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Tapperepe vH
Berlin
wie es iſt und — trinkt.
Von
Ad. Brennglas.
Adolf a 85 Yemme 52
e) PN
Neuntes Heft:
„puppenfpiele“
Mit einem Titelkupfer.
— ——
Dritte Auflage.
EEK ...... — |
Leipzig, 1845.
Verlag von Ignaz Jackowitz.
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634 58
27.456
Puppenfpiele.
An mehreren Tagen der Woche ſieht man in
Berlin vor dieſem oder jenem Hauſe einen vierecki—
gen Kaſten, auf welchem transparent das anſpruch—
loſe Wort: „Figuren-Theater“ zu leſen iſt. Ich
habe mich immer gewundert, warum Dichter und
Kritiker dieſe Inſtitute ſo wenig beachtet haben; ſie
greifen augenſcheinlich in das Volksleben, und wuͤr—
den tief in daſſelbe greifen, ließen ſich die vorneh—
men Muſenſoͤhne herab, fuͤr ſie zu dichten und ihre
Leiſtungen zu beſprechen. Ueberall, auffallend aber
ſtellt es ſich in Berlin heraus, wie ſchade es iſt,
daß das Volksleben ſo wenig geachtet, daß keine
Poeſie ſeine Elemente benutzt, daß ſeine geiſtigen
Eigenthuͤmlichkeiten nicht cultivirt werden. Aus ei—
nem Volke laͤßt ſich viel machen, z. B. ein Volk,
und daß ſelbſt der Poͤbel geadelt werden kann, hat
die Geſchichte vielfach bewieſen. Auf der andern
Seite fehlt es auch nicht an Beweiſen, daß durch
Vernachlaͤſſigung der Adel zum Poͤbel geworden.
Erſt ſeit kurzer Zeit iſt das Berliner Volksle—
ben in Deutſchland gewuͤrdigt; erſt ſeit kurzer Zeit
1 *
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ift den Berlinern klar geworden, daß fie ein ſolches
haben, daß ihr Poͤbel witzig iſt, und, wie Hegel
ſagt, abſtract denkt. Und ſchon jetzt zeigen ſich deut⸗
lich die Folgen der geringen Cultivirung dieſes Ele:
mentes; in die Eckenſteher, Holzhauer, Hoͤkerinnen
u. ſ. w. iſt, man moͤchte ſagen, ein wenig Stolz
gefahren; ſie wiſſen, wie merkſam man auf ihr
Thun und Treiben geworden, ſie fuͤhlen ſich eigent⸗
lich zum erſten Male Menſchen, ſie fangen an zu
denken und cultiviren ſelber ihre Gaben. Es iſt
aber nicht genug, daß wir den Witz unſeres Poͤbels
erkannt haben, wir muͤſſen auch ſeine Rohheit erken⸗
nen, und dieſe Seite ſeines Characters durch eine
Volkspoeſie mildern und abzuſchleifen ſuchen; wir
muͤſſen, geht es nicht anders, einen poetiſchen Schnaps
deſtilliren, damit die niedrigſten Klaſſen unſrer Mit⸗
buͤrger empfaͤnglicher, menſchlicher werden.
Aber wie traurig ſieht es noch damit aus!
Unſere ganze Volkspoeſie beſteht in dem Beobachter
an der Spree und in den Zirngibl'ſchen, in dieſem
Jahre gedruckten Liedern; in den Theatern und Pup⸗
penſpielen findet man keine Spur davon. Laͤchelt
nicht, ihr Thoren; haltet keine Sache fuͤr gering,
die wichtig werden kann! Waͤre es nicht beſſer ge⸗
weſen, wenn Angely, ftatt die Gemeinheit auf un⸗
ſere Buͤhne zu bringen, fuͤr die Puppenſpiele ge⸗
ſchrieben, und unſer niedrigſtes Volk um eine Stufe
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hoͤher gebracht haͤtte? Waͤre es nicht beſſer, manche
unſerer politiſchen Zeitungen enthielten ſtatt ihrer
Politik Berichte uͤber Puppenſpiele, populaͤre Ab—
handlungen uͤber den Werth des Menſchen, ſtatt ih—
rer liebewarmen Correſpondenzen aus kalten Gegen—
den? Waͤre es nicht beſſer, wenn unſere Referen—
darien, ſtatt Dichterſchulen zu bilden und ihre un—
gluͤckliche Liebe zu beſingen, Lieder für das Volk
dichteten? Waͤre es endlich nicht beſſer, wenn un—
ſere literariſchen Judenjungen, ſtatt jedem fremden
und einheimiſchen Kuͤnſtler, ſobald er vom Poſtwa—
gen geſtiegen, ihre taͤglichen und klaͤglichen Wiſche
aufzudringen, die voll ungewaſchenen, rezenſirenden
Zeuges uͤber unſere Buͤhnen und voll bezahlten Lob—
ſalms find, über die Leiſtungen der Puppen ur⸗
theilten? Wahrhaftig! und ich will gern zugeben,
daß die Bezeichneten in dieſer Sphaͤre ſogar Bedeu—
tung erlangen koͤnnten. Dazu kommt, daß die Fi—
guren⸗Theater in vieler Hinſicht den Menſchenthea—
tern vorzuziehen ſind, auf welchen letzteren faſt ohne
Ausnahme Kabale und Liebe, Arroganz und Scha—
chergeiſt die beſten Fruͤchte im Keim erſticken, die
ſchoͤnſten Talente untergraben und die mittelmaͤßi—
gen ihrer Waden wegen in die Hoͤhe bringen. In
den Figurentheatern dagegen haben die Directoren
immer Energie, Klugheit und Bindfaden (auf ber—
iniſch: Strippe) genug, ihre Mitglieder in Ruhe
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und Ordnung zu erhalten; Herr Kaspar, der Ko—
miker, hat ſowohl im Luſtſpiele, wie in der Tra—
goͤdie die erſten Parthieen, Niemand beſchwert ſich
daruͤber und wirft neidiſche Blicke, wenn das Pu⸗
blikum ſeinen Liebling vergoͤttert. Auch bleiben
hier die engagirten Damen immer jung, in den
Menſchentheatern dagegen ſind viele Beweiſe vor—
gekommen, daß die weiblichen Mitglieder alt
werden.
Treten wir jetzt hinein in die Halle der leb—
loſen Kuͤnſtler; der Leſer wird mir erlauben, daß
ich ihn freihalte. „Entrée 2 Silbergroſchen, Kinder
zahlen die Haͤlfte!“ ruft eine alte Caſſirerin.
Das iſt ſehr liebenswuͤrdig von Ihnen. Hier
ſind 3 Silbergroſchen fuͤr uns Beide; komm', mein
lieber Leſer!
Weh' mir, welch ein Tabaksgeſtank! Ich wit⸗
tere Vaterlaͤndiſchen: Blaͤtter aus der Uckermark
fuͤr ungebildete Staͤnde. Wir wollen uns durch
dieſen Saal draͤngen, und von der Gallerie herab
das ganze Leben betrachten, ein Leben voll Luſt
und Wonne, Kuͤmmel und Liebe, Unſchuld und Ver⸗
fuͤhrung.
Zwei Seiten des langen Saales find mit Baͤn—
ken begraͤnzt. Statt der Hinterwand ſieht man einen
Vorhang, bunt bemalt und mehr Reiz verhuͤllend
als jene dicke Koͤchin, welche mit uͤbergeſchlagenen
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Beinen in der Ede ſitzt, ein kleines Kind auf dem
Schooße beruhigt, und dazwiſchen mit einem fri—
ſchen, kraͤftigen Dragoner liebelt, der ſich ſeinen
langen, ſchwarzen Schnauzbart ſtreicht, und gewiß
die reelſten Abſichten hat. Ich bezweifle ſogar nicht,
daß er dieſelben noch heute an den Abend legen
wird, denn ſie hat ſchon drei Mal aus dem gro—
ßen Weißbierglaſe und einen tuͤchtigen Kuͤmmel
trinken muͤſſen.
Im Vordergrunde iſt die Schenke; hinter dem
mit Schinkenſtollen und Wurſtſemmeln bedeckten
Tiſche ſteht der Wirth dieſes Hauſes und das Weib
dieſes Wirthes, jener Weißbier, dieſe Schnaps
ſchenkend.
Der groͤßte Theil des Publikums beſteht aus
Kindern, die unſaͤglich viel ſchnattern, aber noch
viel mehr ſchnattern und lachen wuͤrden, wenn ſie
nicht eine volle Stunde aͤngſtlich nach dem Vor—
hange ſehen, und bis dahin in ſchrecklicher Unge—
wißheit bleiben muͤßten, ob ſie, ſobald die Baͤnke
vor die Buͤhne geſchoben werden, einen guten Platz
bekommen. Zwiſchen ihnen wandeln dreißig bis
vierzig Kriegsmaͤnner herum, Cavaleriſten und In—
fanteriſten, ſaͤmmtlich in Uniform, und ſaͤmmtlich
irgend einer Koͤchin oder einem ſoliden Kindermaͤd—
chen die Kur ſchneidend, denen die Herrſchaft heute
Abend bewilligt hat, mit den Klienen nach dem
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Puppenſpiele zu gehen. An Schuhmacher und
Schneidergeſellen kann es unmoͤglich fehlen, denn
ſowohl in der dicken Bruſt des Pechbefliſſenen wohnt
Liebe, wie in dem Bruͤſtchen des Nadelſchwingen⸗
den, und wo koͤnnten ſie ſich beſſer mit der Doͤrthe
von Geheimſekretairs oder mit der Karline von
Neumanns oder Wieſekens treffen?
Sobald die Initiative der Liebe voruͤber ſind,
d. h. ſobald man uͤber verſchiedene Punkte einig
geworden, kommt man hinauf nach dieſer dunklen
Gallerie. Hier iſt es ruhiger, gemuͤthlicher; man
ſitzt hier, den Augen der neugierigen und verlaͤum⸗
denden Welt weniger preisgegeben hinter der Bruͤ—
ſtung, und wenn man ſeinen Kopf gleichgiltig an
den Pfeiler lehnt, ſo koͤnnen noch viele Dinge
zwiſchen Himmel und Erde geſchehen, von denen
ſich die Schulweisheit dort unten nichts traͤumen
laͤßt.
Hier oben iſt aber nicht blos das Aſyl der Liebe,
ſondern auch das: jugendlicher Rohheit. Knaben
zwiſchen zehn und vierzehn Jahren ſitzen hier mit
großen Pfeifen oder Cigarren, und trinken aus ho⸗
hen Glaͤſern ſo viel Schnaps, daß ſie kaum noch
ſtehen koͤnnen, bevor das eigentliche Feſt feinen An⸗
fang genommen.
Unten ſind ſo eben die Muſici gekommen. Sie
ſetzen ſich an einem Tiſche nieder, welcher in der
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Ecke, dicht am Figurentheater befindlich und bereits
mit Schnaps und Weißbier beſetzt iſt. Zu einem
Quartette findet man hier ohne Ausnahme fuͤnf
Maͤnner, weil Einer von ihnen immer trinkt.
Es beginnt. Glaubt Ihr das Puppenſpiel?
Bewahre, das Tanzen! Der Schuſter und der Gre—
nadier ſtellen ſich vor die Auserwaͤhlte und ſtrecken
ihren Arm aus. Die Ausgewaͤhlte ſetzt das Kind
ihrer Herrſchaft bei Seite, ſteht auf, legt ſich in
den Arm des Geliebten und, haſt du nicht geſehen!
walzt und galloppirt mit ihm durch die Reihen der
harrenden Knaben und Mädchen.
Einer von den Muſicis klingelt. Sogleich hoͤrt
Schuſter, Grenadier, Schneider und Dragoner auf,
waͤhrend des Tanzens mit ihren Stiefeln laut den
Tact zu ſchlagen; ſie drehen ſich nur noch bis zu
den Stuͤhlen ihrer Herzallerliebſten, werfen dieſe
nieder, greifen in die Weſtentaſchen, holen einen
Silberſechſer heraus, und legen dieſen auf jenen Tiſch,
um welchen fünf Muſikanten ein Quartett ſpielen,
in ſo fern Einer naͤmlich nur mit Kuͤmmel oder
Pomeranzen accompagnirt.
Hinter den Couliſſen ertoͤnt eine Glocke, zwei
feiſte Maͤnner treten in den Saal und wollen die
Baͤnke vor die Buͤhne ſetzen, allein faſt unbeſieg—
bare Hinderniſſe ſtellen ſich ihnen in den Weg.
Die Buben und Maͤdchen pruͤgeln, draͤngen und
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ſtoßen ſich; keiner will weichen, Niemand zuruͤck⸗
bleiben, Alles die erſten Plaͤtze einnehmen, die Hart⸗
naͤckigſten weichen ſogar nicht von den Baͤnken, und
muͤſſen auf ihnen fortgetragen werden. Wird der
Scandal zu toll, ſo nahen ein paar handfeſte Schu—
ſter, ſtreifen ſich die Aermel zuruͤck und greifen ſcho—
nungslos in die Reihen kuͤnftiger Mitbuͤrger und
Mitbuͤrgerinnen, ſchieben ſie mit kraͤftigen Stoͤßen
bei Seite und placiren ihre Liebſten auf das
Beſte.
Endlich iſt die Ruhe wieder hergeſtellt, die Glocke
hinter den Couliſſen ertönt zum zweitenmale und
der kleine Vorhang fliegt in die Hoͤhe.
Nun beginnt das Schauſpiel. Kaspar reißt
göttliche Witze, mitunter auch liebliche Zoten, ſchal⸗
lendes Gelaͤchter und Bravos erzittern den Saal,
dicker Tabaksqualm umhuͤllt die Geſtalten der
Dichtung, Weißbier und alle Sorten einfacher und
doppelter Branntweine erfriſchen die Kehlen der
aufmerkſamen Zuſchauer, am Schluſſe jedes Actes
ertoͤnt von der Buͤhne herab ein disharmoniſcher
Geſang.
Und wenn der kleine Vorhang zum letztenmale
gefallen, laufen die Kinder nach Hauſe, und wieder—
holen ſich die Witze Kaspar's, um ſie morgen in der
Schule zu erzaͤhlen; die Schuſter und Schneider,
Dragoner und Grenadiere aber trinken und tanzen
nn
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mit ihren geliebten Köchinnen und Kindermaͤdchen
bis in die ſpaͤte Nacht hinein.
Auch die dunkele Gallerie wird hin und wieder
von einzelnen Gruppen belebt.
Nas p a r.
Um dieſe Figur dreht ſich das ganze Schauſpiel;
ſeit der komiſchen Oper „das Donauweibchen,“ welche
vor vielen Jahren ſo entſchieden Gluͤck machte, iſt
ſie in unſern Figuren-Thatern ſtereotyp geworden,
und wird jedes Mal mit Jubel empfangen. Kas—
par iſt das beweglichſte von allen Mitgliedern dieſer
Buͤhne. Der Koͤnig und der Jude, die Prinzeſſin,
der Ritter und der Pfaffe werden in die Scene ge—
ſchleift, ſchuͤtteln nur mit dem Kopfe und heben die
rechte Hand auf; Kaspar aber verdreht die Augen,
geht mit vorgeſtreckten Knieen, er iſt im Gebrauche
eines vollſtaͤndigen Sitzorganes, er macht Buͤcklinge,
bei welchen er mit dem Kopfe das Podium beruͤhrt,
im Nothfalle ertheilt er ſogar Maulſchellen.
In der Tragoͤdie hat Kaspar die Todten fortzu—
ſchaffen; bevor er ſie aber mit den Händen bei den
Haaren faßt und aus den Couliſſen ſchleppt, tram—
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pelt er ein wenig auf ihnen herum und erwirbt auf
dieſe Weiſe den Beifall des kunſtliebenden Publi⸗
kums. Der Intriguant des Schauſpiels aber wird
von ihm ſchonungslos behandelt; hier iſt Kaspar dem
boͤſen Prinzip geradezu gegenuͤber geſtellt. Er ſchimpft
ihn, er ſtoͤßt ihn mit ſeinem Schaͤdel gegen die Naſe,
und will Alles nichts fruchten, ſo zieht er ihn in die
eine Ecke der Buͤhne, dreht ihn herum, ſetzt ſeinen
Fuß auf einen Theil des Koͤrpers, den wir zwar nicht
gern ausſprechen, der aber einem ewigen Naturgeſetze
zufolge von der groͤßten Wichtigkeit iſt, und faͤhrt mit
dem Intriguant durch die Luft zur Thuͤre hinaus.
Im feinen Luſtſpiele und in der Poſſe iſt Kas—
par die geſtaltete Verſchmitztheit, er foppt und fuͤhrt
Alle bei der Naſe herum, ſogar Diejenigen, mit de:
nen er's gut meint, und iſt es ihm moͤglich, Dieſem
oder Jenem ungeſehen einen Rippenſtoß beizubringen,
oder einen Katzenkopf zu verabfolgen, ſo berechnet er
durchaus niemals die ſchaͤdlichen Folgen, welche ſolche
Handlung ihm herbeifuͤhren koͤnnte.
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re oe N
I.
Das Stück iſt betitelt: Der Mondkaiſer. Ein Luftſchiffer
iſt mit ſeinem Diener Kaspar nach dem Monde
verſchlagen worden.
Kaspar (die Augen verdrehend). Na, da haben
wir die Beſcheerung! Nu ſind wir uf den Mond;
det is 'ne ſchoͤne Jeſchichte! Nu ſollen Se mal ſehen,
jnaͤdiger Herr, wie wir abnehmen. Ein Ecken—
ſteher wuͤrde hier verzweifeln, wenn det letzte Viertel
kommt. (Er hebt einen Fuß hoch.)
Der Herr. Ich ſehe dort in der Ferne Je—
baͤude; ich vermuthe, daß hier Menſchen wohnen.
Kaspar. Nich die Spur von Menſchen! Hoͤch—
ſtens eine Colonie Mondkaͤlber! Hier kann man ja
ſeinen Augen nicht trauen; auf den Mond is Alles
Schein.
Der Herr. Ich bedauere es nicht, daß wir
hierher verſchlagen ſind; die Wiſſenſchaft kann da—
durch bereichert werden.
Kaspar. Ach, de Wiſſenſchaft is ſchon genuch
beraͤuchert, deshalb wollen wir uns nich jraͤmen!
Hier is blos de Hauptſache, deß wir was zu ſchna—
beliren kriejen, denn ich verſpuͤre einen Appetit, wie
ich ihn niemals auf unſerer Erde wahrjenommen
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habe, un wie ihn felbft unſre Kaifer un Könje nich
beſizen. Anjenommen, wir faͤnden nu auch hier
Menſchen, als was wollen wir uns hier ausjeben,
womit wollen wir auf dem Mond unſer Brod ver—
dienen? Det Eenzije, wat mir uͤbrich bleibt, ick warte
det letzte Viertel ab, und werde Viertel-Comzarius.
Die uͤberjen drei Viertel kann ick denn faulenzen.
(Er verdreht die Augen.) |
Der Herr. Du biſt ein Narr. Ich werde
jetzt auf Kundſchaft ausgehen. Erwarte mir hier,
Kaspar! (ab.)
Nach einem kurzen Monologe erſcheint die Wittwe
des vertriebenen Mondkaiſers. Sie ſteht in der Luft,
weil ihre Lenkerin eben die Bindfaden nicht genug
herunter gelaſſen.
Kaspar (bei Seite, indem er die Augen verdreht).
Potz Blitz! dieſes Mondkalb is nich uͤbel! (laut, unter
Verbeugungen.) Um Verjebung, Madam, ich — ich
hätte nich jejlaubt, daß wir heute eine Witterung
haben!
Die Dame (mit durchaus origineller Betonung).
Ihrer Kleidung nach ſcheinen Sie ein Fremdling
zu ſein. O edler Fremdling, was wollet ihr auf
dem Monde? Hier iſt keine Freude zu holen.
Kaspar. So? Na, was is denn zu holen?
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Die Dame. Nur Kummer und Iram.
Kaspar. So? Na, da haben wir's! Ich
hab's jleich zu meinem Herrn geſagt, daß es uns hier
miſerabel jehen wird. Aber, ſehen Se, Madam, des
kommt davon, mein Herr kann es nu mal nich laſ—
ſen, er ſchifft immer in de Luft. Es iſt naͤmlich ein
Luftſchiffer. Aber ſagen Se mal, Madam, jiebts hier
mehr ſo huͤbſche Frauenziefer?
Die Dame. O ja, edler Fremdling! Wenn
ich auch eine der ſchoͤnſten war, ſo hat mich doch
der Kummer und der Iram ſehr veraͤndert.
Kaspar. Nu, da is es doch hier ſo uͤbel nich!
Da kann man ja mal Eene heirathen? (Er verdreht
die Augen.)
Die Dame (indem ihr, aus Verſehen, der Kopf
hinten herumgedreht wird; nach Kaspar hin mit dem
ſteifen Arm geſtikulirend). Warum dieſes nicht, mein
edler Fremdling? Oo die Weiber wollen auch hier
gern einen Mann; denn es iſt ja ihre Beſtimmung;
(plötzlich dreht ſich ihr Kopf wieder Kaspar zu) Denn
der Mann muß die Frau lenken; er iſt der Herr
der Schoͤpfung. Aber ſaget mir, mein edler Fremd—
ling, wie ſind denn bei Euch die Weiber?
Kaspar (mit beiden Armen geſtikulirend). Ja,
ſehen Se, Madam, des kann ich Ihnen ſo ejentlich
jar nicht beſchreiben, weil wir fie im bloßen Natur⸗
zuſtande nur ſehr ſelten zu ſehen bekommen. (Er bleibt
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mit dem einen Fuße ftehen und hebt den andern hoch
in die Luft.) Ja, ſehen Se, ſo is es, Madam.
Die Dame (ſchleift ſich näher zu Kaspar und
geſtikulirt ihm mit dem ſteifen Arme unter der Naſe).
Ihr ſcheinet mir ein ſehr heiterer Mann zu ſein.
Oo wenn Euch nur nicht das Loss trifft, Kaiſer zu
werden.
Kaspar. Kaiſer? (Er verdreht die Augen und
ſchlottert in der Luft mit beiden Füßen.) Nu, warum
ſoll ich'n des nicht werden? Schauen Sie mich an,
glauben Sie nicht, daß ich mich dazu qualinficire?
(Er dreht ſich fünf bis ſechs Mal herum.) Ich wuͤrde
vielleicht beſſer als mancher andere Kaiſer ſein, ich
bin nicht jrauſam und bin auch kein Schaafskopp.
Da ich alſo milde und pfiffig bin, ſo kann ich auch
Kaiſer ſein, det is klar wie die Bruͤhe des Kloßes!
Die Dame (ſinkt aus Verſehen zuſammen, fo
daß ſie ſchräg gegen eine Couliſſe zu liegen kommt.)
Do edler Fremdling, Niemand würde Euch um
dieſes Loos benei —
Eine Stimme (aus den Wolken, d. h. hinter
den Couliſſen). Na, wat machſte denn, Karline?
Zieh de Strippe an! De Kaiſ'rin haͤngt ja ſchief!
(Eine Hand wird ſichtbar, die Dame richtet ſich auf
und ſpricht weiter.) beneiden. Denn hier iſt es kein
Gluͤck, der Regent dieſes Volkes zu fein, weil ein Ho-
herprieſter wie ein Schwerdt über dem Throne hängt.
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Kaspar (verdreht die Augen). Ein Hoherprieſter?
Brr! Ick kann ſchon die niedrijen Prieſter nich leiden,
vielweniger die hohen. Aber — (bei Seite) ich eſſe
jebratene Stiebelknechte mit Pantoffelſauce, wenn ich
nicht bald zur Tafel komme — ſagen Se mal, ſchoͤne
Madam, was haben Sie'n heute zu Mittag?
Die Dame. Elephantenbraten und Loͤwen—
torte. (Sie ſchüttelt mit dem Kopfe.)
Kaspar. So? (indem er, mit vorgeſtreckten Knieen
klappernd, abgeht.) Na, haben Se de Juͤte und ſetzen
Se mir en paar Elephanten in de Roͤhre, ich komme
bei Ihnen zu Tiſche. (ab.)
Die Dame (die Hand hochhebend). Ein ſonder—
barer Menſch, dieſer Fremdling; wenn er nur nicht —
Kaspar (wiederkommend). Hoͤren Se mal, Ma—
dam, in de Torte koͤnnen Sie en paar Loͤwen hacken,
aber ganz junge!
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II.
prinz und Prinzeffin.
Prinz. Prinzeſſin, wo ſeid Ihr hergekommen?
Prinzeſſin. Prinz, ich bin uͤber's Meer ge⸗
ſchwommen.
Prinz. Prinzeſſin, liebt ihr mir?
Prinzeſſin. Ja, Prinz, ich liebe Dir!
Prinz. So fuͤhret mir zur Tafel!
Prinzeſſin. Des bin ich nicht cumpafel!
Prinz. So fahrt mit mich in die Kuleſche!
Prinzeſſin. Das jeht nich, ich habe heute die
Waͤſche.
Prinz (zieht den Dolch). So empfange den tödt- |
lichen Streich durch meiner Hand, du imfamigte
Kurnalje!
III.
Kaspar vor Gericht.
Richter. Wie nennſt Du Dich?
Kaspar. Du.
Richter. Wie iſt Dein Name?
Kaspar. Ich heiße ſchlechtweg: Kaspar. Ei⸗
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gentlich bin ick aber von Adel, denn meine Mutter
war' en Raubritter.
Richter. Wie iſt dieſes moͤglich?
Kaspar. Ja, ſehen Se, Herr Trichter, erſt ritt
mein Vater Raub, und wie der ſtarb, ſetzte meine
Mutter des Jeſchaͤft fort.
Richter. Wo biſt Du jeboren?
Kaspar. Wo Sie jeboren ſind: im Mutter⸗
leibe.
Richter. Ich meine, in welcher Stadt, in
welchem Dorfe?
Kaspar. In keene Stadt, in keen Dorf. In
en Flecken bin ick jeboren. Deshalb war ick als
Junge ooch immer ſo dreckig. Ein Muͤncheberjer
bin ick, denn mein Vater war aus Berlin und meine
Mutter aus Frankfurt an de Oder.
Richter. Wie alt biſt Du?
Kaspar. Ja, des muͤſſen Se rathen, Herr
Trichter! Wie meine Mutter ſtarb, ging ſe in't een⸗
undreißigſte, un wie mein Vater ſtarb, ging er in't
achtunvierzigſte. Wenn Sie nu meine Mutter zwee
Mal von meinen Vater abziehen, denn komm' ick
raus.
Richter (ſchreibt). Alſo 34 Jahr.
Kaspar. Machen Se aber en Jedankenſtrich
hinter de 34!
Richter. Warum?
l *
20
Kaspar. Weil ick 35 bin!
Richter. Was haſt Du gelernt?
Kaspar. Unterthan!
Richter. Was iſt das fuͤr dummes Zeug.
Kaspar. Sie, Herr Trichter, nehmen Sie ſich
in Acht, det man Ihnen nich in de Hundeloͤcher
ſchickt, des heeßt in unſre Jefaͤngniſſe! Wie koͤnnen
Sie ſich unterſtehen, einen Unterthan fuͤr dummes
Zeug zu halten? He? wie heißen Sie, wo ſind Sie
jeboren?
Richter. Halt Er das Maul! Was will Er
mit dem Unterthan?
Kaspar. Ick will niſcht mit'n Unterthan; ick
handle nich mit Menſchen! Aber ick bleibe dabei, daß
ick Unterthan jelernt habe! Seien Sie meinetwegen
was Sie wollen, Sie ſind doch immer en Unterthan,
wenn Sie nich Koͤnig jelernt haben. ö
Richter. Das ſind jeojraphiſche Bemerkungen,
die hier nicht herjehoͤren. Welches Handwerk, welche
Kunſt erlernteſt Du?
Kaspar. Ich will Ihnen ſajen, Herr Trichter,
ich war in meiner Jugend ſo krank, daß ich niſcht
lernen konnte. Ich hatte naͤmlich den Schwindel,
un noch jetzt leid' ich an Schwindeleien. Nu loof
ick ſo durch die Welt un naͤhre mich von Unterthan
ſein! Mal hier, mal da! Jute Beene, Hiebe Patria!
Heute bin ick Bediente, morjen Herr; der eenzige
21
Herr, der mit mir zufrieden is, bin ick! Weil ick en
juten Kopp habe, un feine Sitten, ſo daß ick ſchnell
begreife, un mir jut nehme, war ick mal bei de Achs—
ziehſe anjeſtellt, die hab' ick aber jetzt in'n Majen!
Richter. Laͤſtere Er hier nicht den Staat!
Kaspar. Ach, Herr Trichter, ſein Se nich ſo
dumm un ſo jrob in Ihrem Amte, ſonſt werden Se
ausgezeichnet und krieſen Zulage! Warum ſoll ick
denn nich ſagen, det ick de Achsziehſe in'n Magen
habe? Will der Staat etwa, det ick verhungern ſoll,
wie't manchmal den Anſchein hat? Ne! Na, un kann
ick etwa en Stuͤck Brod oder Fleeſch ohne Achsziehſe
runterſchlucken? Jiebt nich Mehl un en Ochſe Achs—
ziehſe? Sind Sie etwa frei, Herr Trichter? Alſo
krieg ick doch de Achsziehſe in'n Magen, nich?
Richter. Wenn Du es ſo verſtanden, ſo mag's
gut ſein. Man hat Ihn gefaͤnglich eingezogen, weil
Er ein Raͤuber ſein ſoll. Hier iſt die Anklage.
Kann Er ſie umſtoßen?
Kaspar. O ja! (er hebt den einen Fuß auf und
ſtößt an den Tiſch, daß dieſer ſammt dem Richter auf die
Erde fallen.) Jerichtsdiener, ſagt den Praͤſenten, daß
ich Alles ad acta jelegt habe! (er klappert mit vorge—
ſtreckten Knieen ab.)
N.
Der König und der Prinz.
(Aus einem alten Trauerſpiele.)
Der Koͤnig (den Arm hochhebend). Mein Sohn
und Prinz, wo kommſt Du her?
Der Prinz (ebenſo). Mein Vater und König,
ich fuhr uͤber's Meer!
Der K. Willſt Du auf meinen Thron Dir ſetzen?
Der Pr. Das würde mir jar ſehr erjoͤtzen.
Der K. Doch haſt Du Muth fuͤr Feindesmacht?
Der Pr. Ich werde von meine Soldaten bewacht.
Der K. Was haſt Du noch außer den Menfchen:
verſtand?
Der Pr. Eine große Taſche un eine Hand!
Der K. Erlernteſt Du die Regierungskunſt?
Der Pr. Mein Vater, des is man blauer
Dunſt!
Der K. Willſt Du Deine Voͤlker jluͤcklich
machen? -
Der Pr. Se ſollen fich nich zu Tode lachen.
Der K. Umſchlingſt Du ſie mit das Liebesband?
Der Pr. Mein Vater, mir ſind man Stricke
bekannt!
Der K. Mein Sohn, willſt Du den Schmeich⸗
ler meiden?
23
Der Pr. Wer mir beſchimpft, den kann id
nich leiden!
Der K. Willſt Du jerecht und jnaͤdich ſein?
Der Pr. Jejen mir und meine Weiber allein!
Der K. (ſchüttelt den Kopf). Mein Sohn, mein
Sohn, mit Dir iſt't niſcht!
Der Pr. Ich habe Ihn'n de Wahrheit auf—
getiſcht!
Der K. Du warteſt wohl ſchon auf meinen Tod?
Der Pr. Die Freude faͤrbt mir die Wangen roth!
Der K. Scheuſal, mein Sohn, ich ermorde Dir!
Der Pr. Mein Koͤnig, den Spaß verbitt ick mir!
Der K. (zieht den Dolch und ſtößt ihn). Mein
letztes Wort ſei dieſer Stich! N
Der Pr. (liegt an der Erde und zappelt mit den
Beinen). Mein Vater, mein Vater, ick ſterbe noch
nich!
Der K. Junge, wenn De nich ſtirbſt, ſo
pruͤgl' id Dir!
Der Pr. (röchelnd). Mein letzter Roͤchel ein
Fluch von Dir! *
Die Koͤnigin (ſchleift ſich herein und kreiſcht).
Mein Jott, mein Jott, was ſeh' ich hier!
Der Koͤnig (im tiefſten Baſſe). Jeh' runter, un
jruͤße des Volk von mir!
he hen,
Geſpräche im Publikum.
I:
Zwei Soldaten. Der Wirth.“
T. Du, ick kann Dir was im Vertrauen mit⸗
theilen, Berme, aber Du mußt et nich überall rum:
Elatfchen, denn der Unteroffzier hat mir jeſagt, ick
ſollt' et nich jeden Schaafskopp uf de Naſe binden.
Wir kriejen Krieg!
B. Du, unſer Unt'roffzier hat Dir gewiß wie⸗
der was weiß jemacht! Gegen wen ſollten wir denn
jetzt? De Franzoſen haben't Herz jetzt in de Hofen,
und denn kann man die Nation doch nich haſſen,
weil ſie ſich nich Allens jefallen laſſen, verſtehſte?
Wat ſollte uns Preußen woll jetzt jejen de Franzoſen
bejeiſtern? (er trinkt und ruft) Vor'n Iroſchen Küm:
mel, Herr Wirth! Un ſeh' mal, mit de Oeſtreicher
is et jetzt ooch niſcht, denn in dieſen Jahre ſind
de Huͤhner jut gerathen. Na, un von Polen is
niſcht mehr zu holen, denn det weeßt De ja, de
Ruſſen oder wie ſe ſe nennen, de Reußen, die
moͤchten wir ja
Der Wirth (fest ein großes Glas hin). Einen
Kuͤmmel!
B. Hier is en Iroſchen! (zu T.) vor Liebe und
Freundſchaft umarmen. Det weeßt De ja, Toͤpke,
25
det wir de Ruſſen lieben? Weeßt De det nich
mehr? Herrjees, wat haſt Du vor'n ſchwachet Je—
daͤchtniß!
T. Ja, de Ruſſen lieben wer, det leſen wer ja
immer in de Zeitung, un des muß wahr ſind; auswen—
dig ſehen ſe zwar barſch aus, aber inwendig haben ſe doch
ihren — ler trinkt aus Berme's Glaſe) ihren Werth.
B. Na, alſo, ſiehſte woll, kriejen wer keenen
Krieg!
Der Wirth. Ja, hoͤren Se mal, Herr Berme,
Krieg vermuth ick! (er macht ein wichtiges Geſicht.)
T. Siehſte woll, Berme! — Nu erklaͤren Se
uns mal, Herr Wirth!
Der Wirth. J ſehen Se mal, ick werde zwar
immer aus de Zeitungen nich recht kluch, weil det
immer ſo jelehrt jeſtellt is, aber ſo viel hab' ick in
de letzte Zeit doch raus jekriecht: mit des junge
Deutſchland ſcheint et mir nich recht richtich! Ick
jloobe immer, mit des junge Deutſchland un Preu—
ßen wird et woll losjehen!
B. Sollte't wirklich? Jemunkelt hab' ick ooch
ſchon von't junge Deutſchland hoͤren. Sajen Se
mal, Herr Wirth, wo liejt denn det eejentlich?
Der Wirth (leiſer). Ja, ſehn Se mal, jenau
weeß ick det ooch nich, aber ick jloobe, da ſo in de
Jejend von Frankfurt am Main muß et liejen.
Es muß uͤberjens noch en janz uncolorirter Staat
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find, denn z. B. von Ehe wiſſen fe da niſcht, un
von Jott ooch nich. Der Koͤnich, jloob ick, heeßt
Jutzkow der Erſte.
T. Ob er ville Soldaten hat?
Der Wirth. I nu, vielleicht mehr, als in de
Zeitungen ſtehen. Wie jeſagt, recht kluch bin ick
aus die janze Jeſchichte nich jeworden! (er trinkt.)
— Ihr Wohlſein, meine Herrn! — aber ſo viel
kann ick Ihnen ſajen, een junges Deutſchland jiebt
es jetzt, un ick jloobe, ick jloobe, det alte Deutſch—
land is ſchon zu alt! (Es klingelt.) Aha, det Pup⸗
penſpiel jeht los! Paſſen Se uf, meine Herren!
B. Wat wird denn heute ejentlich jejeben!
Der Wirth. Die Zeit jeht ihren Jang, ein
Luſtſpiel mit traurigen Einlagen.
II.
(Ein Schuhmacher ſieht ein Dienſtmädchen, das ſein
Herz bewegt. Er ſtellt ſich vor ſie und ſtreckt ſeinen
Arm aus. Sie legt ſich hinein und ſie tanzen. Nach⸗
dem der Walzer geendet und der Mann des Peches einen
Sechſer bezahlt, ſetzt er ſich neben die Auserwählte und
will ſeinen Gefühlen Luft machen.)
Schuſter. Sie find ein ſehr huͤbſches Maͤd—
chen, Mamſell!
Dien ſtmaͤdchen. O ich bitte, Sie find ſehr
guͤtig.
27
Schuſter. Ne jewiß! Wo dienen Sie'n?
Dienſtm. In de Kannenierſtraße Nummer 87,
eene Treppe hoch, vorne raus.
Schuſter. Haben Se dieſen Sonntach Ihren
Sonntach?
Dienſtm. Zufällig, ja! Wie fo meenen Sie'n
das?
Schuſter. Ick moͤchte woll mit Ihnen jerne
nach Moabit fahren, wenn Se mir nich verſchmaͤ—
hen.
Dienſtm. 3 des nich, aber ich kenne Ihnen
ja nich.
Schuſter. Sie koͤnnen ſich auf mir verlaſ—
ſen. Ick bin Schuhmacher un arbeete jetzt bei Helf—
richen in de Iruſelaͤmmerſtraße. Wenn meine Mut:
ter ſterbt, erb ick uͤber vierzich Thaler. Denn kann
ick mir etabliren. Is Ihnen mal Weißbier jefaͤllig
zu drinken.
Dienſtm. Sie ſind ſehr guͤtig.
Schuſter (geht zur Schenke, kommt mit einem
Glaſe Weißbier zurück und präſentirt daſſelbe dem an⸗
genehm bewegten Dienſtmädchen). Drinken Se ſo viel
wie Se wollen. Jeben Se den Kleenen ooch mal.
Dienſtm. (trinkt). Juſtav, drinke mal un be⸗
danke Dir bei den Herrn.
Schuſter. Laſſen Se man jut find, Mam:
28
ſell. Na wie is es? Kann ick Ihnen anſtehn,
oder haben Sie ſchonſt ein Verhaͤltniß? 5
Dienſtm. Ne, ein Verhaͤltniß hab' ich woll
noch jerade nich, objleich ich, ufrichtig jeſagt,
mehr Neijung vor den Ziehviel, als zum Milletheer
habe.
Schuſter. J, des is aber ſonderbar! Sonſt
ſetzt ihre Art weibliches Jeſchlecht des Milletheer
uͤber Allens.
Dienſtm. Wie jeſagt, mir kann es keinen
Jeſchmack abjewinnen. Denn ſeh'n Se, Herr —
wie heeßen Se doch?
Schuſter. Pruſich! Aber nennen Se mir
lieber: Stephan.
Dienſtm. Lieber Stephan, wenn ſe det bis⸗
ken Mondirung aushaben, ſind ſe doch boch bloße
Maͤnner wie alle andern. Un denn ſind ſe mir
doch zu intreſſant, ſo'n Menſch will immer blos
von eenen ziehen; wenn man keen Schmalz oder
keen Stuͤck Fleeſch mehr hat, ſo is et Eſſig mit
ihre Liebe. Heerjees, et jeht an, beſorjen Se mir
en juten Platz!
Schuſter (ſteht auf). Ich werde Ihnen eenen
beſorjen. (Beide ſetzen ſich auf die erſte Bank.) Sind
Sie mit mir zufrieden, liebe Doͤrthe?
Dienſtm. Sie jefallen mir ſehr, lieber Ste⸗
phan. (Pauſe.)
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Schuſter. Seh'n Se, jetzt jeht es an; nu
paſſen Se uf uf die Witze. Sein Se uͤberzeicht,
daß ich ein redlicher Mann bin.
Dienſtm. Na, aber Unſinn is es!
Anekdoten.
Neuf el.
In einem Figurentheater wurde neulich „Fauſt“
gegeben, ob der Goͤthe'ſche, der Klingemann'ſche ıc.
konnte man nicht recht erkennen. Welche Idee aber
der ungebildete Berliner dem Teufel unterlegt, ſprach
ſich hier auf komiſche Weiſe aus. Fauſt erſcheint
und bannt mehrere Teufel, laͤßt ſie pruͤgeln und
Feuer unter ihnen machen. Die Teufel ſchreien
im Chor: „Det ruͤhrt uns nich! Det ruͤhrt
uns nich!“
ion.
Auf der Bühne einer Vorſtadt ſahen die Zu:
ſchauer einen weißen Hintergrund als Couliſſe, auf
welchem mit großen Buchſtaben „Wald“ geſchrie—
ben ſtand. Die erſte Puppe, welche hervorgeſchleift
wurde, ſagte: „Ich habe mir hier verirrt.“ — Als
nach Beendigung des Schauſpiels ein Schneidergeſelle
ein ihn verſchmaͤhendes Dienſtmaͤdchen foppen wollte,
30
ſagte diefe: „Sie dünner Hoſenfabrikante, wenn Se
doch mal Figur ſpielen wollen, denn ſchreiben Se
doch da unten an Ihre Beene: Wade!“
„Un wenn Sie mal Figur ſpielen wollen,“ re⸗
vangirte ſich der Schneider, „denn geb' ick ooch
hoͤchſtens zwee Silberjroſchen!“
„Kinder zahlen die Haͤlfte!“ bemerkte ein Ka⸗
nonier. N
Pfandleihe.
Ein Maͤdchen fuͤr Alles hatte ſich mit ihrem
Grenadier erzuͤrnt, weil er waͤhrend des Puppen—
ſpieles mit einer Andern charmirt hatte. Der Kriegs—
mann, welcher wahrſcheinlich ſeine Officiere zum
Muſter nahm, leugnete den Bruch der Treue und
ſagte: „Ick verpfaͤnde Dir meine Ehre, daß es nich
wahr is!“
„Du verpfaͤndeſt mir Deine Ehre?“ erwiederte
hoͤhniſch Karoline, „na, fuͤr Mottenfraß ſtehe ich
nich!“
Die Gegend bei Leipzig.
Zwei Schneiderfrauen, die ſich feit langen Jah⸗
ren nicht geſehen hatten, trafen ſich im Januar
1816 in einem Figurentheater. „J, Herrjees, Frau
Jevattern!“ ſagte die Eine, „leben Sie ooch noch?
Na, wie jeht's Ihnen denn?“ „J ick danke, et
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jeht mir ſo ſo! Det mein Aelteſter jeblieben is,
wiſſen Se ſchon, nich wahr?“
„Ne, wat ick da hoͤre! Is et möglich? Der
Gottlieb iſt todt? J, i! Wo is er denn jeblieben?“
„Jetzt erſcht, bei Bellfaaljanks! Aber — irr
ick mir nich, ſo is ja Ihr Lude ooch mit jejangen?
Is denn der wiederjekommen?“
„J Jott bewahre, Frau Jevatter'n! Den hat
eine Kugel von hinten jeradezu todtjeſchoſſen. Ach
Jott, mir kommen de Thraͤnen in de Oojen, wenn
ick daran denke.“
„Na, ſein Se ruhig!“ troͤſtete die Andere,
„Sie muͤſſen immer denken: Jott hat et ſo jewollt.
Is er denn ooch bei Bellfaaljanks .. .
„Ach ne, nich bei Bellfajanz, ne! Bei Leipzich
is er jeblieben.“
„Alſo man bei Leipzich? So? Na, hoͤren Se,
Frau Jevatterin, troͤſten Se ſich, Leipzich — des is
uͤberjens ooch ne ſchoͤne Jegend!“
Curioſer Menſch.
„Ich bin immer en curioſer Menſch jeweſen!“
ſagte Kaspar in einem Luſtſpiele, ſchon als Junge
ſpart' ick mir immer mein Taſchenjeld, un wenn ick
etwas zuſammen hatte, wiſſen Se, wat ick denn da—
mit machte? Ick ließ mir'n Zahn ausziehen!“
Böſe Beiſpiele.
Kurze Zeit darauf, als mehrere Scandale im
Königsftädter und im Königlichen Theater geweſen
waren, fiel, waͤhrend einer Vorſtellung im Figuren⸗
theater bei Nuͤnnikke's, eine Puppe zur Erde, weil
ihr Lenker oben die Bindfaden losgelaſſen hatte.
Sogleich ſchrie ein Kerl mitten unter den Zu⸗
ſchauern mit furchtbarer Stimme: „Nuͤnnikke,
Abbitte, Abbitte!“ N
Wie ſo?
„Haft Du ſchon det Friſeerſchild in de Jaͤjer⸗
ſtraße jeſehen?“ fragte neulich im Figurentheater
ein Barbier ſeinen Collegen, „det Schild, wo druf
ſteht: „Ami de le tete?“ — Det wundert mir,
deß des unſere Pollezei leid't, det is doch ſo'n refo⸗
lutionaires Schild, wie man was ſind kann!“
Druck von Bernh. Tauchnitz jun.
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