an Mächtigkeit
sie weit übertreffenden Fibrinhülle nach und nach umschlos-
sen wird, in welcher nur aufmerksame Untersuchung den
bindegewebigen Grundstock noch entdecken wird.
Da nicht in allen Fällen von chronisch-seröser Tenosy-
nitis corpora oryzoidea gefunden werden und da, wo diese
vorkommen, meist nur wenig oder gar kein flüssiger Inhalt
in der Sehnenscheide sich befindet, so dürfte es sich wohl
empfehlen, von einer besondern chronischen „Tenosynitis
proliferans“ zu sprechen, welche eine höhere Entwick-
lungsstufe der chronischen serösen Tenosynitis darstellt, so
wie die Arthritis deformans, welche zur Bildung freier Ge-
lenkkörper führt, aus dem chronischen Hydarthros oder der
chronischen (serösen) rheumatischen Gelenkentzüdung sich ent-
wickelt. —
So wie die serösen Entzündungsformen der Sehnen-
— 15 —
scheiden haben auch die eitrigen ihr Vorbild unter den Ge-
lenkentzündungen.
Wir unterscheiden eine akute eitrige Tenosy-
nitis und eine chronische eitrige Tenosynitis.
Erstere, auf traumatischem Wege durch Stich-, Schnitt- und
Quetschwunden am häufigsten entstanden, führt zu Phleg-
monen der Umgebung, weithin dissecirenden Eiterungen und
schliesslichem Aufbruch nach Aussen ganz wie die Arthro-
meningitis purulenta acuta. Sie kann wie dise kroupös
werden und selbst diphtheritischen Charakter annehmen,
entsprechend den kroupösen und diphtheritischen Entzündungs-
formen der Gelenke. Die chronische eitrige Tenosynitis geht
über in die fungöse Sehnenscheidenentzündung
welche das vollkommenste Analogon der fungösen Gelenk-
entzündung darstellt, mit ihren schlaffen, schwammigen, eitrig
infiltrirten, leicht blutenden Granulationen, von denen die
Sehnenscheide erfüllt ist, ihrer dünnen, schlechten Eiterse-
kretion, der Unterminirung der bedeckenden, an der Entzün-
dung participirenden Haut und dem schliesslichen mehrfachen
Durchbruch derselben. Ja selbst in der Nekrose der Sehne,
wie sie nicht selten den Ausgang der fungösen Tenosynitis
bildet, können wir ein Gegenstück zu der nekrotischen Ab-
stossung der Knorpelüberzüge der Gelenke in Folge ihrer
Unterwühlung durch die fungösen Granulationen der Syno-
vialmembran und des Knochens erblicken. In diesen fun-
gösen Massen lassen sich, innerhalb der Sehnenscheiden wie
innerhalb der Gelenke, zuweilen bei der histologischen Unter-
suchung miliare, der Verkäsung anheimfallende Herde nach-
weisen, welche als Tuberkelknötchen angesprochen wer-
den müssen und bei massenhaftem Auftreten eine wahre Mi-
liartuberkulose derSehnenscheiden konstituiren wie
sie durch R. Volkmann und Andere an den Synovialhäuten
der Gelenke konstatirt wurde und in seltenen Fällen bei scrophu-
lösen und tuberkulösen Individuen an Sehnenscheiden und Syno-
vialhäuten nebeneinander vorkommen. Ich habe solche fungösen
Sehnenscheidenentzündungen wiederholt beobachtet und gegen-
Naturw.-med. Verein. 12
— 136 —
wärtig wieder eine solchen Fall von mehrwöchentlichem Ver-
lauf bei einem Knaben in Folge einer heftigen Distorsion der
Sehne des Flexor pollicis longus auf der Klinik. Die erfor-
derliche operative Behandlung kann sich in der Regel nicht
auf die Incision der Sehnenscheide beschrenken, die auch nur
wenig dünnen Eiter liefert unter Hervorquellen der Granu-
lationen aus der Schnittwunde. Die letzteren müssen zer-
stört werden und an ihrer Stelle frische kräftige Granulations-
bildung, wo möglich mit Erhaltung der Sehne angeregt wer-
den. Die Zerstörung geschieht mit dem Aetzkalistift oder mit
reiner krystallisirter Carbelsäure, die in Stangenform gegossen
wurde, oder mit dem Glüheisen, oder die Granulationen wer-
den mit. der Hohlscheere abgetragen. Stark adstringirende
oder irritirende Verbandmittel wirken gewöhnlich nicht ener-
gisch genug. Empfohlen wird auch das Auskratzen oder
Abschaben der schwammigen Massen von ihrer Unterlage
mit einem Raspatorium oder schneidenden Knochenlöffel, ein
Verfahren, das scheinbar ein rohes, doch als radikalster Ein-
griff gerade in den hartnäckigsten Fällen noch zum Ziel füh-
ren kann, wovon ich mich selbst überzeugte.
Die chronische eitrige Tenosynitis kann end-
lich auch metastatisch auftreten, als Theilerscheinung der
Pyämie, ein Seitenstück zu den metastatischen Gelenk-
entzündungen; vorzüglich chronische Pyämie bietet dazu
Veranlassung. Ein Aufbruch nach Aussen bildet hier nicht
den nothwendigen Ausgang, sondern man wird bei günstigem
Verlauf der Allgemeinkrankheit hoffen dürfen, die Resorption
(unter Anwendung resorptionsbefördernder Mittel, wie Jod-
bepinselungen) in der Mehrzahl der Fälle erfolgen zu sehen.
Es erübrigt einer letzten Entzündungsform der Sehnen-
scheiden zu gedenken, welche, der Mittelstellung entsprechend,
die diese letzteren in anatomischer Beziehung zwischen den
Synovialhäuten der Gelenke und den serösen Häuten der
grossen Körperhöhlen einnehmen, ihre Analogie in gewissen
Entzündungen der einen wie der andern findet. Ich meine
die sowohl akut als chronisch auftretende Tenosynitis
— 137 —
crepitans. Diese, charakterisirt durch ein knisterndes Ge-
räusch, welches bei mässiger schmerzhafter Schwellung der
Sehnen entsteht, besteht in nichts anderem als in einer der
adhäsiven, trockenen Pleuritis oder Pericarditis ähnlichen Ent-
zündung, welche bei sehr geringer Exsudation zu Anflügen
von Bindegewebswucherungen auf der Innenfläche der Sehnen-
scheide geführt hat. Diese organisirte (nicht fibrinöse) Auf-
lagerung mit ihrer rauhen Oberfläche erzeugt beim Vorüber-
streifen der Sehne für das Gefühl ein Reibegeräusch, das
dem Knarren des Leders oder eines festgefrorenen Schnees
am meisten entspricht, und um so deutlicher wird, je mehr
Flächenausdehnung die Bindegewebsneubildung besitzt, je
spärlicher das flüssige Contentum der Sehnenscheide ist und
je stärker die Weichtheile mit dem zufühlenden Finger gegen
die unterliegende Sehne angedrückt werden. Fibrinöse Ge-
rinnungen der Sehnenscheidenflüssigkeit scheinen dabei keine
oder nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Das crepitirende Geräusch verliert sich, wenn die Ent-
zündung zurückgeht, durch Abschleifung der rauhen Excres-
cenzen und Glättung der Sehnenscheidewand. Zu einer Ver-
wachsung derselben mit der Sehne, welche einen Verlust der
Beweglichkeit der letzteren nach sich zöge, kommt es nicht.
Der Unterschied von der adhäsiven Pleuritis, der sich hierin
ausspricht, ist ein leicht erklärlicher. Am häufigsten stellt
sich diese T. crepitans an den Sehnen des Abductor und des
Extensor pollicis longus ein, erkenntlich an einer dem Ver-
laufe dieser Sehnen im untern Drittel das Vorderarms fol-
genden, spiralig um den radius sich ziehenden Schwellung.
Vorzugsweise davon befallen werden Wäscherinnen, welche
beim Auswinden der Wäsche jene Muskeln übermässig an-
strengen. Aber anch Flexoren und Extensoren der Finger
bei Clavierspielern tendiren dazu und gestatten der Entzün-
dung einen chronischen Charakter anzunehmen, wenn die
schädliche Ursache nicht längere Zeit hindurch bei Seite ge-
schoben wird. Ruhe (Gypsverband), Jodtinkturbepinselung
Umschläge führen, zeitig genug angewandt, rasche Heilung herbei.
12 *
= HOON aa
An den Gelenken erinnern gewisse, seltene Entzündungs-
formen mit kaum nennenswerther Exsudation und aller Wahr-
scheinlichkeit nach vascularisirten Bindegewebsauflagerungen
auf die Synovialhaut, welche ihrer trockenen Beschaffenheit
wegen Crepitation bei den Bewegungen des Gelenks erzeugen
und zu adhäsiven Verklebungen und Verödungen der taschen-
förmigen Synovialhautausstülpungen führen, wenn nicht recht-
zeitige Rückbildung eintritt, an das entworfene Bild der Te-
nosynitis crepitans.
Von den im Vorstehenden übersichtlich und vergleichend
zusammengestellten Sehnenscheidenentzündungen, welche sich
übrigens nicht so scharf gegen einander abgrenzen, dass nicht
Uebergänge von der einen zur andern möglich wären, kamen
während meines erst so kurzen Aufenthaltes an hiesigem Orte
schon so viele zu meiner Beobachtung, dass es nicht müssig
ist, die Frage nach der Ursache der Häufigkeit dieser Er-
krankungen hierorts aufzuwerfen. Wir können freilich dar-
über wenig mehr als Vermuthungen aussprechen. Angesichts
der Erfahrung, dass die rheumatischen Affektionen zu den
verbreitetsten Leiden der hiesigen Bevölkerung gehören und
der Thatsache, dass unter den beobachteten Fällen von Seh-
nenscheidenentzündungen ebenso viele den wohlhabenderen
als den ärmeren, arbeitenden (und allerdings sehr hart ar-
beitenden) Classen der hiesigen Bevölkerung angehören, ist
man geneigt, in den klimatischen Verhältnissen hiesiger Ge-
gend mehr als in zufälligen mechanischen Irritationen die
Schuld zu suchen. Die so oft wiederkehrende jähe Tempe-
ratursteigerung, die durch den Ausbruch des Sirocco bedingt
wird und an einem und demselben Tage Temperaturdifferenzen
von 16—18° R. herbeizuführen im Stande ist, vermag seine
schädliche Wirkung an den exponirten, oberflächlich liegen-
den Bewegungsorganen vor Allem geltend zu machen und
hier, wie überhaupt, Congestivzustände hervorzurufen. An-
dererseits haben die Jahre lang fortgesetzte meteorologische Unter-
suchungen eine ungewöhnliche Trockenheit der atmosphärischen
Luft hierorts ergeben, für die es nicht schwer fiele, die man-
— 139 —
nigfaltigsten Belege aus dem täglichen Leben beizubringen.
Plötzliche weitere Herabsetzung des an und für sich ge-
ringen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft bewirkt gleichfalls
der warme Südwind bei seinem Einbrechen in unsere tieferen
Luftschichten. Auch in dieser Beziehung ist die Annahme
nahe gelegt, dass der unvermittelte rasche Uebergang in sei-
ner Wirkung auf die physiologisch auf einen gewissen Grad
der Durchfeuchtung angewiesenen aktiven Bewegungsorgane
den schädlichen Krankheitserreger bildet. Wie sehr die ex-
ponirte Lage der Sehnenscheiden hiebei mit in’s Spiel kommt,
beweist sich nicht blos aus der häufigeren Erkrankung ge-
rade der oberflächlichsten und durch die Kleidung am we-
nigsten geschützten derselben, sondern auch aus der von mir
gemachten Beobachtung, dass die Erkrankten vorwiegend In-
dividuen mit fettarmem Unterhautzellgewebe, zarter Haut und
schmächtigen Sehnen und Muskeln waren.
Indem wir uns auf diese wenigen allgemeinen Andeu-
tungen beschränken, fügen wir, unter Uebergehung der eitrigen
und krepitirenden Sehnenscheidenentzündungen, von denen
wir mehrere Fälle beobachtet, über die wir nur Bekanntes
zu wiederholen wüssten, noch einige Details über unsere Er-
fahrungen hinsichtlich der Behandlung der chronischen
serösen und proliferirenden Tenosynitis hinzu, die
einigen Anspruch auf Neuheit für den Praktiker erheben dürften.
Vier Fälle von einfachem Sehnenscheidenhy-
grom des Flexor digitorum comm. subl. und prof. und ein
Fall von Hygroma proliferum derselben Sehnenscheide
boten uns die Gelegenheit dazu. Eine sechste Kranke mit
Hygrom (das wahrscheinlich auch ein proliferirendes war)
stellte sich nur einmal vor und unterzog sich keiner Behand-
lung. In drei von jenen 5 Fallen war nur der oberhalb des
lig. carpi volare gelegene Abschnitt der Sehnenscheide hyger-
matös entartet, in den zwei anderen participirte auch der in
der vola manus gelegene Theil an der Erkrankung und das
gen. Band theilte den hygromatösen Hohlraum quersackähn-
lich in 2 Abtheilungen.
Ey eee
Die Anwesenheit der corpuscula oryzoidea liess sich in
dem Falle von Tenosynitis proliferans aus dem Gefühl von
Knarren beim abwechselnden Niederdrücken auf den oberen
und untern Theil der elastischen Geschwulst feststellen.
Von den 4 einfachen Sehnenscheidenhygromen kamen
3 bei jüngern Männern, eines bei einer ältern Frau vor;
drei derselben waren etwa hühnereigross, eines hatte die
Grösse eines Gänseeies; die Erscheinungen, die sie im Ueb-
rigen darboten, waren die bekannten. Alle 4 hatten schon
eine längere Zeit hindurch bestanden und waren unter Be-
einträchtigung der freien Bewegung der Finger langsam ge-
wachsen. Die Mittel, welche zur Beseitigung derselben an-
gewandt wurden, waren: Immobilisirung im Gypsverbande
oder Schienenverbande, Einpinselung von Jodtinktur, hydro-
pathische Einwicklungen, Compression, Punktion mit subku-
taner Discission der Hygrom-Wandung. Weitere in Frage
kommende operative Eingriffe, von welchen einzelne in dem
Falle von Hygroma proliferum Anwendung fanden, und unter
welchen die für Ganglien speziell bestimmten unerwähnt blei-
ben, sind: Einfache Punktion mit dem Troisquart, Punktion,
mit Injection von Jodtinctur, subkutane Incision, kleiner freier
Einschnitt, Drainage, Spaltung des Sacks nach seiner ganzen
Länge. Dazu kommt in neuerer Zeit die elektrolytische Me-
thode, welche indessen, soweit die bisherigen Erfahrungen
reichen, wegen grösserer Unzuverlässlichkeit und grösserer
Gefährlichkeit der ihr am nächsten stehenden Punktion mit
Jodtinkturinjektion nachgesetzt werden muss.
Als das wirksamste unter den schonenderen Verfahren
kann ich die methodisch angewandte Compression besonders
in ihrer Verbindung mit dem Gypsverbande und der jewei-
ligen Jodtinkturbepinselung empfehlen. Ich verfuhr behufs
Applikation dieses kombinirten Verfahrens in einem
der obigen Fälle in folgender Weise:
Ich legte bei geringer Dorsalflexion der Hand einen
Gypsverband von den Finger-Knöcheln bis zum Ellbogenge-
lenke an, versah denselben gegenüber dem Hygrom mit einem
— 141 —
länglich-ovalen Fenster, welches dasselbe genau einrahmte,
bedeckte die Oberfläche des Hygnom’s mit einem befetteten
Leinwandstück und legte auf dieses ein eigens zugeschnittenes,
handhohes Stück trockenen, noch nie benütztenBad-
schwamms, das mit seiner schmalen Schnittfläche genau
das Fenster des Gypsverbandes ausfüllte. Dieses Schwamm-
stück wurde dann mittelst sorgfältiger Bindeneinwicklung sehr
fest gegen seine Unterlage, bez. die Rückenseite des Gyps-
verbandes angedrückt und dabei mindestens auf den zehnten
Theil seiner Höhe zusammengepresst. Dieser Compressions-
verband blieb mehrere Tage liegen, dann wurde er entfernt,
den komprimirten Parthien eine kurze Erholung gegönnt und
darauf der Verband so oft wieder erneuert, bis die vollstän-
dige Resorption des serösen Sehnenscheideninhalts eingetreten
war. In den Intervallen liess ich täglich im Bereiche des
Fensters Jodtinktur einpinseln. Diese Compressionsmethode _
hat den grossen Vorzug vor allen früheren im höchsten Grade
elastisch zu sein und kann desshalb ohne Decubitus her-
vorzurufen, eine beliebig lange Zeit hindurch in Wirkung
bleiben (und dazu unter Umständen mittelst Gypsbinden aus-
geführt werden), ohne dass die Haut andere Spuren als die
des reliefartigen Abdrucks der Schwammoberfläche davon-
triige. Der Druck ist kein circulärer, ruft desshalb auch
keine Stauungserscheinungen an der Hand hervor. Es ver-
hält sich diese Compressionsart zu der noch neuerdings von
Heinecke empfohlenen mit Wattenbausch und Cirkelbinden-
touren um den blossen Vorderarm wie die Wirkung der sog.
Compressorien bei Arterienkompression zu derjenigen des Tour-
niquets. Die Benützung eines aufgerollten Bindenkopfs statt
des Badeschwamms als Druckmittel, wie ich sie gleichfalls
versuchte, ist weniger vortheilhaft wegen der geringeren Ela-
sticitat. -
In zweien nnserer obigen Fälle führte dieses kombinirte °
Verfahren in 4—5 Wochen die vollständige Resorption des
wässerigen Inhalts des Hygroms herbei. Mit diesem Erfolge
darf man sich aber nicht begnügen. Die Behandlung muss
— 12 —
tiber diese Zeit fortgesetzt und die Sehne von dem Kranken
noch längere Zeit geschont werden, wenn nicht bald wieder
ein Recidiv eintreten soll, wozu der Verlust der Elasticitat
der fibrösen Sehnenscheide noch lange prädisponirt. Die Ver-
nachlässigung dieser wichtigen Vorschrift hat in einem un-
serer Fälle nach einiger Zeit wieder ein stärkeres Anlaufen
der Sehnenscheide nach sich gezogen.
Gegen diese Möglichkeit eines Rückfalles schützt auch
die Mehrzahl der andern operativen Behandlungsmethoden,
wie die Entleerung des Hygrominhalts durch Punktion, die
Punktion mit Skarifikation, die subkutane Incision nnd Dis-
cission nicht. Ich habe diese letztere in einem dritten
unserer Fälle mittelst eines kleinen konvexen Tenotoms aus-
geführt und den Inhalt des Hygroms theils durch die Ein-
stichsöffnung nach Aussen, theils durch die inneren Einschnitte
seiner Wandung in das umgebende Zollgewebe entleert. Darauf
applicirte ich einen Druckverband mittelst einer Dorsalschiene
Charpieballen und Rollbindeneinwicklung. Dieser musste je-
doch wegen venöser Hyperämie der Finger bald wieder ent-
fernt werden. Jodtinkturbepinselung, hydropathische Um-
schläge mit mässiger Compression verhüteten die wiederan-
füllung der Sehnenscheide. Einige Wochen vergiengen und
das Resultat schien gesichert, als der Kranke meiner War-
nung ungeachtet, seine Hand durch tagelanges Schleppen von
Aktenstössen wieder übermässig anstrengte und dadurch eine
erneuerte, wenn auch auf einem geringeren Grade beschränkte
Exsudation in seine Sehnen sich zuzog, gegen welche aus
äusseren Gründen bislang eine weitere Behandlung nicht ein-
geleitet wurde.
Etwas grössere Sicherheit gegen ein Recidiv gewährt die
Punktion mit Injektion von Jodtinktur, besonders in jenen
Fällen, in welchen die erregte Entzündung eine gewisse In-
tensität erreicht. Hiebei kann es selbst zu Eiterungen kom-
men. In diesem Falle wird die Punktionsöffnung ein klein
wenig mit dem Bistouri erweitert und ein Carbolölläppchen
eingelegt, bei erschwertem Eiterausfluss auch eine Gegenöff-
— 143 —
nung gemacht und drainirt. Die Heilung erfolgt dann auf
dem Wege der Granulationsbildung, doch ohne Exfoliation
der Sehne. Die Spaltung des Hygroms seiner Länge nach
(das Analogon der Radikaloperation der Hydrocele) bringt
in dieser Beziehung grössere Gefahr mit sich und kann unter
Umständen zu einer diffusen eitrigen Zellgewebsentzündung
Veranlassung geben, sollte also nur in Ausnahmsfällen zu
Hülfe gezogen werden. Von einer Exeision kann natürlich
nur beim Ganglion, nicht beim Hygrom, wie wir es definirt,
die Rede sein.
Ganz besondere Anforderungen an die Therapie stellt
das Hygroma proliferum. Hier handelt es sich neben
der Entleerung des flüssigen Inhalts, der zuweilen ein ver-
schwindend geringer ist, um die Entfernung der Reiskörper-
chen. Sowohl in jenen Fällen, in welchen dieselben zufällig
entdeckt wurden, bei der Punktion, als in andern, in welchen
die Therapie auf eine richtige Diagnose basirt wurde, hat
man sich bisher stets begnügt, so viele Körperchen aus der
Stichöffnung auszupressen, als sich durch Druck zu Tage
fördern liessen. Hunderte, ja in dem Falle von Mosengeil
angeblich sogar Tausende konnten auf diese Art entleert
werden. Kamen auf wiederholten Druck keine weiteren mehr
zum Vorschein, so liess man die kleine Stichwunde sich
schliessen und die „momentane“ Heilung war mehr weniger
vollständig erzielt. Aber die Dauer derselben war eine kurze.
Neue Schwellung, neues Conzitiren, neue Punktion mit Ent-
leerung von mehr Serum und weniger Körperchen und wie-
der keine definitive Heilung. Das ist auch leicht erklärlich.
Wurden doch immer nur die freien, nicht adhärirenden
Reiskörperchen, die man freilich auf Grund genetischer Hy-
pothesen als die einzigen vorhandenen ansah, durch die be-
schriebene Procedur entfernt. Die noch festsitzenden gestiel-
ten blieben zurück und wurden die Veranlassung zu einer
neuen Exsudation. Um auch diese sicher zu entfernen, ohne
die gewagte Spaltung des Hygroms vornehmen zu müssen,
versuchte ich in dem zum Schlusse noch kurz mitgetheilten
— 144 —
Falle ein neues Operationsverfahren, das mir nach vergeblicher
Anwendung der bisher üblichen, zu einem vollkommenen und
bleibenden Erfolge verhalf. Dasselbe besteht in der „Aus-
löffelung der Sehnenscheidenkérper®* durch eine
kleine Ineisionsöffnung mittelst eines gewöhnlichen Ohrlöf-
tels nach Abfluss des flüssigen Sekretes. Die Ausführung
ist sehr einfach und bedarf keiner besonderen Beschreibung.
Sie scheint nach unserer Erfahrung ein harmloser Eingriff zu
sein und bringt radicale Hülfe auf dem Wege mässiger Ei-
terung und Schrumpfung der Sehnenscheide ohne Gefährdung
der Sehne und mit Erhaltung von deren freier Beweglichkeit.
Der Fall, in welchemich dieselbe anwandte, ist kurz be-
schrieben, folgender:
R. H., ein schmächtig entwickeltes Bauernmädchen von
20 Jahren, hatte vor 3 Jahren einen kleinen Unfall beim
Holztragen. An der Holzkraxe, die sie auf dem Rücken
trug, ging ihr nämlich beim Aufstützen das rechte Achsel-
band los, die Kraxe drohte zu stürzen, die Kranke hielt sie
mit ihrer linken Hand am andern Achselband noch fest, so
dass die ganze Last mit ihrem schwerem Gewichte an die-
ser Hand für einige Augenblicke hieng.
Die Zerrung der Flexorensehnen in der überstreckten
Stellung war eine erhebliche. Es trat sofort entzündliche
Schwellung ein, die, da die Kranke sich nicht schonte, nie
wieder ganz zurückgieng. Im Gegentheil, die Geschwulst
vergrösserte sich unter zeitweiligen Schmerzen in Folge stär-
kerer Anstrengung zusehends, und hatte, -als die Kranke sich
in der Klinik vorstellte, nahezu die Grösse eines Ganseeies.
Sie sass zur Hälfte in der palma der linken Hand, zur Hälfte
oberhalb des lig. carpi volare, das sie in zwei Kammern
theilte. Sie war prall - elastisch fluktuirend, von normaler
Haut bedeckt. Beim Eindrücken des Fingers konnte man
ein leises Knarren verspüren. Das Schliesen der Hand, so-
wie die völlige Streckung der Finger waren unmöglich. Die
Diagnose wurde auf Tenosynitis proliferans gestellt. Die
Behandlung begann mit Einpinselungen von Jodtinktur
— 145 —
und Applikation eines Druckverbandes mit genässten Binden
gegen eine Dorsalschiene. Der Erfolg war gering. Es wurde
daher zur Punktion der Geschwulst in der Hohlhand
mittelst des Troisquarts geschritten und als diese kaum einen
Tropfen Flüssigkeit zum Vorschein brachte, eine Injektion
von einer geringen Quantität Jodtinktur mit 1% Alkohol ver-
setzt, damit verbunden. Die Reaktion war gering, eine ganz
unbedeutende Eiterung erfolgte, derentwegen die Punktions-
öffnung ein klein wenig mit dem Knopfbistouri erweitert
wurde Da die Eiterung den Zerfall und die Elimination der
Reiskörper nicht zur Folge hatte, entschloss ich mich, die-
selben direkt zu entfernen. Ich dilatirte zu diesem Behufe.
die kleine Wunde noch etwas weiter und vermochte nun
durch Druck auf die Hohlhand zunächst etwas gelbbraune,
viscide Flüssigkeit und dann eine grosse Zahl der Sehnen-
scheidenkörper selbst auszupressen. Als auf wiederholtes
Drücken keine neuen Körperchen mehr zum Vor-
schein kamen, während die Geschwulst doch kaum erst
um die Hälfte abgenommen hatte und sich immer noch ela-
stisch und krepitirend anfühlte, ging ich mit einem Ohr-
löffel mit ziemlich scharfem Rand in den Sack
desHygroms ein und löffelte noch eine mindestens gleich
grosse Menge der Körperchen, die der Mehrzahl nach kleine
zarte Stiele zeigten, durch Radiren der Wandungen aus.
Durch diese Proceduren wurden im Ganzen 112 corpuscula
oryzoidea von der Grösse eines Hanfkorns bis zu der einer
Linse herausbefördert. Dann wurde Charpie eingeführt und
ein Eisbeutel auf die Hand applicirt. Den folgenden Tag
liessen sich durch Druck weitere 16 Körperchen ausdrücken.
Darnach stellte sich eine mässige entzündliche Schwellung
ein mit Röthung der Haut; diese erstreckte sich von der
Hohlhand auf den Vorderarm: An dem hier befindlichen
Theil des Hygroms wurde eine Gegenöffnung gemacht und
drainirt. Einige Tage hindurch hielt die fleckige Röthe am
Vorderarm an bei gelinder Fiebertemperatur, dann .ging sie
zurück auf Applikation von Jodtinktur und hydropathische
— 146 —
Umschläge. Die Eiterung aus beiden Oeffnungen blieb stets
eine geringe und währte nur 10 Tage, während welcher Zeit
die entzündliche wie die frühere hygromatöse Schwellung bis
auf ein Minimum zurückgingen. Nach Ablauf von 14 Tagen
schlossen sich die Wunden. Die Kranke war in Stand ge-
setzt, ihre Finger wieder vollständig zu beugen und zu stre-
cken. Die Heilung konnte bei ihrer kurz darauf erfolgten
Entlassung als eine radikale bezeichnet werden. Einige Wo-
chen später stellte sie sich wieder auf der Klinik vor. Die
Geschwulst und die mit derselben verbundenen Beschwerden
waren und blieben verschwunden.
Die folgenden klinischen Beobachtungen sind, die ersten
4 von dem 1. Assistenten der Klinik, Herrn Dr. Lang,
die letzten 2 von dem zweiten klinischen Assistnnten, Herrn
Dr. Schlemmer auf Grund unserer ausführlichen Journal-
aufzeichnung im Auszuge mitgetheilt :
2. Krebs des Mastdarms, hoch hinauf reichend,
vollständige Exstirpation, gefährliche Blutung,
Heilung.
Grosses Interesse gewinnt folgender Fall einestheils durch
die grosse Ausdehnung des der Operation noch unterworfenen
Carcinom des Rectum’s, anderntheils durch den Umstand,
dass die Patientin durch den bei der Operation erlittenen
enormen Blutverlust (und die Einwirkung der Chloroform-
narkose?) länger als 48 Stunden in einem sehr Besorgniss
erregenden Erschöpfungszustande verharrte, und die Heilung
nichtsdestoweniger so vollständig erfolgte, dass, nach einge-
laufener Nachricht, nach Ablauf eines halben Jahres ein Re-
cidiv noch nicht in Aussicht stand.
P. Marie, 58 Jahre alt, erzählt, dass im 20. Lebens-
jahre ihre Menses zum ersten Male auftraten, welche sich
mit Ausnahme der Schwangerschaftszeit ziemlich regelmässig
nn
— 147 —
wiederholten. Im 28. Lebensjahre stellte sich bei ihr eine
durch drei Jahre nicht zu stillende Diarrhoe, ohne Darmblu-
tungen ein, während dieser Zeit war sie mit einem steten
Magenschmerz behaftet. Im 29. Lebensjahre war sie das
1. Mal entbunden worden. Bis vor 13 Jahren gebar sie 9
reife Kinder, von denen 4 am Leben und gesund sind und
abortirte inzwischen 7mal. Nach jeder Entbindung war sie
durch wenige Wochen, vor 17 Jahren, nach einem Abortus,
durch %/, Jahre krank. Vor 7 Jahren will sie eine Bauch-
fellentzündung überstanden haben und seit damals nicht mehr
menstruirt worden sein. Vor 3 Jahren ist sie durch 4 Mo-
nate an einem sehr schmerzhaften Gelenksrheumatismus krank
darniedergelegen.
Vor 7 Jahren (nach früher erwähnter Bauchfellentzün-
dung) hat die Kranke von einer Stange einen Stoss in der
Dammgegend erlitten. Schon früher bemerkte sie Austreten
von Mastdarmknoten beim Stuhl, die wieder von selbst zu-
rückgingen; seit der Verletzung aber sollen die Knoten, na-
mentlich bei harten Stühlen, auch bedeutend geblutet haben.
Erst im vorigen Jahre wurde die Patientin, durch grosse
Schmerzen im After, sich bewusst, dass sie im Mastdarm
ein Gewächs habe. Es soll zu dieser Zeit nussgross gewe-
sen sein. Die Schmerzen, namentlich beim Gehen, wurden
immer lästiger und steigerten sich mit der Zeit so sehr, dass
ihr seit 3 Monaten auch das Sitzen unmöglich geworden.
St. praes.: Der Recto-vaginalraum ist von einer har-
ten, höckerigen, drittelfaustgrossen, bis an die Rectalschleim-
haut reichenden, diese aber nicht durchbrechenden, von der
Vaginalschleimhaut eben bedeckten, bald oberhalb des Peri-
naeums beginnenden Geschwulst ausgefüllt. Dieselbe lässt
sich sowohl vom iteetum, als auch der Vagina aus mit dem
Finger begrenzen. Die hintere Afterperipherie, sowie die
Schleimhaut am hintern Umfange des Rectumendes sind von
einigen Varicositäten durchsetzt. Nächstgelegene Lymphdrü-
sen indact. Abgesehen von den durch die Geschwulst ver-
ursachten Schmerzen, befindet sich die magere Patientin ganz
— 148 —
leidlich, ist bei gutem Humor und erfreut sich einer vollkom-
men guten Verdauung.
Am 14. Juli 1870 schritt Herr Prof. Heine zur Ent-
fernung des Neugebildes in der ohne Zwischenfälle erfolgten
Chloroformnarcose. Um einer später sich bildenden Cloake
vorzubeugen, wird die hintere Vaginalwand, soweit sie die
Geschwulst deckt, longitudinal gespalten und ebenso der Damm
in der Mitteflinie getrennt, Schleimhaut und äussere Decke
werden vom Neugebilde lospräpirt und dieses theilweise her-
ausgehoben. Die Blutung trat bei erneuertem Vordringen
so mächtig auf, dass, obwohl die Gefäse während der Opera-
tion unterbunden wurden, der Rest der Geschwulst mit dem
Ecraseur abgequetscht werden musste. 20 Gefässlumina wa-
ren ligirt und noch immer war eine so bedeutende parenchy-
matöse Blutung vorhanden, dass Eiswasserirrigation sich als
vergeblich erwies und eine ausgedehnte Anwendung des Glüh-
eisens Platz greifen musste. Durchleitung einer starken Schlinge
durch den obern vordern Rectumtheil, um bei etwa auftre-
tender Nachblutung das Operationsplanum hervorziehen zu
können. Vereinigung der Vaginalschleimhaut und des Dam-
mes durch die Knopfnaht.
Die Kranke sieht nach der Operation sehr erschöpft
aus; sie wird sogleich in ein warmes Bett gebracht und mit
warmer Weinsuppe gelabt. Der Erschöpfungszustand steigert
sich immer mehr, ein Ohnmachtsanfall folgt dem andern,
Brechneigung, Schluchzen; der Puls klein und beschleunigt.
Weinsuppe, Eier, Milch und Pot. Riveri. Abendtemperatur
379 ©. Während der ganzen Nacht und den nächstfolgen-
den Tag waren Arzt und Wartpersonale mit der Kranken
beschäftigt, und nur der aufmerksamsten Pflege ist es zuzu-
schreiben, dass die Patientin am 3. Tage nach der Opera-
tion sich so weit erholte, dass man gerechtfertigte Hoffnung
für ihre Erhaltung fassen konnte.
Am 3. Krankheitstage zeigten sich die Vaginalschleim-
hautlappen gangränös. In Carbolöl getränkte Bourdonnets
— 149 —
werden in’s Rectum und in die Vagina eingeführt. Allge-
gemeinbefinden gehoben, beginnende Supuration.
Am 4. Tage mussten die Dammnähte wegen Eiterung
der Stichkanäle entfernt werden; auch der Damm blieb nicht
vereinigt. Erster Abgang von 5 Ligaturen, theilweise Ab-
stossung der grangränosen Partien. Heftpflastervereinigung
des Dammes. Derselbe Verband. Nährende Diät. Der Un-
terleib ist ein wenig empfindlich, nicht aufgetrieben; Kata-
plasmen über denselben. '
Am 5. und 6. Krankheitstage profuse Abendschweisse.
Normale Eiterung. Nach reichem Abgange von Winden wich
die Empfindlichkeit des Unterleibes. Abends werden 2 drei-
granige Chininpulver verabreicht. Das Fieber war im gan-
zen gering (Die höchste Temperatr 38.4° C.) und hörte mit
dem 6. Tage vollkommen auf. Der weitere Verlauf blieb
ein normaler. Am 20. Tage konnte die Patientin bereits
das Bett und am 46. Tage die Anstalt als geheilt verlassen.
Leider ist durch die Gangräneszenz der Schleimhautlappen
und die nicht erfolgte Vereinignng der Dammtheile eine theil-
weise Cloake zurückgeblieben, die operativ beheben zu lassen,
die Kranke nicht zugeben wollte. Erst in jüngster Zeit ha-
ben wir von der Kranken wieder Nachricht erhalten: Ein
Recidiv ist nicht aufgetreten; die Kranke schafft im Hause
so munter, wie je. Die Geschwulst wird auch bei der mi-
_ kroskopischen Untersuohung als Careinom erkannt.
3. Ulcus rodens der Nasenspitze. Abtragung mit
dem Messer. Rhinoplastik. Gutes Resultat.
In den letzten Tagen des Oktober 1870 wurde uns von
einem Herren Kollegen eine Kranke vorgestellt, die mit einem
jeder äussern Medikation trotzenden Geschwüre der Nasen-
spitze behaftet war. Die 64 jährige, ihrem Alter entsprechend
senile Frau erzählte, es sei ihr. vor 15 Jahren ein Stein
auf’s Gesicht gefallen und habe die Nase gekritzt. Von der
— 150 —
Zeit soll diese Stelle immer von einer Kruste bedeckt ge-
blieben sein. Vor zwei Jahren will sie die Kruste verloren,
und seit damals die Nasenspitze geschwürig behalten haben.
Mehr weniger starke Aetzmittel wurden vergeblich angewendet.
Status der Aufnahme: An der Nasenspitze ist ein klein-
fingerspitzgrosses, unebenes, buchtiges, von einem zwei Linien
breiten, harten Walle umgebenes, rein aussehendes und se-
cretarmes Geschwür, das sich mehr gegen den rechten Na-
senflügel hinzieht und denselben am Rande gegen das Sep-
tum zu durch Zerstörung eingekerbt hatte; gegen den linken
Nasenflügel ist nur der infiltrirte, harte Wall verbreitert.
Keine Limphdrüseninfiltration. Es lag somit eine Geschwulst-
form vor, welche gemeiniglich der gutartigsten Form des
Epithelialkrebses zugereiht und als Ulcus rodens bezeichnet
wird. Es war also Heilung nur von einer totalen Exstirpa-
tion zu erwarten.
Am 4. November 1870 trug Prof. Heine beide Na-
senflügel zur Hälfte und das Septum in gleicher Höhe bis
knapp am knöchernen Gerüste sammt Haut und Knorpel
ab. Den Defekt deckte er durch einen Lappen, der seinen
Stiel über dem linken Nasenbeine hatte und dessen beweg-
licher Theil vom Nasenrücken, rechter Nasenhälfte und der
hier angrenzenden Wange genommen wurde. Die freie Spitze
des Lappens wurde zweimal mit der Scheere 4’” weit ein-
geschnitten, die hiedurch entstandene mittlere Zunge, sowie
die seitlichen Hälften wurden nach innen geschlagen und er-
stere für die Nasenspitze, letztere für die defekten Flügel-
theile verwendet. Nachdem die dem Septum zugekehrte Epi-
dermisschichte der künstlichen Nasenspitze mit dem Rasir-
messer abgeschält worden, wurde diese mit jenem durch drei
Knopfnähte vereinigt. Je eine Zapfennaht sicherte die blei-
bende Einkrempung der Nasenflügeltheile und Knopfnähte die
Vereinigung mit den Resten. Die nicht unbedeutende Blu-
tung wird theils durch Ligaturen, theils durch Eiswasserir-
rigation gestillt. Charpie rapee auf die Wunde, ein nass-
kaltes Leinwandläppchen auf den transplantirten Lappen.
— 151 —
2. Krankheitstag. Der rechte Winkel des Lappens ist
ungemein cyanotisch; er wird mehrere Male scarificirt und
durch längere Zeit entblutet, scheinbare Erholung; zu seiner
Entspannung werden die Zapfennaht und Knopfnähte rechts
entfernt. Abends hat die Cyanose derselben Stelle zuge-
nommen; Scarificationen werden wiederholt; Eiswasser auf
den in seinen übrigen Theilen geschwollenen Lappen.
4. Tag: Zunahme der Lappenschwellung, Oedem beider
Lider. Der rechte Lappenwinkel hat sich nicht mehr er-
holt, es droht vielmehr auch ein kleiner Theil des linken
Winkels abzusterben. Entfernung der linken Zapfennaht und
der Nasenspitznihte. Charpie rapée wird durch einen Car-
bolverband ersetzt.
5. Tag. Der für den rechten Nasenflügel bestimmte
Lappenhentheil hat sich fingerspitzgross, der fiir den linken
linsengross abgestossen. Der linke Nasenfliigel wird durch
Empl. angl. und Collod. in der Nähe des Lappens er-
halten.
Am 9. Tage. Lappenschwellung abgenommen, Lider-
ödem geschwunden, Abfall der letzten Ligaturen, die durch
den Lappen gesetzte Wunde schönst granulirend. Die Na-
senspitze ist der Intention entsprechend; links von ihr eine
kleine Einkerbung.
17. Tag. Seit 3 Tagen kein Fieber; es war im Gan-
zen mässig (höchste Temp. 38.3° C.). Die durch den Lap-
pen gesetzte Wunde ist nur noch neukreuzergross, sie geht
nach unten in den nur noch spaltförmigen Flügeldefekt über,
der mit Epithel eingesäumt zu werden beginnt. Der stehen-
gebliebene rechte Nasenflügeltheil ist durch die Narbenbildung
über ihm in die Höhe gezogen. Die kleine Einkerbung links
von der Nasenspitze hat sich schön verzogen und ist epi-
thelbedekt. Die Kranke beginnt das Bett zu verlassen.
Am 5. Jänner 1871 vollkommene Uebernarbung.
9. Jänner. Correction: Der rechte Nasenflügeltheil wird
im horizontalen Theile seiner Furche durchtrennt, etwas nach
unten gedreht und mit dem häutigen Nasenrücken, nachdem
Naturw.-med. Verein. 13
ee
die sich correspondirenden Stellen angefrischt wurden, durch
Knopfnähte vereinigt. Einschieben von Charpie rapée nach
Art eines Keils in die durch’s Herabziehen des Nasenfliigels
entstandene Lücke, damit derselbe sich nicht wieder nach
oben retrahire.
16. Jänner. Die dem horizontalen Theile der rechten
Nasenflügelfurche entsprechende Wundlücke ist kaum erbsen-
tief. Die Kranke wird mit einem zierlichen Stumpfnäschen
und mit der Weisung, in Carbolwasser getauchte Charpie
rapee in die Lücke aus erwähntem Grunde einzulegen, auf
ihren Wunsch aus der Behandlung entlassen.
Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst musste
hier, um so sorgfältiger gemacht werden, als von anderer
Seite der Verdacht auf Lupus ausgesprochen worden war,
mit welchem das Geschwür in der That auch manche Aehn-
lichkeit hatte. Der Befund ergab in dem ganzen Bereich des
Geschwürgrundes und dem umgebenden Wall theils runde
Nester, theils zapfenähnliche und kolbige oder schlauchartige
Formgebilde, welche ausschliesslich aus kleinen ein- und
mehrkernigen Zellen von epithelialem Charakter bestanden
und ihrerseits in das Stroma eines in Wucherung begriffenen
Bindegewebes mit ziemlich entwickelten spindelförmigen Zellen
eingebettet waren. Damit rechtfertigt sich die Annahme einer
carcinomatösen Neubildung von jener Spezies, welche als fla-
cher Hauptscirhus oder mit dem weniger treffenden Namen
des Ulcus rodens bezeichnet wird.
4. Grosser Defekt der Wange und des Mundes
nach Noma. Plastische Wangen- und Lippen-
bildung. Narbige Kieferklamme. Esmarch’sche
Operation der Anlegung eines falschen Kiefer-
gelenks. Schöner Erfolg.
Am 8. Mai wurde der Klinik ein 8jähriger Findling
in sehr heruntergekommenem Zustande mit einem nach Noma
,
entstandenen. über thalergrossen Defekte der rechten Wange
zur Heilung übergeben. Der den Defekt begrenzende Rand
begann zwischen dem mittlern und rechten Drittel der Ober-
lippe, lief nach aussen und oben, bog am vordern Rande des
rechten Kaumuskels um, entblösste sowie die obern auch die
untern Backen- und Schneidezähne und mündete zwischen dem
mittleren und linken Drittel der Unterlippe aus. Der Nar-
bensaum hatte nicht nur beide Lippenreste an ihre Kiefer
fixirt, sondern auch diese selbst so sehr einander genähert,
dass zwischen den untern und obern Schneidezähnen kaum
ein Zwischenraum von 2 Linien geschafft werden konnte.
Abgesehen von der Entstellung war schon dieser Umstand,
der das Kind nur auf flüssige Nahrung anwies, zwingend
genug, sofort zu einer operativen Behandlung zu schreiten.
Der Ernährungszustand der kleinen Patientin war aber ein
so elender, dass man derselben, ohne sie zuvor gestärkt zu
haben, einen einigermassen grösseren chirurgischen Eingriff
nicht zumuthen konnte.
Am 24. Juni war dasKind soweit gekräftigt, dass man
zur Operation schritt: Die den Unter- an den Oberkiefer
fesselnden Narben wurden durchtrennt, der Defect durch einen
Lappen von der Jochbein- und einen von der Inframaxillar-
gegend gedeckt, auf diese Weise die Wange, der Mundwin-
kel und die angrenzenden Lippentheile gebildet und der freie
Wundrand mit einem aus der ganzen Dicke der Oberlippe
genommenen Schleimhautlappen umsäumt. Leider war die
Lebensenergie der Gewebe auch jetzt noch eine solch geringe,
dass der Schleimhautlappen in toto necrosirte. Der Defekt
blieb wohl bis auf den Mundwinkel und die anstossenden
Lippentheile plastisch ersetzt, doch konnte trotz sorgfältigster
Nachbehandlung bei den individuellen Verhältnissen des Kin-
des (die Dehnung des Gewebes durch Einschieben von Holz-
keile zwischen die Zahnreihe musste, in Folge des in seinen
Fächern nur lose eingefügten Gebisses, die nachtheiligste Ein-
schränkung erfahren) durch die nachfolgende Schrumpfung
der der Mundhöhle zugekehrten narbig gewordenen Fläche
135 *
— 154 —
der plastischen Wange, das Eintreten der früheren Kiefer-
klemme nicht verhindert werden. Es blieb nun nichts übrig,
als das für solche Fälle von Esmarch angegebene Verfahren
in Anwendung zu bringen. Es besteht darin, dass man vor der
ankylosirenden Narbe ein genügend grosses Stück des Unter-
kiefers resecirt und zwischen den Sägeflächen eine Pseudar-
throse sich etabliren lässt; hiedurch wird der freie Kiefer-
theil von dem durch die Narbe betroffenen emanzipirt.
In unserm Falle executirte Prof. Heine am 12. Dez.
1870 die Operation in folgender Weise: Er führte in einer
von der ersten Wangenplastik herrührenden Narbe vom rechten
Mundwinkel einen Schnitt in einem nach hinten winkeligen Bogen
gegen den untern Unterkieferrand, daselbst trennte er, nach-
dem die Wunde durch stumpfe Hacken erweitert wurde, das
Periost in einer Länge von %/, Zoll, hob es mit einem Lan-
genbeck’schen Raspatorium an der der Mundhöhle zugekehr-
ten Fläche von dem Knochen sorgfältigst ab und resecirte
vom rechten Eckzahn nach hinten ein %, Zoll langes Stück
des Unterkiefers; hierauf Vereinigung der Hautwunde. Der
Erfolg war ein sofort in die Augen springender: die Zahn-
reihen konnten sich auf reichlich , Zoll von einander ent-
fernen, die Kaubewegungen wurden ausgiebig und ungehin-
dert. 8 Tage nach der Operation war das Kind bereits
fieberfrei. Es geniesst was ihm früher nicht vergönnt war,
compacte Nahrung.
Auch das Gebiss ist ungemein fester geworden, was
wohl vornehmlich durch die gehobene Ernährung und die
möglich gewordene Reinhaltung der Mundhöhle zu begründen
ist. Die Spielweite des Unterkiefers konnte hiedurch mittelst
der täglich 2mal eingeschobenen Holzkeile bis jetzt %, Zoll
erreichen.
Eine kleine Nachplastik des rechten Mundwinkels und
der angrenzenden Lippentheile wird bei dem jetzt auffallend
besser ernährten Kinde demnächst vorgenommen. Auch ohne
diese lässt nach den bisherigen Operationen schon das Aus-
— 155 —
sehen des Kindes kaum mehr eine Erinnerung an die frühere
Entstellung aufkommen.
5. Schlecht geheilte Fraktur des untern Hu-
merusendes mit Beschränkung der Flexion des
Ellnbogengelenks. Subcutane Osteotomie der
Bruchstelle und Geraderichtung des Ober-
armes,
Dieser Fall betrifft zwar ein männliches Individuum und
gehört somit meiner Abtheilung nicht an, doch wurde mir
derselbe zur Veröffentlichung überlassen, weil der wichtigste
Theil seiner Krankengeschichte in die Monate der grossen
Sommerferien fällt, während welcher mir die alleinige Leitung
der chir. Klinik anvertraut war.
Am 22. Juli 1870 gelangte ein 7jähriger Knabe zur
Aufnahme, der vor 2 Jahren von einer Gartenmauer herun-
terstürzte und auf den rechten Arm (wie? war nicht zu er-
mitteln) fill. Er trug ihn durch einige Wochen in der
Schlinge, nach welcher Zeit der Arm insofern als unbrauchbar
sich herausstellte, als er mit der rechten Hand weder bis
zum Gesichte und Kopfe, noch bis zum Halse gelangen konnte.
Bei seinem Eintritte fand ich am rechten Oberarmknochen,
nahe seinem untern Ende, an der Beugefläche eine winkelige
Hervorragung, von der angefangen die Axe des Oberarmkno-
chens gegen die Streckseite zu geknickt war; hiedurch be-
dingte Hyperextension auf den obern Theil der Oberarmaxe
bezogen; Beugung in derselben Relation kaum auf 100° aus-
führbar; Supination und Pronation unbehindert. Es ist so-
mit klar, dass hier eine schlechtgeheilte Oberarmfraktur, die
die erwähnte Funktionsstörung verursachte, vorlag, Um das
Individum erwerbsfähig — also dessen Arm wieder brauch-
bar — zu machen, blieb keine andere Wahl, als den Kno-
chen wieder zu brechen und ihn in verbesserter Stellung zu
— 156 —
heilen. Wegen des zu kurzen untern Hebelarmes musste
ich von der subcutanen Infraction — als des mindest ein-
greifenden Verfahrens — Umgang nehmen. Ich schritt da-
her am 25. Juli 1870 unter gütiger Assistenz des Herrn
Dr. Gasser, der mir in den Ferien bei allen schwierigen
Operationen in der collegialsten Weise bei Seite stand, wo-
für ich ihm hier noch einmal meinen innigsten Dank aus-
spreche, zur subperiostalen Osteotomie. Ich ging im untern
Theile des sulcus bicipit. ext. präparando bis auf den Kno-
chen ein, hob das Periost nach aussen und innen vom Kno-
chen ab, schützte hiedurch die hinter dem Lig. intermuscul.
ext. liegenden Gebilde (Art. collater. rad. und Nerv. rad.),
trennte dann den alten Callus in seiner äussern Peripherie
mit dem Meissel, brach hierauf den Knochen quer ein und
legte in der richtigen Stellung einen gefensterten Gypsver-
band an. Der Blutverlust belief sich nur auf einige Tropfen.
Acht Tage nach der Operation war das Fieber, das sich nur
einmal am 2. Krankheitstage auf 39° gehoben hatte, voll-
kommen gewichen und nach weiteren 10 Tagen konnte der
kleine Patient bereits das Bett verlassen.
Am 22. Tage erlitt das Wohlbefinden des Kranken
durch plötzliches Ansteigen der Fiebercurve eine bedrohliche
Unterbrechung (39.89 C.): Die Operationswunde war mit
einem knorpelharten, diphtheritischen Belege behaftet. Nach
Entfernung des Gypsverbandes fand man einen erbsengrossen
Decubitus knapp oberhalb der Ellenbeuge und bedeutende
Röthung des Vorder- und Oberarmes. Am 25. Tage er-
langte das Fieber 40°; in der Nähe des Cond. internus fühlte
man in der Tiefe deutliche Fluctuation; Incision, Entleerung
von 2 Unzen eines dicken, blutigen Eiters, der in den fol-
genden Tagen, namentlich bei Druck auf den Ellenbug reich-
lich abfloss. Ich stiess zwar mit der Sonde auf keinen rau-
hen Knochen, doch konnte ich mich der Befürchtung, dass
das Ellbogengelenk die Eiterquelle abgebe, nicht erwähren,
umsomehr, als enorme Schmerzhaftigkeit und rapider Verfall
des Kranken auftraten; glücklicher Weise erwies sich die-
— lO i
selbe im weiteren Verlaufe als unbegründet. Vorläufig legte
ich den Arm auf eine gut gepolsterte winkelige Schiene.
Am 33. Krankheitstage, also 8 Tage nach der Incision
haben sich die stiirmischen Erscheinungen gelegt; der Arm
wird wieder in einen Gypsverband, mit einem Fenster der
rein gewordenen Operations- und Decubituswunde, und einem
der jetzt nur wenig eiternden Incisionsöffnung entsprechend,
der an der Streckseite durch eine Pappschiene verstärkt
wurde, gebracht.
Am 15. Sept. (53. Tage) wurde bei dem bis nun sich
wieder auf’s Beste erholten Patienten der Gypsverband ent-
fernt und durch einen leichten Wasserglasverband ersetzt.
Obwohl der Callus auf seine Festigkeit nicht geprüft wurde,
so konnte dieselbe aus den ungenirten Armhaltungen doch
erschlossen werden. Oberflächliche und geringe Eiterung aller
3 Wunden. Der Kranke bringt den ganzen Tag ausser dem
Bette zu.
Am 28. Sept. ist die Incisionsöffnung, am 4. Oktober
der Decubitus geheilt; am 31. Oktober Entfernung des Was-
serglasverbandes.
Am 4. Nov. wird ein papierdünnes, kaum kleinfinger-
nagelgrosses, zackiges rauhes Knochenstückchen durch eine
hinter der Operationswunde angelegte Oeffnung, und am
nächsten Tage auf demselben Wege ein kaum erbsengrosser
Sequester entfernt.
Am 13. Nov. werden wegen beschränkter Beugung und
Streckung, durch die Ruhe in den starren Verbänden be-
dingt, passive Bewegungen des Ellbogengelenkes eingeleitet.
Am 30. Nov. Vernarbung der Operationswunde und
der hinter ihr angelegten Oeffnung (zur Sequesterestraction).
Am 28. Dez. 1870 wurde der Kranke geheilt entlas-
sen. Die Notiz dieses Tages im Krankenjournal lautet: Die
passiven Uebungen führten dahin, dass der Arm nahezu auf
180° gestreckt und bis auf circa 60° gebeugt werden konnte.
Innerhalb dieser Grenzen werden auch die activen Bewegun-
gen vollkommen frei und prompt ausgeführt. An der Stelle
—' 158 —
der Operationswunde eine eingezogene Narbe. Die Fraktur-
(Osteotomie-) stelle ist verdickt und leicht nach hinten vor-
springend.
Dr. Ed. Lang,
I. Assistent der chirurgischen Klinik.
6. Fall von Caries der Handwurzelknochen. Re-
sektion und Nachresektion. Heilung in Aus-
sicht.
K. G. 44 Jahre alt, Zimmermann aus Lanersbach gab
bei seiner Aufnahme am 5. August 1870 an, dass er im
Jahre 1868, nachdem er längere Zeit bei Wasserbauten be-
schäftigt gewesen, eine Schwellung der ersten Phalanx des
Goldfingers der linken Hand bemerkt habe, welche sich in-
nerhalb zweier Wochen über den Ballen des kleinen Fingers
gegen die Handwurzel hinzog. Während die Schwellung des
Fingers und Ballens unmerklich abnahm, wuchs die des Hand-
gelenkes stetig und gesellten sich neben Steifigkeit auch bald
Schmerzen hinzu. Trotz dieser auch spontan oft sehr hef-
tigen Schmerzen verrichtete Patient damals — so wie bis in
die letzte Zeit — mit der kranken Hand noch leichtere Ar-
beiten und benützte sogar den linken Vorderarm zum Heben
schwerer Lasten. Im Frühlinge des Jahres 1869 machte ein Arzt
an der Radialseite des Handgelenkes einen Einstich durch welchen
sich eine fleischwasser - ähnliche mit wenig Eiter gemischte
Flüssigkeit entleerte. Die Wunde (in welche nach dem Ein-
stiche ein Lapisstift tief eingesenkt worden war) heilte nach
einiger Zeit zu, brach aber dann gleich wie eine im Früh-
jahre 1870 am Handrücken spontan entstandene zu wieder-
holten Malen auf.
Im Uebrigen waren die Gesundheitsverhältnisse des Kran-
ken sehr günstig.
Bei der Aufnahme war das linke Handgelenk im gan-
zen Umfange mässig geschwollen, teigig anzufühlen, die Haut
— 159 —
geröthet und in der Gegend des processus styloideus radii,
sowie am Handriicken entsprechend dem Carpo-metacarpal-
gelenke des Ringfingers durchbrochen. Aus den erbsengros-
sen, schlaff granulirenden, blaurothen Geschwürsflächen ent-
leerte sich bei Druck auf das Handgelenk wenig dünner Eiter.
An der Ulnarseite war ein kastaniengrosser Abscess, welcher
sich durch Druck auf dem Wege der vorhandenen Oeffnungen
nicht entleeren liess. Drang man mit einer Sonde durch die
schlaffen Granulationen in die Tiefe, so fühlte man die rau-
hen und morschen Knochen des Carporadialgelenkes. Die
Hand hing in einem stumpfen Winkel am Vorderarme herab
und konnte sowohl dorsal und volar als auch radial und ul-
narwärts passiv leicht und unter deutlichem Reiben bewegt
werden. Aktive Bewegungen wurden im Handgelenke kaum
- mehr, und in den Fingern nur unter Schmerzempfindungen
in beschränktem Masse ausgeführt. Bei vollkommener Ruhe
hatte der Kranke nur hie und da, aber dann ziemlich hef-
tige, stechende Schmerzen.
Sonst war der Patient gesund, kräftig und gut ge-
nährt. |
Die Caries im Carporadialgelenke, mit welcher wir hier
zu thun hatten, konnte, da für eine Allgemeinkrankheit als
Ursache aller Anhalt fehlte, dagegen die Beschäftigung des
Kranken hinreichende Gelegenheit zu Traumen bot mit grösster
Wahrscheinlichkeit durch eine Resection geheilt und die Hand
erhalten werden.
Die Operation wurde am 10. August in der Narcose
auf folgende Art von HerrnProf. Heine vorgenommen: An
der Ulnarseite des Handgelenkes wurde ein Schnitt auf den
Abscess, an der Radialseite einer durch die Fistel geführt,
dann nach oben und unten das Periost von den erkrankten
Knochen abgehoben und endlich mit der Stichsäge von der
1. Handwurzelreihe ein circa 4 Linien, von den Vorderarm-
knochen ein halb Zoll breites Stück abgesetzt. Die Blutung
war mässig und machte nur 4 Ligaturen nöthig. Nach Ein-
führung einer Charpiemesche wurde ein Gypsverband mit vo-
— 160 —
larer Verstärkungsschiene angelegt. Die Schnittflächen der
entfernten Knochensegmente waren gesund. Trotz einer über
den Gipsverband aufgelegten grossen Eisblase filtrirte einige
Stunden nach der Operation Blut durch denselben, es wurden
daher sogleich Fenster angebracht. Die Blutung stand auf
Irigation mit Eiswasser.
Die Reaktion war gering. Temp.: am ersten und zwei-
ten Abende nur 38.4, am 3. zwar 39,4, allein wahrschein-
lich bedingt durch mehrtägige Stuhlverhaltung; wenig-
stens schwand diese Steigerung, nachdem auf eine Dosis
Oleum Ricini mehrere Stühle gefolgt waren. Die Wunde
reinigte sich schnell, der Patient schlief und ass gut und
war am 17. (7. Tage), an welchem die letzte Ligatur abge-
stossen wurde, schon fieberfrei. Täglich wurde zweimal mit
Carbolwasser 1:100 abgespült und 2mal eine in Carbolöl
1:8 getränkte Mesche eingeführt.
Am 22. stellten sich Schmerzen am Handrücken ein,
die Temperatur stieg auf 37.6, hielt sich am Morgen des
23. auf 37.3 und gleichzeitig ergoss sich eine grössere Eiter-
menge. In der Voraussetzung, dass in dem am Handrücken
befindlichen Hohlraume eine Eiterverhaltung stattfinden könnte,
wurde nun der Gipsverband entfernt. Es zeigte sich, dass
nicht nur die Fistel, deren Heilung bei nach unten freiem
Abzuge erwartet werden konnte, nicht geheilt, sondern noch
eine neue entstanden war. Diese befand sich genau über
der Mitte des Mittelhandknochens des Ringfingers und führte
in eine buchtige Höhle, in welcher die Sonde hie und da
einen rauhen Knochen fühlte. Der ganze Handrücken war
durch den unter dem Verbande verhalten gewesenen Eiter
macerirt.
Die Meschen wurden — da der tägliche Wechsel zu
sehr reizen konnte — durch ein Drainagerohr, das Carbolöl
durch Carbolwasser (2 Drachmen auf 1 Pf.) ersetzt, und
am 26. ein neuer Gipsverband (mit einem Fenster auch für
den Handrücken) angelegt. — In der Zeit vom 26. August
bis 15. Sept. verkleinerten sich sowohl die durch die Operation
— 161 —
gesetzten Wunden, als auch beide Fisteln und die Schwel-
lung nahm so ab, dass der Gipsverband nicht mehr fest ge-
nug anlag. Am 15. wurde er daher durch einen gefensterten
Wasserglasverband und die brüchige Drainageröhre durch eine
dünne Mesche ersetzt.
Am 29. Sept. (bis wohin alles gut gewesen) traten ohne
Veranlassung und mit einem Male heftige Schmerzen in der
Hand auf. Sie schwoll, wurde blauroth und bei gleichzei-
tiger Steigerung der Temperatur auf 39.7 versiegte die Ei-
terung in den Wunden fast ganz. Ein Eiterherd , welcher
sich in der Tiefe gebildet hatte, wurde nächsten Tage auf
leichten Druck durch eine der vorhandenen Wunden entleert
und bei absoluter Ruhe und Bleiwasserumschlägen wichen die
stürmischen Erscheinungen innerhalb dreier Tage.
Die Schweliung ging nicht völlig zurück und die Fistel-
gänge (besonders die vorderen) schlossen sich trotz adstrin-
girender Umschläge und zeitweiliger Touchirung mit Arg.
nitr. nicht nur nicht, sondern wurden allmälig sogar etwas
weiter. Die ganze Handgelenksgeschwulst fühlte sich wie
früher teigig an, entleerte wieder dünnen Eiter und wider-
stand den Versuchen von Compression — welche nach Ab-
nahme des Wasserglasverbandes — auf einer gepolsterten
Schiene vorgenommen wurden, hartnäckig.
Mit der Sonde fühlte man, besonders von oben her hie
und da neue Rauhigkeiten; es wurde daher die Wiederholung
der Resection und Ausléfflung der necrotischen Partien be-
schlossen, eventuell aber auch die Amputation in’s Auge
gefasst. |
I. Operation. Am 11. Nov. wurden in der Narkose
durch einen Schnitt am Handrücken beide Fistelgänge bis
auf die rauhen Knochen verbunden, ausserdem die von der
ersten Operation herrührenden granulirenden Wunden (an der
Radial- und Ulnarseite) erweitert. Die bei der ersten Ope-
ration stehen gebliebenen Knochen und Knochenreste der
zweiten Handwurzelreihe, sowie die Resektionsflächen der
Vorderarmknochen wurden grösstentheils mit dem schneiden-
ce Ge ae
den Knochenlöffel abgetragen, die schlaffen Granulationen der
von der 1. Operation herrührenden Höhle mit der Hohl-
scheere entfernt und nach Anlegung dreier Ligaturen mit
Carbolöl (1:8) getränkte Meschen eingeführt. Endlich wurde
der Arm auf einer gut gepolsterten, flachen Hohlschiene
fixirt.
Eine leichte Nachblutung stand auf Compression durch
trockene Charpietampons. Die Hisbeutel wurden um die Re-
aktion nicht zu sehr herabzustimmen, nach 24 Stunden be-
seitigt.
Das Fieber war sehr gering, die höchsten Temperaturen
zeigten sich am 2. Morgen und Abend und betrugen 37.7
und 38.6; der Patient behielt seinen Appetit und schlief
ruhig. —
Schon am =2.Nov. waren die Temperatur und der Puls
nahezu normal (37.1 und 68).
Der Arm lag immer auf der Schiene — selbst im Bade
das jeden Morgen gegeben wurde (Wasser mit etwas Soda)
und während des täglich zweimal vorzunehmenden Verbin-
dens mit Carbolöl von der bekannten Concentration.
Am 24. und 30. Nov. wurde der bis jetzt normale
Verlauf durch eine leichte Temperatursteigerung auf 38.6
unterbrochen, welche aber nach Eröffnung eines kleinen Ab-
scesses einen Querfinger über der Wunde am Handrücken
schnell schwand.
Vom 4. Dez. ab war die Temperatur wieder normal,
das Befinden des Kranken vortrefflich und die durch die
Operation gesetzte Höhle so weit verengt, dass die Meschen
beseitigt werden konnten. DieWundflächen granulirten sehr frisch,
bluteten aber einige Male bei der geringsten Berührung, da-
her wurde der Carbolölverband durch einen mit Zincum sul-
furicum (gr. 5 ad aq. dest. unc. 1) und 8 Tage später durch
einen Carbolwasserverband (1: 100) ersetzt.
Seit 20. Dez. ist die Höhle geschlossen, die Wunde
an der Ulnar- und Radialseite des Handgelenkes vernarbt,
die Eiterung am Handrücken nur oberflächlich und auch hier
— 18 —
die Ueberhäutung im besten Gange. Sie wird durch Tou-
chirung mit Nitr. arg. beschleunigt.
Die Schwellung des Gelenkes, welche bis in die letzte
Zeit nur wenig zurückging, verliert sich seit 24. Dez. unter
Anwendung methodischer Compression durch Rollbinden,
welche über die mit Watte eingewickelte Hand gelegt wer-
den. Die Hand, sowie die Finger können innerhalb natür-
lich noch enger Grenzen gebeugt und gestreckt werden und
in der Folge zu leichteren Arbeiten brauchbar sein. Als interessant
ist zu erwähnen, dass sich in der Gegend des Mondbeines
aus dem erhaltenen Perioste ein ungefähr kreuzergrosses un-
regelmässiges Knochenstück neugebildet hat, welches man
am Handrücken deutlich fühlen kann.
7. Aeusserer Harnröhrenschnitt (operation de la
boutonniere) wegen Harnverhaltung in Folge einer
traumatischen impermeabeln Striktur, die zu
Punktion der Blase geführt hatte. Heilung.
W. A., 49. Jahre alt, Eisenbahnarbeiter aus Innsbruck
gerieth im J. 1861 zwischen eine Maschiene und eine Mauer
und erlitt dabei neben mehrereren anderen Verletzungen einen
Bruch des Beckens (?) mit umfänglicher Quetschung der
Weichtheile, besonders des Mittelfleisches. In Folge dieser
Verletzung entstand Harnträufeln, welches sich endlich soweit
besserte, dass der Kranke wenigstens bei Tage den Urin auf
sehr kurze Zeit halten konnte. Der Urin ging aber nur
schwer undin einem dünnem Strahle ab. Dieser Zustand dauerte
bis Januar 1870, wo zuerst eine vollkommene Harnverhal-
tung eintrat, die aber durch Cataplasmen und Bäder bald
behoben wurden. Anfangs Mai stellte sich, nachdem der
Patient eine längere Eisenbahnreise gemacht hatte, abermals
Harnverhaltung ein. Alle dagegen angewandten Mittel fruch-
teten nichts, die Beschwerden steigerten sich, und als end-
lich am 5. Tage Bewusstlosigkeit eintrat, entschloss sich ein
— 164 —
Arzt, den hohen Blasenstich zu machen. Nach Entleerung
von 3 grossen Schüsseln voll Urins erholte sich der Kranke
allmälig und konnte — sonst gesund — schon am 3. Tage
das Bett verlassen. Da durch die Harnröhre nur wenige
Tropfen abgingen, so musste die Canüle liegen bleiben und
kam daher der Kranke am 16. Mai 1870 mit dieser auf
die Klinik.
Von den vor Jahren erlittenen schweren Verletzungen
war nur wenig mehr zu sehen.
Es wurde mit den dünnsten Bouagien und Darmseiten
versucht, durch die schon von aussen fühlbare Striktur, welche
fast die ganze Pars membranacea einnahm , durchzudringen,
allein alles war vergeblich, somit nur durch den Harnröhren-
schnitt nach Syme Heilung möglich.
Die nun zu beschreibende Operation bot nicht blos in
Folge der path. Veränderungen, sondern besonders in Folge
des Umstandes, dass der Patient — ein Gewohnheitstrinker —
kaum zu narcotisiren war, ungeheure Schwierigkeiten.
Es wurde eine Metallsonde (Striktursonde) bis zur Strik-
tur eingeführt, auf sie in der Raphe eingeschnitten und die
Harnröhre geöffnet. Die Schnittränder wurden mit spitzen
Häckchen weit abgezogen und nach Stillung der übrigens ge-
ringen Blutung die Fortsetzung der Harnröhre aufgesucht.
Nur mit Mühe sah man eine feine Oeffnung, durch welche
eine haarfeine silberne Sonde bis in die Blase eingeführt
werden konnte. Dieser folgend wurde nun die verengte Harn-
röhre in der Länge von circa 1 Zoll mit dem Spitz- und
Knopfbistouri gespalten, bis wieder ein Lumen von normaler
Weite zum Vorschein kam.
Nach Beendigung der Operation wurde von der Wunde
aus ein elastischer Katheter in die Blase eingelegt und da
aller Harn durch diesen abfloss die Kanüle entfernt.
Die Reaction war mässig und die Wunde bald in bester
Granulation. Nach 8 Tagen wurde der Katheter entfernt
und dafür ein neuer vom orificium urethrae her eingeführt.
Die Wunde verkleinerte sich schnell, so dass nach Entfer-
ka i
— 16 —
nung auch dieses Katheters der Harn nicht nur am Mittel-
fleische sondern auch schon durch die übrige Harnröhre ab-
floss. Jeden 3. Tag wurde nun fir einige Stunden der Ka-
theter eingelegt und allmälig in den Nummern von 7 auf-
wärts gegangen. Mitte Juni kamen durch die circa erbsen-
grosse gut granulirende Wundfläche nur wenige Tropfen Urin
und nahm der grösste Theil seinen normalen Weg. Die
Urethra war für Bougien von Nr. 10 durchgängig und der
Patient konnte, da er darauf drang, entlassen werden.
Er wurde verhalten sich noch Metallkatheter von Nr. 9
einzuführen und in einiger Zeit wiederzukommen.
Als er sich am 11. Juli wieder vorstellte, floss aller
Harn durch die Urethra und war die Operationswunde bis
auf die Spur vernarbt.
Dr. J. Schlemmer,
2. klin. Assistent.
Bericht
über die k. k. Augenklinik für das Jahr 1870.
Vorstand
Prof. L. Mauthner.
Im Laufe des Jahres 1870 wurden auf der k. k. Augen-
klinik der hiesigen Universität 919 Kranke ambulatorisch
behandelt und 219 auf der Klinik verpflegt. Der grösste
Theil der klinischen Kranken hat sich hierbei aus dem Am-
bulatorium recrutirt.
Unter den 919 ambulatorisch behandelten Kranken be-
fanden sich 445 Männer und 474 Weiber; von den 219
auf der Klinik aufgenommenen, waren 120 Männer und 99
Weiber.
Von den letztern wurden entlassen:
geheilt . 2... (SNe, 006 ww. tiere
eebessert Gi 21 ME ad Wino Omen
ungeheile 17 MeN 8 we. 200002
plötzlich gest. — M., We = ie
Zusammen . 116 M., 92 W. = 208 Pers.
Zu Ende des Jahres
1870 verblieben in
weiterer Behandlung 4M. 7 W.= 11 Pers.
Zusammen . 120 M., 99 W. —= 219 Pers.
= ew
Die grösste Anzahl der ambulatorisch behandelten Kran-
ken fällt auf die Monate Mai und Juni, nämlich 162 auf
jeden Monat; die kleinste Anzahl auf den Monat Jänner,
nämlich 27. In absteigender Reihe gliedern sich die Monate
folgender Massen; Mai 162, Juni 162, Juli 114, April 94,
Oktober 86, März 62, August 58, November 46, Septem-
ber 41, Februar 35, Dezember 32, Jänner 27.
Die grösste Anzahl der auf die Klinik aufgenommenen
Kranken fällt auf den Oktober 42, der geringste auf den
Jänner 6.
An den 919 ambulatorisch-behandelten Kranken kamen
folgende Krankheitsformen zur Beobachtung:
1. Krankheiten der Lider:
M. W
Abscessus a 2
Blepharadenitis ciliaris — 6
Ectropium A RRM UM AL Sica
Entropum... Veen an ale eee
Trichiasis . — 4
Chalazion . De
Hordeolum HN
Symblepharon Sed
Neoplasma & a
Mulnusoscissum 6.) 67.0% 2 Pix oe lI —
2. Krankheiten der Conjunctiva.
Conjunctivitis catarrhalis . . . . . 90 103
granulosa servi: . 4 4
2
a phlyctenulosa . . . . 36 50
‘ eouposamn a LR . aa
5 diphtheritica . . . . — 1
h trachomatosa . here
5 blennorrhoica. . . . 2 1
3. Krankheiten der Selera:
Scleritis a0 una u 2s cir ee gh ac a Pe
Naturw.-med. Verein. 14
1 GS)
Staphyloma sclerae
M.
1
W.
1
4, Krankheiten der Cornea und Iris:
a) der Cornea:
Keratitis
„ traumatica
» ulcerosa
> punctata
» Phlyctenulosa .
>» parenchymatosa .
Maculae et cicatrices
Staphyloma corn. tot. et part. .
Keratoconus .
Phthisis corneae
Neoplasma
Corpora aliena .
Iritis
» specifica
Occlusio pupillae
Coloboma iridis .
c) der Cornea und Iris:
Kerato-iritis .
5. Krankheiten der Chorioidea:
Chorioiditis traumatica
a exsudativa
N serosa . BON AL
a cum opacitat corp. vitrei .
Exsudatum in macul. lut,
Iridochorioiditis .
b) der Trig :
2
4
6
1
2
6. Krankheiten der Retina:
Retinitis idiopathica
» apoplectica
= pt pA CO De m >
for)
= bb
— 169 —
» pigmentosa
M. W.
vetinitis) specilicay yok ee alt
fee
Amotio retinae 2 4
7. Krankheiten des Sehnerven:
NGOS (75 (5) 2.00.00 AN eee ay
MNeurorelinitise . 2... Pues
Excavatio glaucomat. . . . . .. 10 4
Mecoloration: 2... A. 13
trophian fs oc ae SEHE. ZEN
8. Krankheiten der Linse:
Luxatio 2) EINER, In 1
Cataracta ineipiens; ny.) A es) OO
iB mat. dur. ed nondum mat.. 13 10
5 mollis . AS anne BANDES
5 perinuclearis eo
= secundaria I 4 5
= cum complication.. . . . 14 6
9. Krankheiten des Glaskörpers:
Opacitatesı ih me. 20.2. ma old
10. Krankheiten des Gesammtbulbus:
Anophthalmusı we... is a at ik
Buphthalmus 2 u... N ew
Panophthalmitis aa... 2 0.2000 Sl.
Ehthisist 12H E00 EA IB ER OSs LONENS
11. Störungen des lichtempfindenden
Apparates:
Amblyopia LADE Lu ARE
a potatorum, © 2 00. enorm
Hemeralopia . LERNT
— 110 —
12. Refractionsfehler:
Myopia u u ee RE SAN
Asthenopia ex hypermetropia . . . 7 19
Presbyopla . . 0. m 2... NEUERE
13. Motilitaetsstörungen:
Strabismus convergens ..... 6 18
N divergens .) >... .unoeaaune
Paralysis n. oculomotor . . . . . — 1
5. m. trochlearis 00...) ., ileal
Paresis) n. abducent. . . .». . 2 . woran
» accommodations . ....— 2
Baralysis m. facalıs! 7%!) ee
5 plur. musc. oculi Lasst
14. Krankheiten der Thränenorgane:
Blennorrhoea sacc. larym. . . .. 6 10
15, Verletzungen:
Trauma... 0... ORNs). on
Causoma . 6
16. Neuralgien;
Nenralgia frontalis ........... 2.000
it CHARIS!) nun ma ALLEN DEE at
Morbus Basedowi . . . . ..
An den 219 auf der Klinik behandelten Kranken wur-
den folgende Krankheitsformen beobachtet:
. W.
1. Krankheiten der Lider:
Neoplasma Dr
vulnus scissum 1 —
Chalazion . 1 —
Trichiasis . |
ike
iMmotionretinae. 2 ee ne
M. W.
2. Krankheiten der Conjunctiva:
Conjunctivitis catarrhalis. . . . . 3 3
i pustulosa BH
5 traumatican u 0. SlnlBieE
5 granulosa 3 —
3. Krankheiten der Sclera:
Seleritis Weise kon 19 WAGED 2110 MICE LO rn
4. Krankheiten der Cornea:
Keratitis 4 12.703
5 traumatica — 1
a punctata . 1.098
Fs ulcerosa MU a
a phlyctenulosa |
Phthisis corneae ey
Maculae et cicatrices 13 083
Staphyloma tot. corn. . 20,02
Neoplasma — dl
5. Krankheiten der Iris:
Iritis . 5. ama Ne IN 5
a) Krankheiten det Cornea und Iris:
Keeratoraritis a, 0. 0. un ana. OR
6. Krankheiten der Chorioidea:
Chorioiditis exsudativa ..... 6 5
a traumatiea, 2.0 mal. a
Tridochoriciditis: + 54 DRM an. SHE SEND
Ex sudatum in mac, lutea . . . . — 1
7. Krankheiten der Retina.
Retinitis) idiopathica, 2... 120202. 272100
„2. SPECIE Cae. A a
>» apoplectica 1
Bl
M. W.
8. Krankheiten des Sehnerven:
Neuritis Se — 1
Excavatio glaucomatosa By
Decoloratio — 1
9. Krankheiten der Linse:
Luxatio lentis SOHN N Ta yo 221
Cataracta dura matura et nondum matura 12 13
N mollis . Zu
i perinuclearis on
& secundaria DUO
2 cum complicatione . |
10. Krankheiten des Gesammtkulbus:
Banophthalmitis‘. nn u can te re
|
Phthisis bulba oe Aa. 0.0 ce lo
11. Motilitaetsstörungen:
Strabismus convergens ..... 12
Giversens ie 2. 002.220 00
Paralysis n. oculomotor. . . . ..— 1
=) plurs muse. ocuı u... ut
12. Verletzungen:
Qausoma ir Ki Er Ba Bonn era A pe
13. Krankheiten der Thränenorgane:
Blenorrh. sace. lacrymalis . ...- 2
14. Neuralgien:
Neuralgialın. frontalis u. nd
Morb. Basedowi . . 2.0.00 naa ee
— 173 —
Operations - Ausweis.
Staaroperationen:
Extractionen mit peripherem Linearschnitt (Gräfe) 28
5 » Lappenschnitt nach oben und Iridectomie 11
> 5 5 » unten u. c 6
Excochleation 5 2 : 5 ß \ : 1
Discissionen . 5 5 : : ; 6 j 2
48
Andere Operationen am bulbus:
Iridectomien : : . . : : | 81
Iridencleisis 5 : : N : ; : 1
Synechien Lösungen . N : ; : 10
Enucleatinen . 5 . . 7
Sabtylora Operationen Hash. Critchett 5 ; oe 3
Entfernung eines melanoma corneae . . . 1
103
Operationen an den Lidern und Muskeln:
Trichiasis Operationen nach Flarer 2
- “5 „ Gräfe 5 if
Ptosis Operation : 5 h . é ; 1
Chalazion Exstirpationen 3
Plastik des unteren Lides nach Arlt (modif. 1
Myotomien . 9 5 : ö : 34
Vornähungen der innern 1 Augeniniiskein 9 5 2
Gräfe’sche Fadenoperation . } : ; : 1
45
Summa aller Operationen . . : 196
Dr. B. Fizia,
Assistent an der k. k. Augenklinik.
Personalstand des Vereines
am Ende des Jahres 1870.
Vereinsleitung:
Vorstand: Herr Dr. Camil Heller.
Vorstand-Stellvertreter: Herr Dr. Carl Heine.
Kassier: Herr Dr. Carl Dantscher.
Schriftführer: Herr Dr. Bernhard Fizia.
Mitglieder:
Herr Ausserer Anton, Gymnasialprofessor in Feldkirch.
„ Barth Franz, Ritter v., k. k. Statthaltereirath in Inns-
bruck.
„ Barth Ludwig, Ritter v., Dr. phil., k. k. Univ.-Prof.
in Innsbruck.
„ Baumgarten Anton, Dr. phil., k. k. Univ. - Prof. in
Innsbruck.
„ Belrupt Karl Graf v., in Innsbruck.
„ Bentzel-Sternau Albert Graf v., k. k. Rittmeister in
Innsbruck.
„ Berreitter Georg, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts-
rath in Innsbruck.
„ Buckeisen Friedrich, Dr. phil., k. k. Oberrealschul-
Prof. in Innsbruck.
„ Bundsmann Anton, Dr. med., k. k. Oberarzt in Inns-
bruck.
„ Campostrini Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in
bruck.
— 15 —
Herr Daimer Josef, Dr. med., Assistent bei der Lehrkanzel
der pathol. Anatomie in Innsbruck.
Dantscher Karl, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Ebner Johann Ritter v., k. k. Hofrath in Innsbruck.
Ebner Viktor Ritter v., Dr. med., Docent an der Uni-
versität in Innsbruck.
Elsler Franz, Mag. Chir., Gemeindearzt in Silz.
Enzenberg Hugo Graf v., in Innsbruck.
Fizia Bernhard, Dr. med., Assistend bei der Augen-
klinik in Innsbruck.
Gasser Vincenz, Dr. med., Assistent bei der geburts-
hilflichen Klinik in Innsbruck.
Gassner Theodor, k. k. Gymnasialdirektor in Inns-
bruck.
Glatz Josef, Dr. med., Armen- und Polizeiarzt in Inns-
bruck.
Gillhuber Josef, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts-
rath in Innsbruck.
Hausmann Rudolf, Dr. med., prakt. Arzt in Meran.
Heine Karl, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Innsbruck.
Heinisch Anton, Dr. med., k. k. Bezirksarzt in Bozen.
Heller Camil, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Hinterwaldner Johann, k. k. Prof. an der Lehrerbil-
dungs-Anstalt in Innsbruck.
Hofmann Eduard, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. und Sa-
nitätsrath in Innsbruck.
Kerner Anton, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Kiechl Franz, Assistent bei der Lehrkanzel der a
in Innsbruck.
Krischek Eduard, Dr. phil.,- k. k. Landesschulinspektor
in Innsbruck.
Lang Eduard, Dr. med., Assistent bei der chirurg.
Klinik in Innsbruck.
SI REN
Herr Lantschner Ludwig, Dr. med., prakt. Arzt in Inns-
bruck.
Lechleitner Christian, Dr. phil., k. k. Gymn.-Prof. in
Innsbruck.
Leithe Friedrich, Dr. phil., k. k. Univ.-Bibliothekar in
Innsbruck.
Malfertheiner Anton, Dr. med., prakt. Arzt in Inns-
bruck.
Maly Richard, Dr. med., k. k. Univ. - Prof. in Inns-
bruck.
Maresch Josef, k. k. Oberrealschul-Prof. in Innsbruck.
Mauthner Ludwig, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Mayerhofen Virgil Ritter v., Dr. med., k. k. Univ.-
Prof. und Sanitätsrath in Innsbruck.
Melzer Karl, Dr. med., k. k. Marinearzt in Triest.
Messmer Alois, k. k. Oberrralschul- Prof. in Inns-
bruck.
Mörz Isidor, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitätsrath in
Innsbruck.
Oellacher Josef, Chemiker und Hausbesitzer in Inns-
bruck.
Oellacher Josef, Dr. med., Docent an der Universität
in Innsbruck.
Paulweber Michael, k. k. Gymn.-Prof. in Innsbruck.
Peche Ferdinand, Dr. phil,, k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Pfaundler Leopold, Dr. phil., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Pichler Adolf, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Plaseller Josef, Dr. med., k. k. Kreisarzt und Sani-
tätsrath in Innsbruck.
Platter Hugo, Dr. phil., Prof. an der Bürgerschule in
Innsbruck.
Pleplar Ludwig, Dr. med.,k.k. Regimentsarzt in Innsbruck.
— 1 —
Herr Pusch Karl, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck.
N
”
Putz Gottlieb, Dr. med., Bürgermeister in Meran.
Rembold Otto, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Rhomberg Rudolf, Fabriksdirektor in Innsbruck.
Schlemmer Josef, Dr. med., klinischer Assistent in
Innsbruck.
Schmidt Josef v. Wellenburg, Dr., k. k. Rechnungs-
rath in Innsbruck.
Schönach Anton, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck.
Schott Ferdinand, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
Schumacher Anton, Chef der Wagner’schen Univ.-Buch-
handlung in Innsbruck.
Seeger Rudolf, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in Inns-
bruck.
Senhofer Karl, Dr. pharm., Assistent der Chemie an
der Universität in Innsbruck.
Setari Franz, Dr. med., prakt. Arzt in Meran.
Stolz Josef, Dr. med., Direktor der Landesirrenanstalt
in Hall und Sanitätsrath.
Strasser Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in Inns=
bruck.
Strasnitzky Johann, Dr. med., k. k. Stabsarzt in Inns-
bruck.
Stumreich Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in
Innsbruck.
Teffer Wenzel, Dr. med., k. k. Oberstabsarzt in Olmiitz.
Thun-Hohenstein Franz Graf v., k. k. Generalmajor
in Innsbruck.
Toggenburg Georg Ritter v., k. k. geheimer Rath in
Bozen.
Trentinaglia Josef v., k. k. Gerichtsadjunkt in Inns-
bruck.
Tschurtschenthaler Anton, Dr. med., k. k. Univ.-Prof.
und Sanitätsrath in Innsbruck.
qo WS) —
Herr Vintschgau Maximilian Ritter v., Dr. med., k. k. Univ.-
Prof. in Innsbruck.
» Wawra Johann, k. k. Oberbaurath in Innsbruck.
„ Weiler Josef, k. k. Oberrealschul-Prof. in Innsbruck.
, Wildner Franz, Dr. med., k. k. Univ.-Prof. in Inns-
bruck.
» Winter Josef, Dr. med., k. k. Kreisarzt in Brixen.
» Wocher Franz v., Dr. med., Stadtphysikus in Inns-
bruck,
Druckfehler-Verzeichniss.
Seite 98 Zeile 7 von unten statt anfrechter lies aufrechter
» > Bs ge a » Alleuritia ,, Aleuritia
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©
Inhalt des I. Jahrganges.
1. Heft. Sats
Sitzungsberichte 5 o N I-XIH
Comitebericht über die Gloakentrace in Temeunnck naspantheitet
von Prof. Dr. Eduard Hofmann. i : 1
Analyse der Asche von Dorycnium suffruticosum von R. K ölle 38
Analyse der Asche von Taxus baccata von R. Kölle. 39
Vorläufige Notiz über eine Modification der Dawmpfliehtebe un
mung von Prof. Dr. L. Pfaundler : F 40
Tabellen zur Berechnung der Dissociation nebst Teichtfarelchen An-
leitung zum practischen Gebrauch derselben von Prof. Dr.
L. Pfaundler . 43
2. Heft.
Sutzungisblerichte Same aie foun 200000 ee og) 5 MOND O;O07
Beitrag zur Casuistik der subcutanen Injectionen von Dr. R. Haus-
mannin Meran ani ARE Aa 4 61
Untersuchungen iiber die Crustaceen Tirols von C. Heller (hiezu
die Tafel) BR EN REG oN VA a Mae 67
Novae plantarum species in Himalajae montibus a cl. ge eis col-
lectae. Auctore A. Kerner . Bu : Ä 97
Mittheilungen aus den Kliniken a in cee
der Universitat zu Innsbruck:
Statistische Notizen und Mittheilungen aus der a
Klinik in Innsbruck von Prof. Dr. Heine 122
Bericht über die k. k. Augenklinik für das Jahr 1870 von
Prof. Mauthner. : 5 163
Personalstand des Vereines am Ende des a 1870 174
BERICHTE
des
| naturwissenschaftlich-medizinischen
EREINES
INNSBRUCK.
>
I. Jahrgang.
I „
- as Den
EZ HR IR OT
1. Heft. N Auußikir INSF: ~
a ie ®) a an
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~ - 5 5
N De an Pan 17 hc + Dre OT
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INNSBRUCK.
Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung.
Leet
BERICHTE
naturwissenschaftlich- medizinischen
VEREINES
INNSBRUCK.
II. Jahrsane.
l. Heft.
INNSBRUCK,
Druck und Verlag der Wagner’ schen Universitäts-Buchhandlung.
bey alle
Sitzungsberichte
des‘
naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines.
I. Sitzung, den 11. Jänner 1871.
Der in der letzten Sitzung zum Beitritte angemeldete
Herr Graf Franz Thun-Hohenstein wurde mit Stimmen-
einhelligkeit als Mitglied gewählt; ferner wurden zur Aufnahme
vorgeschlagen die Herren Dr. Franz Settari, Dr. E. Lang
und Dr. J. Schlemmer.
Herr Dr. v. Ebner hält hierauf einen Vortrag über
Drüsenstruktur und Sekretion.
In einer längern Einleitung bespricht derselbe, wie man
zu den bisher giltigen Vorstellungen über die Struktur der
Drüsen und die Beziehungen derselben zur Sekretion gekom-
men ist. Die neuern Untersuchungen der sog. acinösen Drüsen,
die vorzüglich durch die Entdeckungen ©. Ludwigs über die
Beziehungen der Nerven zur Sekretion der Speicheldrüsen
angeregt wurden, hätten gezeigt, dass das Schema, welches
man sich bisher vom Baue der Drüsen gemacht hat, viel
zu einfach ist, doch sei noch nicht ausgemacht, wie man die
alten nicht mehr ausreichenden Vorstellungen umzuändern habe.
Einer eingehendern Besprechung unterzieht Vortragender
die Wege, auf welchen das Sekret fortgeschafft wird. Durch
neuere Untersuchungen habe sich zunächst für die Bauch-
speicheldrüse des Kaninchens und des Hundes herausgestellt,
dass von dem centralen Hohlraume der Alveolen feine Ka-
nälchen abgehen, welche ein zierliches, mit seinen Maschen
die einzelnen Drüsenzellen umfassendes Netz bilden, das zum
Naturw.-med. Verein. 1871. I. Hft. 1
II
Theile zwischen tunica propria und den Drüsenzellen liegt.
Vortragender hat im physiologischen Institute zu Graz eben-
falls Untersuchungen über dieses fragliche Strukturverhältniss
angestellt und es ist ihm gelungen, am Pankreas des Ka-
ninchens dieselben Netze zu injiziren, wie sie von Saviotti
beschrieben und abgebildet wurden.
Er spricht die Ueberzeugung aus, dass es sich an dem
genannten Objekte nicht um Kunstprodukte handle, sondern
dass die injizirten Netze wirklich die Anfänge der Aus-
führungsgänge, wahre „Speichelcapillaren* darstellen, Viel
schwieriger sei die Injektion der Mundspeicheldrüsen, von
denen der Vortragende vorzüglich die Unterkieferdrüse des
Hundes und des Kaninchens untersuchte. Die Injektion regel-
mässiger Netze sei ihm niemals gelungen, doch habe er häufig
Theile eines Speichelalveolus gefunden, an welchen die Zellen
von äusserst feinen Kanälchen umsponnen waren, die
nicht selten unter der tunica propria, entsprechend den
Kernen der von Boll beschriebenen Zellen des sog. Drüsen-
korbes, Anschwellungen zeigten. Wahrscheinlich sei das von
Boll beschriebene intraalveolare Bindegewebsgerüste nichts
Anderes, als das Speichelcapillarnetz; doch müsse zugegeben
werden, dass die Injektionsresultate noch eine andere Deutung
zulassen. Möglicherweise hat sich das als Injektionsmasse
benützte lösliche Berlinerblau auf der Oberfläche der von
Boll angenommenen Fächerchen verbreitet und niedergeschla-
gen. Bei der Feinheit der hier in Frage stehenden Gebilde
sei es schwer zu sagen, ob die Masse im Innern oder nur
auf der Oberfläche sich befinde, doch spreche die scharfe
Begränzung der blauen Bälkchen für das erstere.
Als einer besonderen Merkwürdigkeit wird des Um-
standes gedacht, dass an allen injizirten Unterkieferdrüsen
des Hundes, bei welchen die Masse überhaupt in die Alveolen
eindrang, zahlreiche Speichelzellen injizirt waren. Man könne
sich überzeugen, dass die stark blau gefärbten und ganz
scharf abgegränzten Zellen in ihrem Innern Berlinerblau ent-
halten. Die Frage, ob die Injektionsmasse durch eine natür-
Ill
liche Oeffnung oder durch einen Riss eindrang, bleibt offen,
doch wird bezüglich der Möglichkeit der ersteren Annahme
an das Vorkommen einzelliger Drüsen erinnert.
Schluss der Sitzung 8, Uhr.
II. Sitzung, den 25. Jänner 1871.
Die in der letzten Sitzung zur Aufnahme vorgeschla-
genen Herren Dr. Franz Settari, Dr. Ed. Lang und Dr.
J. Schlemmer wurden einstimmig als Mitglieder gewählt
und weiters Herr Fabriksdirektor R. Rhomberg zur Auf-
nahme vorgeschlagen.
Hierauf hielt Herr Prof. Wildner einen Vortrag über
die Hundswuth.
Schluss der Sitzung 8 Uhr.
III. Sitzung, den 8. Februar 1871.
Herr Fabriksdirektor R. Rhomberg wurde mit Stim-
meneinhelligkeit zum Mitgliede gewählt.
Von Druckschriften wurden vorgelegt mit der Einladung
zum Schriftentausch :
1) die Zeitschrift des Ferdinandeums. Jahrgang 1870,
2) die medizinisch - chirurgische Rundschau. Jahrgang
1871. 1. Heft
Herr Prof. Heine besprach hierauf einige operative
Fälle und Herr Dr. E. Läng hielt einen Vortrag über die
sogenannten Dermoidcysten im Allgemeinen und einen von
ihm beobachteten Fall insbesondere.
Der Vortragende macht aufmerksam, dass man durch
Heschl (Prag. Vjschft. 1860) und Virchow (Arch. 1866)
nur über die Genese der Dermoideysten des Kopfes, Halses
und der Extremitäten belehrt wurde. Ueber die Entstehungs-
ursache von Dermoiden im Genitalapparate bestehen nur
Vermuthungen; so Pelikan (Schmidt’s Jahrb. 1862) und
1*
IV
Axel Key (ebendas. 1865). Waldeyer (Arch. f. Gynaekol.
1870) will die Dermoideysten der Ovarien auch nur ver-
muthungsweise auf eine parthenogetische Entwicke-
Jungsfähigkeit einer zur Eizelle gewordenen
Epithelzelle des Ovariums zurückführen, eine Ansicht,
die durch neuere Beobachtungen einige Berechtigung hat.
Für die Erklärung des Vorkommens von Dermoiden im
Hoden gibt Waldeyer’s Werk „Eierstock und Ei“ durch den
Nachweis des Hermaphroditismus oder wenigstens der her-
maphroditischen Anlage in der ganzen Thierreihe nicht zu
übersehende Anhaltspunkte. Bei alledem ist es aber immer
höchst sonderbar, dass bis jetzt in den in Rede stehenden
Tumoren das Darmdrüsenblatt durch kein Organ vertreten
gefunden wurde.
Der Vortragende geht nun auf seine Beobachtung über.
Durch die Güte des Herrn Prof. Heine wurde er in die
Lage versetzt, ein hühnereigrosses Teratom vom Hoden eines
1 /, jährigen Kindes — Privatpatienten Prof. Heine’s — nach
allen Richtungen hin genau zu durchforschen. Die Geschwulst
ergab sich als Cystoid mit eingesprengten Knochen- und
Knorpelstückchen. Die Auskleidung der Cysten wurde von
verschiedenen Arten Epithelien gebildet. Manche Cysten
trugen vollkommen ausgebildete Cutisinseln mit Haaren, Talg-
und Schweissdrüsen; viele aber waren mit einer Schleimhaut
und den normalen in Nichts nachstehenden Schleimdrüsen
versehen. Ausserdem fand er auch in einem Theile der
Geschwulst Nervenzellen und Nervenfasern in ganz dichten
Gruppen. Weiters erwähnt er an der Geschwulst einer kleinen
Erhabenheit, die sich als Hodenparenchym herausstellte.
Aus dem Bestehen von normalem Hodenpa-
renchym neben Dermoidcystenentartung; aus dem
Mangel eines jeden Nachweises, dass das Hoden-
gewebe sich am Aufbau des Gewächses betheiligt
hätte; aus dem sichern Nachweis von vollkommen
entwickelten Schleimdrüsen glaubt der Vortragende
die Annahme nahegelegt, dass der Eierstocktheil des Hodens
Vv
es war, der zum Teratom geworden, und den parthenogene-
tischen Ursprung der Geschwulst, wenn auch nicht bewiesen,
so doch in hohem Masse gestiitzt.
Schluss der Sitzung 8, Uhr.
IV. Sitzung, den 1. Marz 1871.
(Jahresversammlung. )
Der Vorsitzende bringt eine Zuschrift des ärztlichen
Vereins in Salzburg zur Kenntniss, in welcher derselbe mit-
theilt, dass er wegen unbilligem Vorgange des Ministeriums
bei der Gehaltsregulirung der älteren Bezirksärzte eine Petition
an den Reichsrath gerichtet habe und in welcher er zu einem
gleichen Vorgange einladet.
Die Zuschrift wird dem Sanitätsrath Herrn Dr. Gill-
— huber übergeben, damit er nach Besprechung mit seinen
ärztlichen Collegen in einer der nächsten Sitzungen einen
Antrag stelle.
Herr Dr. Ferdinand Ritter v. Reinisch, k.k. Adjunkt,
wird zum Beitritte als Mitglied angemeldet.
Die Gesellschaft für Natur und Heilkunde in Dresden
sendet ein Heft ihrer Sitzungsberichte ein.
Der Schriftführer erstattet hierauf nachfolgenden Bericht
über die Thätigkeit des Vereins im abgelaufenen Jahre.
Bericht
über die Thätigkeit des naturwissenschaftlich - medizinischen
Vereins in Innsbruck während des Jahres 1870.
Der Verein hat sich bei seiner Constituirung die Auf-
gabe gestellt, wissenschaftliche Forschung auf dem Gesammt-
gebiete der Naturwissenschaften und Medizin anzuregen und
zu fördern und deren Resultate zu verbreiten. Zur Erreichung
dieses Zweckes sollten regelmässige Sitzungen dienen, in
welchen Vorträge der Mitglieder über eigene Untersuchungen
und Beobachtungen aus den verschiedensten Zweigen der
genannten Wissenschaften gehalten, Mittheilungen über neue
VI
fremde Beobachtungen gemacht, sowie interessante wissen-
schaftliche Objecte demonstrirt werden. Auch wurde die
Herausgabe einer Zeitschrift beschlossen, in welcher die Ver-
handlungen des Vereins veröffentlicht werden.
Es kann heute am Schlusse des ersten Vereinsjahres
mit Befriedigung hervorgehoben werden, dass der Verein
seinem vorgesteckten Ziele mit grösstem Eifer und bestem
Erfolge nachgekommen ist. Die Vereinssitzungen wurden
regelmässig alle 14 Tage (mit Ausnahme der Universitäts-
ferien) des Mittwochs, im Winter um 7 Uhr, im Sommer
um 7%, Uhr Abends in einem Hörsaale der k. k. Universität
abgehalten und von den Mitgliedern auch meist fleissig besucht.
Durch zahlreiche wissenschaftliche Vorträge, durch Mit-
theilung neuer Entdeckungen auf den verschiedenen Gebieten
der Naturwissenschaft und Medizin, durch Ausführung in-
structiver Experimente, durch Vorzeigung und Erklärung
neuer oder seltener naturhistorischer Objecte, durch Vor-
führung wichtiger Krankheitsfälle wurde das Interesse der
Mitglieder stets rege erhalten.
Jedoch beschränkte sich der Verein nicht bloss auf das
rein wissenschaftliche Gebiet, sondern wendete sich auch
practischen Fragen zu. So wurde schon in der zweiten Sitzung
die Regelung der Kloakenfrage der Stadt Innsbruck in An-
regung gebracht und ein Comite eingesetzt, welches sich mit
dieser Angelegenheit auf das eifrigste beschäftigte und einen
ausführlichen Bericht in der 8. Sitzung vorlegte, auf Grund
dessen die Versammlung sich über bestimmte Vorschläge
einigte und den Beschluss fasste, dieselben der hiesigen Stadt-
vertretung vorzulegen. Letztere ist auch bereits mit der
Einleitung der nöthigen Vorarbeiten beschäftigt, um auf Grund
der gemachten Vorschläge die Angelegenheit einer entspre-
chenden Lösung zuzuführen.
Von der Vereinszeitschrift ist bisher das 1. Heft erschie-
nen, ein zweites befindet sich unter der Presse. Jenes enthält
die Sitzungsberichte vom März bis Juli, den Comitebericht
über die Regelung der Kloakenfrage in Innsbruck von Prof.
eo
sti es
nl
Au
VI
Hofmann, sowie einige physikalische Abhandlungen von
Prof. Pfaundler, das letztere wird die Sitzungsberichte des
zweiten Halbjahres, sowie naturwissenschaftliche Abhand-
lungen von den Professoren Kerner, Heller und Dr.
Oellacher, ferner klinische Berichte von den Professoren
Heine und Mauthner enthalten.
Die Zahl der Mitglieder, welche bei der ersten Consti-
tuirung des Vereins bloss 56 betrug, hat sich im Laufe des
Jahres auf 78 gesteigert. Es gehören ihm an die medizi-
nischen und naturwissenschaftlichen Professoren der Univer-
sität, die Professoren der naturwissenschaftlichen Fächer an
den beiden Mittelschulen, die meisten praktischen Aerzte des
Militär- und Civilstandes, sowie viele Freunde der Natur-
forschung hiesiger Stadt, dessgleichen einige auswärtige Mit-
glieder.
Als Vorsteher des Vereins fungirten die Professoren
Heller und Heine, als Kassier Prof. Dantscher, als
Schriftführer Assistent Dr. Fizia. —
Der Vereinskassier legt die Rechnung über die Ein-
nahmen und Ausgaben des Vereins vor und wird dieselbe
dem Herrn Statthaltereirath Ritter v. Barth und Herrn
Rechnungsrath v. Schmidt zur Prüfung übergeben. Die
Einnahmen des Vereines beliefen sich demnach im Verwal-
tungsjahre 1870 auf 417 fl., die Auslagen auf 212 fl. 22 kr.,
es verblieb somit ein Kassarest von 205 fl. 73 kr. —
Bei der hierauf vorgenommenen Neuwahl der Vereins-
leitung wurden 32 Stimmzettel abgegeben. Beim Scrutinium
erschienen mit absoluter Majorität gewählt:
Herr Prof. Ritter v. Vintschgau als Vorstand mit 28 Stimmen
» » » Vv. Barth als Stellvertreter mit 20 ,
oe Cs Dantscher als Kassier mit ı 28 =
Dr. Oellacher als Schriftführer mit . 26 ,
Am Schlusse hielt Herr Prof. Pfaundler noch einen
Vortrag über Leuchtsteine und zeigte einige Experimente mit
solchen, die er mit elektrischem Lichte beleuchtete; ferner
by)
VII
macht derselbe Experimente mit dem Phosphoroscope von
Becquerel und mit dem Elektromotor von Kravogel, dessen
Construction er durch Vorführung älterer Motoren erläuterte.
Schluss der Sitzung 8%, Uhr.
V. Sitzung, den 15. März 1871.
1) Herr Prof. Ritter v. Vintschgau dankt in einer
Ansprache den Mitgliedern für die anihn ergangene Wahl zum
Vereinsvorstand und gibt im Namen der neuen Vereins-
leitung die Versicherung, dass dieselbe fortwährend bemüht
sein wird, dahin zu trachten, dass der Verein, der schon
im ersten Jahre seines Besteheus eine nicht geahnte Ent-
wicklung erreichte, sich nicht bloss in dem gegenwärtigen
blühenden Zustande erhalte, sondern auch noch tiefere Wurzeln
fasse.
Er fordert auf, durch zahlreiche Betheiligung an den
Vorträgen und den daran sich knüpfenden Discussionen das
Interesse für den Verein zu kräftigen und wo möglich zu
steigern. N
Ferner bezeichnet er in allgemeinen Zügen den Stand-
punkt, von welchem aus allein eine erspriessliche Erforschung
der Naturerscheinungen möglich sei.
Zum Schlusse spricht er der abgetretenen Vereinsleitung
des vorigen Jahres im Namen aller Mitglieder den Dank für
die umsichtige und unermüdliche Thätigkeit aus, worauf
sämmtliche Mitglieder ihre Zustimmung durch Erheben von
den Sitzen ausdrücken.
2) Herr Dr. Fd. v. Reinisch wird hierauf einstimmig
als Mitglied aufgenommen.
3) Herr Dr. Loebisch, Assistent an der Lehrkanzel
der physiologischen Chemie hier meldet seinen Beitritt an.
Die Abstimmung erfolgt in der nächsten Sitzung.
4) Herr Statthaltereirath v. Barth und Herr Rech-
nungsrath v. Schmidt legen die revidirte Vereinsrechnung des
IX
vergangenen Jahres vor und erklären dieselbe für richtig.
Da Niemand dagegen einen Einwand erhebt, so wird dieselbe
der Vereinsleitung übergeben.
5) Herr Prof. Dr. Maly macht eine Mittheilung über
das von A. Gfall in Innsbruck erzeugte Malzextrakt. Das-
selbe enthält nach Maly’s Analyse 36.6%, Malzzucker, 27.9%,
Dextrin, 1.6% Asche, 3.2%, Eiweiss und das Uebrige
Wasser und Extractivstoffe. Ferner wurde die sinnreiche
Abdampfmethode erwähnt, welche bei niedriger Temperatur
durch Tropfenvertheilung stattfindet, und einer möglichen
Veränderung der organischen Malzsubstanzen vorbeugt.
6) Herr Dr. J. Oellacher trägt vor über das Ver-
schwinden des Keimbläschen aus dem Eie. Der Vortragende
hat diesen Vorgang zunächst am Forellenei genau verfolgt.
Durch eingehende Studien, welche derselbe an den Eiern
einer Forelle, die am 10. November besaamt worden waren,
vom ersten Momente der Besaamung an anstellte, wurde
derselbe zunächst auf ein kleines rundes, schleierartiges Ge-
bilde auf manchen Keimen aufmerksam, welches sich an
Durchschnitten als ein dem Keime aufgelagerter, wie von
Porenkanälen durchzogener Saum ausnahm. In Verfolgung
dieses merkwürdigen Gebildes kam der Vortragende auf ver-
schiedene Stadien der Entwickelung desselben, theils an Eiern,
welche kurz nach der Besaamung, theils vor derselben er-
härtet worden waren. Ein Ei zeigte auf der Oberfläche ein
winziges Loch, das von einem Saume umgeben war. Auf
einem Durchschnitte zeigte es sich, dass dasselbe der enge
Eingang zu einer kleinen Höhle war, die von einer porösen
Membran ausgekleidet erschien. Diese letztere nahm sich
aus wie ein wenig geöffneter Zugbeutel, dessen Saum auf
die Keimoberfläche ausgeschlagen ist; in demselben befand
sich ein kugeliger Körper mit faltiger Oberfläche, der den
Beutel jedoch nicht ganz erfüllte Ein zweites Ei zeigte
einen in einen Hügel erhobenen Keim; auf der Spitze jenes
Hügels mündete eine kleine Höhle, in der man deutlich einen
kugeligen Inhaltskörper erkennen konnte. Ein Durchschnitt
x
bot ein ähnliches Bild wie das vorige, nur dass der Beutel,
der die poröse Membran bildete, weiter aufgezogen erschien
und den Inhaltskörper weniger innig umschloss. Ein drittes
Ei zeigte eine seichte Höhle mit weitem Eingang, in der man
jedoch deutlich zwei kleinere kugelige Inhaltskörper erblickte.
Im Durchschnitt erschien die von einer porösen Membran
ausgekleidete Höhle wie eine in den Keim eingesenkte Schaale,
in der auf zwei Durchschnitten je ein kleiner kugeliger Körper
lag. Ein viertes Ei trug an der Oberfläche eine noch seich-
tere Schaale, wieder von jener porösen Membran ausgeklei-
det; der einfache kugelige Inhaltskörper ragte über den Rand
der Schaale heraus. Es ist kein Zweifel, dass die geschil-
derten Bilder beweisen dass im Forelleneie zu einer gewissen
Zeit an der Oberfläche des Keimes eine beutelförmige Membran
mündet, welche sich mehr und mehr öffnet, und deren Höhle
sich somit nach und nach ausgleicht. Dadurch wird der
einfache oder doppelte Inhaltskörper derselben mehr und
mehr aus ihr und mithin auch aus dem Keime herausgeho-
ben, endlich wird die Membran bis zu einem gewissen Grade
sogar umgestülpt und auf der nun durchaus convexen Ober-
fläche des Keimes ausgebreitet, der Inhalt derselben aber
aus dem Keime eliminirt. Dass dieser Vorgang auf Con-
tractionen des Keimes beruhe, ist selbstredend.
Ein Vergleich dieser der Reife nahen Eier mit Eier-
stockeiern ergab, dass jener kugelige, von einer porösen
Membran umschlossene Körper das Keimbläschen ist, indem
auch in den kleinen Eiern des Eierstocks, wie sie sich nach
dem Laichen noch im Mutterthiere finden, das Keimbläschen
ein runder, von einer dicken und ebenfalls porösen Membran
umschlossener Körper ist und ebenfalls an der Oberfläche des
Keimes liegt. Das Keimbläschen des Forelleneies öffnet sich
somit an der Oberfläche des Keimes, und der letztere treibt
den Inhalt desselben aus.
Der Vortragende vergleicht diese Beobachtung am
Forellenei zunächst mit einer ähnlichen v. Baer’s am Ba-
trachiereie, welche bisher von allen Forschern auffallender
XI
Weise vollkommen ignorirt wurde. v. Baer beschrieb und
bildete ab, wie am Batrachiereie das Keimbläschen das von
ihm so genannte stratum nigrum durchbohre und so zwischen
Inhalt und Membran des Eies gelange, also auch aus der Proto-
plasmamasse des letzteren eliminirt werde. Ferner vergleicht der
Vortragende diesen Vorgang mit der von Purkinjeund v. Baer am
Hühnereie beschriebenen Elimination des Keimbläschens aus
dem Keime. Dieselbe vollzieht sich nach den eigenen Be-
obachtungen des Vortragenden in der Weise, dass das Keim-
bläschen ringsum von den Seiten und von unten her einge-
drückt und an die Dotterhaut angepresst werde, wobei es
vorläufig im Durchschnitte eine trapezförmige Figur annimmt,
endlich aber durch fortgesetzten Druck abgeplattet wird und
vollkommen der Dotterhaut anliegt. Gleichzeitig wird es
fast homogen. Aehnliches behauptete v. Baer auch vom
Keimblaeschen des Reptilieneies. Was das Säugethierei an-
langt, erinnert der Vortragende an den einfachen oder dop-
pelten kleinen Körper, der nach den Beobachtungen Bischofts,
Coste’s und E. van Beneden’s aus dem Eie kurz vor der Be-
fruchtung ausgepresst wird.
Er vergleicht diesen Körper ebenfalls mit dem aus dem
Forellenkeime austretenden, der ja auch einmal doppelt —
i. e. getheilt in der Schaale der Keimbläschen-Membran ge-
getroffen wurde.
Ausserdem erinnert der Vortragende, dass ja auch im
Säugethiereie das Keimbläschen unter die Oberfläche wandere,
wo es von den Forschern immer gesehen und als solches
erkannt worden sei. Demnach hält es der Vortragende für
sicher, dass das Keimbläschen in den Eiern aller Wirbel-
thiere durch Contractionen des Keimes ausgestossen werde
und der Ausdruck: „das Keimbläschen verschwindet,“ in
diesem Sinne volle Berechtigung habe.
Van Beneden habe überdiess während das ausgestossene
und getheilte Keimbläschen noch innerhalb der Zona sichtbar war,
einen oder zwei neue Kerne im Eie gesehen, und hält der Vor-
tragende daher die weitere Verwendung des Keimbläschens$
XI
zur Bildung von Kernen der Furchungskugeln um so sicherer
fiir nicht annehmbar. od
Zum Schlusse macht der Vortragende auf die zahl-
reichen Beobachtungen von v. Baer, Pouchet, P. v. Beneden,
Frd. Müller, Loven und Köllicker an Molluskeneiern auf-
merksam, welche gleichfalls das Austreten eines oder zweier
Körperchen vor der Befruchtung darthun, und welche unter
andern Deutungen, die sie erfuhren, — von Pouchet für Ab-
kömmlinge des Keimbläschens gehalten wurden. Mindestens für
alle jene Eier, auch der Wirbellosen, in denen eine Wanderung
des Keimbläschens vom Centrum des Eies an die Peripherie
beobachtet werden könne, hält der Vortragende trotz aller
gegentheiligen Behauptungen vieler Forscher die Elimination
des Keimbläschens vor der Befruchtung immer noch für das
Wahrscheinlichste und schliesst ‘sich derselbe daher den
Beobachtungen v. Baer’s (De ovi animalium et hominis genesi)
vollkommen an.
Schluss der Sitzung halb 9 Uhr.
Vi. Sitzung, den 3. Mai 1871.
1) Herr Dr. W. Loebisch wurde als Mitglied auf-
genommen.
2) Die Herren Graf Anton Arz, k. k. Statthalterei-
rath; Dr. Ignaz Laschan, k. k. Statthaltereirath, Wil-
helm Fedrigotti, k. k. Landesgerichtsrath, und Ernst
Grabmeier, k. k. Landesgerichtsadjunkt in Innsbruck mel-
den ihren Beitritt zum Vereine an. Abstimmung in der
nächsten Sitzung.
3) Herr Prof. Dr. Heine stellte eine Kranke vor,
welche ihm mit einem schlechtgeheilten Kniescheibenbruche
überbracht worden war. Die Bruchstücke der Kniescheibe
standen damals zwei Zoll von einander ab und konnte die
Kranke kaum gehen. Es wurde an derselben desshalb eine
von ihm zum erstenmale ausgeführte osteoplastische Operation
XI
vorgenommen, durch welche die Knochenfragmente bis auf
1'4,—2 Linien genähert wurden, und wodurch die Kranke
nun wieder in den Stand gesetzt wurde, gut zu gehen.
Im Anschlusse hieran stellte Herr Prof. Heine einen
anderen Kranken vor mit dem Endresultate einer zweimaligen
Resection im Handgelenke. Dasselbe schlottert weder noch
ist es unbeweglich und ist die Hand somit wieder für leich-
tere Arbeit brauchbar.
4) Hierauf hielt Prof. Dr. Mauthner einen Vortrag
über das Leuchten der Augen; er spricht zunächst über den
gebräuchlichen Ausdruck, dass das Auge im Affecte strahle
und definirt dieses Leuchten und Strahlen als gesteigerten
Glanz der Oberfläche des Auges. Davon zu unterscheiden
ist das wirkliche Leuchten der unter gewöhnlichen Verhält-
nissen schwarzen Pupille. Der Vortragende entwickelt die
Ansichten, die über dieses Phaenomen zu verschiedenen Zeiten
aufgestellt wurden, bespricht dann den wahren Grund des
Augenleuchtens, welches auf Zurückstrahlung einfallenden
Lichtes beruht und endiget mit der Beschreibung des Augen-
spiegels, durch dessen Hilfe man den Grund eines jeden
Auges leuchtend machen kann, welches durchsichtige Medien
besitzt, so dass man alle Details des Augengrundes wahr-
nehmen kann.
Schluss der Sitzung 9 Uhr.
VIE. Sitzung, den 17. Mai 1871.
1) Die Herren Graf Anton Arz, Dr. Ignaz Laschan,
Graf Wilhelm Fedrigotti und Ernst Grabmeier
werden als Mitglieder aufgenommen.
2) Herr Dr. Pircher meldet seinen Beitritt an.
3) Herr Prof. Dr. Maly besprach die Gesetze der
Spectralerscheinungen in ihrer Anwendung auf die Astronomie.
Er setzte den Unterschied der Spectra leuchtender fester und
leuchtender gasförmiger Körper auseinander und stellte hierauf
XIV
die Theorie der Frauenhofer’schen Linien dar. Hieran reihte
er die Aufzählung derjenigen Metalle, welche durch das
Spectroscop sowohl in den Planeten, als auch in den Fix-
sternen, besonders in der Sonne, und ferner in Cometen und
Nebelflecken gefunden wurden Den Schluss des Vortrages
bildete ein sehr sinnreiches Experiment, in welchem die Ver-
dunkelung einer kleineren gelben Natronflamme durch eine
zweite grössere Natronflamme hervorgebracht wurde, und womit
der experimentelle Nachweis der Absorptionserscheinungen
geliefert und der thatsächliche Beweis für die Richtigkeit der
Theorie über die Frauenhofer’schen Linien gegeben war.
Schluss der Sitzung 9 Uhr.
VIII. Sitzung, den 7. Juni 1871.
1) Herr Dr. Pircher wird einstimmig als Mitglied
aufgenommen.
2) Herr Prof. Hofmann hält einen Vortrag über „die
gerichtsärztliche Untersuchung von Haaren.“
Nachdem der Vortragende die Wichtigkeit und Bedeu-
tung solcher Untersuchungen auseinandergesetzt und durch
einzelne praktische Fälle illustrirt, übergeht derselbe zunächst
zu den Unterschieden zwischen Menschen- und Thierhaaren.
Gegenüber den bekannten Eigenschaften des Menschenhaares
zeigen die Thierhaare ein ganz anderes Verhalten, so dass
sie in der Regel sogleich als solche zu erkennen sind. Schon
die Cuticula präsentirt sich bei den meisten Thierhaaren in
anderer Weise als beim Haare des Menschen. Die Zellen
derselben sind im Allgemeinen grösser, bei einzelnen Thieren
sogar ungewöhnlich gross (Schaf), und verleihen dem Haare,
indem sie mit ihren feinen Spitzen vom Schafte abstehen,
stark markirte zähnige und sägeförmige Conturen, die mit-
unter, wie z. B. bei der Fledermaus, dem Haare ein so zu
sagen gefiedertes Aussehen geben können.
Vor allem aber unterscheiden sich die Thierhaare durch
XV
die auffallende Prävalenz der Marksubstanz und durch den
ausgesprochen in der Regel schon ohne weitere Behandlung
des Haares sichtbaren zelligen Bau der Letzteren.
Der Vortragende beschreibt die verschiedenen Bilder,
welche die Haare der einzelnen Thiere je nach der Grösse
und Form der Markzellen geben, und demonstrirt eine Reihe
solcher Haare unter dem Mikroscope.
Fortsetzend bespricht der Vortragende die Unterschiede,
welche die Menschenhaare je nach der Körperstelle, von
welcher sie stammen, darbieten.
Ausser den Differenzen in der Länge, Stärke und in
den Wurzeln der einzelnen Haare werden vorzugsweise die
Verschiedenheiten in der Form des Haarschaftes sowohl als
besonders der freien Enden der Haare erörtert, wie sie theils
durch kontinuirliche Bildung, theils durch Einwirkung des
Schweisses, theils durch beide diese Momente in sekundärer
Weise bewirkt werden. Abschleifung der Haarenden, Auf-
lockerung der Zellen des Haarschaftes, Zerfaserung des letzte-
ren und ganz besonders des freien Endes sind die wichtigsten
diessbezüglichen Veränderungen, die je nach der Prävalenz
des einen oder des anderen Insultes in verschiedener Weise
hervortreten.
Der Vortragende demonstrirt solche Haare und schliesst
mit der Bemerkung, dass aus dem mikroskopischen Befunde
allein wohl im Allgemeinen die Stelle bezeichnet werden
kann, von welcher die betreffenden Haare herstammen, dass
aber eine präzisirte Bestimmung derselben in so ferne Schwie-
rigkeiten bietet, als das Verhalten der einzelnen Haare durch-
aus nicht immer so konstant und charakteristisch ist, als
diess z. B. Pfaff behauptet, sondern dass eine Menge Um-
stände, namentlich individueller und lokaler Natur modifizi-
rend einwirken.
Schluss der Sitzung 8%, Uhr.
XVI
IX. Sitzung, den 14. Juni 1871.
1) Herr Prof. Dr. v. Vintschgau legt eine chemische
Arbeit von Herrn Dietl vor, welche in den Schriften des
Vereines gedruckt werden soll, und beantragt, dieselbe dem
Herrn Prof. Dr. Maly zum Begutachten zu übergeben.
Der Antrag wird angenommen.
2) Herr Prof. Dr. M. v. Vintschgau trägt vor über
einige Methoden zur Zählung der Herzschläge bei Thieren,
deren Pulsfrequenz so gross ist, dass sie ohne taugliche
Apparate das Zählen höchst schwierig und unsicher macht.
Der Inhalt des Vortrages wird im nächsten Hefte aus-
führlich erscheinen.
Schluss der Sitzung 9 Uhr.
X. Sitzung, den 28. Juni 1871.
1) Der Vorsitzende Herr Prof. M. v. Vintschgau
meldet, dass die von Herrn Dietl eingereichte chemische
Arbeit von Herrn Prof. Maly geprüft und druckwürdig be-
funden wurde; worauf beschlossen wird, dieselbe in die Zeit-
schrift des Vereins aufzunehmen.
2) Theilt der Vorsitzende den Einlauf des 4. Heftes
der med. chirurg. Rundschau mit.
3) Befragt Herr Prof. v. Vintschgau, ob die An-
wesenden gewillt seien, die von Prof. Winkler in München
durch Prof. Heller eingereichte palaeontologische Arbeit in
die Zeitschrift des Vereines aufzunehmen. Er stellt die Bilanz
zwischen dem Barfonde des Vereines einerseits und den Kosten
des 3. Heftes der Zeitschrift ohne und mit der Aufnahme
der Arbeit des Herrn Prof. Winkler. Prof. Barth stellt
hierauf den Antrag, erst das Referat über die Arbeit von
Herrn Prof. Heller abzuwarten und dann erst, natürlich mit
Berücksichtigung des finanziellen Standpunktes, über die Auf-
nahme zu entscheiden. Herr Oellacher, Apotheker, stellt
N
XVü
den Antrag, die Arbeit direct zurückzuweisen und bei dem
geringen Fonde des Vereins mehr die Arbeiten von Inländern
zu berücksichtigen. Herr Prof. Pfaundler unterstützt den
Antrag Barth’s, der denn auch angenommen wird.
4) Hierauf hielt Herr Prof. v. Barth einen Vortrag
über einige Derivate der Benzo@säure. Er berichtet zunächst
über eine von ihm in Gemeinschaft mit Dr. Senhofer aus-
geführte Untersuchung der Disulfobenzoesäure, eines neuen
bisher unbekannten Abkömmlings der Benzoéséiure und über
eine ebenfalls neue daraus entstehende Dioxysäure, und knüpfte
hieran eingehende Bemerkungen über die in neuerer Zeit so
grosses Interesse erregende Bestimmung des chemischen Ortes
in der aromatischen Reihe.
Schluss der Sitzung 9 Uhr.
XI. Sitzung, den 5. Juli 1871.
1) Herr Prof. Heller referirt über die Arbeit des
Herrn Prof. Winkler in München, deren Drucklegung er
jedoch in Rücksicht der zu bedeutenden Auslagen nicht em-
pfiehlt. Es wird hierauf der Antrag Hellers, diese Arbeit
zurückzusenden, einstimmig angenommen,
2) Herr Dr. Oellacher meldet die Beitrittserklärung
des Herrn Dr. Edvard v. An der Lan, k. k. Landwehr-
hauptmanns an. Die Abstimmung wird für die nächste Sitzung
vorbehalten.
3) Herr Prof. Pfaundler hält hierauf einen Vortrag
über die Dampftemperatur siedender Salzlösungen. Derselbe
hält die Frage über die Ursache der niedrigeren Temperatur
der Dämpfe gegenüber der der Lösung durch die bisherigen
Arbeiten keineswegs für gelöst. Er führt eine Reihe von
Versuchen an, welche es ihm wahrscheinlich machen, dass
der Dampf einer siedenden Salzlösung auch ohne äussere Ab-
kihlung eine niedrigere Temperatur zeigen müsse als die Lö-
Naturw.-med, Verein, 1871. I. Hit, 2
XViil
sung. Die früher von Regnault vorgeschlagene Erklärung der
Abkühlung erwähnend, versucht er eine neue, die sich auf
die neuen Vorstellungen über die Bewegung der Moleciile
und die Bedeutung der Mitteltemperatur des Dampfes grün-
det. Zum Schlüsse zeigt er ein Experiment vor, welches die
schon längst von Gay-Lussac mitgetheilte, aber in Vergessen-
heit gerathene Thatsache, dass durch Einleiten eines Dampf-
stromes von 100° in eine Salzlösung letztere weit über 100°
erhitzt werden könne, zur Anschauung bringt, und theilt über-
dies mit, dass diese Erscheinung auch bei solchen Salzen
eintritt, bei welchen beim Zusammenbringen mit Wasser von
100° eine Temperaturerniedrigung eintrete.
4) E. v. Job referirt über Versuche, die er unternom-
men, um den Kühleffeet der Kältemischung aus Wasser und
salpetersaurem Ammoniak zu bestimmen. Sie umfassen theils
Löslichkeitsbestimmungen dieses Salzes für verschiedene Tem-
peraturen, theils Messungen der latenten Lösungswärme der-
selben. Letztere wurde ungefähr so gross wie von Favre
und Silbermann gefunden, jedoch wechselnd mit der gelösten
Menge. Die erhaltenen Zahlen werden bei anderer Gele-
genheit mitgetheilt werden.
Schluss der Sitzung 9, Uhr.
Xir. Sitzung, den 21. Juli 1871.
1) Herr Prof. Dr.M. v. Vintchsgau legt das Juliheft der
medizinisch-chirurgischen Rundschau vor, welches im Tausch-
wege eingegangen.
2) Herr Hauptmann Dr. v. An der Lan wird ein-
stimmig als Mitglied aufgenommen.
3) Herr Dr. Loebisch hält einen Vortrag über das
Verhalten aromatischer Körper im thierischen Körper.
Schluss der Sitzung 8%, Uhr.
Ser eee eer erchterersemed
Bea SiN .
i EN
Die Waldquelle zu Marienbad.
Eine Studie aus der Balneotechnik und Balneochemie
von M. J. Dietl.
Nordwärts von Marienbad entspringt in geringer Ent-
fernung vom Kurorte in einer ungemein anmuthigen, rings
von Hochwald umschlossenen Thalau ein kräftiger alkalisch-
salinischer Sauerbrunn, der unter dem Namen Waldquelle
bereits allgemein bekannt ist. Diese Quelle, früher auch
Aeolsbrunn 1) genannt, wurde 1827 zum erstenmale gefasst
und erscheint von da an mit unter dem Heilschatze des
Kurorts. Anfangs durch einen einfachen hölzernen, mit
Rinde überkleideten Tempel geschützt, wie er so recht der
damals noch wildromantischen Umgebung entsprach, erhielt
der Brunnen später einen kräftigen auf starken Säulen ruhen-
den Oberbau, wie auch seine Umgebung durch das Eingreifen
kunstsinniger Hände nach und nach jenen landschaftlichen
Reiz erreichte, der nun jeden Besucher dieses freundlichen
Platzes mit wohlthuender Befriedigung erfüllt.
Der erwähnte Säulenbau zeigte in den letzten Jahren
bedeutende Mängel, die seine Abtragung und eine neue Ueber-
1) Der Name Aeolsbrunn ist als ein gelungener Euphemismus für
den ehemals im Volksmunde gebräuchlichen Namen Windbrunn zu be-
trachten. Diese Bezeichnung aber hatte die Quelle dem Vertrauen zu
verdanken, das sie bei Laien als wirksames Mittel gegen ungemüthliche
Blähungen genoss.
ay
bauung nothwendig erscheinen liessen. Zugleich war auch
eine Neufassung der Quelle ein um so mehr gerecht-
fertigtes pium desiderium, als in der letzten Zeit der Abfluss
der Quelle sich immer mehr verringerte, was auf einen
schlechten Zustand der alten Fassung schliessen liess und
als die letzte im Jahre 1864 von Ragsky ausgeführte Ana-
lyse eine bedeutende Verminderung des früher so reichlich
vorhandenen kohlensaueren Gases zu erkennen gab.
Wenn nun auch in einer damals erschienenen Bade-
schrift anlässlich der Mittheilung der erwähnten Analyse
dieser Verlust insofern sehr günstig aufgenommen wurde, als
dadurch die Waidquelle mit einer in Bezug auf chemische
Zusammensetzung analogen bekannten Quelle — dem Ober-
brunn in Salzbrunn — nur eine desto grössere Aehnlichkeit
erlange, so waren doch andere Männer der Wissenschaft
freimüthig genug, zu gestehen, dass es denn doch besser
wäre, wenn der frühere Status wiederhergestellt werden könnte,
dass ja möglicherweise die Waldquelle einen selbstständigen
Werth in sich trage, der es ihr ermögliche, auf eigenen
Füssen zu stehen und sich um die Aehnlichkeit oder Ver-
schiedenheit in Bezug auf andere Mineralwässer nicht in der
Art zu kümmern.
Es wurde also Dank der uneigenniitzigen und aner-
kannten Bestrebungen von Seiten des Stiftsconvents zu Tepl
vor allem eine neue Fassung und trotz einiger auftauchenden
krämerlichen Bedenken von anderer unberechtigter Seite die
Ausführung einer grösseren dauerhafteren Ueberbauung be-
schlossen, die bei ungünstigem Wetter dem Publikum Schutz
bieten soll. Mit beiden Arbeiten wurde der Baumeister Herr
F. Zickler betraut.
Die Ausführung der Neufassung gab den Anstoss zu
der vorliegenden Arbeit, zur Beschreibung der Fassung und
ganz besonders zu der durch die gründlichen und eingreifen-
den Operationen, welche dabei vorgenommen werden mussten,
insofern nothwendig gewordenen Analyse, dass dieselbe
einen Massstab abzugeben im Stande sei für die wesentlichen
an N
Veränderungen, welche die Quelle unter den angegebenen
Verhältnissen möglicherweise erfahren hat.
Den diessbezüglichen Mittheilungen mögen einige ge-
schichtlich - medizinische Notizen über das in Rede stehende
Mineralwasser vorangehen.
Das Verdienst, zuerst auf die Waldquelle und ihre Heil-
kräfte in weiteren Kreisen aufmerksam gemacht zu haben,
gebührt nach den Nachforschungen, die ich darüber in der
Marienbader Brunnenliteratur anstellte, dem rühmlichst be-
kannten Doctor Fidelis Scheu, der in seiner 1830
erschienenen Schrift ,,die Heilkräfte Marienbads etc.“ !) an-
knüpfend an eine Krankengeschichte, die im Jahre 1828 von
Prof. Steinmann vorgenommene erste Analyse mittheilt
und diese Angaben mit seinen eigenen und des genannten
Analytikers Bemerkungen begleitet, die vielfach in spätere
Badeschriften, oft sogar ziemlich wortgetreu übergingen.
Durch die erwähnte Krankengeschichte stellt er auch
die vorzüglichste noch immer mit Recht geltende Indication
und ausserdem noch eine Reihe anderer für diese Quelle auf.
Diesen Prioritätszuspruch finde ich auch bestätigt durch
eine 1837 erschienene Monographie über die Waldquelle von
C. v. Heidler?), der zuerst auf Grundlage seiner und Scheu’s
Erfahrungen systematische Indicationen vorlegt; von da ab
erscheint die Waldquelle in der Literatur theils als selbst-
ständiges Heilmittel gegen specielle Krankheitsformen, theils
als substituirend oder auch unterstützend für die andere
Brunnenkur.
Im Jahre 1844 unternahm Kersten eine Analyse des
Ferdinandsbrunnen und der Waldquelle Um einen Vergleich
der letzteren mit den Steinmann’schen Angaben zu erleich-
tern, berechne ich diese ebenfalls für das Civilpfund oder
7680 Grane.
1) Dr. F. Scheu, die Heilkräfte des Marienbads in den verschie-
denartigen chronischen Krankheiten, durch eine Reihe von Krankenge-
schichten dargestellt; Eger 1830; 29. Abschnitt, 25. Krankengeschichte.
2) Heidler, die Waldquelle zu Marieubad; Prag 1837, pag. 5.
BL ga
Steinmann Kersten
1828 1844
Natronsulphat en ea. aloe 7.371
Kalisulphate sts 12 ga 21004! 1.995
Chlornatnum un. 02 20809949 2.815
Natronearbonat . . . . 6.013 4.823
Eithionearbenat (iy 2. 0.00..2.0:073 0.007
Kalkcarbonatı iis: now moo Oe 2.611
Magnesiacarbonat . . . . 2.901 1.889
Bisencarbonat 2.2022, 0:13 0.214
Thonerdephosphat |
und Extractivstoffe[ shah 0.019 0.015
Kieselsäure". sn... 12.0.202200,648 0.676
Summe der festen Bestandtheile . 22.131 22.416
Freie und halbgebundeneKohlensäure 18.883 22.387
Die beiden Analysen zeigen also, das sich in dem Zeit-
intervall, der zwischen ihnen liegt, das Wasser nicht wesent-
lich geändert habe: kleine Differenzen betreffen nur die Com-
bination der Natronsalze und den Gehalt an Kohlensäure.
Ueber die weiteren Verhältnisse der Quelle geben uns
einige Notizen Aufschluss, die ich aus den Abdampfungs-
resultaten für die verschiedenen Quellen entnehme, wie sie
alljährlich vom Herrn Apotheker Brem vorgenommen wurden.
Die auf die Waldquelle bezüglichen Daten reihen sich
folgendermassen :
Das Mineralwasser enthielt in 16 Unzen (= 7680 Gran)
an festen Bestandtheilen
am 16. November 1859 . . . 27.428 Gran
am la: Mai 1860, 00.00.20. 02.020256
pz)
am 3]. Mai 1861... .., tans Wee 5728
am 13. Mai 1862. . . ... 24.9505
am 15..,Maiu 1863. ©... Vo.) an 20:0520%
am 17. Marl S64 2 en 2a ee
In dieses Jahr fällt die Analyse von Ragsky, die
Bey a
ich unten einschalte '); sie weist 27.185 Gran feste Bestand-
theile nach.
CMa Gnn tinh, (iii 25.508 4G ran
et MAUS OOr BOT. 101252099 %
MOMMA LO VAC Fut SDA OR Onan N,
26. September 1868 . . 25.275 ,
Im Jahre 1869 wurde aus den obenerwähnten Gründen
der Oberbau gegen Ende September abgetragen und
die neue Fassung
am 4. Oktober durch die Ausgrabung der den alten Ständer
umgebenden Erd- und Lettenschichte begonnen. ?)
Der dadurch blosgelegte alte sechsseitige Ständer be-
stand aus zwei Zoll starken Brettern von weichem Holze,
war zwei Fuss im Lichten breit, hatte 20 Zoll Wasserhöhe,
fasste daher nur 41%, Kubikfuss Mineralwasser, was der
Menge von circa 630 Bechern gleichkommt. Er ruhte ohne
jede Verbindung auf einem sechsseitigen, aus siebenzölligen
1) Analyse von Ragsky 1864:
16 Unzen Mineralwasser enthalten „ . . Grane
Schwefelsaures, Natron... 7. 0 en et Solas
Schwetelsaures™ Kali 2p 2 Mae Lg
Chlornatrium@l .uurann. On ABEND. Re IB
Kohlensaures)Natrong. sen. Re or,
-Kohlensaures Lithion Sega A DE a LE
Keohlensaurer/Kalkı 2 2. 0 a le 0290
iKohlensaurer Sirontian © 0. 2 2 22 ee) Spuren
KohlensanreyLalkerdeyy, A. En ge
Kohlensaures; Bisenoxydul 7... 2.2.2228 8704137
Kohlensaures Manganoxydul . . . . . . . Spuren
Basisch phosphorsaurer Kalk . . . . . . . 0.074
IKueselsaure a U by Meni nuts ud MA TTS
Humusartige organ. Materie sammt Verlust . . 0.073
Summe der festen Bestandtheile . . . 27.185
Freie und halbgebundene Kohlensäure . 12.941
2) Der folgenden Beschreibung ist ausser eigenen Beobachtungen
ganz besonders der von Seiten des hiesigen Stadtphysikus Herrn Dr.
Ant. Schneider ausgearbeitete amtliche Bericht zu Grunde gelegt.
oe
weichen Holze konstruirten Grundschwellenroste. Nach Be-
seitigung des Ständers fand sich hinter dem Roste beinahe
gar keine Verstampfung vor, dagegen war der Raum unter-
und ausserhalb des Ständers beinahe vollkommen mit lose
zusammengeworfenen Bachsteinen ausgefüllt, zwischen welchen
sich massenhaft Sinterocker angesammelt hatte. Den oberen
Theil der Fassung bildeten sechs 15 Zoll hohe, auf den
Ständer aufgesetzte Steinplatten, die ihrerseits wieder einen
Kranz von Serpentin trugen. Das Ganze war durch eine
oberflächliche Verstampfung zusammengehalten.
Die Mangelhaftigkeit der früheren Fassung bezieht sich
also :
1) auf die im Laufe der Zeit zerrütteten Zustände der
Fassug selbst,
2) auf die dem jetzigen Bedarf nicht mehr genügenden
räumlichen Verhältnisse, umsomehr als nach den
entsprechenden Angaben die Quelle in der Stunde
nur 2664 Kubikzoll Wasser lieferte, und 2
3) auf die Schwierigkeit, unter dem oben beschriebenen
Sachverhalte eine griindliche Reinigung der Quelle
bewerkstelligen zu können.
So wurde denn, nachdem die Höhe der früheren Ab-
laufsöffnung genau fixirt war, an die Bloslegung des Quellen-
bodens geschritten und zugleich dem Wasser durch einen in
der Richtung des früheren Abflusses gezogenen Graben der
Ablauf in den nahe vorbeifliessenden Bach ermöglicht und
schliesslich der blosgelegte Quellenboden einer genauen Be-
sichtigung unterzogen.
Es fanden sich vor allem an der Stelle unterhalb des
alten Schwellenrostes mehrere mächtige Gasquellen in der
Richtung von West nach Ost, ausserdem drei Wasserquellen;
zwei davon, eine westliche und eine östliche lagen ausser-
halb des früheren Schwellenrostes, und es war ihrem Wasser
der Eintritt in die Fassung durch Einschnitte in die Schwellen
gestattet; die dritte Quelle war in die ursprüngliche Fassung
gar nicht mit einbezogen, sondern quoll ausserhalb derselben
RN U:
zwischen Steingerölle hervor. Da sie ziemlich mächtig war
und nach einer vom Herrn Apotheker Brem vorgenommenen
Abdampfung 25 Gran fester Bestandtheile im Civilpfund ent-
hielt, so wurde ihr Ursprung in der Absicht verfolgt, sie
kunstgemäss für die neue Fassung zu aquiriren.
Im Verlaufe der diesen Zweck fördernden Arbeiten, die
mit grossen Schwierigkeiten verknüpft waren, da man grössere
Steinmassen sprengen musste und durch fünf Tage bemüht
war, die sich immer mehrenden Hindernisse zu beseitigen,
machte man jedoch die Wahrnehmung, dass die Quelle je
mehr sie sich gegen den Bach hinzog, desto gehaltloser wurde,
so dass sie bei einer neuerlichen Prüfung blos 12 Gran fester
Bestandtheile zeigte, Grund genug, um von einer weiteren
Verfolgung abzustehen.
Mittlerweile war auch der Quellenboden in der Richtung -
der anderen Quellen erweitert; während nun jeder derselben
ein besonderer Abfluss bereitet und dabei die Vertiefung in
der Mitte durch Ausschöpfen trocken gelegt wurde, brach
daselbst plötzlich eine kräftige Quelle hervor. Sie wurde
- alsbald nebst den anderen isolirten Quellen einer genaueren
Prüfung auf ihren Gehalt unterzogen, die folgende Resultate
lieferte: die letzterwähnte mittlere Quelle erwies sich als die
reichste, 32 Gran in 16 Unzen, darauf folgte die östliche
mit 26 und die westliche mit 24 Gran.
Auf Grund dessen wurde beschlossen, die erwähnten
drei Quellen in die Fassung aufzunehmen, die südliche gehalt-
lose dagegen auszuschliessen.
Das am Quellenboden vorgefundene mit Sand und Lehm
gemengte Gerölle konnte a priori wohl nicht als günstige
Basis für die neue Fassung angesprochen werden. Man ver-
suchte daher die Quellen bis zu einem etwaigen Ursprung
aus festem Gestein zu verfolgen, ein Versuch, der jedoch
bald aufgegeben werden musste, da sich die westliche und
östliche Quelle immer mehr zurückzogen und die Befürchtung
der Nothwendigkeit einer zu langen Einschlauchung das Ueber-
gewicht bekam.
RU GRC Ra
Desgleichen wurde an einer Stelle, an der sich weder
Gas- noch Wasserquellen zeigten, durch weitere Ausgrabungen
in die Tiefe und schliesslich durch Anwendung des Erdbohrers
selbst in einer Tiefe von 81% Fuss vom Quellenboden aus
vergeblich auf Felsen reagirt; der durch die Versuche zu
Tage geförderte schotterige Letten zeigte sich in Zwischen-
räumen von je 12 bis 18 Zoll immer von 5 bis 8 Zoll
mächtigen eisenhaltigen ziemlich festen Sandschichten durch-
zogen, welche den Charakter eines im Zersetzungsprozess
begriffenen Granits an sich trugen.
So wurden denn, nachdem sich weder in der ausgeho-
benen noch in der ausgebohrten Oeffnung irgendwelche Gas-
ausströmungen gezeigt hatten, beide wieder sorgfältig mit
fetter Lette verstampft und unverweilt den vorliegenden Ver-
hältnissen gemäss die Dimensionen der neuen Fassung fest-
gesetzt.
In Betreff dessen war es geboten, darauf Rücksicht zu
nehmen, dass für den künftigen Gebrauch der Quelle eine
für alle Fälle ausreichende Wassermenge zu Gebote stehe,
welcher Anforderung der Rauminhalt eines wenigstens 14 bis
18 Cubikfuss fassenden Behälters entspricht. Man war zu
der Vornahme einer solchen Vergrösserung um so mehr be-
rechtigt, als schon der Augenschein ergab, dass die Quelle
jedenfalls das frühere Quantum Wasser, wahrscheinlich aber
noch mehr liefere, so dass sich ein Behältniss von 16 bis
18 Cubikfuss Inhalt in längstens 3 Stunden füllen könne,
Nachdem nun mittlerweile eine entsprechende Menge
eines guten und zähen Lettens vorbereitet und der neue
Ständer vollkommen hergerichtet war, wurde der Quellen-
boden geebnet und gereinigt, wobei sich ergab, dass die
en‘ferntesten Quellen 15 Schuh auseinanderlagen. Darauf
wurde ein achtseitiger aus 9zölligem weichen Holze con-
struirter Schwellenrost in der Art eingelegt, dass er mit
seinem längeren Durchmesser von 13 Fuss von West nach
Ost, mit seinem kürzeren Durchmesser von 11 Fuss von
Nord nach Süd zu liegen kam, wodurch sowohl sämmtliche
DV, eile
Gasquellen, als auch die mittlere und östliche Wasserquelle
in das Rayon des Schwellenrostes fielen. Die westliche
Quelle wurde mittelst eines Holzschlauches in Cementmauerung
hereingeleitet. Zur grösseren Sicherheit gegen das Eindringen
von Tagwässern und zur Verhütung einer Unterspülung des
Rostes wurde derselbe innerhalb mit Ziegeln in Cement auf
6 Zoll Stärke vermauert.
Als Lager des achtseitigen aus ‘/ zölligem Holze ge-
arbeiteten eigentlichen Rostes dienten vier Quadern aus weissem
feinkörnigen Granit von 1 Quadrat-Schuh Fläche und 9 Zoll
Höhe.
In einen Falz dieses Rostes ist das untere Ende des
neuen Ständers eingepasst. Als Material für denselben wurde
Eichenholz gewählt, einerseits weil bei der oben geschilderten
Beschaffenheit des vorliegenden Quellengrundes eine Stein-
fassung nicht anwendbar schien und weil anderseits in dem
Falle Holzfassungen keinerlei Nachtheile oder Uebelstände
involviren, wie es die anderen sämmtlich in Holz gefassten
Marienbader Heilquellen erweisen. Der Holzgeschmack, den
das Wasser anzunehmen pflegt, verliert sich binnen wenigen
Wochen ebenso wie die zersetzenden Eigenschaften, die das
gerbstoffhaltige Eichenholz möglicherweise auf das Eisencar-
bonat ausüben könnte, um so mehr als ausser Lösung ge-
tretene Quellensalze die Holzoberfläche in kurzer Zeit incru-
stiren, und was die Entwicklung von Schwefelwasserstoff
durch Zersetzung der schwefelsaueren Salze betrifft, so ist
dieselbe mehr eine theoretische Befürchtung, die unter den
vorliegenden Verhältnissen jeder praktischen Begründung ent-
behrt, indem die Bedingungen zur Bildung eines Schwefel-
metalls, als des nothwendigen Zwischengliedes, vollständig
mangeln.
Der neue Ständer hat die Form eines regelmässigen
Achtecks; seine Wände werden durch zwei Zoll starke, innen
15 Zoll breite eichene Bretter gebildet. Der Radius des
eingeschriebenen Kreises beträgt 18 Zoll, der Flächeninhalt
des Achtecks also 7), Quadrat-Fuss. Die Wände des
0
Ständers sind an den zusammenstossenden Randflächen mit
entsprechenden Falzen versehen, in die eichene Federn ein-
gepasst sind; ausserdem ist er mit drei eisernen Reifen um-
spannt, wodurch ihm ein allseitiger fester Halt gesichert ist,
Behufs des Abflusses, dessen Höhe auf 30 Zoll bestimmt
wurde, erhielt der Ständer in derselben Richtung wie früher
eine 11, Zoll weite Oeffnung.
Zur Ermöglichung einer bequemen Reinigung ruht auf
einem an dem untern Ende des Ständers angebrachten 2 Zoll
starken Kranze ein der Form des Ständers entsprechendes
Gitter aus Eichenholz, das leicht herauszuheben ist und jedes-
mal bei der Reinigung mit Scherben von Thonkrügen bedeckt
wird, an denen sich der Sinter absetzt. Ausserdem liegt zu
unterst am Quellengrunde eine mit einer Aushöhlung ver-
sehene Granitplatte, so dass durch eine Pumpe die Quelle
gänzlich geleert und alsdann gereinigt werden kann.
Nach Aufstellung des 5 Fuss 9 Zoll hohen Ständers
wurde von ihm rings gegen den Schwellerrost zu (gegen den
er excentrisch steht) eine Schalung aus dreizölligen Pfosten
hergestellt, deren Stossfugen mit Leisten gedeckt und darauf
zur Verlettung geschritten.
Dieselbe wurde derart vorgenommen, dass die ange-
feuchteten Lettenstücke in höchstens 3 Zoll hohen Lagen auf
die zu schützenden Stellen gestemmt und mit gewichtigen
hölzernen Stempeln festgestampft wurden, welches Verfahren
bis zur Erreichung der gewünschten Höhe consequent fortge-
setzt wurde. Das während dieser Arbeit sich ansammelnde
Wasser wurde ununterbrochen durch eine in den Ständer
eingelegte Pumpe entleert. So wurde der ganze Raum zwei
Schuh hinter dem Schwellenroste und rings um den Ständer
bis 9 Zoll über den Ablauf mit der compacten Lettenmasse
ausgefüllt und der Zutritt jedes fremden Elements gründlich
verhindert. Zur Beschwerung der Verstampfung diente eine
12 bis 15 Zoll hohe Schotterschicht. Ausserdem wurden an
jenen Stellen, wo ein Gasverlust zu befürchten war, Cement-
vermauerungen eingefügt. Wie dasselbe durch die beschrie-
2
bene Manipulation der Quelle zugedrängt wurde, bezeugt der
Umstand, dass es selbst durch die äusserst feinen Interstitien
zwischen den Federn und Falzen aus einer Stossfuge des
Ständers, natürlich in sehr geringer Menge ausströmte, was
durch Benetzen der betreffenden Stelle constatirt werden konnte.
Nach Vollendung der Verstampfung wurde die Pumpe
beseitigt und man liess die Quelle ansteigen. Nach sechs
Stunden hatte das Wasser den ganzen Raum unter der
Schalung und den des Ständers bis zur Ausflussöffnung
gefüllt.
Eine nach 12 Stunden beim Abflussrohre vorgenommene
Messung ergab, dass sich ein Gefäss von 1 Kubikfuss Raum-
inhalt binnen 10 Minuten fülle. Spätere Messungen, worunter
auch die commissionelle vom 1. November ergaben ein noch
günstigeres und zugleich constantes Resultat, gemäss dessen
sich 1 Kubikfuss in 9 Minuten füllt, die Quelle also in der
Stunde 6%, Kubikfuss Wasser liefert.
Später wurde die Fassung mit einem Kranze aus Mar-
mor.geziert, der etwas über den Boden des neuen im Re-
naissangestyle erbauten Porticus emporragt.
Die nun folgenden Untersuchungen sind der Erforschun g
jener Veränderungen gewidmet, welche das Mineralwasser
durch die beschriebenen technischen Eingriffe erfahren hat;
sie sollen vor allem ergeben, ob und wie dabei auch die
therapeutische Verwerthung beeinflusst wurde; auf Grund
dessen wurden auch rein wissenschaftliche Subtilitäten nicht
mit in deren Bereich gezogen.
Die physicalischen Eigenschaften
des Wassers haben sich wenig geändert: im Glase erscheint
es leise opalisirend, indem durch die gewaltsam und reichlich
emporsprudelnden Gasblasen immer etwas Sinter mitgewirbelt
wird. Es ist vollkommen geruchlos, schmeckt sehr angenehm
säuerlich, stark prickelnd, wirkt durch den ausgezeichneten
Reichthum an Kohlensäure erfrischend und labend. Selbst
in offenen Gefässen stehend, hält es dieselbe noch lange,
setzt dann reichlich Gasblasen an den Wänden ab und bildet
endlich weissgelbe aus zersetzten Eisen- und Erdsalzen stam-
mende Beschläge. Das in gut verschlossenen Flaschen auf-
bewahrte Wasser zeichnet sich besonders durch die vorzüg-
liche Conservirung des kohlensaueren Gases aus, was unten
bei Zuhülfenahme der analytischen Belege eines weiteren erér-
tert! ist.
Die Temperatur ist zwar nicht so niedrig wie die
älteren Angaben aussagen, nichtsdestoweniger bleibt die Wald-
quelle die kalteste der Marienbader Quellen, indem als
Mittel mehrerer wenig differirender Messungen 6.6° R. re-
sultirt.
Das specifische Gewicht wurde auf die gewöhn-
liche Weise in einem leichten Glasfliischchen mit eingerie-
benen Stöpsel bestimmt; dasselbe fasste bei 14° R. 100.324 grm,
reines destillirtes Wasser und 100.762 grm. (Mittel aus meh-
reren Versuchen) Mineralwasser, woraus sich das specifische
Gewicht zu 1.0042 berechnet, die älteren Angaben lauten
auf 1.0039.
Was die Wassermenge oder die Ergiebigkeit der
Quelle anbelangt, so wurde derselben bereits im Früheren
Erwähnung gethan. Mit den dortigen Aufzeichnungen (6°
Kubikfuss per Stunde) stimmen meine Messungen überein;
eine 2375 CC. fassende Flasche wurde nämlich am Ablaufe,
nachdem aus der Quelle durch lange Zeit nicht geschöpft
war und dieselbe vollkommen gleichmässig abfloss, in 47 Se-
kunden gefüllt; mehrere Versuche ergaben ein constantes
Ergebniss; die Quelle liefert also in der Minute 3676 CC
oder in der Stunde 220.56 litres, welche Grösse mit der im
Kubikmass angegebenen ziemlich übereinstimmt.
Chemische Eigenschaften.
Die qualitative Analyse wurde durch die Reihe der
früheren genauen Analyse überflüssig. Auch gestattete es
die Zeit nicht, die quantitative Bestimmung der in sehr ge-
ringer Menge vorhandenen Lithion und Strontiansalze auszu-
führen, ien Mangel, den der praktische Arzt hoffentlich nicht
fühlen wird und der auch die Erreichung des oben ange-
. deuteten vorzüglichen Zweckes der Arbeit nicht wohl beein-
trächtigt.
Die quantitative Analyse wurde zum grössten Theile
im zoochemischen Institute zu Prag unter der Aufsicht meines
sehr verehrten Lehrers des Herrn Prof. Lerch, theilweise,
besonders die an der Quelle vorzunehmenden Arbeiten in
meinem Privatlaboratorium zu Marienbad ausgeführt und bei
denselben die bewährten Methoden von Fresenius und
Rose befolgt.
I. Bestimmung der Gesammtmenge der festen Bestandtheile
201.524 grm. Mineralwasser gaben in einem
Platinschälchen zur Trockene verdunstet und bei
120° C getrocknet einen Rückstand von . . 0.7025 grm.
Daraus berechnet sich der Cesammtgehalt an
festen Bestandtheilen für 10000 Th. Wasser zu 34.8107 grm.
Der geglühte Rückstand hatte sich kaum gebräunt,
woraus sich auf minimale Spuren von organischer Substanz
schliessen liess.
Ii. Bestimmung des Chlor».
Das mit reiner Salpetersäure übersäuerte Wasser wurde
unter gelindem Erwärmen mit salpetersauerem Silberoxyd
versetzt und das gefällte Chlorsilber gewogen.
a) 652.73 grm. Wasser lieferten an Chlorsilber 0.6275 grm,
entsprechend Chlor in 10000 Theilen . 2.3768 grm.
b) 652.73 grm. Wasser gaben an Chlorsilber 0.628 grm.
entsprechend Chlor in 10000 Theilen . 2.3817 grm.
Im Mittel 2.3762 grm. Chlor in 10000 Theilen.
II. Bestimmung der Schwefelsäure.
Das mit Salzsäure angesäuerte Wasser wurde erwärmt
und mit Chlorbaryum gefällt.
a) 652.73 grm. Wasser gaben an schwefel-
saueremg Bauyt.,... 2 ua Dan. on. seßnsomne
entsprechend Schwefelsäure . . . . 0.476 grm.
d. i, Schwefelsäure in 10000 Theilen . 7.2932 grm,
Kal N
b) 652.73 grm. Wasser lieferten an schwe-
felsauerem Baryt .... vn... re. Lo One
entsprechend Schwefelsäure u. onl O.dlopenn
d. i. Schwefelsäure in 10000 Theilen . 7.3116 grm.
Mittel: 7.3024 grm. Schwefelsäure in 10000 Theilen.
IV. Bestimmung der Kieselsäure.
Eine grössere Portion des Mineralwassers wurde unter
Zusatz von Salzsäure in einer Platinschale abgedampft, der
getrocknete Rückstand mit Salzsäure befeuchtet und mit
Wasser behandelt.
a) 2610.92 grm. Wasser lieferten an Kieselsäure 0.981 grm.
daher ın 10000 Theilen rn vun. m 2a53>r um:
b) 1958.2 grm. Wasser lieferten an Kieselsäure 0.7675 grm.
daher in 10000) Thellen man... 2 2.772203: 9102Neum:
Mittel: 3.8318 grm. Kieselsäure in 10000 Theilen.
V. Bestimmung des Eisens.
Das durch die Abscheidung der Kieselsäure erhaltene
salzsaure Filtrat wurde mit einigen Tropfen Salpetersäure
versetzt, erwärmt und mit Aetzammoniak gefällt, der Nieder-
schlag sogleich abfiltrirt, wenig gewaschen, durch Salzsäure
gelöst und durch Ammon neuerdings gefällt, durch dasselbe
Filter filtrirt und nun vollständig ausgewaschen, endlich in
Salzsäure gelöst, die Lösung mit Weinsteinsäure und darauf
mit Ammon versetzt und durch Schwefelammonium gefällt,
das abfiltrirte Schwefeleisen mit Salzsäure gelöst und durch
Ammon in Eisenoxyd umgewandelt und als solches gewogen.
a) 3916.4 grm. Wasser gaben an Eisenoxyd 0.0415 grm.
entsprechend 0.10305 grm. Eisenoxydul in 10000 Theilen.
b) 3916.4 grm. Wasser gaben Eisenoxyd . 0.046 grm.
entsprechend 0.10575 grm. Eisenoxydul in
10000 Theilen.
Mittel: 0.10445 grm. Eisenoxydul, welches in Verbin-
dung mit Kohlensäure 0.1682 grm. kohlensaures Eisenoxydul
in 10000 Theilen entspricht. Darin 0.0638 grm. Kohlen-
säure,
RS pis Ns ea cles
(Das nach der Fällung mit Weinsteinsäure erhaltene
Filtrat zeigte auf Phosphorsäure geprüft davon Spuren der-
selben.)
VI. Bestimmung des Mangans.
Filtrat und Waschwasser der ersten beiden Fällungen
von V. wurden in einem geeigneten Kolben mit Schwefel-
ammonium versetzt, 48 Stunden der Ruhe überlassen, der
sehr geringe Niederschlag filtrirt getrocknet, sammt Filter
geglüht und als Manganoxydoxydul berechnet
a) 2610.92 grm. Wasser eee Mangan-
osydoxydul ye ge 500.2. 2.0.0028,Erm,
entsprechend 0.0068 grm. Mansan in 10000 Theilen.
b) 391.64 grm. Wasser gaben Manganoxyd-
ea De ne 0.0045, nm:
entsprechend 0.007 9 Ban in 10000 Thelen,
Mittel: 0.0074 Mangan — 0.0096 Manganoxydul
— 0.0155 kohlensaures Manganoxydul in 10000 Theilen.
Darin 0.0059 Kohlensäure.
VII. Bestimmung des Kalks.
Die vom Schwefelmangan abfiltrirte Flüssigkeit wurde
unter vorherigem Zusatz von Ammon und Chlorammonium
durch oxalsaures Ammon gefällt, der oxalsaure Kalk in
kohlensauren umgewandelt und als solcher gewogen.
a) 3916,4 grm. Wasser lieferten kohlensauren
Kalk,» WA nn. mE. 9.0.9639 gLım.
d. i. 2.4589 grm. in 10000 Theilen.
b) :3916.4 grm. Wasser lieferten kohlensauren
Kalle at we. 20949 orım
oder 2.4997 grm. in 10000 Theilen.
Mittel: 2.4763 grm. kohlensaurer Kalk in 10000 Th,
Darin 1.0895 grm. Kohlensäure.
VII. Bestimmung der Magnesia.
Das Filtrat vom oxalsaueren Kalk wurde durch phosphor-
saures Natron gefallt, der Niederschlag als pyro-phosphor-
saure Magnesia gewogen.
Naturw.-med, Verein, 1871. I, Hft, 3
NER (aaa
a) 1958.2 gim. Wasser lieferten an pyro-
phosphorsaurer Magnesia . . . 0.760 grm.
d. i. 1.4496 Magnesia in 10000 Theilen.
b) 3916.4 grm. Wasser lieferten an pyro-
phosphorsaurer Magnesia . . . . . 1.5855 grm.
d. i 1.4588 grm. Magnesia in 10000 Theilen.
Mittel: 1.4542 grm. Magnesia — 3.0538 kohlensaure
Magnesia in 10000 Theilen. Darin 1.5996 grm. Kohlensäure.
IX. Bestimmung der Gesammtmenge der Alkalien als
Chloralkalien.
Eingeengtes Mineralwasser wurde mit Aetzbaryt gekocht,
im Filtrate der Mischung der überschüssige Baryt durch
kohlensaueres Ammon entfernt, das Filtrat davon in der
Platinschale abgedampft, die Kieselsäure durch Salzsäure
entfernt und zugleich die Carbonate in Chloride umgewandelt,
das Chlormagnesium durch geschlemmtes Quecksilberoxyd
zersetzt, in der zur Trockene abgedampften Flüssigkeit die
Quecksilberverbindungen durch Glühen, die Magnesia durch
Filtration der wässerigen Lösung entfernt und endlich die
zurückgebliebenen reinen Chloralkalien durch Abdampfen und
Glühen erhalten.
a) 652.73 grm. Wasser lieferten an Chloral-
Kaliem) cay. <6 este 2A kerma:
== 23.3481 grm. in 10000 ‘Theilen,
b) 652.73 grm. lieferten an Chloralkalien . 1.5235 grm.
— 23.3404 grm. in 10000 Theilen.
Mittel: 23.3442 grm. Chloralkalien in 10000 Theilen.
X. Bestimmung des Kali’s.
1.5235 grm. Chloralkalien, entsprechend 652.73 grm.
Wasser wurden in 100 CC. destillirtem Wasser gelöst, da-
von genau 25 CC. herausgenommen, mit Platinchlorid versetzt,
beinahe zur Trockene abgedampft, mit absolutem Alkohol
behandelt, das abgeschiedene Platinchlorid auf einem kleinen
Filter mit Tarafilter gesammelt und als solches gewogen;
eshbetrug un. ae oe OL DAG DEP
BEN SG) an
den gesammten Chloralkalien also das vierfache
Gewicht u . . . Hk Geer ete AOKI Kokoy (TB 00,
Kaliumplatinchlorid , rralehes an Kali enthalt 0.0358 grm.
oder in 10000 Theilen 0.5492 grm. Kali — 0.8693 grm.
Chlorkalium.
XI. Bestimmung des schwefelsauren Kali’s.
Kal ist vorhanden, nach X. .u..0....00.2.2..2.05492
diess fordert Schwefelsäure . . . . 0.4663
und giebt schwefelsaures Kali in 10000 coeeten 0, 1.0155
XII. Bestimmung des Chlornatriums.
An Chloralkalien sind vorhanden nach IX, . . . 23.3442
Darin Chlorkalium nach X. . . . 9... .... 0.8693
bleibt Chlornatrium Baar Oy Faby erie Sia eal Gah DATA
entsprechend Natrium . . . har les 18.8408
An Chlor ist vorhanden nach IL Se a 2 ayer
welches bindet Natrium . . BEER ALS OR OR LI
zu Chlornatrium in 10000 Theilen Kr SAGE
Es bleibt demnach noch an Chloralkalien und zwar als
Chlornataumı 2 ...0.0020.20.:02, 180069 orm:
entsprechend (Natron . .» 2... ........ 9.8990 cum.
XII. Bestimmung des schwefelsauren Natrons.
Schwefelsäure ist vorhanden nach IL... . . 7.3024 grm.
davon an Kali gebunden nach XI... . . . 0.4672 grm.
bleibtadahen, 7) 1. nk meet 08342 Neem.
welche bindet Natron . . 5.2965 grm.
zu 12.1307 grm. schwerklsähten: Nation‘ in 10000 Theilen.
XIV. Bestimmung des kohlensaueren Natrons.
An Natron war geblieben . 2 2 2 . >.» » . 9.8390
davon ist an Schwefelsäure gebunden . . . . 5.2965
bleibt Natron . . . u Bauakh, OAL. un 204.5425
welches bindet Kohlensäure esas en 22am
zu 7.7662 grm. kohlensauren Natron; in 10000 Theilen.
3%
ae
XV. Bestimmung der Gesammtmenge der Kohlensäure.
Die Flaschen, welche zur Aufnahme des Mineralwassers
bestimmt waren, hatten einen doppelt durchbohrten Kork, in
den ein längeres und kürzeres Glasröhrchen so eingefügt war,
dass von den in der Flasche befindlichen Mündungen die des
längeren Röhrchens höher stand als die des kürzeren. Das
Volumen, das die Flaschen bei Anwendung des so ausge-
rüsteten Korkes fassten, wurde vorher bestimmt. — An der
Quelle kamen in die leeren Flaschen je 100 CC. einer filtrirten
Mischung von Chlorbaryum und Ammon, worauf sie durch
Gewichte derart in die Quelle gesenkt wurden, dass durch
die kürzere Röhre das Mineralwasser eindrang, während die
Luft durch das lange Röhrchen entweichen konnte. Die
sorgfältig verkorkten Flaschen wurden alsdann durch 4 bis
6 Stunden in ein Gefäss mit heissem Wasser gestellt und
überhaupt bei der weiteren Bestimmung die nothwendigen
Cautelen befolgt.
a) 295 CC. Mineralwasser lieferten an gelinde geglühtem
Gesammtniederschlag '. ... 4. 07,0 orm
by) 200 00s lieferten X 2... 20. 2200 20cagenn
Gesammtniederschlag.
Die Bestimmung der Kohlensäure geschah durch genau
titrirte Flüssigkeiten von Normalsalpetersäure und Normal-
natronlauge, welche beide vorher auf ihre Richtigkeit durch
geglühtes kohlensaueres Natron geprüft waren.
a) Vom Niederschlage a) enthielten . . 1.628 grm.
an Kohlensäure . . ea KSOTL Sn.
daher im Ent erschlage a). 0.0, ORO Zgenme
oder in 10000 Theilen Wasser . . . 34.5502 grm
b) Vom Niederschlage b) gaben . . . . 1.408 grm.
an Kohlensäure . . . uskala oy O82 Got
daher im Gesdmitedenchlage b) . . 0.8805 grm.
oder in 10000 Theilen Wasser . . . 35.2202 grm.
Mittel: 34.8852 grm. Gesammtkohlensäure in 10000
Theilen,
eg |
XVI. Bestimmung der freien und halbgebundenen Kohlensäure
(die kohlensaueren Salze als einfache Carbonate betrachtet.)
Im Mineralwasser ist die Kohlensäure an folgende Basen
gebunden:
an Natron zu... Een. 225 en.
aneMaenesia zu... . kon are SEO OOO
annkalk. zu, „u. ua. cl,
an Bisenoxydul, .... i ee 20006038 >
an Mansanoxydul . ... es OCOD Sia.
In Summa zu . 5.9825 grm.
Die Gesammtmenge der Kohlensäure be-
rast mach OVE i 000 see Sa ae
bleibt daher für die freie und halbge-
bundener an. iene ee cy vr ae 028
in 10000 Theilen.
XVII. Bestimmung der wirklich freien Kohlensäure. (Die
kohlensaueren Salze als Bicarbonate berechnet.)
Die doppelte Menge der an die einfachen Carbonate gebun-
denen Kohlensäure beträgt . . . . 11.9650 grm.
bleibt daher an freier Kohlensäure . . . . 22.9202 grm-
in 10000 Theilen.
Auf Volumina berechnet entsprechen 22.9202 grm. freier
Kohlensäure bei0°C. und 760 mm. Barometerstand 11654 CC.,
und da 10000 Theile 9996 CC. Wasser reprasentiren, so
ergibt sich der Voluminhalt des Wassers an wirklich freier
Kohlensäure bei 760 mm. B. zu 11659 CC. Kohlensäure,
oder 45.04 Kub.-Zoll im Civilpfund.
OUD Gay eae
Zusammenstellung der Resultate.
Die kohlensaueren Salze als einfache Carbonate berechnet.
Die Waldquelle enthält in 10000 Theilen:
a) fixe Bestandtheile.
Schwefelsaures Kali
Schwefelsaures Natron
Chlornatrium \
Kohlensaures Natron .
Kohlensauren Kalk
Kohlensaure Magnesia
Kohlensaures Eisenoxydul
Kohlensaures Manganoxydul
Kieselsäure .
Organische Materie
1.0155
12.1307
3.9174
1.1662
2.4763
3.0538
0.1682
0.0155
3.8318
Spuren
Summe der festen Bestandtheile .
b) gasförmige Bestandtheile.
Freie und halbgebundene Kohlensäure
wirklich freie Kohlensäure
Summe aller Bestandtheile
34.3754
28.9027
22.9202
63.2781
Die Waldquelle enthält in einem Civilpfund = 7680Gran.
a) an festen Bestandtheilen.
Schwefelsaures Kali
Schwefelsaures Natron
Chlornatrium =
Kohlensaures Natron .
Kohlensauren Kalk
Kohlensaure Magnesia
Kohlensaures Eisenoxydul
Kohlensaures Manganoxydul
Kieselsäure .
Organische Materie
Summe der festen Bestandtheile
Grane
0.8870
10.0075
3.0085
5.9644
1.9018
2.3453
0.1292
0.0081
2.9423
Spuren
27.1941
MS Oe
b) Gasformige Bestandtheile. Grane
Freie und halbgebundene Kohlensäure . . 22.1973
wirklich freie Kohlensäure . . . . . . 17.6027
Summe sämmtlicher Bestandtheile . 49.3914
Betrachten wir nun die Resultate dieser neuen Analyse
vorerst in Relation auf die neue Fassung, so finden wir
folgende Ergebnisse.
1. Die Summe der festen Bestandtheile ist in ihrem
vollkommenen Umfange erhalten, sie erreicht, ja übertrifft
um weniges auch die hohe Zahl, wie sie in der letzten
Analyse von Ragsky (zu 27.185 Gran) angegeben ist.
2. Ausserdem entspricht die neuerdings durch die che-
mische Zerlegung gefundene Zahl dem Mittel aus den drei
Abdampfungsresultaten, welche Herr Brem seinerzeit während
der Fassung für die drei in dieselben einbezogenen Quellen
erhielt.
Er fand
a) für die mittlere Quelle, als Mittel aus
3 übereinstimmenden Versuchen . . 32.004 Gran
b)iusidiesöstlichermiiu oii alone. (eon Boies
c) fiir die westliche ens IRINA
imeMittelmalsows. ollaor.un.. Tanne sm 2 UkA One
eine Uebereinstimmung, die gewiss der beste Lobredner fiir
die gelungene Ausführung und Vollendung der Fassung ist.
3. Bezüglich der Kohlensäure wurde in der That der
frühere günstige Status, wie er in der Analyse von Kersten
zu finden, wieder hergestellt; der genannte Forscher be-
stimmte die freie und halbgebundene Kohlensäure zu 23.387
Gran — die neueste Untersuchung weist 22.197 Gran nach.
Wir wollen hoffen, dass diese Reichhaltigkeit der Quelle —
sie kann sich in dieser Hinsicht mit den kohlensäurereichsten
Wassern Deutschlands messen — nicht insoferne zum Nach-
theile gereiche, als sie sich nun wieder etwas vom Obersalz-
brunn entfernt: vermindern lässt sich der Gehalt jederzeit,
vermehren nicht so leicht.
OD sae
In Beziehung auf die anderen Analysen weicht die
letztere nicht wesentlich ab; nur erscheint das schwefelsaure
Natron um geringes vermehrt, die Salze der alkalischen Erden
und des Eisens um etwas vermindert: wollte man subtil sein,
so kénute man behaupten, dass der Brunnen dadurch noch
mehr ein alkalisch - salinischer geworden sei. Auffallend ist
nur die grosse Quantität der Kieselsäure, die sich jedoch
in jedem Versuche deutlich manifestirte. (Cementvermauerung?)
Es scheint mir hier der geeignete Ort, einige Bemerkungen
über die Beschaffenheit des versendeten Wassers einzuschalten.
Ich erhielt das Mineralwasser zur Untersuchung in dunkel-
grünen wohlverkorkten Flaschen, die zum bessern Verschluss
noch verpicht und mit einer Zinnkapsel überzogen waren,
was ihnen zugleich ein schmuckes Aussehen verlieh.
Man kann das Wasser bei ruhiger Behandlung der
Flaschen bis auf einen kleinen Rest, der durch zersetzte
Eisen- und Erdsalze etwas getrübt ist (was nebenbei bemerkt,
der medizinischen Wirkung aus leicht begreiflichen Gründen
keinen Eintrag thun kann) vollkommen klar in das Glas
giessen. Dabei entstehen unter Schäumen massenhaft Gas-
bläschen, die sich allerorts an das Glas ansetzen.
Es war mir ferner aufgefallen, dass beim Schütteln der
gefüllten Flasche, wie es behufs gleichmässiger Mischung für
die Analyse geschehen musste, das Wasser, wenn man den
schliessenden Daumen nur wenig lüftete, mit ausserordent-
licher Heftigkeit oft klafterweit spritzte. Diess bewog mich,
das Wasser in den Flaschen, wie sie zur Versendung be-
stimmt sind, auf ihren Gasgehalt zu untersuchen, und ich
kam dabei auf folgende Ergebnisse.
Zwei Flaschen, im Juni gefüllt, wurden ohne besondere
Vorsichtsmassregeln Ende August entkorkt, aus jeder 100 CC.
Wasser mit einer Pipette herausgehoben und dieselben in
eine Chlorbaryum-Ammon-Mischung gebracht.
a) 100 CC. lieferten 1.733 grm. Gesammtniederschlag.
b) 100 CC. lieferten 1.728 grm. Gesammtniederschlag.
Von a) erforderten 1.351 grm. 12.05 CC. Normal-
salpetersäure, entsprechend 0.2651 grm. Kohlensäure, daher
für den Gesammtniederschlag oder für 100 CC. Wasser
0.34005 grm. Kohlensäure resultiren.
Von b) erforderten 1.140 grm. Niederschlag 10.4 CC.
Normalsalpetersäure, entsprechend 0.2288 Kohlensäure, daher
für 100 CC. Wasser 0.3485 grm. Kohlensäure; Mittel:
34.428 erm. Gesammtkohlensäure für 10000 Theile.
Hält man dieses Resultat mit jenem zusammen, das
sich im Verlaufe der Analyse ergeben, und sich auf Wasser
bezieht, welches mit den nöthigen Cautelen direkt der Quelle
entnommen ist (34.8852 grm.), so ist es wohl nicht noth-
wendig, weiter zu erweisen, dass jener Stoff, welcher gewiss
an der Heilwirkung der Quelle einen besonderen Antheil hat,
auch im versendeten Wasser auf die beste Weise erhalten
ist, ein Vorzug, welcher gewiss geeignet erscheint, der Wald-
quelle auch ausserhalb des Kurorts eine noch grössere Auf-
merksamkeit zu Theil werden zu lassen, als es bisher der
Fall war.
Der vorliegenden Arbeit noch einige praktisch - medi-
zinische Notizen beizufügen, halte ich mich nicht für befugt,
da bei Erörterungen auf diesem Gebiete die ärztliche Erfah-
rung, die mir nicht zu Gebote steht, das grösste Wort mit-
zusprechen hat. Dagegen lassen sich aus der chemischen
Zusammensetzung der Waldquelle a priori einige therapeu-
tische Reflexionen ableiten, die auch den rothen Faden bilden,
welcher sich durch die Reihe der Indicationen für dieses
Mineralwasser, wie sie bisher bestanden, durchzieht und für
dieselben im Grossen und Ganzen eine wissenschaftliche Grund-
lage bilden.
Ich meine hier vor allem den Reichthum an Kohlen-
säure, der diesem Mineralwasser in ausgezeichnetem Masse
zukommt und es daher in demselben Sinne anwenden lässt,
wie alle ähnlichen natürlichen oder künstlichen Wasser,
vorzugsweise bei chronischen catarrhalischen Affectionen der
Verdauungs- und Respirationsorgane.
Ba)
Das Wie und Wodurch des heilkräftigen Wirkens scheint
noch nicht klar zu sein; aus der Fülle der differirenden An-
sichten, wie man sie z. B. in dem Lersch’schen Sammel-
werke der Balneologie mit besonderem Fleisse zusammenge-
tragen findet, lässt sich fürwahr schwer ein berechtigter
Schluss ziehen.
Was die erste Wirkung der Kohlensäure auf die Körper-
oberfläche anbelangt, so kann sich jeder bei den Versuchen
mit kohlensäurereichen Bädern die Ueberzeugung holen, dass
ihr die Bedeutung eines eigenthümlichen flüchtigen Reizes
zuzuschreiben sei, der sich subjectiv durch eine Reihe ganz
besonderer oft intensiver Empfindungen, objectiv durch die
Röthung der Haut und was von Basch und mir‘) zuerst
experimentell gezeigt wurde, durch eine Erhöhung der Sensi-
bilität deutlich manifestirt.
Das zweite Moment ist in dem Verhältnisse der Natron-
salze zu den übrigen Quellenbestandtheilen gelegen, da sie
wegen ihres mässigen Ueberwiegens dem Wasser, eine, um einen
beliebten Ausdruck zu gebrauchen, „sanft lösende* Wirkung
verleihen, und das eben bei Individuen von so zarter Con-
stitution, dass die Anwendung kräftiger Glaubersalzquellen
durch ihr zu energisches Eingreifen Nachtheile bringen möch-
ten. In diesem Sinne wurde die Waldquelle zum erstenmale
von Scheu und nach ihm von vielen andern mit sehr gün-
stigem Erfolge angewandt.
Auch hier ist es interessant, in den balneologischen
Schriften die Beschreibung feinsinniger Forscher zu studiren,
wie sie die geheime Thätigkeit der einzelnen Quellenbestand-
theile im Organismus Schritt für Schritt belauschten, das
eine Salz ins Lympph- und Drüsensystem verfolgten, das
andre Salz in nächster Beziehung zur Schleim- und Gallen-
absonderung stehen sahen, bald qualitativ, bald quantitativ
verändernd, hier leise mildernd und dort sanft erregend.
Solche alles erklärende und aufhellende Nachrichten
lassen sich wohl bewundern, in den wenigsten Fällen aber
1) Med. Jahrb. IV. H. Jahrg. 1870.
me Ope mee
glauben, weil ihnen ein experimenteller Beweis mangelt; —
wenn einmal eine Experimentalbalneologie noch mehr reife
Friichte gesammelt hat und die wurmstichigen bei Seite
legen kann, werden auch viele jetzt scheinbar erklärte
und doch nicht erklarte Fragen zu einer Beantwortung geeig-
net werden.
Wer es iibrigens weiss, wie manchmal Beobachtungen
und Studien auf dem Gebiete der Balneologie angestellt wer-
den und wie oft Mittheilungen zu Stande kommen, die bei
oberflächlicher Betrachtung den Charakter wissenschaftlicher
Forschung an sich tragen, der wird sich die massenhafte
Ansammlung der widersprechendsten Erfahrungen erklären
können, wie man sie in balneologischen Sammelwerken ver-
zeichnet findet.
Analyse der Therme am Brenner (Brennerbad)
von L. Barth, K. Senhofer und R. Kölle,
Temperatur des Wassers 22.9° Cels. oder 18.39 Reaum.
Temperatur der Luft 11.5° Cels. oder 9.2 Reaum.
Beide Beobachtungen gemacht am 17. September 10™
Vormittags. Reaction des Wassers etwas alkalisch.
Aus dem Boden des Quellenbassins steigen von Zeit
zu Zeit Gasblasen auf, diese bestehen in 100 Volumtheilen
aus Sauerstoff 19.2 und Stickstoff 80.8.
Im Litre sind gelöst 46.1 Cub. Cent. Gas und zwar
bei einem Barometerstande von 655.6™™- und der Quellen-
temperatur, davon sind:
Stiekstoliii. a. a 8A, OKOr
SAUEHSGORE AUS EN. A ar
Kohlensäure)... Wn 20.00%
Das specifische Gewicht des Wassers wurde gefunden zu
1.00048.
in 10.000 Theilen Wasser sind enthalten:
4.4190 Theile festen Rückstandes,
davon sind 0.1180 Theile organische Substanz.
Durch die Analyse wurde ferner direkt in der oben
angeführten Wassermenge gefunden:
Chlore.: len. 04106376
Schwefelsäure . . . 1.090395
Phosphorsäure . . . 0.001599
Kieselsäuvre . . . . 0.093330
Kohlensäure . . . . 1.880000
Kalle. 00 na 0.090033
Natron Meee nar Ot LGN 36
Macmesiaien . . ..1.02,02374838
Kia a. 20. 000014090320
Eisenoxydul . . . 3 0021600
Ihonerden..) 4... 0.005000
Ferner Spuren von: Sälpeteraen? Ammoniak, Lithium,
In dem durch Kochen erhaltenen Niederschlage waren
enthalten :
Kalk 227.2 10983000) Theile
Magnesia) . . 0.016216 „
und sämmtliches Eisenoxydul.
Werden diese mitgetheilten direkt gewonnenen Resultate
nach den gewöhnlich massgebenden Prineipien zusammenge-
stellt, (Fresenius Anleitung zur quant. Analyse) so erhält
man folgende Zusammensetzung des feuerbeständigen Rück-
standes:
{ee schwetelsaur. Walt ©. 0. 2 .2...2..0.1024:89
22 schwefelsaur. Natron . . ... 0.143662
Se Chlornatnum sa. Wa) 2002.2.00101922
4. Chlormagnesium „9... 727) 9: O059b 4
5. schwefelsaur. Kalk . . . . . 1.585085
6kohlensaur: Kalk nn. 279 2.2.5120506496
7. kohlensaur. Magnesia . . . . 0.446781
8. kohlensaur. Eisenoxydul . . . 0.034800
9. phosphors. Thonerde . . . . 0.002754
102 kiesels.uthonerde 1 ..,..202:,.2..0000221
la treie Kıeselsäure 955 Voi 2089954
Spuren von Salpetersäure, Ammoniak,
Lithium 2).
Summe der fixen Bestandtheile . 4.396041
direkt gefunden . . . . 4.3010
freie u. halbgebundene Kohleneägie 0.838314
1) Die Hauptmenge der kohlensauren Magnesia bleibt gelöst.
2) Rubidium und Cäsium waren im Rückstande von 5 Litern nicht
nachzuweisen,
UN N
Oder ein Pfund Wasser — 7680 gran enthält:
Schwefelsaures Kali . . . . . . 0.128862 gran
Schwefelsaures Natron... . . . 011033277
Chlomatrıum . 2... 20. 1. 0078270
Chlormasnesium . . 22. ......0.045058 =
Schwefelsaur, Kalk * ©... alas
Kohlensaur; Kalk . . yas.) 1.348989 75
Kohlensaur. Magnesia . . . . . 0.343128 „
Kohlensaur. Eisenoxydul . . . . 0.026726 „
Phosphorsaure Thonerde . . . . 0.002115 „
Kieselsaure Thonerde . . . . . 0.005546 „
Freie Kieselsäure . . . . 2 ..0.069085 „
Summe . 3.376159 gran
DOO a0
Analyse der Ranigler Quelle (bei Bozen)
von Denselben.
Temperatur des Wassers 9.7° Cels. oder 7.67° Reaum.
Temperatur der Luft 13.30 Cels. oder 10.649 Reaum,
Beide Beobachtungen gemacht am 16. September 1870
81/,™ früh. Reaction etwas alkalisch.
Im Litre sind gelöst 23.54 C.C. Gas und zwar bei einem
Barometerstande von 709.9==- und der Quellentemperatur,
davon sind:
Stickstoll sn) fo 0. DMO nes
Sauerstoff vs 0. a ible Veale
Kohlensäure 9 2... 2.078
Py]
Das specifische Gewicht des Wassers wurde gefunden
bei 16.2° Reaum. zu:
1.0001.
In 10.000 Theilen Wasser sind enthalten:
0.9560 Theile festen Riickstandes,
davon sind 0.1650 Theile organische Substanz.
Durch die Analyse wurde ferner direkt in der oben
angeführten Wassermenge gefunden:
Chlor oir. Niu. 0.0095, Rheile
Schwefelsäure . . 0.0206 ,
Kieselsäure . . . 0.0897 „
Kohlensäure . . 0.6315 „
Kal. 2. 0.0233492
Natron 2.12... 0.0360437
Kalk a... 2 0.206422
Magnesia. . . . 0.0363964
Eisenoxydul . . . 0.0018000
Thonerde .,,. .. . 010018125
Ferner Spuren von Phosphorsäure, Salpetersäure, Am-
moniak, Rubidium, Lithium.
ag ae
In dem durch Kochen enthaltenen Niederschlage waren
enthalten:
Kalkını 2. eae (001652007)
Magnesia ~~.) . 2). 00207387
und sämmtliches Eisenoxydul.
Werden diese mitgetheilten Resultate der direkten Ana-
lyse wie im früheren Falle zusammengestellt, so erhält man
folgende Zusammensetzung des Wassers:
Chiorkaliumi)! gays ae 292001992
kohlensaur. Kaliiy 7/5. Shes 100 ae 110.01989
kohlensaur. Natron) ().) ..%. 2.2102 2215 006162,
schwefels¥ Kalk) a... £07.40003902
Kohlens Kalk." a1... u. 0052203
kohlens} (Magnesia . . . . . 4.) 210107643
kohlens. Eisenoxydul . . . . . . 0.00290
kiesels. Thonerde . . . . Bi ee 10.000340
freie, Kieselsäure,\. sh) J). .......0.08812
Summe . 0.82589
direkt gefunden . 0.7910
freie und halbgebundene Kohlensäure 0.3168
Oder ein Pfund Wasser — 7680 gran enthält:
Chlorkalume ey zer 20 0:01550yeran
kohlens Kalt Sm a a SLOT
kohlens» Natron nen. 004732078
schweielsuRalkea. in 3007. 0:02089
kohlens. (Kalk Veeco 2 020 °0.10138
kohlens. Magnesia . . . . . 0.05870
kohlens. Eisenoxydul : . . . 0.00223
kieselsaure Thonerde . . . . 0.00261
freie Kieselsiure . . . . . 0.06768
Summe . 0.63428 gran
SERSEESERSEE SEES
1) Für diese Bestimmungen gilt das an derselben Stelle der fol-
genden Analyse gesagte.
Analyse der Pirchabrucker Quellen (Eggenthal
bei Bozen)
von Denselben.
Temperatur des Wassers 8°.1 Cels. oder 6%.48 Reaum.
Temperatur der Luft 14°3 Cels. oder 11°44 Reaum.
Beide Beobachtungen gemacht am 15. September 1870
10 Uhr Morgers. Reaction etwas alkalisch.
Im Litre sind gelöst und zwar bei einem Barometer-
stande von 656.14” und der Quellentemperatur 27 Cub. Cent.
Gas, davon:
Stickstoff . — U5) (CHO)
Sauerstoff =U sees
Kohlensäure . a a A
Das specifische Gewicht des Wassers wurde gefunden
bei 16.5° Cels. oder 13.29 Reaum. zu
1.00021
In 10.000 Theilen Wasser sind enthalten
1.9770 Theile festen Rückstandes
und von diesen sind 0.1680 Theile organische Substanz.
Durch die Analyse wurde feraer direkt in oben ange-
führter Wassermenge gefunden:
Naturw.-med. Verein, 1871. I. Hit. 4.
Chior: 3.5 a 0:1 202° Theile
Schwefelsäure . . 0.25436
Kieselsäure . . . 0.06400
”
>y)
Kohlensäure . . 1.16300 ,
Kali eRe 2.0989 .0:05 125i are
Natron). oe ene eran ONO!S) 20) ya
Kalk u ate Sale O6 30 00M
Maonesia .. .....010604,
Eisenoxydul . . 0.00438 „
Mhonerde; == 43%.) 0:00340)
Ferner Spuren von Phosphorsäure, Salpetersäure, Am-
moniak, Rubidium '), Lithium, Mangan.
In dem durch Kochen erhaltenen Niederschlage waren
enthalten :
Kalkın 202 20. 080232 meneite
Macnesiay ... 002800,
und sämmtliches Eisenoxydul ?).
Werden die im Vorstehenden mitgetheilten Resultate
der direkten Analyse so zusammengestellt, dass die Säuren
und Basen nach den gewöhnlichen Principien also nach Mass-
gabe ihrer Affinität und der Unlöslichkeit oder Schwerlös-
lichkeit der entstehenden Verbindungen, zu Salzen vereinigt
werden, so erhält man nachfolgende Zusammensetzung des
Wassers:
10.000 Theile enthalten :
1) Caesium konnte weder in diesem, noch im Ranigler-Wasser
nachgewiesen werden.
2) In der folgenden Zusammenstellung sind mehr kohlensaurer Kalk
und koblensaure Magnesia angerührt, als den hier angegebenen Zahlen
entspricht. Es ist bei-dem Mangel an anderen Säuren nur die Annahme
zulässig, dass auch nach dem Kochen noch etwas kohlensaurer Kalk
und die grösste Menge kohlensaurer Magnesia in Lösung bleibt, eine
Thatsache, die bei der relativ so geringen Menge dieser Salze und bei
der durchaus nicht absoluten Unlöslichkeit derselben im Wasser, wohl
begreiflich scheint.
Schwetels alls pare oe i OOD MGS
Schwerelse Natron =. 20.002 2222700997
Chlornatrrum a ee NOIR
schwefels0 Kalkı own 2.2 029614
kohlens (Kalk 0 0) ea 1 090025
kohlens. Magnesia. . . . . . . 0.26468
kiesclemmViacnesia (20). 2). we OOOO)
kresels bhonende . . ...0.2,22,....0000638
kohlens. "Bisenoxydul >, 2...22.:.000205
KGeselsiure 2.0 „u mal. OO a OZ
Phosphorsäure
Salpetersäure . .
Ammoniak
Rubidium ...
Pithiumn.. 2...
Mangan ..... )
Spuren.
Summe . 1.75529
direkt gefunden mr . .. 1.830900
freie und halbgebundene Kohlensäure 0.61149
oder ein Pfund Wasser — 7680 gran enthält:
schwefelsaures Kali . . . . 0.04438 gran
schwefels, Natron... a) is) .: 0.079509
Chlornatrum ze 20 2.220222720:01520 3
sehwetels" Kalk) vun. 0122744105
kohlens Kalk 2.0. a, 72 OG OOK ms
Kohlenss Maonesia,.. (2 .. 2.020520, 7,
kiesels. Magnesia . . . . . 0.053876 ,
kiesels-“Thonerde 40) 15 .. .22.0.03900%,
kohlens: Eisenoxydul . : . . 0.005417,
Kieselsäure m. 4.2.0... 081032.0.023820W,
Salpetersäure . }
Phosphorsäure . |
Ammoniak euren
Rubidium .... { "P
Iiithium 2000. |
Mansan ,.... J Summe . 1.39215 gran
4%
pen hi il
Nimmt man aber der der Analogie wegen, welche dieses
Wasser mit dem vorigen (Ranigler) unzweifelhaft zeigt, darin
ebenfalls kohlensaure Alkalien an, so kénnte die nachfolgende
Zusammenstellung einen leichten Vergleich beider Wasser
gestatten :
Chlorkalium .
kohlens. Kali
kohlens. Natron
schwefels. Kalk
kohlens. Kalk
kohlens. Magnesia
kohlens. Eisenoxydul .
kiesels. Thonerde .
freie Kieselsäure
Phosphorsäure . \
Salpetersäure . . |
Ammoniak (
Rubidium San
ie da |
Mangan... .... )
Summe
ireie und halbgebundene Kohlensäure
0.02527
0.02245
0.08899
0.43244
0.80705
0.34867
0.00705
0.00638
0.06102
1.79932
0.57853
oder ein Piund Wasser — 7680 gran enthält:
Chlorkalium
kohlens. Kali .
kohlens. Natron
schwefels. Kalk . „
kohlens. Kalk
kohlens. Magnesia
kohlens. Eisenoxydul
kiesels. Thonerde
Kieselsäure
Summe
MT nn
0.01941 gran
0.01724 ,
0.06834 „
OS.
0.61981 ,
0.26708)"
0.00541 ,
0.00490 ,
0.04686 ,
1.38186 gran
Se She (naa
Im chemischen Laboratorium der Universität wurden
ausser den hier mitgetheilten Wasseranalysen und mehreren
anderen analytischen Arbeiten im Jahre 1870-71 noch fol-
gende wissenschaftliche Untersuchungen theils ausgefuhrt, theils
in Angriff genommen.
Ueber Disulfobenzoösäure und Dioxybenzoösäure (siehe
S. XVII); über die Bildungund Constitution der Protokatechu-
säure; über Bimethyl- und Biäthylprotokatechusäure; über
eine isomere Phenoldisulfosäure; über eine neue aus Para-
oxybenzoésaure entstehende Säure.
L. Barth.
Resultate der meteorologischen Beobachtungen
zu Innsbruck im Jahre 1870.
Zusammengestellt von
Carl Wilhelm v. Dalla Torre,
Stud. phil.
Das hohe Interesse der Meteorologie an und fiir sich,
sowie besonders die höchst wichtigen Resultate beim Ver-
gleiche von meteorologischen Beobachtungen an verschiedenen
Stationen geben diesen Zeilen den Ursprung. Ganz abgesehen
von der wissenschaftlichen Bedeutung, welche solche Studien
für Thier- und Pflanzenverbreitung, Zoo- und Phylophäno-
logie u. s. w. haben, dürfen dieselben auch bei einer nur
einigermassen razionell betriebenen Landwirtschaft nie ausser
Acht gelassen werden, und es wäre höchst wünschenswerth,
wenn eine Vermehrung der Beobachtungsorte in unserem an
Naturerscheinungen so reichen und in jeder naturwissen-
schaftlichen Beziehung so interessanten Lande Tirol eintreten
würde.
Beobachtet man nämlich die Anzahl der Beobachtungs-
stationen in unseren Nachbarländern, der Schweiz und Kärn-
then (im letzten Jahre traf es in Letzterem 1 Station auf 7,
in Tirol auf 4] Quadratmeilen), so macht sich Anbetrachts
des grossen praktischen Nutzens das Bedürfniss nach einer
Vermehrung höchst fühlbar, und es dürfte hier am Platze
sein, die Herren Beamten, Aerzte, Seelsorger und Apotheker,
De, an. N
die sich für dieselben interessiren, aufmerksam zu machen,
dass die Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus
in Wien sowohl die nöthigen Instrumente, als auch die dies-
bezüglichen Anleitungen den Herren Beobachtern abtritt, und
einer Verstärkung der Zahl der Stationen in unserem Vater-
lande mit Freude entgegensieht.
Was die Beobachtungen in Innsbruck selbst betrifft, so
wurden dieselben, wie in den letzten Jahren überhaupt, täg-
lich dreimal, und zwar um 6 Uhr Morgens, 2 Uhr Nach-
mittags und 10 Uhr Abends angestellt, und es waren die
Thermometer, der Regenmesser und die Windfahne im bota-
nischen Universitätsgarten angebracht.
I. Luftdruck (Tab. I und ID).
a) Mittel. Das höchste Mittel fiel auf den Sommer
mit 315.96 par. Lin., das tiefste auf den Winter mit 314.30
par. Lin.; den Monaten nach das höchste Mittel auf den
April mit 317.20 par. Lin., das tiefste auf den Dezember
mit 312.91 par. Lin.
Die Differenz des Sommer- und Wintermittels beträgt
also 1.66 par. Lin., jene zu dem höchsten und tiefsten Mittel
4.29 par. Lin.
In Bezug auf die einzelnen Beobachtungsstunden zeigt
sich dasselbe am konstantesten im Jänner, wo es für 6 Uhr
316.74, für 2 Uhr 316.69, für 10 Uhr 316.06 par. Lin.
zeigt; am schwankendsten im Mai und Juli. Im ersteren
Monate beträgt dasselbe für 6 Uhr früh 317.07, für 2 Uhr
315.55, für 10 Uhr 316.47 par. Lin.; im letzteren dagegen
für 6 Uhr früh 319.31, für 2 Uhr Mittags 315.44, für
10 Uhr Abends 315.91 par. Lin.
b) Extreme. Das Maximum war im Oktober mit
321.12 par. Lin., das Minimum im November mit 306.18
par. Lin., die Jahresvariation daher 314.94 par. Lin. Nach
den Monaten war die grösste Variation im Oktober mit 313.36
par. Lin. (und Februar mif 312.70 par. Lin.), die kleinste im
August mit 306.35 par. Lin. (Juli mit 306.50 und Juni mit
ON san
306.69 par. Lin.). In Bezug auf die Stunde entfällt das Ma-
ximum mit Ausnahme des Jänner, Februar und November
auf die Morgenablesung, — bei den andern auf den Abend;
das Minimum, mit Ausnahme der meteorologischen Winter-
monate auf die Nachmittagablesung; in diesen auf die abend-
lichen.
II. Temperatvr.
a) Mittel, Das höchste Mittel fiel natürlich auf den
Sommer mit 13.330 R., das tiefste auf den Winter mit
— 2.90°, während sich Frühling und Herbst mit den Mitteln
sehr nahe stehen (6.49 und 6.20° R.).
Die Undulation des höchsten Mittels der Jahreszeiten
(Sommermittel 2 Uhr mit 16.78) und des tiefsten Mittels
der Jahreszeiten (Wintermittel 6 Uhr mit — 5.57) beträgt
22.352 Be
In Bezug auf die Monate fiel das höchste Mittel auf den
Juli mit 15.21"R., das tiefste auf den Jänner mit —4.54°R.,
die Undulation betragi also 19.75° R.
In Bezug auf die einzelnen Beobachtungsstunden änderte
sich dasselbe am meisten *m April und Mai, indem dasselbe
im ersteren Monate Morgen: noch 2.57° R., um Mittags
10.91 R. und Abends 4.81° R., also ein Steigen von 8.34
und hierauf ein Fallen von 6.10° R. zeigt, während im letz-
teren Monate der Morgen 7.83" R., der Mittag 17.42" R.
und der Abend 10.37° R. im Mittel gibt, was eine Differenz
von 9.59° R. und 7.05° R. ergibt.
b) Extreme. Das Maximum fiel auf den Juli mit
26.49 R., das Minimum auf den Dezember mit — 15.30R.,
woraus sich eine Jahresvariation von 41.7° R. ergibt.
Nach den Monaten war die grösste Variation im Februar
mit 24.29 R. (und Mai 23.1°R.), die kleinste im April mit
13.6° R. (Oktober mit 14.8 und November mit 15 0° R.).
In Bezug auf die Stunde entfallen sämmtliche Maxima
auf die Nachmittags-, die Minima, mit Ausnahme des Marz,
auf die Morgenstunden; nur in diesem auf den Abend.
—
39
ec) Die 5tagigen Mittel ergeben für das Jahr 1870
folgende Werthe: |
1.25. Jänner = — 2.5
6.-10. „ —_ 0.4
ld. — 2.4
16.-20. , — 2.4
21225... — 10.9
26.-30. „ — 8.4
31.-4. Februar — 6.6
DEI. — 6.9
10.-14. „ — 3.4
15.19... — 0.2
20.-24. „ — 0.4
25.-1. März + 2.8
Dh, 4.7
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122.16. , 1.9
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1.-5. Mai 6.8
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26.-30. „ 12.3
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24.28.) 5
29.-2. September
3-7. 5
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TS. sie
LSP? Wiis
23.20. ies
28.-2. Oktober
3.-7. &
8.124 |,
13. ee
18-22. 5
DD,
28.-1. November
2.-6. 5
eels si
12.210. ey
Ina...
222.20. ih os
27.-1. Dezember
2.-6.
16.0
12.6
17
17.5
17.4
14.3
15.3
15.2
19.7
16.1
13.3
1249
10.4
3.9
12.3
11.4
10.0
8.1
6.7
5.7
6.6
6.9
7.6
8.2
Dee
6.7
4.1
2.5
2.9
2.3
6.9
1.3
2.1
BER LO
22.-26. Dezember =- 7.4
27.-31. A — 6.6
7.-11. Dezember — — 4.4
lo een + 2.4
10.21... +28 |
d) Frosttage (d. h. Tage, an denen die Temperatur
einmal unter O stand) entfielen auf das Jahr 1870 im Ganzen
115 (im Jahre 1869 114), und sie vertheilen sich für
Jänner 1870 zu 30, dagegen für Jänner 1869 zu 28,
Februar 24, Februar 122
März 21% März 24,
April 5, April 1%
Oktober ay Oktober 9)
November 8), November ily.
Dezember 23. Dezember 23.
Man ersieht hieraus, dass der Februar des vorigen
Jahres milder, dagegen der November strenger war, ein Re-
sultat, das sich auch beim Vergleiche der monatlichen Tem-
peraturmittel ergibt. Es trifft nämlich als Monatsmittel der
Temperatur
für Februar 1870 — 2500 Re
für Februar 1869 — 3.42° R.
fiir November 1870 . — 4,329 R.
für November 1869 . aan IR:
Die Gränze der Frosttage entfällt für das Jahr 1870
zwischen 1. Jänner und 13. April (mit —0.2° R.) und
12. Oktober (mit 0.6° R.) und 31. Dezember; für das Jahr
1869 ebenfalls zwischen 1. Jänner und 7. April (mit — 1.4°R.)
und 23. Oktober (mit — 1.4° R.) und 31. Dezember, woraus
ein längeres Anhalten der Kälte als im Vorjabre sich ergibt.
e) Die Zahl der Sommertage (d. h. Tage, an denen
die Temperatur zu einer Tageszeit über 20° R. steigt) betrug
im Jahre 1870: 40 (1869 nur 26), und entfallen auf
Mai 1870: 10, dagegen Mai 1869 nur 3,
June. 12% “4 Juni as
Julian lo: ul en ee 31240
August ,, 35 >| Ausust, Ts
womit sich zeigt, dass der Sommer des vorigen Jahres viel
ee e
ärmer an heissen Tagen war, als jener des Jahres 1870.
Nichtsdestoweniger aber war der Sommer des Jahres 1869
im Mittel sogar wärmer, als jener von 1870, indem es für
ersteren 13.43° R., für letzteren dagegen 13.33° R. trifft,
also die freilich nur kleine Differenz von 0.1° R. sich ergibt.
Der erste Sommertag im Jahre 1870 war am 14. Mai
(mit 20.2° R.), der letzte am 5. August (mit 20.2° R.);
1869 dagegen der erste am 21. Mai (mit 20.0° R.), der
letzte schon am 31. Juli (mit 24.0° R.), woraus sich auch
in dieser Hinsicht ein kürzerer Sommer ergibt.
Ich habe, da die Momente: Frost und Sommertag etwas
neueren Ursprungs sind, zum Behufe einer Vergleichung mit
andern Gegenden diesen Punkt etwas weitläufiger behandelt,
und auch die Daten des Vorjahres in die Arbeit mit einbe-
zogen — das Interessante der Temperatursverhältnisse wird
die Inkonsequenz entschuldigen.
III. Dunstdruck (Tab. V und VI)
und
IV. Feuchtigkeit (Tab. VII und VII)
wurden nach den in Kreil’s Anleitung zu meteorologischen
Beobachtungen gegebenen Tafeln berechnet, und nachdem die-
selben auf die Differenz des trockenen und feuchten Thermo-
meters basirt sind, mangeln uns mit den leider an 4 April-
tagen verabsäumten Psychrometer-Ablesungen auch jegliche
Anhaltspunkte zu einem Vergleiche.
Aus den (mit Umgehung dieser Tage berechneten) Mitteln
lässt sich ersehen, dass der Dunstdruck im Sommer (mit
4.81 par. Lin.), die Feuchtigkeit im Winter (mit 83%,) am
grössten war; dass dagegen ersterer im Winter (mit 1.29
par. Lin.), letzterer im Frühling (mit 69%,) den kleinsten
Mittelwerth zeigt.
Nach den Monaten erscheint das grösste Mittel des
Dunstdrucks im Juli (mit 5.29 par. Lin.), also mit der
höchsten Temperatur, das zweitgrösste dagegen im August
(mit 4.73 par. Lin.), während die zweithöchste Temperatur
auf den Juni fiel (12.65° R.); das kleinste Mittel des Dunst-
drucks zeigt der Jänner (mit 1.21 par. Lin.) zugleich mit
dem kleinsten Monatsmittel der Temperatur; ihm folgt dann
ebenfal's im Verhältnisse zur Temperatur der. Dezember (mit
1.29 par. Lin. Ddr. und — 2.92° R. Temp.M.) und der
Februar (mit 1.39 par. Lin. Ddr. und — 2.36° R. Temp.M.).
— Es ergibt sich also hieraus eine grösste Undulation von
4.08 par. Lin.
Nach den Monatsmitteln erscheint als der feuchteste
Monat der Dezember (mit 85%, ), ihm folgt Jänner und August
(mit je 84%) und September (mit 82%,); die kleinsten
Monatsmittel der relativen Feuchtigkeit der Atmosphäre zeigen
der Mai (mit 63%,) und Juni (mit 67%,). — Es ergibt sich
also hieraus eine grösste Undulation von 22%.
Vergleicht man diese mit der Undulation der Temperatur
und des Dunstdrucks, so erscheint sie verhältnissmässig zu
klein, und es entspräche dieselbe einer kleinern Dunstdrack-
Undulation (zw. 2.10 und 2.03) oder einer grössern Tempe-
ratur-Undulation (zw. 26 und 27° R.).
V. Bewölkung (Tab. IX und XI).
(0—10.)
Der Himmel war das ganze Jahr zu allen Stunden etwas
mehr als zur Hälfte mit Wolken bedeckt; nach den Jahres-
zeiten etwas mehr im Sommer und Winter (M = 6.2), we-
niger im Frübling und Herbst (M — 5.3 und 5.0).
Am grössten ist die durchschnittliche Bewölkung am
Morgen der Wintermonate (M — 7.1), am kleinsten zu allen
Stunden im Herbste.
Den Monaten nach entfällt das grösste Mittel der Be-
wölkung auf den August mit 7.1 (und März mit 7.0); das
kleinste auf den September und Mai mit 4.1 (und April
mit 5.0).
Der Zahl nach besitzt der Frühling die am meisten
A
heitern Tage (23), der Sommer am wenigsten (8), Winter
und Herbst gleich viele (21).
Die grösste Anzahl trüber, ganz bewölkter Tage fallt
auf den Winter (35), die kleinste auf den Sommer (29),
während Frühling und Herbst gleich viele besitzen (33).
Die Zah! der ganz heitern (B — 0) und weniger be-
wölkten Tage (B = 1~ 4) war kleiner, als jene der mehr
bewölkten (B— 5—9) cder ganz trüben (B= 10), und
zwar nur 108 gegen 257.
Nach den Monaten war der heiterste der April mit 11,
und der Februar mit 9 wolkenlosen Tagen; der trübste der
März mit 18, und der August mit 13 ganz bewölkten Tagen.
Am wenigsten schöne Tage hatte der August (nur 1)
und der Juni (nur 2); am wenigsten ganz trübe der Mai
(nur 6) und der September (nur 8).
Nach den Stunden zeigen sich am Morgen im April 10,
im August 0 ganz reine, wolkenlose Tage; im März dagegen
20 und im April, Juli, September und November 11 ganz
bewölkte Tage.
Zu Mittag waren am meisten wolkenlose Tage im Fe-
bruar (9), am wenigsten im Juni und August (0); ganz be-
wölkt war's im März 15ma!, Mai und Juni nur 4mal.
Lie Abendbeobachtung ergibt als den heitersten Monat
den April mit 14, dagegen Juni nur mit 2 wolkenlosen
Tagen; der trübste war der März mit 19 ganz bewölkten
Abenden, während der Mai nur 8 hatte.
Im Allgemeinen trifft der heiterste Himmel im Herbst
auf den Abend und Morgen, die übrigen Jahreszeiten auf
den Abend a'lein; am seltensten ist er Mittags ganz wolkenlos.
Ganz bedeckt war er im Winter und Sommer am Morgen,
im Frühling und Sommer am Abende am öftesten; am Mittag
war er meist mehr weniger bewölkt, selten ganz wolkenlos.
Vi. Windrichtung und Stärke (Tab. X und XI).
Was die Resultate anbelangt, so sind sie zwar für Inns-
bruck richtig und genau verzeichnet, allein für eine allgemeine
TR IM NE
meteorologische Anwendung von nicht hohem Werthe, da
gerade in unserem rings von Gebirgen umschlossenen und nur
in 3 Richtungen von Thälern durchbrochenen Kessel fast nur
abgeleitete Winde kommen, die entweder abgeprallt die ent-
gegengesetzte oder an Gebirgszüge angelehnt nur eingeleitete
Zwischenrichtungen verfolgen.
Vorherrschend war der Nordwind (584mal) und der
Südwind (Sirocco) (241mal). Diesen zunächst kommen Nord-
ost und Nordwest (68 und 65mal), am seltensten erschien
der Südostwind (14mal).
In Bezug auf die Jahreszeiten wehte Nord am 6ftesten
im Frühling (180mal), ebenso Süd (76mal); am seltensten
im Herbst (113mal), dagegen Süd im Winter (18mal).
Nordwest und Nordost wehten besonders im Winter
(34 und 22mal) neben dem ziemlich häufigen Nordwind
(143mal).
Im Frühlinge fehlte Ostwind ganz, im Sommer wehte
er einmal, war dagegen vorherrschend im Herbst.
In Bezug auf die Monate wehte Nord am häufigsten im
Jänner (81mal), am seltensten im Dezember (10mal) und
November (14mal); dafür herrschte im erstern Monate der
Nordost (29mal), im zweiten der Südwind (28mal) vor.
Aehnliches wie für die Windrichtung gilt auch in Bezug
auf die unsichere Bestimmung der Windstärke. — Theils durch
Anprall, theils durch plötzliches Oeffnen des Thales gemil-
dert, können in dieser Hinsicht Eigenthümlichkeiten vorkom-
men, die nur durch die topographische Lage Innsbrucks be-
dingt werden.
Am meisten stärkere Winde (St — 4-9) verspürte man
im Februar und September (je 6). Im letzteren Monate wird
er als Türkenwind alljährlich erwartet und freudig begrüsst,
da er das Abreifen des Mais sehr begünstigt.
Dagegen wehte er nie merklich im Jänner und März.
Am öftesten wehte er im Winter (10mal) und Herbst
(Smal) merklich, weniger oft im Frühling und Sommer (5mal).
In Hinsicht auf die Stunden war es am Morgen stets
do
windstill; der Wind erhob sich Vormittags, wehte dann um
Mittag ziemlich oft (16mal), liess gegen Sonnenuntergang
nach, und leste sich oft dabei ganz (4mal) oder hielt wohl
auch über die Abendbeobachtung an und legte sich dann vor
Sonnenaufgang (12 mal).
VII. Niederschlag (Tab. XI und XI).
Der Niederschlag wurde in einem von der Zentralanstalt
überlassenen Regenmesser über je 24 Stunden gemessen.
a) Mittel. Das grösste Mittel fällt auf den Herbst
(mit 9.22 par. Zoll) und Sommer (mit 8.62”), das kleinste
auf den Winter (mit 3.16”). Nach den Monaten entfällt das
grösste Mittel auf den November (mit 4.65”) und den Juli
(mit 4.66”), das kleinste auf den Februar (mit 0.44”) und
Juni (1.07”).
b) Extreme. Die grössten innerhalb 24 Stunden ge-
fallenen Niederschlagsmengen entfallen auf den (17.) Juli (mit
19.84”), (1.) November (mit 17.15”) und (15.) Oktober
(mit 13.44”), so dass auch in dieser Hinsicht Herbst und
Sommer den Vorrang besitzen, freilich diesmal letzterer er-
steren überflügelte.
Die kleinsten absoluten Maxima entfallen auf den (21.)
Februar (mit 2.48”) und den (4.) Juni (mit 2.68”), den
Jahreszeiten nach also das kleinste Maximum auf den Winter.
c) Die Anzahl der Tage mit Niederschlägen
(hier wie immer werden eben nur messbare verstanden) be-
trägt für's ganze Jahr 133, wovon 2, auf den Regen, 14
auf Schneetage entfällt.
Am meisten Tage mit Niederschlag entfallen natürlich
auf den Sommer (44), am wenigsten auf den Winter (21);
der Herbst (mit 35) hatte um 2 mehr als der Frühling (mit
33 Tagen).
Davon sind natürlich im Sommer nur Regentage, im
Winter 15 Schnee- und 6 Regentage; der Herbst hatte
27 Regen- und 8 Schneetage, der Frühling nur Y/, Tag mit
Schnee.
men gee al
Nach den einzelnen Monaten entfallen die meisten Tage
mit Niederschlagen auf den August (20.) und Oktober (17.),
die wenigsten auf den Februar (4.) und Jänner (7).
April, Mai, September und Dezember hatten gleichviel,
nämlich je '/, der Monatstage mit Niederschlägen.
d) Gränze der Schneetage. Der letzte Schneetag
war im Mai, der erste im Herbst am 1. Nov. in einzelnen
Flocken, am 11. zum ersten Male sich anlegend.
Vill. Gewiiter.
Diese so wichtige Erscheinung für die Meteorologie, welche
im Eimzelnen und im Zusammenhalt mit den andern zur Gel-
tung kommenden Veränderungen des Luftdruckes, der Tem-
peratur, des Windes u. s. w. von grösstem Interesse wäre,
wurde leider gerade in diesem Jahre etwas stiefmütterlich
behandelt.
Aus den wenigen spärlichen Notizen, welche wir uns
machten, allein, vermögen wir nachstehende Resultate zu-
sammenzustellen: \
Das Jahr 1870 war ziemlich arm an Gewittern; öfters
zeigten sich nach heissen Tagen gewitterdrohende Wolken,
in diesen selbst sah man Blitze; allein gewöhnlich löste sich
die ganze feuerdrohende Wucht in einen Regen auf, kühlte
ab und zog so wenigstens für Innsbruck schadlos vorüber.
Wetterleuchten war im Sommer fast allabendlich, meist
in der Richtung Nordost.
Die Gewitter setzten sich gewöhnlich im Thale Sellrain
zusammen, und zogen dann im Süden Innsbrucks den Bergen
nach, wobei sie im Mittelgebirge einige Male durch Hagel
mehr oder weniger Schaden anrichteten; andere zogen vom
Solstein aus der nörd!ichen Kette nach, waren nie schädlich
und fielen erst am Haller Salzberg in’s Thal herab. Ein
paar Mal zeigten sich an verschiedenen Stellen der Umge-
bung (einmal an 7) Gewitter, die Innsbruck von allen Seiten
bedrohend in die Mitte nahmen, aber nie Schaden thaten.
Das erste Gewitter war am 22. Mai Abends mit vielen
ATs
Blitzen und starkem Sturmwinde; es dauerte eine halbe Stunde
und endigte mit heftigem Regen; es war dies eines der
stärksten des Jahres.
Das zweite Gewitter war am 8. Juni, das dritte stärkere
am 24. Juni am Abend; dabei schlug es im Blitzableiter
des Pulverthurmes und an mehreren andern Stellen — auch
im Innfluss — ein, ohne irgendwo zu zünden oder sonst be-
trächtlich zu schaden.
Fernere Gewitter waren am 1. und 6. Juli und endlich
das letzte am 9. Ohtober zwischen 2 und 2 Uhr Nachmit-
tags, wo ein paar starke Blitze fielen, denen heftige Donner
folgten; ein Schlag traf in die Sill unweit des Bahnhofes.
Darauf folgten zwei Tage mit Regen.
IX. Ausserordentliche Erscheinungen.
Von ausserordentlichen Erscheinungen, von denen eben-
falls keine Aufzeichnungen vorliegen, fand ich zwei Notizen
vor: im Jänner 4 Uhr früh ein leichtes Erdbeben in der
Richtung Südost gegen Nordost, mehr wiegend als stossend;
und am 24. Oktober Abends 4,8—8 Uhr schönes helles
Nordlicht bei halbbedecktem Himmel, dem Spiegelbilde eines
fernen Brandes ähnlich. Es dehnte sich zwischen der Frau
Hütt und dem Ruhmer Joche bei Hall aus und dauerte circa
1 Stunde. — 30. Okt. Abends ein viel schwächeres.
X. Die Schneegränze. *)
Es ist für Bewohner von Gebirgsländern äusserst in-
teressant, die Schneegränze der Umgebung in den verschie-
denen Jahreszeiten und Monaten kennen zu lernen. Wir
wollen in Kurzem hier eine Anleitung geben, wie man sich
dieselbe am einfachsten und belehrendsten notiren kann, und
hierauf die Hauptmomente in dieser Beziehung vom Vorjahre
anführen.
Man nehme einen ziemlich eng quadrirten Gitterbogen —
*) Nach Mittheilung des Herrn Universitäts-Professors Dr. A. Kerner:
Naturw.-med. Verein. 1872. I, Hit. 5
»
»Tupfbogen* — wie man ihn zum Nachzeichnen von Stick-
mustern in allen Kunsthandlungen bekommt; hierauf theilt
man sich denselben längs der grösseren Seite (abseisse) in
360 Theile, was aber meist schon geschehen ist, wodurch
nichts mehr zu thun übrig bleibt, als Tag und Namen der
Monate der Reihe nach hinzuschreiben. Der Höhe des Bogens
(ordinate) nach, also vertikal auf die vorige oder Basislinie
notirt man sich die Höhen von der absoluten des Beobach-
tungsortes an bis zur absolut höchsten einer in der Umge-
bung liegenden Spitze. Man nimmt hiezu am bequemsten je
zwei solcher kleiner Theilstriche — 100’ und schreibt sich
die Höhen von 500 zu 500’ nebenan. Hat man diese Vor-
bereitungen getroffen, so wird man nun bei einigem Augen-
masse leicht im Staude sein, die Höhe, bis zu welcher z. B.
der erste Schneefall herabreicht, zu schätzen, und indem man
nun an der betreffenden Höhenhorizontale herüberfährt, kommt
man endlich auf ein Quadrat, welches genau vertikal über
dem Datum jenes Tages liegt, an welchem sich der betreffende
Schneefall ereignete. Dieses merkt man mit einem Punkte
an, und indem man täglich beobachtend so verfährt, erhält
man durch die schliessliche Verbindung all’ dieser Punkte
eine Curve, welche die Schneegränze des betreffenden Berges
angibt. Bei einiger Uebung und Aufmerksamkeit kann man
sich wohl auch Bergketten, ja selbst gegenüberliegende Berg-
ketten in dieser Hinsicht abzeichnen. — Auf diese Weise
gelangten wir zum folgenden Resultate: Der Schnee legte
sich im Dezember 1869 im Thale an und blieb liegen bis
16. Februar 1870. Von diesem Tage an schmolz er und es
zog sich die Gränze allmälig, aber unter häufigen und manch-
mal tiefen Rückfällen in’s Gebirge zurück und erreichte den
höchsten am 17. August 1870, worauf das Vorgehen schnell
und höchst unregelmässig vor sich ging. Am 9. Sept. stieg
er wieder bis zur Höhe von 8800’, fiel aber schnell, um am
9. Okt, zum dritten und letzten Male aufzusteigen, ehe er
sich im Thale anlegte. Die Gränze fiel in eine Höhe von
8000’, Am 11. Nov. waren Fluren und Wälder der Thal-
BS WAG He
sohle zum ersten Male mit Schnee bedeckt. Darauf folgte
der „alte Weibersommer*. Der Schnee wich auf der süd-
lichen Abdachung bis 5200’, auf der nördlichen bis 4000’
in die Höhe; Mücken tanzten in den Lüften, Spinnen schau-
kelten an den Seilen, Aesculus Hippocastanum, die Ross-
kastanie, blühte zum zweiten Male im Jahre. Die Natur
erwachte scheinbar wieder auf’s Neue, bis der 2. Dezember
dem schönen Traume ein Ende machte — und der Träumer
beim Erwachen am Morgen Berg und Thal weiss sah. Zwar
zog sich der Schnee später wieder etwas rückwärts, allein
der Winter war einmal gekommen, und — so ruhte man
nolens volens in’s Jahr 1871 hinüber.
Aus dem Vergleiche der Schnee-Curven aus’ mehreren
Jahren ergibt sich im Allgemeinen:
Es findet ein Vor- und ein Nachsommer jedes Jahr
statt; alljährlich ist das Aufsteigen des Schnee’s im Früh-
linge und Sommer regelmässig und mit weniger Rückfällen
verbunden als das Abfallen der Schneegränze am Ende des
Sommers und im Herbste, und so verhielt sich’s auch im
Jahre 1870.
5%
— 50
I. Tabelle.
300 +
Jänner Februar März | April Mai | Juni
771529 19:092719313. 12 14.71 1713508 19:03
2, 34.00) | 12:67. | 15.292 17.05 11.96 719:05
3 | 14:97 | 15.68 | 12.55 1 1822 | 14.57 | 1660
4 | 16.52 | 15.54 | 11.09 | 18.55 | 16.48 | 17.37
571 1653 115,54 12.93 119511 10292171888
6 | 16.54 | 15.81 | 14.44 | 18.24 | 16.44 | 16.57
7 | 14.37 | 15.53 | 12.49 | 16.47 | 16.49 | 15.32
8 | 14.12 | 13.24 | 13.73 | 14.12 | 16.29 | 14.40
9%) 13.6351 11.34 | 13.52) 13.31 | 9858 [1444
10 | 12.84 | 12.54 | 12.15 | 14.08 | 13.61 | 13.06
Pt) 18.24) 15.422 10.24 1916.92 1320) 1.1979
12 | 14.99 | 14.14 | 10.09 | 17.45 | 14.43 | 16.06
13. 15.022 13.06%| 11.11) 17:80 16. D7 lee
14%°19:89,1° 12.0871 Tat 16.72 Mesa 1049
15 | 15.64 | 13.26 | 13.66 | 16.76 | 16.69 | 17.89
16 | 12.56 | 13.39 | 16.83 | 18.91 | 15.84 |) 17.19
17 | 12.69 | 15.502) 13.81°| 1842| 718.847, 1795
18 | 14.09 | 12.74 | 14.19 | 17.94 | 19.17 | 17.72
19) 16.62 | 12.09. 16.25. 17.21 | 18.9800. 2062
20 | 15.78 | 12.66 | 17.84 | 17.58 | 19.09 | 17.95
21 | 16.60 9.127 | 17.34 | 18.11.17. 9801177272
22 | 16.87 9.33 | 14.40 | 18.69. | 19.2317 12.92
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24 | 16.59 1.12.35 | 12.81 | 18.55 | 17.09 || 14.22
25 | 16.90 | 12.02 | 12.69 |. 19.29 | 16.73 | 14.74
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27 | 16.04 | 13.65 | 14.62 | 14.83 | 17.26 | 14.89
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29 | 17.94 — 14.54 | 12.51 | 16.57 | 15.62
30 | 18.88 — 13.13 | 13.79 | 15.82 | 16.52
31 | 19.12 — 13.81 — 14.79 _
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3 | 15.58 | 14.33 | 17.88 | 16.47 | 17.68 | 14.93
4 | 16.11 | 15.50 | 16.03 | 16.63 | 18.12 | 15.93
5 | 17.68 | 14.39 | 16.72 | 18.73 | 18.78 | 17.05
6 | 17.04 | 14.82 | 14.75 | 16.83 | 16.71 | 13.02
7 | 16.80 | 14.89 | 15.21 | 15.08 | 15.68 9.66
8 | 16.41 | 13.68 | 15.03 | 16.69 | 15.92 8.34
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11 | 14.39 | 13.77 | 17.26 | 13.79 7.09 | 14.30
12 | 12.98 | 14.91 | 16.86 | 14.55 | 10.38 | 13.91
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14 | 16.47 | 15.31 | 14.23 | 14.23 | 10.46 | 14.33
15 | 16.16 | 14.35 | 16.09 | 14.66 | 10.77 | 15.18
16 | 15.54 | 13.95 | 18.65 | 13.87 | 10.00 | 14.64
17 | 15.79 | 14.14 | 19.20 | 13.35 | 11.92 | 15.05
18 | 16.84 | 16.47 | 17.88 | 16.38 | 13.83 | 15.28
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22 | 15.99 | 16.17 | 17.73 | 16.00 | 14.32 9.37
23 | 16.65 | 14.81 | 19.25 | 11.39 | 13.33 | 10.28
24 | 16.99 | 14.31 | 20.03 9.11 | 15.89 | 11.21
25 | 15.71 | 13.75 | 19.56 | 12.20 | 15.64 9.26
26 | 15.39 | 12.70 | 17.66 | 11.11 | 15.76 9.19
27 | 14.93 | 13.48 | 17.70 | 13.74 | 16.37 9.58
28 | 14.63 | 13.92 | 18.55 | 12.68 | 18.01 | 10.19
29 | 14.46 | 12.67 | 18.39 | 15.81 | 17.09 | 10.61
30 | 14.39 | 15.02 | 19.49 | 14.47 | 16.67 | 13.05
31 | 14.39 | 17.02 — 13.68 — 13.65
Jänner
Februar
März
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Mai
Juni
Juli
August
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2 hora | 16.69 | 13.54] 13.33 | 17.06| 15.69] 15.55 | 15.44 | 14.54
10 hora | 16.06 | 13.58] 13.71] 16.88 | 16.45] 16.47 | 15.91 | 14.99
Mittel | 16.10) 13.73] 13.75 | 17.20) 16.39] 16.30] 16.89} 14.69
Monats-Mittel
6 hora | 15.88] 19.12] 18.45 | 20.26 | 19.86] 18.93 18.99] 17.67
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10 hora |19.03| 19.35] 18.26 | 20.22 | 19,39 | 18.49 | 17.76 | 17.00
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Absolutes Maximum
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10 hora |11.75| 6.55 | 9.59] 12.59 | 12.66] 13.48 | 12.92] 11.69
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Absolutes Minimum
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7.42 | 5.32 | 5.50 | 5.08
6.75 | 5.01 | 4.84 | 5.31
1.29 | 5.37 | 5.26 | 5.39
| 6 hora | 4.88 111.72] 8.19 | 7.47
2 hora | 5.95 | 9.12] 8.4 | 7.06
10 hora | 7.28 | 12.70] 8.67 | 7.63
Mittel | 5.70 | 11.41] 8.40 | 7.38
Variation
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V. Tabelle.
Jänner Februar März April | Mai | Juni
0.91 0.76 1.92 1.89 1.83 4.35
1:69 1.01 1.85 1.82 1.77 4.17
1.80 1.24 2.05 1.43 2.38 3.17
1.36 145 2.35 2.58 2.28 5.81
1.40 1.39 2.30 1.95 2.30 1 43:50
1.39 0.75 1.88 3.17 2.08 3.62
1.78 0.79 1.81 2.90 2.48 4.06
1.84 0.79 1.66 2.75 3.22 3.47
1.39 0.88 1.65 2.48 3.11 4.08
1299 0.67 1.92 =) 2.80 4.53
1.63 0.83 1.43 —_ 3.04 4.57
1.40 1.03 1.58 = 3.24 4.31
0.72 1.62 1.47 — 3.87 4.99
1.09 1.86 1.50 2.37 3.96 5.31
1.58 1.67 160 12209 4.34 5.42
1.99 1.49 1.67 1.98 4.06 473 |
1.85 1.59 2.08 2.50 3.67 4.66
1.62 1.75 2.04 2.32 4.48 5.31
1.07 1.80 1.82 1.95 4.98 5.58
0.87 1.99 1.78 2.22 3.82 5.22
0.62 1.68 1.79 2.46 4.66 5.40
22 | 0.60 1.49 2.00 2.40 5.42 5.41
0.51 1.73 1.81 3.38 5.39 5.22
0.54 1.61 1.52 3.09 3.67 5.08
0.55 2.05 1.68 2.15 3.01 4.95
26 | 0.78 1.81 1.68 2.60 2.97 3.09
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*) Leider fehlen uns die Ablesungen des feuchten Thermometers vom
10.—13. April, ein Faktor, der/die Berechnung des Dunstdruckes und der
Feuchtigkeit unmöglich macht.
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Vergleichungstabelle
der vorarlbergischen und nordtirolischen Beobachtungsstationen
Bregenz, Dornbirn, Bludenz, Innsbruck und Vent im Oetzthale.
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Dornbirn |D, 27025’ 147024’ | 2370| Dr. G. Waibl {19} 1/10
Bludenz |B1.|27029’ 47010’ 298-0] Br. O. Sternbachj18)} 2/10
Innsbruck | I. 128059’ 147016’ | 294-6] Dr. A. Kerner |18) 2/10
Vent v.128039 |4799’ | 966-2} Fr. Senn 120) 2] 9
74
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I. Vergleichungs-Tabelle|
Luftdruck auf 0° red.
Temperatur nach Reaumur
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| | |
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5 | D. [319.59/319.52'319.911319.81| --29|+0.3 20 |—16|
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S | 1 [816.14/316.69 316.06/316.10] —6.7/—1.67\—5.2 |—4.5 |
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Br. 1320 45132037 320.41/320.41 —8.16 —0.45 —2.06 Ba.
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Br. 1322.04/321.90/321.75/321.90| 9.35] 14.3 | 11.3 | 11.6
D. 1320.21 319.861320.221320.10| 10.7 | 15.9 | 10.6 | 12.38
@ | Bl. [315.67,315.13)315.62)315.47| 7.9 | 169 | 9.95] 11.6
1. |317.07/315.69/316.45/316.39] 7.83| 17.42] 10.37) 11.8
oa ae | 50
Br. 1321.98/321.84/321.86/321.89] 11.6 | 15.51] 13.16| 13.3
| D. [820.27/319.94/320.33/320.18] 1264| 1693| 12.06| 13.90
= | BL. 1315.87/315.39/315.58/315.611 9.65! 17.12! 11.43) 12.7
= 1 1 1316.841315.59/316.471316.30| 10.47| 14.83| 12.30] 12.53
Vi) eee Se
75
der monatlichen Mittel.
Feuchtigkeit 9/o
Dunstdruck in par, Lin.
76
ee aoe
I. Vergleichungs-Tabelle
Luftdruck auf 0° red.
Temperatur nach Reaumur
1. | 2. 3. M. 1. 2. 3 | M
|
Br. 1321.23/321.09/321.07/321.13] 13.6 | 18.3 | 15.8 | 15.9
Ei D. (319.57/319.35)319.46/319.43) 14.6 | 19.4 | 142 | 16.1
= Bl. (315.11 314.74)305.09 314.98) 11.9 ‚19.7 | 140 | 152
| 1. 1319.31 315.44/315.91316.89) 11.94 19.85, 13.85} 15.21
Iv| —) - — 2926 — | — | — —
Br. 1320.60 320.261320.25 310.27] 10.8 | 14.38) 11.95 1237
re D. 1318.43 318.151318.53 318.36) 11.4;| 15.2. | 108 125
so | Bl. |814.03|313.72314.151313.97| 9.6 | 15.3 | 10.5 | 11.8
a I. 1314.541314.54 314.991314.69| 9.97] 15.67) 11.13] 12.25
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Br. 1320.67 320.46 320.33 320.49] 5.7 | 86| 66| 66
& D. [318.69|317.88317.95318.20| 50 | 89] 611 65
© Bl. [314.26/313.78/313.931313.99] 3.7 | 96| 61| 67
S I. 1315.47/314.03/314.59/314.69) 3.22} 9.81] 3.63] 5.41
Veni ee | bs 26 — Bun a 12
N Br. 1520.081320.001320.071320.051 2.31) 4.38) 3.09) 3.26
2 D. 1317.901317.79[318.00317.89| 21| 44) 215 31
= Bl. [313.37/313.23/313.53/313.38] 2.58; 636 3.41; 4.11
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3 Bl. |312.39312.19)312.411312.33[—4.6 |—1.5 :—3.6 |—3.1
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der monatlichen Mittel.
Feuchtigkeit 0/o
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Dunstdruck in par, Lin.
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Il. Vergleichungs-Tabellen
Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit
l
| | Tag | Tag | Tag | Tag
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19
der absoluten Maximalwerthe.
Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit
Tag | Tag | Tag Tag
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Il. Vergleichungs-Tabellen
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Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit
| | |
Tag | Tag | Tag | Tag
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81
der absoluten Minimalwerthe.
Luftdruck Temperatur Dunstdruck Feuchtigkeit
| | |
Tag | | Tag | | Tag Tag
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IV. Vergleichungs-Tabellen der Bewölkung,
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Windrichtung und Stärke und des Niederschlags.
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16.59”
23.84””
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16.06”
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46.57”
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45.68”
1. 8”
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39.46”
11.60”
33.80”
33.48"”
18.73”
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19.10”
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IV. Vergleichungs-Tabellen der Bewölkung,
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Windrichtung und Stärke und des Niederschlags.
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21.00”
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45.26”
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41.92”
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Niederschlag
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Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung.
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BERICHTE
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M Jahrsang.
2. u. 8. Heft.
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INNSBRUCK.
Druck und Verlag der Wagner’schen Universitäts-Buchhandlung.
1872.
Sitzungsberichte
des
naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines.
XIII. Sitzung, den 25. Oktober 1871.
Beginn der Sitzung 7Y, Uhr Abends.
I. Der Vorstand Prof. Dr. M. v. Vintschgau legt
der Versammlung die während der Zeit der Herbstferien, also
seit der letzten Vereinssitzung vom 21. Juli 1871 eingelau-
fenen Druckschriften vor:
1. Med. chirurg. Rundschau, August-, September- und
Oktober-Heft 1871.
2. Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, Jahr-
gang 1870 nebst Nr. 1 und 2 vom Jahrgang 1871.
3. Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt,
Jahrgang 1870, Nr. 1—10, 12 und 13 vom Jahrgang 1871.
4. Sitzungsberichte der mathem.-physik. Klasse der kön.
baierischen Akademie der Wissenschaften in München., 1871
Heft 1.
5. Sitzungsberichte der physikal..-mediz. Gesellschaft in
Würzburg für die Jahre 1868, 1869, 1870.
6. Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde,
29: 105 11.122 und. 13, Bericht:
7. Jahresbericht der Gesellschaft für Natur- und Heil-
kunde in Dresden, Oktober 1870— April 1871.
g#
XxX
8. Bullettino della societa entomologica italiana in Firenze,
anno III. trimestre II.
9. Leopoldina, Amtl. Organ der k. Leopoldino-Caro-
linischen deutschen Akademie der Naturforscher, Heft 7.
Nr. 1, 2, 3, 4.
10. Dr. Alfred Przibram und Dr. Jos. Robitschek, Studien
über Febris recurrens etc. Prag 1869.
11. Filippo Pacini, Sull’ ultimo stadio del colera asia-
tico etc. Firenze 1871.
II. Verliest derselbe die Zuschriften der k. naturf. Ge-
sellsch. in Moskau und der k. Gesellsch. der Wissensch. in
Göttingen, welche sich zum Tausche der Zeitschriften in der
nächsten Zeit bereit erklären.
Ill. Herr Prof. v. Vintschgau referirt über eine neue
Methode von Prof. Pacini zur Einleitung der künstlichen
Athmung bei Asphyktischen.
Prof. Phil. Pacini hat dem Vortragenden während seines
Aufenthaltes in Florenz einen Separat- Abdruck einer kleinen
Abhandlung gegeben, die er in der medizinischen Zeitschrift
»L’ Imparziale* veröffentlicht hat.
Obwohl die Abhandlung selbst nicht mehr als sechs
Druckseiten umfasst, veranlasst den Vortragenden doch die
Wichtigkeit des in derselben behandelten Gegenstandes den
geehrten Herrn Collegen den Inhalt derselben mitzutheilen.
Es handelt sich nämlich um eine neue Methode, die
künstliche Athmung bei asphyktischen Individuen einzuleiten,
und glaubt der Vortragende, es sei angezeigt, dass die Aerzte
und alle jene Personen, welche berufen sind Asphyktischen
die erste Hülfe zu leisten, von dieser Methode Kenntniss er-
halten, damit sie auch von der praktischen Seite, die doch
die wichtigste ist, geprüft werde,
Nachdem Pacini nachzuweisen getrachtet hat, dass so-
wohl die Insuflationsmethode, als auch jene Methode der
künstlichen Athmung, welche von Leroy d’Etiolles und von
Marshall Hall angegeben wurden, eher von Nachtheil als
Nutzen sind, beschreibt er seine eigene Methode der künst-
XXI
lichen Athmung, die der Vortragende im Folgenden wortge-
treu mittheilt.
Das asphyktische Individuum wird auf eine leicht ge-
neigte Ebene gelagert, der Mund geöffnet und alle fremden
Substanzen, die derselbe etwa enthält, werden enfernt, der
Brustkorb und der Bauch von engschliessenden Kleidern
befreit. Indem der Kopf in der gewöhnlichen Richtung mit
dem Rumpfe gelassen wird, stellt man sich hinter denselben,
erfasst fest den oberen Theil der beiden Arme in der Nähe
der Schultern, und zwar so, dass der Daumen nach vorne
auf den Hals des Oberarmknochens, die übrigen vier Finger
dagegen nach hinten zu stehen kommen.
Nun trachtet man, durch Anziehen an sich selbst und
bei gleichzeitigem Heben der Schultern, die Verbindung des
Schlüsselbeins mit dem Brustbein zu benützen, um den letzteren
Knochen und mit ihm die entsprechenden Rippen zu heben.
Es ist leicht ersichtlich, dass durch diese Bewegung die drei
Durchmesser des Brustkorbes vergrössert werden, obwohl
das Diaphragma nur passiv dazu beiträgt.
In der That hört man alsbald, wie die Luft mit einem
Geräusch durch den Kehlkopf in die Lunge eindringt, wo-
durch die Einathmung zu Stande kommt; nun setzt man die
inspiratorische Thätigkeit aus und gestattet der Elastizität
der Rippen die Ausathmung, auszuführen, wie diess ohnehin
im normalen Zustande der Fall ist.
Diese Bewegungen werden entweder mit dem gewöhn-
lichen Rythmus der Respiration oder auch, wenn man es
als nothwendig erachtet, mit einem rascheren , wechselweise
wiederholt. Bei diesem Vorgehen hört man das Individuum
ganz wie ein lebendiges athmen, so dass es scheint, als ob
dasselbe zum Leben erwacht wäre, obwohl es todt sein
kann; es ist daher unmöglich, dass es nicht zum Leben zu-
rückkehre, wenn ihm nur noch eine geringe Lebensfähig-
keit innewohnt.
Diese Methode von Pacini hat Aehnlichkeit mit jener,
welche von H. Silvester beschrieben wurde; derselbe hebt
XXII
die Arme des asphyktischen Individuums gegen den Kopf,
und übt auf diese Weise einen Zug auf die Brustmuskeln.
Dr. W. B. Bain hat die Pacini’sche Methode abgeän-
dert, indem er die Hände an die vordere Seite der Schulter
setzt, mit den Fingern in der Achselhöhle.
Der Vortragende theilt schliesslich mit, dass in London
eine Commission zusammengestellt wurde, um die drei eben
erwähnten Methoden zu prüfen, und dass aus den an Leichen
vorgenommenen Versuchen hervorging, dass, wenn der Zug
an den Schultern ausgeübt wird, eine grössere Menge Luft
in die Lungen eindringt, als wenn man den Zug an den Armen
oder Vorderarmen ausübt.
Prof. Heine erwähnt hierauf die Methode von Marshal
Hall, welche er für die beste hält. Sie besteht darin, dass
man die gestreckten Arme nach oben und dann gleichzeitig
nach aussen und hinten führt.
Prof. Hofmann erwähnt die Methode von Silvester,
welche darin besteht, dsss man die Arme am Ellbogen auf-
und über den Kopf hebt, er hält diese für die vorzüglich-
ste, dagegen die von Bain: Vor- und Rückwärtsbewegung
der Schultern und die von Marshall Hall, welche aber nach
ihm in der Umwälzung des Körpers von der Rückenlage in
die Brustlage bestehen soll, für schlechter, jedenfalls die
Pacinische für besser.
IV. Herr Karl von Dalla Torre hält einen Vor-
trag über die klimatischen Verhältnisse Innsbrucks mit be-
sonderer Rücksicht auf das Jahr 1870.
Im Eingang seines Vortrages erwähnt Herr Dalla
Torre, ‘dass meteorologische Beobachtungen schon seit 100
Jahren in Innsbruck angestellt werden.
Die Beobachtungen wurden im Jahre 1777 von Franz
v. Zallinger zum Thurm, Priester und öffentlichem Lehrer der
Mathematik in Innsbruck begonnen und bis zum Jahre 1829
fortgesetzt. Die täglich um 6 Uhr Früh und 6 Uhr Abends
angestellten Beobachtungen wurden mittelst eines Reisebaro-
meters von Brander und eines Universalthermometers ange-
XXII
stellt. Die Biographie dieses Mannes nebst seinen 52jährigen
Beobachtungen wurden vom Ausschusse des Ferdinandeum’s
in Innsbruck herausgegeben. Vom Jahre 1829 an veröffent-
lichte erst Prof. Suppan täglich meteorologische Beobachtungen
im Tirolerbothen. Hierauf folgte eine Zeit, in der Beob-
achter und leider auch Beobachtungsstunden rasch und oft
wechselten. Seit dem Jahre 1860 leitet die Beobachtungen
Prof. Kerner, und ausserdem befindet sich seit 1834 im
Kloster Wilten bei Innsbruck eine Beobachtungsstation.
Der Vortragende führte zunächst eine Tabelle der Tem-
peratur-Curve für das Jahr 1870 nach 5taégigen Mitteln vor.
Aus derselben geht ein rasches, entschiedenes Steigen bis zum
Maximum, ein verzögertes, langsames Sinken bis zum O-Punkt,
und ein wärmerer Frühling als Herbst hervor. Frosttage waren
im Jahre 1870 115 (1869—114.), Sommertage im Jahre 1870
40 (1869—26.) Der Sommer 1869 war also viel reicher
an Sommertagen, als der von 1870. Trotzdem war ersterer
im Mittel wärmer.
Der Vortragende macht ferner aufmerksam, dass es für
die Vegetation besonders wichtig ist, welche Summe von
Warmegraden bis zu einer gewissen Zeit erreicht ist. Addirt
man die über 0° stehenden Tagesmittel der verschiedenen
Monate zusammen, so ergibt sich Folgendes: Die Wärmesumme
betrug im Dezember 1869--2581°.2 R. im Jahre 1870
—+2510°.0 R. Ende März betrug sie im Jahre 1869-++159°.7,
1870-+-80°.2. Dem entsprechend blühte Pyrus communis 1869
am 1. April, 1870 am 16. April!
Eine zweite Tabelle, die der Vortragende vorzeigte, ver-
glich die Barometerstände, die Bewölkungs- und Nieder-
_ schlagsverhaltnisse mit den Mondesphasen im Jahre 1870.
Das Barometer stieg nach dem Vollmonde immer mit Aus-
nahme der Wintermonate, wo es nach demselben fällt.
Mit dem Vollmond oder doch bald nach demselben kamen
meist stärkere Niederschläge, allein fast %/, derselben fielen
auf andere Phasen ohne Auswahl. Im Frühling, Sommer
und Herbst folgten meist trübe Tage, im Winter heitere.
XXIV
Es lässt sich daher, soweit aus diesen Beobachtungen zu ent-
nehmen, keine Regel über das Zusammenfallen von Barometer-
und Witterungsveränderungen mit Mondesphasen ersehen, wie
sie im Volke angenommen wird.
Auf einer dritten Tabelle führte der Vortragende den
Schneestand vor. Auf der Abscisse wurden die Tage und
Monate verzeichnet, auf der Ordinate die absoluten Höhen
von 100 zu 100 Fuss. Mittelst solcher Tabellen hatte der
Vortragende die Schneegränze durch eine Curve verzeichnet.
Der Schnee legte sich im Thale im Dez. 1869 an und
blieb bis 11. Febr. 1870. Von da an zog sich die Gränze
allmählig und unter häufigen Schwankungen zurück, und er-
reichte den höchsten Punkt am 17. Aug. 1870, worauf das
Vorschreiten desselben wieder schnell und höchst unregel-
mässig vor sich ging. Am 11. Nov. waren Fluren und Wälder
schneebedeckt. Hierauf folgte ein Nachsommer , der Schnee
wich auf den südlichen Abhängen bis 5200’, auf den nörd-
lichen bis 4000’ in die Höhe; Mücken summten, Spinnen
woben und Aesculus Hypocastanum blühte zum zweitenmale.
Am 2. Dez. war der Schnee mit einem Male wieder im Thal.
Im Vergleiche mit früheren Jahren ergibt sich aus diesen
Sehneecurven für jedes Jahr in Innsbruck ein Vorfrühling und
Nachsommer.
Schluss der Sitzung halb 9 Uhr Abends.
XIV. Sitzung, den 8. November 1871.
Beginn der Sitzung 7'/, Uhr Abends.
I. Der Vorsitzende Prof. M. v. Vintschgau macht
bekannt, dass Herr Realschulprofessor Maresch seinen Aus-
tritt aus dem Vereine erklärt hat.
II. Eine von Herrn Dalla Torre überreichte Abhand-
lung wurde vom Herrn Prof. Dr. Pfaundler begutachtet
und für die Aufnahme in die Zeitschrift empfohlen.
XXV
IM. Herr Prof. Hofmann meldet dem Verein den Bei-:
tritt des Herrn Ritter von Schwind, k. k. Ministerialrathes
in Pension. |
IV. Herr Prof. Dr. M. v. Vintschgau führt ein neues
Experiment vor, wodurch die Art und Weise des Schlusses
der Atrioventricularklappen demonstrirt wird. Er zeigte zu-
erst den Schluss der Aortenklappen durch eine in die ab-
geschnittene Aorta eingefügte und mit Wasser gefüllte Glas-
röhre, ferner die Art und Weise, wie Valentin den
Schluss der Atrioventricularklappen demonstrirte, indem er
einen der Vorhöfe öffnete und in das entsprechende arte-
rielle Gefäss ein Rohr band, während der Ventrikel mit
Wasser angefüllt wird. Ahmt man nun mit der Hand die
Ventrikelcontractionen nach, so sieht man die Atrioventricu-
Jarklappen sich schliesen, und dass Wasser in der Röhre steigen.
Prof. Vintschgau hat diesen Versuch so abgeändert, dass er
nach Abtragung der beiden Vorhöfe und Unterbindung der Co-
ronar-Arterien die beiderseitigen Semilunarklappen zerstörte,
je ein Glasrohr in die arteriellen Gefässe band, und den durch
eine Wassersäule bewirkten Schluss der Mitralis und Tricu-
spidalis frei zur Anschauung brachte.
V. Herr Prof. Dr. Heine trägt vor über die nenesten
Behandlungsmethoden der: Gelenkskrankheiten in ihrer phy-
siologischen Bedeutung. Derselbe hebt Eingangs seines Vor-
trages hervor, dass man die Erfolge, die man heute bei der
Behandlung der Gelenkskrankheiten erzielt, nicht der rohen
Empirie verdanke, sondern hauptsächlich wissenschaftlichen
Studien über die Gelenke unter abnormen Verhältnissen, den
pathologisch-anatomischen, histologischen Untersuchungen, und
endlich dem Experimente. Der Vortragende will nicht von
allen Gelenkskrankheiten sprechen, sondern vorzüglich von
der Ent-ündung, und der aus ihr hervorgegangenen Anchy-
lose, da die Gesichtspunkte für die Therapie derselben bei
den meisten übrigen Gelenkskrankheiten mehr oder weniger,
ebenfalls in Rechnung kommen können. Von jeher war das
Hüftgelenk, als eines der freiesten und das schwerstzugängliche
XXVI
von allen, der Prüfstein der Methoden der Behandlung. Was
diese nun anbelangt, so kann man nicht eben sagen, dass
man in der neueren Zeit bloss neue Methoden erfunden habe,
sondern im Gegentheil, dass man häufig zu den alten zu-
rückkehrte, um sie in verbesserter Form wieder zu ver-
wenden.
Im Beginne dieses Jahrhunderts wurde die Gelenksent-
zündung bloss mit dem antiphlogistischen Apparat behandelt,
und eine Hauptrolle spielte dabei das Glüheisen. Da jedoch
die Winkelstellungen desshalb nicht ausblieben, wandte man
die ruhige Lagerung zur Behandlung der Entzündung an,
und strebte Beseitigung der Winkelstellung durch Extension
an. Man wollte durch Extension am Fusse und Contraex-
tension am Damme die Schiefstellung des Beckens beseitigen.
Diesem Verfahren kam man zu Hülfe durch die Durch-
schneidung der verkürzten Muskeln und Fascien.
Nach der Einführung der Chloroformnarkose wagte man
sich daran, dieselbe Procedur durch Reissen subeutan mit
einer gewissen Gewalt vorzunehmen, es entstand das brise-
ment force oder redressement brusque. Damit suchte man
die fehlerhafte Stellung zu beseitigen. Es galt nun die fol-
gende Entzündung zu bekämpfen, und diess suchte man durch
die absoluteste Ruhe, nämlich durch die unbewegliche Lage-
rung im Gypsverband zu erreichen. Allein gerade am Hüft-
gelenk hatte diess seine besondere Schwierigkeiten, die durch
keinen der bisher zur Immobilisirung dieses Gelenks ange-
wandten Gypsverbände mit einfachem Beckengürtel vollständig
überwunden wurden.
Der Vortragende versuchte zuerst im Jahre 1865
einen Verband anzulegen, der ausser dem ganzen Becken
auch das obere Drittel des gesunden Ober-Schenkels um-
fasste, wodurch die Unbeweglichkeit vollkommen erreicht
wurde. Diese Behandlung machte einen eigenen Appa-
rat nothwendig, auf dem der Kranke gelagert und durch
den sein Gelenk in der durch die Operation erzielten Stel-
lung erhalten werden konnte. Unter den verschiedenen Ap-
XXVII
paraten, die angegeben wurden, leisten die wenigsten das
Gewiinschte. Der Apparat, den Vortragender in Heidelberg
konstruirte und durch geraume Zeit anwandte, ist im Felde
und im Frieden an den schwersten Fallen erprobt. Der
Apparat besteht aus drei an Verbindungsstangen gegenein-
ander verschiebbaren Stativen, mit Fixationsplatten fir das
Kreuz, die Kniekehle und die Ferse, an welchen diese Theile
durch Tücher festgebunden werden. Ist eine Ein- oder Aus-
wärtsstellung des Beines erforderlich, so kann der ganze
Apparat in die derselben entsprechende Richtung gebracht
werden, indem man ihn um den Fixirungspunkt der Ver-
bindungsstange am Stativ der Beckenplatte dreht, und durch
seitlich gerichteten Zug eines um den Vorfuss geschlungenen
Tuches kann auch eine fehlerhafte Drehung des kranken
Beins korrigirt werden.
Dieser Apparat hat noch den Vorzug, dass er die Hilfe
von Assistenten entbehrlich macht, und sich auch für andere
Zwecke anwenden lässt. Zur Extension und Contraextension
bei Lagerung auf dem Apparat, verwendet der Vortragende
Heftpflasterstreifen. Andere bedeutende Chirurgen wollen nun
die Erfahrung gemacht haben, dass das brisement force und
der Gypsverband ihre Schuldigkeit nicht thun, und sie kehrten
daher zur älteren Methode der Extension zurück, welche mit
neuen Modificationen von Volkmann wieder: eingeführt wurde.
Volkmann wurde zu dieser Umkehr noch weiter veranlasst
durch die Beobachtung von Druckerscheinungen an den
knöchernen Bestandtheilen entzündeter Gelenke. Bei einer
Betheiligung der Gelenkenden an der Entzündung findet man
nämlich in Folge von Muskelkontraktion, von Schrumpfung
des mitentzündeten periartikulären Bindegewebes und der Ge-
lenkkapsel, an Stellen, wo die Gelenkenden gegeneinander-
gedrückt wurden einen Decubitus, von dem man jetzt den
Schmerz im Gelenke ableitet. Es galt nun diesen Druck
zu beseitigen, und dazu dient am besten dit Extensionsme-
thode, welche dabei im Gewande einer Distractionsme-
thode erscheint; durch diese soll auch immobilisirt und eine
XXVIII
vorhandene Beckenschiefstellung beseitigt werden. Volkmann
lässt die Extension, wie die Contraextension durch Gewichte
ausüben, wobei jedoch, die richtige Vertheilung der beiden in
einem gegebenen Falle vorausgesetzt, immer nur die Eleva-
tion oder die Senkung des Beckens, d. i. die Adduktions- oder
Abductionsstellung des Oberschenkels ausgeglichen werden
kann. Um den Zug zu seiner vollen Wirkung zu entfalten,
soll dem Beine eine Unterlage gegeben werden, auf der es
leicht gleitet, und der Druck des zur Extension verwandten
Verbandstiicks, durch Vermehrung der Angriffspunkte mög-
lichst vermindert werden. Das erreicht Volkmann durch
seinen Schlitten-Apparat. Er gibt indessen selbst zu, dass
eine Immobilisirung durch diese vervollkommnete Distraktions-
methode nicht vollständig erreicht werde. Er glaubt auch,
dass die Erhaltung eines gewissen Grades von Bewegung
bei der Behandlung der Gelenkanchylosen geradezu wünschens-
werth sei, indem man bei absoluter Ruhe an ganz gesunden
Gelenken, leichte Entzündungserscheinungen, als Folge der
Immobilisirung, auftreten sah. Der Vortragende will die Ex-
tension durch Gewichte keineswegs verdammen, nur will er
nicht gelten lassen, dass sie den Gypsverband überflüssig
mache, und ebensowenig zugeben, dass diese Methode die
Beckenschiefstellung zu beseitigen vermöge.
Die Bewegungen des Hüftgelenkes erfolgen um 5 Axen,
alle drei Bewegungsrichtungen kommen bei der pathognomo-
nischen Stellung des Beines in Betracht; neben der Eleva-
tion des Beckens, wie sie durch abnorme Adduktionsstellung
bedingt wird, kann es sich um einen fehlerhaften Drehungs-
und Beugungswinkel handeln, denen ebenfalls Rechnung zu
tragen ist, was bisher nicht geschah. Volkmann mass die
Beckenschiefstellung bloss durch einen T-förmigen Stab, dessen
horizontaler Theil an beide spinae ilii ant. sup. angelegt
wurde, wobei der senkrechte Theil jenes Stabes durch seine
Abweichung von der Medianlinie den Grad der Schiefstellung
angeben sollte. Dadurch lässt sich natürlich die fehlerhafte
Beckenstellung nicht in allen Componenten messen.
XXIX
Vortragender konstruirte daher einen Massstab (Coxan-
kylometer), der sich in einem Universalgelenke bewegt,
das einem Kugelgelenk nachgebildet ist, und an welchem
sich an dreierlei Bögen, die in den verschiedenen Axen vor-
genommenen Bewegungen, durch Zeiger ablesen lassen. Eine
Verbesserung wurde erst kürzlich an diesem Coxankylometer
angebracht, indem statt der Halbbögen, bloss Viertelbögen
verwendet wurden, die es möglich machen, dass das Instru-
ment sich völlig an den Trochanter anlegt, Sobald der
fehlerhafte Winkel gemessen ist, wird das brisement force
angewandt, wieder gemessen um zu sehen, was erreicht wurde,
und nun der Gypsverband angelegt. Dieser fixirt nun zwar
in der oben angegebenen Ausführung das bei dem brisement
force gewonnene Resultat, aber er distrahirt nicht. Man
findet freilich den Decubitus nicht an allen erkrankten Ge-
lenken, und daher kann man sich die Frage vorlegen, ob
in Fällen, wo der Knochen nicht selbst von der Entzündung
ergriffen ist, eine Distraction nöthig sei. Es lässt sich nem-
lich nicht gut einsehen, warum der Druck den die Knochen
bei Verkürzung der Muskeln oder Schrumpfung des Binde-
gewebes aufeinander ausüben, so schädlich sein soll. In
Fällen, wo die Gelenkshöhle und der Knochen nicht selbst
affizirt sind, ist die Distraction daher gewiss unnöthig.
Um Distraction undImmobilisirung zu verbinden,
konstruirt der Vortragende einen Gypsverband, der über den
Knöcheln oder oberhalb des Knie’s circular durchtrennt wird,
so dass er aus einem oberen und unteren Stücke besteht,
die durch eingegypste, eiserne Extensionsschienchen vermittelst
Schrauben voneinander entfernt werden können, so dass die
Gelenkenden des kranken Gelenkes distrahirt werden. Auf
diese Art ist das Gelenk fixirt und distrahirt zugleich. Die
Extension kann auf über zwei Zoll ausgedehnt werden.
Die Immobilisirung hat in den kranken Gelenken bei
langer Dauer gewisse Veränderungen zur Folge, als Schwel-
lung der Synovialhaut, Auflockerung des Knorpels und Bei-
mengung von Eiterzellen zur Synovia. Man findet in Folge
XXX
davon nach Abnahme langliegender Verbände, die Gelenke
in einem gewissen Reizzustande.
Menzel fand schon nach 12 Tagen bis zu einigen Wochen
der Immobilisation diese Veränderungen auch an gesunden Ge-
lenken von Hunden, nicht aber von Kaninchen. Man war
geneigt diese Veränderungen von der zu grossen Reizung des
Gelenkes bei den ersten Bewegungen abzuleiten.
Fröhlich meinte die Synovia ändere ihre Zusammen-
setzung und wirke reizend. Der Vortragende glaubt, dass
diese Veränderungen nur durch eine Art Entzündung her-
vorgerufen werden können, die eben wieder erklärt werden
müsse. Er glaubt, dass das plötzliche Aufhören des Druckes
nach Entfernung des Verbandes eine fluxionäre Hyperaemie
der Synovialhaut setze, in Folge deren jene entzündlichen Ver-
änderungen entstehen.
Was leichte Anchylosirungen anbelangt die im Gyps-
verband entstehen, so sind dieselben wie Menzel zeigte, stets '
nur von Schrumpfungen der Weichtheile herrührend, denn
nach Durchtrennung derselben sind die Gelenke vollkommen
beweglich. Dieser Anchylosirungen wegen, lässt auch der
Vortragende vor der definitiven Abnahme den Gypsverband
in der Gelenksgegend circulär durchtrennen, und in ver-
schiedenen Winkelstellungen fixirbare Schienchen eingypsen.
Durch passive Bewegungen werden die geschrumpften Weich-
theile an der Extensions- und der Flexionsseite gedehnt, und
die Schienchen in den extremen Stellungen fixirt. Durch
diesen Stellungswechsel mit folgender Fixation der Gelenke
wird jede weitere entzündliche Reizung vermieden.
Schluss der Sitzung 8°, Uhr.
XV. Sitzung, den 22. November 1871.
Beginn der Sitzung 7, Uhr Abends.
I. Herr Ministerialrath Ritter v. Schwind wird ein-
stimmig als Mitglied aufgenommen.
II. Der Vorsitzende theilt mehrere Tausch-Einlaufe mit:
XXXI
1) Med. chirurg. Rundschau, IV. Bds. 2. Heft.
2) Bullettino della societa entomologica Italiana anno III.
trimestre I. e I.
3) Jahrbuch der k. k. geolog. Reichsanstalt, Jahr-
gang 1871, Bd. XXI. Nr. 3.
Ill. Herr Josef v. Trentinaglia trägt vor über den
Gang der Temperatur in den ostrhatischen Alpen. Das Gebiet,
welches der Vortragende durchforschte, war bisher fast gänz-
lich in dieser Richtung noch unbeachtet; dasselbe erstreckt
sich von Landeck im Oberinnthale westlich durch das Patz-
naun, Rossanna- und Stanzerthal, bis zum Arlberg; und
zieht sich südlich bis zum Piz Albuin, der Granzspitze zwischen
der Schweiz, Tirol und Vorarlberg. Gemessen wurden die
Temperaturen von Luft und Wasser von 2000 bis über
10.000 Fuss. — Nach den Gebrüdern Schlagintweit fällt
die Temperatur bei einer Erhöhung von 166 M. — 500!
um 1° C. Dieses Mittel wurde in den Tauern, Oetzthaler-
und einem Theil der Schweizeralpen gefunden; es sinkt jedoch
in der Nähe gewaltiger Schnee- und Eismassen in einer
Höhe von 8000’ an. Eine Reihe von Messungen an ver-
schiedenen Spitzen ausgeführt zeigte dem Vortragenden, dass
in den Ostalpen das Mittel der Erhebung, bei der sich eine
Temperatursabnahme um 1° ©. bemerkbar macht, in einer
Höhe von 6000’ um 50’ (—-190’) geringer ist, als in den
Westalpen. In einer Höhe von 8—9000’ treten in den Mitteln
Oscillationen ein, deren Ursache dem Vortragenden unbe-
kannt sind.
Ein zweiter Gegenstand der Beobachtung waren Mes-
sungen der Lufttemperatur auf und in der Nähe von Schnee-
und Eisfeldern. Bezüglich der Temperatur in geringen Höhen
über dem Schnee, bestätigte der Vortragende im Allgemeinen
die Resultate der Gebrüder Schlagintweit von der Pasterze, der
Unterschied derTemperatur betrug '/,’ über demSchnee und 6’ über
demselben, um 8 Uhr Morgens am Jamthalergletscher 10.25
und um 1 Uhr Mittags 2%.2, am Vermunder-Gletscher 30.3
und 3°.6. Diese Temperatursunterschiede traten nur bei
XXXII
schénem Wetter auf, bei regnerischem konnte nie ein Tempe-
ratursunterschied beobachtet werden. Die mittlere Tempe-
ratur des Gletscherwindes stellte sich nach diesen Messungen
des Vortragenden um 2".3 höher heraus, als die von den
Gebriidern Schlagintweit angegebene.
In einer Entfernung von 100 Schritten vom Gletscher
oder Schneefelde, zeigte sich ebenfalls ein Temperatursunter-
schied, es wurde an drei Orten ein Unterschied im Mittel
von 1°.96 gefunden, über 100 Schritte hinaus verwischt sich
dieser Einfluss bald. Bei Gletschern war die Temperaturs-
erniedrigung innerhalb 100 Schritte jedoch bedeutender, als
bei Schneefeldern, und zwar um 1°.6 C. Diess macht sich
auch durch das Zurücktreten der Alpenflora bemerkbar. —
Ein drittes Objekt von Messungen waren die Temperaturen
von Quellen, Flüssen und Bächen. An dem kältesten Bache
des Fimberthales, mass der Vortragende die Temperatur an
der Quelle in einer Höhe von 5533’ zu verschiedenen Tages-
zeiten, und fand sie im Maximum 19.9 C. Messungen von
10 zu 10 Schritten, und später von 100 zu 100 ergaben
eine unregelmässige Wärmezunahme, für die keine genügende
Erklärung gefunden werden konnte, da der Boden durchaus
gleichartig war, und die Lufttemperatur nur um 0%.1—1°.0
schwankte. Mit Ausnahme einer einzigen Quelle über 8000’
fand der Vortragende bei einer mittleren Elevation von 5400’
das Mittel aus den Temperaturen der Quellen des ganzen
Gebietes 50.72C., also um 0°.47 geringer als in den Tauern,
während für die nördlichen Kalkalpen bei einer Höhe von
3—6000', die mittlere Quellentemperatur 5°.3 und für die
nördlichen Schweizeralpen 4° beträgt, woraus sich als Mittel
für die Centralalpen 50.22 ergibt. Im Mittel sinkt die Tem-
peratur der Quellen um 1° bei 1000’ Erhöhung.
Auf die Temperatur der Flüsse und Bäche übergehend,
bemerkt der Vortragende, dass an jenen Bächen, die ihren
Ursprung Gletschern verdanken, wie Inn, Trisanna , die
Temperatur in der Mitte des Baches um 0°.4 niedriger ist,
als an den Rändern.
XXXII
Die Temperatur der grössern Bäche erhöht sich nicht
nur durch die Insolation, sondern auch während der Nacht
durch den Contact mit der Luft, aber im geringeren Grade,
wie aus gleichzeitigen Messungen an der Ill, der Trisanna
u, dgl. m., bewiesen wurde.
Je grösser der Bach ist, und je weniger er Gletscher-
wasser mit sich führt, desto langsamer ist seine Erwärmung
im weiteren Verlauf, während Gletscherwasser schon nach
wenigen Stunden eine bedeutende Zunahme zeigen. So zeigte
der Klosterthalbach am Ursprung vom Gletscher 1° C., und
nach 6stündigem Laufe 30.7, also 1°.7 Zunahme, der Inn
von Tarasp bis Kufstein in einer Länge von 45 Stunden
eine Erwärmung von 30.55, also 00.47 auf 6 Stunden.
Von Seen sind im ganzen Gebiete nur drei kleine vor-
handen, die der Erwähnung werth sind; der grosse Vermundsee
hat eine Mitteltemperatur von 90,51, der kleine von 7°,
beide sind von einem Gletscherbache durchströmt. Der Scheid-
see, welcher von keinem Gletscher gespeist wird, hat 10°.
Die mittlere Temperatur dieser drei Seen beträgt also 90.8,
und zwar um 2°.8 mehr als die derer aus den Centralalpen.
— Im Ganzen geht aus allen diesen Messungen hervor, dass
die Temperatur der Gewässer eine viel höhere ist in den
Westalpen, als in den Ostalpen, allein das Sommermaximum
ist in den Westalpen viel tiefer.
Schluss der Sitzung 8%, Uhr Abends.
XVI. Sitzung, den 6. Dezember 1871.
Beginn der Sitzung 7, Uhr Abends.
I. Der Vorsitzende legt die eingelaufenen Druckschrif-
ten vor:
1) Leopoldina, Amtliches Organ der k. Leopoldino-
carolinischen deutschen Akademie der Naturforscher. Heft VII
Nr. 5, 6;
Naturw.-med. Verein, 1871. II. Hit. 9
XXXIV
II. Prof. Pfaundler wird vom Vorsitzenden Prof. v.
Vintschgau ersucht seinen Vortrag: „Ueber neue Appa-
rate zur Herstellung sehr intensiver Lichtquellen“, halten
zu wollen.
Prof. Pfaundler erörterte zunächst das steigende Be-
dürfniss nach intensiven Lichtquellen, welches durch die Ent-
deckung des elektrischen Lichtes, desshalb nicht befriedigt
worden ist, weil dasselbe zu theuer kommt, als dass es all-
gemein angewendet werden könnte. Er besprach sodann die
Entdeckung des Knallgaskalklichtes durch den engl. Marine-
offizier Drumond und die mannigfachen Versuche, dasselbe
als Strassenbeleuchtung einzuführen, sowie die Schwierigkei-
ten, welche sich. dabei entgegenstellten.
Hierauf beschrieb er das Licht von Tessie du Motay,
welches darauf beruht, dass in die Flamme eines mit kohlen-
stoffreichen Dämpfen beladenen Leuchtgases ein Strahl Sauer-
stoffgas eingeführt wird. Die Vor- und Nachtheile dieses
Verfahrens wurden ebenfalls dargelegt, und durch Experimente
illustrirt.
Dieser Gegenstand führte dann zur Besprechung der
interessanten Erscheinung der sogenannten reciproken 'Flam-
men, welche darauf beruht, dass Brennstoffe und Sauerstoff
ihre Stelle wechseln, indem z. B. die Flamme selbst von
letzterem gebildet wird, während die Umgebung aus Wasser-
stoff oder Leuchtgas besteht. Der Vortragende zeigte eine
solche Flamme vor.
Als nächstes Beleuchtungssystem kam nun die Carbo-
xygenlampe von Dr. D. Philipps zur Besprechung und
Vorzeigung. Ihre Lichtstärke wurde mittelst eines Bunsen’schen
Photometers mit der einer Stearinkerze verglichen, und circa
90mal so stark als die der letzteren gefunden. Den Schluss
des Vortrages ‚bildete die Beschreibung des Mallet’schen
Verfahrens zur fabrikmässigen Darstellung -sauerstoffreicher
Luft.
Die zu dem Vortrage gehörenden Zeichnungen und Ta-
bellen wurden mittelst einer Duboscy’schen Laterne, und
XXXV
mittelst Drumond’schen Lichtes auf eine weisse Wand projicirt,
wodurch zugleich die Verwendung dieses Lichtes zu Demon-
strationen ersichtlich gemacht wurde.
XVII. Sitzung, den 20. Dezember 1871.
Beginn der Sitzung 7'/, Uhr Abends.
I. Der Vorsitzende H. Prof. M. v. Vintschgau theilt
folgende Einläufe mit:
1) Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in
Bern aus den Jahren 1860, 61, 64, 65, 66, 67, 68, 69
und 70.
2) Verhandlungen der schweizerischen naturforschenden
Gesellschaft bei ihren Versammlungen aus den Jahren 1860
bis 1869.
3. Lotos, Zeitschrift für Naturwissenschaften, herausge-
geben vom naturhistor. Vereine „Lotos* in Prag, 20. Jahr-
gang 1870.
4) Medizinisch-chirurg. Rundschau, Dezemberheft 1871.
5) Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt,
Jahrgang 1870, Nr. 15.
II. Der Vorsitzende legt das I. Heft des II. Jahrganges
der Berichte des naturwissenschaftlich - medizinischen Ver-
eins vor.
Il. Der Vorsitzende verliest eine Zuschrift der Senken-
bergischen naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt a/M.,
welche den Empfang der zum Tausche eingesandten Hefte
der Berichte des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereins
meldet, und sich bereit erklärt, ihren Bericht pro 1870/71
zu senden.
IV. Die Herren Dr. Peplar und Dr. Elsler melden
ihren Austritt aus dem Vereine.
V. Der Vorsitzende verliest eine Zuschrift vom Vereine
der prakt. Aerzte Oberösterreichs, in welcher dem hiesigen
Vereine mitgetheilt wird, dass ersterer in der General-Ver-
9 4
XXXVI
sammlung am 9. Sept. 1871 beschlossen habe, eine Petition an
den hohen Landtag zu richten, dahin lautend, dass bei Verhand-
lungsfragen über Sanitäts- Angelegenheiten das Gutachten der
ärztlichen Vereine eingeholt werde, ferner beim hohen Reichs-
tage zu petitioniren, dass die ärztlichen Vereine, ähnlich wie
die Handelskammern, durch Delegirte, die die Vereine aus
ihrer Mitte wählen, bei dem Landtage und dem Reichsrathe
vertreten werden.
Herr Statthaltereirath v. Barth stellt den Antrag, dass
diese Zuschrift des Vereines der Aerzte Oberösterreichs per
circulandum den in Innsbruck wohnenden Mitgliedern bekannt
gegeben werde.
Dieser Antrag wird einstimmig angenommen.
VI. Prof. M. v. Vintschgau macht eine kurze Mit-
theilung über die eiweissstoffführenden Zellen der Gerstenkör-
ner, und zeigt die betreffenden Präparate vor. Der Vortrag
wird im Berichte des Vereines erscheinen.
VII. Prof. A. Kerner legt dem Vereine mehrere neue Arten
Brombeeren vor, deren Diagnosen und Beschreibungen in diesen
Blättern erscheinen werden. Hierauf hält derselbe den nach-
folgenden unter dem Titel: „Unter Schnee und Eis“ angekün-
digten, von Herrn A. Zimmeter stenographirten Vortrag:
„Ich knüpfe an einen Vortrag an, den ich hier im
verflossenen Jahre über die Flora des Himalaja im Ver-
gleiche zu der unserer Hochgebirge, und des arktischen Nor-
dens gehalten habe. Ich habe damals nachgewiesen, dass
die in botanischen Werken so sehr verbreitete Anschauung,
dass die arktische Flora mit unserer Hochalpen-Flora, als
nahezu identisch angesehen werden könne, ganz und gar
unrichtig ist; es bestehen gewisse Analogien, aber es ist
gewiss unberechtigt, diese Floren miteinander zu identificiren.
In ähnlicher Weise ist auch die Angabe, die man so
sehr verbreitet findet, dass die klimatischen Verhältnisse des
hohen Nordens mit denen unserer Hochgebirge die grösste
Aehnlichkeit besitzen, als unrichtig zu bezeichnen.
Man kennt die klimatischen Verhältnisse des hohen Nor-
XXXVI
dens, wenigstens was den Sommer anbelangt, ziemlich lange,
man weiss, dass sich der arktische Sommer dadurch aus-
zeichnet, dass er niemals von Frösten und Schneefällen unter-
brochen wird; in unsern Hochgebirgen aber sind bekanntlich
Schneefälle und Fröste in den Sommermonaten eine gewöhn-
liche Erscheinung. Im Sommer ist die Witterung bei uns
sehr unbeständig, im arktischen Norden, wo die Sonne im
Sommer nie untergeht, kommt es niemals mehr zu Frösten,
wenn einmal die Mitteltemperatur des Tages über 0° ge-
stiegen ist.
Die Erwärmung erfolgt dann verhältnissmässig sehr rasch
und in 8 Tagen ist gewöhnlich, nachdem einmal die Mittel-
temperatur über 0° gestiegen ist, der Boden schneefrei; ge-
waltige Giessbäche stürzen über den noch gefrorenen Boden
hin, und erwärmen so die oberflächlichsten Schichten; es
sprosst in kürzester Zeit eine üppige Vegetation hervor, und
man zählt nicht weniger als 124 Arten von Blüthen-Pflanzen.
Im kurzbemessenen Sommer kommen dann die Eskimo’s mit
ihren Rennthierheerden in die nördlicheren Gebiete, und mit
ihnen jene Mückenschwärme, die alle arktischen Reisenden als
so ausserordentlich lästig schildern. Ueber diesen Sommer baben
wir schon lange ziemlich genaue Aufschlüsse, weniger wusste
man bisher über den Winter des arktischen Nordens. Wir
haben über diesen Winter zuerst Aufschlüsse bekommen durch
die Expedition von Kane, deren Mitglieder allerdings unfreiwillig
2 Winterim hohenNorden zubringen mussten, dasie bekanntlich
bei der Expedition zur Aufsuchung Franklins eingefroren waren.
Wenn wir schon die Ausdauer bewundern müssen, mit welcher
diese im hohen Norden eingefrorenen Männer trotz der ge-
ringen Aussicht jemals wieder in ihre Heimath zurückzu-
kommen, dennoch wissenschaftliche Beobachtungen machten,
so müssen wir jedenfalls eine noch weit grössere Bewunderung
einem Manne zollen, dessen Reise weniger im Publikum be-
kannt geworden ist; ich meine v. Middendorf, der schon vor
2 Dezennien von Wissensdurst getrieben eine Expedition in
den hohen Norden allein ausführte, um dort meteorologische
XXXVI
und andere naturwissenschaftliche Studien auszuführen. Er
schiffte den Taymur-Fluss entlang, und gelangte über den
76. Grad nördl. Breite hinaus, und blieb dann unter dem
75.9 fast den ganzen Winter im Schnee vergraben.
Aus den Beobachtungen dieses Mannes nun entnehme
ich folgende Daten über den arktischen Winter. Am 20. Aug.
stand die Tagestemperatur zum ersten Male unter 0,0 Sie
erhob sich von da an nicht mehr über den Gefrierpunkt bis
zum 8. Juni des folgenden Jahres; schon im September zeigte
sich eine Kälte von 19° R. (bei allen Thermometerangaben
sind Grade nach Reaumur gemeint.). In der arktischen Winter-
nacht fiel das Thermometer bis auf — 40°, Kane beobach-
tete sogar — 43°.5 und Mac Clure — 47°.
Diese Daten geben ein recht anschauliches Bild über
die enormen Kältegrade, die im hohen Norden im Winter
beobachtet werden. Die Menge des Schnee’s ist dabei ver-
hältnissmässig gering. Kane beobachtete 8 Schuh Schnee-
höhe und Middendorf erzählt, dass weite Strecken ganz
schneefrei geblieben seien, allerdings Strecken, von welchen
der Wind den Staubschnee in muldenförmige Vertiefungen
hinweggepeitscht hatte.
Vergleichen wir nun mit diesen klimatischen Verhält-
nissen des Nordens, die klimatischen Verhältnisse unserer
Alpenregion! Ich erwähnte schon früher, dass der Sommer
in der Alpenregion eine äusserst unbeständige Witterung
zeige, dass in jedem Monate Schneefälle vorkommen, Fröste
eintreten, dass also der alpine Sommer im Vergleiche zum
arktischen Sommer ein ungünstiger genannt werden muss.
Man möchte nun denken, wenn schon der Sommer sich
so ungünstig im Verhältniss zum hohen Norden zeigt, wie
mag es sich erst im Winter ausnehmen; welche enormen
Kältegrade mögen auf den höchsten Kuppen unserer Alpen
im Winter herrschen? Um diese Frage aufzuhellen, unter-
nahm es der bekannte Schweizer Gletscherforscher Dollfuss
ein kleines Steinhäuschen auf dem Matterhorn zu einer me-
teorologischen Station einzurichten. Es liegt dieses Häus-
XXXIX
chen 10564 Wiener Fuss iiber dem Meere, also 309, Fuss
höher, als die Spitze unseres Habicht; Dollfuss bewog drei
Männer, nämlich Melchior und Jakob Blattner aus Meyringen
und Gorret aus Val Tournanche, ein ganzes Jahr über
in dem Steinhäuschen zu verbleiben und meteorologische Be-
obachtungen auszuführen. Es wurde dort täglich 11mal ab-
gelesen und wurden die Verhältnisse des Luftdruckes, der
Feuchtigkeit, Wärme u. s. f. auf das genaueste bestimmt.
Was den Sommer anbelangt, so ergab sich das Resul-
tat, dass er, wie vorauszusetzen war, eine sehr geringe Mittel-
temperatur zeigt. Der wärmste Monat war der Juli und
hatte eine Mitteltemperatur von + 0°.8. Ich habe mir auch
die Temperatur desselben Monates aus arktischen Stationen
notirt und führe dieselbe des Vergleiches wegen hier an.
Dieselbe stellt sich in Nowaia Semlja, unter 731, Grad
nördlicher Breite auf 4°.7 und im Renslaer Hafen in Grön-
land unter dem 78. Grad nördlicher Breite auf + 30,9, ist
also im arktischen Gebiete bedeutend höher, als auf dem
Matterhorn.
Wie sieht es nun im Winter am Matterhorn aus? Die
Antwort hierauf geben einige Notizen, die ich aus dem me-
teorologischen Journal der früher genannten Matterhorn-
Beobachter entnommen habe. Sie schrieben anfangs Dezember:
„Während eines starken Windes erwärmt die Sonne die
Luft kaum fühlbar. Zur Zeit völliger Windstille sind die
Sonnenstrahlen aber sehr kräftige, wärmer als in der Ebene.
Wenn die Lufttemperatur im Schatten niedrig war, sassen wir
im vollen Sonnenschein vor der Hütte und rauchten wie die
Türken.* — Am 18. Dezember: „Man kann sagen, es ist ein
wahrer Sommertag gewesen; wir haben die Röcke ausge-
zogen, und neben uns ist der Schnee geschmolzen.” Am
21. Dezember : „Bei einem so schönen Wintertage wird man
hier oben ganz jung“!
So geht es fort: die Beobachter werden nicht müde,
ihr Erstaunen und Bewundern über die klimatischen Ver-
hältnisse in dieser Höhe auszudrücken,
XL
Einige andere Daten, die von Interesse sein dürften, sind
folgende: die Temperatur sank nur an wenigen Tagen auf 16°
Kälte. Die tiefste im ganzen Winter beobachtete Temperatur
war — 17°, wobei zu bemerken ist, dass diese kälteste
Zeit erst im März eintrat, dass sich da also ein alter Er-
fahrungssatz unserer Bauern bestätigte, dass die grösste
Kälte vor dem Februar in den Tiefen, nach dem Februar
aber in den Höhen sich einstellt. Uebrigens überrascht uns
im allgemeinen diese verhältnissmässig so geringe Kälte
von — 17°. Wir finden ja z. B. iu Genf als Minimum, das im
Jahre 1828 beobachtet wurde — 20°; dasselbe Minimum
in Wien im 50Oger Jahre; in Klagenfurt — 24°.5, und in
Innsbruck am 30. Dezember 1788 — 25°. — Es wäre
kühn zu behaupten, dass die Temperaturen, welche die Mat-
terhorn-Beobachter notirten, als die allein massgebenden an-
zusehen seien, und dass man von jenen einem Winter, einen
Schluss ziehen dürfe auf alle folgenden; jedenfalls aber geht
aus ihnen hervor, dass die Wintertemperatur in unseren
Hochalpen weit geringer ist, als die, welche im arktischen
Norden angetroffen wird. Es wird diess auch theilweise be-
stätiget durch einige Daten, welche von den Mitgliedern des
Alpine-Club gewonnen wurden, die in verschiedenen Höhen
an geschützten Stellen Minimum - Thermometer ausgestellt
hatten. Auch diese Thermometer zeigten nämlich, dass in
der Regel in den Höhen von 10.000 Fuss das Minimum
sich auf — 16° stellt, nur an einigen Punkten auf — 21°,
Die tiefste Temperatur, die man am Stilfserjoch innerhalb
4 Jahren beobachtete, beträgt auch nur — 23°.
Wie mässig sind aber alle diese Kältegrade unseres
Hochalpenwinters im Vergleiche zu jenen furchtbaren Kälte-
graden, die im arktischen Norden auftreten, unter deren
Einfluss die Hunde Kane’s närrisch geworden sind!
Unsere Matterhorn-Beobachter erzählen, dass sie aller-
dings manchmal meinten, es sei der jüngste Tag gekommen,
besonders dann, wenn es anfıng den Hochschnee über die
Hütte zu wirbeln. Sie waren manchmal vollständig einge-
XLI
schneit, dann kamen aber wieder heftige Windstösse, die den
lockern Schnee wegfegten.
Der Schnee in jenen höheren Regionen ist von dem Schnee,
der in den Tiefen vorkommt, wesentlich verschieden; er ist
nämlich staubartig; im Winter fällt dort niemals flockiger Schnee.
Es ist auch schwierig an diesen hochgelegenen Punkten die
Schneemenge zu messen. Man weiss nicht, was von oben
und was von unten kommt, und man kommt mit den In-
strumenten nicht mehr zurecht. Die Schneetiefe ist darum
auch ausserordentlich ungleich; in den muldenförmigen Ver-
tiefungen speichert sich der Schnee mässig auf, auf gewölbten
Höhen bleibt er nur in geringer Menge liegen. Vor der
Hütte lag im Durchschnitt 8 Schuh tief Schnee. Das ist
verhältnissmässig eine geringe Schneehöhe, namentlich gering,
wenn man die Angaben vergleicht, die wir über die Höhe
des Schnee’s auf den Alpenpässen der Schweiz haben, z. B.
Bernhard, Gotthard, Simplon u. s. w., wo der Schnee 5—6
Klafter hoch sich aufschichtet.
Ich muss es dahingestellt sein lassen, ob diese geringe
Schneehöhe bei 10.000 Fuss auf Rechnung des Umstandes
kommt, dass die Dunstmenge in der Atmosphäre im Winter
dort eine geringe ist. Es ist nämlich nachgewiesen eben aus
diesen Beobachtungen am Matterhorn, dass dort die Dunst-
menge allerdings eine. ausserordentlich geringe ist. Es wäre
also denkbar, dass die Matterhorn - Station in einer Region
liegt, wo die Niederschlagsmenge schon abnimmt; soviel aber
ist gewiss, dass in der Höhenregion von 8—9000 Fuss die
Schneemenge eine ausserordentliche ist, nicht bloss in der
Schweiz, sondern auch in den Gebirgen um Innsbruck. Der
Pächter von Kühtei, eines bekannten Hofes, der am Ueber-
gange zwischen Sellrain und Oetzthal liegt, erzählte mir,
dass alljährlich der Schnee um das Haus herum wenig-
stens 3 Klafter hoch liege. Um zu ebener Erde Licht zu
bekommen, müssen die Leute Schneefänge ausschaufeln, und
um in den etwa 20 Sehritte vom Hause entfernten Stall zu
XLII
kommen, graben sie sich durch den Schnee einen Tunell, der
dann erst im März zusammenbricht.
Es ist gerade übermorgen 10 Jahre, dass ich selbst
eine Winter-Exkursion auf die hohe Salve ausführte, in Be-
gleitung des hiesigen botanischen Gärtners Herrn Zimmeter
und zweier Bauern von Brixen. Nachdem wir die Holzgränze
überschritten hatten, war die“ Schneemenge wenigstens um
das 3fache grösser, als sie sich im Thale gezeigt hatte.
Wir kamen bei einer Sennhütte vorbei, und von ihr
ragte nur der Giebel aus dem Schnee hervor. Ein Stall, der
neben ihr sich befand, erschien uns nur als schwache Wöl-
bung, die im Schnee kaum angedeutet war. Es wäre, wegen
der Tiefe des Schnees, die ich dort beiläufig auf 3 Klafter
schäzte, kaum möglich gewesen, weiter zu kommen, wenn
nicht ein eigenthümlicher Umstand uns zu Statten gekommen
wäre. Nach jedem Schneefalle wirkt nämlich die Insolation
an hellen Wintertagen ausserordentlich kräftig und veran-
lasst bald eine Krustenbildung über den Schneeschichten.
Wenn die Insolation wochenlang anhält, so wird die Kruste
so dick, dass sie einen ganz gut trägt. Die obersten Schich-
ten waren nun allerdings nicht mit dieser Kruste überzogen,
aber in einer Tiefe von anderthalb Fuss war eine bedeutende
Kruste, in die wir nicht mehr einbrachen und in die wir
nur mittels des Bergstockes tiefer einzudringen vermochten.
Auf der Kuppe des Berges angekommen glaubte ich fast die
Excursion gescheitert; wir sahen nämlich das Häuschen, das
auf der Kuppe sich befindet, nicht. Es war ein kolossaler
Schneehaufe davor und erst als wir auf diesen hinaufge-
klettert waren, sahen wir, dass das Häuschen nicht ganz im
Schnee vergraben, und dass glücklicherweise gerade der Platz
vor der Thüre schneefrei war. Diese Schneeschichte mochte
allerdings durch Anwehung vermehrt gewesen sein; sie be-
trug über 4 Klafter.
Daraus geht also hervor, dass in der Höhen-Region
zwischen der Baumgrenze und 7—8000 Fuss die Schnee-
masse ausserordentlich ist.
XL
Eine Frage, die jeden Botaniker und Zoologen gewiss
sehr interessirt, ist die, wie sich wohl die Wärmeverhält-
nisse, welche für die Biologie der Thiere und Pflanzen von
grösster Wichtigkeit sind, unter diesen Schneemassen ge-
stalten.
Ueber diese Wärmeverhältnisse ist uns nun, was den
arktischen Norden anlangt, durch Untersuchungen v. Midden-
dorf’s und Kane’s eine ganze Reihe von interessanten Daten
bekannt geworden. — Eine der wichtigsten Erscheinungen im
hohen Norden ist jedenfalls die, dass sich von den Küsten
des weissen Meeres bis zum ochotzkischen Meere der Boden
bis in bedeutende Tiefen fest gefroren zeigt; es ist diess das
sogenannte Grundeis oder unterirdische, sibirische Eis. An
der Mündung der Petschora beträgt die Tiefe des unterirdi-
schen Eises 50, am Ob 400 Fuss und an der Lena wurde
sie sogar durch Bohrversuche mit 670 Fuss bestimmt. Dass
in einem solchen Boden keine Quellen vorkommen, versteht
sich von selbst; wenn im Frühlinge der Schnee schmilzt,
fliesst das Wasser oberflächlich ab, aber Quellen entspringen
dori nie.
Es ist nun höchst interessant zu wissen, wie sich dieses
Grundeis im Sommer verhält, ob es im Sommer aufschmilzt
oder nicht. Trotz der verhältnissmässig nicht unbedeutenden
Wärme, die den arktischen Sommer auszeichnet, ist die Tiefe
bis zu der das Eis aufschmilzt eine verhältnissmässig sehr
geringe. Middendorf fand, dass im Taymur-Lande, speziell
am Taymursee an den günstigsten Stellen Anfangs August
der Boden nur bis zu 14” aufgethaut war, an schattigen
Stellen nur bis zu 2”; und in dieser aufgethauten Schichte
wuchs doch eine üppige Vegetation! Die Wurzeln reichten
genau so weit, als das Eis im Sommer aufthaute, und das
Eis vergleicht v. Midderdorf mit einem Felsen, den die Wur-
zeln nicht weiter durchdringen können.
Von einem solchen Grundeise wissen wir in unsern
Alpen nichts. Wir kennen Quellen noch bis zu 9000 Fuss;
ob sie alle das ganze Jahr über fliessen, vermag ich nicht zu
XLIV
entscheiden, wenigsteus nicht, was die héchstgelegenen Quellen
zwischen 8000 und 9000 Fuss anlangt; soviel aber ist ge-
wiss, dass bei 7000 Fuss auch im Winter die Quellen noch
lustig hervorsprudeln.
Ich will die Parallele weiter ziehen und fragen, wie
sich im Vergleiche zum arktischen Gebiete die Temperaturs-
verhaltnisse des Bodens in unsern Hochgebirgen verhalten.
Dariiber liegt bisher so gut wie gar nichts vor. Sonder-
barer Weise wurde es auch am Matterhorn versäumt, darüber
Beobachtungen anzustellen.
Da nun aber gerade diese Verkällnisse für die orga-
nische unter dem Winterschnee begrabene Welt von grösster
Wichtigkeit sind, so habe ich es selbst unternommen, einige
dahin abzielende Fragen zu lösen. Ich versuchte diese Lö-
sung dadurch anzubahnen, dass einige Quellen in unsern
Hochgebirgen um Innsbruck monatlich gemessen wurden;
ebenso habe ich von 1000 zu 1000 Fuss Minimum-Thermo-
meter eingegraben. Was die Quellen anlangt, so wurden
besonders 2 auf’s Korn genommen, eine an der Nordseite
des Hafele-Kar bei 7300 Fuss und eine zweite an der west-
lichen Abdachung des Patscherkofels über 6000 Fuss. Was
erstere anlangt, die durch ihre Kälte berühmte Quelle am
Hafelekar, so stellte sich bald heraus, dass sie nicht weiter
zu Untersuchungen zu verwenden war. Im Oktober hörte sie
nämlich auf zu fliessen. Sie hat im Sommer nur 09.5 und der
Umstand, dass sich in nächster Nähe Schneelager bis in den
Hochsommer hinaus erhalten, liess mich annehmen, dass
sie durch Schuttland abfliessendes Schneewasser sei. Sie
musste aufgegeben werden.
Ich muss hier einschalten, dass ich bei diesen Unter-
suchungen mich der Beihülfe eines der Lehramtskandidaten:
Peter Kammerer erfreute, der sich die Sache sehr angelegen
sein liess und diese mühsamen Untersuchungen mit durch-
führen half. Es war nun vorzüglich auf die Quelle am Patscher-
kofel abgesehen und wurde nun die Temperatur dieser Quelle
auch im Winter monatlich gemessen. Es stellte sich da
XLV
heraus, dass der Gang der Temperatur dieser Quelle von
dem Gange den die Temperaturen der Thalquellen beobachten
lassen, wesentlich abweicht. Die Quellen in den Thälern
zeigen die tiefste Temperatur fast alle im März, während die
höchste Temperatur regelmässig im September eintritt. Sowohl
Maximum, wie Minimum waren aber beider Patscherkofelquelle
verschoben; das Minimum trat erst nach dem Schneeschmelzen
in der zweiten Hälfte Mai ein, und das Maximum stellte
sich im Oktober ein. Es ist also das Maximum und Minimum
auch nicht gleichmässig verschoben. Während bei den Thal-
quellen die Temperatur vom März an durch 6 Monate steigt
und eine gleiche Zeit hindurch fällt, stellt sich hier heraus,
dass die Temperatur 5 Monate lang im Steigen und 7 Mo-
nate im Abnehmen begriffen ist. Das Minimum in der
2. Hälfte Mai war 2°.4, das Maximum 3°.6.
Durch Berechnung der Angaben, welche die von 1000 zu
1000 Fuss eingegrabenen Maximum- und Minimum-Thermo-
meter lieferten, stellte sich auch heraus, dass die mittlere
jährliche Bodentemperatur mit zunehmender Seehöhe in ganz
anderem Verhältnisse abnimmt, als die mittlere jährliche Luft-
temperatur. Ich habe die betreffenden Zahlen zusammengestellt
und es ergab sich, dass bei einer Höhe von 3000’, für welche ich
die Lufttemperatur mit 6°.2 bestimmte, die Bodentemperatur um
10.5 höher war. Bei 4000’ war die Bodentemperatur 4°.8 und
um 1°.6 höher als die Lufttemperatur derselben Höhe. Bei
5000’ war die mittlere Bodentemperatur 4°.1 und um 2°.4
höher als die Lufttemperatur. Bei 6000’ war sie 30.50 und
3° höher, bei 7000 Fuss 2°.6 und 3°.6 höher als die Luft-
temperatur der gleichen Höhe. Es stellte sich also heraus,
dass mit zunehmender Höhe die Bodentemperatur verhält-
nissmässig weit höher ist als die Lufttemperatur. — Die
Minimum-Thermometer gaben auch darüber Aufschluss: wie
tief der Boden in der Hochalpen-Region gefriert. Es stellte
sich heraus, dass in der Seehöhe von 6—7000 Fuss der-
selbe nicht tiefer als 60 Centimeter, also nahezu 2 Fuss
einfriert. In der Tiefe von 1 Fuss zeigte das Minimum-
XLVI
Thermometer in der Höhe von 7000 Fuss — 59.3; in der
Tiefe von 65 Centimeter, also circa 2 Fuss zeigte dort das-
selbe dagegen 0°.1 Hier war also der Boden nicht mehr
gefroren und man kann also im Mittel etwa 60 Centi-
meter als die Tiefe aunehmen, in welcher in einer Höhe von
7000 Fuss bei uns der Boden einfriert.
Für die Pflanzenwelt ist das von grosser Wichtigkeit.
Ich habe Bestimmungen vorgenommen über die Länge der
Wurzeln unserer Alpenpflanzen; die tiefstgehenden Wurzeln
zeigen einige Alsineen, deren Länge ich = '% Meter, d. i.
also 114 Fuss fand. Daraus ergibt sich, wenn wir diess zu-
sammenhalten mit der Tiefe, bis zu welcher der Boden einfriert,
dass unsere Alpenpflanzen „von der Wurzel bis zum Gipfel“
im Verlaufe des Winters vollständig gefrieren müssen.
Es gibt mir das auch Veranlassung über das Gefrieren
der Pflanzen einige Bemerkungen zu machen. Man hat in
früheren Zeiten gemeint, dass die Pflanzen eine gewisse
Eigenwärme haben, mit deren Hilfe sie dem Einflusse der
Kälte zu widerstehen im Stande seien. Diese Idee ist längst
aufgegeben worden. Man hat gefunden, dass in der That
die Pflanzen, wenn sie einer gewissen Temperatur unter 0°
ausgesetzt sind, vollständig gefrieren. Es fragt sich also,
ob sie dabei auch erfrieren, d. h. ob sie durch das Ge-
frieren getödtet werden. Die ersten Untersuchungen, die
darüber angestellt wurden, verdanken wir einem Franzosen
Senebier. Er sagte, es friere der Zellsaft gerade so, wie
das Wasser in einer Glasflasche, er dehne sich dann ent-
sprechend dem bekannten Verhältnisse bei dem Gefrieren
aus und es werde dadurch die Zellhaut gerade so gesprengt,
wie die Glasflasche. Dadurch würde die Pflanze nicht mehr
im Stande sein, weiter zu vegetiren. — Das wurde durch
eine geraume Zeit von Jahren fest geglaubt; es fiel keinem
ein, weitere Untersuchungen zu machen. Erst in den Drei-
siger Jahren wurden von Göppert einschlägige Untersuehungen
wieder in Angriff! genommen.
Géppert wies nach, dass von einem solchen Zerreissen
XLVI
nichts zu sehen sei, dass die Zellhaut nicht zerrissen werde.
Er fand, dass gewisse Pflanzen allerdings vernichtet werden,
andere dagegen nicht. Damals spuckten aber noch die natur-
philosophischen Ideen in den Köpfen der Naturforscher und
Göppert erklärte sich dieses „Getödtet werden“ der Pflanzen
so, dass er sagte, es werde die „Lebenskraft* zuerst ge-
tödtet und in Folge dieser Vernichtung der Lebenskraft tre-
ten dann die chemischen Prozesse der Verwesung in ihre
Rechte.
Im Jahre 1857 erschien eine fleisige Arbeit des Giessner
Professors Hoffmann über dasselbe Thema; auch er wies
nach, dass ein Zerreissen der Zellhäute nicht stattfinde, er-
klärte aber die ganze Erscheinung in der Weise, dass er
annahm, die Zellhaut habe eine gewisse Elastizität, die für
jede Pflanzenart eine bestimmte sei. Diese Elastizität könne
nun überschritten werden, die Zellen können über ein ge-
wisses Maass ausgedehnt werden und dann höre die Elastizität
auf, ähnlich so wie an einem Kautschuk, den man über ein
gewisses Maass hinaus zerrt und der dann in dieser Lage
verbleibt.
In neuester Zeit nun hat man die Frage neuerlich in
Angriff genommen; besonders war es Professor Sachs, der
das Gefrieren auf das sorgfältigste studierte. Ich will nicht
zu weitschweifig werden und beschränke mich darauf hervor-
zuheben, dass es nach seinen Untersuchungen Störungen der
Molekular-Verhältnisse der Pflanzen-Zellen sind, die da mass-
gebend werden.
Die einzelnen Moleküle müssen wir uns mit Wasser-
hüllen umgeben denken und dieses Wasser wird durch das
Gefrieren affizirt, es gefriert, es wird von den festen Theilen
getrennt, und es frägt sich, ob das Aufthauen langsam oder
rasch erfolgt. Erfolgt es langsam, dann kann das Wasser
ebenso langsam, wie es früher auskristallisirte, sich wieder
mit den festen Theilen verbinden; wenn das Aufthauen aber
sehr rasch geschieht, so fliesst Wasser in die Intercellular-
räume ab, es können sich dann die normalen Imbibitions-
XLVI
verhältnisse und Spannungsverhältnisse nicht wieder her-
stellen und die Pflanze geht zu Grunde. Dadurch erklärt
sich, dass es gelingt, Pflanzen, die langsam aufthauen, zu
retten, während rasch aufthauende zu Grunde gehen.
Es kommt nun noch die Frage in Betracht, wie sich
die Thiere bei dieser Temperatur im der Alpenregion verhalten
mögen. Ich habe vor einigen Jahren Untersuchungen über
eine Alge angestellt, nämlich über Haematococcus pluvialis,
der sich besonders häufig in den kleinen Marmorbecken der
Denkmäler auf unseren Friedhöfen findet. In diesen Marmor-
becken sammelt sich Wasser, das im Herbste bis auf den Grund
gefriert. Ich nahm solches Eis mit nach Hause, liess es
aufthauen und die Algen hatten nicht gelitten. Neben diesen
Algen fanden sich aber auch kleine Räderthierchen , beson-
ders eines, das bei uns häufig vorkommt, Roseola alpina.
Dieses Räderthierchen liess, kaum aufgethaut, seine Räder
wieder lustig spielen, hatte also durch das Einfrieren nicht
gelitten. Ebensowenig leiden Schnecken durch’s Gefrieren.
Herr Gremblich, ein anwesendes Mitglied unseres Vereines
hat Schnecken aus dem gefrorenen Boden ausgegraben und
die Temperatur an dieser Stelle, wo sie sich durch lange
Zeit befunden hatten, gemessen, welche 4—5° unter 0 be-
trug, er hat sie dann erwärmt, und sie deckelten sich in
kürzester Zeit ab, und zeigten sich alle lebend.
Nicht weniger als 23 Arten wurden untersucht und
nachgewiesen, dass sie alle sofort lebten. — Im verflossenen
Sommer besuchte ich einen der Gipfel der Stubaiergruppe,
den Feuerstein, der mitten aus dem Stubaier-Eismeer empor-
ragt. Dort fand ich mehrere Spinnen, die jedenfalls im
Winter die Reise in die Tiefe nicht antreten können, die
also oben gewiss überwintern, die auch nicht die Fähigkeit
haben in bedeutende Tiefen sich einzugraben, also gewiss den
langen Winter über gefroren bleiben, und dennoch nicht zu
Grunde gehen. Ein anderer Beobachter O. F. Müller erzählt,
dass er einige Käfer: Ditiscus-Arten gefrieren liess; nach dem
Aufthauen schwammen sie lustig im Wasser wieder umher,
XLIX
Dass Fische gefrieren können, wird von zahlreichen Beob-
achtern behauptet: ich erwähne davon Rudolphi, Pallas, Otto,
Fabricius. Sie behaupten, dass Fische wochenlang gefroren
sein kénnen, ohne desswegen zu Grunde zu gehen.
Amschel liess 40 Frösche gefrieren und sie dann langsam
aufthauen, und 38 waren am Leben geblieben. — Dass warm-
blütige Thiere durch Gefrieren zu Grunde gehen, ist eine be-
kannte Sache. Die Murmelthiere in unserer Hochalpenregion
halten einen Winterschlaf, aber in einer Tiefe, in welcher
es nie mehr einfriert. Die Tiefe der Kammern, wo sie über-
wintern, beträgt 4—5 Schuh und die Temperatur ist dort
jedenfalls über 0°.
Ich möchte zum Schlusse nur noch die Frage auf-
werfen: wie es sich mit den Pflanzen und Thieren verhalten
möge, die durch lange Zeit, nicht bloss durch 1 Jahr, son-
dern durch mehrere Jahre unter Schnee und Eis vergraben
bleiben. — Dass der Frost ihnen nicht schade, dass sie
vollständig gefrieren können, und dann wieder aufthauen und
weiter leben, unterliegt keinem Zweifel. Es frägt sich aber,
wie es sich mit Pflanzen und Thieren verhalte, die mehrere
Jahre unter der Schneedecke begraben liegen.
Ich erwähne hier zunächst einer einschlägigen ganz
merkwürdigen Mittheilung Demidoffs. Er erzählt, dass er
eine Partie von Pflanzen nach Russland geschickt erhielt
und darunter auch einen Pack von Obstbäumen, die
durch Zufall in einen Eiskeller geriethen, und dort durch
21 Monate vergessen worden waren. Man glaubte natür-
lich, dass sie zu Grunde gegangen seien. Demidoff aber,
der selbe von A. Thouin erhielt, bemerkt, dass sie aussahen,
als wens sie erst kürzlich aus dem Boden ausgegraben wor-
den wären, und er liess sie daher auch einsetzen, und siehe
da, sie wuchsen alle kräftig an!
Ich schalte noch eine Beobachtung ein, die ich selbst
machte. Vor 2 Jahren besuchte ich die Tarnthaler Köpfe
im Hintergrunde des Navisthales im Osten des Brenner. Es
war verhältnissmässig ein sehr warmer Sommer und der
Naturw.-med. Verein. 10
L
Führer drückte seine Verwunderung darüber aus, dass der
Schnee in einer Mulde in einer gewissen Höhe vollständig
weggeschmolzen war, nachdem er dort, wie er sagte, 3 Jahre
lang gelegen hatte. In diesem Sommer war er aber abge-
schmolzen und hier fand ich nun eine Anzahl lebender Pflan-
zen, nämlich Polytrichum sexangulare, Weissia crispula,
Dicranum Starkii, mehrere Bryum- Arten, Peltigera crocea, |
Sibbaldia procumbens, Soldanella pusilla und Salix herbacea,
letztere in schönster Blüthe. Sie waren also durch 3 Jahre
unter Schnee und Eis vergraben gewesen und hatten nicht
aufgehört zu leben!
Es taucht uns da unwillkürlich die Frage auf, wie es
denn sein möchte, wenn sie noch längere Zeit unter Schnee
und Eis vergraben blieben. Im erstarrten Zustande sind sie
vor der Verwesung geschützt und wenn sie 3 Jahre unter
Schnee und Eis vergraben, die Fähigkeit zu vegetiren erhiel-
ten, so ist ebensogut anzunehmen, dass sie auch durch: De-
zennien sich lebend erhalten können. — Es wäre sehr interes-
sant Untersuchungen hierüber anzustellen. Vielleicht liesse
sich in unserer Gletscherregion ein derartiger Versuch aus-
führen und experimentell ermitteln: wie lange Pflanzen unter
Schnee und Eis begraben sein können, ohne dadurch zu
Grunde zu gehen.“
Ueber
die Zählung der Herzschläge
bei
physiologischen Versuchen über den Vagus und den
Sympathicus
von
G. P. Vlacovich, und M. Vintschgau,
Prof. der Anatomie an der Univer- Prof. derPhysiologie an der Univer-
sität zu Padua sität zu Innsbruck
aus der italienischen Abhandlung im Auszuge mitgetheilt
von
M. Vintschgau.
In den folgenden Zeilen will ich einen kurzen Auszug
einer Arbeit wiedergeben, welche gemeinschaftlich mit meinem
ehemaligen Collegen G. P. Vlacovich in Padua unternommen
wurde. Die Originalarbeit ist in italienischer Sprache unter
dem Titel: Della numerazione dei battiti cardiaci nelle
ricerche fisiologiche sul vago e sul simpatico per G. P.
Vlacovich, Prof. di Anatomia nell’ Universita di Padova
e M. Vintschgau, Prof. di Fisiologia nell Universita
d’ Innsbruck in den Atti del r. Istituto veneto di scienze
lettere ed arti erschienen.
Obwohl vor mehreren Jahren begonnen, konnten die
Untersuchungen doch, in Folge von Umständen aller Art,
insonderheit aber in Folge der Entfernung, die uns seit dem
Jahre 1866 trennt, erst vor Kurzem zur Veröffentlichung ge-
10%
u ON) seh
langen; sie sind eigentlich als Vorstudien einer längeren Unter-
suchung über die Wirkung des Vagus und des Sympathicus
auf die Herzbewegungen anzusehen. Der Inhalt derselben
bildet aber fiir sich ein abgeschlossenes Ganzes, wenn auch
hie und da sich noch einige Liicken finden, die wir in Folge
des erwähnten Umstandes auszufüllen nicht in der Lage
waren.
Wir waren bestrebt, fiir jene Versuche, bei welchen man
die Wirkung des Vagus und des Sympathicus auf die Fre-
quenz der Herzschläge ermitteln will, eine Methode ausfindig
zu machen, welche gestattet ihre Zahl auch bei jenen Thieren,
denen ein sehr häufiger Pulsschlag eigen ist, am Ende einer
jeden beliebigen Zeiteinheit auf eine genaue, einfache, leichte,
rasche Weise und ohne nennenswerthe Beeinträchtigung der
physiologischen Functionen des der Untersuchung unterworfenen
Thieres zu erfahren.
Dass die Zählungsmethode die zuletzt erwähnte Eigen-
schaft haben müsse, ist selbstverständlich, wie auch, dass
dieselbe sich einer strengen Genauigkeit zu erfreuen habe,
dagegen wird es nicht überflüssig sein, über die übrigen eben
angeführten Eigenschaften eine kurze Erörterung zu geben.
Von einer einfachen Methode fordern wir, dass sie ohne
sehr komplizirte Vorrichtungen anwendbar sei, so dass nicht
bloss die Erlernung ihrer Gebrauchsweise sich einfach ge-
stalte, sondern dass auch zugleich dadurch das Eintreten jener
Störungen in der Thätigkeit der angewendeten Apparate ver-
mindert werde, welche den Gang des Versuches verzögern
können.
Wir nennen sie eine leichte, wenn bei der Zählung die
Sinnesorgane und die Aufmerksamkeit nicht fortwährend an-
gestrengt werden, indem in solchem Falle entweder die Er-
müdung zu Fehlern Veranlassung gibt, oder wenn man. die
erforderlichen Erholungsperioden einschaltet, die Dauer des
Versuches bedeutend verlängert werden müsste, und letzterer
Umstand allein im Stande ist, die Frequenz der Herzschläge
zu beeinträchtigen.
ee QQ ae
Unter Raschheit verstehen wir die Möglichkeit, dass der
Beobachter am Ende jeder Zeiteinheit schnell die Zahl der.
Pulsschläge erfabre, um eben den erwähnten Uebelstand
zu vermeiden, wie es auch, was besonders zu betonen ist,
zur Erreichung einer Vermehrung der Herzschläge durch
schwache Reizung des Vagus, nach den Angaben Schiff’s und
Moleschott’s, nothwendig ist die Stromstärke nicht bloss nach
der Thiergattung und nach der Individualität des Thieres zu
reguliren, sondern sie auch bei zwei sich folgenden Reizungen
im Verlaufe eines Versuches abzuändern.
Alle Methoden, die man zur Ermittelung der Pulsfre-
quenz anwenden kann, lassen sich, sobald man von der be-
sonderen Art der vorzunehmenden Versuche absieht, in zwei
grosse Abtheilungen unterbringen; die erste enthält alle jene
Methoden, bei weichen irgend ein Instrument, oder irgend
ein mechanisches Hilfsmittel zur Anwendung kommt; die
zweite dagegen jene, bei welchen weder ein Instrument, noch
ein mechanisches Hilfsmittel angewendet wird.
In die erste Abtheilung sind einzureihen:
1) Die Auscultation der Herzschläge mittelst des Sthe-
toskops.
2) Die Beobachtung der Bewegungen einer in das Herz
eingestochenen Nadel. Diese Methode nennen wir kurzweg
die Methode der Herznadel.
3) Die graphische Methode.
4) Jene, welche von uns die Methode der mechanischen
Zählung genannt wurde, und die darin besteht, dass die
Herznadel mit einer die Bewegung der Nadel notirenden
mechanischen Vorrichtung verbunden wird.
Zur zweiten Abtheilung dagegen gehören folgende Me-
thoden:
| 5) Die Zählung der Pulsschläge einer oberflächlich lie-
genden Arterie. .
6) Die Zählung der Herzschläge, welche durch die auf
die Herzgegend aufgelegte Hand wahrgenommen werden.
a WOO ee
7) Die Zählung der Pulsschläge des blossgelegten Her-
zens, oder einer blossgelegten Arterie.
In den vorliegenden Untersuchungen wurden alle Zäh-
lungsmethoden der Herzschläge einer näheren Prüfung oder
wenigstens einer eingehenden Betrachtung unterworfen.
Nach unserem Ermessen ist die Methode der mechani-
schen Zählung die genaueste und darum fiel auf sie die Wahl,
um mit ihr alle anderen zu vergleichen und zu prüfen. Zu
ihrer Würdigung wollen wir vor Allem die von uns in An-
wendung gezogene mechanische Vorrichtung beschreiben. !)
In einen elektrischen Kreis sind folgende Theile einge-
schaltet :
1) Ein metallischer Hebel; ein Ende desselben steht
durch einen Seidenfaden mit einer in das Herz eingestochenen
Nadel in Verbindung, das andere nach abwärts umgebogene
Ende kann in ein mit Quecksilber gefülltes Näpfchen tauchen.
Dieses umgebogene Ende nennen wir kurzweg Schnabel. Der
Hebel folgt den Bewegungen der Nadel und schliesst oder
öffnet den elektrischen Kreis je nachdem der Schnabel in
das Quecksilber taucht oder nicht.
2) Ein Apparat, der die Nadelbewegungen registrirt;
als solchen kann man den Morse’chen Schreibapparat, oder
ein elektrisches Zählerwerk anwenden.
3) Eine Pendeluhr, welche automatisch mit Beginn der
für die Zählung der Herzschläge bestimmten Zeiteinheit den
elektrischen Kreis schliesst, und ihn am Ende derselben Zeit-
einheit ebenso unterbricht.
Hinsichtlich der genauen Details der einzelnen Apparate,
müssen wir auf unsere italienische Schrift verweisen: wir
geben hier daraus das Wichtigste wieder.
1) Das Kaninchen wird auf die gewöhnliche Weise auf
1) Eine kurze Beschreiking des Apparates wurde von uns vor
mehreren Jahren veröffentlicht. $S. Sitzungsberichte der k. Akad. in
Wien Bd. L. 8. 418--427.
An
he
+0
ge
ein Brett befestigt. (Der von Czermak angegebene Kaninchen-
Kopfhalter, der uns ausgezeichnete Dienste geleistet hätte,
war zur Zeit als wir unsere Versuche vornahmen, nicht
bekannt.)
2) Die Herznadel hat eine Länge von 70 Mm. und ein
Gewicht von 30.6 Ctgr.; es leisteten uns aber auch leichtere
und kürzere Nadeln denselben Dienst. — Die Nadel wird durch
den dritten Intercostalraum nicht weit vom Brustbein, ohne
dass vorher die Haut gespalten wird, in das Herz einge-
stochen. Man trifft für gewöhnlich einen Punkt näher der
Basis als der Spitze des Herzens.
Die Nadelschwingungen müssen eine Amplitude von
wenigstens 3—4 Mm. haben, wenn der Hebel regelmässig
funktioniren soll; ferner muss man dafür sorgen, dass die
Gleichförmigkeit der .Nadelschwingungen durch die Respi-
rationsbewegungen nicht beträchtlich gestört werde. Diese
Störungen kommen bei Kaninchen nicht sehr häufig vor,
wohl aber bei anderen Thieren, so dass für die letzteren
unsere Hebelvorrichtung nicht anwendbar ist. !)
Es sei hier bemerkt, dass wenn auch in vielen Fällen
die Schwingungen der Nadel in einer vertikalen Ebene statt-
finden, es doch nicht selten geschieht, dass dieselben eine
mehr oder weniger elliptische Bahn beschreiben; diese rota-
torischen Bewegungen der Nadel üben jedoch keinen Einfluss
auf jene des Hebels, da dieser nur in einer senkrechten Ebene
schwingen kann.
Während der Dauer eines Herzschlages macht die in
das Herz eingestochene Nadel zwei einander entgegengesetzte
Schwingungen, die eine nennen wir systolisch oder cephalisch,
die andere dagegen diastolisch oder abdominal.
3) Der Hebel besteht aus dünnem Kupferdraht, (Durch-
messer ungefähr '/, Mm.), besitzt ein Gewicht von 27 Ctgr.
1) In diesen Fällen lässt sich mit Erfolg der elektrische Doppel-
hebel von Czermak, über welchen erst jüngst von seinem Erfinder eine ge-
naue Beschreibung gegeben wurde, anwenden. Note von M. Vintschgau.
en VG) me
und eine Länge von 13 Ctm. (ohne den Sehnabel.). Das
Verhältniss zwischen beiden Hebelarmen ist wie 1: 3-4.
Der kürzere Hebelarm steht, wie schon oben erwähnt
wurde, durch einen Seidenfaden in Verbindung mit der Herz-
nadel, der längere dagegen kann mit dem Schnabel in das Queck-
silbernäpfchen eintauchen. Nun ist der Hebel einerseits und
das Quebksilbernäpfchen anderseits mit den Leitungsdrähten
verbunden, während deren Träger die Feststellung der Vor-
richtungen in jeder beliebigen Richtung im Raume erlauben,
so dass es leicht möglich ist, jene Lage des Hebels zu fin-
den, in welcher derselbe genau den Bewegungen der Nadel
folgt.
Zu jeder Nadelschwingung gesellt sich eines der beiden
Bewegungsstadien des Hebels nämlich bei der Cephalbewegung
der Nadel das aufsteigende, bei der abdominalen dagegen das
absteigende Stadium.
Bei beiaen Bewegungsstadien des Hebels lassen sich zwei
Abschnitte unterscheiden, nämlich jener des Ein- und jener
des Austauchens aus dem Quecksilbernäpfchen.
Der Hebel funktionirt ganz gut, wenn er mit dem
Horizont einen Winkel von ungefähr 15°—20° bildet, so
zwar, dass der freie längere Arm tiefer steht; wenn ferner der
Seidenfaden sowohl mit der Nadel, als auch mit dem Hebel
einen nach dem Abdomen des Thieres offenen stumpfen Winkel
bildet, und wenn endlich Nadel, Faden und Hebel sc gut als
möglich sich in einer Ebene befinden.
Die Bewegungen des Hebels sollen ziemlich ausgiebig
und so geregelt sein, dass sie nicht bloss ein treues Bild
der Nadelbewegungen seien, sondern es muss jede Hebel-
schwingung ganz deutlich beide Phasen des Ein- und des
Austauchens durchmachen: da aber die letzteren nicht alle
eine vollkommen gleiche Amplitude haben, so ist es, um
diesen kleinen Ungleichmässigkeiten wenigstens theilweise vor-
zubeugen, zweckmässig, dass der Hebelschnabel den Boden
des Quecksilbernäpfchens erreiche, noch bevor die Nadel ihre
Abdominalschwingung vollendet hat; wobei man noch den
gg os
Vortheil hat, dass die Nadel sowohl am Ende der Abdo-
minal- als auch im Beginne der Cephal-Schwingung etwas
entlastet wird. |
Diese wenigen Ardeutungen über die Einrichtungen,
welche in der Original-Arbeit eine ausführliche Schilderung
erfuhren, sind hinreichend, um dem bis jetzt beschriebenen
Theile des Apparates die zweckentsprechende Lage zu geben;
und wir wollen nur noch schliesslich erwähnen, dass unsere
Vorrichtung sich auch bei Kaninchen anwenden lässt, die
sich in ihrer gewöhnlichen Stellung befinden. Zu diesem
Zwecke genügt es, wenn das Brettchen, auf dem das Kanin-
chen aufruht, eine hinreichend grosse Oeffnung besitzt, durch
welche die Nadel hindurchgeht und ihre Schwingungen leicht
ausführt. Die Abänderungen in der Lagerung der übrigen
Theile des Apparates ergeben sich von selbst.
4) Um die Zahl der Herzschläge zu registriren oder
was dasselbe ist, um die Zahl der durch die Hebelbewe-
gungen verursachten Stromunterbrechungen zu notiren, be-
dienten wir uns anfangs des Schreibapparates von Morse.
Da aber die Zählung der auf dem Papier verzeichneten Punkte
zu viel Zeit in Anspruch nahm, bedienten wir uns später
eines elektrischen Zählerwerkes, durch dessen Einrichtung wir
sofort am Ende jeder Zeiteinheit über die Zahl der Puls-
schläge genaue Auskunft erhalten konnten.
Eine Beschreibung der Einrichtung des Zählerwerkes ist
nicht nöthig, da ähnliche Vorrichtungen zu verschiedenen phy-
sikalischen Zwecken in Verwendung sind; es genüge die
Bemerkung, dass ein Assistent die Aufgabe hat die Zahl
zu notiren, von welcher der Zeiger bei Beginn der Zeitein-
heit ausgeht, und bei der er am Ende derselben stehen bleibt,
um dann bei Berücksichtigung der Zahl der vollendeten ganzen
Umdrehungen, durch kurze Berechnung die Anzahl der inner-
halb der Zeiteinheit stattgefundenen Unterbrechungen zu finden.
Zu den Notirungen reicht die Zeit einer Sekunde zu, so dass
zwischen zwei Beobachtungen eine Unterbrechungszeit von
wenigstens einer Sekunde einzuschalten ist.
BER TC ER
Da die Angabe des Beginnes und des Endes der Zeit-
einheit mittelst eines verabredeten Zeichens durch einen As-
sistenten, der eine gewöhnliche Sekundenuhr beobachtet, häufig
nicht ganz richtig ist, und die Möglichkeit vorliegt, bei zwei
unmittelbar sich. folgenden Beobachtungen einen Fehler von
einer Sekunde zu begehen, selbst dann, wenn der Maximal-
werth der einzelnen Zeichenfehler 1/, S. nicht übersteigen
sollte, so haben wir eine Sekundenpendeluhr in den elek-
trischen Kreis eingeschaltet, welche die eben bezeichnete Auf-
gabe automatisch löst, und dadurch einen zu diesem Zwecke
verwendeten Assistenten entbehrlich macht.
Das Sekundenpendel, welches durch Gewichte in
Schwingung erhalten wird, bewegt ein gezähntes Rad mit
31 (statt mit 30) Zähnen, so dass das Rad eine volle Um-
drehung in dem Zeitraume von 62 Sekunden vollendet. Die
Axe des Rades steht mit einem Ende des elektrischen Kreises
in leitender Verbindung. Dieselbe Axe trägt einen niedrigen
metallischen Cylinder, welcher, weil er mit der ersteren fest
verbunden ist, eine volle Umdrehung ebenfalls in 62 Sekunden
vollendet. 1)
Die Mantelfläche dieses niedrigen Cylinders ist in zwei mit
einander parallele und gleich grosse Zonen getheilt, eine vor-
dere und eine ‘hintere. — Denkt man sich nun jede Zone in
62 gleiche Theile eingetheilt, so entspricht selbstverständlich
jeder Theil genau einer Sekunde. — An jenen zwei Theilen
der vorderen Zone, welche der 61. und 62. Sekunden ent-
sprechen, ist nun eine nicht leitende Substanz eingeschaltet,
wodurch der Strom durch volle 2 Sekunden unterbrochen
bleibt, diese Unterbrechung beginnt genau in dem Moment,
1) In der italienischen Abhandlung S. 24 des Separatabdruckes
(S. 1572 Atti del r. Istituto veneto di scienze lettere ed arti Bd. XVI.
Serie III) findet sich durch Versehen angegeben, dass das gezähnte
Rad 62 Zähne statt 60 besitzt. Es soll dagegen heissen, dass das ge-
zähnte Rad 31 statt 30 Zähne besitzt. Eine gleiche Correctur muss
auch S. 28 des Separatabdruckes (8.1576 Atti etc.) vorgenommen werden.
RR EN
in welchem das Pendel 60 Schwingungen eben vollendet hat,
dauert durch die zwei nächstfolgenden Schwingungen fort,
und hört in dem Moment auf, in welchem das Pendel die
63. Schwingung beginnt, nämlich jene Schwingung, welche
der ersten Sekunde der nächstfolgenden Zeiteinheit entspricht.
— In der hintern Zone ist die nichtleitende Substanz anders
vertheilt, es findet nämlich in der dem 31. Theile entspre-
chenden Stelle die erste, in der dem 62. entsprechenden die
zweite Unterbrechung statt, so dass bei der Anwendung dieser
zweiten Zone die Zeiteinheit einer Beobachtung bloss 30 Se-
kunden, das Intervall zweier Beobachtungen eine Sekunde,
dagegen bei Anwendung der vordern Zone die. Zeiteinheit
einer Beobachtung 60 Sekunden und das Intervall 2 Sekunden
beträgt. Man begreift nun leicht, warum das gezähnte Rad
31 Zähne haben musste, und warum auch das Zifferblatt
in 62 gleiche Theile eingetheilt wurde.
Es bliebe nun weiter zu beschreiben wie der Conductor
beschaffen sein soll, welcher die Aufgabe hat, den zweiten
Leitungsdraht mit der Mantelfläche des Cylinders in Berührung
zu bringen, und zugleich auch dem Experimentator es még-
lich macht, die Verbindung auf der vorderen oder auf der
hinteren Zone zu vermitteln. “Es lässt sich diess natürlich
auf sehr verschiedene Weise bewerkstelligen, und wir müssen
für die von uns angewendete Art auf unsere italienische Ab-
handlung verweisen, da eine gedrängte Beschreibung unver-
ständlich ausfallen würde.
Folgende Bemerkung können wir hier nicht: übergehen.
Die Einschaltung der Pendeluhr in den elektrischen Kreis,
in welchem sich auch der Hebel befindet, ‘bedingt eine be-
sondere Unzukömmlichkeit; sobald nämlich durch Bewegungen
des Kaninchens oder durch eine andere Ursache eine Unter-
brechung in einer Beobachtung eintritt, so geht diese natür-
lich verloren, und ausserdem muss man mit dem Beginne
der nächstfolgenden so lange warten, bis die Pendeluhr den
Anfang der Zeiteinheit anzeigt; es wäre vielleicht möglich,
diesen Uebelstand zu beseitigen, da jedoch die Nothwendigkeit
ek ROB. ee
nicht vorlag, so haben wir uns in dieser Richtung keine
weitere Mühe gegeben.
Sobald man die eben beschriebenen Vorrichtungen während
der Reizung des Vagus oder des Sympathicus bei Kaninchen
anwendet, so ist neben dem Experimentator bloss ein Assistent
"nothwendig. Der Experimentator kann die Reizung der Nerven
reguliren und die Hebelbewegungen überwachen, der Assistent
beobachtet dagegen die Bewegungen des Zählers.
Wir haben nicht unterlassen, die eben beschriebene
mechanische Methode einer strengen Prüfung zu unterwerfen,
und wollen in Kürze deren hauptsächlichsten Resultate mit-
theilen. Zuvor ist es jedoch nöthig die Gründe anzuführen,
warum wir dem elektrischen Zählerwerk den Vorzug vor dem
Morse’schen Schreibapparat gegeben haben.
Da das Prinzip, nach dem dieselben functioniren, das
gleiche ist, so ist es auch von vornherein verständlich, dass
bei einer tadellosen Konstruktion die Exaktheit der Zählung
bei beiden dieselbe sein muss; in der That zeigte sich auch,
dass die mit beiden Apparaten gleichzeitig vorgenommenen
Zählungen ‚vollkommen übereinstimmende Resultate lieferten.
Die strenge Beurtheilung der von beiden Instrumenten
dargebotenen Unterschiede hat uns veranlasst, dem elektri-
schen Zählerwerke den Vorzug zu geben; denn in der That
lässt sich ja bei Anwendung des Morse’schen Schreibappa-
rates die Zahl der Herzschläge am Ende der Zeiteinheit nur
mit bedeutendem Zeitaufwande erfahren, was dagegen mit
höchst geringer Mühe, und sehr schnell bei dem elektrischen
Zählerwerke geschieht. — DerMorse’sche Schreibapparat bietet
allerdings den Vortheil dar, dass man stabile Zeichen der
Herzbewegungen erhält, so dass zu jeder Zeit eine Kontrolle
möglich ist, bei dem Zählerwerk ist diess nicht thunlich; und
dazu kann es vorkommen, dass der Assistent bei der Ab-
lesung einen Fehler begeht. Die Erfahrung hat uns jedoch
gezeigt, dass das Begehen eines solchen Fehlers eine grosse
Seltenheit ist; wesshalb wir es auch nicht für nothwendig
erachteten, zur Erkennung einer höchst seltenen Irrung von
Seite des Assistenten unsere mechanische Vorrichtung durch
die gleichzeitige Einschaltung des Morse’schen sschreibappaz
rates zu kompliziren.
Aus dem Mitgetheilten ersieht man. wohl deutlich, dass
unsere Vorrichtung, die durch die Bewegungen der Nadel
verursachten Unterbrechungen des elektrischen Kreises mit
Leichtigkeit, mit Geschwindigkeit und mit Exaktheit zu er-
kennen gestattet. Es liesse sich jedoch einwenden, dass die
mechanische Methode in Vergleich zu jener der Herznadel
nicht einfach ist; bei einer näheren Betrachtung wird man
aber leicht einsehen, dass die wichtigste Komplizirtheit der
mechanischen Methode in Vergleich zu jener der Herznadel,
nur in der Anwendung des elektrischen Stromes besteht, da
das Zählerwerk und die Uhr, die gleichzeitig als: Rheotom
und Zeitanzeiger dient, (beide ziemlich einfache Instrumente,
welche lange Zeit in brauchbarem Zustande erhalten werden
können), die Methode durchaus nicht kompliziren. |
Um über die Exaktheit unserer mechanischen Vorrich-
tung ein sicheres Urtheil fällen zu können, war es unum-
gänglich nothwendig, unsere Aufmerksamkeit noch auf zwei
andere Punkte zu richten; wir mussten uns nämlich Gewiss-
heit verschaffen, ob die Schwingungen der Nadel den Be-
wegungen des Herzens auch vollständig und genau entsprechen,
und ob der Hebel den Nadelbewegungen genau folgt, so dass
wirklich bei jeder Herzbewegung bloss eine Unterbrechung
des elektrischen Kreises erfolgt.
Zwei Ursachen kann es geben, welche die Ueberein-
stimmung zwischen den Bewegungen des Herzens und jenen
der Nadel stören, nämlich:
1) der Widerstand des Hebels,
2) der Einfluss der Respirationsbewegungen.
Da aber der Hebel sehr leicht und sehr beweglich kon-
struirt ist, so kann auch sein Widerstand die Nadelbewe-
gungen nicht beinträchtigen, worüber wir in der Folge auch
einige experimentelle Beweise anführen werden.
Leichter kann es geschehen, dass die Respirationsbe-
ees Rh
wegung auf die Uebereinstimmung zwischen Herz- und Nadel-
bewegung störend einwirke; und schon Küthe hat der Methode
von Moleschott diese Einwendung gemacht. Wir theilen jedoch:
die Meinung Moleschott’s, dass die Respirationsbewegungen
die eben genannte Uebereinstimmung nicht ändern können,
müssen aber hinzufügen, dass dieselbe nur so lange andauert,
als a) die Respirationsbewegungen innerhalb der gewöhnlichen
Grenzen der Frequenz und Stärke gegenüber jenen des Herzens
sich halten, und b) die Nadel in der für den bestimmten
Zweck geeigneten Stelle eingeführt wurde.
Wir haben in unserer italienischen Abhandlung einige
theoretische Gründe erwähnt, welche geeignet sind, zu
zeigen, dass insolange die zwei zuletzt angeführten Bedingun-
gen erfüllt sind, die Uebereinstimmung zwischen Herz- und
Nadelbewegung durch die Respirationsbewegungen nicht ge-
stört werden kann. An diesem Orte beschränken wir uns
darauf zu erwähnen, dass wenn die Respirationsbewegungen
wirklich im Stande wären, in irgend einer Weise für die
ebengenannte Uebereinstimmung hinderlich zu werden, in
diesem Falle die Unregelmässigkeiten in dem Rythmus der
Nadelbewegung dem Beobachter durchaus nicht entgehen
können, solang die Pulsschläge die Zahl von 3—6 in der
Sekunde nicht übersteigt. Nun aber konnten wir in hundert
und aber hundert Beobachtungen, die wir vornahmen, bevor
wir noch das elektrische Zählerwerk anwendeten, niemals
eine Rythmusunregelmässigkeit der Nadelbewegung wahrneh-
men. Es wurde endlich die volle Uebereinstimmung zwischen
Herz- und Nadelbewegung aus den vergleichenden gleichzei-
tigen Zählungen mit der Auscultation und mit der graphischen
Methode ganz deutlich nachgewiesen, wie diess noch später
weitläufiger erörtert werden soll.
Wenn nun auch nach dem Angeführten die Ueberein-
stimmung zwischen den Bewegungen des Herzens und jenen
der Nadel bewiesen ist, läge doch noch die Möglichkeit vor,
dass die Bewegungen des Hebels mit jenen der Nadel nicht
übereinstimmen und zwar aus verschiedenen Gründen: in Folge
2 Og) 3
1) des Widerstandes des Hebels gegenüber den Be-
wegungen der Nadel;
2) der sekundären Schwingungen des Hebels, unabhängig
von den Nadelbewegungen ;
3) einer zu grossen Ungleichheit in den Schwingungen
der Nadel, bedingt durch die Respirationsbewegungen ;
4) der Bewegungen des Thieres.
Der Widerstand des Hebels ist, wie später näher ge-
zeigt werden wird, zu klein um die erwähnte Uebereinstimmung
zu stören; in jenen Fällen aber, in welchen die Nadelschwin-
gungen zu klein sind und in Folge dessen auch jene des
Hebels, wodurch wiederum der Schnabel desselben aus dem
Quecksilber nicht herauszutreten vermag, können natürlich
einige Herzschläge nicht notirt werden; nachdem aber die
Erkennung der Ursache dieser letzten Störung leicht ist, so
ist es auch deren Beseitigung.
Die sekundären Schwingungen des Hebels könnten ent-
weder durch dessen Elastizität oder durch ein Zurückprallen
beim Anstossen auf dem Boden des Quecksilbernäpfchens er-
zeugt werden; unsere Erfahrung hat uns aber gezeigt, dass
solche sekundäre Schwingungen des Hebels nicht vorkommen.
In Hinsicht der ungleichen Nadelschwingungen in Folge
der Respirationsbewegungen haben wir zu bemerken, dass
bei Kaninchen, bei welchen die Respiration vorzugsweise den
Abdominaltypus besitzt, solche Unregelmässigkeiten höchst
selten störend einwirken, dieselben dagegen bei jenen Thieren
vorkommen, bei welchen die Bewegungen des Brustkorbes stark
sind; bei solchen Thieren lässt sich auch unsere Vorrichtung
nicht anwenden.
Damit unsere Vorrichtung regelmässig arbeite, ist es auch
bei Kaninchen nöthig, dass
a) die Herzbewegungen kräftig seien ;
b) der Ort, in welchem die Nadel durch die Thoraxwand
eingeführt wird, richtig gewählt sei,
c) die Nadel tief genug in das Herz eingestochen werde,
und endlich
— 100. =
d) der Hebel eine richtige Stellung habe, sowohl in
Bezug auf die Nadel, als auch in Bezug auf das Quecksil-
bernäpfchen.
Ueber die Art und Weise die drei letzten Bedingungen
zu erfüllen, wurde schon früher gesprochen.
Wir wollen aber hier erwähnen, dass wir uns auch ex-
perimentell überzeugten, dass eine volle Uebereinstimmung
zwischen den Bewegungen des Herzens und jener des Hebels
bestehe. — Diese Ueberzeugung erhielten wir dadurch, dass
wir in einem Experiment die Herzschläge durch den Morse’schen
Schreibapparat, die Pulsschläge dagegen durch ein in die
Carotis eingeführtes Quecksilbermanometer auf die Trommel
des Ludwig’schen Kymographion notiren liessen; ausserdem
wurden in vielen anderen Versuchen die Herzschläge gleichzei-
tig durch unsere Vorrichtung notirt und durch die Auscultation
gezählt. Die Uebereinstimmung war so gross, dass der Unter-
schied nur 1 oder 2 Einheiten betrug. Dieser kleine Unter-
schied ist sehr gering, und kann höchst wahrscheinlich von
verschiedenen Umständen abhängen, die bei einer anderen
Gelegenheit zur Erwähnung kommen werden.
Man hat noch ein weiteres Mittel sich zu überzeugen,
dass wirklich die Respiration bei den Kaninchen keinen
störenden Einfluss auf die Bewegungen des Hebels ausübt;
und dieses Mittel ist die Wahrnehmung jener kleinen Ge-
räusche, welche beim Oeffnen und Schliessen des elektrischen
Kreises entstehen, und welche sobald der Hebel regelmässig
funktionirt einen gleichmässigen Rythmus besitzen, der mit
enem der Herz- und Nadelbewegungen übereinstimmt. Diess
gilt aber nur so lange, als die Respirationsbewegungen der
Kaninchen jene Form beibehalten, welche für gewöhnlich beob-
achtet wird und so lange ihre Frequenz und ihre Kraft inner-
halb der gewöhnlichen Gränzen bezüglich jener des Herzens
eingeschlossen bleiben.
Um uns noch weiter von der Wahrheit dieser Erfah-
rung zu überzeugen, haben wir einige Versuche mit dem
Sphygmographion von Marey vorgenommen, welches zu diesem
— 10) —
Zwecke folgende kleine Abänderungen erfahren musste. Es
wurde nämlich die kleine Feder entfernt, welche die schrei-
bende Vorrichtung niederdrückt, und letztere an ihrem hin-
teren Theil etwas ver.ängert, wodurch dieselbe zu einem zwei-
armigen Hebel umgestaltet erscheint, dessen zwei Arme ähn-
lich unserem Hebel das Verhältniss 1:4 darbieten; der hintere
Theil der schreibenden Vorrichtung konnte dann durch einen
-Faden mit der Herznadel verbunden werden. — Bezüglich dieser
weiteren bestätigenden Versuche verweisen wir auf die ita-
lienische Abhandlung, da ein Auszug der erhaltenen Resul-
tate nicht leicht möglich ist.
Die Unruhe des Thieres wird selbstverständlich die
Schwingungen des Hebels stören, es ist aber klar, dass sie
auch den gleichmässigen Fortgang aller übrigen Zählungs-
methoden ebenfalls mehr oder weniger beeinträchtiget, wir
fügen jedoch hinzu, dass schwache Bewegungen des Thieres
die Zählung der Herzschläge mittelst der Auscultation oder
mit der Methode der Herznadel fortzusetzen gestatten, wäh-
rend dagegen bei Anwendung der mechanischen Methode die
Zählung wenigstens für eine Zeiteinheit verloren geht.
Wir haben weiter die Verletzungen berücksichtigt, welche
die Nadel verursachen kann.
Solaug die Nadel in die Herzventrikeln eingestochen wird,
hat man keine nachtheiligen Folgen zu fürchten, da in dem
Falle die Kaninchen sehr viele Verletzungen ohne jeglichen
Nachtheil ertragen; sobald dagegen die Vorhöfe oder die in
der Nähe des Herzens liegenden grossen Gefässe verletzt werden,
tritt die Möglichkeit einer Haemorrhagie ein; wir beobach-
teten eine solche jedoch nur in seltenen Fällen, in denen
man manchmal schon während des Versuches die Zeichen
des eingetretenen Blutergusses wahrnehmen konnte. Es lässt
sich ausserdem nicht in Abrede stellen, dass auch eine Ver-
letzung der Lungen möglich ist, und somit auch die nach-
theiligen Folgen derselben eintreten können. Dagegen ist
zu bemerken, dass wir bei zehn Kaninchen, die wir darauf
untersuchten, kein Zeichen einer Lungenverletzung wahrnehmen
Naturw.-med. Verein. 11
ae I
konnten, woraus zu schliessen ist, dass entweder die Lunge
wirklich unversehrt blieb, oder wenn auch eine Verletzung
derselben stattfand, diese von keiner Bedeutung war und
keinen Pneumothorax zur Folge hatte.
Es ist hier weiter zu erwähnen, dass sowohl die Ver-
letzung selbst, als auch das Liegenbleiben der Nadel einen
Einfluss auf die Herzbewegungen haben könnte. Theore-
tisch müssen wir diesen Einfluss zugeben, ohne jedoch uns
mit Bestimmtheit aussprechen zu können, worin derselbe
eigentlich besteht, obwohl wir in unserer italienischen Ab-
handlung einige Möglichkeiten in’s Auge gefasst haben. Wenn
man aber bedenkt, dass die Nadel sowohl während der
Reizung als auch während der Ruhe im Herzen eingestochen
bleibt, so dass die experimentellen Bedingungen in beiden
Fällen unverändert bleiben, wenn man noch weiter bedenkt,
dass wir uns die Aufgabe gestellt hatten, die Lehre Schiff’s
und Moleschott’s bezüglich des Einflusses der Reizung des
Vagus und des Sympathicus auf die Herzbewegungen zu
prüfen, und bei den Versuchen der genannten Physiologen
ebenfalls eine Nadel in’s Herz eingeführt wurde, so wird man
es begreiflich finden, dass für unsere diessbezüglichen Ver-
suche die Ermittelung des Einflusses der Nadel auf die Herz-
bewegungen nicht unumgänglich nothwendig war, und dass
wir uns desshalb der Verpflichtung enthoben glaubten, zwei
Versuche, die zu dem ebenerwähnten Zweck vorgenommen
wurden, und nebenbei gesagt nur ein widersprechendes Re-
sultat gaben, zu wiederholen.
Dagegen aber schien es uns, nachdem bei unseren Ver-
suchen das Herz den Widerstand der Nadel und des Hebels
zu überwinden hatte, vielmehr nothwendig, zu ermitteln, ob
dieser Widerstand von Bedeutung war und ob Grund genug
vorhanden sei, demselben einen Einfluss auf die Resultate
der Versuche zuzuschreiben.
Wir suchten den Widerstand des Hebels dadurch zu
bestimmen, dass wir jenes Gewicht zu ermitteln trachteten,
welches nothwendig war, damit der Hebel von einer Neigung
— 103 —.
von 20° bis in die Horizontallage emporgehoben werde. In
der geneigten Stellung ruhte der Schnabel des Hebels auf
dem Grunde des mit Quecksilber gefüllten Napfchens. Um
das eben bezeichnete Resultat zu erhalten, waren im Mittel
40 Ctg. nothwendig, — Nachdem durch Messung des kürzeren
Hebelarmes sich für denselben die Länge von 3 Ctm.
ergab, so waren wir im Besitze von allen den nöthigen Ele-
menten, um die Arbeit zu berechnen, die das Herz machen
muss, damit der Hebel die bezeichnete Bewegung ausführen
könne.
Wir fanden, dass diese Arbeit ungefähr bloss 0.000004
eines Kilogrammeters beträgt, also eine ziemlich geringe
Grösse, die in Wirklichkeit noch kleiner ist, da, wenn die
Nadel ihre cephalische Bewegung beginnt, der Hebel noch
auf den Grund des Quecksilbernäpfchens aufruht, wodurch
natürlich das Herz etwas entlastet ist. Sobald die Nadel
die Abdominalbewegung ausführt, hat das Herz keine Arbeit
zu verrichten um den Hebel zu bewegen, da er durch sein
eigenes Gewicht nach abwärts strebt; es wäre eher möglich,
dass in diesem Falle der Hebel eine Zerrung auf die Nadel
und dadurch auch auf das Herz ausübe, das geringe Gewicht
des Hebels aber und der Umstand, dass er den Grund des
Quecksilbernäpfchens früher erreicht, als die Nadel ihre Ab-
dominalschwingung vollendet hat, schliesst die Möglichkeit
einer Zerrung aus.
Da das Herz in den Versuchen von Schiff und Mole-
schott bloss die Nadel zu bewegen hatte, so versuchten wir,
ob es wenigstens approximativ möglich wäre, eine verglei-
chende Bestimmung in dieser Richtung vorzunehmen, und
ermittelten zu diesem Zweck das Gewicht, welches nöthig ist,
damit unsere Nadel, die in die Thoraxwand eines todten
und ausgeweideten Kaninchens an dem gewöhnlichen Ort ein-
gestochen war, eine Schwingung von 9° 15’, die grösste
die sie überhaupt macht, vollführe. Das dazu nöthige Gewicht
betrug im Mittel 24 Ctgr., die Länge des innerhalb der Thorax-
wand liegenden Nadelstückes war 12 Ctm. Nach Analogie
11*
thane 104 ae
der Berechnung fiir den Hebel, erhalten wir fir die Nadel
0.000002 Kilogrammeters. Das Herz bewegt aber die Nadel
gegen den Kopf und gegen die Fiisse; desshalb ist die zur
Bewegung der Nadel nothwendige Herzarbeit 0,000004 Kilo-
grammeters; und wenn man dazu noch jene Arbeit addirt,
die das Herz ausführen muss, um den Hebel zu bewegen,
so resultirt fiir die Gesammtarbeit zur Bewegung des Hebels
und der Nadel 0.000008 Kilogrammeters.
Wir brachten dann eine Nadel in Anwendung, die mit
jener von Moleschott vollständig übereinstimmte, und wieder-
holten die Versuche genau nach der eben erwähnten Art.
Es zeigte sich, dass, damit diese Nadel eine Schwingung von
90 15’ ausführe, ein Gewicht von 67 Ctg. nothwendig war,
woraus sich die Arbeit von 0.000004 Kilogrammeters be-
rechnete, also für beide Excursionen der Nadel eine Ge-
sammtarbeit von 0.000008 Kilogrammeters, dieselbe Grösse,
wie sie für den Hebel und unsere Nadel erforderlich war.
Nach einer ungefähren Berechnung der Arbeit, welche
der linke Ventrikel eines Kaninchens bei jeder Systole aus-
führen muss, um das Blut in Bewegung zu setzen, fanden
——
wir, dass das Verhältniss zwischen der Arbeit des linken ~
Ventrikels, und jener, welche fiir die Bewegung der Nadel
und des Hebels erforderlich ist, wie 680 zu 1 steht. Zur
Bewegung der Nadel und des Hebels, ist also nur ein ge-
ringer Bruchtheil der Arbeit des linken Ventrikels nöthig, ein
Bruchtheil, der in Wahrheit noch geringer wird, wenn man
zur Arbeit des linken Ventrikels auch jene der rechten und
der beiden Vorhöfe hinzurechnen würde.
Hieraus wird ersichtlich, dass die vom Herzen bei der
Nadel und Hebelbewegung verrichtete Arbeit sich höchst ge-
ring stellt im Vergleich zu jener, welche für die Blutbewe-
gung nothwendig ist; da aber doch ein Plus von Arbeit er-
fordert wird, so kann man nicht läugnen, dass dadurch die
Freiheit der Herzbewegung etwas beeinträchtigt werde, und
diess vorzugsweise, weil der Hebel beim Aufsteigen die Nadel-
bewegung etwas hemmt, beim Niedersinken dagegen die Nadel
= 105 2
wahrscheinlich zu einer rascheren und ausgiebigeren Schwingung
zwingen könnte, wodurch eine grössere Verletzung oder wenig-
stens eine grössere Reizung des Herzfleisches, als wenn die
Nadel für sich allein bewegt wird, entstehen, und auf diese
Weise eine Aenderung in der Zahl der Herzschläge erzeugt
werden könnte.
Um die eben angeregte Frage zu erledigen, nahmen wir
wohl zwei vergleichende Versuche vor, deren Resultat im
Allgemeinen das war, dass sich kein nennenswerther Unter-
schied weder in der Frequenz der Pulsschläge noch im Blut-
drucke zeigte, sei es, dass das Herz bloss die Nadel allein,
oder die Nadel und den Hebe! bewegte. Es ist wohl wahr,
dass zwei Versuche allein unzureichend sind, um die Frage
endgiltig zu entscheiden, und wir hätten dieselben wieder-
holt, wenn sich im weiteren Verlaufe unserer Studien deren
Nothwendigkeit herausgestellt haben würde.
Wir müssen hier noch hinzufügen, dass der Hebelwider-
stand sehr klein ist im Vergleiche zu jenem, welchen das
Herz überwinden muss, um das Blut in Bewegung zu er-
halten; und dass auch für den Widerstand des Hebels das-
jenige gilt, was wir oben für die Nadel angeführt haben,
dass nämlich bei den Versuchen, um die Wirkung der Vagus-
und Sympathicusreizung auf die Herzbewegungen zu ermitteln,
der Hebelwiderstand sowohl während der Reizung als auch
während der Ruhe vorhanden ist.
Man kann, wenn man glaubt, dass das Gewicht der
Nadel oder des Hebels zu gross sei, dasselbe vermindern,
indem man den Hebel aus Magnesiumdraht anfertigt, und
eine Nadel anwendet, die nur 5 Ctm. lang und 17 Ctgr.
schwer ist, wie wir es auch probeweise, und zwar mit gutem
Erfolge versucht haben.
Sowohl beim Arbeiten des Schreibapparates von Morse,
als auch des elektrischen Zählerwerkes wird durch die Be-
wegungen des Ankers ein Geräusch erzeugt, in Folge dessen
die Kaninchen erschrecken könnten; somit wäre auch eine
Veränderung in der Frequenz der Herzschläge möglich, wo-
— 106 —
durch die Wirkung der Reizung eine Aenderung erfahren kann.
Wir sahen jedoch, dass die Kaninchen nur im Beginne einer
Versuchsreihe manchmal durch leichte Bewegungen des Kopfes
oder der Ohren, selten des ganzen Körpers ein Zeichen der
Aufregung geben, und dass sie sich bald an das Geräusch
gewöhnen. Wäre es nothwendig, so kann man das Geräusch
vollständig beseitigen, indem man das Zählerwerk in einem
Nebenzimmer aufstellt. Das Geräusch kann abgeschwächt
werden, indem man den Apparat, wie wir es gethan haben,
auf nicht resonirende Unterlagen aufruhen lässt, und man
ihn gleichzeitig in einen Glaskasten einschliesst.
Nachdem wir die mechanische Methode als Grundlage
zur Vergleichung aller übrigen Zählungsmethoden anwenden
wollten, so war es unsere Pflicht, genau zu untersuchen, ob
wirklich mit derselben kein Fehler möglich sei.
Sobald alle Theile des Apparates regelrecht funktioniren,
ist nur im Beginne und am Ende einer Zeiteinheit ein Fehler
möglich. Derselbe hängt einerseits von den besonderen Be-
ziehungen ab, welche zwischen den Bewegungen der Uhr,
des Hebels und des elektrischen Zählerwerkes bestehen, an-
dererseits von dem Umstande, dass das Zählerwerk nur einen
sehr flüchtigen Augenblick eines Herzschlages notirt.
Die über die erwähnten Verhältnisse von uns angestellten
Beobachtungen, die sich im Auszuge nicht wohl wiedergeben
lassen, haben uns die Gewissheit verschafft, dass der mögliche
Fehler niemals 1%, Pulsschläge für jede beliebige Zeiteinheit
übersteigen kann, ja dass in vielen Fällen dieser Fehler gleich O
wird. Er ist so gering, dass man ihn ohne Bedenken voll-
ständig vernachlässigen kann. Nur der graphischen Methode
würde der angegebene Fehler nicht anhaften, und sie müsste
in der That allen anderen Zählungsmethoden vorgezogen
werden, wenn überhaupt ihre Anwendungsweise eine leichte
und unserem Zwecke entsprechende wäre.
Da bei allen Zählungsmethoden, mit Ausnahme der
graphischen, nur eine verschwindend kleine Periode einer
einzelnen Herzbewegung in’s Auge gefasst werden kann,
— 107 —
sind bei ihnen ähnliche Fehler, wie bei der mechanischen
Methode, möglich; wesshalb wir bei den von uns unternom-
menen vergleichenden Versuchen die Unterschiede von ein
oder zwei Pulsschlägen in der Zeiteinheit vollständig vernach-
lässigten.
Wir gehen nun auf die Besprechung einer anderen Zäh-
lungsmethode, nämlich der Auscultation über und werden die
Resultate mittheilen, welche wir in Bezug auf ihre Genauig-
keit bei Vergleichung derselben mit der mechanischen Methode
erhalten haben.
Bezold war der erste, welcher für die in Rede stehenden
Versuche sich der Auscultation bediente; obwohl man seiner
Methode, sowohl der Art der Zählung als auch der Zeit-
Beobachtung einige Einwendungen machen könnte, wollen
wir uns doch bloss mit unseren vergleichenden Versuchen
beschäftigen.
Die Anwendung eines gewöhnlichen Sthetoskopes hat
bei ähnlichen Versuchen den Nachtheil, dass der Beob-
achter leicht ermüdet, und dadurch mit dem Kopfe auf den
Brustkorb des Thieres einen Druck ausübt, welcher besonders
bei dünnwandigem Brustkorb einen Einfluss auf die Frequenz
der Herzschläge haben kann. Um diese Uebelstände zu be-
seitigen, befestigten wir das gewöhnliche Sthetoskop an ein
eisernes Stativ und applieirten es leise auf den Thorax des
Thieres; mit dem Sthetoskope wurde ein Kautschukschlauch
verbunden, so dass die Auscultation auch bei der gewöhn-
lichen Kopfstellung vorgenommen werden konnte.
Um den Uebelstand zu vermeiden, dass der Beobachter
selbst die Sekundenuhr beobachte, oder dass ein Assistent
Anfang und Ende der Zeiteinheit angebe, haben wir die
früher beschriebene Pendeluhr mit einer Vorrichtung verbun-
den, welche dieses automatisch ausführt.
Diese Vorrichtung ist nichts anderes als eine elektrische
Glocke, welche so eingerichtet werden musste, dass sie so-
wohl beim Schliessen als auch beim Oeffnen des elektrischen
Kreises durch die Uhr einen einfachen deutlichen aber dumpfen
— 108 —
und nicht nachklingenden Ton gab; wir nannten diese Vor-
richtung, den elektrischen Anzeiger. Er unterscheidet sich
von allen ähnlichen Apparaten durch das Vorhandensein
zweier Glocken und durch das Fehlen jener Vorrichtung, durch
welche die Glocken so lange läuten, als der elektrische Kreis
geschlossen bleibt.
Unsere Untersuchungen waren ziemlich vorgeschritten,
als wir daran dachten, den elektrischen Anzeiger gleichzeitig
sowohl mit der Pendeluhr als auch mit dem Zählerwerk zu
verbinden, und zwar in der Art, dass der elektrische Anzeiger
nur zu Beginne und am Ende der Zeiteinheit ein Zeichen
gebe. Zu diesem Zweck genügt es nämlich, den elektrischen
Anzeiger in einem Nebenkreis der Art einzuschalten, dass
durch die Bewegungen des Hebels der Nebenkreis nicht unter-
brochen wird, wohl aber durch die Uhr sowohl der Haupt-
kreis, in welchem sich Hebel und Zählerwerk befinden, als
auch der Nebenkreis, in welchen bloss der elektrische Anzeiger
eingeschaltet ist.
Der Beobachter zählte immer bloss von eins bis zehn,
die Zehner wurden sowohl vom Beobachter selbst, als auch
von einem nebenstehenden Assistenten notirt, so dass in
dieser Richtung keine Irrung möglich war.
Die Methode der Auscultation ist gewiss von Allen die
einfachste und auch diejenige, bei welcher das Herz frei von
jeder Reizung und von jeder Belastung bleibt, hat aber den
Nachtheil, dass der Beobachter sehr leicht ermüdet, wodurch
häufig Erholungspausen eintreten müssen, wenn man nicht
einen zweiten Assistenten zur Verfügung hat. Bei Kaninchen
ist übrigens die Anwendung eines Sthetoskopes mit Kaut-
schukrohr unerlässlich, da man sonst einen Druck auf den
Brustkorb ausübt, wodurch, wie wir uns überzeugten und
worüber wir bei einer anderen Gelegenheit die betreffenden
Mittheilungen machen werden, die Frequenz der Herzschläge
geändert wird. Bei Kaninchen muss ferner die Vorsicht
gebraucht werden, dass das Sthetoskop fortwährend mit dem
Brustkorbe in Berührung bleibe, da wir die Beobachtung ge-
— 109 —
macht haben, dass bei einer jeden neuen Application des
Instrumentes nicht selten eine Aenderung der Frequenz der
Herzschläge eintrat.
Sobald die Auscultation in der von uns angegebenen
Weise angewendet wird, kann man sicher sein, dass sie,
wenn die Pulsfrequenz 300 Schläge in der Minute nicht
übersteigt, ganz genaue Resultate gibt, wie wir durch ver-
gleichende Versuche ermittelten. Ob jedoch, wenn die Fre-
quenz 300 Schläge in der Minute übersteigt, noch richtige
Resultate mittelst der Auscultation zu erzielen sind, können
wir nicht angeben, da zufälliger Weise im Laufe dieser Ver-
suche kein Kaninchen zur Beobachtung kam, das eine so
hohe Frequenz zeigte. In unserer italienischen Abhandlung
findet man die eingehenden Belege für die eben mitgetheilte
Behauptung, wogegen wir uns hier bloss auf folgende An-
gaben beschränken müssen.
In 189 einzelnen Beobachtungen, bei welchen gleichzeitig
zwei Beobachter mit zwei verschiedenen Sthetoskopen aus-
eultirten, betrug der Unterschied nur in 13 Beobachtungen,
also in 6.7%, mehr als 1 Schlag in der Zeiteinheit. Der
grösste Unterschied, 7 Pulsationen, kam nur ein einziges
Mal vor. !)
In 337 einzelnen Beobachtungen, in welchen gleichzeitig
die mechanische Methode und die Auscultation angewendet
wurde, betrug der Unterschied nur in 25 Beobachtungen,
also in 7.4%, mehr als 2 Schläge in der Zeiteinheit. Der
grösste Unterschied war 10 Pulsationen und kam nur ein
1) In der italienischen Abhandlung Seite 89 des Separatabdruckes
(Pag. 1637 Att. del r. Istituto veneto di scienze etc. Tomo XVI Serie III)
wurden aus Versehen zwei Zahlen unrichtig geschrieben. An der er-
wähnten Stelle soll es nämlich heissen: Wenn man jene Versuche, in
welchen ein Unterschied von 1 oder 2 Pulsschlägen in der Zeiteinheit
erhalten wurde, mit jenen zusammenaddirt, bei welchen eine vollstän-
dige Gleichheit vorhanden war, so erhält man die Summe von 176, eine
Zahl, welche zur Gesammtzahl der Versuche, 189, das Verhältniss von
93%, gibt.
— 110 —
einziges -Mal vor. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in
diesem Falle ein Ablesungsfehler am Zahlerwerk stattgefun-
den habe.
Wir haben mit beiden Methoden zusammen nicht weniger
als 526 gleichzeitige Beobachtungen gemacht, und fanden
darunter bloss 19 Mal einen Unterschied von 4 Pulsschlägen
oder darüber, also im Ganzen 3.6%.
Aus diesen Resultaten der vergleichenden Versuche er-
hellt, dass unser Ausspruch, die Methode der Auscultation
sei bezüglich der Genauigkeit der Zählung eine sehr gute,
vollkommen berechtigt ist, wir ziehen jedoch derselben die
mechanische Methode vor, weil letztere noch genauer und
leichter anwendbar ist, d. h. weniger ermüdet.
Die mechanische Methode bietet ferner den Vortheil
der objektiven Sicherheit über die Genauigkeit der Zählung,
was bei der Auscultation und ebensowenig, — wir wollen
es schon jetzt bemerken, — bei der einfachen Herznadel-
methode der Fall ist. Sobald also die Herzfrequenz eine
ziemlich hohe ist, wird man immer die mechanische Methode
den beiden letzterwähnten vorziehen und sollten die Respi-
rationsbewegungen ihrer zweckmässigen Anwendung hinderlich
sein, so könnte man dem abhelfen durch den elektrischen
Doppelhebel von Czermak, welcher gewiss gute Dienste leisten
wird.
Wir gehen nun auf die Betrachtung der Methode der
Herznadel über. In den ersten Versuchen sind wir genau
nach den Angaben von Moleschott (Untersuchungen zur Na-
turlehre ete. Bd. VII. S. 407) verfahren. Wir sahen jedoch
recht bald ein, dass man einen Assistenten entbehren kann,
ohne dass die zwei anderen mehr ermiiden und desshalb
führten wir in der Methode von Moleschott einige Modifica-
tionen ein.
Die zwei Assistenten alternirten ebenfalls in der Zäh-
lung der Nadelschwingungen (der Herzschläge), die Substi-
tution der Assistenten fand immer in jenem Moment statt,
— 11 —
in welchem der zählende Assistent bis inclusive zehn gezählt
hatte, der austretende Assistent machte auf ein Papier ein
Zeichen. Am Ende der Zeiteinheit war es nun ziemlich
leicht aus der Zahl der Zeichen, welehe beide Assistenten
notirt hatten, die Zahl der Zehner zu erkennen, und durch
Zugabe der bis zum Ende der Zeiteinheit noch über die Zehner
gezählten Schläge ziemlich rasch deren Gesammtsumme zu
erfahren.
Um aber diese an und für sich sehr leichte Berechnung
zu vereinfachen und alle möglichen Fehler in der Notirung -
der Zehner zu vermeiden, oder um wenigstens ihre Zahl rasch
zu erkennen, waren die Papierbögen in vertikale Colonnen
eingetheilt; am Kopfe der Colonnen schrieben wir | die fort-
laufenden Zahlen in der Art, dass auf dem Papierbogen,
welcher dem 1. Assistenten übergeben wurde, die ungeraden
Zahlen, auf jenem, welcher dem 2. Assistenten anvertraut
wurde, die geraden geschrieben standen. Es ist selbstver-
ständlich, dass beim Beginne jeder Zeiteinheit der 1. Assi-
stent mit der Zählung beginnen musste, und dass 16 Colonnen
auf jedem Bogen mehr als genügend sind. Diese Methode
nannten wir die modifizirte Moleschott’sche Methode; sie ge-
stattet jeden Fehler in der Notirung der Zehner allsogleich
zu erkennen,
Wenn man auch der Moleschott’schen Methode, und
der von uns modifizirten nachrühmen kann, dass dieselben
einfach sind und am Ende der Zeiteinheit die Pulsschläge
rasch zu erfahren gestatten, ohne den Versuch bedeutend zu
verlängern, bleibt es doch fraglich, ob die Zählung ganz exakt
ist. Es wurde daher diese Methode in der genannten Rich-
tung von uns geprüft.
Aus theoretischen Gründen lässt sich sagen, dass die
Zählung eine fehlerhafte werde, entweder weil keine Ueber-
einstimmung zwischen den Bewegungen der Nadel und jenen
des Herzens stattfindet, oder weil das Auge des Beobachters,
sowohl während der Zählung, so wie auch, in dem Augenblicke,
in welchem ein Assistent den anderen substituirt, den Nadel-
— 12 —
bewegungen nicht genau folgen kann. Es ist jedoch nicht zu
läugnen, dass bei jenen Thieren, bei welchen der Brustkorb
stark bewegt wird, der Fall vorkommen kann, dass die
Nadel fortwährend ihre Oscilaticnsamplitude ändert, wodurch
ihren Bewegungen nicht so leicht zu folgen ist; davon über-
zeugten wir uns bei Lämmern, bei welchen die Zählung der
Nadelschwingungen sehr schwer wird, obwohl die Herzfrequenz
eine sehr geringe ist. Bei Kaninchen dagegen, bei welchen
die gewöhnliche Athmungsart eine andere ist, geschieht diess
selten und nur ausnahmsweise.
Die hauptsächlichsten Fehler bei der Methode von Mole-
schott, und bei der von uns modifizirten hängen nicht so
sehr von der Athmung als vielmehr von anderen Um-
ständen ab. Die nähere Betrachtung der Fehlerquellen er-
laubt uns folgende Schlüsse:
1) So lang die Herzfrequenz die Zahl von 230 bis 240
Pulsschläge in der Minute nicht übersteigt, lässt sich die
Zählung der Nadelschwingungen sowohl nach der Mole-
schott’chen als auch nach der von uns modifizirten Methode
ziemlich genau vornehmen.
Unter 12 vergleichenden Versuchen, die wir vornahmen,
betrug in keiner der Unterschied mehr als 2 Schläge in der
Zeiteinheit, und auch dieser Unterschied kam nur zweimal vor.
2) Wenn die Herzfrequenz die obenbezeichnete Gränze
von 230—240 Pulsschläge in der Minute übersteigt, dann
kann die Exaktheit der Zählung im Verhältniss mit der stei-
genden Herzfrequenz abnehmen und der Fehler ziemlich gross
werden.
In 30 Doppel-Zählungen mit der mechanischen und mit
der modifizirten Moleschott’schen Methode, bei welchen die
durch das Zählen erhaltene Frequenz zwischen 249 und 292
Schlägen in der Minute schwankte, betrug nur in 5 Ver-
suchen der Unterschied nicht mehr als 2 Pulsschläge in der
Zeiteinheit, in den übrigen 25 Zählungen war derselbe be-
deutend grösser. Er überstieg in, einigen Fällen (4) zwanzig,
in anderen (5) sogar dreissig Pulsschläge in der Minute.
— 113 —
Der grösste Unterschied betrug 39 Pulsschläge in der
Minute.
Bei diesen Versuchen zählten wir. die Schwingungen der
Nadel, die mit dem Hebel in Verbindung stand, so dass man
einwenden könnte, der Hebel habe die Nadelschwingungen
in der Art behindert, dass man denselben mit dem Auge
nicht gut folgen konnte. Wir änderten desshalb die Ver-
suche, so dass die Schwingungen einer zweiten in das Herz
eingestochenen Nadel gezählt wurden; erhielten jedoch in drei
vorgenommenen Zählungen ebenfalls bedeutende Unterschiede.
3) Ein Theil der Fehler, die man bei der Zählung der
Nadelschwingungen begeht, sobald die Herzfrequenz gross ist,
rührt vom Wechsel der Assistenten bei der Zählung der
Zehner, und es ist wahrscheinlich, dass der Fehler in dem
Augenblick vorkomme, in welchem ein Assistent den An-
dern ersetzt.
Um uns davon zu überzeugen, haben wir nicht die
Nadelschwingungen, sondern die Funken gezählt, welche ent-
stehen, wenn der Hebel das Quecksilber verlässt. Wir liessen
nun diese Funken in einer Reihe von Versuchen bloss von
einem Assistenten, in einer zweiten dagegen von zwei Assi-
stenten, also nach der modifizirten Moleschott’schen Methode
zählen ; gleichzeitig wurden die Herzschläge mit dem Zähler-
werk notirt.
In sechs Zählungen mit einem Assistenten allein war
die Uebereinstimmung eine sehr zufriedenstellende, da nur
ein einziges Mal der Unterschied zwei Pulsschläge in der Mi-
nute erreichte, und zweiMal gleiche Zahlen erhalten wurden.
In der zweiten Versuchsreihe dagegen, in welcher zwei
Assistenten die Zählung vornahmen, wurde in keiner der 6
Beobachtungen die volle Uebereinstimmung erreicht, und der
Fehler stieg bis auf 6 Pulschläge in der Zeiteinheit (60”).
Da nun ein elektrischer Funke sich leichter fixiren lässt,
als die Schwingungen der Nadel, und da in den obener-
wähnten Versuchen der Fehler so gering ausfiel, so: gewinnt
folgende Behauptung sehr an Wahrscheinlichkeit.
— 114 —
4) Sobald die Herzfrequenz eine sehr hohe ist, dann
werden die Zählungsfehler nicht bloss von dem Wechsel der
Assistenten bedungen, sondern sie rühren auch theilweise
von der grösseren Schwierigkeit her, mit der das Auge den
Nadelschwingungen folgt.
Unsere Versuche, welche die Exaktheit der Zählungen
mittelst der Moleschott’schen Methode zu prüfen hatten, sind
nicht genügend, um dieselbe definitiv zu verwerfen, sie be-
weisen bloss, dass man sich dieser Methode nicht bedienen
darf, sobald die Frequenz grösser ist als 230—240 Schläge
in der Minute, Es ist aber hier zu bemerken, dass es un-
statthaft wäre, auf Grund der Fehler, die man nach dieser
Methode der Zählung begeht, den Werth der von Moleschott
erhaltenen Resultate in Zweifel zu ziehen, da die Kaninchen,
deren sich Moleschott zu seinen Versuchen bediente, für
gewöhnlich eine niedrige Herzfrequenz zeigten, so zwar,
dass dieselbe sehr häufig 200 Schläge in der Minute nicht
überstieg.
Schliesslich seiauch bemerkt, dass die Nadel mit der Fahne
des Muskeltelegraphes von Dubois- Reymond verbunden wer«
den kann, wie diess seit mehreren Jahren durch einen von uns
(Vintschgau) bei Vorlesungsversuchen geschieht, wie es auch
leicht möglich ist, die Einrichtung nach dem Vorschlage
Wagner’s so zu treffen, dass die Nadel auf ein leeres Glas an-
schlage. Man erzielt jedoch durch diese beiden Einrichtungen
für die in Rede stehenden Versuche keinen nennenswerthen
Vortheil.
Wir wollen nun eine andere Zählungsmethode näher
betrachten, nämlich die graphische.
Die graphische Methode lässt sich in der Weise an-
wenden, dass :
1) Die Pulsschläge einer Arterie auf ein Sphygmogra-
phion übertragen werden, oder dass
2) man eine Arterie mit dem Manometer eines Kymo-
graphions, oder endlich
= My —
3) die Herznadel mit einer schreibenden Vorrichtung in
Verbindung bringt.
Wir haben bloss die letztere Methode einer theoreti-
schen Untersuchung unterworfen, da Brondgeest dieselbe zur
Wiederholung der Versuche von Moleschott anwenden wollte;
während die zwei anderen Methoden bis jetzt zu dem in
Rede stehenden Zwecke keine Anwendung fanden, und auch
eine solche schwerlich finden werden, indem das Sphygmogra-
phion sich nur bei solchen Thieren anwenden lässt, die irgend
eine oberflächliche Arterie von ziemlicher Dicke besitzen; bei
diesen Thieren lässt sich jedoch die Pulsfrequenz ohne be-
sondere mechanische Vorrichtungen bestimmen. Die Anwen-
dung des Manometers ist bei den oft erwähnten Versuchen,
wie ersichtlich, nicht leicht zulässig.
Die graphische Methode, sei ihre Anwendungsweise jede
beliebige, hat unstreitig den grossen Vortheil, dass sogar ein
Bruchtheil einer Schwingung notirt wird, und beim Gebrauche
des Manometers können selbst die Respirationsbewegungen
keinen Einfluss auf die Zahl der zu notirenden Herzschläge
geltend machen; dieser Vortheil gilt jedoch für die Methode
von Brondgeest nur unter jenen Voraussetzungen, die wir bei
Besprechung der Methode der Herznadel näher erörtert haben,
Bei der graphischen Methode hat man den weiteren
Vortheil das Autogramm der vorgenommenen Versuche zu
besitzen, einen Vortheil, den man auch bei der mechanischen
haben könnte, wenn in den elektrischen Kreis gleichzeitig mit
dem Zählerwerk auch der Schreibapparat von Morse einge-
schaltet würde.
Der graphischen Methode kann man dagegen weder Ein-
fachheit noch Leichtigkeit der Anwendungsweise nachrüh-
men; ausserdem hat sie noch den grossen Nachtheil, dass
die Zählung der gezeichneten Curven eine höchst zeitraubende
und beschwerliche Arbeit ist und dass man am Ende der
Zeiteinheit die Zahl der Pulsschläge niemals rasch erfahren
kann, was eben bei den in Rede stehenden Versuchen un-
umgänglich nothwendig ist.
— 116 —
Die von Brondgeest vorgeschlagene graphische Methode
hat nicht bloss, in physiologischer Beziehung alle Nachtheile,
welche der Methode der Herznadel und der mechanischen
zukommen; sie lässt dieselben noch stärker hervortreten durch
den Umstand, dass der Hebel wie er in der Vorrichtung
von Brondgeest angebracht ist, die Bewegung der Nadel noch
weit mehr beeinträchtigt, als diess in der mechanischen
Methode der Fall ist.
Brondgeest hat seiner graphischen Methode überdiess
ganz eigene Vortheile zugeschrieben, als da sind: es sei
möglich, jede Aenderung der Pulsfrequenz zu erkennen, welche
innerhalb des kurzen Zeitraumes von zwei Sekunden statt-
fand; man könne weiter die Dauer der einzelnen Herzschläge
bestimmen, und endlich sei es möglich, die einzelnen Herz-
schläge in Hinsicht ihrer relativen Kraft zu vergleichen.
Der erste Vortheil kann nicht bestritten werden, hat jedoch
keinen Werth in den Versuchen, die bestimmt sind, den Einfluss
des Vagus und des Sympathicus auf die Herzschläge zu er-
forschen. Was die angegebenen Vortheile des Apparates von
Brondgeestin den zwei anderen Richtungen anbelangt, so können
sie nach unserem Dafürhalten nicht richtig sein, weil auf die
Nadelbewegungen nicht bloss die Herzbewegungen, sondern
auch die respiratorischen einen Einfluss ausüben; weil weiters
die Schwingungen der Nadel nicht bloss abhängig sind von der
Kraft, mit welcher die Locomotion jenes Theiles des Herzens
geschieht, in den die Nadel eingestochen wurde, sondern auch
von der Grösse dieser Locomotion, und letztere auch unter
normalen Verhältnissen verschieden sein kann.
Anlangend die drei Methoden der Zählung der Herz-
schläge, welche wir in die zweite Abtheilung aufgenommen
haben, nämlich die Zählung der Pulsschläge einer Arterie,
oder des blossgelegten Herzens, oder endlich die Zählung der
Herzschläge mittelst der auf den Brustkorb aufgelegten Hand,
beschränken wir uns auf folgende Bemerkungen.
Die erste Methode wurde von uns nur in wenigen vor-
— 1171 —
läufigen Versuchen angewendet, musste aber bald verlassen
werden, da besonders bei den Kaninchen keine oberflächliche
Arterie vorhanden ist, welche einen deutlichen Puls zeigt.
Die dritte Methode kann nur bei Thieren mit ziemlich resi-
stentem Brustkorb in Anwendung kommen, so dass eine Com-
pression desselben nicht leicht möglich ist. Die Blosslegung
des Herzens endlich lässt sich bei den uns beschäftigenden
Versuchen wohl bei den Amphibien und Reptilien, nicht aber
bei den Säugethieren anwenden.
Einer von uns (Vlacovich) hat zwei Operationsmetho-
den angegeben, welche bei Hühnern das Herz blosszulegen
gestatten, ohne beträchtliche Störung der physiologischen
Funktionen.
Die erste Methode, welche von Vlacovich schon im Jahre
1859 angewendet wurde, hat den wichtigen Vortheil, dass
sie die Herzbasis und die grossen Blutgefässe, die von ihr
abgehen, direkt zu beobachten erlaubt, ohne dass eine sehr
eingreifende Operation vorgenommen werden muss. — Zu diesem
Zweck wird zuerst der Kropf (Ingluvies) geöffnet, entleert
und etwas bei Seite geschoben; darauf wird bloss jene fibröse
Haut entfernt, welche die obere Brustapertur verschliesst.
Die zweite Verfahrungsweise erlaubt dagegen die Herz-
nadel, und somit auch die mechanische Vorrichtung anzu-
wenden, ohne dass die Respirationsbewegungen störend ein-
wirken, und da diese Art der Blosslegung des Herzens bei
Vögeln vielleicht sich noch zu anderen Versuchen eignet, so
wollen wir dieselbe hier beschreiben.
Das Thier wird am besten auf das Vivisectionsbrett so
fixirt, dass die linke Seite nach oben zu stehen kommt, und
dass der entsprechende Flügel den Brustkorb nicht bedecke.
Es werden nun einige Federn ausgerupft und mit den Fingern
der mittlere Rand der grossen Incisur des Brustbeins auf-
gesucht, jener nämlich, welcher zwischen dem Brustbeinkör-
per und der langen Abdominal- Apophyse desselben Knochens
sich befindet. Die Brustmuskeln werden schichtenweise ein-
Naturw.-med. Verein. 12
ee,
geschnitten, bis man auf jene Membran stösst, die die ge-
nannte Incisur verschliesst. Der Schnitt muss bei Hühnern
ungefähr in der Gegend des concaven Randes des Brust-
beinkammes beginnen; es genügt für denselben eine Länge
von 3 bis 4 Ctm. Es wird bei dieser Operation nur die
Unterbindung jener zwei oder drei Gefässe nothwendig, welche
vorzugsweise in den tieferen Schichten der Muskeln ver-
laufen; da die Blutung aus den kleineren Gefässen sehr bald
von selbst aufhört, oder die Blutstillung mit einem Schwamm
bewerkstelligt werden kann, welcher in eine Eisenchloridlösung
eingetaucht wurde.
Damit die Bewegungen der Nadel kein Hinderniss finden,
trägt man zweckmässig am inneren Rande des Schnittes
einen kleinen Theil der Muskeln ab.
Es wird dann die obengenannte Faserhaut eingeschnitten
und ein Theil derselben entfernt, indem man sie von den
Bändern der Incisur ablöst; letztere wird etwas vergrössert,
indem man mit einer Zange einen kleinen Theil des Brust-
beines an der oberen und inneren Seite entfernt.
Man sieht hiernach das Pericardium, welches von der
Leber theilweise bedeckt wird, und durch dasselbe die Herzbe-
wegungen. Man könnte schon jetzt die Nadel einstechen; da
aber besonders durch wiederholte Einstiche leicht Hämorrhagien
stattfinden, und das geronnene Blut die Herzbewegungen der
Art beeinträchtigt, dass die Herzfrequenz sich sehr verlang-
samt, so ist es rathsam das Pericardium zu Öffnen, um
die Blutcoagula rasch entfernen zu können.
Damit aber nach Eröffnung des Pericardiums die Nadel
einen festen Punkt habe, ist es angezeigt, dieselbe durch
einen Lappen des ersteren durchzustechen, jedoch mit Ver-
meidung jeder Zerrung, damit die Nadel in ihrer Bewegung
in keiner Weise beeinträchtigt werde.
Durch diese Verfahrungsweise unterliegt die Nadel wohl
den Respirationsbewegungen, aber nur in so weit, als die-
selben auch eine Locomotion des ganzen Herzens bedingen ;
dagegen kann die Bewegung der Thoraxwand bei der Re-
Sa JOS)
spiration keinen Einfluss auf die Schwingungen der Nadel
haben, wodurch der Unterschied in der Amplitude der Nadel-
schwingungen bedeutend abgeschwächt wird, und somit werden
auch die Hebelschwingungen weniger ungleichförmig.
Die mit dem Marey’schen Sphygmographion, und mit
der mechanischen Methode vorgenommenen Versuche haben
den Beweis geliefert, dass die angegebene Operationsweise
zu dem Zwecke der Zählung der Pulsschläge mittelst der
mechanischen Methode geeignet ist.
Dass die Respiration ziemlich regelmässig vor sich geht,
ist selbstverständlich.
Die Operation lässt sicht auch gleichzeitig auf beiden
Seiten vornehmen. Man schneidet nämlich das Brustbein
ungefähr in der Mitte der Quere nach durch, dasselbe ge-
. schieht etwas oberhalb des oberen Randes seines Kammes;
der zwischen beiden Schnitten eingeschlossene Knochentheil
wird entfernt. Man hat somit Gelegenheit, die Herzbewe-
gungen durch mehrere Stunden zu beobachen, ohne die künst-
liche Athmung einleiten zu müssen.
Wird gleichzeitig der Vagus am Halse blossgelegt und
gereizt, so hat man ausserdem Gelegenheit, die Wirkung
der Vagusreizung auf das Herz eines warmblütigen Thieres
direct zu demonstriren.
Innsbruck im November 1871.
12%
Kleine Mittheilungen
über dic
eiweissstoffführenden Zellen der Gerste.
Von
M. v. Vintschgau.
(Mit einer Tafel.)
Es ist eine längst bekannte Thatsache, dass beim Weizen
(Triticum vulgare) unmittelbar unter den Hüllen eine
Reihe von Zellen vorkommt, welche mit sehr kleinen Körn-
chen von Albuminsubstanzen erfüllt sind. Diese Zellen nennt
man Kleberzellen.
Es wird für gewöhnlich angeführt, dass bei allen Cere-
alien nur eine Reihe solcher Kleberzellen vorkomme, wess-
wegen ich nicht wenig überrascht war, bei der Untersuchung
der gemeinen Gerste (Hordeum vulgare), konstant mehrere
Reihen ähnlicher Zellen zu finden.
Da es mir unwahrscheinlich schien, dass diese Thatsache
unbekannt sei, so stellte ich Nachforschungen in der botanischen
Literatur an; es war mir aber nicht möglich, darüber irgend
eine Angabe zu finden. — Ich habe auch die Herren Prof.
Kostelecky in Prag und Kerner in Innsbruek mündlich
darüber befragt und Herr Tempsky in Prag war so
gütig, bei Herrn Prof. Sachs Erkundigungen einzuziehen.
Die Antworten lauteten immer dahin, dass die Anzahl der
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— 121 —
hier in Rede stehenden Zellenschichten noch nicht bekannt
ist, wesshalb ich mich entschloss, alle jene Gerstenarten,
deren ich habhaft werden konnte, in der genannten Richtung
zu untersuchen.
Herr Prof. Kostelecky in Prag hatte die Freundlich-
keit, mir mehrere Gerstenarten zu übergeben, andere erhielt
ich von der k. patriotisch-ökonom. Gesellschaft in Prag und
von der landwirthschaftlichen Schule in Hohenheim.
Folgende sind die Gerstenarten, die ich in meine Unter-
suchungen einbezog: Hordeum vulgare, zeocriton, nigrum,
distichon, coeleste, nudum, polystichum, hexastichum, hy-
malaiense.
In allen diesen neun Arten, ist die Anzahl der eiweiss-
stoffführenden Zellen !) niemals geringer, als zwei, ja sie
kann auf 3, 4, hie und da sogar auf 5 steigen.
In der beigefügten von H. M. Dietl, Assistenten am
physiol. Institute, ausgeführten Zeichnungen zeigt Fig. 1 einen
Durchschnitt der Gerste, und zwar a) die Hüllen der Gerste,
b) die eiweissstoffführenden Zellen, ce) einige der grossen Ei-
weissstoff und Amylumkörner enthaltenden Zellen.
Die eiweissstoffhaltigen Zellen haben im Allgemeinen
eine polyedrische Gestalt, und wie man alle möglichen Formen
findet, so ist auch ihre Grösse sehr verschieden. — Ich habe
wohl bei allen obengenannten Gerstenarten die Zellen ge-
‚messen, und zwar immer in zwei aufeinander senkrechten
Richtungen, aber so verschiedenartige Zahlen erhalten, dass
es keine Bedeutung hätte, auch nur einige Mittelwerthe an-
zuführen.
1) Nach den übereinstimmenden Angaben von Bibra, Payen und
Meissner findet man in der Gerste keinen Kleber, wie im Weizen, es
kommen wohl im Wasser un!ösliche Eiweissstoffe vor, dieselben be-
sitzen aber durchaus nicht die eigenthümlichen und allgemein bekannten
Eigenschaften des Weizen-Klebers; aus diesem Grund vermied ich das
Wort kleberführende Zellen, und zog dagegen die unverfänglichen
Ausdrücke eiweissstoffiührende oder Eiweissstoff enthaltende Zellen in An-
wendung.
— 122 —
Die Dicke der Zellenwand, welche gemeinschaftlich meh-
reren Zellen angehört, schwankt bei allen Gerstenarten mit
Inbegriff einiger wildwachsenden, die ich später namentlich
anführen werde, zwischen 2.1 und 6.3 u., jedoch kommen
diese beiden Extreme selten vor, und die meisten Zellen-
wände besitzen eine Dicke von 4.0 u.; es muss aber er-
wähnt werden, dass eine Zellenwand nicht überall die gleiche
Dicke aufweist, sondern dass sie an den Ecken, wo mehrere
Zellen zusammenstossen dicker ist, wie diess auch an Fig. 1
ersichtlich ist.
In der grossen Längsfurche der Gerste findet man diese
Zellen nicht bloss kleiner werden, sondern auch die Anzahl der
Schichten sich immer mehr verringern, so dass sie bald auf
eine einzige reducirt erscheinen, und selbst in dieser sind die
Zellen nicht allein klein, sondern auch spärlich, und hören
endlich in der Tiefe der Furche auf. — Beim Weizen da-
gegen sieht man bekanntlich die Kleberzellen in der Tiefe
der Furche eine continuirliche Reihe bilden.
Wenn man einen Schnitt anfertigt parallel mit der
Oberfläche des Gerstenkornes, und man bloss die eiweiss-
stoffführenden Zellen trifft, so stellt sich, wie nicht anders zu
erwarten, eine schöne Mosaik dar.
Durch besondere Maschinen wird die Gerste von den
Spelzen befreiet, und die so bereitete Gerste führt die Namen
Gerstengraupe, Perlengerste, gerollte Gerste, Ulmergerste.
Ich habe sechs Arten von Gerstengraupe untersucht,
die sich voneinander durch ihre Grösse unterschieden.
Schon mit blossem Auge lässt sich wahrnehmen, dass die
kleinste Sorte, welche in der Kunstmühle von H. Schweig-
hofer zu Hall bei Innsbruck, mit Nr. 1 bezeichnet wird,
an ihrer Oberfläche nur eine geringe Menge von eiweissstoff-
haltigen Zellen enthält, je gröber dagegen, nämlich je dicker
und grösser die gerollte Gerste ist, ein desto grösserer Theil
ihrer Oberfläche ist mit jenen Zellen bedeckt. Mit Zuhülfe-
nahme des Mikroskopes überzeugt man sich leicht, dass die
gröberen Sorten von gerollter Gerste, die mit Nr. 6 bezeich-
— 123 —
net werden, nicht bloss an den meisten Stellen der Ober-
fläche fast alle eiweissstoffführenden Zellen en'halten, son-
dern dass sehr häufig noch Reste der Samenhüllen an den-
selben haften geblieben sind.
Durch die Güte des Herrn Prof. Kerner in Innsbruck
wurde mir die Möglichkeit geboten, drei wildwachsende Arten
von Gerste zu untersuchen, nämlich Hordeum murinum, se-
calinum und maritinum; bei diesen fand ich bloss eine
Reihe von den oftgenannten Zellen, so dass diese wildwach-
sende Gerstenarten in dieser Beziehung sich von den übrigen
Cerealien durchaus nicht unterscheiden.
Schliesslich will ich die Botaniker noch auf eine andere
Thatsache aufmerksam machen. — In der Mitte jeder ei-
weissstoffführenden Zelle, findet man einen bald runden, bald
ovalen Körper, welcher einem Kern nicht unähnlich sieht.
Bei vier Getreide-Arten (Triticum vulgare, Hordeum
vulgare, Secale cereale Avena sativa), die ich untersuchte,
liess sich dieser Körper nachweisen, sobald man die Durch-
schnitte trocken anfertigte und mit Nelkenöl behandelte.
Beim Hafer lässt sich dieser Körper am leichtesten und
sichersten nachweisen, sobald man in der angegebenen Weise
verfährt. (Fig. 2.) Seine Grösse beträgt im Mittel 7.0 u.
Ob man es hier mit einem wirklichen Kern oder mit
einem anderen Gebilde zu thun hat, kann ich nicht ent-
scheiden. — Dieser Körper scheint vom Wasser stark ange-
griffen, ja vielleicht aufgelöst zu werden, da mir seine Ge-
genwart nur dann mit Sicherheit darzuthun gelungen ist,
wenn ich das Befeuchten der Präparate mit Wasser vermied.
Innsbruck im Dezember 1871.
Novee plantarum species.
Auctore
A. Kerner.
1. Rubus przecox
turionibus arcuato-deflexis, obtusangulis, pilis fasct-
culatis spersis et aculeis conformibus validis munitis, folüs
quinatis, petiolis et petiolulis teretibus, pilis horizontaliter
patentibus villosis, foliolis radiatim dispositis, omnibus
petiolulatis, ovatis, longe acuminatis, tenuibus, utringue viri-
dibus et pilosis, ramulis florigeris abbreviatis, inflores-
centia pseudo-racemosa, laxa, pedunculis elongatis, paten-
tibus viridibus tenuibus, superioribus approximatis corym-
bosis, floribus magnis, sepalis in dorso viridibus pilosis,
albido-marginatis, post anihesin et in fructu patulis,
staminibus stylos aequantibus, germinibus glabris.
In locis umbrosis humidiuseulis ad silvarum oras in vallibus transal-
pinis, circa Goritziam solo arenoso et argillaceo.
Schössling und Stamm bogenförmig zur Erde gekrümmt,
0.5—1 Centim. im Durchmesser, rundlich - stumpfkantig
mit gestreiften Seiten, in der Jugend ziemlich reichlich mit
abstehenden 1—2""%: langen gebüschelten Haaren bestreut,
die auch auf die Stacheln übergehen, aber im Alter sich
mehr und mehr verlieren; zwischen je zwei Blättern mit
5—10 gleichgrossen nahezu 1 Centim. langen Stacheln besetzt,
welche sich aus einer länglich-linealen, schmalen 1 Centim.
— 12 —
langen Ansatzfläche und einer stark zusammengedrückten, drei-
eckigen Basis in eine schwachgeneigte und etwas gekrümmte
Spitze verschmalern. Die ganze Pflanze ohne Stieldrüsen.
Die Blätter der Schösslinge lang gestielt, fünfzählig, selten
durch Verschmelzung der seitlichen Blättehen vierzählig und
dreizählig; der gemeinschaftliche Blattstiel, so wie die Stiele
der Theilblättchen stielrund, von wagrecht abstehenden 1— 2"
langen, weichen Haaren zottig, (ähnlich wie bei Fragaria
elatior) und mit nicht sehr zahlreichen aber kräftigen aus
breiter zusammengedrückter Basis in eine zurückgekrümmte
Spitze vorgezogenen Stacheln bewehrt; die Theilblättchen ra-
dial gestellt, gross, dünn und weich, oberseits dunkler grün
und glanzlos, unterseits blassgrün und etwas glänzend, an
beiden Flächen von mehr weniger abstehenden schimmernden
Haaren bekleidet, und längs dem Mittelnerv an der unteren
Fläche mit gekrümmten Stachelchen bewehrt, am Rande von
breiteiförmigen kurzen plötzlich in ein lineal-pfriemliches
0.5—1™™ langes abstehendes Spitzchen zusammengezogenen
wimperhaarigen Zähnen gesägt. Das endständige Theilblatt-
chen aüs zugerundeter Basis eiförmig, lang zugespitzt, 10
bis 14 Ctm. lang, 6—7 Centim. breit, an einem 4—6 Ctm.
langen Stielchen, also mehr als doppelt so lang als dieses Stiel-
chen; die beiden seitenständigen mittleren Blättchen verkehrtei-
förmig, lang zugespitzt, 9—13 Centim. lang, 4—6 Centim.
breit, an einem 1.5—3 Centim. langen Stielchen; die bei-
den unteren Blättchen länglich — Jlanzettlich oder länglich
— verkehrteiförmig, 7—8 Centim. lang, 3 Centim. breit, an
0.5 Centim. langen Stielchen. Wenn die beiden seitlichen
Blättchen einer Seite zu einem verschmolzen sind, so er-
scheint das durch diese Verschmelzung entstandene Blättchen
tief zweilappig. Die Nebenblätter sehr schmal lineal, 1.5 Ctm.
lang, langhaarig gewimpert. — Die blüthentragenden Zweige
nur 20—35 Centim. lang, also wenig länger als die Schöss-
lingsblätter, kantig, grün, abstehend behaart und mit zurück-
gekrümmten Stacheln bewehrt. Die Blätter der blüthen-
tragenden Zweige in Farbe und Bekleidung mit den Blättern
— 126 —
der Schösslinge übereinstimmend, aber dreizählig, die Theil-
blättchen verhältnissmässig breiter, nicht so lang zugespitzt,
unregelmässiger und gröber gesägt, das mittlere an einem
1~2 Centim. langen Stielchen, die beiden seitlichen an sehr
kurzen Stielchen oder fast sitzend; die Nebenblätter etwas
breiter als jene der Schösslinge. Der Blüthenstand präsentirt
sich als eine lockere 5—15 blüthige unten sehr gestreckte,
oben sehr verkürzte, gestutzte Scheintraube !) deren oberste
langgestielte 2—4 Blüthen die gipfelständige zuerst sich ent-
faltende ‘Bliithe überragen oder mit ihr in gleicher Höhe
stehen und fast doldenartig gruppirt sind. Die 2—-4 unter-
sten entfernt stehenden Blüthen von laubartigen einfachen
oder dreizähligen Blättern gestüzt, die im Zuschnitt so wie
in der Berandung und Bekleidung mit den tieferstehenden
stengelständigen Laubblättern übereinstimmen; die folgenden
oberen Blüthen von Bracteen gestützt, welche in ihrer Form
den Nebenblättern ähneln, im Umriss lanzettlich erscheinen
und gewöhnlich in drei lineale haarige Zipfel gespalten sind.
Die Blüthenstiele sind abstehend, etwas spreizend, 2-4 Ctm.
lang, dünn, grün, abstehend behaart, wehrlos oder mit 1-3
sehr kleinen gekrümmten Stachelchen besetzt. Die Blüthen
zeigen einen Durchmesser von 2.5—3 Centim. Die Kelch-
zipfel sind 7—9™™: lang, eiförmig, lang zugespitzt, mit grüner
abstehend behaarter weissberandeter Aussenfläche und weiss-
lichfilziger Innenfläche; sie sind zur Zeit der Blüthe abstehend
oder nur halb zurückgeschlagen, nach dem Abblühen gewöhn-
lich sternförmig ausgebreitet und erst zur Zeit der Frucht-
reife wieder etwas mehr zurückgeschlagen. Die Kronenblätter
sind 8””- breit und 12™- lang, also kaum zweimal so lang
als die Kelchzipfel, sie sind weiss, ausgebreitet, breit ellip-
tisch oder verkehrteiförmig, plötzlich in den sehr kurzen
1) Ich schlage für die aus einfach-traubenförmig angeordneten Blü-
then gebildete cymatische Inflorescenz, welche für Rubus fruticosus, Rubus
fastigiatus und einige verwandte Arten so charakteristisch ist, den Na-
men Scheintraube, racemus spurius vor, analog der Bezeichnung:
Scheinähre, spica spuria.
—ı 20. —
Nagel zusammengezogen, aussen spärlich behaart. Die Staub-
fäden sind 6—7™™"- lang, ausgebreitet, und überragen in
dieser Stellung nicht die Griffe. Die ‘Fruchtknoten sind
orün, kahl; die Griffel grünlich, die reifen Früchte glänzend
schwarz.
Diese Brombeerenart blüht verhältnissmässig sehr zeit-
lich uud öffnet ihre Blüthen bei Görz schon Mitte oder Ende
Mai; auch die Früchte reifen früher als jene der meisten
andern Rubus-Arten, bei Görz gewöhnlich schon im Juli.
Der hier beschriebene Rubus ist R. fastigiatus Krasan
in Verh. d. zool.-bot. Ges. XV., 330, aber nicht R. fasti-
giatus W. u. N.!) — R. fastigiatus W. u. N. besitzt näm-
1) Ueber R. fastigiatus W. & N. herrschen bei den Autoren zweier-
lei Ansichten. O. Kuntze hält R. fastigiatus W. & N. für identisch mit
R. suberectus Anderson, und auch Focke gibt an, dass er Weihe’sche
Originalexemplare als „R. fastigiatus“ bestimmt besitze, die nichts an-
ders sind, als R. suberectus Anders. Die von W. & N. gegebene Ab-
bildung stellt aber eine andere mit R. fruticosus L. = R. plicatus
W. & N. näher verwandte Pflanze dar und Wirtgen, so wie Bayer be-
ziehen daher auch R. fastigiatus W. & N. nicht auf R. suberectus
Anders., sondern anf jene an R, fruticosus L. = R. plicatus W. & N.
sich näher anschliessende Rubus-Art. Das wahrscheinlichste ist, dass
Weihe & Nees beide hier erwähnte Formen nicht geschieden, sondern
beide unter dem Namen R. fastigiatus verstanden haben. Das zweck-
mässigste scheint mir darum auch zu sein, den durch seine runden nur
oberhalb der Mitte schwach fünfkantigen, mit kleinen, kegelförmigen,
geraden Stacheln bewehrten Schössling, durch die fast kahlen Blätter und
die kurzen Stiele der mittleren Seitenblättchen ausgezeichneten Rubus
suberectus Anders. mit diesem seinem ältesten Namen zu benennen, da
gegen jenen zweiten durch fünfkantigen nach oben zu mit sehr kräfti-
gen grossen Stacheln bewehrten und durch langgestielte mittlere Seiten-
blättehen ausgezeichneten, dem R. fruticosus L. zunächst stehenden aber
von diesem doch wieder durch die lang zugespitzten ebenen Theilblätt-
chen, die grösseren Blüten die längeren den Griffeln gleichhohen oder
diese etwas überragenden Staubgefässe leicht zu unterscheidenden Rubus
mit dem Namen Rubus fastigiatus W. & N. zu bezeichnen, wie es auch
Wirtgen und Bayer gethan haben. Will man dann dem Namen R. fasti-
giatus W. & N. allenfalls noch ein „ex parte“ beisetzen, so kann man
das immerhin thun.
Mag man übrigens der einen oder anderen Auffassung huldigen, sa
lich oberseits deutlich vertiefte eingedrückte oder rinnige Blatt-
und Blättchenstiele, derbes Laub mit schwacher wenig ab-
stehender Behaarung und entweder ganz kahle oder nur an
den obersten Interfoliartheilen mit zerstreuten einfachen Haa-
ren in der Jugend bekleidete Schösslinge und unterscheidet
sich sonach sehr wesentlich von dem oben beschriebenen
Rubus. Insbesonders dürfte auf das zuletzt angeführte Unter-
scheidungsmerkmal hier einiges Gewicht zu legen sein, nach-
dem durch O. Kuntze nachgewiesen wurde, dass die Schöss-
linge des R. fruticosus und der mit diesem zunächst ver-
wandten Arten mit einfachen im Alter schwindenden
Haaren, dagegen die Schösslinge des R. silvaticus, R. vul-
garis und der an diese sich anschliessenden Arten mit ge-
büschelten bleibenden Haaren mehr weniger reichlich be-
setzt sind. Die Schösslinge des oben beschriebenen R. prae-
cox tragen nun deutliche, wenn auch spärliche Büschelhaare
und hiedurch würde sich also dieser Rubus in die letztere
Gruppe reihen. Ueberblickt man aber die anderen Merk-
male dieses Rubus: die grüne weissberandete Aussenfläche
der abstehenden Kelchzipfel, die über die Griffel nicht hin-
ausragenden Staubgefässe, die eigenthümliche oben geschil-
derte Inflorescenz und die kurzen blüthentragenden Zweige,
und berücksichtiget man die ganze Tracht desselben, so lässt
sich nicht in Abrede stellen, dass er dem R. fastigiatus
W. u. N. und R. fruticosus L. weit näher verwandt ist, und
es ist auch sehr begreiflich, wie er von Krasan für Rubus
fastigiatus genommen werden konnte. — Aus diesen Bemer-
kungen ergibt sich freilich auch das Resultat, dass das Vor-
handensein der einfachen oder gebüschelten Haare an den
Schösslingen als Merkmal zur Eintheilung der Homoacanthi
in untergeordnete Gruppen füglich nicht verwendet werden
kann und dass eine nur auf dieses Merkmal gegründete
viel ist gewiss, dass weder dieser zuletzt erwähnte R. fastigiatus W. &N.
ex parte, noch R. suberectus Anders. mit den in dem südöstlichen Ge-
lände der Alpen bei Görz vorkommenden von Krasan für R. fastigiatus
gehaltenen Rubus übereinstimmt.
— 129 —
Gruppirung eine ganz kiinstliche sein wiirde. — Viel uatiir-
licher scheint es mir dagegen, ein anderes biologisches, an
getrockneten Exemplaren freilich nicht mehr zu erkennendes
Merkmal zur Gruppeneintheilung der hier in Rede stehenden
Rubus-Arten zu verwenden, das ist die Bliithezeit. R. fru-
ticosus L., R. suberectus Anders., R. fastigiatus W. u. N.
stehen nämlich zu einer Zeit bereits in voller Bliithe, in
welcher unter ganz gleichen äusseren Verhältnissen R. sil-
vaticus W. u. N., R. vulgaris W. u. N. und die mit diesen
verwandten Arten ihre Blüthenknospen noch gar nicht geöff-
net haben und man könnte die ersteren füglich unter dem
Namen der Praecoces zusammenfassen. — In diese
Gruppe der frühblühenden Homoacanthi, welche in Europa
den nördlicheren Landstrichen angehört, während sie auf den
südlichen Halbinseln unseres Continentes durch keine einzige
Art vertreten ist, gehört nun auch der oben beschriebene
Rubus praecox und ich glaube denselben als den südlichsten
Vorposten dieser Gruppe ansehen zu können.
2. Rubus gorizianus
turionibus et truncis arcuato-deflexis, 5-angularibus, glab-
rescentibus , parce aculeatis: aculeis conformibus, validis
subreclinatis, glabratis; foliis quinatis, foliolis magnis,
radiatim dispositis, omnibi:s petiolulatis, tenuibus, ellipticis,
brevissime acuminatis, erregulariter serratis, discoloribus,
supra viridibus siriqulosis, subtus albidis tenuissime ad-
presse tomentosis, inflorescentia pauciflora, ovata, e cymulis
1—3-floris composita, inferne foliata, superne nuda, pe-
dunculis tenuibus tomentosis et parce aculeolatis, sepalis
sub anthesi et in fructu reflexis, cano-tomentosis, inermi-
bus, petalis albis late ellipticis, sepala viv duplo superan-
tibus, staminibus stylos superantibus, germinibus viridibus
pilis elongatis ewignis obsitis.
In dumetis et ad silvarum oras prope Goriziam.
Schössling bogig zur Erde geneigt, 4—6™™ dick, fünf-
— 130 —
kantig im frischen Zustande mit flachen glatten, im getrock-
neten Zustande mit etwas vertieften Seiten, in der Jngend
mit spärlichen Büschelhaaren bestreut, im Alter kahl, zwi-
schen je zwei Blättern mit 3—8 gleichgrossen 6-—8™™: lan-
gen kahlen Stacheln besetzt, welche sich aus einer linealen
‚ nahezu 1 Centim. langen Ansatzfläche und zusammenge-
drückten dreieckigen Basis in eine gerade wagrecht abste-
hende oder etwas rückwärts geneigte Spitze verschmälern.
Die ganze Pflanze ohne Stieldrüsen. Die Blätter der Schöss-
linge gross, dünn und weich, lang gestielt, fünfzählig, die
Theilblättchen radial gestellt, alle gestielt; das endständige
Blättchen breit elliptisch, kurz zugespitzt, an der Basis etwas
herzförmig ausgerandet, 6—15 Centim. lang, 4—10 Ctm.
breit, an einem 2--4 Centim. langen Stielchen, also bei-
läufig 3—4 mal so lang als dieses Stielchen; die mittleren
seitenständigen Blättchen etwas schmäler, elliptisch, zum
Theile auch verkehrteiförmig, sehr kurz zugespitzt, 6-12 Ctm.
lang, 3—7 Centim. breit, an Stielchen, welche 1—1.5 Ctm.
Ausmaass zeigen; die unteren seitlichen Blättchen 5—9 Ctm.
lang, 2—4 Centim. breit, an ,2—-3™™. langen Stielchen; alle
Blättchen unregelmässig grob gesägt mit breit eiförmigen
kurz bespitzten, nach Vorne und Auswärts gerichteten Säge-
zähnen, oberseits dunkelgrün, glanzlos, mit schimmernden
anliegenden Strichelhaaren bestreut, unterseits von dicht ver-
wobenem aber sehr kurzem dünn aufgetragenem und eng
‚anliegendem Filze weisslich oder weisslich-graugrün, längs
dem Mittelnerv so wie an dem flaumhaarigen Blattstiele mit
einigen kurzen zurückgekrümmten Stachelchen besetzt. Die
Nebenblätter 1 Centim. lang, 1%. breit, lineal, wimper-
haarig. Die blüthentragenden Zweige 25—50 Centim. lang,
kantig, grün, flaumhaarig, die Blätter der blüthentragenden
Zweige mit jenen der Schösslinge im Zuschnitt, in der Be-
randung und Bekleidung übereinstimmend; der Blüthenstand
armblüthig, im Umrisse eiförmig, aus 1—2 blüthigen seltener
3 blüthigen locker gestellten abstehenden, traubig angeord-
neten Cymen gebildet. Die 4—5 unteren Aeste der Inflores-
— 131 —
cenz von laubartigen dreizähligen oder einfachen im Zuschnitt
so wie in der Berandung und Bekleidung mit den tiefer
stehenden Stengelblättern übereinstimmenden Blättchen ge-
stützt, die obersten Cymen von häutigen flaumhaarigen lineal-
lanzettlichen ungetheilten oder in drei lineale vorgestreckte
Zipfel getheilten Bracteen gestützt. Die Blüthenstiele dünn,
von sehr kurzen Härchen filzig, graugrün, zugleich von län-
geren abstehenden Haaren flaumig und von spärlichen
2— 4m. Jangen, mit der Spitze etwas zurückgeneigten Stachel-
chen bewehrt. Die Blüthen sind mittelgross, 2.5 Centim. im
Durchmesser. Die Kelchzipfel sind 6—7™: lang, 3—3.5™-
breit, eiförmig, zugespitzt, die Spitze manchmal in ein kleines
grünes Anhängsel auslaufend, gleichmässig graufilzig, unbe-
wehrt, zur Blüthe- und Fruchtzeit zurückgeschlagen. Die
Kronenblätter weiss, an der Aussenfläche mit zarten Härchen
bestreut, rundlich-elliptisch, 8" breit und 10": lang, also
nicht ganz doppelt so lang als die Kelchzipfel, gegen die
Basis in einen 1"”- breiten sehr kurzen Nagel zusammen-
gezogen. Die Staubfäden kahl, weiss, 6—7"" lang, deut-
lich über die Griffel hinausragend. Die Fruchtknoten grün,
mit vereinzelten langen Haaren bestreut, die Griffel grünlich.
Der hier beschriebene Rubus nähert sich einigermassen
dem R. silvaticus W. u. N. und R. pubescens W. u. N. —
Ersterer unterscheidet sich aber durch den büschelhaarigen
reichstacheligen Stamm, die unterseits grünen Blätter, die
bis zur Spitze beblätterte Inflorescenz, die reich und lang-
nadeligen Blüthenstiele und die langhaarig-zottigen Kelch- |
zipfel; letzterer durch den anch im Alter noch büschel-
haarigen Stamm, die behaarten Stacheln, die derben Blätter,
die reichblüthige Inflorescenz nd die dichtbehaarten Frucht-
knoten. Die zuletzt angeführten Unterscheidungsmerkmale
sind freilich nur relativ und vielleicht ist daher R. gorizia-
nus nichts anders, als eine durch den schattigen Standort
bedingte Form des R. pubescens. Habituell weicht derselbe
von R. pubescens allerdings sehr ab.
Krasan, der den hier beschriebenen Rubns bei Görz
Map
gesammelt, muthmasst in demselben einen der Combination:
fastigiatus X amoenus entsprechenden Bastart. Da aber
der bei Görz vorkommende Rubus, welchen Krasan für R.
fastigiatus hielt, nicht die gleichnamige Pflanze von Weihe
und Nees, sondern der im Früheren beschriebene R. prae-
cox ist und da auch der echte R. amoenus Portenschlag bei
Görz schwerlich vorkommt, vielmehr der von Krasan für „R.
amoenus“ genommene Rubus mit R. rusticanus Merc. zu
identifiziren sein dürfte !), so würde wohl der R. gorizianus
1) Der Name Rubus amoenus Portenschlag wird mit Unrecht von
Focke und anderen neueren Rubologen mit R. rusticanus Merc. indenti-
fizirt. Ich selbst hielt diese beiden Rubus früher für identisch und habe
den in Südtirol sehr verbreiteten R rusticanus Merc. unter dem Namen
R. amoenus vielfach versendet. Bei der Untersuchung einiger in Dal-
matien und Istrien gesammelten Rubus wurde ich aber darauf aufmerk-
sam, dass dort zwei Arten vorkommen, welche sich zwar sehr ähnlich
sehen, die aber doch sicherlich auseinander zu halten sind. — Die vio-
letten Stämme und Zweige des einen sind kahl oder nur mit spärlichen
sehr kurzen Büschelhaaren bestreut, aber mit einer dünnen weissen
brüchigen sich stellenweise fast schülferig oder kleienartig von der Epi-
dermis abhebenden Schichte überzogen, welche abgeschabt und auf einem
Gläschen erwärmt rasch zerschmilzt und sich unzweifelhaft als Wachs-
überzug zu erkennen gibt; die Zweige des zweiten sind von dichtem
eng anliegenden glanzlosen grauen sammtigen Filze bekleidet. — Der
Rubus mit dem Wachsüberzuge ist nun R. rusticanus Merc. und ist zu
Folge der von mir eingesehenen Exemplare im Wiener botan. Hofkabi-
nete so wie mach meinen eigenen Beobachtungen in Portugal und
Granada, Südfrankreich, Südschweiz, Südtirol, Görz, Fiume, Italien und
Sizilien, Griechenland und Macedonien und auch im nördlichen Afrika
(Algier) verbreitet. Der Rubus mit den filzigen Zweigen ist dagegen
R. amoenus Portenschlag. Durch die Güte Prof. Fenzl’s wurde ich in
die Lage gesetzt, die Pflanze Portenschlags selbst einzusehen und mich
zu überzeugen, dass die Beschreibung welche Visiani in der Fl. dalm.
III, 248, wo von R. fruticosns var. amoenus = R. amoenus Portensch.
herb.! gesagt wird „caulibus velutino-pubescentibus“ in der That ganz
richtig ist. — Ob dieser echte R. amoenus Port. eine eben so grosse
Verbreitung im südlichen Europa besitzt, wie R. rusticanus Merc. muss
ich vorläufig dahingestellt sein lassen. Bei Pola in Istrien sammelte
ich ihn selbst; im Herb. des Wiener bot. Hofkabinetes sah ich denselben
aus Dalmatien und Griechenland.
too
wenn derselbe überhaupt einer hybriden Befruchtung sein
Dasein verdankt, richtiger als ein der Kreuzung: praecox
X rusticanus entsprechender Bastart zu deuten sein.
Dass es hybride Rubus geben könne, unterliegt wohl
keinem Zweifel, ja es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die
Zahl derselben, so wie bei den verwandten Gattungen Geum,
Potentilla und Rosa eine sehr grosse ist, und dass die
Schwierigkeiten, welche diese Gattung der Phytographie dar--
bietet, zum guten Theile gerade von dieser grossen Zahl
hybrider Arten herrühren. Ich sage hier ausdrücklich: hy-
bride Arten; denn ich bin der festen Ueberzeugung, dass
sich durch Bastartirung auch Arten bilden können. Wie ich
an anderer Stelle!) gezeigt habe, ist nämlich nach dem
gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse nicht mehr daran
zu zweifeln, dass zwar unzählige in der freien Natur ge-
bildete und sich fort und fort bildende Bastarte wieder zu
Grunde gehen, ohne die Ausgangspunkte neuer Arten zu
werden, dass aber unter dem Zusammentreffen günstiger Be-
dingungen die einmal erzeugten Bastarte sich auch erhalten
und vermehren, konkurrenzfähig werden, sich ausbreiten und
sich einen Verbreitungsbezirk schaffen, das heisst also zu
Arten werden; denn wie anders sollen wir Pflanzen nennen,
welche in unzählbaren Individuen sich über ein bestimmtes
Areal verbreitet haben, sich dort dureh Früchte erneuern
und vermehren, und sich auf dem gebildeten Areale durch
Generationen mit ihren Merkmalen gleichförmig erhalten!
Wenn ich mich aber auch für das Vorhandensein zahlreicher
Bastarte in der Gattung Rubus erkläre, so glaube ich doch
anderseits wieder, dass wir von dem Ziele: die einzelnen
Rubusarten in Betreff ihrer Entstehungsgeschichte jetzt schon
richtig zu deuten, noch sehr weit entfernt sind. Wir wissen
gegenwärtig nicht einmal annähernd, welche Arten als die
Stammarten, und welche als Bastarte aufzufassen sind. Da
sich leider verhältnissmässig nur wenig Phytographen mit
*) Oesterr. bot. Zeitschrift XXI Nro. 21.
Naturw.-med. Verein. 13
— 134 —
Rubus eingehender beschäftiget haben, so liegt über diese
Verhältnisse in der Literatur überhaupt nur wenig vor. Das
wenige aber, was vorliegt, zeigt, dass die Ansichten über
die Frage, ob dieser oder jener Rubus als ein Bastart zu
deuten sei, und welche Arten etwa als seine Stammarten
zu bezeichnen wären, sich oft schnurstraks entgegenstehen.
Von den Einen wird R. suberectus Anders. als ein „unzweifel-
hafter* Bastart aus R. Idaeus L. und R. fruticosus L. an-
gesehen, während Andere diesen hybriden Ursprung mit eben
so grosser Entschiedenheit in Abrede stellen und wider Andere
diese Pflanze für einen der Combination corylifolius >< Idaeus
entsprechenden Bastart erklärten. Die Arten der Gruppe:
Corylifolii werden von mehreren Autoren für Bastarte aus
R. caesius L. mit Arten der verschiedensten Gruppen ange-
sehen, während andere Autoren in dem massenhaften Vor-
kommen und in der normalen Entwicklung reifer Früchte
einen Gegenbeweis gegen die hybride Natur der Corylifolii
finden zu können glauben. — Darin liegt aber gerade eine
der grössten Schwierigkeiten, dass alle jene Anzeichen, welche
man bei anderen Pflanzengattungen zur Deutung der hybriden
oder nichthybriden Natur mit Erfolg benützt, bei der Gattung
Rubus im Stiche lassen. Ob ein Strauch reife Früchte zur
Entwicklung bringt, oder ob seine Fruchtanlagen abortiren,
hat beispielsweise bei der Beurtheilung der hybriden Natur
eines Rubus nur einen sehr untergeordneten Werth. Ich
beobachtete einige reichlichst blühende Sträucher des R. can-
dicans Weihe (R. thyrsoideus Wimmer), also einer Art, welche
von allen Autoren als nicht hybrid angesehen wird, und die
in der Regel anderwärts reichlich fructifizirt, durch eine Reihe
von Jahren ganz steril bleiben, während an derselben Stelle
R. dumetorum, den die meisten Rubologen für einen Bastart
halten, alljährlich normale vollzählige Früchte entwickelte.
Dieser letztere von den meisten Autoren für hybrid erklärte
Rubus gehört zu den verbreitetsten Arten, und findet sich
in zahlreichen Individuen in Gegenden, wo die eine seiner
gemuthmassten Stammeltern vollständig fehlt. Ich erwähne
— 15 —
dieser Dinge nur, um damit zu zeigen, wie misslich es ist,
bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse über Rubus
die einzelnen Arten in Betreff ihres Ursprunges zu erklären
und a prior; zu sagen, ob ein gegebener Rubus ein Bastart
sei oder nicht. Aber auch a posteriori wird sich in vielen
Fällen der Beweis der hybriden Abstammung einer wildge-
wachsenen Pflanze nur schwer herstellen lassen. Bei solchen
Formen, welche in ihren Merkmalen zwischen zwei nahe .ver-
wandten Arten derselben Gruppe die Mitte halten, wird es
wenigstens immer zweifelhaft bleiben, ob nicht die fragliche
Pflanze, welche sich als Mittelform präsentirt, ein Ueber-
bleibsel der Stammpflanze ist, aus welcher sich eben jene
zwei nahe verwandten Arten im Laufe der Zeit entwickelt
haben. Dass die Stammpflanze zweier Tochterarten dem Ba-
starte eben dieser Tochterarten ganz gleichsehen muss, liegt
auf der Hand. Ich erwarte mir darum auch von künstlich
eingeleiteten Bastartirungen und Culturversuchen zur Ent-
scheidung der hier in Rede stehenden Fragen kein besonders
befriedigendes Resultat und glaube, dass diese Versuche in
vielen Fällen unsere Zweifel darüber, ob eine gegebene in
der freien Natur aufgefundene Mittelform hybriden oder nicht
hybriden Ursprungs ist, nicht zu lösen im Stande sein werden.
Damit soll natürlich der Werth, welchen derartige künst-
lich eingeleitete Bastartirungen und Culturversuche in mehr-
facher ‘Beziehung haben, nicht in Abrede gestellt werden, ja
ich halte es auch durchaus nicht für überflüssig in jedem
speziellen Falle auch ohne Culturversuche die Frage zu er-
örtern, von welchen anderen Arten ein gegebener wildwach-
send gefundener Rubus abstammen könnte; denn es wird
eine solche Erörterung jedenfalls wesentlich dazu beitragen,
die systematische Stellung der betreffenden Pflanze, so wie
die Verwandtschaftsverhältnisse derselben klar zu machen.
Was ich aber für ganz unzweckmässig und verwirrend
halte, ist der Versuch, die Nomenklatur der Rubusarten ent-
sprechend den ganz unsicheren Muthmassungen über kybride
oder nichthybride Natur einzurichten und die einzelnen Arten,
Lon
— 136 —
welche man fiir hybrid halt, auf diese Muthmassung hin mit
einem nach der Schiede’schen Methode formulirten Doppel-
namen zu bezeichnen. Wenn ich auch nicht zu denjenigen
gehöre, welche ein umfangreiches Synonymenregister in einer
Pflanzengattung für ein Unglück halten, vielmehr ein solches
weitläufiges Register bei jeder reichgegliederten Pflanzen-
gruppe als etwas Selbstverständliches, als einen durch den
Entwicklungsgang unserer Kenntnisse nothwendig bedingten
lehrreichen Appendix ansehe, so wird mir doch vor den
endlosen Synonymen-Reihen bange, welche durch die Ein-
führung der Schiede’schen Formeln in ganz überflüssiger Weise
provocirt werden. Da die Autoren, welche dieser Nomen-
klatur huldigen, darüber, was als nichthybride Stammart an-
zusehen sei, durchaus nicht übereinstimmen, da der eine den
Formenkreis einer Art enger, der andere weiter zieht, da
überdiess auch über die Benennung jener Arten, über welche
die meisten Autoren in Betreff der Umgränzung einig sind,
und welche alle einstimmig für nichthybride Stammarten
halten, die Akten noch lange nicht geschlossen sind, so ist
es erklärlich, dass fast jeder der Autoren, dem von ihm ge-
muthmassten hybriden Rubus andere nach der Schiede’schen
Methode formulirte Namen gibt, so wie es anderseits unver-
meidlich wird, dass jedesmal, sobald sich bei Erweiterung
unserer Kenntnisse die Aenderung des Namens einer Stamm-
art als nothwendig herausstellt, auch die Namen aller jener
gemuthmassten hybriden Rubus geändert werden müssen, an
welchen die Autoren jene Stammart betheiligt halten. Um
nur ein paar Beispiele anzuführen, sei hier erwähnt, dass
Krasan den Rubus corylifolius Sm. als R. caesius X dis-
color, ©. Kuntze als R. caesius X fruticosus, Focke als
R. caesius X amoenus erklärt, und dass R. dumetorum von
Fischer-Ooster als R. caesius X glandulosus von Focke als
R. fruticosus X caesius, von Krasan als R. caesius X dis-
color bezeichnet wird. — O. Kuntze nennt den R. macro-
phyllus W. u. N.: R. fruticosus X sanctus; den R. macroa- ~
canthus W, u. N.: R. candicans X sanctus; den R. Sprengelii
— 137 —
Weihe: R. caesius X sanctus; den R. pycnostachys J. P.
Müller: R. sanctus :tomentosus und den R. vestitus Weihe:
R. radula X sanctus. Es ist aber jetzt nachgewiesen, dass
R. sanctus Schreb. eine von allen Arten die O. Kuntze unter
seinem „R. sanctus“ zusammenfasst, ganz verschiedene im
Oriente heimische Pflanze ist, welche an keinem der oben
aufgezählten von O. Kuntze gemuthmassten Bastarten be-
theiliget sein kann, und es müssten daher jetzt dem ent-
sprechend alle diese Kuntze’schen Namen wieder geändert
werden. — Es genügt wohl dieser wenigen Beispiele — denen
ich leider noch eine grosse Zahl an die Seite stellen könnte
— um zu zeigen, welcher ebenso endlose als überflüssige
Synonymenwust durch diese ungeschickte Nomenklatur in
einer Pflanzengruppe herbeigeführt werden muss, in welcher
man weder darüber, was als Stammart gelten soll, noch
über die Abgränzung, noch über die Benennung dieser Stamm-
arten zu einem nur einigermassen befriedigenden Abschlusse
gekommen ist.
Diesen etwas ausführlicheren Exkurs glaubte ich hier ein-
schalten zu müssen, um damit mein Verfahren bei der Be-
handlung der im Nachfolgenden beschriebenen Rubus zu be-
gründen und zu rechtfertigen. Manche der hier von mir
beschriebenen Rubus mögen vielleicht hybriden Ursprunges
sein, manche sind es wahrscheinlich nicht. Die Gründe,
welche für und gegen eine solche Muthmassung sprechen,
werde ich in den einzelnen Fällen stets angeben, es aber
vermeiden, zur Bezeichnung der beschriebenen Arten Namen
zu wählen, welche eben nur auf einer Muthmassung beruhen
und daher vielleicht schon in kürzester Zeit wieder geändert
werden müssten,
3. Rubus persicinus
turtonibus et truncis validis, obtusangulis, erectis, superne
arcuatis, pilis sparsis fasciculatis et aculeis validis con-
formibus rectis munitis, foliis quinatis, foliolis radiatim
— 138 —
dispositis, omnibus petiolatis, obovatis, acuminatis, inae-
qualiter serratis, supra glabris, pianis, subtus griseo-
velutino- pubescentibus, inflorescentia oblonga, densiuscula,
e cymulis erecto-patentibus composita, pedunculis cano-
tomentosis, aculeolis brevibus paucis munitis, floribus spe-
ciosis, sepalis reflexis ‚ovatis, brevissime apiculatis, utrinque
aequaliter cano-tomentosis, petalis late ellipticis, laete per-
sicinis vel roseis, sepala plus duplo superantibus, germini-
bus viridibus, pilis longis sparsis obsitis, stylis in bast
roseis, staminibus pallide roseis superatis.
In regione montana Tiroliae septentrionalis , solo calcareo.
Mächtiger bis zu 2 Meter hoher Strauch, mit hoch-
bogigen Stämmen. Schösslinge aufrecht, sehr kräftig, 1 bis
1.5 Centim. dick, unten fast stielrund, oben stumpfkantig
mit flachen gestreiften Seiten, mit Büschelhaaren spärlich
bestreut, an der Lichtseite gewöhnlich roth-braun überlaufen,
zwischen je zwei Blättern mit 4—8 gleichgestalteten 1 Centim.
langen Stacheln besetzt, welche sich aus einer 1 Centim.
langen länglich-linealen Ansatzfläche und stark zusammen-
gedrückten, dreieckigen, rothbraunen, kahlen oder mit einigen
gebüschelten Haaren bestreuten Basis in eine kräftige gerade
oder sehr schwach gekrümmte gelbe Spitze verschmälern.
Die ganze Pflanze ohne Stieldrüsen. Die Blätter der Schöss-
linge lang gestielt, fünfzählig; der gemeinschaftliche Blatt-
stiel so wie die Stielchen der Theilblattchen stielrund, flaum-
haarig und mit gekrümmten Stachelchen (6—12 am gemein-
schaftlichen Blattstiele) bewehrt; die Theilblättchen radial
gestellt, oberseits dunkelgrün, in der Jugend längs dem
Mittelnerv mit spärlichen Striegelhaaren besetzt, später kahl,
glatt und eben, mit sehr schwachen fettigem Glanze, unter-
seits grau-grün, sammtig-weichhaarig, an dem kräftig vor-
springenden Mittelnerv mit gekrümmten Stachelchen besetzt,
am Rande von eiförmig-dreieckigen mit den Spitzen nach
Vorne und Auswärts gerichteten Zähnen unregelmässig dop-
pelt gesägt. Das endständige Theilblättchen aus zugerun-
deter oder schwach herzförmiger Basis rundlich-verkehrt-
— 4139. —
eiförmig, zugespitzt, 8-11 Centim. lang, 5—8 Centim. breit,
an einem 3—5 Centim. langen Stielchen, also beiläufig dop-
pelt so lang als dieses Stielchen; die beiden seitenständigen
mittleren Blättchen elliptisch-verkehrteiförmig, zugespitzt, 8
— 10 Centim. lang, 4—6 Centim. breit, an Stielchen, welche
1.8—2.8. Centim. in der Länge messen, also nur um die
Hälfte kürzer sind als das Stielchen des endständigen Blätt-
chens; die beiden seitlichen unteren Blättchen länglich ver-
kehrteiförmig, 6—-9 Centim. lang und 3—4.5 Centim. breit,
an 4—6™™- langen Stielchen. Die Nebenblätter sind sehr
schmal lineal, 1.5—2 Centim. lang, und langhaarig gewim-
pert. Die blüthentragenden Zweige sind 20—40 Centim.
lang, also beiläufig doppelt so lang als die Blätter, aus deren
Achseln sie hervorgegangen, unten stielrund, oben stumpf-
kantig, grün oder rothbraun überlaufen, von abstehenden
weichen zarten Haaren dicht flaumig und mit sehr spär-
lichen zurückgekrümmten 2—6""- langen Stacheln bewehrt.
Die Blätter der blüthentragenden Zweige fünfzählig und drei-
zählig; die Theilblättchen kürzer gestielt, schmäler und weniger
zugespitzt, als jene der Schösslingsblätter, in der Berandung,
Bekleidung und Färbung aber mit diesen übereinstimmend.
Der Blüthenstand im Umrisse länglich, aus traubnförmig
angeordneten dreiblüthigen und untermischten einblüthigen
nahezu gleichlangen Cymen zusammengesetzt, bei einer Breite
von 3.5—7 Centim., 6—20 Centim. lang, verhältnissmässig
schmal und gedrängt, was davon herrührt, dass die kurz-
gestielten Cymen aufrecht abstehen und nicht ausgesperrt
sind. Die 2—3 untersten Cymen von laubartigen dreizähli-
gen Blättern gestützt, die in Zuschnitt, Bekleidung und Be-
randung mit den tiefer stehenden Laubblätter übereinstim-
men; die folgenden oberen Cymen von grauhaarigen läng-
lichen, gewöhnlich in 2—3 vorgestreckte lineale Zipfel gespal-
tenen Bracteen gestützt. Die Spindel des Blüthenstandes
gerade, grauhaarig, wehrlos oder mit vereinzelten zurück-
gekrümmten Stachelchen besetzt; die Blüthenstiele grauhaarig-
filzig mit wenigen 1—3™™- Jangen strohgelben Stachelchen
— 140 —
besetzt, manchmal auc ganz wehrlos. Die Blüthen ansehn-
lich, 3 Centim. im Durchmesser. Die Kelchzipfel sind zur
Blüthe- und Fruchtzeit zurückgeschlagen, 5—6™™: lang, 4™™-
breit, eiförmig, sehr kurz bespitzt, beiderseits gleichmässig
kurz-haarig grau-filzig, unbewehrt. Die Kronenblätter sind
schön pfirsichblüthroth oder rosenroth und verblassen etwas
gegen das Ende der Blüthezeit; sie sind breit elliptisch,
8—9™»- breit und 12—13""- lang, also mehr als doppelt
so lang als die Kelchzipfel; gegen die Basis zu in einen 1™™
breiten Nagel zusammengezogen und oberhalb dieses Nagels
beiderseits mit kurzen Härchen bestreut. Die Staubfäden
sind schön rosenroth, 6—7"” lang, und überragen deutlich
die Griffel. Die Fruchtknoten sind grün mit vereinzelten
langen Haaren besetzt; die Griffel an der Basis rosenroth
gegen die Spitze grünlich. Die Früchte glänzend schwarz,
reichlich entwickelt.
Der hier beschriebene Rubus, den ich seiner lebhaft an
die Blüthen des Pfirsichbaumes erinnernden grossen rothen
Blumen wegen R. persicinus genannt habe, ist eine Zierde
der unteren Waldregion unserer nördlichen Kalkalpen, und
findet sich insbesonders gerne an Waldblössen und in Holz-
schlägen an sonnigen warmen Lehnen; um Innsbruck ins-
besonders am Fusse der Solsteinkette an den Abhängen des
Mittelgebirges in dem Höhengürtel von 600—1000 Meter.
Allem Anscheine nach ist derselbe durch das Gelände der
Kalkalpen weit verbreitet. Er gehört in die Gruppe der
Homoacanthi und reiht sich an R. vulgaris W. u.N. an, unter-
scheidet sich aber von diesem so wie von den mit ihm zu-
nächst verwandten Arten durch den mächtigen aufrechten
oben hochbogigem Stamm mit oberseits kahlen Blättern, durch
die gedrängte nicht ausgesperrte Inflorescenz mit gerader
nicht schlängelig hin- und hergebogener Spindel, durch die
sehr kurzbespitzten Kelchzipfel, die grossen die Kelchzipfel
um mehr als das doppelte überragenden Kronenblätter und
die mit langen Haaren besetzten Fruchtknoten. — Von R.
fruticosus L. und den mit diesem zunächst verwandten durch
— 141 —
die hochbogigen Stämme mit R. persicinus übereinstimmenden
Arten unterscheidet sich derselbe durch mit den zerstreuten
gebüschelten Haaren besetzten Schössling, die stielrunden
Blattstiele, die unterseits grausammtigen Blätter, die aus
kurzgestielten Cymen zusammengesetzte Inflorescenz, die an
der Aussenfläche einfärbig grauen, gleichmässig dichtfilzigen
Kelchzipfel, die rothen Blumenblätter und Griffel, die über
die Griffel deutlich hinausragenden rothen Staubfäden und
die mit langen Haaren besetzten Fruchtknoten. — Von R.
candicans Weihe (R. thyrsoideus Wimmer) und den an diesen
sich anreihenden Arten, mit welchen R. persicinus durch die
schmale aus Cymen zusammengesetzte Inflorescenz, und die
sehr kurz bespitzten, gleichmässig graufilzigen Kelchzipfel über-
einstimmt, unterscheidet sich derselbe durch den büschel-
haarigen aufrechten Schössling, die verhältnissmässig kurzen
blüthentragenden Zweige, die unterseits grausammtigen etwas
schimmernden (nicht anliegend dicht weissfilzigen, glanzlosen)
Blätter, grössere, rothe Blüthen und langhaarige Fruchtknoten.
4. Rubus centronotus
turionibus arcuato-deflexis, subteretibus, pilis fasciculatis
sparsis evanescentibus et aculeis copiosis conformibus vali-
dis rectis munitis, folits quinatis, foliolis pedatim dispositis,
omnibus petiolulatis, subtus canescenti-velutinis, injlores-
centia compvsita, cymulis erecto-patentibus, pedunculis
cano-tomentosis , aculeolis rectis horizontaliter patentibus
copiosis armatis, floribus mediocribus, sepalis sub anthesi
reflexis, cano-tomentosis , in dorso pilosis, glandulis stepi-
tatis parvis exiguis et aculeolis stramineis rectis obsessis,
staminibus stylos virescentes vin aequantibus, germinibus
longe pilosis.
In dumetis et silvis caeduis in Tirolia septentrionali; ad Oenipontem
selo calcareo alt. 600—1000 Met.
Schössling und Stamm bogenförmig zur Erde gekrümmt,
0.5—1 Centim. im Durchmesser, stielrund, nur oben schwach-
— 1 SS
kantig, unbereift, in der Jugend mit spärlichen Biischel-
haaren besetzt, die sich aber bis zum zweiten Jahre voll-
ständig verlieren, sehr reichstachelig, aber ohne Stieldrüsen.
Die Stacheln gleich gross, 6—8™™- lang, aus einer 4—6™™.
langen, länglichen Ansatzfläche und einer zusammengedrückten
dreieckigen Basis in eine horizontal abstehende oder sehr
schwachgeneigte gerade Spitze verschmälert, gewöhnlich 20
bis 30 zwischen je zwei Blättern, meistens gruppenweise ge-
stellt, d. h. nicht gleichmiéssig über den Interfoliartheil ver-
theilt, sondern zu 2, 3 oder 4 zusammengerückt. Die Blätter
der Schösslinge lang gestielt, fünfzählig, die gipfelständigen
durch Verschmelzung der seitlichen Blättchen auch vierzäh-
lig und dreizählig; der gemeinschaftliche Blattstiel, so wie
die Stiele der Theilblättchen oberseits etwas eingedrückt,
mit kurzen Büschelhaaren bestreut und von sehr zahlreichen,
kräftigen, etwas geneigten und gekriimmten 5—6™" Stacheln
bewehrt; die Theilblättchen fussförmig gestellt, d. h. die
basilären Blättchen von den Stielen der mittleren seiten-
ständigen Blattchen entspringend, oberseits hellgrün, glanzlos,
in der Jugend mit sehr kurzen schimmernden Striegelhaaren
spärlich bestreut, im Alter kahl, unterseits graugrün, sammtig
-— weichhaarig, schimmernd und längs dem Mittelnerv mit
kurzen gekrümmten Stachelehen bewehrt, am Rande von breit-
eiförmigen plötzlich in ein lineal-pfriemliches nach Vorne und
Auswärts abstehendes Spitzchen zusammengezogenen Zähnen
unregelmässig gesägt. Das endständige Theilblättchen aus
herzförmig-zugerundeter Basis breit-eiförmig, spitz oder kurz
zugespitzt, 7—9 Centim. lang, 5—6.5 Centim. breit, an
einem 2.5 --3.5 langem Stielchen, die beiden seitlichen Blätt-
chen verkehrteiförmig, spitz oder kurz zugespitzt, 6—8 Centim.
lang, 3.5—4.5 Cent. breit, an kurzen nur 0.5-—1 Cent. langen
Stielchen ; die beiden seitlichen unteren, von den Stielchen der
mittleren entspringenden Blattchen länglich, 4—4.5 Cent. lang,
2—2.5 Centim breit, an sehr kurzen 2™™- langen Stielchen
oder auch sitzend und an den gipfelständigen Blättern manch-
mal mit den benachbarten Blättehen verschmolzen, und dieses
— 143 —
durch die Verschmelzung entstandene Blattchen dann tief zwei-
lappig. Die Nebenblatter sehr schmal lineal, etwas tiber 1 Cent.
lang, wimperhaarig. Die blüthentragenden Zweige 40-—50
Centim. lang, etwas hin- und hergebogen, schwachkantig mit
horizontal abstehenden oder etwas geneigten, 0.5 Cent. langen
und einigen eingestreuten kurzen, nur 1™™: langen Stacheln
reichlich besetzt, unten grün oder braunroth überlaufen und
mit kurzen Büschelhaaren bestreut, nach obenhin dichter
bekleidet, die Blätter der blüthentragenden Zweige langge-
stielt, dreizählig; die Theilblättchen der unteren Blätter kurz
und breit, fast ruudlich oder rundlich-rhombisch, von eiför-
migen, spitzen grossen Zähnen, tief gesägt, unterseits grün,
von schimmernden Haaren sammtig-weichhaarig, jene der oberen
Blätter in der Berandung mit den Blättern des Schösslings
übereinstimmend, unterseits grau, sammtig-filzig, schwach-
schimmernd, das mittlere rundlich-eiförmig, spitz oder kurz
zugespitzt, an einem 2—3 Centim. langen Stielchen; die
beiden seitlichen schief-eiförmig oder auch zweilappig an einem
3—p™ Jangen Stielchen. Der Blüthenstand im Umriss läng-
lich-eiförmig, nach oben verschmälert, aus traubenförmig an-
geordneten 8—5bliithigen Cymen zusammengesetzt. Die 2—3
untersten entferntstehenden Cymen von laubartigen dreizäh-
ligen Blättern gestützt, die im Zuschnitt, so wie in der Be-
randung und Bekleidung mit den tieferstehenden , stengel-
ständigen Laubblättern übereinstimmen; die folgenden oberen
Cymen genähert, von Bracteen gestützt, welche tief dreispaltig
sind, und deren linealer verlängerter grauhaariger Mittel-
zipfel über die Blüthenknospen hinausragt. Die Blüthen-
stiele aufrecht-abstehend, so wie die Spindel des Blüthen-
standes graufilzig und reichlich mit 1—3™™: langen horizontal
abstehenden oder etwas rückwärts geneigten, geraden, nadel-
formigen, strohgelben Stacheln bewehrt. Die Blüthen mittel-
mässig gross, 2 Centim. im Durchmesser. Die Kelchzipfel
zur Zeit der Blüthe zurückgeschlagen, eiförmig, zugespitzt,
6-—7™™ lang, 4™- breit, graufilzig, an der äusseren Fläche
von längeren den Filz überragenden abstehenden Haaren, so
— 144 —
wie von spärlichen, den Filz kaum überragenden Stieldrüsen
bekleidet und überdiess mit nadelförmigen, strohgelben, ge-
raden Stachelchen besetzt. Die Kronenblätter ausgebreitet,
weiss, rundlich, in einen sehr schmalen Nagel zugeschweift,
1 Centim. lang, 8™™" breit, kaum doppelt so lang als die
Kelchzipfel, beiderseits flaumhaarig, die Staubfäden nur 3—
Hum. Jang, aufrechtabstehend, den Griffeln gleichhoch oder
von den Griffeln deutlich überragt. Die Fruchtknoten grün,
langhaarig, die reifen Früchte glänzend schwarz.
Der hier beschriebene Rubus gehört in die Abtheilung
der Homoacanthi und zwar in die Gruppe der spätblühenden
Arten mit büschelförmig behaarten Schösslingen, langen
blüthentragenden Zweigen und gleichmässig grau-filzigen am
Rücken nicht grüngefärbten Kelchzipfeln. — Durch die fast
stielrunden sehr reichbestachelten Stämme, die fussférmig ge-
stellten Theilblättchen, die mit nadelförmigen kleinen Stachel-
chen reichlich bewehrten Kelchzipfel und die kurzen, die Griffel
nicht überragenden Staubfäden unterscheidet er sich aber
von allen Arten dieser Gruppe. Er erinnert durch mehrere
dieser zuletzt hervorgehobenen Merkmale, an einige Arten
aus der Abtheilung der Corylifolii, unterscheidet sich aber
von allen Arten dieser Gruppe wieder durch die deutlich-
gestielten unteren seitlichen Theilblättchen, den viel kräfti-
geren mit grossen Stacheln bewehrten Stamm und die in der
Jugend mit Büschelhaaren bestreuten Schösslinge. Muthmass-
lich ein Bastart zweier Arten, von denen die eine der Gruppe:
Homoacanthi die andere der Gruppe Corylifolii angehört.
5. Rubus baldensis
turionibus arcuato-dejlexis, angulatis, pilis dispersis exiquis
brevibus stellatis munitis, serius glabratis, aculeis confor-
mibus validis rectis, foliis quinatis, foliolis radiatim dispo-
sitis petiolulatis, obovatis, acuminatis, subtus albo-tomen-
tosis supra canescentibus, pilis parvis stellatis copiosissimis
et pilis longioribus simplicibus micantibus vestitis, foliis
— 145 —
ramulorum florigerorum quinatis, inflorescentia nuda, ecymu-
lis subtrifloris patentibus composita, pedunculis cano-tomen-
tosis aculeolatis, eglandulos:s, floribus minoribus, sepalis
sub anthesi et in fructu reflexis cano-tomentosis, eglandu-
losis, petalis obovatis, roseis, staminibus stylos superan-
tibus, germinibus glabris.
In collibus apricis ad vinnearum margines, in dumetis et fruticetis
in ditione transalpina; in Tirolia australi et in Venetia in regione in-
feriore montis Baldi solo calcareo et argillaceo.
Schösslinge und Stämme bogenförmig zur Erde gekrümmt,
3—6™™" im Durchmesser, fünfkantig, mit vertieften gestreif-
ten Seiten, gewöhnlich rothbraun oder violettbraun über-
laufen und stellenweise von anliegenden weisslichen, glanz-
losen aus Wachs gebildeten dünnen Häutchen etwas schülferig,
in der Jugend sehr spärlich mit kurzen meist sternförmig
ausgebreiteten Büschelhaaren bestreut, im Alter kahl, zwischen
je zwei Blättern mit 5—10 gleichgrosen 5—7"" langen
Stacheln besetzt, welche sich aus einer linealen 5—7™™-
langen Ansatzfläche und einer stark zusammengedrückten,
dreieckigen manchmal mit sehr kurzen Büschelhaaren be-
streuten Basis in eine strohgelbe, an den dicksten Theile
der Schösslinge gerade, wagrecht abstehende, an den peitschen-
formigen, dünnen Ende der Schösslinge schwach rückwärts-
gekrümmte Spitze verschmälern. Die ganze Pflanze ohne
Stieldriisen. Die Blätter der Schösslinge lang gestielt, alle
fünfzählig, der gemeinschaftliche Blattstiel, so wie die Stiele
der Theilblättchen oberseits eingedrückt — rinnig, mit kurzen
meist sternförmig ausgebreiteten Büschelhaaren bestreut und
mit kräftigen ziemlich zahlreichen (”—15 an dem gemein-
schaftlichen Blattstiele) stark zurückgekrümmten Stacheln be-
wehrt; die Theilblättchen radial gestellt, oberseits grau-
grün, mit einem sehr feinen aus unzähligen, dichtgedrängten,
kleinen Sternhärchen und dazwischenstehenden 4—5mal länge-
ren, einfachen etwas schimmernden Striegelhaaren gebildeten
sammtigweich anzufühlenden Ueberzuge bekleidet, unterseits
mit sehr dichtgewobenem, weissen oder etwas in’s Gelblich-
ae MBS Se
grüne ziehenden glanzlosen Filze und gleichmässig verstreuten
über den Filz sich erhebenden, schimmernden Büschelhaaren
bedeckt. Die gelblichen vorspringenden Nerven heben sich
deutlich von dem Filze ab und der Mittelnerv ist mit einigen
gekrümmten Stachelchen bewehrt. Der Rand der Blättchen
ist an der unteren Hälfte von entfernten verhältnissmässig
grossen Zähnen einfach gesägt, ober der Mitte von mehr
gedrängten, breiteiförmigen in ein pfriemliches Spitzchen ver-
schmälerten, wimperhaarigen Zähnen unregelmässig doppelt
gesägt. Das endständige Theilblättchen aus herzförmiger
Basis verkehrteiförmig, zugespitzt, 4—7 Centim. lang, 2—4
Centim. breit, an einem 1—2 Centim. langen Stielchen; die
beiden seitenständigen mittleren Blättchen länglich-verkehrt-
eiförmig, zugespitzt, an der Basis asymetrisch, schief zuge-
rundet oder schief herzförmig, 3.5—6 Centim. lang, 1.5
—5 Centim. breit, an einem 2—7™™". langen Stielchen; die
beiden seitlichen unteren Blättchen länglich, spitz, 2.5—D Cent.
lang, 1—2.5 Centim. breit, an 1—2™™- langen Stielchen.
Die Nebenblätter schmal lineal, 1—1.5 Centim. lang, büschel-
haarig. Die blüthentragenden Zweige 15—40 Centim. lang,
kantig, violettbraun überlaufen, mit sternförmig ausgebreiteten
kurzen Büschelhaaren bestreut und mit zurückgekrümmten
derben Stacheln bewehrt. Die Blätter der blüthentragenden
Zweige fünfzählig und durch Verschmelzung der seitlichen Blätt-
chen theilweise auch dreizählig; die Theilblättchen. weniger
zugespitzt, übrigens im Zuschnitt in der Berandung, Beklei-
dung und Farbe mit den Blättern der Schösslinge überein-
stimmend. Der Blüthenstand im Umrisse länglich, schmal,
aus traubig angeordneten kurzgestielten fast wagrecht ab-
stehenden meist dreiblüthigen, seltener durch Verkümmerung
auch 2- und 1bliithigen Cymen zusammengesetzt. Alle Aeste
der Inflorescenz von grauhaarigen 0.5—1 Centim. langen
Bracteen gestützt, welche in drei lineale vorgestreckte Zipfel
gespalten sind. Die Spindel des Blüthenstandes gerade,
graufilzig, mit zahlreichen 2—3™" langen starkzurückge-
kriimmten Stacheln bewehrt. Die Blüthenstiele graufilzig, mit
eh
zekrümmten nadelförmigen 1—2™™ langenStachelchen besetzt,
abstehend, spreizend. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser
von 1.5—1.8 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der
Blüthe zurückgeschlagen, 5—6™™ lang, an der Basis 3™™-
breit, eiförmig, in ein kurzes, pfriemliches Spitzchen zusam-
mengezogen, unbewehrt und drüsenlos, beiderseits mit ein-
färbigem, lichtgrauen dichten Filze bekleidet. Die Kronen-
blätter ausgebreitet, rosenroth, 5™™ breit und 7—8™™: lang,
also kaum 1%,mal so lang als die Kelchzipfel, verkehrt-
eiförmig, in den Nagel allmählis zusammengezogen, an der
Aussenfläche mit sehr spärlichen kurzen Härchen bestreut
oder ganz kahl. Die Staubfäden 4—6™™ lang, weiss, die
Griffel tiberragend. Die Fruchtknoten sind grün, kahl; die
Griffel grünlich. — Die Früchte zum grösseren Theile abor-
tirt, die zur vollen Reife gelangten glänzend schwarz.
Der hier beschriebene Rubus gehört einer im südlichen
Europa und im Oriente heimischen, im mittleren Europa
nur durch R. tomentosus vertretenen Gruppe an, welche ins-
besonders durch das gemeinsame Merkmal der auf der oberen
Blattflache vorkommenden, bald die ausschliessliche Beklei-
dung bildenden, bald mit schimmernden Striegelhaaren ge-
mengten, bald ungemein zahlreichen und zu dichtem Filze
verwobenen, bald nur sehr spärlichen und zerstreuten kleinen
sternförmigen Härchen charakterisirt ist, und die vielleicht
am zweckmässigsten mit dem Namen Stelligeri bezeichnet
werden dürfte. Von R. baldensis unterscheiden sich die Arten
dieser Gruppe in folgender Weise: R. sanctus Schreb. ')
1) Der Name „R. sanctus Schreber* wurde in neuerer Zeit von
0. Kuntze in Ref. d. deutschen Brombeeren S. 17 für eine Gruppe von
Arten in Anwendung gebracht, mit welcher die Schreber’sche Pflanze
so gut wie gar keine Verwandtschaft hat. O. Kuntze sucht dieses
Vorgehen a. a. O. S. 21 und 23 des Näheren zu begriinden und dort
insbesonders die Angabe Sprengel’s: die Schreber’sche Pflanze gehöre zu
R. tomentosus, zu wiederlegen. Er behauptet bei dieser Gelegenheit,
dass R. sanctus Schreb. an der oberen Blattflöche nur striegelige Be-
haarung zeige und dass diesem Rubus der sternhaarige Ueberzug an der
— 148 —
durch Schösslinge und Zweige, welche mit einem aus kleinen
Sternhaaren gewobenen, zusammenhängenden aschgrauen Filze
dicht überzogen sind, durch kleinere gekrümmte bis fast zur
Spitze mit demselben aschgrauen Filze überkleidete Stacheln,
fussförmig gestellte Theilblättchen, eiförmigen Zuschnitt des
Endblättchens, sehr kurze Stielchen der mittleren seitlichen
Theilblättchen, verlängerte Aeste der Inflorescenz und haarige
Fruchtknoten; R. collinus DC. durch die fussförmig ge-
stellten Blättchen der Schösslinge, die fast kreisrunden kurz
zugespitzten endständigen Theilblättchen, die nicht nur filzigen,
sondern auch abstehend zottig behaarten, blüthentragenden
Zweige, Blüthenstiele und Kelchzipfel, weisse fast kreisrunde
Blumenblätter und haarige Fruchtknoten; R. Ripartii G.
Genev. durch die gekrümmten Stacheln, die fussförmig ge-
stellten Theilblättchen der Schösslingsblätter, die dreizähligen
Blätter der blüthentragenden Zweige, die nicht nur filzigen,
sondern auch abstehend zottig behaarten, blüthentragenden
oberen Bettfläche abgehe. Wie O. Kuntze zu dieser Behauptung kom-
men konnte, ist geradezu unerklarlich. Thatsächlich sind nämlich alle
Exemplare des R. sanctus Schreb. (ich untersuchte Exemplare von Sie-
ber, Zuccarini, Heldreich, Kotschy ete., darunter auch Schösslinge von
Kotschy bei Teheran gesammelt) an der oberen Blattfläche nicht nur
mit striegeligen Haaren bestreut, sondern mit kleinen sternförmigen
Härchen wie übersäet, was auch schon von W. O. Focke in der Oester.
bot. Zeitschr. XX,, 100 hervorgehoben wurde. Wenn Schreber von R.
sanctus sagt „foliola supra viridia pilosa, subtus tomentosa“ so ist da-
mit nur ausgedrückt, dass die Blatter zweifarbig: oberseits schwächer
behaart und daher griinlich, unterseits dagegen dicht filzig weisslich
erscheinen. — Ueber die Gestalt der Haare äussert sich Schreber
nicht näher, wie denn überhaupt in der Zeit, in welcher Schreber
den Rubus sanctus beschrieb, die minutiösen Unterschiede in der
Behaarung zur Charakterisirung der Brombeeren noch nicht herbeige-
zogen wurden. Dass die Gestalt der Haare als ein vortreffliches Merk-
mal bei der Feststellung und Unterscheidung der Brombeeren benützt
werden könne, wurde erst in der neuesten Zeit entsprechend gewürdiget,
und gerade O. Kuntze hat sich in dieser Beziehung — abgesehen von
dem oben erwähnten speziellen Falle, wo er offenbar im Irrthum ist —
wesentliche Verdienste erworben.
— 149 —
Zweige, Bliithenstiele und Kelchzipfel und die haarigen Frucht-
knoten; R. pellitus Rip. durch die gekriimmten Stacheln,
die dreizähligen Blätter der blüthentragenden Zweige, die nicht
nur filzigen sondern auch abstehend zottig behaarten bliithen-
tragenden Zweige, Bliithenstiele und Kelchzipfel und die kur-
zen von den Griffeln überragten Staubfaden; R. amictifolius
Rip. durch die fast kreisrunden endständigen Theilblättchen
und die kurzen von den Griffeln überragten Staubfäden ;
R. tomentellus Rip. durch die gekrümmten Stacheln, die fast
kreisrunden Theilblättchen, die dreizähligen Blätter der blüthen-
tragenden Zweige und die haarigen Fruchtknoten; R. tomen-
tosus Willdenow durch die liegenden mit viel kleineren
Stacheln besetzten Schösslinge, die vorherrschend dreizähligen
Blätter der Schösslinge und blüthentragenden Zweige, die
niemals zugespitzten Theilblättchen der Schösslingsblätter,
das Fehlen der über den Sternhaarfilz sich erhebenden schim-
mernden Striegelhaare an der obern Blattfläche, die gelblich-
weissen schmäleren Blumenblätter und die über die Griffel
nicht hinausragenden Staubfäden. !)
Durch die Form der Schösslinge und Stacheln, durch
den stellenweise in Gestalt weisslicher Schülfern an der Rinde
der Schösslinge, Stämme und Zweige sich abscheidenden
Wachsiiberzug, durch die Form der Inflorescenz und die
rothe Farbe der Kronenblätter erinnert R. baldensis einiger-
massen an R. rusticanus Merc., der sich aber wieder durch
die rundlich-eiförmigen, oberseits kahlen (nicht sternhaarigen
und auch nicht striegelhaarigen) Schösslingsblätter, die län-
geren Stielchen der mittleren seitlichen Theilblättchen, die
grösseren Blüthen und die haarigen Fruchtknoten unterscheidet.
Ich halte es nicht für unmöglich dass R. baldensis einer
hybriden Vereinigung des im Nachfolgenden beschriebenen
R. australis mit R. rusticanus sein Dasein verdankt, demnach
als ein der Combination: australis X rusticanus entspre-
1) Die Unterschiede der beiden gleichfalls in die Gruppe der
Stelligeri gehörigen im Nachfolgenden beschriebenen Rubus megatham-
nus und Rubus australis sind bei diesen angegeben.
Naturw.-med. Verein. 14
oO a
chender Bastart aufzufassen wäre. In seinen Merkmalen
hält er in der That zwischen diesen beiden genannten Arten
die Mitte, und in den Gegenden, wo ich R. baldensis beob-
achtete, finden sich beide muthmassliche Stammarten in
grosser Individuenzahl verbreitet. R. baldensis ist übrigens
dort nicht vereinzelt, sondern gleichfalls in grosser Menge
anzutreffen.
6. Rubus megathamnus
turionibus validis ex arcu magno decumbentibus, auctumno
apice radicantibus, 5- angularibus, pilis dispersis exiguis
brevibus fasciculatis et stellatim expansis munitis, serius
glabratis, aculeis conformibus validis, foliis quinatis ; petiolis
et petiolulis subglabris, supra depressis vel subcanaliculatis,
foliolis pedatim dispositis, omnibus petiolulatis, subrotundo-
ovatis, acutis, discoloribus, supra obscure viridibus molli-
bus, tomentoso-velutinis, submicantibus, subtus albo-tomen-
tosis, opacis; inflorescentia oblongo-pyramidata, multiflora
decomposita, rachi jflecuosa, cano-pilosa, glandulis stipi-
tatis exiguis et aculeis longis compressis reclinatis armata,
pedunculis cano-pilosis, glandulis stipitatis sparsis et aciculis
copiosis rectis patenlissimis instructis, sepalis sub anthesi
refleais, utringue cano-tomentosis, pilosis et glandulis
stipitatis ewiguis praeditis, petalis suborbiculatis, albis,
subtus pilosulis; staminibus stylos superantibus, germini-
bus pilosis.
In dumetis ad margines silvarum et in silvis caeduis in Austria
inferiori; ad latera montium supra Rossatz in valle Danubii.
Sehr reich astiger umfangreicher, fast undurchdringliche
Hecken bildender Strauch mit bogenförmig zur Erde ge-
krümmten mit den Spitzen in der Erde wurzelschlagenden
Schésslingen. Schösslinge und Stämme von sehr wechseln-
der Dicke, 3—12"%- im Durchmesser, fünfkantig, mit spär-
lichen sehr kurzen meist sternförmig ausgebreiteten Büschel-
haaren bestreut, im Alter kahl und an der Lichtseite gewöhn-
— 151 —
jich violettbraun überlaufen, zwischen je zwei Blättern mit
7—12 gleichgestalteten 5—8™™- langen Stacheln besetzt,
welche sich aus einer 5—7™™- langen lineal-länglichen An-
satzfläche und zusammengedrückten, dreieckigen Basis in eine
lange, kräftige, rückwärtsgeneigte und am oberen Ende der
Schösslinge auch zurückgekrümmte, strohgelbe Spitze ver-
schmälern. Die Schösslinge, Stämme und Zweige ohne Stiel-
drüsen. Die Blätter der Schösslinge lang gestielt, fünfzählig,
die gipfelständigen durch Verschmelzung der seitlichen Blätt-
chen auch vierzählig und dreizählig, der gemeinschaftliche
Blattstiel, so wie die Stiele der Theilblättchen oberseits ein-
gedrückt — rinnig, kahl oder mit spärlichen kleinen, meist
sternförmig ausgebreiteten Büschelhaaren bestreut und mit
kräftigen ziemlich zahlreichen (6—12 am gemeinschaftlichen
Blattstiele), stark zurückgekrümmten Stacheln bewehrt; die
Theilblattchen fussförmig gestellt, oberseits grün, mit einem
sehr feinen aus zahlreichen kurzen und sehr kurzen, ein-
fachen und dazwischen eingestreuten, sehr spärlichen, stern-
formigen Härchen gebildeten, sammtig - weichen, stellenweise
schwachschimmernden Ueberzuge bedeckt, unterseits mit sehr
dichtanliegendem weissen, glanzlosen Filze bekleidet, aus
welchem sich die gelblichen, vorspringenden Nerven scharf
abheben; längs dem Mittelnerv an der unteren Fläche mit
gekrümmten Stachelchen bewehrt, am Rande von breit-eiför-
migen, plötzlich in ein pfriemliches Spitzchen zusammenge-
zogenen, wimperhaarigen Zähnen unregelmässig doppeltge-
sägt. Das endständige Theilblättchen aus herzförmiger Basis
rundlich-eiförmig, spitz, 5—12 Centim. lang, 4—10 Centim.
breit, an einem 2—5.5 Centim. langen Stielchen; die beiden
seitenständigen mittleren Blättchen, rundlich-verkehrteiförmig,
spitz, an der Basis immer etwas asymetrisch, schief zugerun-
det oder schief herzförmig, 4—12 Centim. lang, 3—9 Centim.
breit, an einem 0.5—3 Centim. langen Stielchen; die beiden
seitlichen untern Blättchen schief-eiförmig oder elliptisch,
spitz, 3.5—9 Centim. lang, 2—6.5 Centim. breit, an 3-—-6™™:
langem, stets an den Stielen der mittleren Blättchen ent-
14 *
ee
springenden Stielchen. Wenn die beiden seitlichen Blattchen —
einer Seite zu einem verschmolzen sind, was an den 10—12
obersten Blättern der sehr langen Schösslinge und Schöss-
lingsäste gewöhnlich der Fall ist, so erscheint das durch
Verschmelzung entstandene Blättchen tief zweilappig. Die
Nebenblätter sind sehr schmal lineal, 1—1.5 Centim. lang,
haarig und manchmal mit einigen Stieldrüsen besetzt. Die
blüthentragenden Zweige 35—70 Centim. lang, kantig, grün
oder violettbraun überlaufen, mit sehr kurzen, gebüschelten
meist sternförmig ausgebreiteten Härchen bestreut, und mit
wiederhackig herabgekrümmten Stacheln bewehrt. Die Blätter
der blüthentragenden Zweige dreizählig, in Zuschnitt, Beran-
dung, Farbe und Bekleidung mit den Blättern der Schöss-
linge übereinstimmend. Der Blüthenstand im Umrisse länglich-
pyramidenförmig, reichblüthig, aus doppelt-dreifach zusammen-
gesetzten, traubenförmig angeordneten Cymen gebildet. Die
4—8 unteren Aeste der Inflorescenz von laubartigen, drei-
zähligen oder einfachen Blättern gestützt, die in Zuschnitt,
Berandung und Bekleidung mit den tieferstehenden Laub-
blättern übereinstimmen; die folgenden oberen Aeste von
1—2 Centim. langen Bracteen gestützt, welche in drei lineale,
grauhaarige mit spärlichen Stieldrüsen besetzte, vorgestreckte
Zipfel gespalten sind. Die Spindel des Blüthenstandes, schlänge-
lig hin- und hergebogen, grauhaarig, mit vereinzelten Stiel-
drüsen und zahlreichen nach rückwärts abstehenden grossen
0.5—1 Centim. langen zusammengedrückten Stacheln be-
wehrt. Die Blüthenstiele aufrecht-abstehend, grauhaarig, mit
zerstreuten, kurzen Stieldrüsen und sehr zahlreichen, gedräng-
ten, fast wagrecht abstehenden 1—3”"- langen, nadelförmigen
Stachelchen besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser
von 2.5 Centim. Die Kelchzipfel zur Zeit der Blüthe zu-
rückgeschlagen, 5—6""”- lang, an der Basis 3—4””- breit,
eiförmig, in ein pfriemliches Spitzchen zusammengezogen, un-
bewehrt, beiderseits mit einfärbigem, lichtgrauen Filze bekleidet
und an der Aussenfläche überdiess mit spärlichen Büschel-
haaren und einzelnen Stieldrüsen bestreut. Die Kronenblätter
ina
1 Centim. breit und etwas über 1 Centim. lang, also doppelt
so lang als die Kelchzipfel, ausgebreitet, weiss, rundlich, in
einen sehr kurzen Nagel plötzlich zugeschweift, aussen mit
kurzen Härchen besetzt. Die Staubfäden sind 6—7"”- lang
und überragen die Griffel. Die Fruchtknoten sind grün, mit
spärlichen, langen, gebüschelten Haaren besetzt; die Griffel
grünlich. — Die Früchte waren stets abortirt.
Von dem hier beschriebenen Rubus unterscheidet sich der
im Vorhergehenden beschriebene R. baldensis durch die hand-
förmig (nicht fussförmig) gestellten, zugespitzten, schmäleren '
im Verhältnisse zur Blattlänge kürzer gestielten Theilblätt-
chen, den aus dichtgestellten, sternförmigen Härchen gebil-
deten Ueberzug der oberen Blattfläche, den Mangel der Stiel-
drüsen an den Bracteen, Blüthenstielen und Kelchen, die
kurzen, zurückgekrümmten Stacheln an der Spindel der In-
florescenz, die rothen verkehrteiförmigen, allmählig in den
Nagel zusammengezogenen Kronenblätter und die haarlosen
Fruchtknoten; R. macroacanthus W. u. N. durch viel zahl-
reichere Stacheln der Schösslinge (20—30 an einem Inter-
foliartheile), durch anders bekleidete, langzugespitzte Theil-
blättchen, den Mangel der Sternhaare an der oberen Blatt-
fläche und den Mangel der Stieldrüsen an den Kelchen und
Blüthenstielen; R. bifrons Vest durch die oberseits schon in
der Jugend kahlen (nicht feinsammtigen, weichanzufühlenden)
Blätter, den Mangel der Sternhaare und den Mangel der
Stieldrüsen an der Spindel und den Verzweigungen des
Blüthenstandes, so wie an der Aussenseite der Kelchzipfel. —
Jedenfalls steht aber R. megathamnus dem R. bifrons Vest
am nächsten und stimmt mit demselben, insbesonders in der
Form der Schösslinge und Stacheln, im Zuschnitte und in
der fussförmigen Stellung der Blättchen, so wie in der Form
der Blumenblätter ganz überein.
An keinem der zahlreichen Blüthenstände des R. me-
gathamnus sah ich bis jetzt eine reife Frucht sich entwickeln.
— Dieser Umstand, sowie das mehr vereinzelte Vorkommen
liessen die Muthmassung aufkommen, das R. megathamnus
— 154 —
vielleicht einer hybriden Befruchtung seine Entstehung ver-
dankt, und als Bastart aufzufassen ist. Für diesen Fall
müsste dann jedenfalls R. bifrons als die eine Stammart
angesehen werden. Als zweite Stammart könnte allenfalls
R. tomentosus in Betracht kommen. Die in den sammt-
artigen Filz der oberen Blattseite eingestreuten Sternhaare
deuten wenigstens auf diese Art hin. Auch die spärlichen
Stieldrüsen an der Spindel und den Verzweigungen des Blüthen-
standes, sowie an der Rückseite der Kelchzipfel sprechen nicht
dagegen, da diese Theile auch an R. tomentosus häufig mit
Stieldrüsen besetzt vorkommen. Nur ist nicht recht zu be-
greifen, dass sich weder der charakteristische Zuschnitt der
Blätter, noch die so charakteristische, länglich-verkehrteiför-
mige Form der Blumenblätter des R. tomentosus an R. me-
gathamnus ausspricht, ja nicht einmal angedeutet erscheint.
Die Kronenblätter des R. megathamnus sind nämlich fast
kreisrund, geradeso wie bei R. bifrons; auch ist bemerkens-
werth, dass die Schösslinge und Aeste nicht schmächtiger,
und die Stacheln nicht kleiner sind, als jene des R. bifrons,
sondern diese an Umfang fast übertreffen, also durchaus nicht
an die schmächtigen mit vielen Stacheln bewehrten Schöss-
linge des R. tomentosus erinnern. Dennoch wüsste ich keinen
anderen Rubus zu bezeichnen, welchen man etwa als die
zweite Stammart ansehen könnte, und ich möchte trotz der
eben ausgesprochenen Bedenken die Möglichkeit, dass R.
megathamnus ein der Combination: bifrons >< tomentosus
entsprechender Bastart ist, nicht ganz ausschliessen. — Die
Verhältnisse des Vorkommens würden nicht gegen diese
Möglichkeit sprechen; ‘denn sowohl R. bifrons, als auch R.
tomentosus finden sich auf den Bergen bei Rossatz in Nie-
derösterreich, wo ich R. megathamnus auffand, in grosser
Menge.
la
7. Rubus australis
turionibus arcuato-deflewis, procumbentibus , angulatis, pilis
brevissimis stellatis, pilis longioribus fasciculatis patenti-
bus, aculeis inaequalibus et aciculis glanduliferis varie
modo munitis, foliis ternatis (rarius quinatis), foliolis
rhomboideis, acutis, in margine dense ciliatis, grosse ser-
ratis et supra medium lobulatis, discoloribus, supra canes-
centibus, pilis parvis stellatis copiosissimis et pilis lon-
gioribus simplieibus micantibus vestitis, infra tomento albo,
velutino , molli, in nervis nitidulo vestitis, inflorescentia
oblonga, angusta, e cymulis subtrifloris, erectis composita,
pedunculis aculeolatis, cano-tomentosis et villosiusculis
floribus minoribus, sepalis oblongo-ovatis, sub anthesi et
in frnctu reflewis, cano-tomentosis et in dorso villosius-
culis, petalis obovato-oblongis, albis, staminibus stylos
parum superantibus, germinibus glabris.
Ad latera montium calcareorum, ad silvarum oras et in silvis caeduis
in Dalmatia, Carnia, Venetia, Tirolia et Gallia australi.
Schösslinge und Stamm in niederem Bogen zur Erde
geneigt, liegend und mit den Spitzen anwurzelnd, 3—5™™
im Durchmesser, stumpf, fünfkantig, mit flachen oder auch
etwas hohlkehligen Seiten, olivengrün oder schmutzig roth-
braun überlaufen, in der manigfachsten Weise mit Stacheln,
Stieldrüsen und Haaren besetzt, gewöhnlich mit kleinen Stern-
haaren bestreut und zugleich von vielmal längeren, die Stern-
haare weit überragenden, abstehenden, gebüschelten Haaren
dicht zottig, seltener nur mit zerstreuten abstehenden Büschel-
haaren besetzt; die Stacheln bald ziemlich gleichgross 4—6™”-
lang und nur 6—15 an einem Interfoliartheile, oder un-
gleich gross, in allen Längen von 1 bis zu 6™- und bis zu
25 an einem Interfoliartheile vorhanden; alle Stacheln aus
einer sehr schmalen, linealen Ansatzfläche rasch in eine ge-
rade oder etwas zurückgekrümmte, strohgelbe Spitze ver-
schmälert und nahe der Ansatzfläche mehr weniger mit Büschel-
haaren bestreut; die Stieldrüsen kürzer als die Büschelhaare
— 156 —
und nur 0.5—1™™: lang, bald reichlich, bald nur spärlich
vorhanden, manchmal an einzelnen Schösslingen auch ganz
fehlend. Die Blätter der Schösslinge lang gestielt; der ge-
meinschaftliche Blattstiel, so wie die Stielchen der Theil-
blättchen oberseits rinnig, abstehend behaart und mit zurück-
gekrümmten Stacheln, welche jenen der Schösslinge an Grösse
fast gleichkommen, besetzt. Die Theilblättchen vorherrschend
dreizählig, seltener fünfzählig, und dann immer fussförmig
gestellt, oberseits graugrün mit einem sehr kurzen, aus dicht-
gedrängten kleinen Sternhaaren und dazwischenstehenden 4
bis 5mal längeren, einfachen, etwas schimmernden Striegel-
haaren gebildeten, sammtig anzufühlenden Ueberzuge bekleidet,
unterseits weiss, mit eimem sammtig anzufühlenden, sehr
weichen, längs den Nerven schimmerndem Filze überzogen,
und längs dem Mittelnerv auch mit kleinen, strohgelben ge-
krümmten Stachelchen bewehrt. Der Rand der Blättchen
von abstehenden, dichtgestellten Haaren gewimpert. Das end-
ständige Theilblättchen 5— 8 Ctm. lang, 3—7 Ctm. breit, an einem
1 - 2Ctm. langen Stielchen, im Umrisse rhombisch oder eiförmig-
rhombisch, spitz, an der Basis zugerundet oder etwas herzförmig,
im unteren Drittel grobgesägt, von der Mitte an gelappt,
und zwar an jeder Seite mit 4—6 Läppchen, die von wenigen
eiförmig-dreieckigen, sehr kurzbespitzten Zähnen grobgesägt
erscheinen. Die seitenständigen Blättchen 3.5—7.5 Centim.
lang, 2.5—5 Centim. breit, an einem 2—3”"m. langen Stiel-
chen, rhomboidisch, spitz, an der Basis zugerundet, am Aussen-
rande gewöhnlich zweilappig oder zweispaltig, im unteren
Drittel grobgesägt, ober der Mitte klein gelappt und die
Läppchen grobgesägt. Selten sind die Blätter fünfzählig,
und dann erscheinen die mittleren, seitlichen Blättchen rhom-
bisch-eiförmig oder länglich-eiförmig und die unteren seiten-
ständigen Blättehen länglich-eiförmig. Die Nebenblätter 1—
1.5 Centim. lang, schmal, lineal oder lineal-lanzettlich, lang
zugespitzt, von gebüschelten, langen Haaren zottig und manch-
mal auch mit Stieldrüsen besetzt. Die blüthentragenden
Zweige gewöhnlich 20—50 Centim., an kümmernden Exem-
— 17 —
plaren manchmal auch nur 10 Centim. lang, stumpfkantig,
grün, mit kurzen Sternhärchen, langen Biischelhaaren, zer-
streuten Stieldrüsen und kleinen strohgelben 1- 3™™: langen,
schwach zurückgekrümmten Stachelchen mehr weniger dicht
bekleidet. Die Blätter der blüthentragenden Zweige in der
Berandung, Farbe und Bekleidung mit den Blättchen der
Schösslinge übereinstimmend, alle dreizählig, das endständige
Theilblättchen an einem 0.5—1 Centim. langen Stielchen,
rundlich-rhombisch oder verkehrteiförmig-rhombisch, meist
abgestumpft, seltener spitz; die seitenständigen Blättchen an
einem sehr kurzen, fast unmerklichen Stielchen oder sitzend,
schief rhombisch, manchmal zweilappig, so wie das endstän-
dige Blättchen an der Basis zugerundet, ganzrandig und ober
der Mitte grob doppelt gesägt, oder kleingelappt mit grob-
gesägten Läppchen. Der Blüthenstand schmal, im Umrisse
länglich, 3—10 Centim. lang, 2.5—5 Centim. breit, aus
1—3blüthigen, traubig angeordneten, fast gleichlangen auf-
rechten Cymen zusammengesetzt; die 2—4 unteren Aeste der
Inflorescenz gewöhnlich von laubartigen, dreizähligen Blättern
gestüzt, die mit den tiefer stehenden Laubblättern im Zu-
schnitt und in der Berandung übereinstimmen, die folgenden
oberen Aeste von grauzottigen Bracteen gestützt, welche so lang,
oder fast so lang als die Blüthenstiele sind und in 3—5 lineale
vorgestreckte Zipfel gespalten sind. Die Spindel des Blüthen-
standes fast gerade oder gegen die Spitze zu etwas schlängelig,
sowie die Blüthenstiele graufilzig und kurzzottig, mit ungleichen,
kurzen, dünnen Stachelchen und manchmal auch mit vereinzelten,
kleinen Stieldrüsen besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durch-
messer von 1.5— 1.8 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der
Blüthe und auch zur Zeit der Fruchtreife zurückgeschlagen,
länglich-eiförmig, kurzbespitzt, 4—b”""- lang, an der Basis
mm. breit, unbewehrt und drüsenlos, beiderseits mit einfär-
big-grauem Filze bekleidet und an der Rückseite auch noch
mit längeren Büschelhaaren besetzt. Die Kronenblätter aus-
gebreitet, weiss, mit einem schwachen Stich in’s Gelbliche,
der insbesonders an getrockneten Exemplaren deutlicher her-
a len
vortritt, 7—10™ lang, 4—6™™. breit, also doppelt so lang
als die Kelchzipfel, länglich, verkehrteiförmig, in den Nagel
allmählig zusammengezogen, an der Aussenfläche mit winzigen
anliegenden Härchen bestreut. Die Staubfäden 4—6™™: lang,
weiss, die Griffel ein wenig tiberragend. Der Fruchtboden
langhaarig, so dass die Haare desselben zwischen den ein-
zelnen Fruchtknoten gewöhnlich sichtbar werden, die Carpelle -
selbst aber kahl. Die Griffel grünlich. Die Früchte glänzend
schwarz, süss. Die Fruchtsteinchen elliptisch, 4”®- lang,
2mm. breit; der Querdurchschnitt derselben rundlich.
Der hier beschriebene Rubus gehört in die Abtheilung
der Stelligeri. — Diese Abtheilung lässt sich naturgemäss
nach der Form der Kronenblätter in zwei Gruppen theilen,
nämlich in eine Gruppe, als deren Repräsentant R. collinus
DC. angesehen werden kann, und deren Arten sich durch
rundliche Kronenblätter auszeichnen, und in eine zweite
Gruppe, als deren bekanntester Repräsentant R. tomentosus
Willd. !) zu betrachten ist und deren Arten länglich-verkehrt-
1) Fischer-Ooster hat in Rubi bernenses p. 28 und 38 darauf auf-
merksam gemacht, dass R. tomentosus Borkhausen in Römers Neues
Mag. d. Bot. I., 2 (1794) und R. tomentosus Willd. in Spec. pl. I.
1083 (1799) schwerlich eine und dieselbe Pflanzenart bedeuten. In der
That passt Borkhausen’s Beschreibung schlecht auf jene Pflanze, welche
von den neueren deutschen Floristen für R. tomentosus genommen wird.
Focke suchte zwar in der Oest. bot. Zeitschr. XX., 102 die Auffassung
Fischer-Ooster’s -zu widerlegen, und “meint Borkhausen sei von dem
Vorurtheile befangen gewesen, der von ihm a. a. O. behandelte Rubus
müsse mit R. oceidentalis L. identisch sein. „Dieser Wahn,“ schreibt
Focke, „verführte Borkhausen nach Merkmalen zu suchen, welche Linné
von dem Rubus occidentalis angibt. So glaubte er einen leicht ver-
schwindenden Reif zu bemerken, welcher vielleicht in einem Staubüber-
zuge bestanden haben mag, ferner gibt er an, der Strauch sei rund,
eine Unrichtigkeit, welche mit einer inkorrekten Ausdrucksweise verbunden
ist“. — Ich gestehe aber, dass ich diese Ansicht Focke’s nicht theilen
kann. Nimmt man an, dass frühere Autoren in ihre Beschreibungen auch
Merkmale aufgenommen haben, welche die beschriebenen Pflanzen that-
sächlich nicht besitzen, so ist damit der Willkühr in der Deutung der
von unseren Vorgängern aufgestellten Arten Thür und Thor geöffnet.
le
eiformige, beim Trocknen gelblichwerdende Kronenblätter be-
sitzen. Die beiden im Vorhergehenden, beschriebenen Arten
der Abtheilung Stelligeri, nämlich R. baldensis und R. me-
gathamnus gehören in die erstere Gruppe, der hier beschrie-
bene R. australis gehört dagegen in die letztere Gruppe und
schliesst sich unmittelbar an R. tomentosus Willd. an, als
dessen südliche Paralleiart ich ihn auch auffasse.
Der Wortlaut der Beschreibung lässt sich nicut wegdisputiren und ist
darum immer auch von grösserem Werthe als sog. Originalexemplare
aus der Hand des Autors, weil bei diesen letzteren die Möglichkeit
einer- Verwechslung doch nie ganz ausgeschlossen werden kann. Ich
glaube darum, dass auch in diesem Falle Borkhausen’s Beschreibung
mehr zu berücksichtigen ist, als das von Focke im Roth’schen Herbar
gesehene Borkhausen’sche Originalesemplar, welches Focke mit dem R.
tomentosus der neueren deutschen Floristen für identisch erklärt. Ich
zweifle durchaus nicht an der Richtigkeit dieser Angabe Focke’s und
will derselben sogar beifügen, dass auch der in der Wetterau’schen
Flora exsiccata unter Nr. 652 ausgegebene „R. tomentosus Borkh.“ mit
dem R. tomentosus Willd. und der neueren deutschen Floristen identisch
ist. Damit sind aber doch die Zweifel über den R. tomentosus Borkh.
in Röm. Neuem Mag. d. Bot. p. 2 noch nicht behoben; denn die An-
gaben Borkhausen’s: dass sein R. tomentosus einen stielrunden mit
abwischbaren Reif bedeckten Stengel besitze , lasst sich, wie schon ge- ;
sagt, nicht wegdisputiren. Es sind nur zwei Fälle denkbar. Entweder
hat Borkhausen, wie Fischer-Ooster muthmasst, eine andere Pflanze ge-
meint, als den R. tomentosus Willd. und der neueren deutschen Floristen,
oder er hat unrichtige Angaben gemacht, gewisse Merkmale erdichtet
und somit die Beschreibung einer gar nicht existirenden Pflanze gege-
ben. Sollte das letztere der Fall sein, so hätte seine Beschreibung und
seine ganze Arbeit überhaupt keinen Werth und verdiente dann auch
‚nicht weiter berücksichtiget zu werden. Mit demselben Rechte, mit
welchem Focke voraussetzt, Borkhausen habe die Angaben über die Form
und den Reif der Blätter erdichtet, könnte ja ein auderer wieder be-
haupten, Borkhausen habe in seiner Beschreibung die Form und Be-
kleidung der Blätter unrichtig dargestellt. — Zum wenigsten ist daher
der R. tomentosus Borkhausen eine zweifelhafte Pflanze, und man
thut daher gut, R. tomentosus Willd. zu schreiben, da die von Willd.
in Sp. pl. II, 1083 (1799) gegebene Beschreibung keinerlei Zweifel
aufkommen lassen kann.
— 160 —
Ich habe Gelegenheit gehabt den R. tomentosus Willd.
am Rhein, an der oberen Donau bei Regensburg, im nieder-
österreichischen Donauthale, im Gebiete der Wiener Flora
und im mittelungarischen Berglande an zahlreichen Standorten
lebend zu beobachten, und habe getrocknete Exemplare dieser
Pflanze aus den verschiedensten Gegenden des mittleren und
südlichen Deutschlands, Böhmens, Mährens, Ungarns, u. Sieben-
bürgens vorliegen. Allen Exemplaren aus dieser von den
Rheingegenden durch die Wetterau über Baiern, Böhmen,
Mähren, Niederösterreich und Ungarn nach Siebenbürgen sich
erstreckenden Zone, fehlen die abstehenden Büschelhaare an
den Schösslingen, und die einfachen in den matten Stern-
haarfilz der oberen Blattfläche eingesprengten schimmernden
einfachen Striegelhaare, die Theilblättchen derselben sind un-
gewimpert, verkehrteiförmig, gegen die Basis keilig ver-
schmälert, stets mehr als 1/,mal so lang als breit, und die
Staubfäden überragen nicht die Griffel. — Diese Merkmale
unterscheiden nun eben den R. tomentosus Willd. von den
habituell sehr ähnlichen R. australis, dessen Verbreitungs-
bezirk sich südwärts an jenen des R. tomentosus anschliesst
und sich vom südlichen Frankreich (Montpellier) durch das
Gelände der Alpen und zwar vorzüglich die südlichen Alpen-
thäler (Südschweiz, Tirol, Görz) nach Oberitalien und Dal-
matien erstreckt. Aus dieser südlichen Zone ist mir R.
tomentosus Willd. bisher nur aus der höheren Bergregion
Dalmatiens bekannt geworden; im niederen Hügellande, Küsten-
gebiete und Flachlande ist dagegen in dieser Zone R. australis
sehr verbreitet und ersetzt dort gewissermasen den R. to-
mentosus Willd. Ich glaube darum auch den R. triphyllus
Bell. (nicht Thunb.), sowie den R. tomentosus Nocca et
Balbis und der anderen italienischen Autoren mit R. australis
identifiziren zu können.
— 161 —
8. Rubus dasyclados
turionibus elongatis, ew arcu magno decurvo procumbentibus,
5-angularibus, pilis copiosis simplicibus et binatis, elon-
gatis, patentibus, pilisque occultatis parvis stellatim expan-
sis et glandulis stipitatis inaequalibus vestitis, aculeisque
conformibus rectis horizontaliter patentibus armatis; folio-
lis subcoriaceis, pedatim dispositis, omnibus petiolulatis,
ovatis, acuminatis, discoloribus, supra glaberrimis, obscure
viridibus, infra tomento denso, albo, adpresso et pilis
sparsis tenuibus tomentum superantibus obductis; inflores-
centia pyramidata, e cymulis multifloris composita; sepa-
lis sub anthesi et in fructu reflexis, in dorso canescentibus,
villoso-tomentosis, glandulis stipitatis et aculeolis rectis
munitis; petalis albis, obovatis; staminibus stylos vires-
centes superantibus ; germinibus glabris.
Ad silvarum oras et in silvis caeduis in regione montana Tiroliae;
ad Oenipontem in declivitatibus montium vallem Oeni septentrionem ver-
sus cingentium, solo calcareo.
Umfangreicher Strauch von 1—1.5 Meter Höhe mit
sehr langen Schösslingen und Stämmen, welche bogenförmig
zur Erde gekrümmt und gewöhnlich zu undurchdringlichen
Dickichten verschlungen sind. Schösslinge 4—8™" im Durch-
messer, fünfkantig, mit flachen, gestreiften Seiten, schmutzig
olivengrün, an der Lichtseite gewöhnlich dunkelbraun über-
laufen, mit kleinen ausgebreiteten Sternhärchen, 3—5mal
längeren, abstehenden Büschelhaaren !) wagrecht abstehenden
ungleich langen zarten Stieldrüsen und wagrecht abstehenden
conformen 4—-6™™ langen Stacheln, welche sich aus einer
4—5mm. Jangen, schmalen, linealen Ansatzfläche und stark
zusammengedriickten, dreieckigen, rothbraunen, mit langen
1) Die „Büschelhaare“ bestehen bei dieser so wie überhaupt bei
den meisten Rubus gewöhnlich aus paarweise vereinigten, verlängerten
Haaren, seltener findet sich ein aus 3 oder 4 Haaren gebildetes Büschel
zwischen diese paarweise vereinten Haare eingesprengt, oder es ist in
Folge Verkümmerung das Büschel nur durch ein einziges Haar re-
präsentirt.
— 162 —
Haaren bestreuten Basis allmählig in eine gerade strohgelbe
Spitze verschmälern, besetzt. Jeder Interfoliartheil trägt
‚10—25 Stacheln. Die Stieldrüsen und langen Büschelhaare,
welche eine dichte Bekleidung des Schösslings bilden, ver-
lieren sich zum Theile über Winter, so dass die Stämme zur
Zeit der Blüthe immer weniger dicht bekleidet sind, als die
Schésslinge. Die Blätter der Schösslinge langgestielt, vor-
herrschend fünfzählig, gegen den Gipfel der Schösslinge zu
durch Verschmelzung der seitlichen Blättchen auch vierzählig
und dre'zählig; der gemeinschaftliche Blattstiel, sowie die
Stielchen der Theilblattchen oberseits schwach eingedrückt,
mit kurzenausgebreiteten Sternhärchen u. wagrecht abstehenden
Stieldrüsen bedeckt, gleichzeitig von abstehenden, nahezu 1””-
langen Büschelhaaren dicht zottig und mit schwachgekrümmten
3——4™. Jangen Stacheln bewehrt; die Theilblättchen fuss-
förmig gestellt, derb, im Herbste fast lederig, oberseits dunkel-
grün, glanzlos, schon in der Jugend vollständig kahl, unter-
seits mit gelblichweissem, dichtanliegenden Filze bedeckt und
gleichzeitig von schimmerden über den Filz aufragenden ein-
fachen und büscheligen Haaren flaumig-zottig. Das Nerven-
netz sehr markirt; die Nerven oberseits durch sehr fein-
vertiefte Linien angedeutet, unterseits scharf vorspringend,
von weisslichgelber, die stärkeren Nerven manchmal auch
von röthlicher Farbe; der Mittelnerv mit kleinen, schwach-
gekrümmten Stachelchen besetzt. Der Rand der Blätter von
eiförmig-dreieckigen in ein kleines, kallöses Spitzchen aus-
laufenden, gewimperten Zähnen, unterhalb der Mitte einfach —,
oberhalb der Mitte unregelmässig, doppeltgesägt. Das end-
ständige Theilblättchen rundlich-eiförmig, lang zugespitzt, an
der Basis zugerundet oder etwas herzförmig, 7—12 Centim.
lang, 3.5—9 Centim. breit, an einem 1.5—2.3 Centim.
langen Stielchen, die beiden mittleren, seitenständigen Blätt-
chen verkehrteiförmig oder schief elliptisch, zugespitzt, 6 bis
11 Centim. lang, 2.8—6 Centim. breit, an einem nur 6— 12mm.
langen Stielchen, die beiden unteren seitlichen Blättchen
länglich, lanzettlich, spitz 4—8 Centim. lang, 1.5—4 Centim.
— 18 —
breit, an einem sehr kurzen 1—3”"- langen Stielchen. Wenn
die beiden seitlichen Blättchen einer Seite zu einem ver-
schmolzen sind, so erscheint der Aussenrand des durch Ver-
schmelzung entstandenen Blattchers mit einem kleinen Lappen
oder einer vorspringenden Ecke versehen. Die Nebenblätter
1.5—2 Centim. lang, schmal, lineal, grün, mit kurzen Stiel-
drüsen und langen Wimperhaaren besetzt. Die blüthentragen-
den Zweige 20—60 Centim. lang, kantig, grün, von kurzen,
ausgebreiteten Sternhärchen, drei bis viermal längeren ab-
stehenden Büschelhaaren, kurzen wagrecht abstehenden Stiel-
drüsen und rückwärts geneigten, ungleichen, 3—6""- langen
Stacheln bekleidet. Die Blätter der blüthentragenden Zweige
dreizählig, die Theilblättchen der unteren Blätter dieser Zweige
oberseits mit schimmernden, anliegenden, einfachen Striegel-
haaren bestreut, unterseits graugrün, sammtig-weichhaarig,
am Rande grobgesägt, im Umrisse rundlich-verkehrteiförmig,
stumpf, die Theilblättchen der oberen Blätter der blüthen-
tragenden Zweige in der Berandung und Bekleidung mit den
Theilblättchen der Schösslingsblätter übereinstimmend, auch
in der Grösse und im Umrisse diesen sehr ähulich, und nur
dadurch abweichend, dass sie verhältnissmässig breiter und
kürzer zugespitzt erscheinen. Der Blüthenstand pyramiden-
förmig oder eiförmig, reichblüthig, aus 3 — vielblüthigen,
-traubenformig angeordneten, nach obenhin gedrängt stehenden
Cymen zusammengesetzt. Die 2—8 unteren Aeste des Blüthen-
standes von laubartigen, einfachen oder dreizähligen Blättern
gestützt, welche im Zuschnitt, sowie in der Berandung, Farbe
und Bekleidung mit den tieferstehenden, stengelständigen
Laubblättern übereinstimmen; die folgenden, kürzergestielten
Cymen von lineal-lanzettlichen, ungetheilten oder dreispaltigen
grünen mit Stieldrüsen und Wimperhaaren besetzten Bracteen
gestüzt. Die Blüthenstiele, sowie die Spindel des Blüthen-
standes von anliegendem Sternhaarfilze, langen abstehenden
Büschelhaaren, zahlreichen Stieldrüsen und spärlichen, stroh-
gelben, nadelförmigen, geraden, ungleichlangen Stachelchen
besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser von 1,8 bis
— 164 —
2 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der Blüthe und
Fruchtreife zurückgeschlagen, 6—7™™" lang, an der Basis
3—3.5™™ breit, eiförmig, zugespitzt, die Spitze an sehr
üppigen Exemplaren manchmal in ein grünes, lanzettliches,
laubartiges Anhängsel verlängert; die obere Fläche der Kelch-
zipfel ist mit einfärbigem, weisslichen Filze bekleidet, die
äussere untere Fläche mit graugrünem Filze bedeckt, in
welchem zahlreiche, strohgelbe Nädelchen und kurze Stiel-
drüsen eingestreut sind. Die Kronenblätter sind 8—10""-
lang, 5—6""”- breit, ausgebreitet, weiss, verkehrteiförmig oder
länglich-verkehrteiförmig, allmählig in den 1””: breiten Nagel
verschmälert, mit sehr kurzen Härchen bestreut. Die Staub-
fäden sind weiss oder theilweise röthlich überlaufen, 6™™
lang, deutlich die grünlichen Griffel überragend. Die Frucht-
knoten sind kahl und das Köpfchen der Fruchtknoten ist
von dem Kreise der Staubblätter durch einen breiten, nackten
Hof getrennt. Die Früchte glänzend schwarz.
Der hier beschriebene Rubus gehört in die Abtheilung
der Glandulosi und zwar in die Gruppe Vestiti. Diese zu-
erst von Bayer im Botan. Excursionsb. pag. 297 aufgestellte
Gruppe der Glandnlosen, deren bekanntester Repräsentant
R. vestitus W. u. N. ist, zeichnet sich durch die gleich-
grossen kräftigen Stacheln der Schösslinge, und insbesonders
dadurch aus, dass sich unter den langen abstehenden Büschel-
haaren, welche dem Schössling ein zottiges oder rauhhaariges
Ansehen geben, regelmässig auch kurze, sternförmig, ausge-
breitete Härchen finden. — Von allen Arten dieser Gruppe
unterscheidet sich nun R. dasyclados durch die zahlreichen
Stieldrüsen des Schösslings und die oberseits vollständig
kahlen, unterseits mit dichtanliegendem, gelblich-weissen Filze
bekleideten Blätter.
R. dasyclados gehört zu den selteneren Rubus-Arten
und scheint auf das alpine Gelände beschränkt. In der Um-
gebung von Innsbruck, wo R. vestitus W. u. N. fehlt, ist
R. dasyclados der einzige Repräsentant der Gruppe: Vestiti.
Se PGR =
Er findet sich daselbst insbesonders an warmen Lehnen am
Fusse der Kalkberge in; dem Höhengürtel von 600—1000
Meter. "
9. Rubus reticulatus
turionibus procumbentibus, flagelliformibus, apice radican-
tibus, teretibus, sparsim pilosis, glandulis stipitatis et
aculeis inaequalibus parvis tenuibus rectis munitis; foliis
ternatis, foliolis ex cordata basi ovatis, acuminatis, dis-
coloribus, supra obscure viridibus et strigulosis, infra
tomento albe arcte adpresso vestitis et eleganter reticulato-
venosis, lateralibus brevissime pedicellatis; inflorescentia
parva, pyramidata vel ovata e cymulis paucifloris compo-
sita, sepalis sub anthesi reflewis, in dorso cano-tomentosis
et glandulis stipitatis avuleolisque rectis aciculiformibus
obsitis, petalis albis, erectis, oblongo-obovatis, staminibus
erectis, stylos virescentes vix superantibus.
In silvis montanis Tiroliae septentrionalis ad Onipontem.
Schösslinge peitschenförmig, auf den Boden hingestreckt,
liegend, an den Spitzen anwurzelnd, 70—130 Centim. lang,
an den dicksten Stellen 3™™-, gewöhnlich aber nur 2”. im
Durchmesser, fast stielrund, grün, an der Lichtseite dunkel
violettbraun oder rothbraun überlaufen und an beschränkten
Stellen in der Umgebung der Stacheln manchmal mit einem
schülferig sich abhebenden, weisslichen Wachsüberzuge ver-
sehen, mit spärlichen, zerstreuten Büschelhaaren, zahlreichen
0.5— 1”=- langen Stieldrüsen und ungleichlangen, kleinen
Stacheln deren kräftigste nicht über 3”"”- lang sind, und
sich aus einer 2.5™™: langen, linealen Ansatzfläche und kurz
dreieckigen, zusammengedrückten Basis plötzlich in eine nach
rückwärts geneigte Spitze verschmälern, bekleidet. Die Blätter
der Schösslinge, langgestielt, vorherrschend dreizählig, sehr
selten einige auch vierzählig und fünfzählig; der gemein-
schaftliche Blattstiel, so wie die Stielchen der Theilblättchen
Naturw.-med. Verein, 15
— 166 —
oberseits etwas rinnig eingedriickt, in derselben Weise wie
des Stamm des Schösslings bekleidet, nur etwas dichter be-
haart als dieser. Die Theilblättchen zweifarbig, oberseits
dunkelgrün mit schimmernden, den Sekundärnerven parallel
aufliegenden Striegelhaaren bestreut, unterseits mit weissem,
kurzen, dichtanliegenden Filze bekleidet. Die Nerven an
der unteren Blattfläche gelblich-weiss, sowohl der Primärnerv
als auch die Secundärnerven, und die rechtwinkelig zu ein-
ander gestellten anastomosirenden Nerven dritter und vierter
Ordnung, deutlich vorspringend und zu einem äusserst zier-
lichen Netze verbunden, das einigermassen an das Nerven-
netz der Salix reticulata erinnert. Der Rand der Theil-
blättchen von kurzen, breiteiförmigen in ein kleines Spitzchen
plötzlich zusammengezogenen, gewimperten Zähnen unregel-
mässig gesägt; das endständige Theilblättchen eiförmig, zuge-
spitzt, an der Basis herzförmig, 4—-7 Cent. lang, 2-—4.5 Cent.
breit, an einem 1—2 Centim. langen Stielchen, die beiden
seitenständigen Blättchen 3.5—6.5 Cent. lang, 2—4 Cent.
breit, fast sitzend, an einem nur 1—3™™"- langen Stielchen,
schief eiförmig oder rhomboidisch, spitz oder etwas zugespitzt,
an der Basis herzförmig, am Aussenrande gewöhnlich mit
einer vorspringenden Ecke oder einem abstehenden Lappen
versehen. Ist das Blatt fünfzählig, so sind die Theilblätt-
chen fussförmig gestellt, und die an den kurzen Stielchen der
mittleren Blättchen sitzenden seitlichen unteren Blättchen sind
elliptisch oder eiförmig, spitz, 2.5—3.5 Centim. lang und
1.5—2 Centim. breit. Die Nebenblätter 4—5™™ lang, sehr
schmal, lineal, fast fädlich, mit kurzen Stieldrüsen und
Wimperhaaren bestreut. Die blüthentragenden Zweige 5 bis
25 Centim. lang, aufrecht, unten stielrund, nach obenhin
stumpfkantig, zickzackformig hin- und hergebogen, grün,
violettbraun überlaufen und von reichlichen, verfilzten Büschel-
haaren, zahlreichen, ungleichlangen Stieldrüsen und geraden,
ungleichlangen, horizontalabstehenden , nadelförmigen, bis zu
2m. Jangen Stachelchen dicht bekleidet. Die oberen Blätter
der blüthentragenden Zweige den Blättern der Schösslinge
a, LOR ee
gleichgestaltet, die unteren dagegen im Vergleiche zu den
Schösslingsblättern weniger zugespitzt, mitunter sogar abge-
stumpft, kürzer und verhältnissmässig breiter, gröber gesägt,
unterseits nur mit sehr dünnem Filze bekleidet und daher
gewöhnlich weisslich-grün. Der Blüthenstand nur 5—4 Centim.
lang, von den obersten Blättern der Blüthenzweige überragt,
im Umrisse pyramidenförmig, aus trauhig angeordneten Cymen
gebildet, von welchen die untersten meist 3—Dbliithig und
von laubartigen, einfachen oder dreizähligen Blättern gestützt,
die oberen sehr genäherten meist nur zwei- und einblüthig
und von dreispaltigen Bracteen gestützt erscheinen. Die
Blüthenstiele, sowie die Spindel des Blüthenstandes sind von
verwobenen Haaren graufilzig und mit ungleichlangen, roth-
braunen Stieldriisen und geraden, horizontal abstehenden,
strohgelben, nadelförmigen, bis zu 3™™ langen Dörnchen
reichlich besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser von
1.2—1.5 Centim. Die Kelchzipfel sind zur Zeit der Blüthe
zurückgeschlagen, eiförmig, langzugespitzt, 4—6”"- lang, an
der Basis 2.5—3"%": breit, an der Innenfläche mit einfär-
bigem, weisslichen Filze bekleidet, an der Aussenfläche grau-
fllzig und mit zahlreichen, rothbraunen Stieldrüsen und nadel-
förmigen, strohgelben Dörnchen besetzt. Die Kronenblätter
weiss, aufrecht abstehend, 6—8™™: lang, 3— 4”: breit, läng-
lich-verkehrteiförmig, allmählig in den Nagel verschmälert.
Die Staubfäden aufrecht, weiss, 5™- lang, die grünlichen
Griffel kaum überragend. Die Fruchtknoten kahl. Die Früchte
an keinem der beobachteten Exemplare zur Entwickelung
gelangt.
R. reticulatus wurde bisher nur im Gebiete der Inns-
brucker- Flora und auch da nur selten und vereinzelt be-
obachtet. — Er gehört in die Abtheilung der Glandulos;
und reiht sich in die Gruppe des R. hirtus W. K. — Von
allen Arten dieser Gruppe unterscheidet er sich aber auf
den ersten Blick durch den dichtanliegenden weissen Filz und
das sehr markirte, kleinmaschige Adernetz der unteren Blatt-
fläche, in welchem die Nerven vierter und fünfter Ordnung
15%
me
noch deutlich vorspringen und durch ihre Anastomosen un-
zählige kleine, quadratische Felderchen im Durchmesser von
beiläufig 1”: bilden. |
Das verhältnissmässig seltene Vorkommen und der Um-
stand, dass an keinem der beobachteten Exemplare dieses
Rubus reife Früchte zur Entwickelung gelangten, lässt die
Muthmassung aufkommen, dass derselbe einer hybriden Be-
fruchtung sein Dasein verdankt. — In diesem Falle würde
nun jedenfalls R. hirtus W. K. als die eine Stammart an-
zusehen sein, da dieser, wie schon bemerkt, durch zahlreiche
Merkmale mit R. reticulatus übereinkommt. Da dem R.
hirtus W. K. der weissfilzige Ueberzug, und das scharfvor-
springende, kleinmaschige Nervennetz der unteren Blattfläche
fehlt, würde man eine unserer Rubus-Arten mit zweifarbigem
unterseits weissfilzigen Laube als zweite Stammart muth-
massen können. Von solchen finden sich in dem Gebiete,
wo R. reticulatus wächst, R. australis, R. candicans Weihe
— thyrsoideus Wimmer), R. bifrons Vest und R. dasyclados.
Aus der Reihe dieser Arten ist zunächst R. australis aus-
zuschliessen, weil kein einziges der Merkmale, welche diesen
Rubus besonders charakterisiren an R. reticulatus ausge-
sprochen ist. Würden die durch ihre hohen kräftigen Schöss-
linge und Stämme ausgezeichneten Arten: R. candicans Weihe
und R. bifrons Vest betheiliget sein, so müsste R. reticu-
latus jedenfalls dickere Schösslinge und höheren Wuchs zeigen,
als er sie in Wirklichkeit besitzt. In der That sind aber
sowohl die peitschenförmigen auf den Boden liegenden Schöss-
linge, so wie die aufrechten blühenden Zweige des R. reti-
culatus nicht kräftiger, sondern vielmehr noch zarter und
schmächtiger, als jene des R. hirtus W. K. Auch ist nicht
abzusehen, von welcher dieser beiden in Frage stehenden
Arten R. reticulatus das eigenthümliche Nervennetz entlehnt
haben sollte. Am ehesten könnte daher nach R. dasyclados
in Betracht kommen, da bei dieser Art die Schösslinge ge-
wöhnlich nur einen Durchmesser von 5—6™™ zeigen, sehr
verlängert sind, und mit ihren Enden auf den Boden hinge-
Be
ee eg
worfen erscheinen; auch ist das Nervennetz an der unteren
weissfilzigen Blattfläche des R. dasyclados sehr markirt, wenn
auch lange nicht so scharf abgehoben, wie an R. reticulatus.
Anderseits spricht aber gegen die Annahme, dass R. reti-
culatus ein der Combination: dasyclados X hirtus entsprechen-
der Bastart sei, der Umstand, dass die Schösslinge des R.
reticulatus nicht dichter, sondern vielmehr spärlicher behaart
sind, als jene des R. hirtus W. K., während doch das erstere
an einem der Combination: dasyclados X hirtus entsprechen-:
den Bastarte vorausgesetzt werden müsste, ebenso spricht
der Umstand dagegen, dass die Blättchen des R. reticulatus
weniger zugespitzt und mit kürzeren, breiteren, zahlreicheren
Zähnen berandet erscheinen, als es die Blättchen beider
fraglichen Stammarten sind.
10. Rubus Ebneri
turionibus procumbentibus teretibus leviter pruinosus, junio-
ribus parce pilosis, adultis glabratis, glandulis stipitatis
brevibus copiosis aculeisque copiosis rectis parvis strami-
neis subconformibus munitis, foliis quinatis, foliolis pedatim
dispositis, omnibus petiolulatis, utrinque viridibus, planis,
pilis micantibus sparsis vestitis, terminali ex cordata basi
ovato-rhombeis, breviter acuminatis, lateralibus oblique
ovatis vel obovatis, acutis, ramulorum florigerorum folüs
ternatis: terminali longe pedicellato sub-rotundo, acuto,
lateralibus pedicellatis oblique ovatis; inflorescentia com-
posita flexuosa, ovata vel pyramidata, folia superiora via
excedentia, pedunculis erecto-patulis pilosis, glandulis sti-
pitatis brevibus et aculeolis rectis aciculiformibus stra-
mineis obsitis; floribus mediocribus; sepalis sub unthesi
reflexis, in fructu arrectis, in dorso sublomentosis, canes-
centi-viridibus glandulis stipitatis minimis et aculeolis
aciculiformibus minutis adspersis; petalis patulis, albis,
oblongo-obovatis, in unguem sensim sensimque contractis,
staminibus albis, erectis, stylos virescentes superantibus.
— 10 —
In silvis umbrosis montanis Tiroliae septentrionalis; ad latera mon-
tium vallem Oeni ad Oenipontem septentrionem versus eingentium.
Niederer 30—50 Cent. hoher Strauch, dessen auf dem
Boden hingeworfene Schösslinge an der Spitze einwurzeln
und der im unbehinderten Wuchse mit seinen zahlreichen
Stämmen, Zweigen und Schösslingen, Strecken von einem
Quadratmeter und selbst darüber in dichtem Schlusse über-
deckt. Die Schösslinge 3—5™™- im Durchmesser, stielrund,
längsstreifig, grün, an der Lichtseite häufig braunroth oder
braunviolett überlaufen, von einem sehr zarten, diffusen Wachs-
überzuge hechtblau bereift, mit zahlreichen, horizontal-ab-
stehenden kleinen nur 0.5™™ langen Stieldrüsen und an jedem
Interfoliartheile mit 20—35 ziemlich gleichgestalteten, 3 bis
Hmm. Jangen, strohgelben Stachelchen. besetzt, welche sich aus
einer langlich-linealen 2—4""®- langen Ansatzfläche und drei-
eckigen, zusammengedrückten manchmal violettüberlaufenen
Basis, sehr allmälig in eine dünne, gerade, etwas rückwärts-
geneigte Spitze verschmalern, in der Jugend auch mit sehr
spärlichen vereinzelten, kurzen Büschelhaaren bestreut, welche
aber alsbald schwinden, so dass dann der Schössling nur
mit Stieldrüsen und Stacheln bekleidet ist. Die Blätter der
Schösslinge lang gestielt, fünfzählig, nur am untersten Theile
der Schösslinge auch dreizählig; der gemeinschaftliche Blatt-
stiel, so wie die Stielchen der Theilblättchen oberseits etwas
eingedrückt-rinnig, mit spärlichen Büschelhaaren, Stieldrüsen
und zahlreichen, strohgelben Stachelchen besetzt, welche mit
jenen des Stengels in Form, Farbe und Grösse überein-
stimmen; die Theilblättchen fussförmig gestellt, oberseits
dunkelgrün mit schimmernden Striegelhaaren bekleidet, unter-
seits blasser grün, mit einem aus schimmernden, unregel-
mässiggestellten, ziemlich zahlreichen, aber die Blattfläche nicht
ganz verhüllenden Haaren gebildeten Ueberzuge bedeckt. Die
Nerven zart, gelblich, der Mittelnerv mit zahlreichen 1—3™™
langen, geraden Stachelchen bewehrt. Der Rand der Blättchen ist
von kleinen, kurzen, breiteiförmigen, plötzlich in ein kleines
Spitzchen zusammengezogenen Zähnen einfach gesägt. Das
— 11 —
endständige Theilblättchen aus herzförmiger Basis eiförmig
oder eiförmig rhombisch, spitz oder kurz zugespitzt, 6—9 Ctm.
lang, 4—6 Cent. breit, an einem 2—3 Cent. langen Stiel-
chen, die beiden seitenständigen, mittleren Blättchen ver-
kehrteiförmig, spitz oder kurz zugespitzt, an der Basis asy-
metrisch, zugerundet, 5—8 Cent. lang, 3—5 Cent. breit,
an 1—1.5 Cent. langen Stielchen, die beiden seitenständigen
unteren Blättchen elliptisch, schief-eiförmig oder rhomboidisch,
spitz oder stumpflich, 3.5—5.5 Cent. lang, 1.8—3 Cent.
breit, an einem 2-—4™- langen Stielchen. Wenn die beiden
seitlichen Blättchen einer Seite zu einem verschmolzen sind,
so erscheint das durch diese Verschmelzung entstandene
Blättchen im unteren Drittel des äusseren Randes mit einem
stumpfen Lappen versehen. Die Nebenblätter schmal, lineal,
1 Centim. lang, mit Stieldrüsen und Wimperhaaren besetzt.
Die hlüthentragenden Zweige 20—45 Cent. lang, aufrecht,
zickzackförmig hin- und hergebogen, unten stielrund, nach oben-
hin kantig, grün, mit abstehenden Büschelhaaren, kurzen
Stieldrüsen und zahlreichen, strohgelben, rükwärtsgeneigten,
ungleichen in der Länge zwischen 2 und 4™ schwankenden
Stacheln bekleidet. Die Blätter der blüthentragenden Zweige
dreizählig; die Theilblättchen derselben in der Färbung, Be-
kleidung und Berandung mit den Theilblättchen der Schöss-
lingsblätter übereinstimmend; das endständige Theilblättchen
rundlich-rhombisch , spitz, 6—9 Cent. lang, 4—6.5 Cent.
breit, an einem 1—2.5 Cent. langen Stielchen; die beiden
seitenständigen schief eiförmig oder rundlich-rhombisch, spitz
oder stumpflich, 5—8 Cent. lang, 3—5 Cent. breit, an einem
2—6™™" langen Stielehen, im unteren Drittel des äusseren
Randes manchmal mit einem stumpfen Lappen oder einer
vorspringenden Ecke versehen. Der Blüthenstand im Umrisse
eiförmig oder pyramidenförmig, über die obersten Laubblätter
wenig oder gar nicht emporragend, aus traubig angeordneten
Cymen gebildet, von welchen die untersten und obersten meist
nur 1—2blüthig, die mittleren 3—5bliithig erscheinen. Die
untersten 2-—3 ziemlich entferntstehenden Cymen in den
2a
Achseln grosser sie weitüberragender Laubblätter, welche
mit den tieferstehenden Laubblättern in Farbe, Zuschnitt,
Bekleidung und Berandung übereinstimmen, die oberen sehr
genäherten Cymen von grünen, haarigen und mit zahlreichen
kurzen Stieldrüsen besetzten, dreispaltigen Bracteen gestützt.
Die Spindel des Blüthenstardes schlängelig hin- und herge-
bogen, so wie die aufrecht-abstehenden Blüthenstiele, grau-
flaumig, mit zahlreichen sehr zarten, kleinen Stieldrüsen und
zahlreichen 1—3™™: langen, horizontalabstehenden oder etwas
rückwärtsgeneigten, nadelförmigen , strohgelben Stachelchen
besetzt. Die Blüthen zeigen einen Durchmesser von 2 Cent.
Die Kelchzipfel sind zur Zeit der Blüthe zurückgeschlagen,
zur Zeit der Fruchtreife aufgerichtet, 5™™ lang, an der Basis
zum. breit, dreieckig-eiförmig, in ein lineales 1—2™™: Janges,
grünes, pfriemliches Spitzchen plötzlich zusammengezogen,
an der inneren Fläche mit einfärbigem, weisslichen Filze be-
kleidet, an der äusseren Fläche filzig, graugrün, mit hellerem
Rande, mit zahlreichen, kurzen Stieldrüsen und kurzen, stroh-
gelben, nadelférmigen Stachelchen bestreut. Die Kronen-
blätter ausgebreitet, weiss, 9—11™™. lang, 5™™- breit, läng-
lich, verkehrteiförmig, allmälig in den 1”®- breiten Nagel
zusammengezogen, doppelt so lang als die Kelchzipfel, an
der Aussenfläche mit sehr spärlichen, winzigen Härchen be-
streut. Die Staubfäden 5—6™™ lang, weiss, aufrecht, über
die grünlichen Griffel deutlich emporragend. Die Frucht-
knoten mit sehr kurzen, gebüschelten , zarten Härchen be-
streut. Die Früchte zum Theile abortiert; die ausgereiften
schwarz.
Der hier beschriebene Rubus, welchen ich in angenehmer
Erinnerung an die zahlreichen, mit meinem Schwager, dem
Histologen Dr. V. v. Ebner ausgeführten, botanischen Exkur-
sionen R. Ebneri benannt habe, mahnt durch seine stiel-
runden, bereiften, mit kleinen, geraden, strohgelben Stacheln
besetzten Schösslinge auf das lebhafteste an R. dumetorum
W.u. N. und macht auch in seiner ganzen Tracht den Ein-
druck einer in die Abtheilung der Corylifolii gehörigen Art,
— 13! —
unterscheidet sich aber von allen Arten dieser Abtheilung
durch die deutlichgestielten, seitlichen unteren Theilblättchen
der fünfzähligen Schösslingsblätter, durch die deutlichgestielten
seitlichen Blättchen der dreizähligen Blätter der blüthen-
tragenden Zweige, und durch die Kronenblätter, welche doppelt
so lang als breit und im Umrisse länglich-verkehrteiförmig
erscheinen. — Diese Form der Kronenblatter, so wie die
zahlreichen kleinen Stieldrüsen des Schösslings mahnen an
die Arten der Gruppe Glandulosi, und es wäre nicht un-
möglich, dass R. Ebneri der hybriden Verbindung zweier
Arten sein Dasein verdankt, von welchen die eine der Gruppe:
Glandulosi die andere der Gruppe: Corylifolii angehört. —
Aus diesen beiden Gruppen finden sich in den Wäldern, in
welchen ich R. Ebneri auffand, besonders häufig der R. du-
metorum W. u. N. und R. hirtus W. K. und vielleicht ist
derselbe daher als ein der Combination : dumetorum X hirtus
entsprechender Bastart aufzufassen.
Analyse einer Ovarialcystenflissigkeit
von
Professor Richard Maly.
Von der gynäkologischen Klinik der hiesigen Universität
erhielt ich die Punktionsflüssigkeit einer grossen Ovarial-
cyste einer zum zweiten male punktirten Frau.
Die Flüssigkeit betrug etwa 25 Pfunde, war schwach
alkalisch, braun, trübe, dick, lange Fäden ziehend, und
liess sich nur schwer schöpfen, da sie wieder theilweise
zurückfiel.
Die grosse Flüssigkeitsmenge, und die zähe viscide
Beschaffenheit, welche man seit Scherer!) einem eigen-
thümlichen (seltneren) Eiweisskörper zuzuschreiben pflegt,
veranlassten mich eine nähere Untersuchung vorzunehmen.
Die ersten Coagulationsversuche zeigten schon die von
Scherer betonte Eigenthümlichkeit des Paralbumins
sich beim Kochen schlecht in Flocken auszuscheiden, und
auch nach Zuspritzen von etwas Essigsäure eine milchigtrübe
unfiltrirbare Flüssigkeit zu geben.
Mucin war nicht nachweisbar, ja die ursprüngliche etwas
verdünnte Flüssigkeit wurde durch Essigsäure eher aufge-
hellt als getrübt. Auch das Suchen auf Paraglobulin gab
kein reines Resultat, es wurde wohl nach starkem Ver-
dünnen, Zusatz einer Spur Essigsäure und Einleiten von
1) Annalen der Chemie.. Bd. 82.
— 15 —
Kohlensäure eine trübe Flüssigkeit erhalten, aber es setzten
sich keine deutlichen Flocken ab.
Es war hingegen leicht die Eiweisskörper von den übri-
gen Substanzen auf folgende Weise zu trennen. Eine Quan-
tität von circa 10 Pfund der zähen Flüssigkeit wurde mit
fast dem doppelten Volum Weingeist gefüllt und tüchtig
geschüttelt. Die dicke Fällung, welche beinahe die ganze
Flüssigkeit breiig machte, hatte das faserig zähe und fädige
Aussehen von Fibrin und war von Blutfarbestoff schwach
röthlich gefärbt. In der Flüssigkeit blieben keine merklichen
Mengen der Eiweisssubstanzen zurück. Beides, die gefällten
Eiweisskörper und die Flüssigkeit wurden nacheinander
untersucht.
Ein Klumpen der fasrigen Fällung wurde, nachdem er
zwölf Stunden unter Weingeist gestanden war, abgepresst,
noch einmal mit Weingeist durchgeschüttelt und zwischen
Papier stark ausgepresst, und war nun eine filzige fädige
Masse die sich leicht zerpflücken liess. Dieser Presskuchen
von Eiweisskörpern liess sich durch Wasser gut in zwei
Theile, einen löslichen A und einen unlöslichen B trennen.
Mit Wasser übergossen quoll er stark auf, die Fasern wur-
den zu schleimigen Flocken, die sich wenn gleich langsam
durch ein Filter trennen liessen.
A. Die Lösung. Die Löslichkeit eines durch Wein-
geist coagulirten Eiweissstoffes im Wasser bestätigte das Vor-
handensein des sog. Paralbumins, das ja nach Scherer’s
Charakteristik eben dadurch ausgezeichnet ist, und sich durch
diese Eigenschaft vom Serum- und Eieralbumin unterscheidet.
Die wässerige Lösung wurde neuerdings von Alkohol weiss
gefällt, oder getrübt, und die Trübung verschwand auf Zu-
satz von viel Wasser wieder, selbst noch, wenn der Nieder-
schlag 24 Stunden unter Alkohol gestanden hat. Gegen-
versuche mit einer verdünnten Eieralbuminlösung überzeugten
mich, dass schon nach wenigen Minuten bei diesem die
Weingeistfällung im Wasser unlöslich ist. Die anderen
Reactionen dieses Paralbumins wurden alle mehrfach vorge-
— 176 —
nommen und finden sich auch darunter noch solche die mit
dem gewöhnlichen Albumin nicht übereinstimmen.
1. Kochen allein fällt nicht, obwohl die Reaction weni-
ger alkalisch war, als eine verdünnte Eieralbuminlösung
(eines Parallelversuches) die ohne Säurezusatz gerann. Hin-
gegen fällt Kochen und eine Spur Essigsäure milchig; etwas
mehr Essigsäure löst wieder, und die Fällung erscheint zum
zweiten Male nach Zusatz von Kochsalzlösung. (Dieselben
Reactionen, und die folgenden zeigte auch die ursprüngliche
verdünnte Cystenflüssigkeit. Da aber diese nicht klar war,
so könnten schwache Trübungen darin übersehen worden
sein. Doch da sie im verdünnten Zustande beim Erhitzen
nicht gerann und nicht mehr trübe wurde, so scheint: kein
Serum albumin darin enthalten gewesen zu sein.)
2. Kochsalzlösung und Kochen fällen, ebenso Kochsalz-
lösung und verdünnte Essig- oder Salzsäure. Der Nieder-
schlag ist in viel Wasser löslich.
3. Salpetersäure fällt, auch im Ueberschuss.
4. Salzsäure allein fällt nicht, weder verdünnt noch
concentrirt.
5. Schwefelsäure fällt nicht.
6. Kupfervitriol fällt, der Niederschlag ist im Ueber-
schusse des Fällungsmittels löslich.
7. Bleizucker fällt nicht, und trübt nicht.
8. Sublimat gibt einen weissen Niederschlag.
9. Ferrocyankalium fällt einen reichlichen Niederschlag
sowohl in der mit Salzsäure, als in der mit Essigsäure an-
gesäuerten Flüssigkeit.
10. Essigsäure allein fällt nicht.
Diese Reactionen stimmen mit denen Scherers, so-
weit sie von beiden Seiten gemacht wurden überein, nämlich
1, 3, 4 8 9 und 10. Zu der Differenzialdiagnose von
Scherer, welche letzterer wiederholt neuerdings 1) betonte,
nämlich der Löslichkeit des weingeistig gefällten Paralbumins
1) Virchow, Jahresbericht ete. 1866.
u
in Wasser, wäre noch nach obigem hinzuzufügen: die Nicht-
fällbarkeit durch conc. Salzsäure und die Nichtfällung durch
Bleizucker. Hingegen hätte ich als Unterschied zwischen
Scherer’s und meinem Paralbumin zu erwähnen, dass S.
die Weingeistfällung in körnigen Flocken erhielt, ich aus
der ursprünglichen Cystenfliissigkeit in Fäden etc., aus der
Lösung A. als milchige Trübung. Diese äussere Form der
Ausscheidung mag wohl durch die Gegenwart anderer Sub-
stanzen bedingt werden, die wir dermalen nicht kennen.
Ich habe die Details der Reactionen hier umsomehr mit-
getheilt, als in der praktischen Beziehung, das Vorkommen
und daher auch die Eigenschaften des Paralbumins eine grosse
Bedeutung für die Differenzialdiagnose von Ovarialkystomen
und ascitischen Flüssigkeit gewinnt. In diesem Sinne be-
spricht Waldeyer !) das Vorkommen des Paralbumins.
Waldeyer hat auf Grund der zwei Reactionen: Fällbar-
keit durch Kohlensäure, und Löslichkeit des Alkoholpräci-
pitates in zahlreichen Fällen von Ovarialkystomen das Paral-
bumin nie vermisst, in ascitischen Flüssigkeiten hingegen nie
gefunden.
Dies soll vom chemischen Standpunkte aus hier noch-
mals desshalb betont werden, weil sich seit Scherer’s ersten
Mittheilung über Paralbumin die Angaben darüber durch
alle Hand- und Lehrbücher so hinziehen, als ob diese Ei-
weissmodification ein seltenes Vorkommniss in gewissen Ova-
rialeysten sei, während es dort doch als Regel, vielleicht
immer auftritt. Dieses constante Auftreten in so kysto-
matös entarteten Eierstöcken gewinnt ein hohes Interesse, '
da Waldeyer ?) nachgewiesen hat, dass die Flüssigkeit des
Graaf’schen Follikel „eine fast reine Paralbuminlösung“ ist.
B. Ein anderer Theil der Weingeistfällung aus der ur-
sprünglichen Cystenflüssigkeit, war wie schon bemerkt in
Wasser unlöslich. Ich habe mich überzeugt, dass eine ein-
1) Archiv für Gynaekologie I. Band, pag. 252, Berlin, Hirschwald.
2) Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig 1870,
Te
mal mit Wasser ausgelaugte Partie des nun flockig gelati-
nös gewordenen Niederschlags an Wasser auch bei längerem
Stehen fast nichts mehr abgab. Wohl aber war auch dieser
Theil noch ein Eiweisskörper.
Um ihn in Lösung zu bringen, wurden verdünnte Al-
kalien und verdünnte Säuren angewendet. Von letzteren
war besonders Salzsäure geeignet; sie löste langsam in kaltem
Zustande, aber sehr rasch, wenn sie zu den mit Wasser
erhitzten Flocken gesetzt wurde, es zeigt sich dann Auf-
hellung, und bald ist alles gelöst. Dies sprach gegen Syn-
tonin, von dem Hoppe-Seyler angibt, dass es gerade
beim Kochen unlöslich in sehr verdünnter Salzsäure wird.
Auch entstand aus dieser Lösung beim Neutralisiren kein
Niederschlag, somit ist Syntonin ausgeschlossen. Es blieb
noch zu unterscheiden, ob dieser Theil der Eiweisskörper ein
Albuminat: (albuminsaures Kali nach Kraut: Gmelin 7. Bd.
3. Abtheilung) oder durch den Weingeist coagulirtes Albu-
min ist. Für Ersteres und gegen letzteres sprachen die Löslich-
keit in verdünnter Salzsäure, und die ebenfalls sehr leicht
zu Stande gekommene Lösung durch ein paar Tropfen ver-
dünnten Aetzkalis, während verdünnte Essigsäure weniger
lösend wirkt, als Salzsäure. Endlich spricht gegen coagu-
lirtes Albumin, dass die ursprüngliche verdünnte Lösung beim
Erhitzen ohne Essigsäurezusatz nicht genau.
Die Lösung in mit ein paar Tröpfchen Kali versetztem
Wasser, gab folgende Reactionen, die mit dem eines Alkali-
albuminats: (oder Casein) übereinstimmen.
1. Eine Spur Essigsäure fällt dicke, weisse Wolken, die
im Ueberschuss der Essigsäure löslich sind.
2. Nach Zusatz von einigen Tropfen phosphorsauren
Natrons fällt Essigsäure nicht mehr, auch wenn sie bis zur
starksauren Reaction hinzugefügt wird.
3. Salpetersäure erzeugt in der kleinsten Menge einen
in mehr Salpetersäure löslichen Niederschlag, der auf Zusatz
von cone. Salpetersäure wieder erscheint.
— 719 —
4. Kohlensäure eingeleitet, erzeugt Fällung, die von ver-
dünnter Essigsäure gelöst wird.
5. Kochsalzlösung und Kochen fällen, ebenso Salmiak.
6. Alkohol erzeugt zarte Flocken, die sich beim Er-
wärmen zum Theil lösen.
Eintragen von kristallisirtem Bittersalz, fällt in Zimmer-
temperatur.
Diese Reactionen sind die eines Alkalialbuminates. In
der Asche war neben etwas Schwefelsäure viel Natron, aber
kein Kali nachweisbar. Es ergeben sich daher für die Kystom-
flüssigkeit zwei Eiweisskörper, nämlich: Paralbumin und Na-
tronalbuminat, und es sind beide, wie diese Versuche zeigen,
nach der Fällung mit Alkohol durch Behandlung des Nieder-
schlags mit Wasser trennbar.
Die obenbezeichnete weingeisthältige Flüssigkeit, welche
von den coagulirten Albuminstoffen abfiltrirt war, wurde ab-
destillirt, von einigen Flocken befreit und im Wasserbade
zur Trockne gebracht.. Aus dem gebliebenen bräunlichen,
zerreiblichen Rückstand wurden 4 Auszüge gemacht, 1. ein
ätherischer, 2. ein alkoholischer, 3. ein ätherischer nach
Säurezusatz und 4. ein wässeriger.
1. Der ätherische liess nach dem Abdunsten einen
geringen, meist kristallinischen. Rückstand von frappantem
Honiggeruch. Durch Wasser, liess sich eine fettig-kristalli-
nische Substanz trennen, die dabei zurückblieb, und nach
dem Umkristallisiren aus heissem Alkohol alle Eigenschaften
des Cholesterins zeigte. Die davon getrennte, wässerige Flüssig-
keit war sauer, und gab nach dem Kochen mit Zinkoxyd
eine sehr kleine Menge eines Zinksalzes, das den mikroskopi-
schen Formen des Zinklactats ähnlich war.
2. Der alkoholische Auszug wurde durch Schütteln
mit 4mal erneutem, absoluten Alkohol erhalten. Der beim
Abdampfen gebliebene, schwachgelbe, syrupdicke Rückstand
hatte wieder den Honiggeruch, war sauer und von mikroskopi-
schen Kriställchen getrübt. Letztere erwiesen sich noch als
— 180 —
Cholesterin, dem auch einige ölige, leicht Myelinformen lie-
fernde Trépfchen beigemengt waren. Zucker, Leucin, Gallen-
' Substanzen waren nicht vorhanden. Die Natur des syrup-
förmigen Hauptbestandtheils dieser Auszüge konnte nicht
eruirt werden.
3. Nach dem Auslaugen mit Alkohol wurde der Rück- ~
stand mit etwas Salzsäure vermischt und wieder mit Aether
geschüttelt. Dieses hinterliess einen braunen, sauren Syrup,
der fast nur aus Milchsäure bestand. Das damit dargestellte
Zinksalz war zweimal umkristallisirt, und dann weiss geworden.
0.3496 grm, im Exicator (ohne Vacuum) getrocknete
Substanz verlor bei 100° 0.0448 grm. Wasser und hinter-
liess 0.1020 grm. Zinkoxyd. Diess stimmt in Kristallwasser
und Zinkgehalt genau mit flleischmilchsaurem Zink überein.
Gefunden proc. Berechnet proc.
Wasser 12.81 12.90
Zinkoxyd 29.17 29.04
Auch die Löslichkeit des Salzes war um vieles grösser,
als die des gewöhnlichen Zinklactates. Ein Vorkommen von
Fleischmilchsäure in solcher nicht unbeträchtlicher Menge in
Transudaten, ist noch nicht konstatirt, wohl aber einmal das
Vorkommen einer Milchsäure überhaupt in Transudaten nach-
gewiesen worden (Gmelin, Zoochemie pag. 243) bei manchen
Formen von Puerperalfiebern.
4. Endlich wurde ein wässeriger Auszug gemacht, wobei
sich fast Alles des noch vorhandenen Rückstands löste. Die
Lösung gab abgedampft, mächtige Kristallisationen von Koch-
salz (und etwas schwefelsaurem Salz) und eine etwas ge-
färbte, syrupöse Mutterlauge, die durch Alkohol in dicken,
weissen, kompakten und kleberigen Flocken gefällt wurde.
Die Fällung, welche am Platinblech die Eigenschaften eines
verkohlenden Eiweissstoffes zeigte, wurde noch zweimal in
Wasser gelöst und wieder mit Alkohol gefällt. Sie war
nun fast weiss, und ihre wässerige, schwache, opolescirende
Lösung verhielt sich wie folgt.
Verdünnte Säuren fällen nichts, klären die Lösung nur
— 151 —
vollständig auf. Ebensowenig fällen concentrirte Säuren;
Essigsäure plus Kochsalz; Ferrocyankalium in saurer Lösung;
Kupfervitriol oder Sublimat. Alkohol fällt in neutraler, saurer
und alkalischer Lösung. Bleizucker bewirkt Trübung, Blei-
essig Fallung. Die Xantoproteinreaction ist schwach; das
Millon’sche Reagens gibt in verdünnter Lösung nichts. Al-
kalische Kupferlösung wird nicht reduzirt, aber nach vorher-
gehendem Kochen mit verdünnter Schwefelsäure wurde unter
3 Versuchen 2mal Reduction erhalten.
Endlich wnrde ein Diffusionsversuch mit vegetabilischem
Pergament angestellt mit nach wenigen Stunden positivem
Resultate, was durch die Fällbarkeit mit Alkohol konstatirt
wurde.
Diese Substanz ist demnach nicht mehr als eigentlicher
Eiweisskörper zu betrachten, da die meisten Eiweissreagentien,
die Säuren, Metallsalze, Fenocyankalium fehlschlagen. Sie
könnte eher zu jenen albuminoiden Substanzen zu rechnen
sein, die Scherer !) als Colloidkörper bezeichnet, anderseits
aber muss die Eigenschaft durch Pergament zu diffundiren,
als Differenzialmoment zu Gunsten der Peptone betont werden.
Man kann sich in der That nicht wundern, über das reich-
liche Vorkommen eines Peptons in einer Cyste von den
Dimensionen der in Rede stehenden, die bei ihrer Grösse
vielfach vom Verdauungsschlauch berührt, eine bedeutende
Diffusionsfläche den so leicht diffusiblen Peptonen darbot.
Die grösste Aehnlichkeit von den verschiedenen sog.
Peptonen zeigte der Körper noch mit dem Schleimpepton
von Eichwald ?), obwohl es auch mit diesem noch Diffe-
renzen aufweist, so z. B. wurde aus Eichwald’s Schleim-
pepton mit Säuren kein reduzirender Körper erhalten. Sub-
stanzen wie diese sind gegenwärtig eben nicht genauer prä-
1) Sitzungsberichte physikal. ‘pmed. Gesellschaft in Würzburg.
März 1865.
2) Canstatt, Jahresbericht über die Fortschritte d. gesammt. Me-
dizin I. Bnd. pag. 105.
Naturw.-med. Verein. 16
Sa Bot
cisirbar, als dass sie die generellen Figenschaften der Peptone
theilen, und die einzelnen Differenzen genügen nicht, ver-
schiedene scharfgekennzeichnete Species auseinanderzuhalten.
Aschenbestandtheile, der Kystomflissigkeit.
Herr Prof. Dr. Ed. Hofmann hat einige Aschenbe-
stimmungen der im vorhergehenden beschriebenen Flüssigkeit
in meinem Laboratorium ausgeführt, und mir folgende Re-
sultate übergeben.
11.201 grm. Flüssigkeit gaben 0.911 grm. Trockensub-
stanz oder 8.13 proc.
12.334 grm. Trockensubstanz wurde im Platintiegel ver-
kohlt, mit heissem Wasser ausgezogen, dann weiterhin die
Kohle verbrannt, nocheinmal ausgekocht, und dann der Rest
der Kohle eingeäschert. Die beiden wässrigen Auszüge gaben
zusammen 1.160 grm Rückstand (lösliche Asche.) Die im
unlösliche betrug 0.065 grm. oder:
Trockengewicht 100
Organisches 90.08
lösliche 9.40
| unlösliche 0.52
Die lösliche Asche war der überwiegenden Menge nach
Kochsalz. Auf 100 Theile herechnet wurden erhalten:
Kochsalz 82.85
Chlorkalium 4.10
Kohlens. Natron 8.39
Pyrophors. Natron 1.18
Schwefelsaure \ g
Salze (aries
Die unlösliche Asche war sehr gering, locker gelb, und
enthielt phosphorsaures Eisen, phosphorsauren Kalk und Mag-
nesia und Schwefelsäure.
Innsbruck Jänner 1871. !)
1) Diese Mittheilung wurde der Vereinsleitung erst im Jänner 1872
übergeben.
za
Bericht über die im physiol.-chem. Laboratorium vom
Oktober 1870 bis heute ausgeführten Arbeiten.
Ausser obiger Mitthtilung über die Ovarialflüssigkeit sind
folgende Abhandlungen publicirt worden:
1. Ueber die Trommer’sche Zuckerreaction
im Harn;
2. einfache Darstellung von salzsaurem Krea-
tinin aus Harn; beide von R. Maly in den Sitzungsberichten
der Wiener-Akademie Bnd. 63 Märzheft 1871. Letztere Ab-
handlung auch in den Annalen der Chemie und Pharmazie
Bnd. 160.
3. Bemerkungen über einen schwefelhaltigen
Körperim Harn von Dr. W. Löbisch. Wiener-Sitzungs-
berichte Bnd. 63.
4. Ueber die sogenannte Kryptophansäure J.
L. W. Thudichum’s von Dr. J. Pircher. Centralblatt für
die medizinischen Wissenschaften in Berlin. 1871. Nr. 21.
5, Künstliche Umwandlung von Bilirubin in
Harnfarbstoff von R. Maly. Centralblatt für die medi-
zinischen Wissenschaften in Berlin. 1871. Nr. 54.
6. Schlussuntersuchungen über die Abietin-
säure von R. Maly. Annalen der Chemie und Pharm. von
Liebig etc. Bnd. 161 pag. 115.
Ausser diesen bereits publicirten Arbeiten ist eine Unter-
suchung durchgeführt worden, über die Umwandlung der Oxy-
benzoesäure und Paroxybenzoesäure in der Blutbahn an der
sich theilweise Dr. Löbisch betheiliget hat, und endlich in
Gemeinschaft mit Prof. Hofmann, und Herrn J. Donath
eine Arbeit, die unter dem Titel Beiträge zur Chemie des
phosphorsauren Kalk’s und des Leim’s in einiger Zeit ver-
öffentlicht werden wird.
Innsbruck im Jänner 1872.
Prof. R. Maly.
Io“
Ophthalmologische Mittheilungen
Prof. Ludwig Mauthner.
1. Drei Fille von erworbener Hypermetropie.
Als Formen erworbener Hypermetropie kennt man 1. die
Hypermetropie in Folge von Aphakie, und 2. jene, die, wenn
auch nur in geringem Grade, im höhern Alter sich bemerkbar
macht. Ferner sieht man H auftreten: 3. bei Glaucom, 4. bei
Verfärbung und Atrophie des Sehnerven, und 5. nach Angina
diphtherica. Die Ursachen der H, welche unter den drei
letztgenannten Verhältnissen sich zeigt, sind entweder schwer
oder gar nicht zu begreifen. So ist für jene Abnahme des
Brechzustandes, welcher, wie Jacobson sah, nach diphtheri-
tischer Angina sich entwickelt und später wieder vollständig
verschwindet, absolut kein halbwegs verständlicher Grund
aufzufinden. Als Curiosum wird weiters, also 6. angeführt
jene H, die durch Compression des Bulbus von rückwärts
und die dadurch erzeugte Verkürzung der Augenaxe und
7. jene, die durch Vortreibung der Macula lutea durch retro-
retinale feste Exsudate oder Neubildungen, und jene, die durch
centrale Netzhautablösung zu Stande kommt. Die beiden letz-
teren Formen sind Curiosa, weil allerdings die physikalische
Existenz der H evident ist, aber leider weder der Arzt noch
der Patient in der angenehmen Lage sich befinden, dieser
pbysikalischen H irgend welche Aufmerksamkeit zu schenken.
— 18 —
Endlich und 8. kann erworbene Hypermetropie durch Ver-
änderungen in der Cornea bewirkt werden.
Hören wir einige Stimmen in Betreff dieses letzteren
Punktes.
Donders!): „Ich habe zuweilen bei centralen Hornhaut-
geschwüren einen hohen Grad von Hypermetropie beobachtet,
an deren Stelle Emmetropie oder gar Myopie, verbunden mit
unregelmässigem Astigmatismus, trat, sobald bei arteficieller
Mydriasis auch die seitlichen Theile der Hornhaut beim direk-
ten Sehen mit ins Spiel kamen.“ Nagel?): „Erworben
scheinen höhere Grade von Hyperopie, abgesehen von Linsen-
verlust, nicht vorzukommen. — Weniger hohe Grade von
Hyperopie können dagegen erworben werden 1. durch Ab-
flachung der Cornea, der ganzen oder des mittleren Theiles
in Folge ulceröser Erkrankungen.* v. Stellwag*): „Es wer-
den Convexitätsverminderungen einzelner Trennungsflächen des
dioptrischen Apparates mitunter auch erworben. Indem dann
aber die Krümmung wohl immer eine sehr unregelmässige ist,
wird nicht sowohl Hypermetropie, als vielmehr irregulärer
Astigmatismus mit Uebersichtigkeit als Grundlage das Resultat
sein. Hierher gehören die Verflachungen der Hornhaut als
Folge schrumpfender Narben u. s. w.“ Schweigger *): „Bei
Abflachung der Cornea durch centrale Facetten können hohe
Grade von Hypermetropie gleichzeitig mit unregelmässigem
Astigmatismus auftreten. “
Die angeführten Citate mögen genügen, um zu zeigen,
dass man wohl zur Zeit des Vorhandenseins eines centralen
Hornhautgeschwiirs die Existenz hochgradiger Hypermetropie
bisweilen nachweisen konnte, ohne dass aber ein solcher Nach-
weis begreiflicher Weise irgend welche praktische Bedeutung
1) Die Anomalien der Refraction und Accommodation. Ueber-
setzung pag. 205.
2) Die Refractions- und Accommodationsanomalien des Auges,
pag. 65.
3) Augenheilkunde, 4. Auflaze, pag. 806.
4) Handbuch der spec. Augenheilkunde, pag. 51.
— eo
hätte; dass hingegen von Anderen Fälle nicht beobachtet zu
sein scheinen, in welchen eine durch einen geschwürigen Process
gesetzte und nach erfolgter Heilung zurückgebliebene centrale
Hornhautabflachung eine solche Durchsichtigkeit und dabei
— wenn auch irregulärer Astigmatismus nicht gänzlich aus-
geschlossen erscheint — eine so regelmässige Krüm-
mung bewahrt hätte, dass hochgradige, durch Convex-
gläser corrigirbare Hypermetropie zurückgeblieben wäre,
dass also nicht der irreguläre Astigmatismus die Correction
unmöglich und den Nachweis der vorhandenen H ohne Nutzen
für das Auge gemacht hätte.
Ich habe bisher auch nur zwei solche Fälle gesehen,
von denen ich den einen bereits in meiner Ophthalmoscopie
pag. 159 erwähnte. Ich will denselben hier nochmals vor-
führen und den zweiten beifügen.
Der erste Fall betraf einen 18jährigen jungen Mann,
Namens Samuel Braun, welcher 4 Jahre vor der Zeit, zu
welcher er sich vorstellte, seiner Angabe nach eine heftige
Entzündung des rechten Auges durchgemacht hatte, und nun
anfrug, ob denn die seitdem so sehr herabgesetzte Sehkraft
dieses Auges nicht doch wieder gehoben werden könnte. Ich
will ausdrücklich erwähnen, dass, so sehr auch nach der An-
gabe des Kranken die Aufmerksamkeit sofort auf die Unter-
suchung der Cornea gelenkt werden musste, um so mehr, als
die Iris und Pupille sich normal erwiesen, doch weder im
Tageslichte, noch bei seitlicher Beleuchtung zunächst eine
Trübung oder sonstige Anomalie der Hornhaut ohne Weiteres
auffiel. Den gewöhnlichen rohen Spiegelungsversuch erinnere
ich mich nicht gemacht zu haben. Bei der Untersuchung im
durchfallenden Lichte bot sich mir jedoch ein höchst merk-
würdiges, noch nie gesehenes Bild dar. Durch die Pupille
ging ein dunkler Streifen und in dem Felde unterhalb des-
selben erschienen mir, ohne dass ich mein myopisches Auge
(M '/,) durch ein Glas corrigirt hätte, die Objecte des Augen-
grundes so hinlänglich scharf und deutlich und dabei in jener
geringen Vergrösserung, wie ich sie im staaroperirten Auge
— 187 —
zu sehen gewohnt bin. Die Diagnose einer H '/, konnte, da
ich beim Abstand von 3” zwischen dem Knotenpunkte meines
Auges und jenem des untersuchten den Augengrund eben noch
deutlich sah, sofort gestellt werden. Wenn ich mich dem
Auge möglichst annäherte, so konnte ich gewahren, wie im
Gesichtsfelde nach oben die Netzhautgefässe scharf abge-
schnitten abbrachen und verschwanden, in diesem Theile des
Gesichtsfeldes eben nichts als die gleichmässige, gelbrothe
Färbung des Augengrundes zu sehen war. Wenn ich mein
Auge corrigirte, so erschien mir nunmehr der übrige Augen-
grund in der dem emmetropischen Auge entsprechenden star-
ken Vergrösserung, während gleichzeitig das Miniaturbild der
mehr central gelegenen Netzhautpartie noch immer wenn auch
undeutlich sichtbar blieb. Auf die Erscheinung der Verdopp-
lung der Objecte des Augengrundes will ich hier nicht ein-
gehen. Es war gerade so, als wäre ein Loch durch die
Linse hindurchgeschlagen. Da diese Annahme gerade
nicht sehr plausibel war und andererseits die allseitige An-
wesenheit der Linsenreflexe sofort die Hoffnung auf einen
derartigen Fund raubte, so musste man die Ursache in der
Hornhaut suchen. Liess man das Spiegelbild einer Kerzen-
flamme über die Hornhaut gleiten, so hatte man das schöne
Schauspiel, wie plötzlich an einer bestimmten Stelle das Bild
wie mit einem Sprunge grösser wurde, ohne gleichzeitig
merklich verzerrt zu werden, eine Strecke weit die
gleiche Grösse bewahrte, um dann wieder in seine beschei-
deneren Dimensionen ebenso ohne Uebergang zurückzufallen.
Auf diese Weise konnte man leicht die Peripherie der Ab-
flachung, welche sich vom Centrum der Hornhaut nach unten
und aussen erstreckte, feststellen, und nun erst gelang es,
die betreffende Partie auch direct zu sehen und von ihrer
Umgebung mit dem Gesichtssinne abzugrenzen.
Die Untersuchung mit Gläsern und Sehproben ergab: Das
gesunde linke Auge emmetropisch, dessen Sehschärfe 2%, ,.
Das rechte Auge konnte auf 20’ Abstand das grosse A
(Snellen) nicht erkennen, auf 10’ Abstand wurde das A un-
ee oe
deutlich gesehen, mehr errathen, S also kaum 1% 09: In de
Nähe konnte das rechte Auge nur Schrift Nr. 14 J., und
diese auf keine grössere Entfernung als auf 4” lesen. Das
Auge wurde durch Convex 3Y,, Y,” vor die Cornea gestellt,
corrigirt, hatte mit diesem Glase S 294, und las damit Nr. 3
Jäger auf 8”. Stellte man das uncorrigirte Auge auf 2’ von
Snellen’s Tafel, so wurden nur die Buchstaben XL zögernd
genannt; hielt man nun ein Prisma von 16° mit der Kante
nach abwärts vor das Auge, so dass das Glas also durch
Deduction (Abwärtswendung) des Auges überwunden werden
musste und die Lichtstrahlen daher durch eine zwar periphere,
aber normal gekrümmte (obere) Hornhautpartie einfielen, so
wurden sofort die Lettern XX fliessend gelesen.
Leider konnte die ophthalmometrische Messung der Cornea
nicht vorgenommen werden. Fragen wir uns, welcher Werth
für den Krümmungsradius in der abgeflachten Stelle durch
die Rechnung gewonnen werden kann, so lautet die Antwort:
Nehmen wir den Krümmungsradius der Hornhaut (nach Don-
ders) mit 7:7 Mm. und legen wir der Linse einen solchen
Einfluss auf die Brechkraft des Auges bei, dass ihre Ent-
fernung aus dem Pupillargebiete eines emmetropischen Auges
H '/, erzeugen würde, dann ergibt sich, dass, falls dieser
Grad von H in einem emmetropischen Auge nicht durch
Aphakie, sondern durch Hornhautabflachung entstehen soll,
der Radius der Cornea seinen Werth von 7:7 Mm. in jenen
von 9:63 Mm. ändern müsse.
Es ist klar, dass in unserem Falle die ganze Hyper-
metropia acquisita manifest war, denn das linke emmetro-
pische Auge hatte ja die Führung. Es ist aber andererseits
a priori wahrscheinlich, dass, falls bei solcher erworbener
Hypermetropie das betreffende Auge die Rolle des allein
sehenden übernehmen müsste, ein solches Auge in Betreff des
latenten und manifesten Theils seiner H ein ähnliches Ver-
halten zeigen würde, wie das mit typischer Hypermetropie
behaftete. Ein Beispiel dafür liefert
der zweite Fall. Eduard Appeller, 22 Jahre alt, stellte
— 189 —
sich mir am 12. Mai 1870 vor. Das linke Auge war phthi-
sisch in Folge einer vor vielen Jahren erfolgten Verletzung
durch einen eingedrungenen fremden Körper. Am rechten Auge
war eine centrale Triibung und Abflachung der Hornhaut er-
kennbar, von solcher Beschaffenheit, dass die Trübung gegen
den Mittelpunkt zu sich nahezu verlor. Bei der ophthal-
moscopischen Beleuchtung sah ich durch jene centrale Stelle
ohne Correctionsglas die Objecte des Augengrundes noch bei
einem Abstande der Augen van 1,” (also dem der beider-
seitigen Knotenpunkte von 2”) möglichst deutlich. Das Bild
trug nämlich das Gepräge einer durch irregulären Astigma-
tismus erzeugten, jedoch nicht bedeutenden Verzerrung. Es
bestand also H '/,. Das uncorrigirte Auge zeigt S '%/),
Hm ist Y,,, mit Convex 16 ist S— !Y,,, auch werden ein-
zelne Buchstaben von XX. noch gelesen. Patient liest ohne
Glas unter sehr starker Verengerung der Augenlidspalte Nr. 1
Jäger auf 514, Nr. 3 noch auf 7”, aber zégerud; mit Con-
vex 16 (leichter, als mit Convex 12, aber doch noch auch
mit diesem letzteren Glase) Nr. 1 auf 7, Nr. 3 auf 91%”.
Es wird ihm zum Sehen in die Nähe Convex 16 verordnet.
Wir haben in den zwei angeführten Fällen das erste
Mal H Y,, das zweite Mal H '/,. Die Sehschärfe des corri-
girten Auges ist im ersteren Falle 1/41/,, im zweiten 1%.
Trotzdem also die Sehschärfe der beiden Augen nicht viel
differirt, hat das erste Auge ohne Glas kaum eine Seh-
schärfe 1%, 90, das letztere dagegen S !Y,,. Brauche ich zu
sagen, dass nicht sowohl der Unterschied im Grade der Hy-
permetropie (es handelt sich um eine Differenz von Y,, die
bei so hohen Graden von H für die Prüfung der Sehschärfe
des unbewaffneten Auges auf 10° sehr wenig in Betracht
kommt) die Ursache dieser Erscheinung ist, als vielmehr der
Umstand, dass im erstern Falle die Hypermetropie gar nicht,
im letztern hingegen zum grössten Theile durch die Accom-
modation gedeckt wurde?
Ich füge nun einen dritten Fall von erworbener Horn-
hautabflachung bei, der uns eine neue Ursache für diese Art
I ee
der erworbenen Hypermetropie kennen lehrt. Die 50jährige
Taglöhnerin Ursula Tripp wurde am 9. Juni 1870 auf meine
Klinik aufgenommen. Es handelte sich um eine melanotische
Geschwulst am linken Auge, welche vom Limbus conjunctivae
ausgehend auf die Hornhaut gewuchert war, ihre mächtigste
Entwicklung nach unten, eine weniger mächtige nach aussen,
eine Andeutung ihres Entstehens nach oben zeigte und nur
den innern Hornhautrand intact liess. Der dem Pupillargebiete
gegenüber liegende Theil der Hornhaut war von Geschwulst-
bildung frei; doch liess sich bei seitlicher Beleuchtung in
dieser Partie eine feine punktförmige oberflächliche Trübung
erkennen.
Das rechte gesunde Auge war emmetropisch, dessen
Sehschärfe 2%,, nahezu. Das linke Auge zeigte Hyper-
metropie, und zwar betrug die Hm Y,,; nach Atropinein-
träuflung wurde Convex 10 als das corrigirende Glas ge-
funden, die Sehschärfe (mit dem corrigirenden Glase) betrug
20/.,. Der Augenspiegel zeigte ausser der Hypermetropie
die (von der Trübung der Hornhaut herrührenden) Erschei-
nungen eines gewissen Grades von irregulärem Astigmatismus.
Als die Patientin nach Entfernung der Geschwulst geheilt
entlassen wurde, war die Hypermetropie — verschwunden.
Es war dieses Phänomen besonders bei der Untersuchung mit
dem Augenspiegel äusserst überraschend. Das Auge war
emmetropisch, verwarf selbst Convex 80 entschieden und
hatte Sehschärfe 2%, ,. Die centrale Hornhautpartie war dabei
fast zur Norm zurückgekehrt, die ophthalmoscopischen Er-
scheinungen des irregulären Astigmatismus waren grössten-
theils verschwunden. Offenbar hatte der am untern Drittheil
der Hornhaut haftende mächtige Geschwulstlappen die Ab-
flachung derselben bewirkt. Unter den früher gesetzten Be-
dingungen hätte dabei der Hornhauthalbmesser um 0.38 Mm.
zunehmen müssen, so dass er nunmehr (statt 7.7 Mm.)
8:08 Mm. betrug.
22190, ©
2. Ein Fall von Chorioideremie.
Ortner Andreas, ein 32jähriger Müller aus Innichen im
Pusterthale, stellte sich am 1. Juni 1871 im Ambulatorium
meiner Klinik vor. Auf die entsprechenden Fragen gab er
folgenden Bescheid: „Seitdem ich mich erinnere, weiss ich,
dass ich immer schlecht gesehen habe. Ich sehe zwar die
Gegenstände, die in gerader Richtung vor mir sich befinden,
sehe aber dabei nicht, was rechts und links, oben und unten
von ihnen liegt. Ich habe immer bei Tage besser als gegen
Abend gesehen, und ist einmal die volle Dämmerung da, so
sehe ich eigentlich so gut, wie Nichts, Ich habe auch die
Bemerkung gemacht, dass es mit dem Sehen im Sommer
besser als im Winter geht. Seit ich vor 15 Jahren den
Typhus überstand, ist mein Sehvermögen entschieden schlechter
geworden. Ich habe sieben Geschwister, von denen ein Bruder,
der 26 Jahre alt ist, genau dieselbe Art der Schlechtsichtig-
keit darbietet, wie ich sie selbst darbiete. Meine Eltern sehen
zwar gut, aber ein Bruder meines Vaters sah auch schlecht,
und meine Grossmutter von väterlicher Seite wurde in ihrem
70. Lebensjahre vollkommen blind.“
Aeusserlich war an den Augen des Patienten nichts
Krankhaftes wahrzunehmen. Spannung und Beweglichkeit der
Bulbi normal, Cornea normal, die Irides von blaugrüner Farbe,
die Pupillen im Tageslichte vollkommen schwarz und frei be-
weglich. Ich benützte diesen Fall, um meinen Hörern zu
demonstriren, wie man bei Krankheitsprocessen, die nur mit
Hilfe des Augenspiegels erkennbar sind, doch gar oft aus den
sich markirenden Symptomen die Diagnose mit mehr oder
weniger Sicherheit noch vor der Spiegelprüfung machen könne,
und wies darauf hin, dass wir bei unserem Kranken fast mit
Bestimmtheit darauf rechnen könnten, eine typische Pigment-
entartung der Netzhaut zu finden.
Doch wie gross war mein Erstaunen, als ich nur einen
Blick in das eine oder andere der Augen mit dem Spiegel
warf. Allein, ehe wir auf die Resultate der ophthalmosco-
= 1927) —
pischen Prüfung eingehen, sei zunächst Folgendes über Brech-
kraft, centrale und periphere Sehschärfe der Augen erwähnt.
Das rechte Auge zeigte blos Sc— %99, es wurde auf 5’
nur das grosse A deutlich erkannt, wenn man auch die mit
dem Spiegel bestimmte Myopie durch — '/,, corrigirte. Das
Sehfeld reichte vom Fixationspunkte 10° horizontal nach innen
(gegen die Nase zu), fehlte gänzlich gerade nach aussen
(gegen die Schläfe), erreichte gerade nach oben 15°, gerade
nach unten 5°, in der Diagonale (im Meridiane von 45°)
nach oben innen 15°, nach oben aussen 5°; nach unten innen
15°, nach unten aussen 0°.
Das linke Auge zeigte M '/,, mit — \/, war die cen-
trale Sehschärfe 1%, ,; Nr. 3 Jäger wurde auf 5” gelesen.
Das Gesichtsfeld war nieren- oder bohnenförmig. Die Con-
vexität der Bohne war gerade nach oben, die Concavität
gerade nach unten gerichtet. Dabei stand die Fixationsstelle
im Nabel der Bohne, so dass also das Sehfeld gerade nach
abwärts vollkommen fehlte, in der Diagonale nach unten innen
und unten aussen aber vorhanden war, und zwar sich in er-
sterer Richtung bis zu 15°, in letzterer bis zu 10° erstreckte.
Nach oben, und zwar gerade nach oben, sowie in den beiden
Diagonalen ergab sich eine Ausdehnung von je 5°. Der
grösste, der Querdurchmesser des Sehfeldes zeigte 34°, und
zwar 15° gegen die Nase, 19° gegen die Schläfe.
Bei der Beleuchtung mit dem Augenspiegel auf einige
Zolle Abstand sah man, wo man auch hinblicken mochte,
Nichts von dem gewöhnlichen gelbröthlichen, sondern nur einen
grellen weisslichgrünen Reflex. In diesem Momente wurde mir
klar, dass falls die Opticusfasern der Retina ihr Mark am
Rande des Sehnervenquerschnitts sämmtlich wieder ange-
nommen und in ihrem ganzen Netzhautverlaufe (mit Ausnahme
der Stelle der Macula lutea) beibehalten hätten, dann nicht
blos dieser eigenthümliche Reflex des Augengrundes, sondern
auch die von Geburt an bestehende concentrische Einengung
des Sehfeldes, ebenso die centrale Amblyopie (die bei grosser
Ausdehnung der sogenannten Opticusausbreitung [Jäger] schon
— 193 —
öfter beobachtet wurde [Schweigger]) erklärt, und auch das
Vorkommen des gleichen Uebels bei einem Bruder des Pa-
tienten nicht merkwürdig sein würde, da es ja doch nicht das
erste Mal wäre, dass ich markhaltige Fasern der Retina bei
zwei Geschwistern sah (s. Ophthalmoscopie pag. 264). Aber
auch diese diagnostische Vermuthung erwies sich als un-
richtig. Die genaue Untersuchung zeigte vielmehr:
Rechtes Auge. Die brechenden Medien rein, Myopie
Aa. Der Sehnerv zeigt im Ganzen eine rundliche Gestalt,
ist gleichmässig geröthet, seine Grenzen jedoch allseitig voll-
kommen verwaschen. Der Ursprung und Verlauf der Netz-
hautgefässe ist normal, das Caliber der Arterien verringert.
Der Sehnerv ist ringsum bis zu den äussersten Grenzen des
Augenspiegel-Sehfeldes von einer weissgrünlich glänzenden,
bei der Prüfung im aufrechten Bilde eine deutliche Streifung,
aber nicht die geringsten Niveaudifferenzen dar-
bietenden Fläche umgeben. Jedoch lassen sich auf dieser
letztern (abgesehen von der Verästlung der Netzhautgefässe)
einzelne, wenn auch wenige Details unterscheiden. Zunächst
sieht man in der Nähe des inneren Randes des Sehnerven
(im Abstande eines 1/, Pupillendurchmessers) ein Gefäss aus
der Sclerotica hervorkommen, welches bogenférmig um den
obern Sehnervenrand herumgeht, und ein zweites ähnliches
am untern Rande des Opticus auftauchen, das, im Gegen-
satze zu dem mehr gestreckten innern obern Gefässe, eine
starke Schlängelung zeigt und gleichfalls nach aussen ver-
läuft. Diese beiden Gefässe anastomosiren nicht sichtbar mit
einander und schicken ebensowenig irgend welche Aeste ab,
die noch bei 15maliger Vergrösserung erkennbar wären; denn
sonst müsste man dieselben auf der weissen Unterlage trefi-
lich sehen. Die Gefässe zeigen auch keine Theilung, ver-
dünnen sich und entziehen sich bald der Beobachtung. Ich
will hier gleich beifügen, dass am linken Auge nur Ein
derartiges Gefäss, welches genau dem innern obern des
rechten Auges entspricht, vorkommt. Es ist klar, dass die
genannten Gefässe Analoga des von Ed. v. Jäger der Ver-
— 194 —
gessenheit entrissenen arteriellen Scleroticalgefässkranzes sind,
wiewohl sie nicht innerhalb, sondern auf der innern Fläche
der Sclera liegen, und wiewohl in dem Auge, in welchem zwei
solche Gefässe vorkommen, das eine statt am äussern am
untern Rande der Papille emportaucht. Ausser den eben ge-
nannten Stämmchen sieht man auf der weissen Fläche nur
noch sparsame Reste vollkommen anomal gestalteter Chorioi-
dealgefässe, ganz ähnlich denen, wie sie beim Colo-
boma chorioideae zu beobachten sind, und ferner
vereinzelte schwarze Pigmentformationen, die sich aber durch-
aus nicht auf die Peripherie des Augengrundes beschränken,
von punktförmiger, dreieckiger, vielstrahliger und schollen-
artiger Form (aber immer deutlich eine Zusammensetzung aus
kleineren Pigmentpunkten zeigend), Pigmentbildungen, wie sie
gleichfalls auf colobomatösen Partien der Aderhaut sich finden.
Nur an der Stelle der Macula lutea ist etwas mehr von der
Aderhaut zu sehen. Es findet sich da ein deutlich entwickeltes,
wenn auch wenig dichtes Chorioidealgefässnetz, an einzelnen
Stellen des Umkreises stehen schwarze und rostbraune Pig-
mentflecken. Aber auch an der Macula zeigt sich keine Spur
des normalen Stroma- oder Epithelialpigments.
Am linken Auge gestaltet sich das Bild etwas anders.
Im hintern Linsenpole eine kleine dreieckige, die Spitze nach
abwärts kehrende durchscheinende Trübung. Im Glaskörper,
und zwar in dessen hinterm Abschnitte flottirende, punkt-
und fadenförmige Opacitäten. Der Sehnerv, die Netzhaut-
gefässe, sowie die vom Sehnerven nach oben, innen und unten
gelegenen Partien des Augengrundes zeigen dasselbe Verhal-
ten, wie im rechten Auge, nicht so die Macula lutea und der
von ihr nach aussen gelegene Theil der Aderhaut. Die Macula
lutea erscheint als ein scharfbegrenzter, rothbrauner,
rhombischer, die Ecken nach oben und unten, innen und
aussen kehrender Fleck, dessen Diagonale dem Pupillendurch-
messer an Grösse gleicht und an welchem das wohl ent-
wickelte und gut pigmentirte Aderhautepithel die Beobachtung
tiefer liegender Details nicht gestattet. Von der äusseren
0195 0
Peripherie des gelben Flecks sieht man deutlich entwickelte,
ein Netz bildende Chorioidealgefässe auf dem weissen Grunde
nach aussen ziehen; je weiter nach aussen, desto enger wer-
den die Maschen des Netzes, und in der äussersten Peripherie,
die der Untersuchung zugänglich ist, sieht man auch noch
das pigmentirte Epithel auftreten.
Wir brauchen in unserem Falle keine Differentialdiagnose
zu machen. Ich glaube nicht, dass Jemand den beschriebenen
Befund anders deuten wollte, als er zu deuten ist. Es handelt
sich um den Mangel der Aderhaut in beiden Augen,
und zwar fehlt die Chorioidea am linken Auge vollstän-
dig, und nur das einigermassen reguläre Gefässnetz an der
Macula lutea erinnert an die abhanden gekommene Membran.
Im rechten Auge ist zum Glücke für den Besitzer der
Augen das Pigmentepithel an der Stelle des gelben Flecks
in seiner Entwicklung wenigstens nicht erheblich gestört wor-
den, auch ist im äussern Abschnitte des Auges ein deutliches
Rudiment der Aderhaut wahrzunehmen.
Man kann natürlich nicht mit Bestimmtheit angeben, in
welcher Weise durch Hemmungen in der embryonalen Ent-
wicklung das Stroma, sowie das Pigmentepithel der Chorioidea
sammt der Stäbchen- und Zapfenschichte grossentheils ver-
loren ging; aber es lässt sich die Sache ganz gut so vor-
stellen, dass zunächst jenes Gewebe, welches, das äussere
Blatt der primären Augenblase umgebend, zum Stroma und
zum Blutgefässsystem der Aderhaut werden soll, in seiner
Entwicklung gestört, zu Grunde gerichtet wurde, und dass
unter dieser Störung auch das äussere Blatt der primären
Augenblase, das sonst zum Pigmentepithel sich umstaltet,
litt. Da die Stäbchen und Zapfen aus dem innern Blatte der
primären Augenblase in die Epithelzellen des äussern Blattes
hineinwachsen (wobei die letzteren die Pigmentscheiden für
die ersteren bilden), so konnten sie dort mit zu Grunde
gehen, wo das Epithel schwand, oder sie fanden, falls sie
zur Zeit des Epithelschwundes noch nicht sntwickelt waren,
keine Stütze vor und konnten sich nicht oder wenigstens
— 190
nicht gehörig entwickeln. Dabei ist in der Ausbildung der
ınneren Netzhautschichten, nach dem Augenspiegelbefunde
zu urtheilen, ebenso wenig eine Störung vorgekommen, als in
jener der Sclerotica.
Am linken Auge, im welchem das centrale Pigmentepithel
erhalten ist, besteht auch noch eine respectable centrale Seh-
schärfe: Y,; im rechten hingegen, wo von diesem Epithel
Nichts zu sehen ist, ist die centrale S höchst mangelhaft:
Yo: In der nächsten Umgebung des gelben Flecks functioniren
auch noch Stäbe und Zapfen in beiden Augen so weit, dass
die Lichtempfindung vermittelt wird. In der äussersten Grenze
des äussern Feldes des linken Auges, in welchem wir auch
normales Epithel sehen, ist keine Lichtempfindung, weil diese
Stelle auch im normalen Auge nicht mehr pereipirt. Der
grösste Theil der Netzhaut ist jedoch in beiden Augen, entspre-
chend dem gänzlichen Verluste der Stabschichte, unempfindlich.
Dieser in der Literatur einzig dastehende Fall hat noch
das Interessante an sich, dass bei dem amblyopischen Bruder
des Aderhautlosen sich aller Wahrscheinlichkeit nach derselbe
Befund ergeben dürfte. Ich werde in jeder Weise trachten,
dieses Individuums ansichtig zu werden; vielleicht dass sich
dadurch noch weitere Aufschlüsse über Chorioideremie ge-
winnen lassen.
Zum Schlusse noch folgende Bemerkungen. Wir sagten
bereits, dass die Irides von blaugrüner, die Pupillen von
schwarzer Farbe waren. Die Iris liess sich auch auf keine
Weise durchleuchten; in ihr und wahrscheinlich auch im
Ciliarkérper war es zur vollkommenen Entwicklung der ein-
zelnen Schichten, also auch des pigmentirten Stratums ge-
kommen. Dagegen gelang es sehr leicht, durch seitliche Be-
leuchtung der Sclerotica das Augeninnere zu erleuchten. Der
Umstand, dass die Pupillen für gewöhnlich schwarz waren,
trotzdem fast der ganze Augengrund alles einfallende Licht
reflectirte, ist ein klarer Beweis für die Richtigkeit der Er-
klärung, welche Helmholtz für das Augenleuchten gab, —
falls es noch einer neuen Stütze hiefür bedürfte.
= 19. —:
Wir sehen im linken Auge, und zwar im hintern Theile
des Glaskörpers flottirende Trübungen. Ich überlasse es meinen
Lesern, ob sie daraus den Schluss ziehen wollen, dass diese
Trübungen aus der Aderhaut stammen oder nicht. Für die
Verfechter der erstern Ansicht könnte der Umstand sprechen,
dass in jenem Auge, in welchem wenigstens einige Rudimente
der Aderhaut vorhanden sind, sich Trübungen finden, während
sie in dem ganz aderhautlosen Auge fehlen.
Ebenso will ich nicht entscheiden, ob das verringerte
Caliber der Netzhautarterien, das ich früher erwähnte, eine
pathologische Bedeutung habe oder nicht.
3. Eine sonderbare Verletzung.
Der 48jahrige Knecht Parnter Pankraz, welcher sich
mir am 8. Februar 1870 vorstellte, ist ein wahrer Unglücks-
mensch. Vor 11 Jahren hatte ihn eine Kuh mit dem Horne
ins linke Auge gestossen, in Folge dessen er auf demselben
im Verlaufe von 14 Tagen gänzlich erblindete, und vor zwei
Jahren flog ihm ein Holzsplitter in das rechte Auge und
machte auch auf diesem, unter gleichzeitiger Setzung von
Cataracta, dem Sehvermögen ein Ende.
Das linke Auge ist dasjenige, welches uns interessirt.
Dasselbe zeigt nur nach innen und nach aussen vom gelben
Flecke an sehr begrenzten Stellen quantitative Lichtempfin-
dung, und auch diese war einige Wochen später (was übri-
gens bei der langen Dauer des Uebels auffallend ist) vollständig
geschwunden.
Patient gibt an, es wäre der Stoss von der Nasenseite
her erfolgt. Es lässt sich aber weder in dieser Gegend,
noch an irgend einer anderen Stelle der Ueberrest einer
Scleralwunde und ebenso wenig an irgend einem Punkte der
Hornhaut eine Trübung entdecken. Die Cornea erscheint
überhaupt, sowie die Sclerotica in jeder Beziehung normal,
Naturw.-med. Verein. 17
"
a
die Iris dagegen fehlt vollkommen (von Ciliarfortsätzen ist
trotzdem Nichts zu sehen), und die Linse ist vollständig ver-
schwunden. Von der obern Ciliarkörpergegend ziehen eigen-
thümliche grauliche, bei Bewegungen des Auges erzitternde
Fäden nach ab- und rückwärts in den Glaskörper, der aber
sonst vollkommen durchsichtig erscheint. Der Sehnerv ist
sehr deutlich sichtbar, in seiner Farbe nicht merklich alterirt;
die Netzhaut fast allseitig abgelöst, besonders die untere
Hälfte derselben weit vorn im Glaskörper flottirend, dabei
ausserordentlich diaphan, das hinter ihr liegende Fluidum
wasserklar, daher das Tanzen der Netzhautgefässe bei Be-
wegungen des Auges besonders schön sich darstellend. Vom
Sehnerven gegen die Macula lutea gehend sieht man hinter
der abgelösten Netzhaut einen glänzenden Chorioidealriss, der
in der Gegend des gelben Flecks in eine grosse Anzahl
glänzender gelbweisser Striche sich auflöst.
Bei dem Umstande, dass es nicht möglich ist, eine
Rissstelle in der Leder- oder Hornhaut nachzuweisen, muss
man sich fragen, ob die Annahme einer Berstung der Bulbus-
kapsel in unserem Falle eine nothgedrungene sei. Es fehlt
Linse und Iris. Die erstere hätte, durch das Trauma aus
ihren Verbindungen gelöst und nach Zerreissung der Kapsel, .
sich im Laufe der 11 Jahre resorbiren können; aber wo
bliebe dann die Iris? Darin liegt eben das Merkwürdige
des ganzen Falles. Die Iris ist allerdings noch im Innern
des Auges, aber wo? Man sieht im unteren Augenraume
eine von der unteren Irisinsertion nach rückwärts streichende
dunkle compacte, nur in der Gegend des hinteren Augenpols
Lücken zeigende, wie zusammengerollte Masse, die offenbar
nichts Anderes als die abgelöste Iris ist. Aber vor dieser
abgelösten Iris liegt die abgelöste Netzhaut, so
dass die Netzhautgefässe über die in der Tiefe
des Auges versenkte Regenbogenhaut streichen.
Dieses curiose Unicum muss man sich so zu Stande
gekommen denken, dass im Momente des Anpralls des Kuh-
horus (ohne dass die Bulbuskapsel barst) totale Ablösung
led a
der Iris (so dass die Membran nur noch an ihrer tiefsten Stelle
haften blieb), und ebenso Netzhautablésung mit peripherem
untern Risse der letztern Membran erfolgte, und nun der
abgelöste Irisklumpen durch das Netzhautloch hinter die ab-
gelöste Retina schlüpfte.
Innsbruck, den 5. Februar 1872.
17*
Bade-Versuche.
Von Prof. O. Rembold.
Ich habe im Jahre 1871 einige calorimetrische Bade-
Untersuchungen an mir selbst vornehmen lassen, um zu con-
statiren, ob Morphin- und Chininsalze und einige andere Stoffe
am Gesunden eine wesentliche Beeinflussung der Wärmeab-
gabe hervorzurufen im Stande sind. Um die Versuche zum
Vergleiche des Zustandes eines fieberhaft Kranken besser ein-
zurichten, wurden Controlversuche bei längerem Fasten an-
gestellt. In der hierauf folgenden Zeit, der Convalescenz ent-
sprechend, wurden abermals Messungen vorgenommen.
Die Veisuche ergaben, dass die Wärmeabgabe beim
Gesunden durch Chinin wenig beeinflusst wird, dass Morphin
die Wärmeabgabe vermehrt, dass Wein im höheren Grade
diess zu bewirken im Stande ist, dass gewisse Salze, z. B.
Chlornatrium, dem Badewasser beigesetzt, keinen wesentlichen
Effect hervorbringen, dass endlich während des Fastens die
Temperatur des Körpers in der Ruhe und die Wärmeabgabe
im Bade nahezu dieselbe wie bei gewöhnlicher Kost ist, hiebei
aber bei gleicher Wärmeabgabe die Temperatur des Körpers
während des Bades bedeutend herabgesetzt wird. Diese
Herabsetzung der Körpertemperatur hielt noch durch Wochen
über die Zeit des Fastens hinaus an, und verschwand vor
Erreichung des früheren Körpergewichtes.
a
Die therapeutische Wichtigkeit derartiger nur als Vor-
versuche zu betrachtender Untersuchungen läge darin, Medi-
kamente zu finden, welche einen für fieberhafte Kranke gül-
tigen antipyretischen Werth besässen. Diess dürfte allerdings
noch lange nicht erreicht werden, und einstweilen genüge es,
gefunden zu haben, dass gewisse Medikamente, z. B. Mor-
phium, die Wärmeabgabe nicht vermindern und somit in dieser
Hinsicht bei Fieberhaften unbedenklich verabreicht werden
können.
Was die Messung selbst betrifft, so verhielt sich die
Abkühlungsgeschwindigkeit der Badewanne zur Controlswanne
wie 0-932: 1. Angewendet wurden 179°5 Kilogramme Wasser.
Die Temperatur des Wassers wurde 2° ‘niederer genommen,
als die Mastdarmtemperatur des Badenden war, und das Bad
so lange genommen, bis die Temperatur des Wassers um 2°
niederer geworden war. Die Berechnung der Wärmeabgabe
erfolgte aus der Differenz der Abkühlungszeit beider Wannen.*)
Das Wasser in beiden Wannen wird durch Schaufel-
räder fortwährend bewegt, der Badende schwebt oberhalb der
Schaufel, in der Controlswanne ist durch eingelegte lufthältige
Cylinder das. Wasser auf dasselbe Niveau wie in der Bade-
wanne erhöht, die Ablesung an den Thermometern erfolgt
unter Anklopfen an den Thermometern mittelst Convexbrille.
Die Messungen ergeben, wie folgt:
~ *) Die Abkühlungszeit der Badewanne A = P,, der zweiten Wanne:
0:932 = P,, das Gewicht des Wassers = 179-5 gesetzt, ergibt sich für
obige Versuche an Wärmeabgabe in Calorien per Minute
2. (P, — P,) 179-5
Pie Bo :
welche Berechnung nur einen approximativen Werth hat.
di
— 202 —
I. Periode. Gemischte Kost.
s 5 Dauer = 3
A S| des Bades in| 5 &
3 aA Minuten = a | Luft d Anmerkung
3 & 8 |(Zeit a.m. und) 4 3
aoe) PO les
> i=]
8./5.| 37°83 | 61:5 p. m. | 376 1149 |1°8
9./5.|37°6 | 59'42a.m. [376 |145 | 1°59
10./5. | 37-9 a. m. — |13°8 | 2°08 | Vor dem Bade
starke Bewegung.
— 1376 p- m. — [151 |1'55
17./5.|37°2 | 65 a. m. — 1140 [2°02 | '/, gr. Morphium
mur. 11/, St. vor
dem Bade.
19./5. | 38°0 a. m. — [140 |1'575| 12 gr. Chininum
bisulfur 11/, St.
vor dem Bade.
20,/5. 376 a. m. — |15°0 | 1°85 | 24 gr. Chinin.
22./5.| 37°6 as — | — |1°78 | ', gr. Morphin.
23./5.|37°6 — — | — |17 |% gr Morphin.
24./5.| 37:8 — — | — [167 | Ohne Medikament.
26,/5. 378 = a — [154 | Y,, gr. Morphin
subeutan !/, St.
vorher.
27./5.|37°5 u — | — |1°80 | 1, gr. Morph. sub-
cutan.
Es ergab sich somit ohne Medikamente in der Ruhe
— 1°65, nach Bewegung d — 2:08
für Morphin d = 1:77
fir Chinn d == 1'712,
somit Werthe, deren geringe Differenz erst in der zweiten
Periode eine grössere wird.
— 203 —
I. Periode.
Fastenzeit. Dreimal täglich leere Suppe, 1 Schale schwar-
zen Kaffee, 1 Schoppen Bier. Abnahme an Körpergewicht in
12 Tagen von 145 auf 1351/2 Pfd. Der Beginn des Fastens
war am 30. Mai, somit der 1. Juni der dritte Tag des
Fastens.
2 a Dauer =| S
= 3 | des Bades in | 2 ©
3 e | Minuten ® 8 | Luft d Anmerkung
2 = (Zeit a.m. und] & re
as pm) |) |e 8
3 a
1,/6.| 38°2 | 80°55 a.m.| — |18°9 | 1°93 | Vorher starke Be-
wegung.
3./6.137°5 | 61:0 a.m. | — {15°99 [164
5./6.|37°4 |69°45 a.m.| — |16°6 | 1°64
7,/6.|375 | 66-05 a.m. |37.04| 156 |2-0 | % gr. Morphin.
8./6. 377 | 66°4 a. m. 1372 |16°2 | 1°62 | %, gr. Morph. Un-
wohlsein.
— 1382 p- m. BUT 1162 |2'02 | '/, gr. Morph. sub-
976/376 | 657 am. (372 lied Iıa |
— 1379 |66'33 p. m. 1374 |16°6 | 1°54
10,/6.1379 | 668 {37-4 [162 |1-67 |2&gr. Chinin 14,
Stunde vor dem
Bade.
In der zweiten Hälfte dieser Zeit ergab sich, dass das
Bad die Körpertemperatur um 0:5 durchschnittlich herab-
setzte, während sonst die Einwirkung nur 0:1 betragen hatte.
Ohne Medikament ergab sich
d — 1°57, nach Bewegung 1°93,
für Morphin d == 1°87
für Chinn 4d — I-67.
Für Morphin trat somit die Wirksamkeit deutlicher hervor.
— 204 —
Ill. Periode. Ohne Fasten.
MS Sar TTT MEM pT DUM ea TE
4 > 2 . Dauer = = \ |
& 5 =| des Bades in = a
Ee = Minuten 2 a | Luft |) d Anmerkung
= © 8 (Zeit a.m. und 3 7
= go m.) aS
8 ne 2
23./6.| 37°8 res a.m. |37°3 !18'4 | 1°66 | Das Badwasser
enthielt 2°/, Koch-
salz.
24./6.'38°0 | 91:4 a. m. | 36°85] 19°0 | 2°27 | Wein vor und zu
374 Beginn des Bades.
27./6.|37.6 16710 a.m.|37°5 |17°6 | 1°63 | 3 Schalen kalten
starken Kaffee vor
dem Bade.
29,/6.|37°6 | 68°47 a.m.|36°9 |16°6 | 1°15 |% Flasche Cognac
vor dem Bade. Be-
deutendes Unwohl-
sein, Frostempfin-
dung. Nachmittag
| |
Mehrere darauffolgende Versuche ohne Medikament er-
geben wieder d—1'65, die Temperatur nach dem Bade nur
um Y,,° niederer. Es war somit beiläufig 14 Tage nach der
Fastenperiode noch die Wärmeabgabe im Bade mit Ernied-
rigung der Körpertemperatur um 0°5 vergesellschaftet. Con-
valescenten wird eine starke Abkühlung daher leichter schäd-
lich werden können.
Wein hat die stärkste Wärmeabgabe bei gleichzeitiger
Temperaturherabsetzung hervorgebracht, während ein übel-
schmeckender Cognac eine Art Collapsus hervorrief, dem nach
dem Bade ein Schüttelfrost folgte.
Es ergibt sich somit aus dem Ganzen, dass Wein und
Morphin eine Vermehrung der Wärmeabgabe bewirken. Ob
bei Wein diess mit einem höheren Blutdrucke zusammen-
hängt, bleibe dahingestellt.
Für alle Narcotica ist a priori anzunehmen, dass das
— 205 —
Warme-Empfindungs-Centrum abgestumpft und die Wärme-
abgabe weniger empfunden wird und somit mehr Wärme ab-
gegeben werden kann, ohne dass die gewöhnliche Regulirung
hiefür eintritt.
Wegen Unwohlsein konnte ich die Versuche an mir selbst
nicht länger fortsetzen. Dem Dr. Kölle, welcher die viel Zeit
in Anspruch nehmenden Ablesungen vornahm, erstatte ich
hiemit. meinen Dank.
Mittheilungen aus den Kliniken und Instituten
der Universitit zu Innsbruck.
Bericht
über die in der pathologisch-anatomischen Anstalt in
Innsbruck vom October 1870 bis October 1871
vollführten Obductionen
von
Prof. Schott.
In dem oberwähnten Zeitraume wurden 137 Obductionen
vorgenommen, deren Ergebnisse in Allgemeinen in folgen-
der Uebersicht vorliegen.
Von den 137 Obductionen entfallen 84 auf die medici-
nische Klinik, Abtheilung und Beobachtungszimmer, 22 auf
die chirurgische Klinik und Abtheilung, 2 auf die Augenklinik,
29 auf die Gebär-Abtheilung und Findelanstalt.
Die Obducirten vertheilen sich dem Geschlechte nach in
74 Männer und 63 Weiber.
Berücksichtiget man die einzelnen Monate, in Hinsicht
der Anzahl der Obductionen, sowie das Alter der Obducirten,
so ergeben sich zunächst für die einzelnen Monate folgende
Daten:
— 207 —
Im October 1870 wurden 10 Sectionen unternommen 8 M. 2 W.
„ November „ > 10 = x 6G. Avs
„ December „ 19 5 4 18,0,
„Jänner 1871 „ 8 + x 4,14,
„ Februar „ “18 „ # 8 „10,
„ März ol 5 9,, 12,
„ April a Sl n i An las
» Mai ” ” 10 ” » 4 9 6 7)
» Juni ” ». 16 » » 9, 1,
„ Juli » pee LO ” ” 6,4,
» August , » 4 » ” 3, 1,
» September ,, Divers ” » Bee) Zn.)
137 74 Py) 63 >)
Es lässt sich hieraus entnehmen, dass in den Monaten
März, December, Februar, Juni, und zwar vorzüglich im Monate
März, die meisten Sterbefälle vorkamen.
Für die Monate December und Juni ist die höhere Ziffer
begründet in den überwiegenden Fällen von Lungenkrank-
heiten, für Februar und März durch den Puerperalprocess.
Die Berücksichtigung des Alters liefert folgende Zahlen:
Ye. Jahr alt 20098 nur Wall
5 ” by) en 1 D
zwischen. 10 und 20. 5 5° -..: .. 6 Fälle
i 20.15.80... 50 Hy oe RO
” 30 AQ: 5 RYO: AZO Hey
by)
” 40 » 50 ” » GER is 22, ”
4.50, 4 60 eoglund) und als,
B80) 5.20: iy Tics ONE GS
00,80 nel,
Fa BO 90K , a. ae,
137.
Hieraus wird ersichtlich, dass die meisten Sterbefälle der
Altersklasse zwischen 20—30 Jahren zukommen. Es ist
diess für das Jahr 1870-71 ausnahmsweise begründet in dem
Auftreten des Puerperalprocesses, indem nach den im vorher-
gehenden Jahre geschöpften Erfahrungen die höheren Alters-
klassen eine grössere Sterblichkeit ergaben.
— 208 —
Die Todesfälle nach den Erkrankungen der Organe ge-
orduet, mit Rücksicht der den Tod zunächst | cn
Ursache, giebt folgende Uebersicht:
Bluterguss zwischen die Hirnhäute. Apoplexia inter-
MEDIO: Se ite A ck cate el
Goumchand: Atrophia cotebri
Gehirnblutung. Haemorrhagia cerebri.
Gehirnhöhlenwassersucht. Hydroceph. chron.
Rückenmarksentzündung. Myelitis.
Rippenfellentzündung. Pleuritis :
Luftansammlung im Brustraume. Pronmethene (f
Luftröhrenentzündung. Bronchitis .
Nervensystem
SSS ST \omn.
Luftrohrenerweiterung. _Bronchiectasie
Höhlenbildung in der Lunge. Phthisis pulmonum 2
Lungenerweiterung. Emphysema pulmonum .
Lungenentzündung. Pneumonie' . .'. . 1
| Lungenbrand. Gangraena pulmonum,.
Respirationsorgane
Bay [ Herzbeutelentzündung. Pericarditis is
3 & ER Herzentzündung. Myocarditis >
= . ligseppancntztndone, Endocarditis . a
Bauchfellentzündung 5
Typhus. . N
Dysenterie. Ruhr .
Fromm ßBr-ümNHr Hmm Oe
Nierenentzündung. Nephritis
Kindbettfieber. Process. puerperalis 30,
Säuferwahnsinn. Delirium tremens . Tas
Blutzersetzung. Septicaemie . Ge
Syphilis . eis
Krebs. Carcinoma 3%
Tuberculose . 10,
Sarcoma. . atl. Hes
Knochenvereiterung. «Caries .QG-- 05 „iiodsanes . sean iaveliaagy
Muskelvereiterung».iowanulsnanu ) YUN! Beet gl dees
Erschöpfung der Kräfte. Marasmus . 1... 2 5
Summe 137.
Es erschienen demnach die meisten Sterbefälle bedingt
—_ fe =
durch Krankheiten der Respirationsorgane (46), und durch
Kindbettfieber (30).
Ich habe im Vorhergehenden durch die statistische Zu-
sammenstellung zunächst in kurzen Umrissen einen allgemeinen
Ueberblick des der pathologisch-anatomischen Anstalt zu Ge-
bote stehenden Materiales geliefert. Die Resultate der Leichen-
untersuchungen lassen es mir jedoch auch wünschenswerth
erscheinen, die so mannigfaltigen pathologischen Befunde der
einzelnen . Organe und Systeme, sowie die Complicationen und
Folgezustände derselben, wenngleich in gedrängter Kürze, noch
in Betracht zu ziehen.
A. Nervensystem.
I. Hirnhäute.
1. Harte Hirnhaut.
a) Pachymeningitis. externa. Die äussere Fläche der
Dura‘ mater zeigte sich bei Entwicklung des puerperalen
Osteophyt (30 Fälle) mit einer zarten gallertigen oder vascu-
larisirten Bindegewebsschichte bekleidet, und inniger der inne-
ren Schädeltafel adhaerent.
b) Pachymeningitis interna. Die Entzündung
der Innenfläche der harten Hirnhaut liess sich in 9 Fällen
ermitteln, und zwar bei Delirium tremens, Lungenphthise,
Emphysem, Herzbeutelentzündung, Speiseröhrenkrebs und
Pneumothorax. Die Innenfläche der verdickten Dura mater
war ‚entweder in ihrer ganzen Ausdehnung oder bloss über
der rechten oder linken Grosshirnhemisphäre mit einer bald
zarteren, bald derberen, vascularisirten, bisweilen rostbraun
pigmentirten und von kleinen Haemörrhagien durchsetzten
Pseudomembran bedeckt.
c) Partielle Verdickung der Dura mater und Ver-
wachsung derselben mit Narben der Kopfhaut konnte in einem
Falle von syphilitischer Knochenzerstörung am Schädel. bei
einer 59jährigen Frauensperson nachgewiesen werden.
d) Knochenneubildung in der Falx cerebri fand
sich bei einem 69jährigen, an Pneumonie verstorbenen Manne
— 210° —
vor; es stellte dieselbe ein 4 Cm. langes biconvexes, 1/2 Cm.
dickes, mit scharfen schneidigen Randern versehenes Knochen-
sttick dar.
e) Neubildungen. Sarcoma. In zwei Fällen ent-
wickelten sich von der Innenfläche der Dura mater erbsen-
bis kirschengrosse Geschwiilste, wovon die eine weich, ober-
flächlich feinhöckerig, blassröthlich gefärbt, die andere derber
mit glatter Oberfläche versehen war und am Durchschnitte
deutliche weissliche netzförmige Züge erkennen liess. Ihr Sitz
war die linke Schläfegrube, sowie die rechte hintere Schädel-
grube zunächst des Hinterhauptsloches.
2. Arachnoidea.
Dieselbe erwies sich in der Mehrzahl der untersuchten
Fälle in bald grösserer, bald geringerer Ausdehnung, in der
Höhe des Scheitels, zunächst der Falx cerebri, verdickt,
milchig getrübt und mit zahlreichen pacchionischen Granula-
tionen versehen; von Letzteren konnte manchmal ein Durch-
bruch der Dura mater, sowie ein Hereinwuchern in den Sinus
longitudinalis superior ermittelt werden.
Erweiterung der Subarachnoidealräume durch reichliche
Ansammlung seröser Flüssigkeit, so dass dieselben bisweilen
beutelartig vorgewölbt erschienen, ergab sich als Folge von
Gehirnschwund, und Oedem desselben.
3. Pia mater.
Die Veränderungen, welche sich an der Pia mater er-
kennen liessen, betrafen zunächst den veränderten Blutge-
halt derselben, indem dieselbe entweder blutleer war, oder
es zeigten sich deren Gefässe, insbesondere dem Hinterlappen
des Gehirns entsprechend reichlich mit Blut gefüllt (Hypo-
stase). Bei Herzkrankheiten, Peribronchitis, Geisteskranken
mit Gehirnschwund waren die Gefässe oft auffällig erweitert
und stark geschlängelt. Bei den genannten Erkrankungen,
sowie namentlich im vorgerückten Alter erschienen die Arterien
des Gehirns in ihren Wandungen ungleichmässig verdickt.
Eine mehrfache Zerreissung der Pia mater erfolgte
in einem Falle von Zertrümmerung der Schädelbasis.
— 211 —
Eine Infiltration des Gewebes der Pia mater
mit einem gelblichen, wie gallertigen Ergusse fand an der
Gehirnbasis bei Tuberculose statt, in welchem Falle dasselbe
auch von zahlreichen hirsekorngrossen, weissgelblichen Knöt-
chen meist zunächst den Gefässen durchsetzt war.
Bisweilen waren die Plexus chorioidei laterales zu Cysten
entartet.
Intermeningeale Hämorrhagie war der Befund
bei einem 60jährigen Manne, dessen Schädelbasis in Folge
eines Sturzes zertrümmert wurde. Zwischen der Dura mater
und Arachnoidea, sowie unterhalb der zerrissenen Pia mater,
namentlich zwischen ersteren, lagerte ein die ganze rechte
Grosshirnhemisphäre bedeckender und deren Windungen ab-
plattender, gegen 3’” dicker Bluterguss.
il. Gehirn.
a) Die Erweiterung der Gehirnhöhlen erschien
in zwei Formen, entweder als acut sich entwickelnde oder als
chronische. Der Hydrocephalus acutus war stets der Begleiter
der Meningitis tuberculosa; der chronische hingegen als Be-
fund bei Geisteskranken und alten Leuten, oder bei Endo-
carditis nachweisbar. Als Todesursache ist derselbe für zwei
Fälle zu verzeichnen.
b) Obwohl die Gehirnatrophie als senile nicht so
selten zur Beobachtung kam, ausgezeichnet durch einen mehr
gleichmässigen Schwund der Gehirnwindungen, Vertiefung der
Furchen, Erweiterung der Subarachnoidealräume und der Ge-
hirnhöhlen, so ist nur 1 Fall, betreffend einen auf der Irren-
abtheilung Verstorbenen, zu erwähnen, in welchem sich der
Schwund besonders an den Stirnlappen, durch Verkleinerung
der Windungen daselbst, sowie durch bedeutende Derbheit
des Gehirns, dessen Höhlen gleichzeitig erweitert waren,
kennzeichnete.
c) Die Gehirnhämorrhagie erschien in folgender
Weise: a) entweder als capillare, #) in Form grösserer
apoplectischer Herde oder y) als apoplectische
Cyste. Der Sitz der Blutergiisse waren die Gehirnwindungen,
der Seh- und Streifenhiigel, das Kleinhirn und Centrum semi-
ovale. Als Ursache derselben ergab sich: ftir die capillare
Apoplexie eine die Meningitis tuberculosa begleitende fluxio-
näre Hyperämie; für die grösseren Blutergüsse: eine Throm-
bose der Hirnarterien bei Herzerkrankungen, oder der Nach-
weis von mit reichlicher Gefässentwicklung versehenen Gliomen,
bei einem mit Syphilis behafteten Manne.
d) Die Gehirnarterien, besonders die Arteria basi-
laris, fossae Sylvii etc., liessen in mehr als der Hälfte der
Fälle eine Erweiterung, starke Schlängelung und Verdickung
ihrer Wandung erkennen.
e) Von Parasiten fand sich 1mal Cysticercus cellu-
losae zwischen den Gehirnwindungen, an der Basis des linken
Hinterlappens, eingebettet vor.
— 22 —
Il. Rückenmark.
Entzündung und Erweichung des Halstheiles des
Rückenmarkes war bei einem 17jährigen Mädchen zu er-
mitteln, deren oberste Halswirbel sowie der bändrige Apparat
durch Entzündung zerstört waren, so dass schliesslich der
luxirte Epistropheus das Rtickenmark comprimirte.
B. Respirationsorgane.
1. Schilddrüse.
Eine Vergrösserung derselben ergab sich in 50 Fällen.
Dieselbe war veranlasst: 23mal durch Drüsenneubildung,
13mal durch Cystenbildung, wobei die Grösse der Cysten
selbst Faustgrösse erreichte, 10mal durch gallertige Infiltra-
tion, und 4mal durch Verkalkung. Sie betraf entweder beide
Hälften gleichmässig, oder kam an der einen oder anderen
Hälfte stärker zur Entwicklung. Je nach dem Grade und der
Art der Vergrösserung war die Luftröhre entweder von beiden
oder nur einer Seite comprimirt. In einzelnen Fällen reichte
der Mittellappen zungenförnig verlängert bis zur Kehlkopfs-
höhe oder dem Zungenbeine. Einmal liess sich an der Seite
— 213 —
des rechten Schildknorpels ein haselnussgrosser, aus Schild-
drüsenparenchym bestehender Knoten nachweisen, welcher von
einem Zweige der Arteria thyreoidea superior versorgt wurde,
und von dessen unterem Ende sich ein 1” 5” langer, 1”
dicker, aus Drüsensubstanz bestehender Fortsatz zum ver-
grösserten Mittellappen verfolgen liess.
b) Careinom der Schilddrüse in Form kleiner,
hanfkorn- bis erbsengrosser weisslicher Knoten ergab sich
Imal bei Oesophaguskrebs.
2. Kehlkopf.
a) Eine Verknöcherung seiner Knorpel ist erwäh-
nenswerth als nicht seltener Befund bei alten Leuten.
b) Oedem der Kehlkopfschleimhaut, welches
zur bedeutenden Verengerung des Kehlkopfeinganges führte,
war lımal bei Syphilis nachweisbar. Es zeigte sich hiebei der
Kehldeckel verdickt, seine Schleimhaut, sowie jene der Kehl-
kopfshöhle stark geröthet und mit zarten kleinen rundlichen
Wucherungen reichlich bedeckt, zwischen welchen bald tiefere,
bald seichtere rundliche oder unregelmässige, wie benagte, an
der Basis mit diphtheritischem Belege versehene Substanzver-
luste sich eingelagert befanden; ein ähnliches Verhalten zeigte
das rechte Stimmband.
c) Geschwürsbildung ergab sich ausser dem ober-
wähnten Falle noch in 3 Fällen von Tuberculose, woselbst
die Substanzverluste an der hinteren Kehlkopfswand, über
dem Musculus transversus, an der Basis des rechten Giess-
beckenknorpels und eingreifend in die rechte morgagnische
Tasche, ihren Sitz hatten. Dieselben variirten von Hanfkorn-
bis Linsengrösse; die umgebende Schleimhaut war mit einer
reichlichen Epithelwucherung versehen.
3. Trachea.
a) Verknöcherung der Luftröhrenknorpel war das
Ergebniss der Befunde alter Leute, und meist combinirt mit
gleichzeitiger Verknöcherung der Kehlkopfs- und Rippenknorpel.
b) Compression der Luftröhre, und zwar seitliche,
erfolgte wie erwähnt in den Fällen von beträchtlicher Ver-
Naturw.-med. Verein. 18
— 21a —
grösserung der Schilddrüse. Einmal jedoch war dieselbe be-
dingt durch Vergrösserung der Lymphdrüsen am Halse, welche
krebsig entartet waren; hiebei war der untere Antheil der
Trachea, sowie namentlich der linke Bronchus, von einer
derben, weissen, schwieligen Aftermasse umfasst, welche sich
längs den Bronchialverzweigungen innerhalb der Lunge wei-
terhin verfolgen liess; die geröthete Bronchialschleimhaut war
besonders linkerseits von länglichen, striemenförnigen, weiss-
lichen Aftermassen durchwuchert, welche in den Bronchien
dritter Ordnung schliesslich in Form kleiner rundlicher Knoten
auftraten. Hiedurch wurde die Lichtung der Bronchien wesent-
lich verengt.
In einem anderen Falle wurde die seitliche Compression
veranlasst durch einen vom Ringknorpel bis zur zweiten
linken Rippe herabreichenden Eiterherd.
c) Hyperämie der Luftröhrenschleimhaut war
der Befund bei intensiven Bronchialcatarrhe, Pneumonie, Herz-
erkrankungen und bei Puerperalprocess.
d) Ecchymosirung der Trachealschleimhaut fand sich
bei einzelnen Herzerkrankungen, und
e) Tuberculose der Trachealschleimhaut 1mal bei
ausgebreiteter Tuberculose vor.
f) Den Inhalt der Luftröhre bildete zäher eitriger
oder bräunlich gefärbter Schleim bei Phthisis und Pneumonie,
trübe bräunliche oder gallig gefärbte Flüssigkeit beim Puer-
peralprocesse.
4. Pleura.
Die pathologischen Veränderungen, welche sich an der
Pleura vorfanden, lassen sich in Folgendem resumiren:
a) Ecchymosen fanden sich als erwähnenswerth in
2 Fällen bei Herzerkrankungen vor.
b) Entzündung. Dieselbe erschien in acuter Form
als selbstständige Erkrankung oder als Begleiterin von Pneu-
monie, Puerperalprocess, Herzkrankheiten, Phthisis, Septi-
caemie. Der Befund war hiebei je nach der Intensität und
Dauer des Processes verschieden, insoferne sich die Pleura
Sy
nur mit einer zarten faserstoffigen Exsudatschichte bedeckt
zeigte, der Erguss nur ein sparsamer war, oder es steigerte
sich Letzterer bis zur Menge von mehreren Pfunden. Hiebei
liess sich diess häufiger linkerseits constatiren. Anderemale
war die Pleura von einer zarten, feinfilzigen, zottigen oder in
Form eines Maschenwerkes auftretenden Pseudomembran
bedeckt.
Residuen vorangegangener Pleuresien liessen sich in
83 Fällen ermitteln, und zwar war 35mal eine totale Ver-
wachsung der Lunge mit dem Rippenfell, Zwerchfelle und
Herzbeutel, 50mal nur eine partielle Verwachsung nachweis-
bar, wobei sich das Verhältniss zwischen rechter und linker
Seite als gleichwerthig darstellte. Die, die Verwachsung ver-
mittelnden Psendomembranen erschienen meist in Form dünner,
gefässhaltiger, bindegewebiger Lamellen, und nur in wenigen
Fällen erreichten dieselben die Mächtigkeit einer mehrere
Millimeter dicken Schwarte.
e) Neubildungen. Von denselben sind ausser den
erwähnten bindegewebigen einerseits der Tuberkel, anderer-
seits das Carcinom bemerkenswerth.
Der Tuberkel erschien in Form kleiner miliarer grau-
gelblicher Knötchen in 3 Fällen bei allgemeiner Tuberculose.
Das Carcinom kam 4mal zur Beobachtung; 2mal im
Gefolge von Oesophaguskrebs, 1mal bei Carcinom der Lymph-
drüsen am Halse und der Bronchien, und 1mal bei Krebs der
Sexualorgane eines Weibes. Die Pleura zeigte sich in einem
Falle von zahlreichen, verschieden grossen und geformten,
weissen derben, gleichsam wie aufgetropften, am Durchschnitte
einen trüben weisslichen Saft entleerenden Aftermassen be-
deckt; in einem anderen mit hanfkorn- bis über erbsengros-
sen, im Centrum deutlich nabelförmig vertieften weissen After-
massen überwuchert. Die zu jenen Knoten zuführenden Gefässe
waren stark erweitert, geschlängelt und lebhaft injieirt.
d) Abnormer Inhalt der Pleurahöhle. Derselbe
bestand entweder in der Ansammlung von seröser Flüssig-
keit (Transudat) bis zu der Menge von 4 Pfund, bedingt
18*
— 216 —
durch Herzerkrankungen, hydrämische Beschaffenheit des
Blutes, oder, wie schon erwähnt, in eitrigem Exsudate oder,
wenngleich in selteneren Fällen, in dem Ergusse beigemeng-
tem Blute. Einmal stellte sich derselbe als anormale An-
sammlung von Gas dar.
Bei einem 13jahrigen Mädchen war der rechte Brust-
raum durch das nach Abwärtswölben des Zwerchfelles, das
Hinüberdrängen des Herzens nach links und das Vorwölben
der Intercostalräume erweitert, und in demselben nebst einem
Pfunde seröser Flüssigkeit eine beträchtliche Menge Gas ent-
halten, welches bei Eröffnung der Thoraxhälfte mit zischen-
dem Greräusche entwich. Die an die Wirbelsäule gedrängte
rechte Lunge zeigte in dem hinteren Antheile des Oberlappens
einen umschriebenen brandigen Zerfall der Lungensubstanz
mit Verschorfung der sie bedeckenden Pleura.
5. Lunge.
a) Bronchitis. Abgesehen von dem häufigen Vor-
kommen derselben bei Herzerkrankungen, Phthisis, Tubercu-
lose, Emphysem und Pneumonie ist ein Fall von Bronchitis
crouposa bei einem im December 1870 verstorbenen 24 Jahre
alten Manne erwähnuenswerth, in welchem die Schleimhaut der
feineren Bronchien mit einer croupösen Exsudatschichte be-
kleidet, das umgebende Lungenparenchym dunkel geröthet,
‚ blutreich, luftleer oder selbst pneumonisch infiltrirt war.
b) Peribronchitis. Dieselbe erschien häufig in Be-
gleitung von Phthisis und Tuberculose der Lungen, wesshalb
wir den Befund derselben unter einem mit letztgenannten Ver-
änderungen schildern wollen. Die Mehrzahl der beobachteten
Fälle betraf Männer im Alter zwischen 20 und 30 oder 40
und 50 Jahren. Die Lungenbefunde stellten sich in folgender
Weise dar.
Die Lungen waren bald mehr, bald weniger vollständig
mit der Brustwand verwachsen, am intensivsten an den Spitzen,
woselbst sich narbige Einziehungen der Lungenoberfläche vor-
fanden. Unterhalb derselben, in deren Bereiche die Lungen-
substanz in grösserer oder geringerer Ausdehnung verödet
— 217 —
und reichlich schwarz pigmentirt erschien, waren in manchen
Fällen nur eine, in anderen mehrere Höhlen nachweisbar,
welche von der Grösse einer Haselnuss bis zu jener eines
kleinen Apfels wechselten, ja bisweilen sogar den ganzen
Lungenflügel einnahmen. Dieselben waren entweder leer, nur
wenig oder reichlich mit zähem puriformem Schleime, Eiter
oder Blute erfüllt; sie erschienen glattwandig, mehr weniger
ausgebuchtet, zumeist mit grösseren Bronchien in Verbindung,
oder es communicirten die Höhlen untereinander. Ihre Innen-
fläche war bekleidet mit einem gelblichen, leicht abstreifbaren
Belege. Grössere Höhlen zeigten sich durchsetzt von rund-
lichen, entweder gerötheten oder hlassgrau gefärbten Balken,
welche entweder solid waren, durch obliterirte Gefässe und
Bronchien gebildet wurden, oder es verlief inmitten derselben
ein in seiner Lichtung verengter oder thrombirter Gefässast.
Anderemale zeigten solche Balken an einer ihrer Seite flach-
rundliche Erhebungen, die sich als aneurysmatische Erweite-
rung des im Balken verlaufenden Gefässes darstellten, wobei
die Gefässwand daselbst mit einer spaltförmigen oder un-
regelmässigen Lücke eröffnet war, deren Rändern theilweise
noch coagulirtes Blut anhaftete. Das zunächst gelegene Lun-
genparenchym war über verschieden grosse Strecken verödet,
luftleer. In weiterer Entfernung zeigte dasselbe, bald nur auf
die Oberlappen beschränkt, oder, wenngleich in geringerem
Masse, auch in den Unterlappen, die feineren Bronchialver-
ästigungen in ihren Wandungen beträchtlich verdickt, ihre Lich-
tung hochgradig verengt, vollständig aufgehoben oder dieselbe
von einer gelbkäsigen Masse verstopft, so dass der Lungen-
durchschnitt das Bild von in Gruppen beisammenstehenden,
hirsekorngrossen, gelblichen, querdurchschnittenen Knötchen
ergab, bei deren genauer Besichtigung man jedoch central
eine feine Oeffnung (die verengte Lichtung des Bronchus)
oder den querdurchschnittenen in seiner Wandung verdickten
und durch käsige Masse verstopften Bronchus erkennen komnte.
Das zwischenliegende Lungenparenchym erwies sich entweder
lufthältig, blutarm, oder in der Umgebung selbst erweiterter
= 218. ==
Bronchien, deren Schleimhaut geröthet war, entspechend
einzelnen Lobulis, dicht luftleer, grauröthlich hepatisirt, oder
verkäst, wobei ihre Schnittfläche fein granulirt oder homogen
erschien und jene Lungenantheile sich mehr vorwölbten. Die
Unterlappen boten namentlich in ihren hinteren Parthien das
Bild der Hypostase, oder es waren daselbst Bronchialerwei-
terung, Peribronchitis und verkäsende Herde gleichfalls mehr
oder weniger ersichtlich.
Als Complicationen ergaben sich:
I. im Circulationsapparate.
1. Vergrösserung des Herzens durch active
Dilatation des rechten Ventrikels, sowie Erweiterung des
Pulmonalarterien-Conus und mässige Erweiterung der Iugular-
venen, in jenen Fällen, wo sich bei geringer Gefässneubil-
dung in den, die Verwachsung vermittelnden Pseudomembra-
nen, kein Collateralkreislauf entwickelt hatte.
2. Fettmetamorphose des Herzfleisches mit Er-
schlaffung und leichter Zerreisslichkeit.
3. Thrombusbildung entweder in den Herzhöhlen
oder den Pulmonalarterienverzweigungen.
4. Aneurysmatische Erweiterung der die Ca-
venen durchziehenden Gefässstämme mit Anätzung derselben
und tédtlicher Blutung, oder einmal, aneurysmatische Er-
weiterung der Gehirngefässe.
5. Infarete in der Milz.
Il. Im Verdauungsapparate:
1. Geschwüre im Dickdarme oder Dünndarme.
In ersterem dieselben der Querachse des Darmes entsprechend
gelagert, mit aufgeworfenen callösen Rändern versehen, in
letzterem die Follikel entweder hyperplastisch, verkäsend, oder
durch ferneren Zerfall rundliche, sowie unregelmässige Sub-
stanzverluste gebildet. Hiebei am Peritoneum keine Ver-
änderung.
2. Dysenterie.
III. Als fernere Complicationen sind erwähnenswerth:
zog
Tubereulosis. Zunächst in Form kleiner, rundlicher
Kuötchen.
a) in der Bronchialschleimhaut, b) in der Lungensub-
stanz, c) der Pleura d) in den Meningen, e. Leber, Milz,
Niere, f) dem Peritoneum und zwar in jenem Antheile, welcher
vorhandenen Darmgeschwüren entspricht, g) dem Larynx
und h) der Uterusschleimhaut.
IV. Amyloide Degeneration der Leber, Milz und Niere.
V. Morbus Brightii.
c) Compression der Lungen, erfolgte in all’ jenen
Fällen, wo eine reichliche Ansammlung von Transudat oder
Exudat, die betreffende Pleurahöhle erfüllte; meist waren
hiebei nur die Unterlappen bis zur Luftleere comprimirt;
einmal war die Compression der ganzen rechten Lunge ver-
anlasst durch Ansammlung von Gas bei Lungengangrän.
d) Emphysema pulmonum war als umschriebenes,
auf kleinere Antheile beschränktes, ein nicht seltener Befund
bei Schwielenbildung oder theilweiser Verödung der Lungen-
substanz. Die ganze Lunge betreffend war dasselbe einmal
bei einem 33 Jahre alten Manne nachweisbar, und hiebei
dem entsprechend das rechte Herz vergrössert.
e) Die Entzündung der Lunge erschien in zwei
Formen.
a) sie betraf! entweder einen ganzen Lappen oder doch
den ‚grössten Theil desselben oder
b) sie war auf einzelne Läppchen beschränkt.
Ersteres in 9 Fällen, letzteres, die Fälle der Peribron-
chitis und Phthisis abgerechnet, iu 3 Fällen. Das Contingent
hiefür lieferten ‚meist Männer zwischen 40 und 50 Jahren.
f) Lungenbrand. Gangräna pulmonum kam dreimal
zur Beobachtung. In dem einen Falle war rechterseits die
Interlobularspalte zum Theile verwachsen, und so zwischen
den Lungenlappen eine wallnussgrosse Höhle gebildet, welche
durch eine spaltförmige Oeffnung mit der Brusthöhle com-
municirte, und mit einer übelriechenden, schmutzig gelbbraunen
Masse erfüllt war. Das der Höhle zunächstgelegene Lungen-
a
parenchym war bis zu 2 Cm. in die Tiefe in eine schwarz-
braune, zerfallende, übelriechende, pulpöse Masse verwandelt;
der zweite Fall both Interesse, da er gleichzeitig zur Ent-
stehung eines Pneumothorax Anlass gab, der dritte endlich
insoferne als durch den brandigen Zerfall der Lungensubstanz
ein grösserer Ast der Pulmonalarterie angeäzt, und hiedurch
rasch der Tod durch Blutsturz veranlasst wurde.
g) Carcinoma. Hievon sind vier Fälle zu verzeichnen.
Sie betreffen zwei Männer und zwei Weiber im Alter zwischen
50 und 60 Jahren. In zwei Fällen (Männer) war der pri-
märe Krebs in der Speiseröhre, und secundäre weissliche,
derbe Krebsknoten von Bohnen- bis zu Taubeneigrösse in die
Lungensubstanz eingelagert. Von den beiden anderen Fällen
(Weiber) war der eine in Begleitung mit Krebs der Lymph-
drüsen am Halse, und krebsigen Degeneration der Bronchien,
der andere combinirt mit krebsiger Entartung der Retrope-
ritonealen Lymphdrüsen.
C. Circulationsorgane.
1. Herzbeutel.
a) Eine Ausdehnung desselben erfolgte durch reich-
liche Ansammlung von Serum, bei Herzkranken, oder bei
Hydraemie, einmal durch eitriges Exudat.
b) Umschriebene Verdickungen des visceralen
Pericardialblattes in Form von Sehnenflecken war in neun
Fällen über dem rechten Ventrikel, dem Herzohre oder dem
linken Ventrikel nachzuweisen.
c) Die Entzündung des Pericardiums erschien
zweimal in acuter Form; einmal war das Pericardium be-
deckt, mit einer weichen, gelblichen, zottigen und feinareo-
lirten, serös eitrig durchtränkten Exudatschichte, hiebei in
der Pericardialhöhle, eitrige Flüssigkeit angesammelt, das
zweitemal war dasselbe von einer zarten, feinfilzigen Pseu-
domembran bedeckt. In beiden Fällen erschien das Herz
erschlafft, fahlgelblich, mürbe.
— 21 —
d) Eine totale Verwachsung des Herzens mit
dem Herzbeutel kam einmal zur Beobachtung.
2. Herz.
a) Eine Verkleinerung desselben, mit auffälligem
Schwunde der normalen Fettanhäufung, und seröser Durch-
tränkung des subserösen Bindegewebes an der Herzspitze;
stärkerer Schlängelung der, in ihren Wandungen verdickten
Gefässe, war in einzelnen Fällen hohen Alters, als senile
Atrophie zu ermitteln, und hiebei das Herzfleisch von dunkel-
brauner Färbung.
b) Eine Vergrösserung des Herzens ergab sich
in 22 Fällen. Hievon entfällt mehr als die Hälfte für Er-
krankungen des Herzens, der übrige Theil auf consecutive
Vergrösserungen, bedingt durch Erkrankung der Lungen, Miss-
staltungen des Thorax, Erkrankungen der Aorta. Die Ver-
grösserung des Herzens war meist bedingt durch active Dila-
tation des rechten Ventrikels, in zwei Fällen (Pericarditis)
jedoch in passiver Erweiterung beider Ventrikel begründet.
c) Entzündung der Muskelsubstanz des
Herzens Myocarditis. Dieselbe stellte sich einmal der-
art dar, dass an einer, der Herzspitze des linken Ventrikels
entsprechenden Stelle, das Herzfleisch erweicht und entfärbt
war, das Endocardium daselbst sich geschwellt und ge-
röthet zeigte, und demselben geschichtete und theilweise er-
weichte Fibrinmassen anhafteten. Die Thrombusmasse des
Ventrikels gab Veranlassung zur Embolie in der linken Ar-
teria fossae Silvii. In anderen Fällen war das Resultat der
Muskelentzündung — Schwielenbildung in den Papillarmuskeln
oder der Ventrikelscheidewand. Einmal fand sich Schwielen-
bildung in der Wand des linken Ventrickels vor, in der
Nähe der Herzspitze, und war der schwielig degenerirte
jedoch verdünnte Antheil sackig nach aussen vorgewölbt.
(Aneurysma cordis chronicum partiale.)
d) Die Entzündung der Klappen führte in zwei
Fällen zur Bildung von Vegetationen an der Bicuspidalis,
sonst zur Verdickung und Verkürzung der Klappenzipfel, zur
— 222 —
’
Verwachsung derselben untereinander, zur Verengerung des
Ostiums, Verkürzung und Verdickung der Sehnenfäden. Diese
Veränderungen betraffen die zweizipflige Klappe allein, oder in
Combination mit ähnlichen Veränderungen der Aortaklappen.
e) Fettmetamorphose und moleculärer Zerfall der
Muskelsubstanz war häufiger Befund bei Pericarditis, Endo-
arteritis chronica und acuten Entzündungsprozessen.
f) Pigmentbildunng fand sich in atrophischen Her-
zen vor.
3. Gefässe.
a) Arterien. Die Endoarteriitis chronica deformans
liess sich in mehr als 60 Fällen in verschiedenem Grade und
Ausdehnung an der Aorta ermitteln; sie führte am häufig-
sten zur Verdickung der Intima, seltener zu deren Verkal-
kung; sie war am intensivsten an der erweiterten Aorta-
wurzel demnächst dem Brust- oder Bauchtheile derselben.
Häufig waren ähnliche Veränderungen an den Gehirnarterien
nachweisbar, oder an der Arteria lienalis. Einmal waren
bei einem 24jährigen Arbeiter die Arterien der oberen wie
unteren Extremitäten beträchtlich verdickt und verkalkt,
"während in der Aorta keine derartige Veränderung nachweis-
bar war.
b) Erweiterungen fanden sich im arteriellen Systeme
als spindelförmige oder cylindrische vor, an der Aortenwurzel,
der Bauch-Aorta und den Gehirngefässen.
c) Thrombosen waren nachweissbar in der Pulmonal-
arterie, bei Phthisis, Pneumonie, bei Herzkrankheiten (sechs)
und einmal in den Gehirngefässen.
Venen.
a) Erweiterung derselben ergab sich in der Pia
mater bei Geisteskranken, ferner in den unteren Extremi-
täten an den Hautvenen zweimal in ausgedehntem Masse, so
dass dieselben nicht bloss cylindrisch, sondern auch viel-
fach gewunden, sackförmig erweitert waren.
b) Thrombosis der Venen kam zweimal zur Beob-
achtung. Beidemale bei Tuberculosis. In dem einen Falle
war die linke Vena cruralis und iliaca, sowie sämmtliche
Muskeläste durch eine Gerinnung verstopft, welche eine gelb-
lichröthliche Farbe hatte und das Gefäss vollständig obturirte,
wobei deren centrales Ende in Erweichung begriffen war.
Die Venenwand, welcher der Thrombus innig adhaerirte
erschien verdickt die betreffende Extremität oedematös ge-
schwellt. Im zweiten Falle war die Gerinnung in der rechten
Cruralvene eine wandständige und reichte sich verschmäch-
tigend in die Vena cava inferior herein.
Entzündungen und Thrombosen der Lymph-
gefässe wurden nur in den Seitenwandungen des Uterus
beim Puerperalprozesse beobachtet.
D. Krankheiten der Verdauungsorgane.
Peritoneum.
a) EineErweiterung der Bauchhöhle durch starke
Auftreibung der Gedärme, Ansammlung von Flüssigkeit, war
in 30 Fällen zu konstatiren, bei Puerperalprocess, Herzer-
krankungen und Geschwülsten im Unterleibe.
b) Entzündung des Bauchfelles erschien in
a. acuter Form in 15 Fällen des Puerperalprozesses,
einmal bei Prostatahypertrophie und in zwei Fällen von Ova-
riencysten. Das Peritoneum war mässig geröthet, über dem
Zwerchfelle, Leber, den ausgedehnten Darmschlingen, mit
einer faserstoffigen Exudatschichte bedeckt, durch welche die
Darmwindungen untereinander vielfach verklebt waren. In der
Bauchhöhle war eine grössere oder geringere Menge flockigen
Eiters angesammelt.
8. Die chronishe Form erschien achtmal in nach-
stehender Weise: entweder war das Peritoneum stellweise
verdickt, schiefergrau gefärbt, mit Pseudomembranen ver-
sehen, durch welche WVerwachsungen veranlasst wurden,
z. B. Ovariencisten; oder es betraf die Verdickung nur das
Mesenterium des Dünndarms, das Omentum. In einem
Falle war die Verdickuug des ganzen Peritoneums so be-
trächtlich, dass dasselbe in eine, 1 Cm. dicke 'Schwarte
— 224 —
verwandelt war, mit welcher die gleichfalls schwielig degene-
rirten Bauchmuskeln verwachsen waren. Die Leber war
von einer derben Kapsel umhüllt, das grosse Netz verdickt,
geschrumpft, desgleichen das Mesenterium des Dünndarmes.
In der Bauchhöhle war ein reichlicher Erguss gelblicher ei-
weisshältiger Flüssigkeit.
c) Von Neubildungen kam 2mal Tuberculose des
Peritoneums, im Vereine mit Tubereulose der Lungen, Leber,
Milz, Nieren und Pleura zur Beobachtung, sowie 2mal Car-
cinom; in diesen Fällen war der primäre Krebs im Oeso-
phagus und Magen. |
Oesophagus.
Carcinoma. Hievon sind 3 Fälle zu verzeichnen,
welche sich bei Männern zwischen 50 und 60 Jahren vor-
fanden. In dem einen Falle erschien die Schleimhaut des
Oesophagus geröthet, mitunter gelockert und geschwellt. Einen
Centimeter oberhalb der Bifurcation der Trachea befand sich
in der Speiseröhre, mehr der linken Seite angehörig, ein un-
regelmässig rundlicher, die Schleimhaut strahlenförmig an sich
heranziehender und mit derselben innig verwachsener, derber,
weisslicher Knoten, unterhalb welchem zunächst mehrere klei-
nere, etwa erbsengrosse, weissliche, verschiebbare gelagert
waren, die endlich an der Cardia unter einander verschmolzen
und eine beträchtliche Verengerung derselben bedingten. Alle
erwähnten Knoten sind von einem Gefässkranze umgeben.
Die Oesophaguswand ist beträchtlich verdickt durch eine derbe
weissliche besonders in submucösen Bindegewebe entwickelte
Aftermasse. Hiebei fand sich gleichzeitig Carcinom des Ma-
gens, der Leber, Lunge, Pleura, Peritoneums und der Mesen-
terialdrüsen vor.
Der zweite Fall ist erwähnenswerth wegen seiner Com-
plication mit Lungenphthise. Es wucherte ebenfalls entspre-
chend der Theilungsstelle der Trachea, den Oesophagus ring-
förmig umgreifend in der Längsausdehnung von 2” eine die
Wand desselben vollständig substituirende, weisse, warzig-
blättrige oder hahnenkammähnliche, unregelmässig zerklüftete
Aftermasse, welche in ihrer Mitte zerfällt und deren Ränder
wallartig aufgeworfen sind. Dieselbe durchbricht an der vor-
deren Wand den mit ihr innig verwachsenen Bronchialstamm
und veranlasst durch ihren theilweisen Zerfall eine Communi-
cation zwischen beiden mittelst mehrereu kleinen Lücken; an
der betreffenden Stelle sind die Knorpeln usurirt.
Magen.
Eine Lageveränderun g desselben ergab sich 1mal
in Folge des Angewachsenseins des Colon transversum an die
vordere Bauchwand; es wurde hiedurch der Magen mehr
senkrecht gestellt. ‘
Erweiterung der Magenhöhle zeigte sich haupt-
sächlich bei Bauchtellentzündung.
Verengerung Imal bei Carcinom desselben.
Die Magenschleimhaut war in 2 Fällen stark hy-
perämisch, lmal mit Ecchymosen und Imal mit kleinen run-
den hämorrhagischen Errosioneu versehen. 1lmal erschien
dieselbe schiefergrau piginentirt.
Erweichung des Magengrundes ergab sich in
6 Fällen; bei Meningitis tuberculosa, Pneumonie, Puerperal-
process und Peritonitis im Gefolge einer Ovariencyste.
Carcinom des Magens wurde bei einem 57jährigen
Manne beobachtet. Der Krebs, welcher sich von der Cardia
aus auf die hintere Magenwand erstreckte, führte an ersterer
zu einer bedeutenden Verengerung derselben, so dass sie kaum
für eine Federspule durchgängig war, an letzterer hingegen
zur Bildung eines unregelmässig ausgebuchteten, mit aufge-
worfenen Rändern und kraterförmig vertiefter Basis versehenen
Geschwiires. Das Peritoneum, Pleura, Leber, Lymphdrüsen
und Schilddrüse sind von Krebsmassen durchsetzt.
Darm.
Diverticulum. 3 Schuh von der Coecalklappe ent-
fernt erhob sich von der untersten Ileumsschlinge ein 1”
langes und 1/2” breites, mit abgerundetem Ende versehenes
Divertikel.
Eine übermässige Ausdehnung des Dickdarms
— 226: —
bis zu Armdicke erfolgte einmal auf Grundlage einer Knickung
des Colon transversum durch Anwachsung des grossen Netzes
an das Colon ascendens.
Knickung des Colon transversum wurde ein
andermal veranlasst durch Anwachsung desselben an die vor-
dere Bauchwand.
Vorlagerung von Diinndarmschlingen in einem
Leistenbruchsacke wurde zweimal beobachtet.
Verwachsung einzelner Ileumschlingen zu
einem faustgrossen Convolute, vermittelt durch pigmentirte
Pseudomembranen, fand sich 1mal, ausgedehntere Verwach-
sungen durch tuberculisirende Pseudomembranen 2mal vor.
Strietur des Colon ascendens war veranlasst durch
ausgebreitete vernarbende Geschwüre.
Pigmentirung der Dünndarmschleimhaut erschien 2mal
als ausgebreitete schiefergraue, lmal nur beschränkt auf. die
Umgebung der solitären Follikel, Imal im Umkreise ver-
narbter typhöser Geschwüre.
Schwellung der solitären Follikel des Dünndarms er-
gab sich bei Myocarditis, Tuberculose, Parasiten im Darm-
kanal und Puerperalprocesse.
Croupöse Entzündung der Dünndarmschleimhaut
war imal bei einer Puerpera nachweisbar.
Ileotyphus erschien 1mal im Stadium der Geschwürs-
bildung, 1mal mit vernarbenden Geschwüren. Im ersteren
Falle war gleichzeitig hämorrhagischer Erguss in die Ellbogen
und Kniegelenke, im letzteren Pneumonie zugegen.
Geschwüre im Dünndarm waren in 13 Fällen zu
constatiren. Dieselben erschienen entweder als rundliche, den
solitären Follikeln oder Peyerischen plaques entsprechende,
durch Verkäsung der hyperplastischen Drüsen bedingt, oder
als unregelmässige mit aufgeworfenen Rändern versehene.
5mal waren dieselben combinirt mit gleichzeitiger Geschwürs-
bildung im Dickdarme, 4mal mit secundärer Tuberkelentwick-
lung, an den Rändern der Geschwüre, dem Peritoneum oder
ae gage
der Pleura. Bei allen beobachteten Fallen war Phthisis der
Lungen und peribronchitische Processe zugegen.
Geschwiirsbildung im Dickdarme konnte 11mal
ermittelt werden; 5mal, wie oben erwähnt, im Vereine mit
Diinndarmgeschwiiren, 2mal mit secundärer Tuberkelbildung ;
auch hiebei war regelmässig Phthisis der Lungen, Peribron-
chitis oder verkäsende Pneumonie zugegen.
Follicularvereiterung oder Erweichung der mit
einem kleien-ähnlichen Belege versehenen Schleimhaut ergab
sich in 6 Fällen, in Combination mit Phthisis pulmonum,
Endocarditis, Gangraena pulmonum und Pericarditis.
Als abnormer Darminhalt ist erwähnenswerth
theerähnlich eingedicktes Blut bei einem verjauchenden Ma-
genkrebs, ferner als häufiger Befund zahlreiche Ascaris lum-
bricoides und Trichocephali.
E. Krankheiten der Leber.
Eine Lageveränderung derselben war zu beobachten
entweder als nach Aufwärtsgedrängtsein oder als Herabrücken
derselben. Ersteres wurde bedingt durch starke Ausdehnung
der Gedärme, in Folge von Paralyse ihrer Wandungen bei
Peritonitis puerperalis, letzteres veranlasst durch abnorme
Ausdehnung des rechten Brustraumes, bedingt durch Pleuritis,
Pneumothorax.
Ihre Gestalt erschien verändert durch Eindruck der
falschen Rippen an der Oberfläche des rechten Lappens, wo-
durch sich verschiedene tiefgreifende Furchen entwickelten,
welchen entsprechend das Peritoneum sich verdickt zeigte.
Anderemale war die Gestaltveränderung veranlasst (in zwei
Fällen) durch abnorme Lappung bei Syphilis oder (8mal)
durch Verkleinerung mit uneben höckriger Oberfläche (granu-
lirte Leber).
Verwachsung mit dem Zwerchfelle durch Pseudo-
membranen war abgesehen von den Adhäsionen bei granu-
lirter Leber 2mal nachweisbar, und hiebei imal in den
Pseudomembranen kreidige Concretionen eingebettet,
— 228 —
Eine Verkleinerung war bei granulirter Leber, seniler
Atrophie und vorzüglich in dem einen Falle von abnormer
Lappung nachweisbar, in welchem die Leber sich nicht viel
grösser als eine mässig geschwellte Milz erwies.
Consistenzveränderungen ergaben sich als be-
deutende Zunahme derselben: bei der granulirten (8) und
gelappten (2) Leber, ferner bei deren amyloider Degenera-
tion (2); als Verminderung, unter dem Bilde der Erschlaffung
insbesonders beim Puerperalprocesse oder auch in Fällen von
überwiegendem Fettgehalte. (5 Fälle mit Phthisis.)
Muskatnussleber war in exquisitem Grade zu er-
mitteln bei Endocarditis, Fettentartung des Herzfleisches,
Bronchitis crouposa, Peribronchitis, Phthisis pulmonum.
Extravasate fanden sich nur lmal im Gefolge von
Pyaemie vor.
Als die gewichtigsten Erkrankungen sind hervorzuheben
granulirte Leber — 8 Fälle, gelappte Leber — 2 Fälle,
amyloide Degeneration — 2 Fälle, bei Syphilis und Dysenterie.
Von Neubildungen waren 4mal Tumor cavernosus,
bis zu Erbsengrösse, 4mal miliare Tuberkel, und 6mal Carei-
nome, im Vereine mit Krebs des Magens oder der Speise-
röhre, der retroperitonealen Lymphdriisen und der Harnblase
aufzufinden.
Die Gallenblase enthielt in 5 Fällen cholesterin-
hältige Gallensteine.
F. Krankheiten der Milz.
Als Veränderungen der Milz ergaben sich:
Abnorme Lappung derselben (1 Fall), beträcht-
liche Verdickung der Kapsel (7 Fälle), diess beson-
ders bei endocarditischen Processen; Verwachsung mit
der Umgebung (2 Fälle), Vergrösserung derselben in
22 Fällen, und zwar als acute Schwellung bei Peribronchitis,
Bronchitis, Pneumonie, Typhus, Pyaemie, acuter Tuberculose,
Puerperalprocess, oder als chronische bei Herzerkrankungen,
granulirter Leber; in einem Falle von Nierenphthisis war
— 229 —
dieselbe über 9” lang. Verkleinerung erfolgte 3mal in
hohem Alter, Imal bei Syphilis. Im Parenchym derselben
fanden sich Imal kreidige Concretionen, 3mal ver-
fettende Infarcte, bei Endometritis und Phthisis pulmo-
num vor. Amyloide Degeneration ergab sich in zwei
Fällen von Syphilis und Dysenterie, Tuberkelbildung
amal im Vereine mit acuter Tuberculose.
G. Krankheiten des Urogenital-Systems.
Niere.
Von Krankheiten der Niere sind bemerkenswerth:
a) Eine tiefe Lagerung der rechten Niere, welche
über der Synchondrosis sacro-iliaca aufzufinden war.
b) Verkleinerung der Nieren, welche hiebei eine
unebene höckerige Oberfläche, narbige Einziehungen, sowie
Verwachsung der verdickten Kapsel mit der Rindenoberfläche
darboten und meist reichlich mit Fett umhüllt waren. Diese
Befunde, welche sich in 17 Fällen ergaben, waren anzutreffen
im vorgerückten Alter, bei Endocarditis, Verfettung des Herz-
fleisches, oder als Ausgang der Brightschen Erkrankung.
Einmal war die Atrophie nur auf die linke Niere beschränkt.
ec) Eine Vergrösserung der Nieren war zumeist
nur als Schwellung derselben, auf Grundlage vermehrten Blut-
gehaltes oder häufiger wegen parenchymatöser Entzündung zu
ermitteln, so bei allen fieberhaften Erkrankungen, vorzüglich
bei Peribronchitis, Phthisis pulmonum, Herzkrankheiten, Puer-
peralprocess. In einem Falle betraf die Vergrösserung nur
die rechte Niere, da die linke atrophirt war, in einem anderen
war die Vergrösserung der rechten Niere so beträchtlich, dass
dieselbe die Länge von 6” und die Breite von 4” erreichte.
Die Vergrösserung war dadurch bedingt, dass die Niere in
eine mehrfächerige Höhle verwandelt war, deren einzelne
Fächer mit einer gelbkäsigen Masse erfüllt waren.
d) Verfettende Infarete in der Rindensubstanz
liessen sich 1mal im Gefolge von Lungenphthisis nachweisen.
e) Amyloide Degeneration war in 2 Fällen von
Naturw.-med. Verein. == 19
7.250
Syphilis, nebst gleichzeitiger ähnlicher Degeneration der Leber
und Milz vorhanden.
f) Von Neubildungen fanden sich vor: &) Cysten-
bildungen 7mal; dieselben erreichten die Grösse eines
Hanfkornes, Erbse oder Haselnuss; ihr Inhalt war klare
gelbliche oder eine bräunliche, zähe, colloide Flüssigkeit.
ß) Fibrome 3mal; dieselben waren hanfkorngross entweder
in der Corticalis oder Pyramidensubstanz eingelagert. y) Tu-
berkel 3mal, in der Form blassgelblicher, stecknadelkopf-
grosser Knötchen bei secundärer miliarer Tuberculose.
g) Eine Entzündung der Schleimhaut des Nie-
renbeckens mit Ansammlung schleimig eitriger Flüssigkeit da-
selbst liess sich in 7 Fällen des Puerperalprocesses ermitteln.
Harnblase.
Abgesehen jene Fälle wo eine Ausdehnung der Harn-
blase abhängig war von einer reichlichen Ansammlung von
Harn, liess sich dieselbe fünfmal begründen durch eine Hy-
pertrophie der Prostata; hiebei waren die Blasenwandunge.ı
verdickt, hypertrophirt.
An der Blasenschleimhaut fand sich: Injection
zweimal beim Puerperalprocess, Ec chymosirung derselben
einmal bei Syphilis und einmal bei passiver Herzerweiterung,
Oedem bei Endocarditis vor.
Von Neubildungen konnte einmal Carcinom nach-
gewiesen werden, welches seinen Sitz an der hinteren Blasen-
wand, und zwar oberhalb der Einmündung der Uretheren in
die Harnblase hatte, und bis zum Scheitel der Blase nach
aufwärts reichte.
Die Vergrösserung der Prostata betraf Männer
im Alter zwischen 60 und 70 Jahren. In den fünf zur
Untersuchung vorliegenden Fällen erwies sich die Prostata
entweder gleichmässig vergrössert oder es betraf die Ver-
grösserung vorzüglich den mittleren Antheil, welcher in Form
einer Uvula in die Blasenhöhle hereinragte. In einem Falle
(bei einem 66jährigen Manne, welcher an Ischias litt) war
die Prostata zu einen Orangegrossen Tumor umgewandelt der
ae
mässig weich war, an seiner Oberfläche etwas feinhöckrig er-
schien, und am Durchschnitte einen trüben, milchigen Saft
entleerte. Derselbe drängte das Rectum nach rechts, griff
dasselbe umhüllend, einerseits auf das Kreuzbein über, und
wucherte anderseits durch das linke Foramen ischiadicum
nach aussen, hiebei einen Druck auf den Nervus ischiadicus
ausübend, dessen Scheide geröthet erschien und dessen Um-
gebung ödematös war.
Von pathologischen Zuständen des Hodens konnte
nachgewiesen werden einmal a) Ansammlung seröser
Flüssigkeit in der Scheidenhaut des Hodens, deren Wan-
dungen, sowie Oberfläche durch Bindegewebswucherungen ver-
diekt waren, b)hochgradige Atrophie des Hodens bei
einem 74jährigen Manne, und endlich c) Schwielenbil-
dung im Corpus Highmori.
Uterus.
Als Abweichungen vom Normalzustande sind zu ver-
zeichnen:
a) Eine Lageveränderung desselben; sie erschien
entweder: als @) seitliche Abweichung von der Me-
dianlinie, wegen angeborner Kürze des betreffenden Ligamen-
tum latum in sechs Fällen; zweimal nach links, viermal
nach rechts. $) als Retroflexion sechsmal, y) als Ante-
flexion einmal, und endlich d) als Elevation achtmal, im
Gefolge von Ovariencysten.
b) Veränderungen der Grösse. Eine Verkleine-
rung des Uterus in auffälliger Weise liess sich in vier Fällen
erkennen, als das Ergebniss des Altersschwundes, einmal
jedoch war die Kleinheit des Uterus in mangelhafter Ent-
wicklung begründet. Die Vergrösserung war in der Mehr-
zahl durch vorangegangene Schwangerschaft bedingt und ist
nur zweimal als Hypertophie mit Dickenzunahme der hinteren
Wand nachgewiesen worden.
c) Eine Entzündung des Peritonealüberzuges
des Uterus erschien als acute bei den später zu erwähnenden
Fällen des Puerperalprocesses, als chronishe zweimal, mit
Jig)
= 2e2 ==
Entwicklung von Pseudomembranen, welche nebst Uterus,
Tuben und Ovarien umhüllten.
d) Entztindung der Uterussubstanz, sowie
seiner Schleimhaut war nur beim Puerperalprocesse
nachweisbar
e) Eine ‘Verengerung der inneren wie äusseren
Oeffnung des Cervicalkanales fand sich einmal vor, und hatte
hiedurch der Uterus, eine Sanduhrform acquirirt.
f) In zwei Fällen waren die Venen des Plexus uterinus
beträchtlich erweitert.
g) Von Neubildungen konnten sechsmal Fibrome,
zweimal Myome bis zur Haselnussgrösse, bald in der hinteren
oder vordereren Wand sitzend, ferner zweimal Blasen-
polypen und zweimal Tuberkel der Uterusschleimhaut,
sowie zweimal kleine Cysten im Cervicalkanale ermittelt
werden.
Ovarien.
a) Kine betrachtliche Schrumpfung derselben war in
neun Fällen, als Ergebniss hohen Alters zu constatiren.
b) Eine Vergrösserung in allen Fällen des Puer-
peralprocesses, hiebei zeigte sich
c) Eechymosirung der Oberfläche der Ovarien zweimal.
d) Bluterguss in die Grafschen Follikel einmal.
e) Der Entzündung der Ovarien wird bei Abhand-
lung des Puerperalprocesses gedacht werden.
f) Von Neubildungen fand sich einmal ein erbsen-
grosses Fibrom im rechten Ovarium, siebenmal Cystenbil-
dung vor; hievon waren in zwei Fällen die im linken Ova-
rium befindlichen Cysten bis Hühnereigross. Von den übrigen
sind folgende erwähnenswerth:
a) Im rechten Ovarium eine apfelgrosse, mit Fett und
Haaren gemengte Dermoidcyste, bei einer Puerpera.
b) Eine Cystenentartung des linken Ovarium mit Tor-
sion seines Ligamentes; das betreffende Ovarium war zu einen
über 8” im: Längendurchmesser betragenden, länglichrund-
lichen Sacke verwandelt, dessen Oberfläche sich glatt er-
— 233 —
wies. Dasselbe war nach rechts hintibergelagert und in der
rechten Rippenweiche, sowie dem unteren Abschnitte der
rechten vorderen Bauchwandhälfte durch zahlreiche, aber kurze,
derbere oder zartere Pseudomembranen fixirt; an seine hintere
Fläche ist ein Theil des grossen Netzes angewachsen. Die
vordere untere Hälfte des degenerirten Ovariums erweist
sich in der Ausdehnung von 4” durch eine flachrundliche
Geschwulst verdickt, welche aus verschiedenen, grossen Hohl-
räumen besteht, die eine gallertige, bräunliche Flüssigkeit,
oder eine, von zahlreichen, glattwandigen Lücken durchsetzte,
weissliche Bindegewebsmasse enthalten. An der linken Seite
der Geschwulst lagert mit nach aufwärtsgerichtetem Fransen-
ende, die bei 6” lange in ihren Wandungen verdickte Tuba,
und zunächst derselben ein schwielig degenerirter Antheil
des Ovariums. Die Wand der Cyste ist ziemlich dick, nach
Innen glatt; den Inhalt bildete eine bräunliche Flüssigkeit.
Die Gefässe in der Cystenwand sind erweitert. Der Stiel,
der nach rechts hinübergelagerten Cyste zeigt, dass das Ova-
rium von hinten nach vorne einmal um sein Ligamentum
und die Tuba herumgedreht wurde. Die linke Uterushälfte
höher stehend.
c) Das linke Ovarium ist zu einem 9” langen und 7”
breiten, elliptischen, an seinem inneren Ende schmäleren, am
äusseren breiteren Tumor verwandelt, dessen Oberfläche ge-
lappt, uneben höckerig erscheint. Seine Consistenz ist mit
Ausnahme kleiner, oberflächlich gelagerter Cysten überall
derb. Am Durchschnitte erscheint dasselbe an der Peripherie
weisslich oder gelbröthlich, faserig oder homogen, hie und
da von kleinen hanfkorn bis haselnussgrossen, glattwandigen
Höhlen durchsetzt. Central ist eine eiförmige, ein und einen
halben Zoll lange, und einen Zoll breite, durch einspringende,
halbmondförmige Leisten getheilte, glattwandige Höhle ein-
gelagert, unterhalb welcher (gegen den Hilus des Ovariums)
der Tumor weicher wird, und die Schnittfläche mehr den
Anblick eines von grösseren und kleineren Hohlräumen durch-
setzten Maschenwerkes acquirirt; die Tuba ist verlängert.
— 234 -—
Das rechte Ovarium hiebei in eine 7” lange und 3”
breite, gelappte ähnliche Geschwulst verwandelt, welche in
der Excavatio recto-uterina lagernd mit dem degenerirten,
linken Ovarium verwachsen ist. Der Uterus verlängert, seine
Höhle verengt, sein Fundus nach vorne geneigt.
d) Das rechte Ovarium ist zu einer colossalen einkäm-
merigen Cyste verwandelt, welche die Gedärme nach links
und rückwärts, das Zwerchfell mit Verengerung der Brust-
räume bedeutend nach aufwärts drängte, und überdiess
in seiner ganzen Ausdehnung mit der Bauchwand verwachsen
war; die rechte Hälfte des vergrösserten und dichwandigeren
Uterus höherstehend.
Tuba.
Ausser der vorerwähnten Verlängerungen der Tuben
im Gefolge von cystoider Entartung der Eierstöcke, sind noch
erwähnenswerth Cystenbildungen, welche sich entweder
zunächst des Fransenendes, oder 1 bis 11,” von demselben
entfernt, vorfanden. Dieselben waren höchstens bohnengross,
und mit einem dünnen, fadenförmigen */,” langen Stiele ver-
sehen. Einmal waren die Tuben in Pseudomembranen ein-
gebettet, und einmal Cysten nachweisbar, ausgehend vom
Parovarium.
H. Knochensystem.
1. Schüdel.
Als erwähnenswerthe Anomalien am Schädel sind fol-
sende hervorzuheben.
a) Dolichocephalus, mit Verknöcherung der Pfeil-
naht, welcher entsprechend eine wulstige Hervorragung sich
vorfindet.
b) Asymetrie des Schädels durch in die Lambda-
naht eingelagerte Schaltknochen.
c) Persistenz der Stirnnaht. Zweimal.
d) Usurder inneren Schädeltafel, in Form ver-
schieden grosser, meist rundlicher, bis an die äussere Tafel
reichender, grubiger Vertiefungen, welchen entsprechend der
— 235 —
Knochen durchscheinend wurde, oder als Vertiefung und Ver-
breiterung der Furche fiir die Arteria meningea media der-
art, dass selbst die äussere Schädeltafel stellweise mehr ge-
wölbt, und auffällig verdünnt erschien.
e) Fractura cranii. Bei einem 60jährigen Tag-
löhner zeigte die Untersuchung einen Bruch des Schädels,
welcher sich vom rechten oberen Augenhöhlenrande nach ein-
wärts durch die obere Orbitalwand bis zum linken Processus
clinoideus posticus erstreckte, nach aus- und aufwärts sich
theilend bis zur Stirne und Schläfe reichte. Der rechte Ober-
kieferkörper mehrfach gebrochen, wobei ein Sprung durch
die Fossa canina, das Foramen infraorbitale, und die untere
Augenhöhlenwand sich fortsetzt. Der Jochbogen an seinem
vorderen und hinteren Ende abgebrochen.
f) Puerperales Osteophyt. In allen Fällen des
Puerperalprocesses zeigte sich die innere Schädeltafel beson-
ders der Stirn- und Seitenwandbeine mit einer zarten, leicht
abhebbaren, fein porösen Knochenneubildung bedeckt.
g) Osteome kamen zweimal zur Beobachtung, einmal
bei Phthisis, einmal bei Endocarditis. Dieselben erreichten
bis Erbsengrösse, waren deutlich an ihrer Basis halsähnlich
eingeschnürt, und von auffälliger Derbheit.
h) Syphilis eranii. Einen Zoll von der Kranznaht
entfernt, befindet sich entsprechend der Vereinigung beider
Stirnhälften ein bohnengrosser, trichterförmig gestalteter Sub-
stanzverlust im Knochen, dessen Umgebung etwas sclerosirt
erscheint. — Der Substanzverlust im Knochen war ausge-
füllt durch eine von der Dura mater und der Beinhaut her-
vorwuchernde gelbkäsige Masse. Bei einem zweiten Falle war
der Befund folgender: Der Gehirnschädel oval. Stirnnaht
vorhanden. Die Oberfläche des Schädeldaches ist uneben,
höckrig, besonders über dem rechten Stirn- und linken Sei-
tenwand-Beine woselbst sich zahlreiche grössere und kleinere,
unregelmässige, mit glatter Oberfläche versehene Vertie-
fungen oder unregelmässig verästigte sternförmige Ausgra-
bungen vorfinden, in deren Umgebung die Knochensubstanz
ag oe
verdickt ist. Unterhalb des rechten Stirnhöckers ist ein
dreieckiger, nicht ganz einen Centimeter langer, mit schar-
fen Rändern versehener, und entsprechend dem unteren
vorderen Winkel des linken Seitenwandbeines, ein rundlicher
1, Cm. langer Substanzverlust im Knochen, welche beide
nur durch die Dura mater und Narben der weichen Schädel-
decken verschlossen sind. In der nächsten Umgebung dieser
Substanzverluste ist der Knochen verdünnt, weiterhin ge-
winnt derselbe jedoch an Dicke, welche die Norm weit über-
trifft. Die Gesichtsknochen liefern trotz des Alters des
Individuums (59 Jahre) den Befund einer hochgradigen Atro-
phie, wie sie sich erst im hohen Alter ergibt; sie sind nämlich
sämmtlich verschmächtiget, verdünnt, besonders Ober- und
Unterkiefer geschwunden, die Alveolarfortsätze fehlen, das
Kinn weit vorstehend. Die Gelenksverbindung zwischen
Atlas und Hinterhaupt ist vollständig anchylosirt.
i) Von Neubildungen wurde einmal eine hasel-
nussgrosse Epulis beobachtet, welche sich vom Zahnfleische
der linken Unterkieferhälfte erhob und durch seine bräunliche
Färbung auszeichnete.
2. Wirbelsäule.
a) Luxation des Epistropheus bei einem siebzehn-
jährigen Mädchen nach Zerstörung des bändrigen Apparates
mit Compression des Rückenmarkes.
b) Anchylosis zwischen Atlas und Hinterhaupt.
c) Verkrümmung der Wirbelsäule erschien als
bogenförmige nach rückwärts, mässigen Grades, im hohen
Alter; hingegen waren seitliche Verkrümmungen häufiger zu
constatiren, obgleich dieselben keinen besonders: hohen Grad
erreichten; in der Mehrzahl waren dieselben beim weiblichen
Geschlechte nachweisbar, und entweder durch asymetrische
Beckenformen oder Rachitis bedingt. Hochgradige seitliche
Verkrümmung combinirt gleichzeitig mit Krümmung der Wir-
belsäule nach rückwärts ergab sich in zwei Fällen in welch
beiden, namentlich dem einen, eine bedeutende Verengerung
des Beckens sich vorfand. Die beiden erwähnten Fälle be-
— 237 —
treffen Gebärende und musste bei einer derselben wegen
Beckenenge die Sectio caesarea vorgenommen werden.
3. Brustkorb.
Als bemerkenswerthe Veränderungen sind einerseits die
Misstaltungen desselben bei den hochgradigen Verkrümmungen
der Wirbelsäule, ferner die langen schmalen Thoraces der
Phthisiker anzuführen. Besonderes Interesse bot der Befund
eines bejahrten Mannes, dessen Brustbein sich, seinem Kör-
per entsprechend, beträchtlich verdickt, und schwach S-förmig
verkrümmt zeigte.
4. Becken.
Die meisten der anzuführenden Anomalien gehören dem
weiblichen Geschlechte an, und sind Gebärenden entnommen.
a) Niedriges Becken mit weitem Schambogen; Becken-
eingang kartenherzförmig, starkes Hereinragen des Promon-
torinms, der rechte Kreuzbeinflügel ist mehr vorgeschoben ;
die Symphysis ossium pubis um 1” aus der Mittellinie nach
links verschoben. Die Durchmesser am Beck eneingange
sind verkürzt. Die Conjugata misst 3Y,”, der Querdurch-
messer 4!/”, der rechte schräge Durchmesser 4Y,”, der
linke 41/,”. — Im Beckencavum beträgt der gerade Durch-
messer 4” 1”’, dem Beckenausgange 4” 4’”, der Querdurch-
messer nicht ganz 4”,
b) Schiefes Becken. Verkrümmung der Lenden-
wirbelsäule nach rechts. Linke Beckenhälfte höher stehend.
Torsion des Kreuzbeins nach vorne rechts. Starkes Herein-
ragen des Promontorium, die linke Beckenhälfte weniger in-
clinirt. Der rechte Kreuzbeinflügel 1” 2”, der linke 1” 7”.
Durchmesser am Beckeneingange: Conjugata 31%”,
Querdurchmesser 4°%,”, die schrägen 4%,”. Im Beckencavum
der gerade Durchmesser 4” 8”. Am Beckenausgang 4”
3”, Querdurchmesser 4” 1’’”. Der Kanal des Kreuzbeines
wegen Mangel der Wirbelbogen nach hinten offen.
c) Schiefes weites Becken. Lordotische Krüm-
mung der Lendenwirbelsäule. Die rechte Beckenhälfte höher
stehend; weiter Schambogen, Symphysis ossium pubis aus
— 238 —
der Mittellinie nach links verschoben, Beckeneingang querel-
liptisch. Der rechte Kreuzbeinfliigel 11/,”, der linke 2”.
Synchondrosis sacro iliaca knorpelig. Durchmesser am Becken-
eingange: Conjugata 3°%/,”, Querdurchmesser 5’ i1’”’, der
rechte schräge 5” 7’, der linke 5” 3”. In der Becken-
höhle. der gerade Durchmesser 4” 7’’, Beckenausgang 4” 4",
d) Symetrisches Becken. Beckeneingang ent-
sprechend der Conjugata elliptisch. Durchmesser im Becken-
eingang: Conjugata 41,” Querdurchmesser 4”, die schrägen
A” 3”. In der Beckenhöhle gerader Durchmesser 4” 9”.
Beckenausgang 4” 4”. (Querdurchmesser im Beckenraum
4” 1", Beckenausgang 3°%,”. Es sind die geraden Durch-
messer alle verlängert, die queren hingegen verkürzt.
e) Niedriges Becken. Eingang kartenherzförmig, die
queren und schrägen Durchmesser verkürzt. Conjugata am
Beckeneingange 4”. Querdurchmesser 4” 9”’, der rechte
schräge 4” 9”, der linke 4” 6”. Im Beckencavum der ge-
rade Durchmesser 4” 3/”, der Querdurchmesser 4” 7”,
Beckenausgang und gerader Durchmesser 4” 1’””, der quere
Aft SR |
f) Niedriges Becken. Sämmtliche Durchmesser ver-
grössert. Beckeneingang Conjugata 4” 6”’, Querdurchmesser
51”, der rechte schräge 5” 2’, der linke 5” 3”, Im
Beckencavum der gerade Durchmesser 4’ 9”, der quere
5” 4”, Beckenansgang gerader Durchmesser 4” 9’, der
quere 41/,”.
g) Schiefes Becken. Die linke kleinere Hälfte steht
höher, die Symphysis ossium pubis ist nach rechts verscho-
ben, der Beckeneingang. erscheint querelliptisch; aie rechte
Hälfte ist mehr inclinirt. Beckeneingang: die Conjugata 3”
1°, Querdurchmesser 5“ 3’, rechter schräger 4‘ 11°,
linker 5‘ 3°. Der Abstand der linken Pfanne vom Pro-
montorium 3° 3°, jener, der rechten Pfanne 3° 8°; der
gerade Durchmesser in der Beckenhöhle 4' 4‘, am Becken-
ausgang 3//,‘’,, der Querdurchmesser in Beckencavum 5‘
2‘, am Ausgang 4° 4°. Es ist also die Conjugata und
u a
der rechte schräge Durchmesser verkürzt, der Querdurchi-
messer, linke schräge und rechte 'Stenochorde verlängert;
hiebei der rechte Oberschenkelknochen 3‘ unterhalb des
grossen Trochanters verdiekt und nach vorne und aussen
gebogen, um 3 Mm. verkürzt.
h) Schiefes und enges Becken. Eingang nieren-
förmig, linke Beckenhälfte höher stehend, rechtes Darmbein
weiter nach aussen gerichtet, grösser; der linke Sitzknorren
mehr herausgezerrt. Flacher Schambogen. Krümmung der
Lendenwirbelsäule nach vorne und links. Im Beckeneingange
Conjugata 2° 2°, Querdurchmesser 4‘ 2’, rechter schräger
4‘, linker 4° 2°. Abstand der Pfanne vom Promontorium
links 1° 8’, rechts 2’ 2“. Im Beckencavum gerader
Durchmesser 3° 3’, am Ausgang 4’ starkes Zurückweichen
des Kreuzbeinendes. @Querdurchmesser in der Beckenhöhle
4 2%, Ausgang 4’ 1°, der linke Kreuzbeinflügel i‘
breit, der rechte 1’ 4‘ (Sectio caesarea.)
i) Geheilter Bruch der rechten Beckenhälfte.
Von der rechten Beckenhälfte ist ein, die Spina anterior
superior et inferior, den oberen Pfannentheil, und ein Stück
des horizontalen Schambeinastes enthaltender 4/,‘ langer,
dem Darmbeine entsprechend 2° breiter, an Letzterem. win-
kelig geformter Knochenantheil abgebrochen ; derselbe : ist
nach ein- und aufwärts gerückt, mehr horizontal‘ gestellt,
und mit seinem, dem Darmbeine entsprechenden Antheile,
über die innere Fläche des hinteren Darmbeinantheiles. hin-
übergeschoben und daselbst, sowie das vordere Ende mit dem
horizontalen Schambeinaste durch compacte Knochenmasse
vereinigt. Nur das’obere Pfannenstück bleibt von dem unte-
ren, durch eine 2" lange und 1'/,‘‘ breite klaffende ‚Lücke
getrennt, welche durch derbe, schwielige Bindegewebsmasse
verschlossei ist. Die von der Pfanne gebildeten Begränzungs-
ränder der erwähnten Lücke sind üunregelmässig zackig.
Durch die oberwähnte Dislocation des abgebrochenen Kno-
chenstückes erscheint die innere Fläche des rechten Darm-
beines, in ihrem ‘vorderen Antheile der Concavitaet verlustig,
— 240 —
vielmehr mit einem flach-convexen nach hinten etwas spitz
auslaufenden Knochenwulste bedeckt, dessen Oberfläche glatt,
und nur an den Rändern stellenweise porös erscheint. Der
gegen die Beckenhöhle gewendete freie Rand desselben, wel-
cher die Linea arcuata vertritt, und von der Synchondrosis
sacro iliaca dextra in ziemlich gerader Richtuug zum Tuber-
culum pubicum dextrum zieht, ist theilweise abgerundet, theil-
weise mit stumpf konischen, vorspringenden Knochenzacken
versehen. Die äussere Darmbeinfläche zeigt deutlich in ihrem
vorderen unteren Abschnitte das nach Aufwärtsgedrängt-
sein des abgebrochenen Knochenstückes, sowie eine Ver-
dickung und theilweise Abrundung oder zackige Knochen-
bildung der einstigen Bruchfläche. Der Rest der Gelenks-
pfanne erscheint vergrössert, um ‘/,‘’ nach einwärts gedrängt,
und durch Verknöcherung des Limbus cartilagineus und
Wucherung des Pfannenrandes bedeutend vertieft. Durch die
erwähnten Veränderungen erfahren der Beckeneingang, sowie
die Beckendurchmesser wesentliche Abweichungen. Ersterer
zeigt, wegen Hereinragen des verschobenen Knochenstückes
eine asymetrische Form, da die gekrümmte Linie dieser Seite
durch eine gerade verlaufende ersetzt wird; bezüglich der
Durchmesser ergibt sich eine Verkürzung des queren am
Beckeneingange um %/,‘’, in der Beckenhöhle um !/,‘', ebenso
ist der linke schräge Durchmesser verkürzt.
k) Osteomalacisches Becken mit schnabelförmig
vorspringender Symphysis ossium pubis, Einbiegung der hori-
zontalen Schambeinäste, Näherung der Pfannen, mehr senk-
rechter Stellung der Darmbeinkämme, deren innere Lamelle
geknickt erscheint. Die Knochen sind auffällig weich und
biegsam. (45 Jahre alte Pfründnerin, gestorben an Lungen-
und Darm-Phthise. )
3. Extremitäten.
Von den Abweichungen, die sich an den Extremitäten
vorfanden, sind erwähnenswerth:
a) Verkrümmungen. Hieher sind zu beziehen: der
SO
sub 4. g) erwähnte Fall der Verkrümmung der oberen Hälfte
des rechten Oberschenkels; ferner nachstehender Befund:
Die Oberschenkelknochen sind bedeutend verkürzt; der
rechte 81/2”, der linke 9” lang; sie sind plump, der rechte
mehr gleichmässig rund, der linke gekrümmt. Die beiden
Schenkelköpfe stehen unterhalb des Niveau des grossen Tro-
chanters, ihr Hals ist kurz und unter einem rechten Winkel
mit dem Trochanter vereinigt. Die Condylen sind. auffällig
niedrig, aber verbreitert, beide fast gleich hoch, die Fossa
der Patella demgemäss gleichfalls sehr niedrig; die Fossa
poplitea ist enge und tief. Das untere Gelenksende beider
Oberschenkelknochen hat noch insoferne eine abnorme Stellung,
als der äussere Condylus nach hinten, der innere nach vorne,
die Fossa der Patella nach aussen, die Fossa poplitea nach
innen gewendet ist, oder bei normaler Stellung der Condylen,
der grosse Trochanter nach vorne, der Gelenkskopf nach
rückwärts gekehrt erscheint; hiebei macht sich am Mittel-
stücke des Knochens durchaus keine Drehung desselben be-
merkbar; nur ist eben die Linea aspera femoris bei normaler
Stellung der Gelenksköpfe zur Pfanne nicht an der Rückseite
des Knochens aufzufinden, sondern ist dieselbe nach einwärts
gerückt. Die Tuberositas Condyli interni ist beiderseits stark
entwickelt. Ein Halbirungsschnitt des Knochens zeigt die
Rindenschichte an der Vorderseite des Knochens, im Mittel-
stücke 4 Mm., an der Rückseite 7 Mm. dick sclerosirt. Die
betreffenden Unterschenkelknochen sind seitlich, schwach S-för-
mig gekrümmt, die rechten 25”, die linken 251/2” lang. Die
Füsse sind klein, wegen veränderter Stellung der Kniegelenke
(nach aussen) stark auswärts gerichtet. Es ergibt sich hieraus
ein bedeutendes Missverhältniss zwischen Ober- und Unter-
schenkelknochen (8—9” zu 25”); ferner findet auch durch
die veränderte Richtung der Kniegelenke der eigenthümlich
watschelnde Gang seine Erklärung, zu welchem wohl auch
die Kleinheit und geringe Vertiefung der Hüftgelenkspfanne
beigetragen haben mag. Zu berücksichtigen ist endlich auch
noch die geringe Körperentwicklung. Die betreffende Person
— 242 —
(Magd, 22 Jahre) mass nur 46”. Das Becken zeigte sich
beträchtlich verengt (siehe 4. h) und musste desshalb wie
erwähnt die Sectio caesarea vorgenommen werden.
b) Von Fracturen sind zu bemerken: ein complicirter
Bruch des rechten Oberschenkelknochens, sowie ein geheilter
‚Bruch der rechten Tibia.
c) Hyperostosis liess sich ermitteln zweimal an der
Tibia, welche durch Knochenauflagerungen beträchtlich ver-
dickt, abgerundet, plump mit rauher Oberfläche versehen er-
schien; 1mal fand sich ein ähnlicher Befund an den oberen Ex-
tremitätknochen vor. Bedingt waren jene Veränderungen durch
Syphilis.
6. Gelenke.
Die Gelenkserkrankungen bestanden in:
a) Hygroma cysticum praepatellare. Es wurden
zwei derartige Fälle beobachtet, in welchen über dem rechten
Kniegelenke eine flachrundliche, von verdickter Haut bedeckte,
über wallnussgrosse Geschwulst sich vorfand, die sich als
Cystendegeneration des praepatellaren Schleimbeutels erwies.
Die Wandungen der Cyste erschienen bei 5 Mm. dick, ihre
Innenfläche mit zottigen Wucherungen versehen, deren ein-
zelne mit ziemlich langen, dünnen Stielen versehen waren.
Den Inhalt bildete eine wasserhelle, fadenziehende, in einem
Falle mit freien Körpern gemengte Flüssigkeit.
b) Luxation. Hievon kamen zwei Fälle zur Unter-
suchung. Der eine betraf einen 7ljährigen Mann, der: an
Pneumonie starb und an dessen linkem Schultergelenke sich
die Erscheinungen früher bestandener Luxation vorfanden; die
Gelenkskapsel zeigte nach vorne und unten eine über 1”
lange, mehr spaltförmige, mit verdickten Rändern versehene
Oeffnung, einstiger Riss der Kapselwand, durch welche man
in eine kleine Höhle gelangte, deren Wandungen glatt, an
einer Stelle Knochenneubildungen einschlossen. Der zweite
Fall war eine Subluxation der grossen Zehe. Dieselbe war
in schräger Richtung über die zweite und dritte Zehe herüber-
gelagert; die erste Phalanx derselben war über den inneren
Se
Rand des Capitulums des betreffenden Metatarsusknochens
nach einwärts verschoben, und ihre Gelenksfläche der schiefen
Stellung entsprechend abgeschliffen. Die innere Seite des
Gelenksendes des Metatarsusknochens der grossen Zehe war
durch eine Knochenneubildung, entsprechend dem hervorra-
gendsten Punkte, unförmlich verdickt.
c) Resection der Gelenksenden des Ellbogenge-
lenkes kam Imal zur Beobachtung.
d) Acute Gelenksentzündung fand sich Imal im
Gefolge des Typhus vor und hatte dieselbe Ellbogen und
Kniegelenke ergriffen.
e) Chronische Entzündung der Gelenke. Die-
selbe betraf die verschiedeusten Gelenke; so wurden in einem
Falle fast sämmtliche Gelenke, selbst jene der Fingerglieder
mit den Erscheinungen der chronischen Entzündung behaftet
angetroffen; die Gelenkskapsel war verdickt, desgleichen die
Synovialmembran, welche namentlich an den kleineren Ge-
lenken sich schiefergrau gefärbt zeigte; hie und da war es
zu membranösen Verbindungen der Gelenksenden gekommen.
Häufiger waren die Befunde der Arthritis chronica deformans
im Knie-, besonders Hüftgelenke. Hiebei waren wesentliche
Missstaltungen des Gelenkkopfes durch Abplattung und Kno-
chenwucherung, Usur des Knorpels, zottige Wucherung der
Synovialmembran oft in sehr beträchtlicher Menge, sowie’ freie
Körper von über Taubeneigrösse nachweisbar.
I. Muskelsystem.
Als pathologische Zustände im Muskelsystem kamen nur
Entzündungsprocesse zum Nachweise, und zwar als acute
6mal. 5 hievon entfallen auf Puerperalprocesse, der sechste
betraf einen 15jährigen Fleischerjungen, welcher nach erfalg-
tem Sturze an Lungenentzündung starb. Bei demselben zeigte
sich der linke Psoasmuskel in seiner ganzen Ausdehnung ge-
schwellt, erbleicht und seine Muskelbündel durch Eiter aus-
einandergedrängt, welcher selbst stellenweise in unregelmässig
begrenzten Hohlräumen eingeschlossen erschien.
— 244 —
Zu den chronischen Entzündungsformen ist jener Fall
hinzuzurechnen, bei welchem nächst der Verdickung des Pe-
ritoneums ausgedehnte Schwielenbildung in der Bauchmusku--
latur nachweisbar. /
KX. Puerperalprocess.
Von puerperalen Erkrankungen sind 30 Falle zu ver-
zeichnen, welche am häufigsten in den Monaten Februar und
März zur Beobachtung kamen, und Frauenspersonen im Alter
zwischen 20 und 30 Jahren betrafen.
Bei Allen liessen sich an der inneren Schädeltafel der
Stirn und Seitenwandbeine zarte, leicht ablösbare, bald mehr,
bald weniger blutreiche, blassviolette, fein poröse oder schwam-
mige Osteophyten nachweisen, und erschien dem entsprechead
die äussere Fläche der Dura mater mit einer zarten vascu-
larisirten oder gallertigen Bindgewebsschichte bekleidet.
Das Gehirn und seine Häute erwiesen sich in mässigem
Grade hyperämisch.
Die Brusträume waren meist; durch hohen Zwerchfells-
stand, wegen Ausdehnung der Bauchhöhle, von unten her
verengt, in 10 Fällen eitriges Exsudat daselbst angesammelt;
hiebei war das Rippen- und Lungenfell mit einer fibrinösen
Exsudatschichte bekleidet. Die; Menge des Exsudates ge-
wöhnlich keine sehr beträchtliche. Die hinteren Antheile der
unteren Lungenlappen boten das Bild der hypostatischen Hy-
perämie; nur imal war Pneumonie zugegen.
Das Herzfleisch erschien regelmässig erschlafft, von fahler
bräunlicher Farbe. die Ventrikel mit dunklem flüssigen oder
gestockten Blute erfüllt. Einmal liess sich Insufficienz der
zweizipflichen und Aorten-Klappen mit Stenose der Ostien
ermitteln. Die Entzündung des Bauchfelles mit eitrigem Ex-
sudate, welche sich in 22 Fällen constatiren liess, verbreitete
sich entweder über das ganze Bauchfell oder war beschränkt
auf die Umgebung, des Uterus. Das Peritoneum erschien
hiebei blassroth injicirt, die ausgedehnten Dünndarmschlingen
durch Exsudat mit einander verklebt.
— 245 —
Die Leber zeigte sich regelmässig erschlafft, von ocker-
gelber Farbe und enthielt Imal einen kleinen Tumor caver-
nosus. Die Milz war geschwellt, blutreich, 1mal mit einem
gelbröthlichen keilförmigen Infarcte versehen.
In den meist ausgedehnten und mit gallig gefärbter
Flüssigkeit oder Schleim erfüllten Magen war 1mal Erwei-
chung seines Grundes, imal hämorrhagische Errosionen zu-
gegen, und bildete in diesen Fällen eine schwarzbräunliche
Flüssigkeit oder bräunlich gestriemter Schleim den Magen-
inhalt.
Die Schleimhaut der Gedärme, welche sich zumeist etwas
geschwellt, aber bleich zeigte, war in einem Falle mit crou-
pösem Exsudate im Dünndarme, 1mal mit diphtheritischen
Schorfen im Dickdarme versehen.
Fast in jeder Puerpera-Leiche waren im Dünndarme, oft
bis zu 12, Ascaris lumbricoides, im Dickdarme zahlreiche
Trichocephali aufzufinden.
Die Nieren waren vergrössert durch Schwellung der
Rinde, welche schlaffer und bleicher erschien, beim Durch-
schneiden einen trüben Saft entleerte und oberflächlich deut-
lich die erweiterten Harnkanälchen als weissgelbliche netz-
förmige Zeichnungen erkennen liess. In einem Falle war
die Rinde hyperämisch und von kleinen Eiterherden durch-
setzt; Imal enthielt dieselbe ein kleines Fibrom. In 7 Fällen
erschien die Schleimhaut des Nierenbeckens geröthet und ge-
schwellt, letzteres mit trüb eitriger Flüssigkeit erfüllt. Die
Harnblasenschleimhaut war in vier Fällen catarrhalisch ge-
schwellt und geröthet.
In allen untersuchten Fällen war der Uterus nahezu
kindskopfgross; seine Wandungen bei %,” dick, meist schlaf,
blassröthlich gefärbt, von erweiterten Gefässen durchzogen.
Seine Innenfläche zeigte sich missfärbig, mit zerfallenden De-
ciduaresten bekleidet, in Form eines Breies leicht abstreifbar.
Die angrenzende Muskelsubstanz blutig imbibirt oder blass.
In 3 Fällen konnten in der Uterussubstanz Eiterherde nach-
gewiesen werden.
Naturw.-med. Verein. 20
— 246 —
Die Placentarinsertionsstelle war in 3 Fallen an der
vorderen Uteruswand, imal hatte dieselbe einen tieferen Sitz
an der hinteren Wand.
Entzündung und Thrombose der Lymphgefässe des
Uterus vervollständigte m 20 Fällen den puerperalen Befund.
Diphtheritis der Vaginalportion des Uterus, sowie der
Vaginalschleimhaut fand sich 1mal vor; ebenso wurde 1mal
ein puerperales Geschwür am Scheideneingange nachgewiesen.
Von Neubildungen wurden 3mal Fibrome bis zu Nuss-
grösse aufgefunden, welche sich etwas geröthet und succu-
lenter als gewöhnlich zeigten.
Die Ovarien waren stets vergrössert, ihre Oberfläche
geröthet, ihr Parenchym saftiger, in der Nähe des Hilus oft
von Eiterherden durchsetzt; das betreffende Schwangerschafts-
Corpus luteum war überwiegend im rechten Ovarium anzu-
treffen. In einem Falle waren im linken Ovarium mehrere
kleine rundliche, mit klarem Serum erfüllte Cysten. Ein
andermal war das rechte Ovarium vergrössert, eine kleinapfel-
grosse rundliche Cyste enthaltend, welche mit einem gelb-
lichen, starren, von feinen hellbraunen Haaren durchsetzten
Fette erfüllt war. Die Cystenwandungen zeigten verschieden
grosse Inseln von Hautneubildungen (Dermoideyste). Ver-
eiterung der Lymphdrüsen längs der Lendenwirbelsäule wurde
3mal, Abscesse in den Muskeln 5mal beobachtet, und zwar:
a) in den Muskeln unterhalb des rechten Kniegelenkes, b) in
beiden oberen Extremitäten (den Pronatoren), c) in der
Beckenmuskulatur und den oberen Extremitäten, d) in den
Muskeln des rechten Oberschenkels, e) an verschiedenen
Körperstellen.
Decubitus fand sich vor: 1mal über den Trochanteren
und Kreuzbein, imal nebstdem noch über den Dornfortsätzen
der Wirbel und über den Schultern.
Von besonderem Interesse waren die Abweichungen,
welche sich am Becken ermitteln liessen. Fast in allen unter-
suchten Fällen war eine Abweichung vom Normalzustande,
in bald grösserem, bald geringerem Grade erkennbar. Ent-
— 241 —
L)
weder waren die Beckendurchmesser alle verkürzt oder ver-
längert, oder es machte sich diess Verhältniss, und zwar
überwiegend, nur für einzelne derselben geltend. Es erschienen
demnach die Beckenformen symmetrisch oder asymmetrisch.
Der Beckeneingang war entweder herzförmig oder im Längs-
oder Querdurchmesser elliptisch. Die Beckenformen näherten
sich umsomehr den rhachitischen, als dieselben überdiess in
vielen Fällen auffällig niedrig, mit erweitertem Schambogen
versehen waren. Sehr häufig zeigte sich die Symphysis ossium
pubis aus der Mittellinie nach links abweichend; der rechte
Kreuzbeinflügel oft um 4” kürzer als der linke, ohne dass
eine Verknöcherung der Synchondrosis sacro-iliaca vorhanden
war. Das Promontorium sprang in vielen Fällen stark vor,
und zeigte. die Wirbelsäule oft eine schwache, seitliche
Verkrümmung. In einzelnen Fällen wurden auffällig breite
Lendenwirbel beobachtet. Eine bedeutende seitliche Ver-
krümmung der Wirbelsäule, ist nur für zwei Fälle zu ver-
zeichnen, ebenso ist bemerkenswerth ein Fall mit ausgezeichnet
schiefen Becken, bei welchem eine Verkürzung des rechten
Oberschenkelknochens constatirt werden konnte, die durch
eine Krümmung des oberen Antheiles desselben (geheilte In-
fraction) bedingt war, während alle übrigen Knochen das
normale Verhalten zeigten, ferner ein Fall mit bedeutender
Beckenenge.
Eine übersichtliche Zusammenstellung der verschiedenen
Abweichungen der Beckendurchmesser ergibt Folgendes:
Conjungata Querdurchmesser rechter schräger linker schräger D.
ag u Au Duss Du On 4" Dans
3" Bi 4 1109 4“ (De 4“ (1000
3" dou Alt afc 4" add A 4
ae a {Ua ye 6“ AS Qi 5M
IL 94 Ae 10° As Au Add nu
3 gil 4" 91 4“ eee un Qua
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4“ 54 sin 5M 1 ak 4'' 6
Aug 2 54 nu 5M Bid 1
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SOAR a=
Conjugata Querdurchmesser rechter schräger linker schräger D.
4" Bild 4“ Ze Au yee A nu
4" Bil 4” 10° 4" 6 4" 9144
4. uud Id OU 54 1 Arch 11‘
4“ 6‘ 54 11000 5 4° 94
4'' gu 59 4" git 4“ gis
Erwähnenswerth ist noch der Befund einer 22jährigen
Magd, bei welcher wegen bedeutender Beckenenge die Sectio
caesarea vorgenommen werden musste. Die ganze Körper-
länge derselben mass 46°. Die Oberschenkel waren auffäl-
lig verkürzt, die Knie nach aussen gerichtet. Beckendurch-
messer: Conjugata 2’ 2‘, Querdurchmesser 4‘ 2°, rechter
schräger 3° 9‘, linker 4‘ 2“. Die Veränderungen an
den Oberschenkel- und Unterschenkel-Knochen, sind im Kapitel
Knochen sub a erwähnt.
L. Septicaemie.
Die Fälle von Septicaemie ergaben nachstehende Ver-
änderungen: Icterische Färbung der Haut, Blasenbildung der
Epidermis (bei einem complicirten Knochenbruche) oder Blut-
austritt in das Unterhautzellgewebe, einmal eitrige Pleuritis
ferner Ansammlung misfärbigen, röthlichen Serums in den Brust-
räumen. Die Lungen zeigten Hypostasen in den hinteren
Antheilen der Unterlappen, einmal Infarctbildung. Das Herz
enthielt dunkelrothes, meist flüssiges fibrinarmes Blut; einmal
erschien dasselbe theerähnlich eingedickt. Entzündung des
Bauchfelles ergab sich einmal im Verein mit gleichzeitiger
Pleuritis. Die Milz war jedesmal geschwellt und auffällig
weich. Vereiterung der Lymphdrüsen konnte einmal con-
statirt werden.
M. Syphilis.
An der allgemeinen Decke fanden sich entweder Narben
vor, oder es zeigte, wie in emem Falle, am Halse und den
oberen Extremitäten, die Haut sich braunroth, diffus oder um-
— 249 —
schrieben gefleckt, mit bräunlichen Borcken bedeckt, zwischen
welchen die Epidermis sich kleienähnlich abschilferte. Am
Vorderarme war inmitte der so veränderten Hautstellen, noch
normale Haut eingeschlossen, die Ränder der bräunlichgefärbten
nnd mit Borcken bedeckten Parthien in weissliche Narben
übergehend. Die Schleimhäute ergaben zunächst an den
Genitalien Narbenbildung, einmal einen Defect des weichen
Gaumens, und einmal Geschwürsbildung am Kehldeckel und
den Stimmbändern. In Betreff des Knochensystems war
in zwei Fällen Zerstörung der Schädelknochen nachweisbar,
in welchen der vorhandene Defect durch die verdickte Dura
mater und Beinhaut verschlossen wurde. Einmal fanden sich
ähnliche Zerstörungen an der Clavicula und den beiden
Schulterblättern vor. Meist waren die langen Röhrenknochen,
besonders die Tibia durch Knochenneubildung verdickt, un-
förmlich plump geworden. Einmal jedoch war das Brustbein
in ähnlicher Weise verändert. Veränderungen in den Ge-
lenken liess sich nur in einem Falle nachweisen, in welchen
fast sämmtliche Gelenke Entzündungserscheinungen, Usur des
Knorpels darbothen. In den inneren Organen konnte
einmal der Befund von Gliomen im Gehirn ermittel werden,
welche zur Haemorrhagie, und sofort zum Tode führten,
ferner einmal abnorme Lappung der Leber, endlich amyloide
Degeneration der Leber, Milz und Nieren. Eiu Fall war
besonders ausgezeichnet durch die Entwicklung eines vor-
zeitigen Marasmus, Als Complicationen ergaben sich Lungen-
phthise, Pneumonie, Verdickung der Herzklappen, sowie der In-
nenhaut der Aorta, Uterusfibrom und tiefe Lage der Nieren.
N. Carcinoma.
Von den 8 untersuchten Fällen von Carcinom betreffen
3 die Speiseröhre, je 1 den Magen, Leber, Trachea. Harn-
blase und die Sexualorgane. Der Speiseröhrenkrebs
führte Imal zum Durchbruch in den linken Bronchus und
war lmal combinirt mit Magenkrebs, ferner mit Carcinom
— 250 —
der Leber, Lunge, Pleura, Peritoneum und Mesenterialdriisen.
Der Krebs der Trachea, welcher ebenfalls auf den
Bronchus übergriff, bedingte hiedurch eine Verengerung des-
selben; der Harnblasenkrebs ist bemerkenswerth wegen
seines Sitzes an der hintern Blasenwand; der Krebs der
Leber war ausser den vorerwähnten Fallen Imal als se-
cundärer zu beobachten nach Amputation einer krebsig ent-
arteten Brustdrüse; als Krebs der Sexualorgane ist
zu erwähnen eine krebsige Entartung des Uterus, welche
denselben jedoch nicht, wie gewöhnlich, nur an der Vaginal-
portion befallen hatte, sondern den ganzen Uterus gleichmässig
betraf. Wie schon früher bei den einzelnen Organen erwähnt,
waren nebst diesen primären Erkrankungsherden noch secun-
dare nachweisbar, und konnte demgemäss Carcinom noch
nachgewiesen werden in der Schilddrüse, Pleura, Lunge,
Peritoneum und den Lymphdrüsen.
0. Sarcom.
Hievon sind 3 Eälle zu verzeichnen.
a) Osteosarcoma centralis des Oberkiefers.
Beide Gesichtshälften,, besonders die linke, sind beträchtlich
verdickt und hiedurch eine Verzerrung des linken, gleich-
zeitig nach vorne gedrängten Nasenflügels veranlasst; rechter-
seits hingegen findet sich ausser der Anschwellung der Wange
noch eine zwischen dem inneren Augenwinkel und Nasen-
wurzel: gelegene, bis zum Nasenflügel dieser Seite herabrei-
chende- flache, Anschwellung vor, durch welche der rechte,
scheinbar tiefer stehende Bulbus nach aussen gedrängt wird.
Die beiden Wangen fühlen sich derb an, und ist über den-
selben die äusserlich unveränderte’Haut innig fixirt. In der
rechten Parotisgegegend zeigt, sich, eine 35°” lange, 2™™ breite
Schnittwunde, ‚von welcher aus man bei 5™™.in\ die Tiefe
gelangt. Die. Anschwellung des Gesichtes ist bedingt, durch,
eine in der Flügelgaumengrube Jagernde,: linkerseits ; Orange:
grosse, derbe, weissliche, nach aussen ‚deutlich begrenzte und
— 251 —
von einer bindegewebigen Hiille umfasste Neubildung, welche
auf der Schnittfläche deutlich fasrig oder feinlückig erscheint,
und sich von feinen kleinen Knochenantheilen durchsetzt zeigt.
Die erwähnte Aftermasse greift nach vorne in den Ober-
kieferkörper über, denselben vollständig substituirend, und
schliesst dem entsprechend auch den letzten Backenzahn ein;
nach einwärts dringt dieselbe in den unteren Nasengang ein
und verengert denselben theils durch Wulstung der degene-
rirten Schleimhaut, theils durch Entwicklung eines etwa kirsch-
grossen rundlichen Tumors, dessen Oberfläche feinhöckerig
ist. An der unteren Fläche des Keilbeinkörpers vereinigt
sich die Geschwulstmasse mit jener der anderen Seite, welche
weniger entwickelt ist, jedoch gleichfalls in ähnlicher Form
in den unteren Nasengang hereindrängt, nach aufwärts das
Siebbein durchbricht und zur rechten Seite der Crista galli
unterhalb der Dura mater in Form kleiner weicher Tumoren
zu Tage tritt; von hier aus dringt sie in die Augenhöhle,
den Bulbus, wie erwähnt, nach aussen drängend, und wuchert
andererseits an der rechten Seite des Keilbeinkörpers mit
kleinen, hanfkorngrossen, rundlichen, weichen Tumoren in die
rechte mittlere Schädelgrube die Dura mater durchbrechend,
welche daselbst, sowie in der vorderen Grube mit einer rost-
braun pigmentirten Pseudomembran bedeckt ist.
b) Epulis an der linken Unterkieferhälfte. (H, i,)
c) Lymphosarcoma in der rechten Achselgegend.
Bei einem 71jahrigen Taglöhner, welcher an Pneumonie ver-
starb, fand sich eine von der rechten Achselhöhle bis zur
Tten Rippe herabreichende, uneben höckrige, von unverän-
derter Haut bedeckte, mässig weiche, weissliche, beim Durch-
schneiden einen milchigen Saft entleerende Aftermasse vor.
P. Tuberculosis.
Die mit Tuberculose Behafteten gehörten dem jüngeren
oder mittleren Lebensalter an; in allen Fällen war dieselbe
als secundäre zu betrachten, indem sie sich zu bestehenden
— 22 —
käsigen Herden hinzugesellte; als solche ergaben sich am
häufigsten verkäsende pneumonische Herde, oder Verkäsung
des Bronchialinhaltes, der Bronchialdrüsen, der Drüsen des
Darmkanales und Mesenteriums. Die miliaren Knötchen wur-
den nachgewiesen in den Meningen, Larynx, Trachea, Pleura.
Lunge, Peritoneum, Leber, Milz, Nieren und Uterus-
schleimhaut.
Bericht
über die medicinische Klinik in Innsbruck im Solar-
Jahre 1871
von
Dr. Th. Kölle, klinischem Assistenten.
—
Ich erstatte hiemit einen kurzen Bericht über die an der
Klinik im Laufe des Jahres 1871 entlassenen Kranken,
hauptsächlich um einen Einblick in die sanitären Verhältnisse
Innsbrucks zu eröffnen, soweit sich derselbe aus der Ueber-
sicht einer kleineren Krankenanstalt überhaupt entnehmen
lässt.
Innsbruck ist unter den Landeshauptstädten Oesterreichs
im letzten Decennium mit der geringsten Sterblichkeitsziffer
bezeichnet, und es ist meines Wissens über das Vorkommen
epidemischer Krankheiten hierorts noch keine öffentliche Mit-
theilung erfolgt. Eigenthümlich ist unter den klimatischen
Verhältnissen vor Allem das Vorkommen des Föhn, ohne
dass demselben hervorragende Einwirkungen zuzuschreiben
wären. Die Grundwasserschwankungen sind leider nicht be-
kannt, da die Stadt ihr Trinkwasser durch Leitungen aus
dem Gebirge bezieht. Canalisation existirt für das Spül-
— 254 —
wasser, während die für die Excremente bestimmten Senk-
gruben nur wenige Male des Jahres entleert werden.
Behandelt wurden an der medieinischen Klinik im Jahre
1871 595 Personen mit einem Mortalitätspercent von 13:5.
Typhus liefert im Vergleich mit ähnlich grossen Alpen-
städten nur wenig Material. Im Jahre 1868 waren nur
15 Fälle, kein Todesfall; 1869 18 Fälle, 1 Todesfall; 1870
13, 1 Todesfall; 1871 11, 1 Todesfall, somit in den letzten
4 Jahren nur 57 Fälle mit dem Mortalitätspercent 53, und
darunter war der im Jahre 1871 tödlich verlaufene Fall ein
in der dritten Krankheitswoche mit Darmblutungen über-
brachter Engländer, der auf der Reise, muthmasslich in Basel,
inficirt worden war; der im Jahre 1870 verstorbene Fall be-
traf eine seit Jahren im Spitale liegende, durch Poly-Arthritis
äusserst herabgekommene Patientin. Wir könnten daher un-
sere Mortalitätsziffer selbst noch weiter herabschrauben.
Auch in den früheren Jahrgängen unserer Protokolle
finden wir sehr wenig Typhen verzeichnet, nur während der
Zeit des Baues der Brennerbahn finden sich höhere Zahlen,
so z. B. 1866: 29 Typhen mit hoher Mortalität (31%).
Es waren grösstentheils Eisenbahnarbeiter, von denen die
meisten bei schon länger bestehender Krankheit mehrere
Stunden weit, darunter 3 mit schon erfolgter Darmperforation
überbracht wurde. Der Typhusherd war die erste, südlich
gelegene Eisenbahnstation Patsch.
Die hier verbreitete Meinung, dass Typhus in Innsbruck
selten vorkomme, ist daher begründet. Die auffällig geringe
Mortalitatsziffer wagen wir einstweilen nicht der Behandlung
mit kühlen Bädern allein zuzuschreiben, die nach dem Vor-
gange von Liebermeister u. A. an der Klinik eingeführt wurde.
Bei dem Umstande, dass in den nahe gelegenen Ort-
schaften längs der Brennerbahn wiederholt heftige Typhus-
Epidemien vorgekommen sind, ist es jedenfalls auffällig, dass
Innsbruck so mässig von dieser Krankheit heimgesucht wird.
Die Häuser, aus denen in den letzten 20 Jahren die
meisten Fälle zur Behandlung kamen, liegen ferner über-
— 255 —
wiegend in dem luftiger und besser gebauten neuen Stadt-
theile; es ist jedoch auch jede andere Strasse vertreten. Eine
förmliche Hausepidemie ist uns nur von zwei Häusern am
linken Inn-Ufer bekannt geworden.
Alle Fälle waren bisher Ileo-Typhen; erst im Jänner
1872 kam ein lethal verlaufener Fall von T. exanthematicus
an einem Eingebornen zur Beobachtung, und somit ist auch
für hier das Vorkommen beider Formen constatirt. An den
Deo-Typhen ist die Roseola nur sehr selten zur Beobachtung
gelangt.
Soweit unsere Kenntniss von Nordtirol reicht, sind bisher
nur Epidemien von leo-Typhus vorgekommen, neben dem
Wippthale an der Brennerbahn auch in anderen hochgelegenen
Thälern (Dux, Oetzthal, Tilliach, Sexten, auch in Fassa in
Südtirol ete.).
Wichtiger noch als Typhus scheint für die österreichi-
schen Alpenländer in diesem Jahrhunderte die Dysenterie ge-
wesen zu sein. Bis zu den letzten Jahren findet sich in
unseren Protokollen die Diagnose häufiger, und die Sections-
befunde an anderweitigen Krankheiten verstorbener Bewohner
Innsbrucks ergaben häufig Reste von Dysenterie und Enteritis
follicularis. Mit voller Bestimmtheit konnte hiebei ein Viertel,
und zwar das nördlich gelegene, mehr von .ärmeren Leuten
bewohnte Stadtviertel (S. Nikolaus und Hötting), als Herd
bezeichnet werden. Im Jahre 1871 kamen nur mehr zwei
schwerere acute Fälle vor, und ebenso hatten sich die Sec-
tionsbefunde der älteren Fälle vermindnrt.
Im Vergleich mit Norddeutschland (S. Heubner, Wagner’s
Archiv 1871) ist die Dysenterie in den Alpenländern jeden-
falls eine weit häufiger auftretende Krankheit.
Cholera ist nur im Jahre 1854 in Innsbruck mit einer
geringen Anzahl von Krankheitsfällen aufgetreten. Die Fälle
‚betrafen grösstentheils Eisenbahnarbeiter; doch entwickelte
sich damals im Spitale selbst eine Hausepidemie. Als voll-
ständig Cholera-immun kann, da auch einzelne Fälle ausser-
halb. des Spitals vorkamen, Innsbruck nicht bezeichnet werden,
- 256 —
Von den acuten Exanthemen kamen im Jahre 1871 nur
wenige Fälle zur Beobachtung, nachdem in den vorhergehen-
den Jahren stärkere Epidemien von Morbilli und Variola ge-
herrscht hatten.
Intermittens kam grösstentheils an Italienern zur Be-
obachtung. In den letzten 10 Jahren wurden nur drei in oder
um Innsbruck entstandene autochthone Fälle verzeichnet, und
es ist diese Krankheit in Nordtirol nur an einem Punkte in
der Nähe von Brixlegg einheimisch, während das Etschthal
mehrere Herde aufweist. Ebenso finden sich öfter Fälle ver-
zeichnet, welche mit Intermittens von Ungarn in längerer
Fusswanderung bis hieher gelangen, reisende Handwerksbur-
schen u. dgl., so dass also ein mehrmonatliches Verweilen in
Alpenländern vor Recidiven nicht vollkommen schützt.
Croup und Diphtheritis, an Kindern in einzelnen Jah-
ren hier häufiger als in den östlichen Ländern Oester-
reiehs auftretend, kommt auch an Erwachsenen alljährlich,
wenn auch in vereinzelten Fällen, im Spitale zur Beobach-
tung. Im Jahre 1871 kam ein Fall von exquisitem Larynx-
croup mit glücklichem Ausgange (Behandlung: Kälte) an
einem 30jährigen Frauenzimmer zur Behandlung, nachdem
kurz vorher aus demselben Quartiere ein tödtlich verlaufener
Fall von Bronchitis crouposa aufgenommen worden war.
Skorbut ist in den letzten Jahren nahezu erloschen, im
Jahre 1871 kam ein Fall mit den heftigsten wiederkehren-
den Anfällen von Epistaxis aus einer Strafanstalt in Tirol
hieher, in früheren Jahren waren Fälle aus Häusern nahe
dem Sillkanale zur Aufnahme gelangt.
Diabetes mellitus boten zwei Fälle dar, einer aus Süd-
tirol mässigen Grades, der andere aus der Gegend von
Innsbruck mit 6—10 Perzent Zucker. Opium mit Fleisch-
diät verminderte bei beiden den Zuckergehalt, von anderen
versuchten Medikamenten erwähne ich Phenol ohne jedweden
Erfolg.
Der schwere Fall war wiederholt auf Wärmeabgabe
calorimetrisch (1 Jahr ante mortem) im Bade gemessen
/
a
worden. Er gab trotz der grossen Nahrungszufuhr nicht
mehr Wärme ab als wie gesunde Leute seiner Constitution
und diess bei dem colossalen Stoffwechsel scheinbar auffällige
Faktum lässt sich wohl zur Genüge aus der mangelhaften
Oxydation, der Abfuhr des zur Erzeugung von Wärme nicht
verwendeten Zuckers erklären. Der Patient war nie fett-
leibig gewesen und hatte nie an cephalischen Symptome
gelitten. |
Leukämie, lienale, war ım letzten Jahre in keinem neuen
Falle zugewachsen, in den letzten 4 Jahren waren drei
hochgradige Leukämische in Behandlung gewesen, was bei
circa 3000 Kranken als nicht mehr besonders seltenes Vor-
kommen bezeichnet werden muss. Ebenso ist Maliamus
verschwunden, der nur im Kriegsjahre 1366 zur Beobachtung
gelangt war.
Von den Erkrankungen einzelner Organe hebe ich unter
den Erkrankungen des Nervensystems die Haemorrhagia
cerebri nur desswegen hervor, weil die Meinung existirt, dass
der in Innsbruck zeitweise herrschende Föhn letzte Veran-
lassung für das Eintreten derselben sei. Die Spitalslisten
sprechen nicht dafür, wenn auch zugegeben werden muss,
dass manche Menschen durch den Föhn verstimmt werden
und an Hyperästhesien leiden. Bei einem angeblich exquisit
daran leidenden Manne wurden Temperaturmessungen und
calorimetrische Messungen vorgenommen, um zu ersehen, ob
eine Störung in der Wärmeregulirung dem Zustande voran-
gehe; es wurde aber kein positives Resultat erzielt.
Ein mit schweren Störungen im Gebiete des Nerven-
systems ausgezeichneter, durch vorübergehenden therapeuti-
schen Erfolg trügerischer Fall blieb auch nach der Autopsie
räthselhaft. Es betraf dies einen 26 jährigen Metzgergesellen,
welcher nach länger dauernder beiderseitiger Abducens-Läh-
mung an allgemeiner Parese erkrankte, wobei bald Pharynx-
lähmung sowie Lähmung des Zwerchfells und der äusseren
Respirationsmuskel deutlicher hervortrat. Der Kranke wurde
durch Tage mittelst künstlicher Respiration und Fütterung
— 258 —
mittelst Schlundröhre am Leben erhalten, wobei die Erstickungs-
noth in Folge des in den Larynx hinabgeflossenen Mund-
schleimes durch mechanische Entfernung des Schleimes aus
dem Larynx sowie durch die mittelst Schlundröhre beige-
brachten Brechmittel in den gefährlichsten Momenten gehoben
worden war. Es trat eine nahezu vollständige Besserung
ein, der Kranke ward übermüthig und verliess wider unsere
Anordnung das Zimmer. Auf der Treppe fiel er erschöpft
zusammen; im Laufe der nächsten Tage kehrten die früheren
Lähmungserscheinungen zurück, und er konnte trotz künst-
licher Respiration nicht erhalten werden. Diphtheritis war
nicht vorausgegangen, Trichinosis nicht anzunehmen. Es fand
sich neben Hyperämie des Gehirnes, Röthung des Facialis-
Kernes, im Halsantheile des Rückenmarkes eine sehr geringe
Hämorrhagie im Centralkanale, und Austritt von weissen
Blutkörperchen in die perivasculären Lymphriiume: Erschei-
nungen, welche znm grösseren Theile von der Asphyxie ab-
geleitet werden könnten. In den Respirationsmuskeln waren
nur einzelne zerstreute verfettete Fasern aufzufinden.
Die künstliche Ernährung mittelst Schlundröhre wurde
mit noch besserem Erfolge bei einem andern schweren Ner-
venleiden — abgesehen von Irrsinnigen — angewendet. Eine
seit einem Jahre und zwar plötzlich bei der Feldarbeit hemi-
plegisch gewordene Arbeiterin zeigte durch längere Zeit im
gelähmten Beine vollständige Anästhesie selbst gegen die
stärksten Ströme einer Stöhrer’schen Batterie mit 32 Ele-
menten. Diese Anästhesie schwand, kehrte wieder und schwand
abermals. Nach einer Reihe hysterischer Symptome trat
später Erbrechen und mehrwöchentlicher Trismus mit Obnu-
bilation, Unempfindlichkeit der Nasenschleimhaut gegen Aetzam-
moniak ein. Die Patientin wurde durch Wochen mit der
Schlundröhre gefüttert und konnte schliesslich das Bett und
das Spital verlassen.
Von den unter Anwendung des constanten Stromes ge-
besserten Neurosen hebe ich nur einen Fall von Facialis-
Lähmung hervor, welcher nach mehrmonatlichem Bestande
— 29 —
in unsere Behandlung kam. Durch weitere zwei Monate
schien trotz Anwendung der Elektrieität kein Erfolg erzielt
zu werden, im 3. Monate schwand allmälig die Lähmung
bis auf eine mässige Spur.
Unter den Erkrankungen der Respirations-Organe ist
croupöse Pneumonie häufig, ihr Culminationspunct fällt gegen
das Ende des Februar. Die alpinen Winter-Beschäftigungen,
das Herabschaffen von Holz und Heu aus dem Hochgebirge
liefern neben den andern gewöhnlicheren Ursachen hinlänglich
viele Fälle.
Interessanter erschien uus das Auftreten von Phthisis
an den Bewohnern der verschiedenen nachbarlichen Hoch-
thäler, darunter an Individuen — Sennern — welche nie
vorher ihre Heimat verlassen hatten. Die bis vor kurzem
noch brennende Frage des Einflusses des Höhenklima auf
Phthisis lässt sich zwar nur durch umfängliche genaue Er-
hebungen lösen; der hiesigen Klinik wuchsen Phthisiker aus
Höhen über 1000 Meter nicht selten zu. Anderseits hat
man Gelegenheit bei den chronischen Fällen Individuen zu
treffen, die durch Verweilen auf alpinen Höhen während des
Sommers sich vortrefflich erholen, und es wird insbesonders
in der ländlicher Praxis diesem Gebrauche bei allen mög-
lichen Krankheiten gehuldigt. Die chronischen Katarrhe ver-
schlimmern sich hiebei in kälteren Jahren oft genug, umso-
mehr, als in den primitiven Alpenhütten für Comfort nicht
gesorgt ist. — In Innsbruck selbst ist Phthisis nicht so
häufig wie in Grossstädten, jedoch nicht etwa als selten zu
bezeichnen.
Lungenbrand und putride Bronchitis scheint jedenfalls
seltener als wie im Norden z. B. Königsberg (nach Leyden)
vorzukommen; die in den letzten Jahren zur Behandlung
gekommenen wenigen Fälle waren alle schon in nahezu despe-
ratem Zustande überbracht und die verschiedensten Inhala-
tionen (Phenol, Thymol etc.) erwiesen sich hiebei als un-
wirksam.
Herzerkrankungen der verschiedensten Art kommen wie
— 260° —
anderwärts häufig zur Aufnahme; das Tragen sehwerer Lasten
im Gebirge dürfte immerhin für die Entstehung und Zu-
nahme von Volumszunahme des Herzens nicht ohne Bedeu-
tung sein.
Bei den Erkrankungen der Digestionsorgane ist nach
den Protokollen auffällig, dass das Carcinoma oesophagi
ebenso häufig vorkommt wie care. ventriculi.
Einer der im vorigen Jahre abgelaufenen Fälle von care.
oesoph. war wegen Athembeschwerden eingetreten, ohne De-
glutitionsbeschwerden zu erwähnen. Die Untersuchung ergab
über der linken Lunge bei vollem Percussionsschalle Mangel
jedes Respirationsgeräusches. Die aus den übrigen Symptomen
bewiesene Stenose des oesophagus, liess vermuthen, dass das
Carcinom in den linken Hauptbronchus, denselben vollständig
verschliessend, hineinwuchere. Die Autopsie bestätigte den
Umstand, in der betreffenden Lunge war schliesslich totale
Pneumonie aufgetreten. —
Unter den Krankheiten, welche durch Nahrungsmittel
hervorgerufen sein können, suchten wir bis jetzt vergebens
nach Pellagra. Da in der Umgegend von Innsbruck fast nur
Mais gebaut wird, wäre die Annahme der Existenz dieser
Krankheit nach den herrschenden Anschauungen berechtiget.
Eine Patientin mit progressiver Muskelatrophie, beschuldigte
dieses Nahrungsmittel als vermeintliche Ursache ihres Leidens.
Von den Vergiftungen ist im Jahre 1871 ein Fall mit
Aetzammoniak beobachtet worden. Ein kräftiger Büchsen-
macher trank, um die Folgen eines intensiven Alkoholismus
zu paralysiren, angeblich eine halbe Unze Aetzammoniak.
1/, Stunde später überbracht, wurde er mittelst Magenpumpe
seines Mageninhaltes entledigt, und Essig durch den Magen
gepumpt. In den ersten acht Stunden der Anwesenheit
schwankte die Temperatur zwischen 36.5 und 37.0. Erst
in der neunten Stunde stieg die Temperatur auf 38.4, um
während der nächsten fünf Tage zwischen 39—39.4 zu
schwanken. Ausser der Anätzung der Mundschleimhaut war
bei gleichzeitiger Heiserkeit eine intensive Röthe der Schleim-
— 261 —
haut der Stimmbänder, ohne deutliches croupöses Exsudat, zu
bemerken. Nach Wochen war eine Stenose des oesophagus
nicht zurückgeblieben.
Unter den Fällen von Icterus war ein älteres Weib mit
Hyperplasie des Pankreaskopfes und retrograder Schwellung
sämmtlicher Lymphdrüsen abwärts dieser Stelle. Sie war
aus demselben Quartiere, aus welchem einige Zeit vorher ein
exquisiter Fall von sogenannter Pseudoleucaemia lymphatica
zugewachsen war. Auch der letztgenannte litt an Icterus,
Schwellung der Lymphdrüsen um den ductus choledochus.
Bei Beiden war Jodkali umsonst gegeben worden, der Tod
erfolgte nach Eintritt von Lungenhypostase.
Bei chronischer Albuminurie wurde wiederholt Milchkur
und Verweilen in alpinen Höhen während der Sommer-Ferien
versucht. Einen erheblichen Erfolg kann ich bisher nicht
verzeichnen.
Von den auf der Klinik behandelten Hautkranken kann
ich das Vorkommen von Psoriasis, Favus, Herpes tonsurans
in mässiger Anzahl erwähnen. Die Favus-Fälle der letzten
zehn Jahre waren mit Ausnahme eines einzigen Südtirolers
aus andern Ländern zugewachsen, besonders aus Nord-Venetien
und Krain, so dass diese Krankheit glücklicherweise zu den
in Tirol selteneren zu gehören scheint. Von hartnäckigen
Ekzemen des Jahres 1871 erwähne ich einen Knaben aus
einem abgelegenen Seitenthale Nordtirols, der seit 4 Jahren
an einem Ekzem bettlägerig gewesen war, den Schulbe-
such versäumt hatte, und unter Anwendung von Theerpräpa-
raten in wenigen Monaten geheilt wurde.
Um durch weiteres Aufzählen gewöhnlicher Beobach-
tungen nicht zu ermüden, schliesse ich diesen Bericht, um
zunächst nur das minder zahlreiche Vorkommen einzelner
. epidemischer Krankheiten und das Auftretun einzelner seltener
Krankheitsformen in Tirol, speciell in Innsbruck , constatirt
zu haben.
Naturw.-med. Verein, Dal
Statistischer Bericht
und
casuistische Mittheilungen aus der chirurgischen
Klinik in Innsbruck
von
Prof. Dr. C. Heine,
unter Mitwirkung der Assistenten Privat-Docent Dr. Lang
und Dr. Schlemmer.
A. Statistischer Bericht.
Am 31. Dez. 1870 waren in Behandlung verblieben 57 Kranke
im Jahre 1871 wurden neu aufgenommen . . 442 „
Die Gesammtsumme der in Behandlung ge-
standenen Kranken beträgt somit . . 499
Von den 442 neu aufgenommenen Kranken entfallen
387 für die chirurgische Klinik und Abtheilung; darunter
waren 291 Männer und 96 Weiber mit Einschluss der Kinder
unter 6 Jahren.
Die Zahl von 55 Geschlechtskranken vertheilt sich auf
26 Männer, 28 Weiber und 1 Kind.
Von den 499 stationären Kranken wurden
geheilt entlassen . . "2. ee aan
gebessert entlassen . . Mm... ort
ungeheilt entlassen .. are. ee el
transferintt . 2.0.00. Rd a Me
starben... u 0 N ea
Der Gesammtabgang beziffert sich also anf . . . 439
und bleiben mit 31. Dezember 1871 in Behandlung 60
Die Zahl von 24 Todten auf 499 Kranke ergibt eine
Mortalität von nur 4.8%. .
ER Oye) es
Der höchste Tagesstand fällt auf den Monat Dezember
mit 42 Mannern und 25 Weibern, zusammen 67 Kranken.
Da der normale Belagraum der chirurgischen Männer-
Klinik und Abtheilung nur 30 Betten — mit Einschluss der
Reservebetten — enthält, so mussten aushilfsweise 5 Noth-
betten errichtet werden.
Auf der chirurg. Weiberklinik und Abtheilung wurden
21 Normalbetten, 1 Reservebett und 2 Nothbetten belegt.
Die Abtheilung für geschlechtskranke Männer enthält
7, die für geschlechtskranke Weiber 6 Betten.
Die 387 stationäre chirurgischen Kranken vertheilen sich
auf folgende Krankheitsformen:
Einfache Verletzungen der äusseren Bedeckungen und
Weichthele . . . 71
Complizirte Verletzungen ( acne facies nad Sehnen) 15
Frakturen I LAN fia gell Fi Aenea
Luxationen . . il enllelos: rende
Entzündung der äusseren Weichtheile AR ER NEN 0 OO)
Verschwärung der äusseren Weichtheile . , . . . 26
Entzündung der Beinhaut und Knochen; Nekrose . . 25
Verschwärung der Beinhaut und Knochen; Caries . . 6
Entzündung der Gelenke . . . , a
Entzündung der Muskeln, Sehnen und Sahleinbentel „u. 10
Geschwülste der äusseren Weichtheile und der von ihnen
eingeschlossenen ‚Organe, ; has ese) =D
Geschwülste des Skelets . . . . a eve ee oe net
Geschwiilste der Körperhöhlen und innern Organe . . 11
Angeborene Defekte (Deformitäten) der Weichtheile,
Knochen und Gelenke . . 7
Erworbene Defekte der Weichtheile, en u. deut 11
Krankheiten der Blut- und Pr on 8
Nervenkrankheiten . . . 3
Verletzungen und Frlcrankuncen ae
Schädelhöhle, 1... aus. ee
Ohrhöhle san issih’ 2.4 eerste a ee
21”
— 264 —
me CO Ol BD &
Augenhöhle .
Nasen-, Stirn- und Bighmorshöhle
Mundhöhle : ;
Kehlkopfs, Trachea, Schilddrüse Ä
Brusthöhle kr oe ea
Bauchhöhle. . 02.3... aka deidaneke ve
männlichen Hammorgane . . ik A 2020028
männlichen Geschlechtsorgane . . . . . 10
weiblichen Geschlechtsorgane . . . .. O
Mastdarms: 03) u.a 2 aa La ae
in Beobachtung waren... bs Wace) = a eh Ce
Zusammen . 387
Unter den 55 Geschlechtskranken litten an
Blenorrhoen (d. Urethra oder Vagina) . . 13
verschiedenen syphilitischen Affektionen . 42
Auf die oben angeführten 387 an stationären Kranken
beobachteten chirurgischen Erkrankungen kamen 139 Ope-
rationen, welchen noch 17 an ambulanten Patienten ausge-
führte beizuzählen sind.
Die Gesammtsumme von 156 Operationen erwächst aus:
4 Arterienligaturen in der Continuität u. zw:
1 der Carotis communis als Vorakt zur Verhinderung
einer lebensgefährlichen Blutung bei der Exstirpa-
tion eines Sarkoms der Tonsille.
1 Ligatur der art. femoralis in trigono wegen Nach-
blutung nach der transkondylären Amputation des
Oberschenkels.
1 Ligatur der art. Iliaca externa.
Unterbindung sämmtlicher Aeste der art. femoral.
in trigono (sämmtliche 3 bei ein und demselben
Kranken).
4 Amputationen
3 des Oberschenkels und zwar
1 transkondylär nach Prof. Heine wegen eines
comminutivenBruches beider Unterschenkelknochen
mit weitgehender Zerquetschung der Weichtheile,
m
1
— 265 —
2 in der Mitte des Oberschenkels nach Langenbeck ;
wegen progredienter Phlegmone und Septichaemie
nach einer complicirten Luxation des Fussgelen-
kes +, und eine wegen eines dritten Recidivs
eines Sarcoms ;
des Vorderarmes im unteren Drittheil wegen
Wundstarrkrampf nach einer Schussverletzung der
Hand 7.
20 Operationen am Knochensysteme und zwar
7
10
ar
Resectionen
3 in der Continuität — der beiden Bruchenden
eines mit Bildung einer Pseudarthrose geheilten
Oberschenkels ; einer ersten Rippe wegen Necrose;
eines Oberkiefers wegen Carcinom im Antrum
Highmori,
3 von Gelenken: eines Handgelenkes wegen
Caries der Handwurzelknochen, eines Ellbogen-
gelenkes wegen Caries und fungöser Gelenks-
entzündung +, eines Mittelfussknochens und Keil-
beines wegen Caries;
1 osteoplastische Resektion des Unterkie-
fers behufs Exstirpation eines Sarcoms der Tonsille.
Nekrotomien: 3 des Fumur, 3 der Tibia, 1 des
os Tali, 2 des Humerus, 1 der ersten Rippe.
Operationen zur Heilung der Pseudarthrose: Ein-
treiben von Elfenbeinstiften am Humerus, 1 peri-
osteoplastische Vereinigung beider Fragmente der
Patella.
Osteopalinklasis bei einem schlechtgeheilten Bruche
des Unterschenkels.
8 Operationen an Gelenken:
4 Repositionen von Luxationen: einer frischen des
Humerus, 1 veralteten des Humerus (nach Prof.
Heine’s Methode).
1 Spontanluxation des Femur und 1 veralteten
des Femur; (Siehe die casuist. Mittheilungen.)
— 266 —
3 Brisements forces: 2 des Hüftgelenkes, 1 des Knie-
gelenkes.
1 Exstirpation eines Gelenkkörpers durch direkte In-
cision unter Verschiebung der Haut. (Casuistische
Mittheilung.)
ö Tenotomien: 2 der Achilles-Sehne, 1 der Apo-
neurosis plantaris bei Klumpfüssen.
2 Operationen des Ganglion, 1 subcutane Discission,
1 durch Zerdrücken. (Beide im Ambulatorium.)
63 Operationen zur Entfernung von Ge-
schwülsten:
57 Exstirpationen von:
1
5
5
4
bo Ot OD =
(=P)
Dermoidcyste in der seitlichen Halsgegend.
Atheromen, 3 des Gesichts und 2 der Schädel-
decken.
Lymphomen, 3 am Halse, 2 am Unterkiefer
(1 am Halse, 1 am Unterkiefer ambulatorisch).
Lipomen, 1 über dem Schulterblatte, 1 über
der Hinterbacke, 1 im Nacken, 1 tiber dem
rechten Scheitelbeine (Fibro-Lipom [ambulato-
risch]).
Exostose am Oberschenkel (Abmeisselung).
Melanomen — der Wange — im Ambulatorium,
Keloiden: 2 am Ohrläppchen, 3 im Nacken.
Myxomen der Nasenhöhle (durch Abdrehen 1,
Abschneiden mit der Scheere 1).
Sarkomen, theils einfachen Formen, theils Com-
binationen mit Fibrom, Myxom, Chondrom,
Osteom und Adenom.
1 der Tonsille (mit osteoplast. Resect. des
Unterkiefers und Ligatur der Carotis). +
1 des Oberkiefers (Epulis sarcomatosa) am-
bulatorisch.
1 von der Nasenwurzel und aus der Nasen-
höhle — später Plastik.
2 am Oberschenkel, das erstemal unter Ab-
2
— 247 —
meisselung des verknöcherten Stieles die
primäre Geschwalst, das zweitemal mit dem
Ekraseur von Maisonneuve das Rezidiv.
1 der Leistengend +.
25 Carcinomen:
7 der Lippe (bei einigen folgte Plastik).
1 der Zunge.
1 der Nase und Wangengegend (Plastik).
7 der Submaxillardrüsen nach Exstirpation
der obenaufgeführten Carc. der Wange
und Lippe.
7 der Brust- und Achseldrüsen (1 Todesfall).
2 der Leistendrüsen (Carc. des Penis, siehe
die Amput. des Penis).
Caustische Zerstörungen von Geschwülsten:
1 von Papillomen im Nasenrachenraume mit dem
Porcellanbrenner ;
1 von einem recidivirenden Carcinom in den Unter-
kieferlymphdriisen durch Cauterisation a fléches. +
4 Parenchymatöse Injectionen in Geschwiilste: in
9
10
2 Lymphome von Jodtinctur;
2 Struma parenchymatosa von Jodtinctur ;
1 Carcinom der Brustdriise von Chlorzinklésung und
Chlorwasserstoffsiure (1%, und 0°1%).
Punctionen:
einfache: 1 Ovariencyste +;
1 Hydrokele (ambulatorisch) ;
mit nachfolgender Jod-Injection:
1 Cyste der Schamlippe;
4 Hydrokelen (eine davon doppelt);
2 Struma cystica (eine Struma mixta).
Operationen der Hasenscharte (ein Operirter
starb).
Plastische Operationen, und zwar:
3 Cheiloplastiken nach Exstirpationen von Lippen-
Carcinomen.
f=
=
ee
— 268 —
Uranoplastik nach der Exstirp. des Oberkiefers
wegen Care. Antr. Highmori.
Uranoplastik und Staphylorhaphie bei einem Pala-
tum fissum.
partielle Rhinoplastik aus der Stirnhaut, nach der
Exstirpation eines Adenosarkoms der Nasenhöhle
und Nasenwurzel.
partielle Rhino- und Meloplastik nach der Exstir-
pation eines Carcinoms der Nase und Wange.
partielle Meloplastik nach einer im Jahre 1870
wegen Carc. des Antr. Highmori ausgeführten Re-
sect. des Oberkiefers.
Versetzung und Höherstellung des Nasenflügels als
Nachoperation zu einer früher ausgeführten Hasen-
schartenoperation.
Bildung von Nasenléchern bei erworbenem Ver-
schlusse derselben.
7 Tonsillotomien (5 davon im Ambulatorium).
1 Explorativ-Incision bei einer vermutheten Ova-
riencyste. +
2 Operationen bei Hernien:
1
1
Radicaloperation der freien Leistenhernie nach Wood.
Herniotomie ohne Eröffnung des Bruchsackes bei
einem Leistenbruche. (S. cas. Mittheilungen.)
3 Operationen an Vagina und Uterus:
1
Vordere Uterus-Scheidennaht wegen einer Ante-
und Lateralversion des Uterus (Anfrischung und
Naht der Scheide und Vaginalportion).
Seitliche Uterus-Scheidennaht (bei derselben Pa-
tientin) zur Behebung der nach der Heilung der
Anteversion noch bestehenden seitlichen Abweichung
des Uterus.
Kolpokleisis — Querverschluss der Scheide bei einer
wiederholt ohne Erfolg operirten Blasenscheiden-
fistel.
— 269 —
2 Operationen an der Harnröhre:
1 Urethrotomia externa wegen eines in der Harnröhre
eingekeilten kleinen Blasensteins. (Siehe casuist.
Mittheilungen.)
1 foreirte Dilatation nach Thompson bei Striktur der
Urethra.
3 Steinschnitte:
2 Seitensteinschnitte ;
1 hoher Steinschnitt. (Siehe casuist. Mittheilungen.) +
2 Amputationen des Penis wegen Carcinom (die
später nachgeschickte Exstirpation der Leistendrüsen
ist oben aufgeführt).
2 Phimosenoperationen.
Radicalschnitte bei ebensoviel Hydrokelen.
3 Operationen am Rectum:
1 Spaltung der Mastdarmfistel ;
1 Cauterisation des Vorfalles der Mastdarmschleimhaut
mit rauchender Salpetersäure;
2 Abbrennen von Hämorrhoidalknoten nach Langen-
beck. 1 +
Im Ambulatorium wurden im Laufe des Jahres 1871
533 Kranke behandelt; ausser Operationen im Gebiete der
kleinen Chirurgie wurde eine Anzahl von Gipsverbänden theils
wegen Frakturen, theils wegen Gelenkentzündungen an den
oberen Extremitäten gemacht.
=
Von dem in vorstehender Uebersicht enthaltenen Beob-
achtungsmateriale folgen im Anschlusse einige der interessan-
testen Fälle in ausführlicherer Mittheilung, sowie diess schon
im letztjährigen Berichte geschehen. Es soll dabei auch in
Zukunft so verfahren werden, dass bei der Auswahl der
zur Veröffentlichung bestimmten Falle auf möglichst grosse
— 210 —
Mannigfaltigkeit Rücksicht genommen wird, damit der ärzt-
liche Leserkreis unserer Vereinschrift mit der Zeit eine
Auslese der sämmtlichen wichtigeren, in der Klinik vertre-
tenen, chirurgischen Krankheiten in die Hand bekomme, und
damit, einen Ueberblick über die von dem derzeitigen Vor-
stande derselben vertretenen Grundsätze, was deren Auf-
fassung und Behandlung betrifft, gewinne.
B. Casuistische Mittheilungen.
I. Fractur des Hüftbeins. — Gypsverband. —
Heilung.
Der Fall verdient aus mehreren Griinden einem weitern
Leserkreise zugeführt zu werden. Einmal war die Verletzung
durch eine verhältnissmässig geringe Schädlichkeit hervorge-
rufen; weiters fehlten die mit der Fraktur der Darmbein-
schaufel sonst einhergehenden schweren Complicationen, und
schliesslich verlief die Heilung schnell und ohne Zwischen-
fälle, was wohl ausschliesslich der in ähnlichen Fällen sonst
nicht üblichen Immobilisirung zu verdanken ist.
Livia Antonio, Maurer, 51 Jahre alt, stolperte am
29. Nov. 1871 um 6 Uhr Morgens am Eingange des grossen
Tunels hinter Patsch bei einem Wechsel, fiel auf die linke
Seite und konnte nicht wieder aufstehen. Nach einer kurze
Zeit andauernder Bewusstlosigkeit rief er um Hilfe, wurde
/, Stunde später von herbeigeeilten Arbeitern aufgelöst,
und um 4 Uhr N. M. zu uns gebracht.
Der Kranke lag mit nach links geneigtem Stamme, das
linke Bein war leicht gebeugt und abducirt. Die linke Gluteen-
gegend angeschwollen und blutunterlaufen; die linke Darmbein-
schaufel unter Crepitation beweglich; die Bruchlinie begann unter
dem linken obern Stachel, zog nach aussen, und rückwärts und
ee OUTING aaa
verlor sich hinter der Gesässmuskulatur, sie umgränzte so-
mit wenigstens die obere Hälfte der Schaufel. Bei passi-
ven Bewegungsversuchen mit dem linken Beine äusserte der
Patient namenlosen Schmerz an der Bruchstelle und warf es
zum Schrecken aller Anwesenden mit Blitzesschnelle in starke
Beugung. Keine nachweisbare Verletzung des Hüftgelenkes,
keine per anum et urethram.
Um das Fragment wenigstens von Seite der Extremi-
täten zu immobilisiren, wurde am 30. Nov. ein das Becken
und beide Beine in toto umfassender Gypsver-
band angelegt, und die Erschlaffung der Gesässmuskulatur
durch Abduction und Auswärtsrollung in beiden Hüftgelenken
erzielt. Während der kaum 1/, Stnnde dauernden Procedur be-
fand sich derKranke mit dem Becken und dem linken Beine
auf dem Heine’schen Fixationsapparate, das rechte wurde
von einem Assistenten gehalten. Hierauf Lagerung auf einer
mehrtheiligen Matratze mit Fugenbildung, so dass Leibschüs-
sel etc. ohne den Kranken heben zu müssen, untergeschoben
werden konnten.
Der nahezu den halben Körper einhüllende Verband
hatte nicht nur keinen Nachtheil für den Kranken, sondern
übte auf denselben sichtlich einen sehr wohlthätigen Ein-
fluss, ja man glaubte sogar die Ueberzeugung schöpfen zu
sollen, dass mit Beckenfrakturen Behaftete in einen solchen
Gypsverbande leicht transportabel würden.
Der weitere Verlauf gestattete sich zu einem sehr günsti-
gen: Nur einmal war die Temperatur auf 38.2 C. gestiegen.
Am 23. Dez. konnte der Verband entfernt werden, und
ein massiger fester Callus verrieth die Bruchstelle.
Am 4. Jänner 1872 erster Gehversuch; zwei Wochen
später verlies Patient geheilt die Klinik.
I. Blasenstein — Coxankylose links — Spermato-
cele rechts — Sectio lateralis dextra et alta —
Sepsis — Tod 7 Tage nach der Operation.
M. J. 71 Jahre alt, Bauer aus Gries gelangte am
— 22 —
1. August 1871 zur Aufnahme. Er erzählte, dass er schon
von seiner Jugend an, öfter als andere Leute* habe Harn
lassen müssen. Schmerzen in der Blase bestanden erst seit
2 Jahren, von welcher Zeit angefangen der Harn trübe und
nach anstrengenden Touren roth gewesen sein soll. Die
Coxankylose entwickelte sich aus einer schleichenden seit
21 Jahren bestehenden Coxitis.
Die Sondirung der Blase durch die nur fürNr. 9—10 durch-
gängige Urethra constatirte die Anwesenheit eines ziemlich glat-
ten, keinen hellen Ton gebenden Steines in der sehr contrahirten
und vulnerabeln Blase, der eben wegen des stets andauern-
den Blasenkrampfes nicht genau gemessen werden konnte.
Der Harn war trübe, oft blutig, aber noch nicht alkalisch.
Das linke Bein liess sich im Hüftgelenke kaum auf 100°
beugen, und ebenso mangelhaft abduciren, wodurch eine aus-
giebige Entfaltung der linken Mittelfleischgegend unmöglich
wurde. Ausserdem bestand eine rechtseitige, mittelgrosse
Hydrocele.
Im Uebrigen sah Patient für sein Alter gut und kräf-
tig aus.
Am 7. August wurde als Vorakt die Punction der
Hydrocele, welche sich durch die in der entleerten Flüssig-
keit nachgewiesenen, zahlreichen Spermatozoen als Sperma-
tocele herausstellte, vorausgeschickt.
Operation am 12. August.
Da es nicht gelang das ankylotische, tinke Hiiftgelenk
in der Narkose zu beugen, so musste der Seitensteinschnitt
rechts angelegt werden. Derselbe wurde, abgesehen von einigen
Schwierigkeiten, welche durch das Ausgleiten des Itinera-
riums nach Eröffnung der Urethra hervorgerufen wurden, und
den Gang der Operation aufhielten in der gewöhnlichen Weise
zu Ende geführt. Der deutlich gefühlte Stein jedoch stellte
sich als sehr gross heraus, und es erwies sich seine Extrac-
tion durch die gesetzte Wunde trotz langer Bemühung als
unausführbar. Eine Vertiefung der Wunde zur Erreichung
dieses Zweckes, hätte über die Grenzen der Prostata hin-
— 213 —
ausgeführt und ein Bilateral- oder Quadrilateralschnitt wäre
wegen der linksseitigen Coxankylose schlecht ausführbar ge-
wesen — hätte auch noch immer nicht genug Raum für den
Stein gegeben. Man schritt somit zum Blasenschnitt ober-
halb der Symphyse, wobei die starke Spannung der Recti
die quere Trennung ihrer Ansätze nöthig machte, und die
stark contrahirte Blase das Emporziehen und die Eröffnung
derselben ohne Verletzung des Peritoneums sehr erschwerte.
Es wurde ein voluminöser Stein herausbefördert, und
danach durch die Exploration noch ein zweiter entdeckt,
der nach der Extraction als ebenso voluminös sich heraus-
stellte. Beide lagen in einem auf der linken Seite befind-
lichen Divertrikel der Blase. Vereinigung der Blasenwunde
durch 10 Conjunctivalnähte, Einlegen des Rudtorffer’schen
Katheters durch die Mittelfleischwunde, locale antiseptische
Behandlung und innerliche Darreichung von Opiumtinctur.
In den ersten 2 Tagen befand sich der Kranke ziemlich
wohl, das Fieber schwankte um 38° und 39° C.
Am 14. nahm der Eiter der oberen Wunde einen jau-
chigen Charakter an, am 16. stellten sich bereits Symptome
zweifelloser allgemeiner Sepsis ein, der der Kranke trotz
sorgfältiger Behandlung erlag.
Beide Steine sind gleich gross, plattrund, hart und ge-
schichtet, je 41/, Cm. lang und 3%, Cm. breit, und bestehen
zum grössten Theile aus Harnsäure mit nur einer Spur von
phosphorsauren Kalk.
Ill. Blasenstein. — Blasenlähmung. — Seitenstein-
schnitt. — Heilung auch der Blasenlähmung.
H. Chr., 48 J., Berghutmann aus Klausen, schreibt den
im J. 1867 aufgetretenen lästigen Harndrang wiederholten
Erkühlungen zu. Im Oktober 1868 stellte sich Harnver-
haltung und später eine fieberhafte Krankheit ein. Zu wie-
derholten Malen wurde nun die Applikation des Katheters
nöthig, bis der Patient ganz und gar auf die instrumentale
— 214 —
Entleerung der Blase in ein- bis zweistündlichen Pausen an-
gewiesen blieb und sich desshalb den Selbstkatheterismus
einübte.
Bei der klinischen Untersuchung wurde sofort in der
Blase ein Stein entdeckt, dessen ein Durchmesser auf 2,
der andere schwankend auf 21,—3 Cm. sich bestimmen
lies. Der Harn war von reichlichem Schleim-, Eiter- und
Blutzusatze getrübt, roch intensiv nach Ammon. und reagirte
alkalisch.
Am 7. November 1871 wurde der Stein, der sonder-
barer Weise trotz der seit Jahren von Aerzten und dem
Patienten in Anwendung gebrachten Metallkatheter bisher
nicht gefühlt wurde, durch die Sectio lateralis in der ge-
wöhnlichen Weise mit der Steinzange herausbefördert. Aus
dem weitern sehr günstigen Verlaufe ist als charakteristisch
hervorzuheben, dass der Harn nicht wie gewöhnlich durch
die Wunde continuirlich absickerte, sondern sich innerhalb
der gelähmten und starrwandigen Blase ansammelte und bei-
läufig zweistündlich entweder durch die Wunde oder Urethra
mit dem Katheter herausgeschafft werden musste. Doch
nahm auch dies durch die Localbehandlung der Blase, welche
in Wasser- und später in Tanininjectionen (1 Gr. auf 1 Unze)
von 20° C. bestand, alsbald eine bessere Wendung. So
konnte am 15. November der Harn schon durch 8 Stunden
gehalten werden; am 23. urinirte Patient schon theilweise
per urethram; am 28. November legte er den Katheter ganz
bei Seite; und vom 11. Jänner 1872 angefangen floss auch
durch die inzwischen oberflächlich gewordene Mittelfleisch-
wunde kein Tropfen Harnes mehr ab.
In demselben Masse nahm auch der Urin zusehends
ein besseres Aussehen an und erhielt sich constant in saurer
Reaction.
Der Stein hat Grösse und Form einer Pflaume, ist in
der Rinde porös, im Kern hart. Erstere besteht vorwaltend
aus kohlensaurer Magnesia und Kalk mit Spuren von phos-
phorsaurem Kalk und Ammoniak-Magnesia, letzterer umge-
— 275 —
kehrt vorwaltend aus phosphorsaurem Kalk und Ammoniak-
Magnesia mit Spuren von kohlensaurer Magnesia nnd Kalk.
IV. In der Urethra eingekeilter Blasenstein von
1.3 Cm. Länge und 1 Cm. Dicke. — Aeusserer Harn-
röhrenschnitt. — Heilung.
Seit 3—4 Jahren pflegte der 20 Jahre alte J. J. an
plötzlicher Unterbrechung des Harnstrahles zu leiden, die
gewöhnlich nach leichten kolikartigen Schmerzen sich von
selbst hob. In den ersten Junitagen 1871 artete die sonst
nur momentane Strahlunterbrechung in eine dauernde Harn-
verhaltung aus und zwang ihn die chir. Klinik aufzusuchen.
Die Blase war bis nahezu zum Nabel hinan ausgedehnt,
ihre Gegend sehr empfindlich. Die Pars membranacea urethrae
barg einen von der Perinealgegend aus deutlich gefühltem
fest eingezwängtem harten Körper, anf den die per urethram
eingeführte Metailsonde mit hellem Klange aufschlug. Nur
int Mühe gelang es den dünnsten Katheter neben dem
Steine in die zu entleerende, enorm ausgedehnte Blase zu
leiten. —
Nach vergeblichen Versuchen mit dem Leroy’schen Löffel
die Extraction des Steines vorzunehmen, wurde der äussere
Harnröhrenschnitt über dem Steine am 7. Juni ausgeführt,
sodann 2 Ligaturen, 3 Harnröhrennähte angelegt, Der weitere
Verlauf gestaltete sich zu einem nahezu reactionslosen. Ein
Theil der Harnröhre heilte per primam, der übrige per
secundam, da sich Patient 2 Nähte herausriss. Am 20. Juni
konnte der Kranke vollkommen geheilt entlassen werden.
Der sehr harte, geschichtete, lichtbraune, leicht höckerige
Stein bestand seiner Hauptmasse nach aus oxalsaurem Kalk.
(Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im Beginne
des heurigen Jahres bei einem Privatpatienten des Hrn. Prof.
Heine auch die Sectio mediana wegen eines mit hochgradiger
Strictur und Prostatahypertrophie complicirten Blasensteines mit
bestem Erfolge ausgeführt wurde.)
raue
V. Offene Sprunggelenkswunde mit Fractur des
äussern Knöchels complicirt. — Conservative
Behandlung. — Heilung mit freier Beweglichkeit
des verletzten Gelenkes.
Am 18. August 1871 wurde uns ein dreijähriges Kind
übergeben, das am vorhergehenden Tage mit dem rechten
Fusse unter das Rad eines leeren Steinwagens gerieth und
bei der Aufnahme folgende Verletzung darbot: Die äussere
Hälfte der Beugeseite des rechten Sprunggelenkes war durch
eine vierkreuzerstiickgrosse mit Koth, Sand und: sonstigem
Schmutz verunreinigte Wunde blosgelegt, und der äussere
Knöchel quer gebrochen; keine Luxationsstellung. Die ge-
nannte Wunde setzte sich gegen den Unterschenkel sowohl,
wie gegen den Fussrücken hin, je 2, Querfinger breit in
eine oberflächliche Abschilferung fort.
Die Behandlung bestand in einem das Gelenk immobili-
sirenden gefensterten Gypsverband, der mit der Ris-Bill-
roth’schen Schiene derart verbunden wurde, dass der Unter-
schenkel fusswärts sanft anstieg, und in Carbolwasser- und
Eisüberschlägen.
Das Fieber hielt sich lange Zeit hindurch auf über 39
und steigerte sich in der 2. Septemberwoche, in Folge einer
längs des innern Knöchels nach aufwärts ziehenden Phleg-
mone auf über. 40° C. Inzwischen war die Gelenkswunde
allenthalben mit Granulationen ausgefüllt, der Gypsverband
konnte entfernt werden und ausgiebige Incisionen der phleg-
monösen Stellen brachten auch diese bald zur Heilung.
Am 10. October war allenthalben feste Vernarbung —
das Sprunggelenk in seinen Bewegungen gar nicht behindert.
Eduard Lang, klin. Assistent.
VI. Freier Gelenkskörper und Hydrarthros im
linken Kniegelenke. — Entfernung des Gelenk-
körpers durch direkten Einschnitt. — Heilung.
M. M., 68 |Jahre alt, Taglöhner aus Arzl erzählte bei
seiner Aufnahme auf die chirurg. klin. am 6. Mai 1871, dass
— 277 —
er vor ungefähr 30 Jahren beim Fällen eines Baumes von
einem unter dem Hiebe seines Gefährten abspringenden
Stücke Holz heftig am linken Knie getroffen worden sei.
Durch einige Tage nach diesem Trauma soll das Knie ge-
schwollen und schmerzhaft gewesen sein, allein er ging da-
mals sowie in der Folge seiner anstrengenden Beschäftigung
nach. Auf besondere Strapazen folgte immer ein Gefühl von
Spannen mit geringer Empfindlichkeit des Knies; ob letzteres
aber gleichzeitig auch angeschwollen sei, konnte der Kranke
nicht angeben.
Seine Aufmerksamkeit blieb immer auf dasselbe gerich-
tet und liess ihn 2 Jahre nach dem Unfalle die Entdeckung
machen, „dass sich etwas ober dem Knie herumschiebe.*
Kurze Zeit darauf klemmte sich der bewegliche Körper unter
Erregung eines heftigen Schmerzes zum ersten Male und
später so oft ein, dass der Kranke die Bedingungen hiezu
ausfindig machte und sich gewöhnte mit möglichst starr ge-
strecktem Knie zu gehen,
Sonst war der Patient durch einige Wochen (April und
Mai 1871) auf der intern. Klinik wegen einer Insufficienz
der Bicuspidalklappe (deren Zusammenhang mit einem vor-
ausgegangenem Gelenksrheumatismus nicht festgestellt wer-
den konnte) behandelt worden.
Der Patient ist ein knochiger, muskelstarker Mann von
gesundem Aussehen trotz eines Emphysems und einer hoch-
gradigen Insufficienz der Bicuspidalklappe,
Beim Anblicke seiner Kniee fiel deren massige Ent-
wickelung auf, welche bedingt wird durch eine beide inneren
Knorren des Schienbeines nahe der Gelenkslinie umgebende
stark vorspringende, etwa daumendicke, etwas höckerige
Knochenleiste.
Das rechte Knie erschien eckig, mit wohlausgeprägten
Patellargruben, am linken jedoch sind diese verstrichen und
bemerkte man eine beträchtlich stärkere Füllung des unter
dem Extens. cruris quadriceps liegenden Antheils der Ge-
lenkskapsel.
Naturw.-med. Verein. 2?
— 208
Das linke Knie mass über der Mitte der Patella um
2 Cm. mehr im Umfange als das rechte; 2 Querfinger über
dem oberen Rande der Kniescheibe aber nur 39 Cm. wie
das gesunde. Diese Gleichheit auf der gesunden und kran-
ken Seite fand ihre Erklärung in dem Umstande, dass die
Muskulatur des linken Oberschenkels hinter jener des rech-
ten um ein beträchtliches an Masse zurückstand.
Die linke Kniescheibe ballotirte bei einfachem Anschlag
nur wenig, ganz deutlich und stark aber, wenn die obere
prall gefüllte Gelenkstasche gleichzeitig mit der Hand com-
primirt und deren Inhalt in den unteren Gelenksabschnitt
entleert wurde.
Beim Abtasten des Gelenkes findet man in der unter
dem Quadriceps liegenden Ausstülpung desselben einen viel-
höckerigen knochenharten Körper von der Grösse einer zah-
men Kastanie, welcher sich nach jeder Richtung frei herum-
schieben liess und glatt unter den Fingern gleitete.
Weitere freie Körper liessen sich nicht eruiren, eben-
sowenig waren grössere Gelenkzotten vorhanden, denn man
fühlte ausser einer beträchtlichen Verdickung der Kapsel
allenthalben glatte Wandungen.
Da eine radikale Heilung ohne Entfernung des Gelenks-
körpers nicht denkbar war, so wurde dem Kranken ein dies-
fälliger Vorschlag gemacht. Obschon ihm die Möglichkeit
einer eiterigen Kniegelenksentzündung mit dem Ausgange in
eine Anchylose nicht verschwiegen worden, entschloss sich
derselbe zur Operation.
Der Patient musste zwei der Operation vorausgehende
Tage absolut ruhig im Bette zubringen, um jeden Reizungs-
zustand des Gelenkes zu beseitigen.
Am 9. Juni machte Herr Prof. Heine die Operation in
folgender Weise:
Der Gelenkskörper wurde in der Gelenkstasche soweit
als möglich nach oben und aussen gebracht und hier unter
Verschiebung der Haut von den vier Fingern eines Assi-
stenten fixirt. Ueber ihn wurden nun die Weichtheile in der
— 219 —
Länge von circa 1'/, Zoll in langsamen Zügen vorsichtig
durchtrennt bis die Kapsel zum Vorschein kam. Der Schnitt
in letztere wurde unter gleichzeitigem Hineindrängen des
Gelenkskörpers in die Wunde nur soweit gemacht, dass der-
selbe nicht im ganzen Umfange bloslag, so die Communi-
cation der Gelenkshöhle mit der äusseren Luft völlig ab-
schloss und die Kapsel mit den Weichtheilen mehr über ihn
herabgestreift werden musste. Unter der Nachhilfe eines
hinter ihn gebrachten kleinen Häckchens schlüpfte der Ge-
lenkskörper durch die enge Oeffnung, welche hinter ihm von
den nachrückenden Fingern des Assistenten luftdicht geschlos-
sen wurde. Synovia war nicht ausgetreten.
Fünf Knopfnähte schlossen die kleine Wunde, ein die
ganze Extremität bis zum Hüftgelenke umfassender starker
Gypsverband sicherte die absolute Ruhe des eröffnet gewe-
senen Kniegelenkes.
Der Patient war nicht narkotisirt gewesen, hatte aber
nicht über besondere Schmerzhaftigkeit der kurzen Operation
zu klagen.
In der zweiten auf die Operation folgenden Nacht tra-
ten sehr heftige reissende Schmerzen im Knie auf und der
Patient bekam die Empfindung, dass der Verband mit jeder
Minute enger werde. Ein Fenster wurde noch in derselben
Nacht ausgeschnitten, und 2 Eisbeutel auf das leicht bedeckte
Knie gelegt; am Morgen waren die Schmerzen nahezu völlig
geschwunden.
Die Schwellung welche sich vorfand, machte bei der
geringen Temperatursteigerung keine weitern Bedenken. Vom
13. Juni an war der Kranke fieber- und schmerzenfrei; am
20. wurde das Gypsfenster wieder mit Gypsbinden geschlos-
sen. Die Nähte waren am 10. und 11. entfernt worden;
die Wunde war ohne dass es zur Bildung auch nur eines
Tropfens von Eiter gekommen wäre, geheilt.
Am 10. Juli wurde der Gipsverband abgenommen. Das
Gelenk war frei beweglich , nicht schmerzhaft, aber der
Hydrarthros noch nicht verschwunden. Nach Anlegung eines
22*
— 280 —
neuen, starken, gefensterten Gipsverbandes wurde daher eine
Compression des Gelenkes unter Zuhilfenahme von Bade-
schwämmen nach der von Prof. Heine angegebenen Methode
vorgenommen.
Am 26. Juli konnte eine Kniekappe auf das nun auch
von seinem serösen Ergusse befreite Gelenk angelegt werden
und der Kranke seine ersten Gehversuche machen.
Der Kranke hatte die chir. Klinik inzwischen so ange-
nehm gefunden, dass er die Krücken lange nicht lassen
wollte und darum erst am 16. Oktober mit vollkommen her-
gestelltem Knie entlassen werden konnte.
Der Gelenkskörper war, wie nach der Schätzung erwar-
tet wurde, etwas über 2 Cm. lang 1'7 Cm. breit und nahezu
1 Cm. dick, seine Oberfläche war grobhöckerig, gleich einer
Maulbeere, seine Consistenz stand zwischen Knochen - und
Knorpelharte.
Die mikroskopische Untersuchung, welche erst nach vor-
gingiger Behandlung mit verdünnter Chromsäure (der etwas
Chlorwasserstoffsäure zugesetzt worden war) vorgenommen
werden konnte, ergab einen geschichteten Bau, bedingt durch
verschieden breite Lagen von hyalinem Knorpel mit unregel-
mässig vertheilten, meist grossen Nestern schöner Knorpel-
zellen und Lagen von echtem Knochengewebe mit dicht
stehenden Knochenkörperchen. Die oberflächliche Schichte
bestand in ungleicher Dicke aus verkalktem Knorpel mit sehr
dichten kleinen Knorpelzellen, welche meist in radıären Strei-
fen angeordnet waren. Dünne Streifen ähnlicher verkalkter
Parthien zogen sich im Inneren des Gelenkkörpers parallel
zur Oberfläche hin.
Bemerkenswerth ist an diesem Falle, dass der chron.
Hydrarthros trotz seines gewiss sehr langen Bestandes und
der Lebensweise des Kranken, welche tiefere Gewebsstörungen
der Serosa des Kniegelenks begünstigte in verhältnissmässig
kurzer Zeit völlig geheilt wurde. Ferner liefert der Verlauf
der durch die Operation gesetzten Gelenkswunde einen Be-
leg für die Wichtigkeit einer schnell bewirkten, absoluten und
a)
— 281 —
dauernden Immobilisirung bei penetrirenden Verletzungen
grösserer Gelenke.
VII. Veraltete Luxation des rechten Oberschen-
kels. Reposition. Wiederherstellung der Brauch-
barkeit der Extremität.
Der im Foigenden mitgetheilte Fall verdient wegen der
langen Dauer der Luxation und der Schwierigkeiten, mit
welchen die Wiederherstellung normaler Verhältnisse zu kämpfen
hatte, sowie vielleicht nicht minder wegen seiner Aetiologie
einige Berücksichtigung.
Am 31. Mai 1871 wurde L. Th, eine 31jährige kräf-
tige und gesunde Dienstmagd aus Faggen mit den Erschei-
nungen einer Luxatio femor. iliaca dextra auf die chirurg.
Klinik aufgenommen. Die Pat. kam auf zwei Krücken. Ihre
rechte untere Extremität war beträchtlich verkürzt, im Hüft-
und Kniegelenke leicht gebeugt und einwärts gerollt. Die
Spitzen der Zehen berührten den Boden, die Ferse stand
hoch über demselben nach aussen und hinten, und konnte
auf keine Weise bis auf denselben herabgesenkt werden.
Beim Gehen wurde die rechte Extremität unter äusserst ge-
ringer Flexion am Hüftgelenke (mehr durch Rotation des
ganzen Beckens im gesunden linken Hüftgelenke) nachge-
schleppt. Bei der Untersuchung des Gelenkes fand man die
Pfannengegend leer, dagegen auf dem rechten Darmbeine
einen rundlichen harten Körper, welcher die Bewegungen des
Oberschenkels mitmachte. Beugung und Streckung, sowie
Ad- und Abduction des rechten Oberschenkels waren nur
in ganz beschränktem Umfange ausführbar.
Die Luxation, um welche es sich hier handelte, war
10 Wochen alt und entstanden, als die Patientin einen schwe-
ren Bund Waldstreu, unter den sie hingekniet war, aufheben
wollte. Im Augenblicke als sie den Ruck machte, um ihre
gebeugten Knie- und Hiiftgelenke zu strecken, wurde sie von
der Last des Bündels nach rechts und vorne niedergerissen,
Sie empfand in demselben Augenblicke in der rechten
— 282 —
Hiifte einen heftigen Schmerz, ihr rechter Oberschenkel war
starr gebeugt und an den linken angelegt, die Patientin ausser
Stande ihn zu regen und sich vom Boden zu erheben.
Trotz eines Repositionsversuches, welcher noch an dem-
selben Tage vorgenommen worden war, konnte die Kranke
ihre Extr. nicht mehr gebrauchen.
Am 1. Juni wurde an der tief narkotisirten Patientin
der erste Repositionsversuch gemacht. Durch Beugung, Ab-
duction und Auswärtsrotation wurde mehrere Male versucht,
den Schenkelkopf an seinen alten Platz zuriickzufiihren, allein
es wurde nicht mehr als eine freiere Beweglichkeit erzielt.
Es folgte darauf keine Temperatursteigerung und nur
sehr geringe Schmerzhaftigkeit der Hiifte.
Am 19. Juni wurde nach abermaliger tiefer Narcose die
Patientin auf eine Matraze am Boden gelagert und die Re-
position durch Ausfiihrung der oben angegebenen Bewegungen
unter Zuhilfenahme kräftiger Traktionen bei den letzten zwei
Akten (Abduction und Auswärtsrollung) endlich zu Stande
gebracht.
Bei gleichgestellten Darmbeinstacheln standen beide Tro-
chanteren gleich hoch, der Gelenkskopf war nicht mehr auf
dem Darmbeine zu fühlen, die rechte Extremität lag ohne
Flexions-, Adductions- und Rotationswinkel, die Luxation schien
also reponirt. Der rechte Trochanter sprang aber noch etwas
stirker vor und legte den Gedanken nahe, dass entweder
schon eine theilweise Ausfüllung, resp. Verengerung der
Pfanne eingetreten sei, oder der Kopf trotz gleicher Länge
beider Extremitäten nicht völlig in der noch normalen Pfanne,
sondern an deren oberem hinteren Rande stehe.
Die Repositionsversuche hatten lange gedauert, die Nar-
kose war tief gewesen und begann sich zu verflachen, es
wurde daher mit Rücksicht auf die Patientin von Versuchen,
diesen Rest von Deformität vollends zu beseitigen, abgestan-
den und ein Gypsverband in der von Herrn Prof. Heine
empfohlenen Weise über die ganze kranke Extremität, das
Becken und die obere Hälfte der gesunden angelegt. Exten-
— 283 —
sionsschienchen (angegeben von Herrn Prof. Heine) sollten
den nächsten Tag angebracht werden und die völlige Herein-
führung des Kopfes in die Pfanne beendigen.
Am 19. Juli wurden nach Abnahme des Gypsverbandes
die vorbeschriebenen Verhältnisse noch vorgefunden. In den
nächstfolgenden Tagen aber rückte der Oberschenkelkopf wie-
der etwas höher hinauf.
Am 4. August (bis wohin wegen eines Decubitus am
Kreuzbeine, welcher die Anlegnng eines neuen Gypsverbandes
erschwert hätte, die Wiederholung der Repositionsversuche
verschoben werden musste) gelang es unter Anwendung der
erstangeführten Methode und sehr energischer Traction den
Kopf ganz in die Pfanne zu bringen. Ein deutliches Krachen,
welches im Augenblicke als der Kopf herabtrat, hörbar wurde,
erweckte den Verdacht auf eine Fraktur des Schenkelhalses.
Umsomehr musste, da nun die Extremitäten völlig gleich
lang waren, ein neuer Gypsverband über das Becken und
beide Extremitäten angelegt werden,
Darauf folgenden Tages wurden abermals Extensions-
schienchen angebracht.
Nach acht Wochen wurde dieser zweite Gypsverband
entfernt.
Die rechte Extremität war so lang wie die linke, die
Einrichtung also dieses Mal gelungen. In der zweiten Woche
des November durfte die Kranke die ersten Gehversuche mit
Hilfe zweier Krücken machen.
In der Folge setzte sie dieselben fort und kam Mitte
Dezembers so weit, dass sie mit Hilfe eines Stockes gehen
konnte.
Bei ihrer Entlassung am 13. Januar 1872 betrug die
- Entfernung des rechten Trochanters von einem in der Fort-
setzung des ganz gestreckten Oberschenkels liegenden Punkte
der Crista ossis ilei um 4 Linien mehr als links, die Extre-
mität war activ im nahezu normalen Umfange beweglich die
Patientin also völlig geheilt.
SD oy ees
VII. Spontanluxation des rechten Oberschenkels.
Reposition. Heilung.
Wegen der hohen Wichtigkeit, welche der im folgenden
anzuführende Fall für die Fragen über Spontanluxation hat,
sieht derselbe einer ausführlichen Veröffentlichung entgegen,
und kann darum an diesem Orte nur ein kurzer Abriss
desselben gegeben werden.
Am 17. Dezember 1870 wurde J. J., ein sonst ge-
sundes und gut entwickeltes Mädchen von 13 Jahren, von
ihrer Mutter auf die chir. Klinik gebracht.
Das Kind hatte iu der ersten Woche des August plötz-
lich heftige Schmerzen in der rechten Hüfte bekommen, welche
sie zwangen, zu Bett zu liegen.
Bald war Fieber hinzugetreten und wurden die Schmerzen
unausstehlich, besonders wenn das Kiud sein rechtes Bein
bewegen sollte. Es gewöhnte sich daher, mit angezogenen
Beinen, wobei das rechte durch das linke getragen wurde,
still zu liegen, und konnte (was die Mutter erst bei dem im
Anfange November erfolgenden Nachlass der Schmerzen be-
merkte) ihr Bein im Hüftgelenke nicht mehr strecken.
Man fand bei der Aufnahme den rechten Trochanter
stärker vorspringend und um 3, Cm. dem Darmbeinkamme
näher als den linken. Das Bein war adducirt, einwärts ro-
tirt, stark gebeugt und kaum beweglich. Der Gelenks-
kopf war am Darmbeine deutlich zu fühlen und machte hier
die geringen Bewegungen , welche überhaupt mit dem Ober-
schenkel ausgeführt werden konnten, mit
Von Narben in der Umgebung des Hüftgelenkes oder
anderwärts war nichts zu sehen. Die Mobilisirung und Re-
position der luxirten und an falscher Stelle fixirten Extre-
mität wurde auf dieselbe Weise wie im vorigen Falle be-
werkstelliget und der Erfolg durch einen im Schneider-Me-
nel’schen Apparate wie oben angelegten Gypsverband ge-
sichert.
5 Wochen später fand sich. nach Abnahme des Gyps-
verbandes, dass die rechte Extremität weniger frei beweglich
— 285 —
und um 1 Cm. kürzer sei als die linke und dass der Tro-
chanter rechts weiter vorstehe als links, letzteres wahrschein-
lich in Folge von Verflachung und Verkleinerung der Pfanne.
Die Patientin wurde nun 6 Wochen mit suspendirter
Extremität in Extension gelegt; dann aber wurde, da Be-
weglichkeit und Längenverhältniss hiedurch nicht wesentlich
verbessert zu werden schienen, in der Narcose ein zweiter
Versuch gemacht, den letzten Rest von Abnormität durch
foreirte Flexion, Adduction, Auswärtsrotation und Traction noch
völlig zu beseitigen. Abermals Gypsverband auf die Dauer
von 10 Wochen.
Mitte Juni war zwar noch die Verkürzung des Beines
um 1 Cm. und das stärkere Vortreten des rechten Trochan-
ters vorhanden, aber der Oberschenkel im Hüftgelenke so
weit beweglich, dass er bis zu einem Winkel von 40° ge-
beugt, im normalen Umfange abducirt, addueirt, rotirt und
nahezu völlig gestreckt werden konnte.
Ende August ging die Patientin auf Krücken herum,
die sie dann Anfangs Oktober mit zwei Stöcken vertauschte.
Ihr Gang war zwar noch etwas unsicher, und bei grösseren
Schritten bewegte sich auch das Becken mit, allein alles
dies besserte sich in der Folge so beträchtlich, dass die
Kranke am 15. Jänner mit beinahe normalfunktionirenden
Gelenken entlassen werden konnte.
Damals — also 4 Monate, nachdem sie das Bett ver-
lassen und täglich immer länger dauernde Gehversuche ge-
macht hatte — betrug die Verkürzung der krankgewesenen
Extremität nicht mehr als 1 Cm., wie nach der 1 Reposi-
tion, und wurde der Flexionswinkel, auf dessen Rechnung
diese kleine Verkürzung zu setzen ist, mit 7° (mit Hülfe
des Coxanchylometers von Herrn Prof. Heine) festgestellt.
IX. Luxatio humeri sin. subeoracoidea inveterata.
Reposition nach der Methode von Herrn Prof.
Heine. i;
Im Jahre 1867 empahl Herr Prof. Heine auf der Natur-
— 286 —
forscherversammlung zu Frankfurt fiir veraltete Schulterge-
lenksluxationen nach vorne eine neue Repositionsmethode,
welche sich in der Folge so bewährte, dass er im Jahre 1870
schon 4 von ihm selbst durch dieselbe geheilte Fälle ver-
öffentlichen konnte. (S. Nr. 25 und 26 der „Wiener Med.
Wochenschrift “.)
Seit jener Zeit sind auf der chirurg. Klinik nach dieser
neuen Methode zwei weitere Luxationen reponirt worden,
die im Folgenden mitgetheilte jedoch übertraf alle bisherigen
durch die Dauer ihres Bestandes. — Ein 55jahriger Taglöhner
war im Juni des Jahres 1870 unter der Last eines schweren
Brettes so nach hinten übergefallen, dass er zuerst mit dem
linken Ellbogen auf demBoden aufstiess, und sich dabei den
humerus luxirte. Repositionsversuche, welche bald dar-
auf von unkundigen Händen, und dritthalb Monate später
von einem Arzte angestellt worden waren, hatten keinen Er-
folg gehabt. Oft auftretende heftige Schmerzen und Schwel-
lung der Schultergegend erregten die Vermuthung, dass auch
entzündliche Vorgänge in den Gebilden des luxirten Gelenkes
abgelaufen seien.
Bei der Aufnahme des Kranken am 12. Febr. 1871 —
also nahezu 8 Monate nach dem Unfalle — fanden sich die
Symptome einer Luxatio subcoracoidea. Die activen Be-
wegungen, waren auf ein höchst geringes Mass beschränkt,
so zwar, dass der Patient mit dem abducirten Daumen, nur
dann an den Mund reichen konnte, wenn er das Schulter-
blatt stark mitbewegte, und gleichzeitig den Kopf tief herab-
senkte.
Die Elevation, Rückwärtsbewegung und Rotation des
Armes war fast ganz unmöglich. Nicht viel weiter waren
die Grenzen der passiv ausführbaren Bewegungen.
Am 17. Februar wurde der Patient so tief narkotisirt,
als es die bedenklich flache Respiration, in welche er bald
verfallen war, erlaubte. Ehe noch die Muskeln völlig er-
schlafft waren, musste die Reposition versucht werden.
Ein Polster des Operationstisches wurde, so weit unter
7 284.
den Riicken des Kranken gebracht, dass die linke Schulter
frei lag, der Kopf wurde von einem Assistenten nach der
rechten Seite geneigt, frei gehalten.
Zuerst wurde der Arm in seiner Luxationsstellung durch
ausgiebige Rotations- Ab- und Adductionsbewegung möglichst
frei gemacht; dann bei rechtwinklig gebeugtem Vorderarm so
stark elevirt, bis der Oberarmkopf in der Achselhöhle er-
schien. — An diesen stemmte nun ein Assistent seine. bei-
den Daumen mit aller Kraft an, um das Zurückgleiten an
die die ebenverlassene Stelle während der nun folgenden Her-
abführung des Armes vor dem Gesichte zur Brust (Circum-
duction und Senkung) zu verhindern.
Erst nach dem dritten Versuche stand der luxirtgewesen
Oberarmkopf an seinem normalen Platze. Man konnte seinen
Rand von der Achselhöhle her so deutlich befühlen, dass
über das Gelungensein der Reposition kein Zweifel aufkom-
men konnte. Dies war von um so grösserer Wichtigkeit,
weil die Wölbung der Schulter nun auf dieser Seite merk-
lich stärker ausgesprochen war, als rechts (d.i. auf der ge-
sunden Seite). Wahrscheinlich hatte die Schulter-Pfanne im
Verlaufe der nach der Luxation verflossenen 8 Monate sich
schon so verändert, dass der Kopf sich ihrem Grunde nicht
ganz anschmiegen konnte. Dieser Gedanke bekam auch
durch die in der Anamnese angeführten Symptome einer Ent-
zündung in der verletzt gewesenen Schulter festere Gestalt.
Trotz der angeführten, geringen Abnormität, konnten nun
alle Bewegungen der Schulter in ziemlich grossem Umfange
ausgeführt werden. — Dem Kranken wurde darauf bei an
den Stamm (über ein Achselkissen) angezogenem Arme ein
Gypsverband angelegt.
Bei der Entfernung des Gypsverbandes am 25. März
stand der Kopf gut, war aber die Beweglichkeit desselben
etwas beschränkt; er wurde desshalb in der Chloroformnar-
kose ausgiebig mobilisirt, dann aber der Arm für kurze Zeit
wieder in einem leichten Gypsverbande fixirt. Warme Bäder
und p: ssive Bewegungen, welche mit der äussersten Conse-
— 2388 —
quenz ausgeführt wurden, vergrösserten in der Folge die
Brauchbarkeit des Armes so weit, dass ihn der Kranke bei
seiner Entlassung bis zur Horizontalen erheben, gut rotiren
ab- und adduciren konnte.
Dr. J. Schlemmer, 2. klin. Assistent.
Vier Beobachtungen von Brucheinklemmung und
Herniotomie.
Von den imFolgenden mitgetheilten Beobachtungen von
eingeklemmten Hernien ist nur der erste Fall, als der
einzige klinische des abgefaufenen Jahres, in der obigen Stati-
stik enthalten. Von den drei übrigen gehören zwei der kon-
sultativen Privatpraxis des Unterzeichneten an, wahrend der
dritte allerdings auch in klinischer Behandlung stand, aber
bereits in das laufende Jahr fällt, da er am 1. Jänner d. J.
auf der Klinik Aufnahme fand. Ich stelle dieselben nichts
destoweniger hier zusammen, weil sie sämmtlich in dem kurzen
Zeitraume von 5 Monaten zur Beobachtung gelangten, und
indem sie mancherlei Anlass zur Vergleichung bieten, alle
(jeder in seiner Art) das Interesse des ärztlichen Leser-
kreises dieser Zeitschrift für sich in Anspruch zu nehmen
berechtigt sind. Von den vier eingeklemmten Brüche, waren
zwei Leistenbrüche (beide bei klinischen Kranken männ-
lichen Geschlechtes beobachtet), der dritte ein Schenkel-
bruch und der vierte ein Nabelbruch (die beiden letzte-
ren bei Frauen in der Privatpraxis zur Beobachtung ge-
kommen). Dreimal fand sich eine Enteroepiplocele, das
vierte Mal (bei dem Schenkelbruch) eine einfache Ente-
rocele vor. In den drei erstgenannten Fällen hatte der
Bruchschnitt die Heilung zur Folge, in dem letzten, am
spätesten zur Operation gelangten, trat der letale Ausgang
ein. Einmal wurde die Herniotomie ohne, dreimal mit Er-
öffnung des Bruchsack’s ausgeführt, darunter einmal freilich
entgegen der ursprünglich bestandenen Absicht.
— 289 —
1. Rechtseitige eingeklemmte äussere Leisten-
hernie, Herniotomie ohne Eröffnung des Bruch-
sack’s, Heilung per primam intentionem.
Ein 45jahriger Arbeiter, A. D., litt seit 23 Jahren an
einem cca. henneneigrossen r. Leistenbruch, welcher nach seiner
Angabe nach Heben einer schweren Last plötzlich hervor-
getreten sein soll. Seit einem Jahr erst trug der Kranke
wegen Schmerzhaftigkeit der Bruchgeschwulst beim Arbeiten
ein ihm verordnetes Bruchband, unter dem aber der Bruch
stets hervorschliipfte. Den 17. Nov. 1871 Nachm. 4 Uhr,
bemerkte Patient bei der Arbeit eine Volumszunahme des
Bruches, die ihn nach einer Stunde veranlasste sich zu Bett
zu begeben. Ein Versuch, den bis dahin immer reponirbaren
Bruch zurückzubringen misslang. Patient legte das Bruch-
band über die Bruchgeschwulst an, doch unter demselben
vergrösserte sich der Bruch, so dass der Riemen des Bruch-
band’s entzweiriss. Es stellte sich heftiges Bauchgrimmen
und im Laufe der Nacht zweimaliges Erbrechen von Speise-
bestandtheilen ein. Um 6 Uhr Abends hatte Patient noch
eine Stuhlentleerung gehabt. Am folgenden Morgen liess er
sich auf den Rath eines Collegen, der keinen Repositions-
versuch machte, auf die Klinik aufnehmen. Man gewahrte
in der obern Hodensackhälfte eine kindskopfgrosse pralle,
- tympanitischklingende Geschwulst, die mit einem dicken Stiele
in den Leistenkanal hineinreichte, Ein schonend ausgeführter
Taxisversuch ergab als wahrscheinlichen Sitz der Einschnü-
rung den äussern Leistenring. Die Geschwulst war bei Be-
rührung empfindlich, der Gesichtsausdruck des Kranken ver-
rieth grosse Aengstlichkeit.
Um 10 Uhr Vormittags wurde zur Chloroformnarkose
geschritten und nun in planmässiger Weise Repositionsver-
suche mittelst concentrischen Drucks vom Grunde der Ge-
schwulst her und trichterförmiger Einengung des Geschwulst-
stiels mittelst Traktion, sowie mittelst allseitiger Compression
des Bruchs gemacht, unter gleichzeitigem Niederdrücken der
— 290 —
Bauchdecke mit einer andern flachen Hand oberhalb der
Bauchgeschwulst in der r. reg. hypogastrica. Alles verge-
bens; der Bruch blieb so gespannt wie zuvor. Darauf wurde
mehrere Stunden hindurch Eis applicirt, und Nachmittags
41/2 Uhr nach erneuter Narkotisirung und nochmaligen frucht-
losen Taxisversuchen die Herniotomie gemacht in der
ausgesprochenen Absicht, dem äusseren Leistenring durch eine
möglichst kleine Wunde direkt zu Leib zu gehen und den
Bruchsack ‚uneröffnet zu lassen. Ich führte einen 11/2” langen
schräg nach Aussen aufwärts verlaufenden Schnitt gerade
über dem Leistenring, vertiefte ihn successive bis zur Blos-
legung des letzteren, überzeugte mich, dass wirklich durch
diesen die Einklemmung bedingt wurde, kerbte denselben mit
dem konkaven Herniotom nach Oben ein und vermochte so-
dann ohne Mühe den Bruchinhalt in die Bauchhöhle zurück-
zuschieben. Die Incarceration war behoben. Die kleine Haut-
wunde wurde durch 5 Knopfnähte vereinigt und Patient in
das Bett zurückgebracht. Derselbe fühlte sich durch die
Operation sehr erleichtert. Es stellte sich in der folgenden
Nacht Stuhl ein. Am folgenden Tage wurden 3 Nähte, am
zweiten die zwei übrigen entfernt. Fieber trat nicht ein. Die
prima intentio war vollkommen gelungen. Ein taubeneigrosses,
kolbiges Netzstück lag noch im Bruchsack vor und war. offen-
bar mit demselben leicht verklebt, so dass es sich ohne
stärkeren Druck nicht reponiren liess. Aus Schonung für die
junge Narbe wurde desshalb die Reposition desselben erst
am achten Tage nach der Operation mit Erfolg vorgenommen.
Der Kranke wurde einige Tage später entlassen, nachdem
er vorher mit einem passenden Bruchband versehen worden
war, — Die richtige Diagnose der Einklemmung durch die
Bruchpforte, der unbedeutende Eingriff durch die darauf ba-
sirte, 24 Stunden nach eingetretener Incarceration ausgeführte
Operation, die Wundnaht und primäre Vereinigung, sowie das
Ausbleiben aller Reaktionserscheinungen bilden die bemerkens-
werthen Punkte dieser Beobachtung.
— 291 —
2. Rechtseitige incarcerirte Scrotalhernie, Her-
niotomie mit Eröffnung des Bruchsackhalses,
Peritonäalnaht, Heilung.
Der Bruch dieses 22 J. alten Kranken, F. St., besteht
angeblich erst seit drei Jahren. Damals soll er unmittelbar
in Folge Herabrutschens über drei Treppen als kleine Ge-
schwulst entstanden sein, die sich später nach einem Brech-
anfalle gegen das Scrotum herab ausdehnte. Zugleich stellten
sich heftige Schmerzen im Unterleibe ein, die seine Aufnahme
in’s Spital veranlassten. Man nahm die Reposition der Hernie
vor und legte dem Patienten ein Bruchband an, das er seit
jener Zeit ununterbrochen bei Tag und bei Nacht trug. Am
1. Januar ds. Js. Nachmittags 4 Uhr schlüpfte der Bruch
unversehens unter der Pelotte des schadhaft gewordenen
Bruchbandes hervor; es gesellten sich sofort Schmerzen im
Unterleibe hinzu, 1/2 Stunde später erfolgte Erbrechen, das
sich wiederholte. Um 7 Uhr Abends wurde von einem Col-
legen ein erfolgloser Taxisversuch gemacht, und um 111/2 Uhr
Nachts der Kranke der Klinik übergeben. Er hatte verfallene
Gesichtszüge und klagte über öftern Frostschauer. Bei der
örtlichen Untersuchung fand sich eine strausseneigrosse r.
Scrotalhernie, deren ‘untere Parthie sich mässig weich an-
fühlte, während die obere prall gespannt war, und die an
ihrem Halse besonders in der Tiefe gegen den inneren Lei-
stenring zu sich stark eingeschnürt und sehr empfindlich
zeigte. Sofortige von dem ersten Assistenten Herrn Dr.
Lang sowohl ohne als in der Narkose vorgenommene Repo-
sitionsversuche waren vergeblich. Es wurde desshalb ein
Eisbeutel auf die Bruchgeschwulst gelegt und innerlich Eis-
pillen verabreicht, da der Kranke wiederholt gallig-schleimige
Massen erbrach und von anhaltendem Aufstossen gequält
wurde.
Den folgenden Morgen um 10 Uhr sah ich den Kranken
in diesem Zustande und entschloss mich ohne Säumen zur
Vornahme der Herniotomie (18 Stunden nach erfolgter
— 292 —
Incarceration). Der hohe Grad der Einschnürung und die
Beweglichkeit des Einklemmungsringes bewogen mich von jedem
weiteren Taxisversuch abzusehen. Ich beabsichtigte, wie in
dem vorigen Falle wo möglich ohne Eröffnung des Bruchsacks
die Einklemmung zu heben, jedenfalls aber durch eine kleine
Incisionswunde in der Gegend des Leistenkanals, dessen innere
Oeffnung als Sitz der Einschnürung angenommen wurde, die
Operation ihrem Endziele zuzuführen. Ich machte zu diesem
Zweck in der Chloroformnarkose einen 1” langen Schräg-
schnitt an der genannten Stelle, drang durch denselben
schichtenweise spaltend zum äusseren Leistenring vor und
überzeugte mich, dass dieser, obgleich ziemlich eng, doch
nicht die Ursache der Incarceration sein konnte. Ich kerbte
ihn nichtsdestoweniger nach Aussen aufwärts ein, um dem
Finger einen Zugang zum inneren Leistenring längs des Bruch-
sackhalses zu bahnen. In der Höhe des letzteren fühlte ich
am Bruchsackhalse dicht anliegend mehrere über denselben
straff herübergespannte fibröse Stränge, welche zweifellos die
Einklemmung bedingten. Sie schienen mir dem inneren Lei-
stenring anzugehören, waren aber in die Aussenfläche des
Bruchsacks so tief eingebettet, dass ich Mühe hatte, unter
Führung des linken Zeigfingernagels einige derselben mit einem
schmalen spitzen Bistouri zu durchschneiden. Unter die ober-
sten suchte ich eine dünne Hohlsonde unterzuschieben; doch
bei diesem Versuche riss die brüchige Wand des Bruchsack-
halses ein, und ich erweiterte nun rasch die kleine Risswunde
durch die noch ungetrennten Stränge hindurch mit dem Her-
niotom. Beim Einreissen schon stürzte eine reichliche Menge
klarer seröser Flüssigkeit hervor und dieser folgte zuletzt ein
circa wallnussgrosser Knollen blutig infiltrirten Netzes. Das-
selbe liess sich ebenso wie der übrige Bruchinhalt, der aus
Darmschlingen bestand, durch Compression der Bruchgeschwulst
vom Grunde her leicht in die Bauchhöhle reponiren, ohne
dass etwas Weiteres in der Wunde zum Vorschein kam. Die
Wunde am Bruchsackhalse wurde nun mit spitzen Häkchen
vorgezogen, gereinigt, ihre Ränder mit der Scheere egalisirt
— 293 —
und sodann durch 13 Knopfnähte mit karbolisirten Seiden-
fäden (Schliemann’sche Seide Nro. O0) vereinigt. Während
dieser Zeit wurde von Seiten des Assistenten das Eindringen
von Luft in die Bauchhöhle wirksam verhindert. Die Fäden
wurden zur äusseren Hautwunde herausgeleitet, nebst zwei
angelegten Ligaturfäden, die Wunde mit Carbolnebel bestäubt,
offen gelassen und mit karbolisirter Watte, Guttaperchapapier
und einer Spica coxae verbunden. Das subjektive Befinden
des Kranken nach der Operation war ein ganz befriedigendes.
Da ich in Erfahrung gebracht hatte, dass derselbe schon
längere Zeit an einer Intermittens tertiana leide und seinen
Anfall am Tage der Operation erwarte, so ordnete ich sofort
die Verabreichung von 10 gr. Chinin. sulf. mit 1 gr. Opium
an und liess diese Dosis 8 Tage hindurch täglich nehmen.
Am Nachmittag nach der Operation stellte sich der Fieber-
anfall auch wirklich ein mit einer Temperatur von 40° C.
In der Umgebung der Wunde traten keinerlei Reaktionser-
scheinungen auf. Am zweiten Tage nach der Operation war
Patient fieberfrei und konnten 4 Nähte, die durchgeschnitten
hatten, entfernt werden. Am dritten Tage wurde eine weitere
Sutur nebst den zwei Ligaturfäden und an den folgenden
vier Tagen die übrigen Nähte, nachdem sie durchgeschnitten
hatten, herausgenommen. Patient, dessen Wunde in schön-
ster Heilung begriffen war, hatte bis zu dieser Zeit (dem
7. Tage nach der Einklemmung) noch keinen Stuhl gehabt.
Chinin und Opium wurden nun ausgesetzt und ein Clystier
gegeben. Darauf folgten zwei Entleerungen vereinzelter knol-
liger Fäces. Da das ganze Rectum mit einer Menge solcher
fester, trockener Scybala ausgefüllt war, wurde die Auslöffe-
lung derselben vorgenommen.
Der weitere Verlauf bietet nichts Bemerkenswerthes mehr.
Unter fortgesetzter antiseptischer Behandlung gelangte die
Operationswunde am 24. Tage zur vollkommenen Heilung.
Das Wechselfieber blieb aus und der Kranke wurde am
28. Tage mit einem gutschliessenden Bruchbande entlassen.
Die Grundsätze, nach welchen ich bei und nach der
Naturw.-med. Verein, 23,
— 294 —
Herniotomie frisch eingeklemmter Leistenhernien verfahre und
die durch vorstehende Fälle ihre Illustration erhalten, lassen
sich kurz dahin resumiren, dass ich:
1. trachte, wo immer möglich eine kleine
Wunde dem muthmasslichen Sitze der Einklem-
mung gegenüber anzulegen;
2. stets, wo nicht die Einklemmung durch den Bruchsack
selbst oder innerhalb desselben von vornherein feststeht, in
erster Linie darauf ausgehe, die Incarceration unter Schonung
des Bruchsacks (nach Petit) zu beheben;
3. sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen, die
Vereinigung der äusseren Wunde, und wenn der Bruchsack
eröffnet werden musste, der Bruchsackwunde allein oder neben
der äusseren Wunde durch die Naht vornehme behufs Er-
zielung einer prima intentio;
A. (und das gilt für alle eingeklemmten Hernien gleich-
mässig) die Nachbehandlung mit Opium leite und den spon-
tanen Eintritt der Stuhlentleerungen abwarte.
3. Linkseitiger eingeklemmter Schenkelbruch,
Herniotomie, Heilung.
Am 19. August vorigen Jahrs wurde ich von Herrn
Dr. Theuille zu einer Frau A. H. in T. gerufen, welche seit
Abends vorher Einklemmungserscheinungen an ihrer kleinen
l. Schenkelhernie darbot, die gerade ein Jahr zuvor von
demselben Collegen wie es scheint, im Zustande einer leich-
ten Kothanschoppung zuerst wahrgenommen worden war.
Die Kranke hatte bis dahin den „Knopf“ nicht bemerkt
gehabt. Die Colikerscheinungen vor 1 Jahr giengen nach
einigen Stunden vorüber, obgleich die von dem gen. Collegen
versuchte Reposition der Hernie nicht gelang. Auch in
späterer Zeit mehrmals vorgenommenen Repositionsversuche,
welche die Anlegung eines Bruchbandes zum Zweck hatten,
blieben erfolglos, so das die Annahme einer H. accreta nahe
gelegt wurde,
— 295 —
Am 18. August 1871 Abends stellten sich nun neuer-
dings Symptome von Incarceration ein, die aber diesmal wäh-
rend der Nacht und am folgenden Morgen an Intensität
zunahmen, zu wiederholtem Erbrechen und schmerzhafter
Spannung der kleinen Bruchgeschwulst führten und daher
den oben erwähnten Herrn Collegen veranlassten, telegraphisch
meine Hülfe nachzusuchen. Ich traf mit Herrn Dr. Lang
den 19. gegen 4 Uhr in T. ein, fand die Kranke mit ängst-
lichem Gesichtsausdruck, kleinem schnellen Puls und leichtem
Meteorismus. Die unterhalb des Poupart’schen Bandes im
Schenkelbug befindliche Bruchgeschwulst hatte den Um-
fang einer grossen Pflaume, war sehr gespannt, schmerzhaft
und im Schenkelring fest eingeschnürt, die Bruchdecken nur
leicht geschwellt. Da ein sofort ausgeübter Taxisversuch
(der erste nach erfolgter Einklemmung) die Erfolglosig-
keit, die Incarceration auf diesem Wege zu beheben, fast
zur Gewissheit machte, überredete ich die gegen die
Operation sich sträubende Patientin zur Einwilligung in
dieselbe und nahm sie ohne Säumen in der Chloroform-
narkose nach einem nochmaligen vergeblichen Versuche der
Reposition vor. Ein circa 2 Zoll langer Längsschnitt, zwi-
schen zwei Pincetten vorsichtig vertieft, legte den Bruchsack
bloss; derselbe wurde ebenfalls mittelst zweier Pincetten
etwas emporgehoben und da ich eine Verwachsung desselben
mit dem Bruchinhalte vermuthete, mit grosser Vorsicht
eingeschnitten. Darauf kam die matt geröthete Aussen-
fläche einer kleinen Darmschlinge, die durch kurzes straffes
Zellgewebe im ganzen Umfang des Bruchsacks angewachsen
war, und nur mit geübtem Auge sich erkennen lies, zum
Vorschein.
Der Bruchsack wurde der Länge nach gespalten, der
linke Zeigfinger ia denselben gegen den Schenkelring geführt
und auf dem Nagel desselben der überaus enge Ring mit
dem Herniotom nach Oben eingekerbt, darauf die kleine
stark hyperämische Darmschlinge grösstentheils mit dem
Skalpellstiele rings aus dem Bruchsack ausgelöst und ohne
23°
—/ 296: —
Schwierigkeit reponirt. Die Wunde wurde zur Hälfte durch
Knopfnähte geschlossen. in den untern Winkel eine Charpie-
Möche eingelegt und ein Spica-Verband darüber gemacht
Die Operation gieng sehr rasch und ohne Schmerz. für die
Kranke von statten, die sich durch dieselbe sehr’ erleichtert
fühlte. Die von Herrn Dr. Theuille geleitete Nachbehandlung
stiess auf keine unangenehmen Zufälle mehr. Der vereinigte
Theil der Wunde heilte per primam, der übrige auf dem
Wege der Eiterung fast ohne Fieber und ohne alle perito-
nitischen Erscheinungen innerhalb 4 bis 5 Wochen. Am
21. September gieng die Kranke schon wieder ihren gewohn-
ten Beschäftigungen nach. Der erste Stuhl hatte sich erst
8 Tage nach der Herniotomie auf ein Clysma eingefunden.
Die Genesene trägt jetzt ein Bruchband, das ihren Bruch
reponirt hält. Ich habe sie seit der Operation nicht mehr
gesehen.
Herr Dr. Theuille, dem ich die bezüglichen obigen No-
tizen verdanke, theilt mir mit, dass die kleine Hernie, wenn
sie sich gelegentlich wieder hervordrange, sehr leicht re-|
ponirbar sei.
&
4. Eingeklemmter grosser Nabelbruch bei einer
Erwachsenen, späte Herniotomie, Tod durch
Septicämie.
Ein älteres Fräulein von ziemlicher Corpulenz, welches
schon seit einer Reihe von Jahren an einem reponiblen Nabel-
bruch litt, wegen dessen sie ein Bruchband trug, verspürte,
während ihres Aufenthaltes am Achensee am 20. August'v. J.
Morgens 10 Uhr in Folge heftigen Lachens, plötzlich unter
intensivem Schmerz ein Hervortreten ihres Bruches von mehr
als gewönlichem Umfang. Sie wurde von: Uebelsein befallen
und musste sich legen. Zwei zufällig anwesende. Collegen‘,
wurden nach mehrfachen von ihr selbst angestellten, vergeb-
lichen Repositionsmanövern, nach Ablauf einer Stunde hin-
— 297 —
zugerufen, konstatirten eine Brucheinklemmung, und nahmen
ohne Verzug sowohl ohne als mit Chloroform wiederholte
Taxisversuche vor. Als auch diese nicht zum erwünschten
Ziele führten, veranlassten sie die Kranke sich nach Inns-
bruck transportiren zu lassen und meine Hülfe anzusuchen.
Der Transport musste circa 2 Stunden per Wagen auf holpe-
rigen Wegen und 1 Stunde per Bahn ausgeführt werden und
griff die Kranke sehr an. Abends traf sie hier ein, den
andern Morgen 10 Uhr wurde ich hinzugezogen, nachdem
am Abend zuvor von Herrn Collegen Lantschner erneute
Versuche zur Reposition, aber wie die früheren ohne Erfolg
gemacht worden waren. Als ich die Kranke sah, machte
sie mir gleich einen sehr ungünstigen Eindruck. Sie hatte
die Nacht über öfters gebrochen, und litt an beständigem
Aufstossen. Ihr Gesicht war sehr geröthet, der Ausdruck
desselben hatte etwas Aengstliches und der Puls war
‘klein und fliegend, der Unterleib in Folge von Moteoris-
mus ausgedehnt und mässig gespannt. Die Nabelbruchge-
schwulst trug auf ihrer Höhe die verstrichene Nabelnarbe
und hatte die Grösse eines Kindskopfs. Sie war von
fettreichen, stark ödematösen und entzündlich infiltrirten,
leicht gerötheten Bauchdecken bedeckt, sehr gespannt und
schmerzhaft, und sass mit breiter Basis der vorderen Bauch-
wand auf. Ihr Inhalt fühlte sich ziemlich derb an, soweit
sich neben der nicht unbeträchtlichen Quantität Bruchwassers
erkennen liess. Es wurde der Kranken ohne Verzug die
Narkotisirung behufs erneuter Vornahme der Taxis und even-
tuellen, sofortigen Uebergang zur Herniotomie vorgeschla-
gen, über deren Gefahren im Hinblick auf die verflossene
Zeit seit der Einklemmung, den unzuträglichen Transport und
die Fettleibigkeit der Kranken ich deren Angehörige nicht
im Zweifel liess. Es kam zur Operation, die ich mit Hülfe
der Herren DDr. Lantschner und Läng ausführte. In der
Medianlinie der Bruchgeschwulst wurde ein Längsschnitt in
der Länge ihrer zwei unteren Drittel durch die Haut ge-
führt, dann die Zellgewebs-Schichten successive zwischen
— 298° —
zwei Pinzetten getrennt und der sehr dünne Bruchsack
blosgelegt. Eine Einkerbung des die Incarceration bewir-
kenden Nabelrings ausserhalb des Bruchsackes erschien un-
thunlich. Letzterer wurde daher in der Ausdehnung des
Hautschnittes gespalten, worauf nach Abfluss einer ziem-
lichen Menge bräunlichen Bruchwassers eine röthlichgefärbte
Masse fettreichen Netzes zum Vorschein kam. Dieses wurde
behutsam auseinandergelegt, und gegen den Nabelring hin
verfolgt, wo ich sehr bald eine von dem Netz rings umhüllte
kleine, blauröthliche Dünndarmschlinge entdeckte, die mit
dem Netz im Nabelring eingeklemmt war. Letzterer wurde
auf der Hohlsonde nach mehreren Richtungen eingekerbt,
bis sich die Darmschlinge, an der noch kein Zeichen
von Brand wahrgenommen wurde, reponiren liess, und das
gleichfalls gut erhaltene Netz ohne Schwierigkeit zurückge-
bracht werden konnte. Die Operationswunde wurde darauf
sorgfältig antiseptisch gereinigt, und die äussere Wunde bis
auf den unteren Winkel, zur Verhütung eines Vorfalls durch
die Naht geschlossen, Die Kranke, die von der Operation
nichts gefühlt, befand sich nach derselben ganz wohl. Den
Tag über dauerte nur das lästige Aufstossen fort, Erbrechen
kam nicht wieder, das Fieber hielt in mässigem Grade an.
Die Nacht war etwas unruhig, am Morgen fand sich etwas
Wundsekret im Bruchsack angesamuelt, es wurde daher der
grösste Theil der Nähte entfernt, és entleerte sich wie bei
der Operation viel braunröthliches, wässeriges Sekret, das
auch aus der Bauchhöhle noch in einiger Menge nachfloss.
Antiseptischer Verband, Eis, Chinin. Am folgenden Tage
zeigte sich eine circumskripte Peritonitis links vom Nabel,
und wiederum Abfluss einer nun etwas übelriechenden, iait
feinen Gasbläschen gemischten Flüssigkeit. In den Bruch-
decken entwickelte sich eine septische Phlegmone. Das Sen-
sorium der Kranken war nicht mehr ganz frei, sie sprach
viel, war heiter, verstand unsere Fragen, antwortete jedoch
hastig und unzusammenhangend. Ihre Züge waren etwas
dekomponirt und hohes Fieber vorhanden. Chinindosis ver-
— 299 —
stärkt. Bis Abend bildete sich die sehr akut entstandene
Septicaemie vollends aus, in der Nacht delirirte die Kranke,
am folgende Tage und in der folgenden Nacht verfiel sie in
Sopor, und verschied am 4. Tage nach der Operation Morgens
11 Uhr. Die Sektion konnte leider wegen äuserst rapider
Fäulniss nicht gemacht werden.
Heine.
Personalstand des Vereines im Jahre 1871.
Vereinsleitung.
Vorstand: Herr Prof. Dr. Max Ritter v. Vintschgau.
Vorstand-Stellvertreter: Herr Prof. Dr. Ludwig Ritter
v. Barth.
Kassier: Herr Prof. Dr. Carl Dantscher.
Schriftführer: Herr Dr. Josef Oellacher.
Mitglieder.
Herr An-der-Lan Eduard Dr. v., k. k. Hauptmann in
Innsbruck.
Ausserer Anton, Gymnasialprofessor in Feldkirch.
Arz Anton Graf v., k. k. Statthaltereirath in Innsbruck.
Barth Franz Ritter v., k. k. Statthaltereirath in Inns-
bruck.
Barth Ludwig Ritter v., Dr. phil., k. k. Universitäts-
professor in Innsbruck.
Baumgarten Anton, Dr. phil., k. k. Universitätspro-
fessor in Innsbruck.
Belrupt Karl Graf v., in Innsbruck.
Bentzel-Sternau Albert Graf v., k. k. Rittmeister in
Innsbruck.
Berreitter Georg, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts-
rath in Innsbruck.
— all ae
Herr Buckeisen Friedrich, Dr. phil., k. k. Oberrealschul-
professor in Innsbruck.
Daimer Josef, Dr. med., Assistent bei der Lehrkanzel
der path. Anatomie in Innsbruck.
Dantscher Carl, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor
in Innsbruck.
Ebner Johann Ritter v., k. k. Hofrath in Innsbruck.
Ebner Viktor Ritter v., Dr. med., Docent an der Uni-
versität in Innsbruck.
Elsler Franz, Mag. Chir., Gemeindearzt in Silz.
Enzenberg Hugo Graf v., in Innsbruck.
Fedrigotti Wilhelm v., k. k. Oberlandesgerichtsrath in
Innsbruck.
Fizia Bernhard, Dr. med., Bezirksarzt in Reutte.
Gasser Vinzenz, Dr. med., Assistent bei der geburts-
hilflichen Klinik in Innsbruck.
Gassner Theodor, k. k. Gymnasialdirektor und Schul-
rath in Innsbruck.
Glatz Josef, Dr. med., Armen- und Polizeiarzt in
Innsbruck.
Gillhuber Josef, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitäts-
rath in Innsbruck.
Grabmayer Ernst v., k. k. Landesgerichtsadjunkt in
Innsbruck.
Hausmann Raphael, Dr. med., prakt. Arzt in Meran.
Heine Carl, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor in
Innsbruck. |
Heinisch Anton, Dr. med., k. k. Bezirksarzt in Bozen.
Heller Camil, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor in
Innsbruck.
Hinterwaldner Johann, k. k. Professor an der Lehrer-
bildungsanstalt in Innsbruck.
Hofmann Eduard, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor
und Sanitätsrath in Innsbruck.
Kerner Anton, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor
in Innsbruck.
— 3802 —
Herr Kiechl Franz Dr., Assistent bei der Lehrkanzel der
Physik in Innsbruck.
Krischek, Eduard, Dr. Pil K..kı Be
in Innsbruck.
Lang Eduard, Dr. med., I. Assistent bei ar ehr.
Klinik in Innsbruck.
Lantschner Ludwig, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck.
Laschan Ignaz, Dr. med., k. k. Statthaltereirath in
Innsbruck.
Lechleitner Christian, Dr. phil. k. k. ee
in Innsbruck.
" Leithe Friedrich, Dr. phil., k. k. Universitäts-Biblio-
thekar in Innsbruck.
Löbisch Dr. Wilhelm.
Malfertheiner Josef, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck.
Maly Richard, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor
~ in Innsbruck.
Maresch Josef, k. k. Landeschulinspektor in Innsbruck.
Mauthner Ludwig, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor
in Innsbruck.
Mayrhofen Virgil, Ritter v., Dr. med., k. k. Univer-
sitätsprofessor und Sanitätsrath in Innsbruck.
Messmer Alois, k. k. Oberrealschulprof. in Innsbruck.
Mörz Isidor, Dr. med., prakt. Arzt und Sanitätsrath
in Innsbruck.
Oellacher Josef, Chemiker u. Hausbesitzer in Innsbruck.
Oellacher Josef, Dr. med., Docent an der. Universität
in Innsbruck.
Paulweber Michael, k. k. Gymn.-Prof. in Innsbruck.
Peche Ferdinand, Dr. phil., k. k. Universitätsprofessor
in Innsbruck.
Pfaundler Leopold, Dr. phil., k. k. Universitätsprofessor
in Innsbruck.
Plaseller Josef, Dr. med., k.k. Berickaarde und Sani-
tätsrath in Innsbruck.
— 303 —
Herr Platter Hugo, Dr. phil., Professor an der Biirgerschule
3433 3
in. Innsbruck.
Pircher Johann, Dr. med., k. k. Statthalterei-Concipist
in Innsbruck.
Peplar Ludwig, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in
Innsbruck.
, Pusch Karl, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck.
Putz Gottlieb, Dr. med. in Meran.
Reinisch Ferdinand Ritter von in Innsbruck.
Rembold Otto, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor
in Innsbruck.
Romberg Rudolf, Fabriksdirektor in Innsbruck.
Schlemmer Josef, Dr. med., Il. Assist. bei der chirurg.
Klinik in Innsbruck.
Schmidt Josef v. Wellenburg, Dr. k. k. Rechnungs-
rath in Innsbruck.
Schott Ferdinand, Dr. med., k. k. Universitätsprofessor
in Innsbruck.
Schönach Anton, Dr. med., prakt. Arzt in Innsbruck.
Schumacher Anton, Chef der Wagner’schen Universitäts-
Buchhandlung in Innsbruck.
Sennhofer Carl, Dr. chem., Assistent bei der Lehr-
kanzel der Chemie in Innsbruck.
Settari Franz, Dr. med., prakt. Arzt in Meran.
Strasser Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in
Innsbruck.
Strasnitzky Johann, Dr. med., k. k. Stabsarzt in
Innsbruck.
Stumreich Josef, Dr. med., k. k. Regimentsarzt in
Innsbruck.
Schwind Franz, Ritter v., k. k. Hofrath in Pension in
Innsbruck.
Thun-Hohenstein Franz Graf v., k. k. Generalmajor
in Wien.
Toggenburg Georg Ritter v., k. k. geheimer Rath in
Bozen.
BE ISOs
Herr Trentinaglia Josef v., k. k. Gerichtsadjunkt in Innsbruck.
N
Tschurtschenthaler Anton, Dr. med., k. k. Universitäts-
professor und Sanitätsrath in Innsbruck.
Vintschgau Max Ritter v., Dr. med., k. k. Duyzız
professor in Innsbruck. i
Wawra Johann, k. k. Oberbaurath in Innsbruck.
Weiler Josef, k. k. Oberrealschulprofessor in Innsbruck.
Wildner Franz, Dr. med., k. k. TRIBIE SE 1 olon0n
in Innsbruck.
Winter Josef, Dr. med., k. k. Bezirksarzt in Brixen.
Wocher Franz v.. Dr. med., Stadtphysikus.
2 $-
Inhalt des II. Jahrganges.
1. Heft. Sein
Satzungsberichte . . . Sedans NEOAII0DE
Die Waldquelle zu Marienbad, eine Siatie aus Hae Balneotechnik
und Balneochemie von M. J. Dietl . . ..... =. 1
Analyse der Therme am Brenner (Brennerbad) von L. Barth,
Kewoe nin bh ofe ry und) R Kölle, cn |... sb 26
Analyse der Raniglerquelle (bei Bozen) von denselben . , 29
Analyse der Pirchabrucker Quellen (Eggenthal bei Bozen) von
diemsiellben.. . .- AN HU in aus 31
Resultate der iusteorologivelion Bechucheunpen zu eee im
Jahre 1870. Zusammengestellt von Carl Wilhelm von
Diana vorrei studephıl tic) i u ee 36
Py und >, Hieft.
Surzumesberichte ‘. . , - Sct cree ne NOL Nos
Ueber die Zählung der Herzschläge bei nleielosischen Versuchen
über den Vagus und den Sympathicus von G. P. Vlacovich,
Prof. der Anatomie an der Universität zu Padua, und M.
Vintschgau, Prof. der Physiologie an der Universität zu
Innsbruck, aus der italienischen Abhandlung im Auszuge mit-
getheilt von M. Vintschgau. . . RES NER 87
Kleine Mittheilungen über die eiweisssto führenden Zellen der
Gerste (mit einer Tafel) von M. v. Vintschgau „ 120
Novae Plantarum species. Auctore A. Kerner. . . 124
Analyse einer Ovarialeystenflüssigkeit von Prof. ehr Ma 174
Bericht über die im physiol.-chem. Laboratorium vom October 1870
bis Jänner 1872 ausgeführten Arbeiten. . . . 183
Ophthalmologische Mittheilungen von Prof. Ludwig Mautner . 184
Bade Versuche voniibrot,O; Rembold.,. . 9) e200)
Mittheilungenaus den Kliniken und Instituten der
Universitat zu Innsbruck:
Bericht über die in der pathologisch-anatomischen Anstalt
in Innsbruck vom October 1870 bis October 1871 voll-
führten Obductionen von Prof. Schott SER
Bericht über die medicinische Klinik in Innsbruck im Solar-
Jahre 1871 von Dr. Th. Kölle, klinischem Assistenten
Statistischer Bericht und casuistische Mittheilungen aus der
chirurgischen Klinik in Innsbruck von Prof. Dr. ©. Heine,
unter Mitwirkung der Assistenten Privat-Docent Dr. Lang
und Dr. Schlemmer. N
Personalstand des Vereines im Jahre. 1871
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