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Full text of "Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens 1904, Band 13"

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Union Deutsche Uerlagsgesellschaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig. 





Berausgegeben unter Milmirkung von 
Dr. Bufchbaum, Philipp Brunner, Dr. jur. 
Dillovo, Frau Dr. B. Engelken, Rektor 
Rarl Erbe, Karl Gamer, Alban von 
Bahn, Prof.Dr. W. Beh, Max Besdörffer, 
2. Büttig, Frau Dr. Eliza Ichenhäufer, 
Juſtizrat Dr. T. Rielmeyer u. v. a. 


Achte, vielfach vermehrte und umgenr: 
beitete Auflage. Mit 54 Slnftrations= 
tafeln. In modernem Einband 5 Mark. 


Schatzkästlein aes guten Rats. 








Sin fteben ftarken, ſchnell fich folgenden Auf- 
lagen ijt dad „Schatzkäſtlein“ in zahlreiche 
Familien eingedrungen und hat fi überall 
al3 braudbares Hausbud bewährt. Da nun 
aud die fiebente Auflage dem Ende zuging, 
fühlten wir die Pfliht, das Bud von Fadı- 
männern von Grund aus neu bearbeiten zu 
lajien. Die achte Auflage jteht jomit in 
jeder Hinficht auf der Höhe der Zeit und hat 
zudem ſehr erhebliche ſchätzenswerte Erwei— 
terungen erfahren. Insbeſondere hat das neue 
deutſche Bürgerliche Geſetzbuch — — 
Berückſichtigung gefunden. — Welcher Beruf 


past fur did? Wie hilft man dem Zuden der 


Gasflamme ab? Darf man den Gelüjten eines 
Fiebernden nadgeben? Wie wird ein Tijc) 
gededt? Wie adrejfiert man einen Brief an 


nn 





Schatz | 
x» des guten Rats | 


= 


— — 


den Rektor einer Univerſität? Wie heilt man einen kranken Hund? Welche Obſtſorten 
gedeihen bei uns am beſten? Wer grüßt zuerſt? Wie legſt du dein erſpartes Geld an? 
Wie macht man ein Teſtament? Bei ſolchen und tauſend ähnlichen Fragen des täglichen 
Lebens ſuche im „Schatzkäſtlein“ eine Antwort und-du wirſt fie finden. 


Übersicht der Hauptabschnitte. 


Unſer Haud. Von Prof. Ferd. Luth— 
mer, Architekt, Direktor der Kunft- 
gewerbefchule in Frankfurt a. M. 

Die Gefundheit. Von Prof. Dr.... 

Auf der Jagd und Reife. Von Nep. 
von Nußbaum, + Lönigl. bayr. 
Seneralitabsargt. 

Die Haushaltung. 

Die Führung des Haushalt. 
Frau Dr. H. Engelten. 

Die Hausmtttelapothefe. VBonDr.Otto 
Dammer. 

Rechteund Pflichten der Dienſtherrſchaft 
und der Dienftboten aus der foztalen 
Gefeggebung. Von Karl Gamer. 

Am Schreibtifch. | 
Bon Rektor Karl Erbe. 

Die Tiere ald unjere Hausfreunde. 
Bon Prof. Dr. W. Heß. 

Der Haudgarten, Bon D. Hüttig, 
Gartendireftor, neu bearbeitet von 
Mar Hesdörffer. 


Bon 


Zu beziehen durch die meisten Buchhandlungen. 





Die gute Lebendart. 

Bon Johanna von Sydow. 

Erziehung und Berufswahl. 

Über Erziehung. Von Oberſtudien— 
rat Dr. Dillmann. 

Männerberufe. Won Dr. jur. Dilloo, 
die auf Öfterreich - Ungarn bezug- 
nehmende Bearbeitung von Ober: 
lehrer Philipp Brunner. 


Srauenberufe. Won Frau Dr. Eliza 


Schenhäufer. 
Geld und Unlage von Geld. 
Bon Georg Obſt, Bankooriteher. 
Die Verficherung. Bon Dr. PBL Höck⸗ 
— ie bearbeitet von Dr. Bufch- 
baum. | 


Unſer Redt. 
Von Zufttzrat Dr. 2. Kielmeyer. 
Spiele. Neu bearbeitet von Alban 
von Hahn. 











ibliotbek der « 
Unterhaltung 
und des Wissens 





Zu der Novellette „Auf sinkendem Wrack“ von Ulr. Myers. 
Originalzeichnung von Adolf Wald. 





($. 70) 


Bivtiothek 


Unterhaltung » = 
e «und des Wissens 


mit Original-Beiträgen 
der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten 
sowie zahlreichen Jllustrationen 


rg rip 


Jahrgang 1904 — Dreizehnter Band 





Stuttgart a Berlin a Leipzig 
Union Deutsche Verlagsgesellschaft 


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Trum ber 

Kinton Deutfche 
Derlagggefelltassft 
in Srurtgart 


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Inbalts- Verzeichnis. 
t Seite 
Um die Beute. Kriminalroman von Reinhold Ortmann 
(Fortsetzung und Schluss) . . . er 7 
Auf sinkendem Wrack. Novellette von Ur. Myers I: 


mit Jllustrationen von Adolt Wald. 
Im Schatten des heiligen Berges. Eine Wanderung durch 


das Athosgebiet. Von W. Belmuthb . .. ....79 
mit 8 Jllustrationen. 


Mamsellchen. Eine beitere Geschichte von Alwin Römer 95 
Die Ameisenkönigin. Neues aus dem Leben der Ameisen. 


Boch’ Dans Pelersen 1a 4... 3 anal ae 
Mit 7 Jilustrationen. 
Erkenne dich selbst! Aus dem Seelenleben einer Frau. 


Von Anna Vogel v. Spielberg . . . 267 
Im MNordseebade. Zeitgemässe Winke und Ratschläge. 
Uon Lothar Brenkendorff . » >» 2: 2 2 1192 
mit 12 Jllustrationen. 
Mannigfaltiges: 
Diebbels. .Mikroskob = : : 210 
Neue Erfindungen: 
I. Kleiderhalter „Praktish“ . . . 2 202.20..213 
mit 3 Jllustrationen. 
II. Zigarrenhalter am Bierglas A RATEN Sr RATEN 
Mit Jllustration. 
Die Kahlköpfigkeit bei Frauen . . . 2 2115 


Wie Mendelssohn zu seiner Frau kam . . » . . 219 


6 Inhalts⸗Verzeichnis. 


DDr DD DD Dr Dee DE De ⏑ Dr ⏑ Dr Der 


Neues vom Mont Pele 

mit Jllustration. 
Das Vorgefühl der Tiere 
Seltsame Telephongespräch . 
Ein königlicher Hauswirt . 
Warum weinen wir beim Lachen? 


Ein absonderliches Grabdenkmal 
mit Jllustration. 


Das Caillenmass einer modernen Uenus . 


Die Geschichte eines Vorwelttieres . 
Bier wird nicht geklopft 

Der Kopfschmerz der Schnellesser . 
Der Geschichtskenner 

Damenjockeis . 

Der erste Steckbrief . 

Ein höflicher König . 


Seite 
221 


224 
226 
227 
228 
231 


232 
233 
235 
236 
238 
239 
239 
240 





Um die Beute. 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 


Tr 


(Fortsetzung und Schluss.) (Nachdruck verboten.) 
Sechzebhntes Kapitel. 


gaß Wendriner ſich ſein in zäher Beharrlichkeit 
A erbeutetes koſtbares Geheimnis nicht gut— 

— willig entreißen laſſen würde, war für Bruno 
) = Hartmann von vornherein eine unumftöß- 
liche Tatjache, mit der er bei jeinen weiteren Schritten 
rechnen mußte. Er hatte wohl zunächſt an den Ber: 
juch einer Verſtändigung gedacht, aber er hatte dieſe 
Abficht bald wieder aufgegeben, meil jie wenig Erfolg 
verhieß und weil er damit wahrjcheinlich zwecklos alles 
aufs Spiel gejeßt hätte. 

Seine Entſchlüſſe jtanden fejt, als er fich am Morgen 
nach Grevenbergs Abreije zur Fahrt nach Brandenftein 
anjchickte. Er hatte Hanna nur auf wenige Minuten 
gefprochen, aber ihr Benehmen hatte ihm noch mehr 
al3 die gejtrige Unterredung die Überzeugung erweckt, 
daß fie ihm die volle Wahrheit gejagt habe. 

Mit dem erjten Zuge legte er die kurze Fahrt zu: 
rüd, und als er auf dem Brandenfteiner Bahnbofe 





8 Um die Beute. 

Dre DEI Der DrE Dr De ED 
zwei durch ihre Müsenfchilder Tenntliche Lohndiener 
gerwahrte, ging er ohne meiteres auf fie zu, um fich 
zu erlundigen, ob ihm einer von ihnen Auskunft über 
einen gejtern in [päter Abendftunde angelommenen Frem— 
den geben Tönne, deſſen Ausfehen er mit einigen 
Worten befchrieb. 

Der eine der Befragten zucte die Achfeln, der andere 
aber erflärte mit aller Beſtimmtheit, daß er einen ält» 
lichen Herrn, auf den die Beichreibung genau paßte, 
in den „Silbernen Löwen“ geführt babe. 

Hartmann nahm ihn beifeite und drüdte ihm einen 
Taler in die Hand. „Es handelt ſich um eine fcherz- 
hafte Überrafchung, die ich mit diefem Herrn im Sinne 
habe,” fagte er. „Darum möchte ich noch einige Aus: 
fünfte von Ihnen haben. Aber Sie dürfen mich nicht 
verraten. Wenn Sie bi3 morgen früh reinen Mund 
halten, können Sie ſich auf ein weiteres anjtändiges 
Trinkgeld Rechnung machen.” 

Der Mann war natürlich fofort zur Beantwortung 
aller Fragen bereit, und Hartmann erfuhr, daß Wend- 
riner, der fich unter dem Namen Müller in das 
Fremdenbuch des Gafthofes eingefchrieben hatte, gejtern 
gleich nach feiner Ankunft fchlafen gegangen fei, fich 
aber vor einer halben Stunde von dem Hausdiener 
den Weg nad) dem Kirchhof hatte befchreiben Laffen, 
weil er dort das Grab eines nahen Verwandten auf: 
ſuchen wollte. 

Nun zögerte Hartmann nicht mehr, fich in da3 
nämliche Hotel zu begeben, denn er brauchte ja nicht 
zu fürchten, daB er Wendriner jebt begegnen würde. 
Man wies ihm ein Zimmer im erjten Stockwerk an, 
von deſſen Fenſtern aus er den Eingang des Haufes 
bequem beobachten konnte Er verließ dieſen Poften 
denn auch nicht mehr, bis er Wendriner zurücktehren 








Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 9 
Te um U m) U m] I un U m) en | U 
fab Er börte, wie jener die Treppe beraufitieg und 
fich in ein dem feinigen faft gegenüberliegendes Zimmer 
begab. Nun war er feiner Sache volllommen ficher und 
zauderte nicht länger, feinen Operationsplan zur Aus— 
führung zu bringen. Behutfam verließ er fein Zimmer 
und das Haus. Nicht bei einem der Hotelbedienfteten, 
fondern bei irgend einem Paſſanten, den er auf Der 
Straße anbhielt, erfundigte er fich nach) dem Wege zum 
Friedhofe, der in ziemlicher Entfernung an der Grenze 
des ftädtifchen Weichbildes lag. 

Der recht ausgedehnte Begräbnisplag mar von einer 
niedrigen Mauer, an melche fich die Mehrzahl der Erb- 
begräbniffe anlehnte, umgeben. Seine Anlage mußte 
in eine beträchtliche Vergangenheit zurüdreichen, denn 
er war mit fehr alten Bäumen bejtanden und glich 
eher einem mohlgepflegten Bart als einer Begräbnis: 
ftätte. Wohl eine Stunde lang wanderte Hartmann 
zwifchen den Hügelreihen umher, aber es gab da der 
verfallenen Gräber und der unleferlichen Denkmals— 
infchriften jo viele, daß er nicht den geringiten Anhalt 
für die Lage der jo ſeltſam gewählten Schagfammer 
gewann. Darauf hatte er ſich indejjen von vornherein 
wenig Hoffnung gemacht, und nicht darum war e3 ihm 
- zu tun, Heinrich Wendriner zuvorzulommen, fondern 
darum, ihn zu überrajchen. 

Er kehrte denn auch nicht in den Gaſthof zurüd, 
fondern verbrachte den Reſt des Tages in verjchiedenen 
an dem Wege zum Friedhof gelegenen Wirtfchaften, 
von deren Fenjtern aus er jeden beobachten konnte, der 
ich zu dem Begräbnisplat begab. 

Wie er es nicht anders erwartet hatte, befand ſich 
Heinrich Wendriner nicht unter diefen wenigen Kirch— 
bofbejuchern. Schon Hanna hatte ja vorausgefagt, 
daß ihr Vater lediglich die Dunkelheit der Nacht zur 


10 Um die Beute. 

DD DE DAAD ⏑ ED Dre De De Dr Dre Dr DrrEId Ede 
Ausführung feines Vorhabens benugen könne, da ex 
nur dann vor läftigen Beobachtern ficher war. 

Erjt als der Abend hereinbrach, kehrte Hartmann 
darum zu der um dieſe Zeit von jedem gemiedenen 
Aubeftätte der Toten zurüd. Er fand die in der 
Dauer angebrachte Gittertür bereits verfchloffen. Aber 
nachdem er fich überzeugt hatte, daß kein menjchliches 
Weſen in der Nähe fei, überitieg er ohne Mühe die 
niedrige Mauer und wählte jich zwiſchen zwei fapellen- 
artigen Gruftbauten einen Verſteck, der ihm geftattete, 
den nach der Stadt führenden Weg zu überbliden, fo- 
weit die Finfternis der Nacht es eben zuließ. 

In der faft inmitten des Friedhofes gelegenen 
Wohnung des Totengräbers brannte noch Licht, und 
von Zeit zu Zeit wurde von dorther das Gelläff eines 
Hundes vernehmlich. Diefe Nähe belebter Weſen war 
einigermaßen jtörend, aber fie war es ja für Wend— 
riner in demfelben Maße als für feinen Verfolger, 
und der auf einen Diebſtahl Ausgehende hatte eine 
Überrumpelung jedenfalls ungleich mehr zu fürchten ala 
fein Beobachter. i 

MWahrfcheinlich geſchah es denn auch mit Rüdficht 
auf daS bewohnte Totengräberhaus, daB Wendriner 
erſt gegen Mitternacht, wo er die Inſaſſen im feften 
Schlafe glauben konnte, an der Gitterpforte erjchien. 
Auch er verjuchte vergeblich, fie zu öffnen, und auch 
er mußte fich entjchließen, den Weg über die Mauer 
zu nehmen. Er hatte jich für fein unbeimliches nächtliches 
Merk anfcheinend mit Überfchuhen aus Gummi oder Filz 
ausgerüjtet, denn volllommen lautlos hufchte er zwiſchen 
den Gräbern dahin. Sn einer Entfernung, die er in 
Anbetracht der durch die Bäume noch vermehrten 
Dunkelheit nicht zu ängftlich abzumefjen brauchte, folgte 
ihm Bruno Hartmann nad. Ein paarmal, wenn mit 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 11 
Dr Dr-E DD ED DD ED DA DE DDr DDr DE Dr ED eD 
leifem Rnaden ein Zweig unter feinem Schritt zerbrach, 
oder wenn fein Fuß ein paar dürre Blätter raſchelnd 
beifeite fchob, fürchtete er, daß der andere aufmerkjam 
werden könnte, aber Wendriner war offenbar jo ganz 
von dem Gedanken an fein Vorhaben beherrjcht, Daß er 
der geringfügigen Geräufche nicht achtet. Er mußte 
fich bei feinem Morgenbefuch gut orientiert haben, denn 
er blieb nicht ein einziges Mal in ungemifjem Zaudern 
ftehen. Der Teil des Friedhofes, dem er fich zumandte, 
war jedenfalls der ältefte, denn das Strauchwerk auf 
und neben den Gräbern war bier jtellenmeife zu einer 
beinahe undurchdringlichen Mauer verwachjen. 

Hartmann mußte feine jcharfen Sinne auf das 
äußerfte anftrengen, um den Berfolgten nicht aus dem 
Geficht zu verlieren und fich Doch nicht durch zu Tühne 
Annäherung zu verraten. Aber e3 gejchah in feiner 
Laufbahn nicht zum erſten Male, daß er fich jo auf 
den Spuren eine3 menschlichen Wildes befand, und er 
bewies die VBorficht und Kaltblütigfeit eines Indianers. 

ALS er gemwahrte, daß Wendriner neben einem halb 
eingefuntenen Grabhügel jtehen blieb, ducte er ſich auf 
der Stelle nieder, wo er fich eben befand, faum um ein 
Dutzend Schritte von dem anderen entfernt. Tajtend 
überzeugte er fich, daß fich ſowohl die Kleine eleftrifche 
Tafchenlampe, die durch den Druck auf einen Knopf 
zum Leuchten gebracht wurde, als der Turze, leder: 
umfponnene Totjchläger, den er für den äußerſten Not: 
fall zu fich gejtedt hatte, im Griffbereich jeiner Hände 
befand. Dann barrte er lautlos der weiteren Entwick— 
lung der Dinge. 

MWendriner hatte offenbar feine Vorbereitungen eben: 
falls nach bejtem Vermögen getroffen, aber er bejaß 
doch nicht die nötige Umficht und Schulung. Sonſt 
würde er vor allem wohl mit der kleinen Blendlaterne, 


12 Um die Beute. 

DDR DFED LED D DT ED EDDIE DEI DE DIDI EI 
die er jet unter feinem Überrod zum Vorfchein brachte, 
etwas vorfichtiger hantiert und fie nicht fo auf den 
Hügel geftellt haben, daß ihr Lichtfchein wie der Schim- 
mer eines großen Leuchtläfer weithin fichtbar fein 
mußte. Auch hätte er fich vielleicht mit einem geeig- 
neten Werkzeug verfehen, um den fchmeren Stein, unter 
dem Paul Grevenbergs Schäte verborgen fein jollten, 
bequem von der Stelle zu rüden. Nun war er dafür 
lediglich auf die Kraft feiner Hände angemwiefen, und 
e3 war augenfcheinlich, daß feine der Törperlichen Ar- 
beit ungewohnten Muskeln diefer Aufgabe kaum ge- 
wachfen waren. Deutlich hörte Hartmann das feuchende 
Atmen feiner Bruft und die leifen Verwünfchungen, 
welche die vergebliche Anjtrengung ihm erpreßte. Saft 
war er in Verfuchung, aufzufpringen und ihm feine 
Hilfe anzubieten, aber noch jchien ihm der geeignete 
Zeitpunkt nicht gelommen, und er empfand fogar eine 
Art von fatanifchem Vergnügen bei dem Gedanten an 
die furchtbare Enttäufchung, die den gar zu Klugen 
erwartete, wenn er fich in dem Augenblid, da er das 
Biel feiner Wünfche erreicht glaubte, um die heiß er⸗ 
ſehnte Beute geprellt ſah. 

Mochte er ſich immerhin noch ein wenig plagen, 
denn weshalb ſollte er ihm die begonnene Arbeit er- 
leichtern! 

Minute auf Minute verrann. Ein Falter Nacht: 
wind ftrich über den einjamen Kirchhof Hin und raufchte 
unheimlich in den herbftlichen Baummipfeln. Gejpenftifch 
weiß blinften in unficheren Umrifjfen die großen und 
kleinen Grabfreuze in der FinjternisS auf. Lautlojen 
Fluges hufchte eine Fledermaus dicht über dem Kopfe 
Hartmanns durch die Luft, und der klagende Schrei 
eines Käuzchens, der weither aus der Richtung des Toten: 


gräberhaufes ertönte, ließ den furchtlofen Mann, der 


— 4 mi. 


Sriminalvoman von Reinhold Ortmann. 13 
noch faum je in feinem Leben das Gefühl des Grauens 
kennen gelernt hatte, unmillfürlich erſchauern. 

Die Situation fing doch an, ihm unbehaglich zu 
werden. Im Grunde war e3 ja auch Torheit, noch 
länger zu warten. Da verriet ein dumpfes Auffchlagen, 
daß es Wendriner endlich gelungen war, den ſchweren 
Stein herabzumälzen. Er ftöhnte vor Erfchöpfung, und 
als jein Kopf jett, da er fich auf den Hügel nieder: 
beugte, in den Lichtlreis der Blendlaterne kam, fah 
Hartmann, daß ihm die ſchweißverklebten Haare wirt 
über die Stirn herabhingen, und daß feine Gefichtäzüge 
grauenhaft verzerrt waren. 

Mit beiden Händen begann er, da er offenbar noch 
nichts von dem gehofiten Schaße zu erblicken vermochte, 
das von dem zentnerfchweren Stein in jahrzehntelangem 
Laften fejtgedrücdte Erdreich des Grabhügel3 zu durch- 
mwübhlen, in feiner milden Gier nach dem erträumten 
Reichtum blind und taub für die Schredniffe des Ortes 
und für alles, was um ihn ber gefchehen niochte. 

Seht war für Hartmann der Augenblid des Han: 
delns gefommen. Er richtete fich aus feiner unbequemen, 
gedudten Stellung auf, willens, mit einigen lautlofen 
Schritten den Schatgräber zu erreichen. Aber fein Fuß 
trauchelte unglüclichermweife über die Bruchftüde eines 
am Boden vermodernden hölzernen Grabkreuzes, und er 
fiel mit dumpfem Auffchlagen über einen der Hügel hin. 

Ein Schrei, wie ihn nur die gräßlichite Todesangjt 
einem Menſchen erpreſſen kann, kam von Wendriners 
Lippen, aber er dachte trotzdem nicht daran, vor dieſer 
furchtbaren Überrafchung die Flucht zu ergreifen. Wohl 
ftand er für die Dauer einer Sekunde wie von Ent: 
jeen gelähnit, dann aber — Hartmann hatte nur eben 
Zeit gehabt, fich aufzurichten — ftürzte er fich wie ein 
wildes Tier auf den gleichjam aus den Grabern empor: 





14 Um die Beute. 

gejtiegenen Feind, deſſen Geficht er in der Dunkelheit 
nicht erkennen fonnte und den er in feiner unfinnigen 
Aufregung vielleicht eher für ein gefpenftifches Wejen 
als für einen lebendigen Menjchen hielt. 

Hartmann konnte fo wenig jeine Tafchenlaterne in 
Funktion jegen, als er fich feines Totjchlägers zur Ver: 
teidigung zu bedienen vermochte, jo jäh und fo wuchtig 
war der unerwartete Angriff erfolgt. Aber feine Geiftes- 
gegenwart hatte ihn trogdem feinen Augenblid ver: 
lafjen, und noch zur rechten Zeit hatte er das ſchwache 
Auffcehimmern des blanken Biltolenlaufes in Wendriners 
Hand gejehen. Wie mit eifernen Zangen umklammerten 
feine Finger das Handgelent des Angreifers und drüdten 
feinen Arm nach oben, und nicht um den Bruchteil 
einer Selunde hätte er diefe energifche Abwehr ver: 
zögern dürfen, denn im nämlichen Moment fchon er: 
Erachte der Schuß, der ihm gegulten hatte, lang nach— 
ballend in der tiefen nächtlichen Stille. 

„Werfen Sie die Waffe fort — Gie find ja vers 
rückt!“ zifchte Hartmann. „Ich tue Ihnen Doch nichts 
zuleide.“ 

Aber der andere ſchien wirklich den Verſtand ver⸗ 
loren zu haben. Er ächzte und keuchte in raſender 
Wut, indem er ſich mit dem Aufgebot ſeiner ganzen 
Kraft von dem Griffe des ihm an Körperſtärke weit 
Überlegenen zu befreien ſuchte. Er hatte Hartmann 
offenbar noch immer nicht erkannt, und während diejer 
fritiichen Augenblide, in denen er allen Ernjtes um 
fein Leben fämpfen mußte, dachte diefer auch nicht 
daran, feinen Namen zu nennen. Er mußte ja nicht, 
ob er e3 noch mit einem zirechnungsfähigen Menfchen 
oder mit einem Verrüdten zu tun babe, und in der 
furchtbaren Anſpannung aller Nerven hörte er auch 
das Rufen menfchlicher Stinmen, die vom Totengräber- 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 15 
OIADADMDRD AD DID MED 
hauſe her laut geworden waren, nicht früher, als bis 
auf und nieder zudender Laternenfchein fehon bis auf 
wenig mehr al3 hundert Schritte nahe gelommen mar. 

Da nahm er noch einmal all feine Kraft zufammen, 
und mit einem gewaltigen Stoße fehleuderte er den 
anderen von fich, fo daß er ftrauchelte und zwiſchen 
den Grabhügeln niederftürztee Mit einigen rajchen 
Sätzen flüchtete er dann in das umgebende Picicht, 
um menigftens einem fofortigen Zuſammenſtoß mit den 
Herbeieilenden auszumeichen. 

Die Hatten es nicht ſchwer gehabt, die Stelle zu 
finden, wo der alarmierende Schuß gefallen fein mußte. 
Das vötliche Leuchtläferlicht von Wendriners Blend— 
laterne hatte ihnen den Weg gezeigt. Sie waren ihrer 
drei, der grauhaarige Totengräber und zmei feiner Ge: 
bilfen.. Auf das notdürftigjte bekleidet, jo wie fie aus 
ihren Betten gejprungen waren, hatten fie fich auf- 
gemacht, den vermeintlichen Selbftmörder zu Tuchen, 
und fie zweifelten nicht, ihn in dem verftört ausfehen- 
den Manne gefunden zu haben, der fi) da mühſam 
vom Boden aufrichtete. 

Hartmann war noch nahe genug, um zu hören, was 
fie jprachen; aber bei dem Durcheinander aufgeregter 
Stimmen vermochte er zunächit den Sinn ihrer Rede 
nicht zu erfaflen. So viel jedoch wurde ihm bald Klar, 
daß die Leute Heinrich MWendriner, der ſich wütend 
gegen feine Feſtnahme fträubte, für einen VBerrüdten 
hielten. Und in der Tat mußte er wenigſtens in diefem 
Augenblid die Klarheit feines Verſtandes eingebüßt 
haben, da er fortwährend nach dem Gelde fchrie, das 
niemand gehöre al3 ihm, und da er unaufbörlich ver: 
ficherte, jeden niederzufchießen, der fich dem Grabe 
nähern würde. 

Natürlich war fein Widerftreben diefer Übermacht 


16 Um die Beute. 

DDR DE DD DE DDr DDr Dr Dre Dre Dede 
gegenüber eitel Torheit. Sie hatten ihn fehr bald wehr— 
los gemacht, und der Totengräber fagte: „Wir werden 
ihn in die Leichenkammer fperren, bi3 wir einen Gen- 
darmen herbeigefchafft haben. Vorwärts alſo — und 
laßt ihn unterwegs nicht entwifchen.“ 

Aber einer der Knechte zögerte noch, diefer Weifung 
zu gehorchen. „Vielleicht ift aber doch was in dem 
Hügel verſteckt,“ meinte er. „ES wär’ doch nicht das 
erite Mal. So verrüdt ift der Kerl am Ende nidt, 
daß nicht irgend etwas dahinter ftedte. Sehen Sie 
nur, er bat den jchmeren Stein ganz allein umgemorfen 
und ſchon ein ganz tüchtiges Loch gebuddelt. Wie wär's, 
wenn wir den Hügel umfchaufelten? Die ganze Gräber: 
reihe follte ja doch im nächften Frühling eingeebnet 
werden.” 

Es mochte für den Totengräber etwas Einleuchten- 
des in der Rede des Burfchen fein. 

„Schafft den Mann zunädjft in die Leichenkammer,“ 
meinte er nach kurzem Überlegen, „und dann fommt 
mit Schaufeln zurüd. Wir können uns ja immerhin 
überzeugen.” 

Die Knechte verſchwanden mit ihrem Gefangenen, 
der jetzt plößlich ganz apathifch gemorden mar und 
mehr geichleppt als geführt werden mußte, in der 
Duntelbeit. Bruno Hartmann aber ging mit fich zu 
Rate, ob er fich dem am Grabe zurüdgebliebenen 
Totengräber offenbaren follte oder nicht. ES konnte 
ihm ja fchließlich nicht viel gefchehen, aber er ſagte fid) 
doch, daß es faum möglich fein würde, diefen-Leuten 
den Zuſammenhang der Dinge klar zu machen, und daß 
er jedenfalls Gefahr lief, zunädhjft in Haft genommen 
zu werden. Das aber wollte er unter allen Umjtänden 
- vermeiden. Denn wenn Wendriner fich in der Stelle, 
wo der Schaf verſteckt war, dennoch geirrt haben jollte, 


Srimtnalroman von Reinhold Ortmann. 17 
DD erde Dee ⏑ Der Dre D ne De Dre Dee Dre De — 
oder wenn alles nur ein von Grevenberg im Ein: 
verjtändnis mit Hanna erjonnener Betrug gemejen war, 
fo war alles verloren, wenn er für einen oder mehrere 
Tage in feiner Bewegungsfreiheit behindert wurde. 

Deshalb hielt er es für geraten, in feinem Verfted 
zu bleiben und fich mäuschenftill zu verhalten. 

Er hatte feine ÜUrfache, es zu bereuen; denn ala 
eine Stunde fpäter die mit ihren Werkzeugen zurück—⸗ 
gefehrten Gehilfen des Zotengräbers ihre Arbeit be: 
endet hatten, ohne daß in dem forgfältig durchfuchten 
Erdreich des HügelS irgend etwas von Geld oder Geldes 
wert zum Vorfchein gelommen wäre, durfte er fich über: 
zeugt halten, daß Wendriner das Opfer eines Irrtums 
oder eines Betruges geworden mar. 

Er wartete, bi die Leute mit ihren Laternen wieder 
im Innern des Totengräberhaufes verſchwunden waren, 
dann richtete er ſich auf und verließ auf demfelben 
Wege, den er gefommen war, unbehelligt den Friedhof. 


Siebzehntes Kapitel. 

m Doltor Ruthardts Wartezimmer pflegten fich 
fonft die Patienten nicht gerade zu drängen, aber als 
Grevenberg am Morgen nach feiner Unterredung mit 
dem Oberftleutnant das Haus betrat, dejjen Exrdgefchoß 
der junge Arzt bewohnte, traf es fich Doch, daß Rut— 
bardt eben mit einer zeitraubenden Unterfuchung be- 
fchäftigt war, und daß der neue Ankömmling deshalb 
von der Haushälterin aufgefordert wurde, fich ein 
wenig zu gedulden. 

Grevenberg jah heute erfchredend abgefpannt und 
elend aus. Die müde Haltung, in der er auf feinem 
Stuhle jaß, und die bläulichen Schatten unter feinen 
Augen ließen vermuten, daß er in der Nacht nur wenig 

1804. XII. 2 


18 Um bie Beute. 

UDrDrEDr ED DD DD DE ED AD ARD AED ED ED AED AED ED 
Schlummer gefunden Habe, und von Zeit zu Zeit er: 
fchütterte ein trodener, Eraftlofer Huften feine Bruft. 

Trogdem mufterte er feine Umgebung mit gefpann- 
tem Intereſſe, und nachdem er die fehr befcheidene Ein: 
richtung des Wartezimmers bis in die Meinften Einzel: 
beiten jtudiert hatte, ftand er auf und trat an das 
Senfter, das nach der Hinterfeite des Hauſes hinaus: 
ging und den Ausblid in einen Kleinen, fchon herbftlich 
tahlen Garten gewährte. 

Das Fenjter mochte wohl mannshoch über dem 
ſchmalen Rafenftreifen liegen, der fich längs der Haus: 
mauer dahinzog, aber die Latten eines Obſtſpaliers, 
da3 den unteren Teil der Mauer bededte, hätten e3 
einem leidlich gemandten Turner wohl nicht allzu ſchwer 
gemadht, vom Garten au3 die Brüftung zu geminnen. 

Paul Grevenberg laufchte nach dem anjtoßenden 
Sprechzimmer hin, und da er aus dem Tonfall der 
fonoren Männerftimme, die da drinnen laut wurde, 
den Schluß 308, daß der Arzt noch immer mit der Be- 
fragung feines Patienten bejchäftigt fei, öffnete er fo 
geräufchlos als möglich einen der beiden Fenfterflügel. 
Nun konnte er, fich Hinauslehnend, das Terrain da 
draußen noch bejjer überbliden. Er ſah, daß fidh 
zwifchen dem Garten und dem Nachbargrundftüd ein 
nur durch niedrige Holagitter eingefriedigter Gang hin- 
30g, der offenbar die Beftimmung hatte, ein weiter 
rückwärts gelegenes, fchuppenartiges Gebäude mit der 
Straße zu verbinden. Andere bemerkenswerte Ent: 
dedungen waren nicht zu machen, man hätte denn Die 
auf einem angrenzenden Hofe im Winde flatternde 
Wäſche dahin rechnen wollen, oder eine Schar zanten: 
der Spaten, die in lebhaftem Meinungsaustaufch 
zwifchen den entlaubten Wipfeln einiger Obftbäume 
bin und ber flogen. 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 19 
DIDI DD ID DD ED ED AD ADD AD DD —— 
Eben Hatte er das Feniter wieder gejchloffen, als 
fih die Tür des Nebenzimmers auftat. Der Patient 
Tam unter Dankſagungen heraus, und der Doktor, deſſen 
jugendliches Ausfehen den Verlobten Marthas über- 
raſchte, Iud den Fremden mit höflicher Handbewegung 
zum Eintritt in das Sprechzimmer ein. 

Grevenbergs erjter Blid fiel auf die Vaje neben 
dem Schreibtifh. Das Blut ftieg ihm heiß zu Kopfe, 
und es wurde ihm ſchwer, feine Augen von dem Runft: 
werk loszureißen. Aber er wollte fich heute befjer be- 
herrſchen, al3 e3 ihm geftern dem Oberftleutnant gegen: 
über gelungen war, und auf des Doltord ruhige Frage 
nach feinem Begehr begann er mit gutem Gefchid die 
in den fchlaflofen Stunden diefer Nacht erfonnene Ko: 
mödie zu fpielen. 

Er nannte feinen Namen nicht und begnügte fich, | 
zur Aufklärung über feine Perſon zu fagen, daß er nur 
zu vorübergehendem Aufenthalt in Tiebenfelde fei. Ein 
Unwohlſein, von dem er fchon feit einiger Zeit geplagt 
werde, habe fich in den lebten Tagen derart gejteigert, 
daß er ſich nun doch entjchließen müſſe, einen Arzt zu 
fonfultieren. Er fürchte, daß mit feinem Herzen etwas 
nicht in Ordnung fei, und bitte um eine gründliche 
Unterfuchung. 

Georg Ruthardt, der ihn während des Sprechens 
fehr aufmerkſam beobachtet hatte, erjuchte ihn, feinen 
Dberlörper zu entkleiden, und begann mit der Aus: 
fultation. | 

„Sie ſehen jchlecht genährt aus,” fagte er. „Es 
fcheint, daß Sie Ihren Körper längere Zeit iiber Ge: 
bühr angeftrengt haben.” 

„sh war lange auf Reifen, Herr Doktor. Viel: 
leicht habe ich mir da mehr zugemutet, als ich ertragen 
fonnte. Aber es bat doch wohl nichts zu bedeuten.“ 


20 Um die Beute. 
IRDARDDIEREDIRDI DEI DD DD ADD Dr Dee Dre 

„Wir werden fehen,“ lautete die kurze Ermiderung, 
und wenn nicht Grevenbergs Gedanken ausſchließlich 
auf die Vaſe gerichtet geweſen wären, würde ihn der 
ernite Klang diefer drei Worte wahrjcheinlich mit einiger 
Beforgnis erfüllt haben. 

Die Unterfuhung währte ziemlich lange, und er 
mußte auf eine Reihe von Fragen Auskunft geben, wie 
fie ihm ähnlich vor einigen Tagen auch der von feinem 
bejorgten Gajtfreunde geholte Arzt vorgelegt hatte. Er 
beantwortete fie ganz ehrlich, denn fein Geſundheits— 
zuftand war ihm in diefem Augenblid jo gleichgültig, 
daß es ihm durchaus nicht der Mühe wert ſchien, fich 
irgendwie zu veritellen. 

„Bitte — Sie können ſich wieder ankfleiden,” fagte 
Ruthardt endlich, indem er das Stethoſlkop fortlegte. 
„Ih werde Ihnen etwas Anregendes verfchreiben, aber 
ich verhehle Ihnen nicht, daß Sie davon nur vorüber: 
gehend Nuten haben werden. Ich empfehle Ihnen 
dringend, fi) an Ihrem ftändigen Aufenthaltsort fo: 
fort in andauernde ärztliche Behandlung zu geben.” 

„Ab, Sie wollen mich doch nicht ängftlich machen, 
Herr Doktor?” Lächelte Grevenberg. „Haben Sie denn 
etwas Bedenkliches gefunden?” 

„Ihre Zungen find angegriffen, und Ihr Herz ar- 
beitet nicht fo, wie e3 ſollte. Sie müſſen jedenfalls 
fehr vorfichtig leben, jede Aufregung, Anftrengung oder 
Ausſchweifung vermeiden und für die Pflege Ihres 
ſtark heruntergefommenen Körper alles tun, was nur 
immer in Ihren Kräften ſteht.“ 

So eindringlich) auch das alles gejagt war, jo wenig 
Eindrud machte es doch in diefem Moment auf den, 
dem die Warnung galt. „ch merde mir’3 merken, 
Herr Doktor,” jagte er leichthin. 

Und dann, während er feine Krawatte fnüpfte, jtellte 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 21 
rDrnDrRD DD AED ADDED Dre DD Dre Der Dre Dre Dre D 
er fich vor die japanische VBaje.. „Was für ein herr- 
liches Kunſtwerk Sie da beſitzen!“ plauderte er. „Biel: 
leicht willen Sie nicht einmal, welchen Wert e3 für 
einen Sammler folder Altertümer haben würde.” 

„Doch, ich weiß es,’ warf Georg Ruthardt, der 
eben mit der Abfaffung des Rezepts befchäftigt mar, 
furz hin. „Man hat es mir wiederholt gejagt.“ 

„Sind Sie nie in Verjuchung geführt worden, die 
Bafe zu verlaufen? Aber es verirrt fich wohl freilich 
nur felten ein wirklicher Kenner hierher nach Lieben- 
felde?“ 

„Das wäre mir auch ſehr gleichgültig. Denn die 
Vaſe iſt nicht verkäuflich.“ 

„Sie ſollten das nicht mit ſolcher Beſtimmtheit aus⸗ 
ſprechen, verehrter Herr Doktor. Am Ende hat jedes 
Ding in der Welt ſeinen Preis.“ 

„Ich wiederhole, daß die Vaſe nicht verkäuflich iſt. 
— Darf ich Sie vielleicht um Ihren Namen bitten, 
damit ich ihn auf dem Rezept vermerken kann?“ 

Der Fremde hatte dieſe Aufforderung offenbar über- 
hört, Er war jegt ganz in die Betrachtung und Unter: 
ſuchung de3 metallenen Kunſtwerkes vertieft. 

„Wie meifterhaft das alles modelliert ift! Geradezu 
dem Leben abgelaufcht. Dieſe Eidechje hier in dem 
Aſtloch zum Beifpiel — ifi es nicht, als ob fie im 
nächſten Augenblid davonhuſchen müßte?” 

Als wolle ex das Tierchen ftreicheln, fuhr er mit 
dem Finger in die winzige Öffnung, die der zierliche 
Körper der Lacerte noch) freiließ, und als er in der 
Tiefe der Höhlung eine Heine Bapierrolle fühlte, meitete 
fih in einem triumphierenden Glüdögefühl feine Bruft. 

Wenn dies Röllchen noch an feinem Plaße mar, 
fo lag ficherlich auch alles andere mwohlgeborgen da, 
wohin er es verſteckt hatte, und unter allen lebenden 


23 Um die Beute. 

DMDDEEDT DE DD ED ADD ED AD AD DAR DIDI 
Menschen kannte nur er das Geheimnis diejer Loftbaren 
Vaſe. 

Mit der gut geſpielten Lebhaftigkeit eines Menſchen, 
der plötzlich zu einem großen Entſchluß gelangt iſt, 
wandlie ex ſich nach dem ungeduldig wartenden jungen 
Arzte um. 

„Ich will ganz aufrichtig fein, lieber Herr Doktor. 
Ich felbjt bin zufällig ein leidenjchaftlicher Liebhaber 
japanijchen Kunftgewerbes, und ich möchte Ihnen die 
Vaſe ablaufen. Nein, nein — fagen Sie nichts! Es 
fönnte Sie gereuen. Denn ich biete Ihnen nicht, was 
andere Ihnen vielleicht geboten haben, denen es um 
einen vorteilhaften Erwerb zu tun war. Ich habe 
etwas Derartiges noch nicht in meiner Sammlung, und 
der etwaige Marktwert des Stüdes ift darum für mich 
nicht das Entjcheidende. Machen Eie mir Ihren Preis, 
Herr Doktor, und machen Eie ihn, Jo hoch Sie wollen. 
Nur fagen Sie mir nicht noch einmal, daß Ihnen die 
Vaſe unverfäuflich fei.” 

„Und doch Tann ich Ihnen nichts anderes jagen. 
Sie werden fich nicht weiter bemühen, wenn ich Ihnen 
mitteile, daß das Kunſtwerk ein Gefchent ijt, deſſen 
Veräußerung mir jehon Rüdfichten der Pietät verbieten.” 

„Run ja, es iſt etwas ſehr Schönes un die Pietät, 
aber e3 ift auch etwas fehr Schönes um eine runde 
Sunme Geldes. Wenn ich Shnen nun fechg-, nein, 
zehntaujend Mark biete, Herr Doktor? — Ich bin Fein 
Freund vom Feilſchen — jagen wir aljo von vorns 
herein zehntaufend Mark.” 

Georg war betroffen. Das aufdringliche Gebaren 
des Mannes war ihm mit jeder Sekunde widermärtiger 
geworden. Dies ungeheuerliche Angebot aber, das den 
Wert der Vaje ficherlic” weit überftieg, ließ ihn ge: 
radezu an der Gejundheit feines Berftandes zweifeln. 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 23 
DD rd DDr Dre D DDr Dr DDr 


„Sie täufchen fich offenbar in Ihrer Schätzung,“ 
fagte er. „Auch ohne die Gründe, die ich Ihnen bereits 
nannte, würde ich mich zu einem derartigen Kandel 
nicht verftehen.” 

„Aber weshalb denn nicht, Here Doltor? Da e3 
mein freier Wille ift, brauchen Sie fich doch Fein Ge: 
willen daraus zu machen, wenn ich den Gegenstand 
etwa zu teuer bezahle. Sie fennen offenbar die Leiden- 
ſchaft eines eingefleifchten Sammler3 nicht und wiſſen 
nicht, was e3 für ihn bedeutet, fich eine Seltenheit ent- 
gehen laſſen zu müfjen, in die er fich einmal verliebt 
bat. ch bin reich, und die Summe, die ich Ihnen 
geboten habe, bedeutet für mich fo gut wie nichts. Pie 
Vaſe aber bedeutet mir in dieſem Augenblick alles. 
Alfo — Schlagen Sie ein?” 

Ruthardt fehüttelte den Kopf. „Es ift unmöglich. 
Laffen Sie uns nicht weiter davon reden.” 

Grevenbergs Pulſe flogen mie im Sieber. „Nun 
denn — fünfzehntaufend, Herr Doktor! Oder, wenn 
Ihnen aud) das noch nicht genug ift, jo machen Sie mir 
felber den ‘Breis, der Ihre Bedenklichleiten überwindet.” 

Der junge Arzt wollte unmillig feine Verneinung 
wiederholen. Da durchfuhr ihn ein Gedanke, der ihn 
zaudern machte. Er wußte, der Oberjtleutnant von 
der Heyde war nicht reich, und er würde einem An— 
gebot, wie e3 hier von einem offenbar halb fpleenigen 
Sammler gemacht wurde, vielleicht nicht widerjtanden 
haben. Wenn er nın doch feine urfprüngliche Abficht 
zur Ausführung brachte und die Vaſe ihrem Spender 
zurüdgab, erwies er dem Vater Martha3 damit nicht 
vielleicht einen Dienft, dem zuliebe er ſchließlich den Vor— 
wurf einer Taktlofigkeit ruhig hinnehmen fonnte? Er 
war darüber mit fich felber noch nicht ganz im reinen, 
aber es war immerhin der Erwägung wert. 


24 Um die Beute. 
DIDI AD AD DI Dr DDR ED EI DE Dr eD 

„Gut alſo,“ entgegnete er, „ich werde mir Ihr An: 
erbieten überlegen. Da3 ift alles, was ich Iyhnen im 
Augenblid antworten Tann. Sch verjpreche Ihnen 
nichts, aber es findet fich möglicherweife Doch ein Weg 
zur Erfüllung Ihrer Wünfche.” 

Das war der erſte Hoffnungsfcehimmer, und er 
leuchtete Grevenberg in einem Augenblid auf, wo er 
fein Vorhaben faſt ſchon als gefcheitert angefehen hatte. 

Vor Freude zitternd, fagte er: „Ich rechne darauf, 
Herr Doktor. Aber ich bitte, machen Sie die Bedent- 
zeit kurz. Sch Tann mich nicht lange bier aufhalten, 
und ich wäre Ihnen darum jehr dankbar, wenn mir 
die Sache noch heute ind reine bringen Tönnten.” 

Ruthardt zog fich einen Notizblod heran. „ch 
verfpreche Ihnen, wie gejagt, nichts. Aber jagen Gie 
mir gefälligft, wo eine Benachrichtigung Sie erreichen 
würde.“ 

„sh bin im Bahnhofshotel abgejtiegen.” 

„Und Ihr Name?“ 

„Herbert Lyncker.“ 

Er Hatte der Notwendigkeit, fich zu nennen, nicht 
länger ausmeichen fünnen, er hielt die für die Erfüllung 
feiner Wünſche damit verbundene Gefahr auch nicht 
für groß, denn er ahnte ja nichts von der Vertraut— 
heit der perjönlichen Beziehungen zwiſchen dem Arzte 
und dem Haufe des Oberſtleutnants. 

Erit das jähe Auffahren des Doktors und der Aus: 
drud höchſten Erftaunens auf feinem Geficht ließen ihn 
erkennen, daß er eine fchlimme Unvorfichtigleit begangen 
babe. | 
„wunder heißen Sie? Herbert Lynder? Sie find 
der Verlobte des Fräuleind von der Heyde?” 

„Alerdings, Herr Vektor,” erwiderte Grevenberg 
unficher, für den Moment noch völlig ratlos, wie er 


Sriminalvoman von Reinhold Ortmann. 25 
OAMDDD EDDIE DD DE DD ADD DE Dr 
fich Ddiefer unerwarteten Wendung gegenüber zu ver: 
halten habe. „Sebt Sie da3 fo fehr in Verwunderung?” 

„Ja — ich verhehle es nicht. Sie denken Doch 
wohl vorläufig nicht daran, Hochzeit zu machen?” 

„Daran dachte ich freilich. Warum follte ich es 
nicht dürfen?“ 

„Weil Sie damit eine Leichtfertigfeit begingen, eine 
fteäfliche Torheit, wenn nicht etwas Schlimmeres. Gie 
haben fich an mich als an den Arzt gewendet, und ich 
glaube Ihnen unter diefen Umftänden volle Wahrheit 
ſchuldig zu fein. Ihr Gefundheitszuftand ist fchlecht, mein 
Herr, viel fchlechter, als ich e3 Ihnen vorhin andeuten 
zu müfjen glaubte. Bei jehr vorfichtigem und ruhigem 
Leben können Sie es vielleicht noch auf eine Anzahl 
von Jahren bringen, im Fall einer Berheiratung aber 
würde ich Ihnen nicht mehr als ſechs Monate zu prophe- 
zeien wagen. ® 

Grevenberg fuhr zuſammen. Aber es war vielleicht 
noch mehr der Ton der Worte geweſen als ihr Inhalt, 
der ihn erſchreckt hatte. Die plötzliche Erregung des 
Doktors war ihm unbegreiflich, und ſie verurſachte ihm 
gerade deshalb ein Gefühl peinigender Beklommenheit. 

„Auch der erfahrenite Arzt Tann fich täuschen, Herr 
Doktor,” fagte er zögernd. „Und dann — wenn e3 
auch fo wäre — ich würde dann doch mwenigitens ſechs 
Monate lang glüdlich gemejen fein.” | 

Nuthardt war rot geworden, und unfähig, feinen 
heiligen Zorn länger zurüdzubalten, brach er los: „An 
das Verbrechen aber, das Sie damit gegen ein arglos 
vertrauendes Mädchen begingen, denfen Sie nicht? ALS 
Mann von Ehre müßten Sie nach dem, was ich Ihnen 
gefagt babe und was Gie fich von jedem beliebigen 
Arzt betätigen laſſen können, der jungen Dame ohne 
weiteres ihr Wort zurückgeben. Denn auch fie hofft 


26 Um die Beute. 

DIDI TED D ADDED ED ED DD DDr ED Dr ID 
darauf, glüdlich zu werden. An Ihrer Geite aber 
würde fie nur dazu verurteilt fein, die Krankenpflegerin 
zu jpielen.” 

„Sie find nicht fehr rüdjichtsvoll, Herr Doktor!” 
brachte Grevenberg mit zitternder Stimme hervor. 
„Aber ich werde mit mir zu Nat gehen. Vielleicht 
werde ich Ihre Mahnung befolgen. Aber nicht wahr 
— auf unfer Gefchäft mit der Vaſe hat es feinen Ein- 
fluß, daß Sie mich nun als den Verlobten des Frau: 
leins von der Heyde kennen?” 

„Da ich jet natürlich annehmen muß, daß Sie mir 
Ihren KRaufvorfchlag im Auftrage des Herren Oberft- 
leutnants gemacht, werde ich mic) noch heute mit Herrn 
von der Heyde in Verbindung fegen, um ihn zur Zu: 
rücknahme de3 mir gemachten Geſchenkes zu bejtimmen.“ 

So verlodend ihm auch für einen Moment die Aus: 
ficht erjchien, die Vaſe wieder in den Belit feines fünf: 
tigen Schmwiegervaterd gelangen zu ſehen, fo rajch er: 
tannte Paul Grevenberg doch, daB er die Abficht des 
Arztes nicht zur Ausführung gelangen laffen dürfe. 
„Sie find im Irrtum,“ verficherte er eifrig. „Der 
Dberftleutnant bat Feine Ahnung von meiner erft hier 
entjtandenen Abficht, dieſes Stüd zu erwerben, und ich 
wünſche dringend, daß er nichts von meinem Befuche 
bei Ihnen erfährt. Ich rechne auf Ihre Diskretion 
und appelliere ausdrüdli an Shre Pflicht der ärzt- 
lichen Berufsverfchwiegenheit.” 

„Eines folchen Appells bedarf es natürlich nicht. 
Aber wenn ed, wie Sie jagen, nicht der Wunfch des 
Herrn von der Heyde ift, die Vaſe wieder zu bejigen, 
jo babe ich Ihnen über diefen Gegenftand nichts weiter 
zu fagen. Das Runjtwerk ijt mir um leinen Preis feil, 
und wenn id) jemals zu dem Entfchluß gelangen follte, 
mich feiner auf andere Weije zu entäußern, jo würden 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 27 
ö Re) 
Sie unter allen Menfchen der legte fein, dem ich es 
überließe.” 

„Warum gerade ich, Herr Poltor? Was habe ich 
getan, mir Ihre Abneigung zu verdienen?” 

„Erlaſſen Sie e3 mir, Ihnen darauf zu antworten. 
Erwägen Gie lieber, was ich Ihnen in Bezug auf 
Ihre HeiratSabfichten ſagte. Da ich nicht das Necht 
habe, Ihre Braut zu warnen, fühle ich mich zweifach 
verpflichtet, Shnen zu wiederholen, daß dieje Heirat 
ein Verbrechen wäre. — Und nun entjchuldigen Gie 
mich wohl, meine Praxis ruft mich. Ihren Hut dürften 
Sie im Wartezimmer gelaffen haben.” | 

Grevenberg zauderte noch, zu gehen, aber die Art, 
wie der Doktor ihm den Rüden kehrte, um ein Kleines 
chirurgifches Beſteck, das er auf feinen Krankenbeſuchen 
immer mit fich führte, aus dem Schranf zu nehmen, 
mar ihm Beweis genug, daß er nichts mehr zu hoffen 
babe. 

Mit halblaut gemurmeltem Gruße ging er hinaus, 

Wohl war e3 eine neue ſchwere Enttäufchung, die 
er da erlitten hatte, aber fie drückte ihn doch nicht fo 
danieder wie die gejlrige Überrafchung. Als er fich 
zu dem Doltor begab, hatte er von vornherein nicht 
mit Sicherheit auf ein Gelingen gerechnet, und er hatte 
deshalb nicht verfäumt, fich durch ein möglichſt gründ- 
liches Studium des Terrains auch über jenen anderen 
Weg zu unterrichten, auf dem er, wenn es fonft feine 
Möglichkeit mehr gab, jein Eigentum zu erlangen fuchen 
mußte. 

Nun war es an der Zeit, diefen Weg einzufchlagen. 
Es war der gefährlichite, den er gehen konnte, aber es 
mar der einzige, der ihm noch offen ftand. Der Hoff: 
nung auf Martha Beſitz mußte er freilich entfagen, 
wenn er fich dazu entjchloß. Darüber täufchte er fich nicht 





28 Um die Beute. 
A⏑⏑ DD DD re De DD ID 
mehr. Aber die Tantalusqualen, die er ausgeftanden, 
feitdem er feinen Schaß in fo greifbarer Nähe und Doch 
fo unerreichbar fern wußte, hatten da3 Verlangen nach 
diefem Schaß bis zur Stärke einer Xeidenfchaft gefteigert, 
vor der im Augenblid alles andere zurüdtrat, jelbft 
feine Liebe zu dem Mädchen, für das er zum Ber: 
brecher geworden war. Das, mas ihm urfprünglich 
nur ein Mittel zum Glüd hatte fein jollen, war jetzt 
in feiner Borftellung das Glück felbft geworden. Auf 
alles konnte er fchließlich verzichten, nur nicht auf dieſes 
Geld, das er fich feiner Überzeugung nach härter und 
mühfeliger erworben hatte, als je ein Vermögen ers 
mworben worden war. 

Geine Entſchlüſſe jtanden feft, und damit war eine 
merkwürdige, faft zuverfichtliche Ruhe über ihn ge- 
kommen. 

Während er die Straße hinabging, an der das 
Haus des Doktors lag, überzeugte er ſich, daß der 
Gang, den er vorhin zwiſchen den beiden Gärten be- 
merkt hatte, wirklich auf die Straße ausmündete und 
weder durch ein Tor noch durch ein Gitter verſchloſſen 
war. Man war offenbar nicht jehr ängitlich vor Dieben 
bier in Liebenfelde. 

Grevenberg Lehrte in fein Hotel zurüd und beftellte 
die Rechnung, da er mit dem nächften Zuge abreifen 
wolle. Dann jchrieb er einen Turzen Brief an den 
Dberftleutnant, in welchem von der Notwendigkeit einer 
plöglichen Abreife und von der Hoffnung die Rede 
war, in einigen Tagen zurüdtehren zu fönnen. Er 
mußte, daß man diefe Art der Benachrichtigung nicht 
für eine Entfehuldigung gelten lafjen würde und daß 
er den empfindlichen alten Herren durch folche Un- 
gezogenbheit auf daS tiefjte verlegte, aber darum brauchte 
er fich ja jebt feine Sorge mehr zu machen. Da oben 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 29 
IRDADD ED ED REDE AED ED AD DD Dee Dee DDr 
in der Blatanenftraße gab es für ihn nichts mehr zu 
hoffen. 

Ohne fich gegen den etwas neugierigen Hotelmirt 
über fein Neifeziel oder über die Möglichkeit einer 
Wiederkehr zu äußern, verließ er eine halbe Stunde 
fpäter das Gafthaus und jchlug den Weg nach dem 
“ nahegelegenen Bahnhofe ein. 


Achtzehntes Kapitel. 

Am zweiten Vormittag nach feiner Abreife kehrte 
Hartmann in die Wendrinerfche Wohnung zurüd. 
Hanna war es, die ihm auf fein Klingeln öffnete, wie 
ſeither jedes Anfchlagen der Glode fie veranlaßt hatte, 
an die Tür zu eilen. 

Sie erſchrak, als fie ihn erkannte, und in ihrer erften 
Beftürzung Eonnte fie nicht anderes herausbringen als: 
„Sie find wieder da? — Wo ift mein Vater?” 

„Darüber werde ich Ihnen Auskunft geben, Fräu—⸗ 
lein Wendriner,” fagte er jehr gemefjen, „wenn Sie 
mir fofort eine Unterredung unter vier Augen ermög> 
lichen wollen. Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu 
Sprechen.” 

Hanna zauderte, aber ihre Unentfchloffenheit war 
nur von kurzer Dauer, denn fie war nicht feige. 
„zaflen Sie uns in hr Zimmer gehen,” ermwiderte fie. 
„Ich Ttehe zu Dienjten.” Und als fie dann allein mit- 
einander waren, wiederholte fie ihre vorige Frage: 
„Wo iſt mein Bater? Warum find Gie ohne ihn zu: 
rückgekommen?“ 

„Ihr Vater befindet ſich als Polizeigefangener im 
Kreiskrankenhauſe zu Brandenſtein. Nur dem Umſtand, 
daß er ſeit ſeiner Einlieferung vernehmungsunfähig 
war, daß er keinerlei Legitimationspapiere bei ſich führte 


30 Um die Beute. 

IIRD DIDI ED EEE EDER DEI DI DD EDDIE 
und fich unter einem falfchen Namen in das Fremden: 
buch des Hotel3 eingetragen hatte, haben Gie es zu: 
zufchreiben, daß man Ihnen noch feine amtliche Nach: 
richt davon zukommen ließ.” 

Hanna lehnte totenbleich am Tifche, aber fie fette 
feiner Nüdfichtslofigfeit eine trogige Selbftbeherrfchung 
entgegen. 

„Er ift alfo ſchwerkrank, trogdem er doch ganz ge: 
fund war, al er uns verließ?” 

„Die Arzte des Krankenhauſes fagen, e3 fei ein 
Nervenchof, unter dem er zufammengebrochen ift. Auf 
einen Zuftand furchtbarfter Aufregung folgte eine voll: 
jtändige Apathie. Er ift anjcheinend bei Bemußtfein, 
aber er zeigt leinerlei Syutereffe für das, was mit ihm 
gefchieht, und antwortet auf feine der ihm vorgelegten 
Fragen.” 

„Es ift alfo genau Bazfelbe wie Damal3 nach dem 
Zufammenbruch, als die Anklage wegen betrügerijchen 
Bankrotts gegen ihn erhoben wurde. Damals Hatte 
er e3 im Verlauf einer Woche überwunden.” 

„Soviel ich gehört habe, ijt Die Prognoſe der Ärzte 
diesmal weniger günftig. Man hegte zur Zeit meiner 
Abreife ſehr ernite Beforgnijje um fein Leben.“ 

Noch immer veränderte fih in Hannas bleichem, 
ftarrem Geſicht feine Linie. Als hätte fie feine legten 
Worte gar nicht gehört, fragte fie weiter: „Sie fagen, 
daß er als MBolizeigefangener im Krantenhaufe ift? 
Warum da3? Er hat während feines kurzen Aufent- 
halts in Brandenftein doch wohl kaum etwas Gtraf- 
mwürdiges getan?” 

„Er wurde überrajcht, als er zu nächtlicher Stunde 
auf dem Kirchhofe einen Grabhügel zerjtörte.. Auf 
Grabfehändung aber find ftrenge Strafen gefebt.” 

Nun war Hanna doch in Gefahr, ihre Faljung zu 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann, Sl 
DDr EDDIE DD ED ED DD EDDIE ED AD DDr 
verlieren. Der kalte, dDurchdringende Blick dieſes er- 
barmungslojfen Menfchen bohrte ſich wie ein Dolch: 
meffer in ihre Seele, und für einen Moment mußte fie 
ihre Augen mit der Hand bededen, um ihm zu ent» 
gehen. 

Hartınann wartete ein paar Sekunden lang; dann 
fuhr er ohne die leifefte Regung des Mitleid fort: 
„Es wundert mich, Fräulein Wendriner, daß Gie gar 
teine Stage nach der Ausbeute meiner Brandenjteiner 
Reife an mich zu richten haben. Intereſſiert es Sie 
denn fo wenig, ob es Ihrem Vater und mir gelungen 
ift, die verborgenen Schäße de3 Herrn Grevenberg zu 
heben ?” 

Sie antwortete ihm nicht. 

Nach kurzem Warten fprad) er weiter: „Oder mußten 
Sie vielleicht ſchon vorher, daß wir nichts finden wür⸗ 
den? gebt, da der Freund, für den Sie fich jo helden: 
mütig geopfert haben, wohl ſchon in Sicherheit ift, 
tönnten Sie es am Ende ruhig zugeftehen.” 

Hanna ließ die Hand finten und fah ihn an. Ein 
Ausdrud düfterer Entjchlofjenheit war auf ihrem Ge- 
fiht. „Warum fpielen Sie mit mir mie die Rabe mit 
der Maus? Wenn ich Sie betrog, hätte ich Ihnen 
damit denn etwas anderes angetan als Sie mir? War 
denn Ihre angebliche Freundfchaft für mic) von allem 
Anbeginn etwas anderes als fehändlicher Betrug?” 

„sh babe auch gar nicht die Abficht, Ihnen Bor: 
würfe zu machen. Jeder nimmt feine Intereſſen wahr, 
fo gut er fann — das iſt fein unzmweifelhajtes Recht, 
und der Dümmere muß fich darein ergeben, wenn in 
dieſem Intereſſenkampfe der Klügere den Sieg behält. 
Bielleicht macht es Ihnen Vergnügen, Fräulein Wend- 
riner, wenn ich Ihnen ausdrüclich zugeftehe, daß Sie 
bis zu diefem Augenblick die Klügere geweſen find.“ 


32 Um die Beute. 
ADDED DDr Dre De Dre De Dre Dre DDr Dr ED ⏑ — 

Da lachte fie fehneidend auf. „Die Klügere? — 
Mollen Sie mich verhöhnen? Die Klügere — ih? — 
Die fich von einem Schurfen bintergehen ließ wie ein 
ahnungsloſes Gänschen?“ 

Hartmann horchte auf. Der Ton, der da an ſein 
Ohr geſchlagen war, klang wirklich echt. Aber er hatte 
gelernt, diefem Mädchen gegenüber auf feiner Hut zu 
fein. „Ein neuer Aufzug der Komödie alſo? Meinet- 
wegen! — Uber wozu die Anftrengung? GEs ift nicht 
mehr der Mühe wert, mich am Narrenfeil herumzufüh- 
ren. Ich Habe ja aufgehört, einer der Mitwirkenden 
in diefem Pofjenfpiel zu fein. Was jet noch zu tun 
ift, wird die Polizei beforgen, und Sie müſſen Ihre 
Künſte deshalb ſchon an einer anderen Stelle verfuchen.” 

„D nein, mein Herr! Syn Diefer Sache ift es mit 
meiner Runft und mit meinen Künften zu Ende. Ich 
wünſchte aus tiefitem Herzen, die Kriminalpolizei wäre 
geſchickter als Sie.” 

„So ſicher alſo ſind Sie Ihrer Sache? So be— 
ſtimmt wiſſen Sie, daß Ihr Freund ſich und ſeine 
Beute glücklich aus dem Bereich aller Verfolgungen 
gebracht hat?“ | 

„Nichts weiß ich — gar nichts!” fchrie fie mit aus: 
brechender Leidenfchaft. „Aber wenn e3 fo ift, wie Sie 
fagen, fo hat er es dem glüdlichen Zufall zu danken, 
daß man Narren und Dummköpfe zu feinen Wächtern 
bejtellt hatte, und daß ein verblendetes Weib jich dazu 
bergab, ihm als Brüde in die Freiheit zu dienen.” 

Nun war er gewiß, daß fie ihm feine Komödie mehr 
vorfpielte. Er änderte feinen Ton. „Sol ich Ihnen 
glauben, Fräulein Wendriner? Auch Sie aljo hätte 
diefer Grevenberg betrogen?“ 

„Nur mid) hat er betrogen — mich ganz allein! 
Denn welche Verpflichtung hätte er gehabt, gegen meinen 


Sriminalcoman von Reinhold Ortmann. 33 
EDDIE Dr Dr Dre Dee Dr ED 
Vater oder gegen Sie aufrichtig zu fein? — Gegen die 
Bluthunde, die ihm auf den Ferſen waren, mochte ex fich 
immerhin wehren mit allen Mitteln der Verſchlagen⸗ 
beit und der Lift. Mich aber durfte er nicht hinter: 
gehen — mich nicht.” 

„Sp jagen Sie mir alles, Fräulein Hanna! Biel- 
leicht können wir doch noch einmal aufrichtige Bundes: 
genofien werden.“ 

„Was fol ich Ihnen denn noch fagen, das Gie 
nicht fchon erraten hätten? Ich Habe ihm zur Flucht 
verholfen, mit Lug und Trug und mit der Hergabe 
meiner legten Sparpfennige. Er follte jeine verjtedten 
Schätze heben und follte entweder innerhalb vierund- 
zwanzig Stunden zurüdltommen, mich zu holen, oder 
mir den Ort angeben, an dem mir und zur gemein 
famen meiteren Slucht vereinen würden. Ich vertraute 
ihm, ich war troß meiner Erfahrungen einfältig genug, 
feinen VBerfprechungen zu glauben.” 

„Und er hat natürlich nach feiner Abreife nichts 
mehr von fich hören laſſen? Sie hegen feine Hoff- 
nung mehr, daß er fein Berjprechen dennoch einlöfen 
könnte?“ 

„Nein, ſo wahnſinnig bin ich nicht. Jetzt könnte 
er ja gar nicht mehr kommen, da er ſich ſagen muß, daß 
mein Vater ihn ſicherlich nicht zum zweiten Male ent—⸗ 
wiſchen ließe, nachdem er mit diefer Kirchhofgefchichte 
einmal daS Opfer eines Betruges geworden. Es mar 
auch von vornherein gar nicht feine Abficht.“ 

„And Sie wollten fich ganz untätig verhalten? Gie 
wollen es ruhig gefchehen laſſen, daß er die Früchte 
feine Verrats genießt — vielleicht in der angenehmen 
Geſellſchaft einer anderen?“ 

Hanna war zufammengefahren mie unter einem 
Peitſchenhieb. So viel Temperament Hartmann ihr aud) 

1904. XII. 3 





34 Um die Beute. 

ID DD DA DDr Dr KDD DDr DDr ED DDr 
zutraute, dies dämoniſch wilde Funkeln in ihren Augen 
machte ihn Doch betroffen. 

„Sagen Sie mir, wo ich ihn finde, und er joll feines 
Schurfenftreiches wahrhaftig nicht froh werden.“ 

„Er hat Ahnen fein Reifeziel nicht genannt?” 

„Ich babe ihn nicht einmal danach gefragt. Wozu 
auh? Wenn es feine Abficht war, mich zu Hinter: 
gehen, würde er mir ja doch mit einer Lüge geantwortet 
haben.” 

„Bermutlich! Aber wie konnten Sie ihm aud) fo 
blindlings vertrauen? Haben Sie fich denn gar nicht 
bemüht, über feine Bläne etwas aus ihm herauszubringen, 
ohne daß er es merkte?” 

„Ich babe es wohl verfucht; aber er war klüger al3 
ich. Ich weiß nichts — nichts.“ 

„Das ift allerdings fchlimm. Dann werde ich doch 
wohl die Hoffnung auf meine Belohnung fahren laſſen 
müffen, und Sie, mein unkluges Fräulein, werden um 
Ihre Rache an dem Verräter kommen. Denn von der 
Polizei haben wir jet, nachdem Grevenberg einen Vor⸗ 
fprung von drei Tagen gewonnen bat, aller Voraus: 
ficht nach wenig zu erwarten, auch wenn fie den Tele: 
graphen nach allen Richtungen der Windrofe fpielen läßt, 
um die Spur des Herrn Herbert Lynder zu entdeden.” 

Er mar niemals in üblerer Laune gemefen als in 
diefem Augenblid, denn er mußte ja feiner eigenen 
Leichtglaubigfeit einen nicht geringen Zeil der Schuld 
beimefjen an dem Scheitern feiner Mijjion. 

Da fagte Hanna, die mit finjterem Geficht und feit 
zufammengepreßten Lippen vor ihm gejtanden, plößlich: 
„arten Sie einen Augenblid. Sch will Ihnen etwas 
zeigen, was ich in.feinem Zimmer gefunden habe. Da 
Sie jo fcharfjinnig find, Fann e3 Ihnen möglichermweife 
von Wichtigkeit fein.” 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 35 

erDrkDeDrDereD öS Dre 

Sie kehrte raſch zurüd und legte eine Anzahl Pa- 
pierfegen vor ihn auf den Tifch. 

„Er war feit einer Woche in unferem Haufe,” er: 
zählte fie, „als ich ihn eines Tages beim Schreiben 
eines Briefe überrafchte. Er hatte eben den lebten 
Federzug der Adreffe getan und ſchob bei meinem Ein- 
treten den Umfchlag jo haſtig unter die anderen auf 
dem Tiſch Tiegenden Papiere, als hätte ex ein jehr 
großes Intereſſe daran, ihn nicht fehen zu laffen. Da: 
bei mag fi dann wohl die naffe Schrift ein wenig 

verwifcht haben, fo daß er das Brieffuvert ſpäter nicht 
mehr verwenden konnte. Sch fand es zerriffen in feinem 
Papierkorb. Aber die Stüde waren fo Klein, daß ich 
troß aller Bemühungen die Adrefje nicht mehr zufammen- 
bringen konnte. Diefes bier waren die größten der 
vorhandenen Fragmente. Uber auch fie haben mir un- 
lösliche Rätſel aufgegeben.” 

Während fie Sprach, Hatte fie die Bapierfchnigel fo 
aufammengefügt, daß fie wieder die Wortfragmente: 
„ulnant vo— yde— ebenfel—“ ergaben. 

Wit gejpannter Aufmerkſamkeit war Hartmann 
ihrem Beginnen gefolgt. „Dieſe Überreite können ung 
allerdings möglicherweife von Bedeutung werden,” er: 
Härte er. „Haben Sie die übrigen Schnigel des Um- 
ſchlags nicht mehr in Ihrem Beſitz?“ 

Hanna mußte verneinen. „Ich Habe fie fort. 
geworfen, da e3 doch unmöglich geweſen wäre, ſie in 
einen Zuſammenhang zu bringen.“ | 

„Das it fehr fchade. Wir müffen uns alfo mit 
dem zu behelfen fuchen, was wir haben. Da fcheint 
mir denn fo viel als ficher, daß unfer Freund mit einem 
adligen Leutnant oder Oberleutnant oder Generalleut- 
nant forrejpondiert hat. Wenn wir die PBerfönlichkeit 
des Adreſſaten fefttellen können, fo gewinnen wir da= 





36 Um die Beute. 

— DDr 
mit möglicherweiſe einen wichtigen Anhalt für die 
Natur von Grevenbergs Plänen. Er hatte vor ſeiner 
Beſtrafung die Manie, ſich unter falſchem Namen an 
vornehme Leute heranzudrängen, und es ſcheint faſt, 
daß er ſich jetzt mit einem dieſer alten Bekannten in Ver⸗ 
bindung zu ſetzen geſucht hat. Mit den drei Buchſtaben 
„yde“ können wir allerdings nicht viel anfangen, denn 
es gibt ficherlich Taufende von Namen, in die fie hin- 
einpafjen würden. Die Ortsbezeichnung fcheint fehon 
viel verheißungsvoller, obwohl ich mir feit fünf Minuten 
vergebens den Kopf zerbreche, um eine Stadt ausfindig 
zu machen, deren Name mit diejen Silben in Zuſammen⸗ 
hang zu bringen if. Nebenfelde — Lebenfelde — 
Nebenfels — alle diefe Orte exiftieren nicht. Aber e3 
dürfte Doch nicht unmöglich fein, den richtigen zu er: 
mitteln. Sch merde es unverzüglich verjuchen. Gie 
haben zu Grevenberg natürlich nichts von Syhrem Funde 
geſprochen?“ 

Hanna verneinte, und mit dem Eifer, der jede feiner 
Handlungen charakterifierte, machte fi) Hartmann un- 
geſäumt an die weitere Verfolgung der Schwachen Fährte. 
Er ging aus, und als er nach etwa drei Stunden zu- 
rückkehrte, winkte er Hanna, die. ihm geöffnet hatte, 
noch einmal in fein Zimmer. 

„Ich babe ein: Städteleriton und die Karte genau 
durchftudiert,” ſagte er. „Ich habe dabei gefunden, 
daß e3 darin nur einen einzigen Ort gibt, der die be- 
treffenden Buchftaben enthält. ES ijt das Städtchen 
Liebenfelde, das glücklichermeife nur ein paar Meilen 
von bier entfernt ift. Ich werde aljo nicht gar zu 
viel koſtbare Zeit verlieren, wenn ich dahin fahre, um 
an Ort und Stelle nach dem Adreſſaten des geheim- 
nisvollen Briefes zu forfchen. Noch in diejer Stunde 
gedenke ich abzureiien, und fobald ich etwas ermittelt 





Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 37 
DDr Der Dre DDr Dee Dee . 
babe, daS für unferen Zwed von Bedeutung tft, werde 
ich Ihnen telegraphifche Nachricht geben.” 

„Ich bitte Sie darum, und ich wünſche von ganzem 
Herzen, daß Ihre Bemühungen von Erfolg fein möch- 
ten. Aber Sie dürfen mir natürlich nicht hierher in 
unfere Wohnung telegraphieren. Meine Mutter braucht 
nicht zu wiffen. Richten Sie die Depefche alſo unter 
den Anfangsbuchltaben meines Namens pojtlagernd an 
das Haupttelegraphenamt. Sch werde morgen nach— 
mittag dort Nachfrage halten.” 

Er verſprach, fich nad ihrem Wunfche zu richten, 
und ſchon nach einer PVierteljtunde war er auf dem 
Wege zum Bahnbofe. 

Als Hanna am nächſten Mittag auf dem Tele: 
graphenamt erfchien, um ſich nach einer unter der 
Chiffre H. W. eingelaufenen pojtlagernden Depeche zu 
ertundigen, reichte ihr der Beamte ein, mie er jagte, 
ſchon vor zwei Stunden eingegangenes Telegramm. 

Mit bebenden Fingern löfte Hanna den Verfchluß und 
las: „Spur gefunden. Kommen Sie fofort hierher, habe 
Ihnen wichtige Mitteilungen zu machen. Hartmann.” 

- Hanna wäre am liebiten gefahren, ohne zuvor noch 
einmal nach Haufe zurückzukehren. Aber fie war fajt 
ohne Mittel, und da fie jedenfall nicht mehr an dem: 
felben Tage hätte zurüdtehren können, mußte fie fich 
doch auch mit etwas Wäſche verjehen. Sie fuhr alfo 
in die elterlihe Wohnung zurüd, wo noch immer teine 
Nachricht von ihrem Vater eingetroffen war, erfann 
unterwegs irgend ein Märchen von der Erkrankung 
einer Freundin, die fie notwendig bejuchen müſſe, und 
beftieg in einem Zuſtande fieberhafter Erwartung den 
Abendzug, der fie nach Liebenfelde bringen follte. 





38 Um die Beute. 


DD RDD AD ADDED DD DD AD ED Dr Dr ED ED 


Neunzebntes Kapitel. 

„Der Herr Doltor möchten doch fogleich zum Ge⸗ 
meindevorjteber Tiebenomw nach Hausdorf fommen. Der 
Mann ift von einem Pferde gefchlagen worden und 
ſchwer verlegt. Seine Leute fürchten, daß es mit ihm 
zu Ende geht.“ 

E3 mar gegen zehn Uhr Abends, als die Haus: 
bälterin mit diefer Meldung in das Arbeitszimmer 
Ruthardt3 trat. Er war fofort bereit, feine ärztliche 
Pflicht zu erfüllen. 

„Dan bat doch einen Wagen mitgefchielt?* fragte er. 

Aber die Haushälterin verneinte. „Der Junge, der 
die Botjchaft brachte, fagte, er ſei mit der gerade ab- 
gehenden Poſt von Hausdorf hierher gefahren, weil da3 
Anfpannen zu viel Zeit erfordert hätte.” 

„Das war fehr töricht, denn nun werden wir Die- 
felbe Zeit bier verlieren. Gehen Sie alfo, bitte, zum 
Fuhrhalter Rarjtens und jagen Sie ihm, er folle mir 
ſo fehnel als möglich die Halbehaife ſchicken. Syn: 
zwifchen pade ich mir die Inſtrumente und das Ber: 
bandzeug zufammen.” 

E3 mochten faum mehr als zwanzig Minuten feit 
dem Eintreffen der Meldung vergangen fein, als Dol- 
tor Ruthardt die mit zwei Pferden bejpannte Chaife 
bejtieg und in der Richtung nach Hausdorf abfuhr. 

Es war ein dunkler, mondlojer Abend, und troß 
der verhältnismäßig frühen Stunde herrfchte in den 
Schlecht beleuchteten Straßen des Gtädtchens bereits 
tiefe Stille. Ein Nachtwächter ging bald nach der Ab— 
fahrt des Wagen3 an dem Haufe des Doktors vorüber. 
Dann regte fich lange Zeit nichts mehr in der Um: 
gebung de3 Kleinen, unanfehnlichen Gebäudes. 

ALS aber die Uhr auf dem Turme der nahen Kirche 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 39 
DD ee DIDI Dre Dre ED 
zum Schlage der elften Stunde ausholte, löfte ſich aus 
dem Dunfel eines dem Haufe gegenüberliegenden Tor: 
wegs eine Männergeftalt, die lautlos über den Fahr— 
damm huſchte. 

Paul Grevenberg hatte auf ſeinem ſicheren Beobach⸗ 
tungspoſten ausgeharrt, bis ſich das letzte erleuchtete 
Fenſter — das Fenſter eines Giebelzimmers — ver— 
finſtert hatte und bis er annehmen konnte, daß alle 
Bewohner des Hauſes im Schlummer lägen. 

Nun verſchwand er in dem Gange, der zwiſchen 
den beiden Gärten dahinführte, und ſchwang ſich ohne 
ſonderliche Mühe über das niedere hölzerne Gitter zu 
ſeiner Rechten. Als er vor einigen Tagen die Gelegen— 
heit ausſpähte, hatte er die Fenſter im Erdgeſchoß auf— 
merkſam genug gezählt, um zu wiſſen, welches von 
ihnen das des Wartezimmers war. Noch eine Minute 
lang blieb er wie in einer Anwandlung von Furcht oder 
wie in einem letzten inneren Kampfe unter demſelben 
ſtehen, dann begann er an den Latten des Spaliers 
in die Höhe zu klettern, um die Brüſtung zu gewinnen. 
Seine Glieder waren ungelenk, und ſeine Muskeln 
ſchwach geworden während der langen Gefangenſchaft. 
Was für einen Menſchen von normalen Kräften ein 
leichtes geweſen wäre, bereitete ihm ziemliche An— 
ſtrengung, und ſeine Bruſt keuchte, als es ihm endlich 
gelungen war, ſich mit dem ganzen Gewicht ſeines 
Körpers auf das breitausladende Geſims des Fenſters 
hinaufzuziehen. | 

Aber das Schmwerere ſtand ihm noch bevor. Er mußte 
eine der Scheiben mit der mitgebrachten Schmierfeife 
beftreichen und fie vorfichtig eindrüden, um dann non 
innen den Fenjterriegel öffnen zu können Trotz aller 
Behutfamleit ging es dabei nicht ohne ein leijes Klirren 
ab, und als er den Arm durch die entjtandene Öffnung 





40 Um die Beute. 

IADADr DD RED ED EEE ADD AD DD DD 
ſchob, rigte ihm ein vorjtehender Glasfplitter die Haut 
Er jpürte den Schmerz faum, aber er fühlte, wie 
ibm Blutstropfen über die Hand riejelten. Doch er 
dachte nicht einmal daran, fie abzumifchen. Seine Zeit 
war ja knapp genug bemefjen. In wenig mehr als 
einer Stunde konnte der Doktor zurüd fein, denn er 
hatte feine VBeranlafjung, fich in Hausdorf aufzuhalten, 
nachdem er erfahren haben würde, daß er durch eine 
falfche Meldung genarrt worden fei. Syn einer Stunde 
alfo mußte er feinen Schaß gehoben und in Sicherheit 
gebracht haben, oder alles war verloren. 

Es dünkte ihn nicht zu ſchwer. Er hatte ja Beit 
genug gehabt, alles reiflich zu überlegen und feine Vor: 
bereitungen zu treffen. Er hatte ſowohl die unentbehr- 
liche Heine Blendlaterne mitgebracht als die Sperr» 
Hafen zum Öffnen verfchloffener Türen und eine Eleine 
feine Stahlſäge, der nach der Verficherung des Ver— 
käufers auch das härteſte Metall nicht widerftehen konnte. 

Behutfam taftete er fich Durch das dunkle Warte- 
zimmer und atmete erleichtert auf, als ein Drud auf 
die Klinke ihn überzeugte, daß die Verbindungstür nicht 
verjchlofjen war. 

Nun jtand er der treuen Hüterin feines NReichtums 
gegenüber. Er hatte von vornherein nicht daran ge: 
dacht, die Vaſe zu ftehlen. Sie war viel zu ſchwer für 
feine Kraft und viel zu groß, als daß er fie unauffällig 
hätte fortjchaffen können. Da e3 aber eines ftunden- 
langen Beitaufmwandes, einer ungewöhnlichen Gefchid- 
lichkeit und mwahrjcheinlich auch bejfonders Tonftruierter 
Inſtrumente bedurft hätte, um die Durch den engen 
Vaſenhals gefchobenen Papierröllchen auf demjelben 
Wege wieder herauszubefördern, jo blieb ihm nichts 
anderes übrig al3 eine teilmeife Zerſtörung des KRunit- 
werkes. 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 41 
DD ED DD ED ED Dre Dre De De De Dre Dre Dede De 

Mit Anftrengung hob er das jchwere Stüd von 
dem PBoftament herab und legte es auf den Teppich). 
Er war zu dem Schluß gekommen, daß e3 das Zweck— 
mäßigjte fein würde, den Fuß der Vaſe abzufägen, und 
ohne Zögern ging er ang Wert. 

Aber die Arbeit vollzog fich bei weiten nicht fo 
raſch, als er vorausgefegt Hatte, und das Knirſchen 
der Säge verſetzte ihn überdies in tödliche Angjt vor 
einer Entdedung. Der Schweiß rann ihm in großen. 
Tropfen von der Stirn, und das Herz Elopfte ihm zum 
Berfpringen. Aber er hielt trogdem feine Sekunde in 
feiner Tätigkeit inne, und endlich war der entjtandene 
Einfchnitt tief genug, daß er verfuchen fonnte, ihn durch 
ein paar energifche Schläge mit den Meißel, den er 
ebenfalls mitgebracht hatte, rafcher zu erweitern. Das 
konnte allerdings nicht ohne Geräufch abgehen. Aber 
es mar unvermeidlich, und die Erkenntnis, daß ihm 
vielleicht nur noch ein kurzer Zeitraum gelaſſen jei, 
erfüllte ihn mit dem Mute der Verzweiflung. Er jchlug 
zu und verjuchte dann unter Aufmwendung feiner ganzen 
Körperkraft, den halbgelöften Fuß der Vaſe jo weit zu- 
rüdzubiegen, daß er mit der Sand in das bauchige In— 
nere dringen fonnte. Nach einigen vergeblichen Verfuchen 
gelang es ihm in der Tat. Er fühlte ein paar der felt 
zufammengedrehten Papierrollen zwifchen feinen Fingern. 

Freilich, alles würde er nicht reiten fönnen, darauf 
hatte ex fich von vornherein gefaßt gemacht, denn von 
den vierzehn Rollen, deren jede aus zehn Taufendmarf- 
fcheinen bejtand, hatte er nur zwölf durch die obere 
Öffnung in die Vaſe hinabgezwängt. Die beiden anderen 
hatte ex durch das Aſtloch in den Hohlraum des Poſta— 
ment3 gejchoben, und an ihre Rettung mar bei der 
Kürze der Zeit und der Schmwierigleit der erforderlichen 
Manipulationen felbjtverftändlich nicht zu denken. 


42 Um die Beute. 
DD Dr ED DD DD De Dee Dre DD 

Aber was bedeutete ihm ein Verluſt von zwanzig⸗ 
taufend Markt, wenn er das Gechsfache in Sicherheit 
brachte! 

Die Summe war vollftändig vorhanden. Da nie: 
mand das Geheimnis der Vafe erraten hatte, fehlte 
feines der foftbaren Röllchen. Paul Grevenberg hielt 
fih nicht damit auf, fie zu entfalten. So mie fie 
waren, ſchob er fie in die Tafche feines Beinkleideg, 
und dann, al3 alles geborgen war, richtete er fich aus 
feiner Inieenden Stellung auf, um mie zu einer ftummen 
Danklfagung die Arme gegen die Zimmerdede empor: 
zureden. 

Nun war er aljo doch nicht um den Preis feines 
Opfers betrogen. Wenn ihm auch das Glück der Liebe 
verjfagt blieb, das Glück des Reichtums wenigiten3 
tonnte er für den Reſt feines Dafeins in vollen Zügen 
genießen, denn er zmeifelte nicht mehr daran, daß 
Doktor Ruthardt ihm über feinen Geſundheitszuſtand die 
Wahrheit gefagt Hatte. Die Aufregungen der lebten 
Tage mußten einen verhängnisvollen Fortichritt in dem 
Leiden bewirkt haben, dejjen erjte Anzeichen er jchon 
während jeiner Gefangenfchaft wahrgenommen hatte. 

Er hatte fich nie fo hinfällig gefühlt wie gerade 
heute. Auf feiner Bruft lag es wie eine ſchwere Laft, 
die ihm zeitweilig faft das Atmen unmöglich machte, und 
manchmal war es ihm, als ob fein Herz aufhören 
wolle zu jchlagen. 

Aber der Doktor hatte ihm ja auch gefagt, daß er 
e3 bei ruhiger Lebensweife noch auf eine Anzahl von 
Jahren bringen könnte. In der milden Luft Italiens 
oder eines anderen füdlichen Himmelsftriches ließ fich 
das Außerjte gewiß noch lange hinausſchieben, zumal 
wenn er fich mit Hilfe feines Neichtums, der ihm in 
der erſten überjchmenglichen Beſitzfreude fehier unermeß- 





Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 43 
a en U mt nn er — I 7 I I ⏑ N Te I I ee) 
lich dünkte, alle jene Bequentlichkeiten und Annehmlich- 
teiten verjchaffen konnte, die danach angetan find, da3 
Leben eines Menfchen zu verlängern, weil fie es ver: 
ſchönen. 

Freilich, noch war er nicht in Sicherheit. Aber ſeine 
Beſorgniſſe in dieſer Hinſicht waren nicht zu groß. 
Wohl zweifelte er nicht, daß der Verdacht, den Ein— 
bruch verübt und die Vaſe beſchädigt zu haben, ſich 
ſogleich auf ihn lenken würde, denn nur er konnte nach 
des Doktors Meinung ein Intereſſe daran gehabt haben, 
das koſtbare Gefäß zu zerſtören, deſſen Verkauf der 
Beſitzer ihm ſo hartnäckig verweigert hatte, aber man 
würde in ſeinem Beginnen nur die verrückte Rachſucht 
eines in ſeinen Hoffnungen betrogenen Sammlers 
ſehen, und es war nicht einmal ſehr wahrſcheinlich, 
das Doktor Ruthardt überhaupt Anzeige erſtatten 
würde. Im ſchlimmſten Falle konnte man den ver— 
meinten Herbert Lyncker Doch nur wegen vorſätzlicher 
Sachbejchädigung verfolgen, und er Hatte noch nie ge: 
hört, daß wegen folchen Vergehen ein Stedbrief hinter 
einem Flüchtigen erlaffen worden wäre. Schon am 
nächlten Abend aber Tonnte er die Grenze paffiert haben, 
und dann war er unter allen Umjtänden geborgen. 

Er verlöfchte feine Blendlaterne und ſteckte fie gleich 
dem Einbrechergerät in die Tajche, denn für den Rück— 
weg bedurfte er de3 Lichtes nicht mehr. Behutfam 
taftete ex fich durch das Vorzimmer zum Fenfter, und 
nachdem er die Überzeugung gewonnen, daß fich draußen 
nicht8 Bedrohliches regte, fehmang er fich auf die 
Brüftung. 

Der Sprung, den er wagen mußte, war faum mehr 
als zwei Meter tief, ein Kinderspiel für einen halbwegs 
gemwandten Menjchen. Und das Erdreich des Gartens 
war überdics jo weich, daß er felbit bei einem Sturz 


44 Um die Beute. 
EDDIE EDDIE DD DDr ED DEI ED — 
faum eine ernftliche Bejchädigung zu fürchten hatte. 
Er zögerte denn auch nicht und fprang. Aber er mußte 
wohl ausnehmend ungeſchickt auf die Füße gekommen 
fein, denn die Erfehütterung, die er bis ins Gehirn 
hinein verfpürte, war viel heftiger, als er es ermartet 
hatte. Für einen Moment verjagte ihm der Atem, 
und er fühlte einen furchtbaren, ftechenden Schmerz in 
der Bruft. Trotzdem tat er ein paar rafche Schritte 
auf das Gartengitter zu. Aber noch ehe er e3 erreicht 
hatte, ftieg e3 ihm aus der Bruft herauf warm und 
erftidend in die Kehle empor, und ein unmiderjtehlicher 
Huftenreiz in Verbindung mit einem beängjtigenden 
Schwindelanfall nötigte ihn, jtehen zu bleiben. Nur 
eine Sekunde, dann wurde der frampfhafte Huften zu 
einem gurgelnden Röcheln, er ſpürte eine widerlich ſüße 
Mafje im Munde, und dann brach es unaufbaltfam 
wie ein dunkler, fchaumiger Strom über feine Lippen. 
„Blut!“ dachte er mit grenzenlofem Entjegen, „Blut!“ 
Und e3 war, als fchriee eine fürchterliche Stimme 
ihm ins Ohr: „Was Hilft dir nun deine Beute? — 
Jetzt bift du am Ende!” 
Und doch war der Trieb zum Leben niemals ftärker 
in ihm gemefen als in diefem jchredlichen Augenblick. 
Geine Rniee fchlotterten, und feine Arme waren mie 
gelähmt, aber er fchleppte fich troßdem, als er den An- 
fall vorüber glaubte, bis an den Gartenzaun. 
Da erſt brach er bewußtlos zufammen. 


Zwanzigstes Kapitel. 

Es war ſchon neun Uhr vorüber, ald Hanna auf 
dem Xiebenfelder Bahnhof den Wagen verließ. Hart: 
mann, der harrend auf dem Bahnjteig geitanden hatte, 
trat grüßend auf fie zu. 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 45 
RD ADD DD ADD EDDIE DDr DDr DDr eD 
„sh babe Sie ſchon mit einem früheren Zuge er: 
wartet, aber ich bin froh, daß Sie überhaupt gefommen 
find. Es gibt bier nur ein einziges Hotel. Darf ich 
Sie dahin geleiten, und wollen Sie mir geftatten, Ihre 
Handtafche zu tragen?” 

„Kein — laffen Sie nur; fie beläftigt mich nicht. 
Aber ich bin fehr ungeduldig, Ihre Neuigkeiten zu 
hören. Bitte, fpannen Sie mich nicht auf die Folter.” 

Schon auf dem Wege mußte er auf ihr Drängen 
mit feiner Erzählung beginnen. 

„Die Sache ließ fich fehr viel einfacher an, als ich 
e3 hatte vermuten können. Es gibt fein Militär in 
diefem Neft, wohl aber ein paar penfionierte Offiziere, 
und unter diefen konnte nur ein einziger Name für 
mich in Betracht kommen, der Name des Oberftleut- 
nants von der Heyde, der in der Platanenftraße eine 
Billa bewohnt. Ich fchlug den altbewährten Weg ein, 
mich an das Dienſtmädchen diefes fchon ziemlich be- 
jahrten Herrn zu machen, und ich hatte das Glüd, 
auf eine Küchenfee von ebenfo leicht entzündlichen als 
mitteilfamem Herzen zu ftoßen. In weniger al3 einer 
Stunde wußte ich alles, was fie überhaupt erzählen 
tonnte. Aber ich bitte Sie, Fräulein Hanna, es nicht 
mich entgelten zu laffen, wenn e3 eine beifpiellofe Ab— 
jcheulichkeit ift, die ich Syhnen da enthüllen muß.“ 

„Ich ſagte Ahnen doch, daB Sie mich nicht durch 
lange Einleitungen martern dürfen. Was hat Greven- 
berg mit diefem Oberftleutnant zu fchaffen?” 

„Er ift als angeblicher Brivatier Herbert Lynder 
ſeit mehr als zwei Jahren der Verlobte feiner Tochter, 
und er ijt richtig vor drei Tagen bier geweſen, um 
feine Braut zu befuchen.” 

Hanna war jtehen geblieben, als ob ihre Glieder . 
ihr plößlich den Dienſt verfagten. „Der Schurke!“ 


46 Um die Beute. | 
DD DDr Dr ED ED ED Deere Dre Dee Dre DD 
jtieß fie in aifchenden RYauten hervor. „Und jett? Wo 
iſt er jegt?“ 

„Darauf babe ich leider feine Antwort. Er iſt ſchon 
am nächiten Tage wieder abgereift, und es fcheint, daß 
auch die Bewohner der Billa über den Zeitpunkt feines 
MWiederfommens nicht unterrichtet find. Wahrfcheinlich 
hat er fich von hier aus aufgemacht, jeinen Schaß zu 
heben, und wird fich exit wieder einfinden, wenn ihm 
da3 gelungen ift. Ich halte e3 deshalb für das beite, 
einfach auf feine Rückkehr zu warten.” 

„Wir werden fehen, ob es das befte ift,* fagte 
Hanna mit einem Ausdrud finfterer Entfchloffenbeit. 
„Bor allem werde ich mit diefem Oberftleutnant und 
mit jeiner Tochter reden.” 

Davon wollte Hartmann nun zwar durchaus nichts 
wiffen, weil es mit feinen Plänen nicht im Einklang 
war, aber er hätte leichter einen Gtein durch bloßes 
Zureden von der Stelle bewegen können, als es ihm 
gelungen wäre, den Gtarrfinn diefes Mädchens zu 
brechen. Vergebens verjuchte er fie zu überzeugen, daß 
die vorgerüdte Abendftunde Feine ſchickliche Beſuchsſtunde 
fei, und daß man fie in der Billa des Oberftleutnants 
gar nicht mehr empfangen mwürde, fie fette all feinen 
Argumenten immer nur dasfelbe unbeugfame: „Ich 
will es,“ entgegen, und fie ließ fich faum Zeit, im Gaſt⸗ 
hofe etwas zu genießen. Schweren Herzens mußte fich 
Hartmann entjchließen, fie bis zu der Billa hinauf zu 
geleiten, die fie fich ohne Zweifel von irgend einem 
anderen hätte zeigen laſſen, wenn er fich gemeigert haben 
würde. Seine Hoffnung, daß man fie einfach abmeifen . 
würde, erfüllte fich nicht. Nachdem er zehn Minuten 
lang draußen am Gartengitter vergebens auf fie ge: 
wartet hatte, fehlug er, wie fie ausdrüdlich gewünſcht 
hatte, den Rückweg nach dem Gajthofe ein. — — 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 47 
räDrkEDrE De — 
Der Oberſtleutnant hatte allerdings Schwierigleiten 
gemacht, die unbekannte Beſucherin zu einer ſo ſpäten 
Stunde zu empfangen, aber die Ritterlichkeit des alten 
Soldaten Hatte ihn doch ſchließlich bewogen, fie vor⸗ 
zulafien. Nach den erjten Worten allerdings, die jie 
an ihn richtete, war er nahe daran gemefen, es zu 
bereuen, denn er mußte ja glauben, eine Geiftestrante 
vor fich zu haben. 

„Ich komme, um Ihnen zu fagen, daß Sie in Be- 
griff waren, Ihre Tochter einem bejtraften Diebe zur 
Frau zu geben,” hatte fie ihm zitternd vor Aufregung 
zugerufen. Schon ftredte er die Hand aus, um auf 
den Knopf des Zelegraphen zu drüden, Hanna aber, 
die feine Abficht erfannt hatte, fiel ihm in den Arm. 

„Warten Sie noch einen Augenblid, mein Herr, ehe 
Sie mich hinausweiſen laffen. Ich bin bereit, zu be- 
weiſen, was ich fagte.” 

Es mußte ihr in der Tat rajch gelungen fein, e3 
zu bemeijen, denn der Oberitleutnant Plingelte nicht, 
fondern öffnete, nachdem feine Unterredung mit der 
Fremden faft eine Stunde gewährt hatte, die Tür des 
Zimmers, in welchem er feine Tochter wußte, und er- 
fuchte fie, hereinzufommen. 

Geine Stimme hatte dabei einen jo ganz veränder: 
ten, feltfjamen Klang, daß Martha ihn voll Beftürzung 
fragte, wa3 denn gejchehen fei. 

„Du wirſt e3 jogleich hören,” fagte er, fich ſchwer 
in einen Seflel fallen laffend. „Laß dir’3 von der Dame 
bier erzählen. Denn ich — ich bringe es nicht über 
die Tippen.“ 

Wenn Hannas Herz voll graufamen Hafjes gegen 
die Zerftörerin ihrer Hoffnungen war, fo mußte fie jegt 
eine dämoniſche Genugtuung in der Möglichkeit finden, 
ihr die ganze Schmach der: fchändlichen Intrige zu 





48 Um die Beute, 

DIDI ED Dr Dr eDee De Dre Dre Dre Dre Dre Dede dere 
offenbaren, deren Opfer fie hatte werden follen. Gie 
ſchonte das Mädchen nicht, obwohl fie annahm, daß 
ihre Worte fie vernichten mußten. Nun, fie war ja 
auch gefommen mit dem feften Entfjchluß, fich an dem 
Anblic ihres Unglüds zu meiden. - | 

Ihre Erwartungen gingen jedoch nicht ganz in Er- 
füllung, denn Martha brach nicht in verzweifelte Klagen 
über ihr Schidfal aus, fondern fie fanf neben ihrem 
Vater auf die Kniee und umjchlang mit beiden Armen 
zärtlich die Schultern des alten Mannes. 

„D, Vater — mein lieber, lieber Vater — nimm 
es dir nicht jo jehr zu Herzen! Wir haben doch von 
alledem nicht3 gemußt. Niemand wird einen Vorwurf 
gegen dich erheben, weil ein Unjeliger uns getäufcht hat.“ 

Hanna ſah, daß fich die Aufregung der beiden in 
zärtlichen Tröftungsverjuchen Luft machen würde, und 
fie war nicht in der Laune, die Zeugin einer rühren- 
den Familienſzene zu fein. Deshalb wandte fie fich 
mit furzem Gruße zum Geben. 

Martha fprang auf, um fie zu geleiten. „Ich weiß 
nicht, mein Fräulein, ob Ihre Abficht eine freundliche 
war,” fagte fie mit zitternder Stimme, „aber wir find 
Ihnen für Ihre Mitteilungen jedenfalls zu Dank ver» 
pflichtet. Werden wir Sie morgen noch einmal fehen?” 

„Weshalb das?” gab Hanna kalt zurüd. „Was 
ich Ihnen zu jagen wußte, haben Sie gehört, und da 
ich Ihnen glaube, daß Sie außer jtande find, mir den 
gegenmärtigen Aufenthalt Ihres — Ihres Verlobten 
anzugeben, jo können wir wohl gegenfeitig nicht3 mehr 
voneinander erfahren, was eines Wiederjehend mert 
wäre. — Bitte, bemühen Sie fich nicht! Ich finde 
wohl irgend einen PDienjtboten, der mich binausläßt.” 

Martha wagte e3 nicht, fie nach diefer beftimmten 
Zurüdweifung noch weiter zu begleiten. Nie hatte ein 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 49 


D>DrED DDr Dre DD DD Dre Dr 


menfchliches Wefen ihr fo viele Furcht eingeflößt als 
dies blaffe junge Weib, deſſen marmorjtarres, hartes 
Geficht ihr fürchterlicher fehien als das Schredensantlit 
einer Medufe. 

Sie kehrte zu ihrem Vater zurüd und fand ihn mit 
dunfelgerötetem Antlig mühſam nach Atem ringend. 
Die Aufregung Hatte, wie es faft nach allen jtarten 
Gemütsbemegungen geſchah, einen Anfall feines aſthma⸗ 
tifchen Leidens ausgeldft, und Martha lief angftvoll zur 
Hausapothefe, um die Tropfen zu. holen, die ihm bei 

leichteren Zufällen Linderung verfchafften. 

| Es fchien, daß fie auch heute Wirkung Hatten, denn 
nad einer Tleinen Weile wurde es bejjer, und die 
fchredlichen Bellemmungen ließen nad. Aber jobald 
er wieder zu Atem gelommen mar und zuſammen⸗ 
hängend jprechen konnte, erging fich der Oberjtleutnant 
in erneuten Ausbrüchen des Zornes und der Berzmeif- 
lung über die jchmähliche Rolle, die ihm feiner Auf: 
faffung nach in diefer Standalgefchichte zugefallen war. 
Er fah ſich im Geiſte ſchon öffentlich an den Pranger 
geftelt und für alle Zukunft vettungslos fompromittiert. 
Immer und inmer wieder nannte er fich voll grau- 
famen, felbjtquälerijchen Hohnes den Spießgefellen eines 
Verbrechers, einen Diebeshehler, dem die Jungen auf 
der Straße nachrufen würden, daß er feinen Anteil 
an der Beute bekommen babe. 

Der vermeintliche Verluft feiner in einem langen, 
rechtfchaffenen Leben als köſtlichſtes Beſitztum gehüteten 
Ehre hatte ihn fo ins innerfte Herz getroffen, daß er 
außer jtande war, in diefer Stunde irgendwelche Rüd- 
ficht auf die Empfindungen feines unglüdlichen Kindes 
zu nehmen. Martha mußte ihm ebenjomenig etwas 
Tröftliches zu fagen, als fte fich gegen feine gerechten 
und ungerechten Anklagen zu verteidigen vermochte. Leije 

1004. XII. 4 





50. Um die Beute. 

DDr FED Dr Dre Der re Dre re Dre Dee Dr Dre Dr ED Dre 
mweinend fniete fie neben ihm und ftreichelte nur immer 
wieder jeine Hände. | 

Die Dienftboten konnten nicht begreifen, warum der 
Oberftleutnant und das Fräulein fich heute gar nicht 
zur Ruhe begaben. Schließlih, da man ihrer nicht 
mehr zu bedürfen fchien, zogen fie fich in ihre Kammer 
zurüd, und die Mitternachtsftunde mochte wohl jchon 
vorüber fein, als fie durch heftiges Klingeln aus dem 
erften Schlummer geweckt wurden. 

Das Hausmädchen war in wenigen Minuten an 
der Tür des Wohnzimmers, als fie von ihrer faſſungs— 
ofen jungen Herrin mit den in Verzweiflung hervor— 
geftoßenen Worten empfangen wurde: „Mein Vater 
ift krank — fterbenstrant! Laufen Sie jchnell zu Doktor 
Ruthardt und beſchwören Sie ihn, auf der Stelle zu 
tommen. Sagen Sie ihm, ich ließe ihn flehentlich darum 
bitten.” 

Das beftürzte Mädchen eilte, den Befehl auszuführen. 
Aber mit einem Ausruf höchften Erſtaunens prallte fie 
zurüd, als fie an der Gartenpforte auf den ftieß, den 
fie hatte holen follen. 

„Dan bat aljo fcehon nach Ihnen geſchickt, Herr 
Doktor! Welch ein Glüd, daß Sie fo fchnell gekommen 
find!“ 

„Niemand hat nach mir gefchicdt,” Lang es ihr merk—⸗ 
würdig ernft zurüd. „Aber was ift denn gefchehen? 
Iſt jemand Frank?“ | 

Das Mädchen machte jich in diefem Augenblid nicht 
viel Gedanken darüber, was wohl den jungen Arzt ver- 
anlaßt haben konnte, den Bewohnern der Villa mitten 
in der Nacht uu3 eigenem Antrieb einen Befuch ab- 
zuftatten. Sie wiederholte ihm, was fie ſoeben von 
Martha über das Befinden des Oberftleutnants gehört 
hatte. 


Kriminalroman von Reinhold Ortınann. 51 
m red ö —E— CC 

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, folgte Georg 
Ruthardt ihr in das Haus. 

Auch Martha ſtarrte ihn, durch die unerwartete 
Cchnelligkeit feines Kommens aufs äußerſte überrajcht, 
eine Sekunde lang wie eine Geiftererjcheinung an, aber 
fie ließ fich ebenfomwenig Zeit zu fragen, als er fich Zeit 
zu Erklärungen ließ. Seht war er wieder nur der zu 
einem Kranken gerufene Arzt, und was auch in ihm 
vorgehen mochte, er verbarg es hinter einer undurd) 
dringlich ruhigen Miene und hinter jenem gleichmäßig 
milden Wefen, das ihm troß feiner Jugend überall das 
Vertrauen und die Xiebe feiner Patienten eingetragen. 

Er fand Marthas Sorge durch den Zuſtand ihres 
Vaters diesmal Hinlänglich erklärt, und eine Viertel: 
ſtunde lang befürchtete ex felbjt den Eintritt einer Kata⸗ 
ftirophe. Aber noch einmal bannten die von ihm ans 
gewandten Mittel die Gefahr. Die Eritidungsanfälle 
verloren ihren unmittelbar bedrohlichen Charakter, Die 
Bruft des alten Herrn begann fich wieder in gleich: 
mäßigen Atemzügen zu heben, und mie immer, wenn 
die Kriſis vorüber war, trat eine tiefe Erfchlaffung 
und ein unmiderftehliches Schlafbedürfnis ein. 

Ruthardt ordnete an, den Schlummernden in feinem 
Lehnſtuhl zu belafjfen, und erklärte, daß er zur Be- 
tubigung des gnädigen Fräuleins noch dableiben werde, 
obwohl er ficher jei, daB eine Wiederholung des An: 
fals im Verlaufe diefer Nacht nicht zu befürchten ftehe. 

Er war in da3 Nebenzimmer getreten, durch dejjen 
offene Tür er den fchlafenden Oberftleutnant beobachten 
fonnte. Nach einer Fleinen Weile gefellte fi) Martha 
zu ihm. Der Anblick ihres lieben, verweinten Geſichts 
rührte ihn fo tief, daß er fich’3 nicht verfagen Tonnte, 
tröftend ihre Hand zu ergreifen. 

„allen Sie Mut, gnädiges Fräulein! Wenn es 





52 Um die Beute. 

DDr De Dee De Dre Dre Dre Dre — Dede DE DDr 0 
diesmal auch fehlimmer mar als fonft — ich verfichere 
Ihnen, es ift nach menfchlichem Ermeſſen alle Gefahr 
vorüber.” 

„Wenn e3 fo ift, fehulde ich nur Ihnen die Ers 
haltung feines Leben. Aber wie konnte eS gefchehen, 
daß Sie fchon zur Stelle waren falt in dem nämlichen 
Augenblid, als ich das Mädchen fortſchickte, Sie zu 
holen?” 

„Ich war heraufgefommen, um Ihrem Herrn Vater 
eine Mitteilung zu machen, die er, wie ich meinte, ohne 
allen Beitverluft erhalten mußte,” ermwiderte Ruthardt 
mit eigentümlich beflommener Stimme. „Daß ich To 
gerade zur rechten Zeit erfchien, war nichts als ein 
Zufall, an dem mir fein Verdienft gebührt.“ 

„Und diefe Mitteilung —?“ 

„Ich weiß in der Tat nicht, gnädiges Fräulein, 
ob ich ein Hecht habe, ſie Ihnen vorzuenthalten. Und 
doch — nad) den Aufregungen, die Sie erft joeben über: 
ftanden —“ 

„Es ift alfo etwas Schlimmes? Wie könnte e3 auch 
etwas anderes fein! Aber Sie brauchen fich darum 
nicht zu bedenten. Nach allem, was ich heute abend 
erleben mußte, gibt e8 nichts mehr, da3 mich noch 
fehmerzlicher überrafchen könnte.“ 

„Vielleicht doch, Fräulein Martha,” fagte er voll 
innigen Mitleids. „ES handelt fih um Ihren Ber: 
lobten, um einen Unfall, der ihm zugeftoßen ift — 
und — —“ 

„Um meinen Verlobten? — OD, nennen Sie ihn 
nicht mehr jo! Ich bin mit niemand verlobt, denn 
der Mann, dem Sie diefen Namen geben und dem ich 
mich aus falfch verjtandener Dankbarkeit opfern wollte, 
ift ein Betrüger, der uns binterging — ein gemeiner, 
eben aus dem Gefängnis entlafjener Dieb!” 


Kriminalroman von Reinhold Ortmann. 53 
LIDRDERD ED ED ED DE Dr ED ED ED ED ED ED ED Dre Dee D 

„Wie? Iſt es möglich?“ 

„Wir erfuhren e3 an diefem Abend aus dem Munde 
einer Unglüdlichen, die er ebenfalls binterging.“ 

„Kun, dann darf ich Ahnen allerdings unbedenklich 
die ganze Wahrheit jagen. Dieſer Herbert Lyncker 
mar vor einigen Tagen bei mir, um mir ein abenteuer: 
lich hohes Raufgebot auf die japanifche Vaſe zu machen, 
die ich von Ihrem Vater zum Geſchenk erhielt. Er 
mußte fich, wie Sie begreifen werden, unverrichteter 
Sache entfernen. Syn Ddiefer Nacht nun, nachdem ich 
durch den Ruf an ein nicht eriftierendes Krankenbett 
aus meiner Wohnung fortgelodt worden war, ift er 
wiedergelommen, um die Vaſe zu zertrümmern. Auf 
dem NRüdzuge aber bat ihn das Verhängnis ereilt. 
Als ich nach meiner Heimkehr die Spuren des Diebe 
verfolgte, fand ich Ihren — fand ich jenen Herbert 
Lyncker bewußtlos im Garten. Ein Blutfturz, der bei 
feinem traurigen körperlichen Zustande ja früher oder 
jpäter eintreten mußte, hatte ihn an der Vollendung 
feiner Flucht gehindert. Das war e3, was ich Ihrem 
Vater unverzüglich mitteilen zu müſſen glaubte. Der 
Kranke liegt in meiner Wohnung, aber ich fürchte, er 
wird den morgigen Tag nicht überleben.“ 

Martha hatte das Geficht in den Händen verborgen. 
Aber als Ruthardt auf3 neue den Verſuch machte, ihr 
tröftend zugufprechen, bob fie den Kopf empor und 
ſah ihm mit feſtem Blid in die Augen. 

„Kun jollen Sie alles willen, Herr Doktor — felbft 
auf die Gefahr hin, daß Sie mir dann aud) den 
legten Reſt Ihrer Achtung entziehen. Nein, vermehren 
Sie ed mir nicht! Sie vor allen anderen Menfchen 
haben ein Recht darauf, e3 zu erfahren.“ 

Da er fah, daß fein Widerftreben fie Fränfen würde, 
ließ Ruthardt fie gewähren. Aber was ex erfuhr, war 


54 Um die Beute. 


Dede Dee 





» 


durchaus nicht dazu angetan, ſie um ſeine Achtung zu 
bringen. Denn wenn ſie auch nicht mit klaren Worten 
ausſprach, wieviel es ſie gekoſtet hatte, dieſem Manne, an 
den ſie ſich mit unzerreißbaren Ketten gefeſſelt geglaubt, 
ihr Verſprechen zu halten, ſo hätte er doch nicht das ſcharfe 
Ohr des Liebenden haben müſſen, um es nicht als ein 
beglückendes Geſtändnis laut genug zu vernehmen. 

fiber der beſeligenden Gewißheit, von ihr geliebt 
zu fein, vergaß er alles andere, er vergaß, daß das 
angebetete Mädchen vielleicht morgen dem hämifchen 
Gerede aller böfen Zungen preisgegeben jein würde, er 
vergaß den Sterbenden in feinem Haufe und den Kranken 
im Nebenzimmer — fein junges Blut mallte auf mie 
in jauchzendem Frohloden über die Erfüllung einer 
aus dem Grabe erjtandenen Hoffnung. 

Ohne viele Erklärungen und Worte fchloß er die 
mwiedergermonnene Geliebte in feine Arme. 

„Nun bift du mein — mein! Und den möchte ich 
fehen, der dich mir wieder entreißt!“ 


— | | — m mm — — — — — 


In der Abenddämmerung des folgenden Tages 
ſchloß Paul Grevenberg die Augen zum legten Schlum- 
mer. Er hatte am Morgen den Wunfch ausgesprochen, 
einen Geijtlichen zu fehen, und diefem, der bereitwillig 
dem Rufe gefolgt. war, hatte er die ganze Gefchichte 
feiner Verfehlung gebeichtet. 

Mit dem falſchen Namen, den er fich an jenem 
Ronzertabend aus bloßer Großmannsſucht dem Oberft: 
leutnant gegenüber beigelegt, hatte e3 begonnen. Nach 
feinen früheren Erfahrungen hatte er zwar nicht mehr 
gewagt, fich für einen Ariſtokraten auszugeben; aber 
er hatte den Namen eines Spiel- und Jugendgefährten 
gewählt, von dem er mußte, daß er einer der an- 
gejehenten Bremer Patrizierfamilien angehörte und daß 


Sriminalroman von Reinhold Ortmann. 55 
RDrEDr ED Dr ED Dre DAAD ED DI De Dre Dre Dr Dr Dre Dee 
er fich feit Jahren in fernen Erdteilen befand. Bon 
den einftigen Beziehungen des Oberftleutnants zu jener 
Familie hatte er natürlich nicht3 geahnt; da er aber 
au feige gemwejen war, jeine törichte Prablerei ein- 
zugeftehen, war er Schritt für Schritt weitergedrängt 
worden auf dem Wege der Lüge, bis er fich eines Tages, 
faft ohne zu wiſſen, wie es gefchehen war, auf dem 
Wege des Verbrechens befunden batte. 

Sm Angeficht des Todes erklärte er feierlich, daß 
Marthas Bitte wohl der legte Anftoß zu dem von ihm 
begangenen Diebſtahl gemejen fei, daß er fich aber mit 
einem derartigen Plane jchon feit langem getragen und 
ihn ficherlid auch ohne feine Belanntfchaft mit den 
von der Heydes früher oder ſpäter zur Ausführung 
gebracht hätte. Der Gedanke, feine Beute in der japas 
nifchen Bafe des Oberſtleutnants zu verjteden, ſei 
lediglich eine Eingebung des Augenblid3 gemefen. Da 
niemand feine Beziehungen zu dem alten Herrn Tannte, 
und da diefer felbjt niemals auf den Gedanken ver- 
fallen würde, der vermeintliche Bremer Patrizierfohn 
könnte identifch fein mit dem Bankdieb Paul Greven- 
berg, von dem er vielleicht in den Zeitungen lag, fo 
tonnte das geftohlene Gut in der Tat kaum irgendwo 
bejjer und ficherer aufgehoben fein als unter der Ob— 
hut des ehemaligen Offizier, der nicht ahnte, welchen 
Schatz er in jeinem Arbeitszimmer verwahrte. — 

Das Bankhaus Henning war natürlich jofort tele: 
graphiſch von dem Vorgefallenen benachrichtigt worden, 
und noch an demfelben Abend traf einer der Teilhaber 
in Liebenfelde ein. Er hatte eine längere Unterredung 
mit Doktor Ruthardt und mit dem Geiftlichen, der 
Grevenberg3 Geftändniffe entgegengenonmen, ehe er 
fi) in Begleitung des Arztes zu der Villa des Oberſt— 
leutnants hinauf begab. 


56 Um die Beute. 
ADDED DD re DreD nme DreDre DDr Dre Dre Dre Dre De DD 

Was dort mit Herren von der Heyde gefprochen, 
wurde in der Öffentlichkeit nie befannt, wie e3 über: 
haupt nur ganz dunkle und unbejtimmte Gerüchte 
waren, die aus Anlaß des geheimnisvollen Todesfall 
in Doktor Ruthardts Haufe eine Zeitlang das Städt: 
chen durchſchwirrten. Die guten Einwohner von Lieben: 
- felde mochten endlich dahinter Tommen, daß fie die " 
Wahrheit doch nicht ergründen würden, und als an 
demfelben Tage, wo er — einige Mlonate nad) Greven- 
bergs Tode — dem bejtohlenen Bankhaufe die lebte 
Rate der von dem Diebe empfangenen dreikigtaufend 
Mark zurückgezahlt, der Oberftleutnant von der Heyde 
die Verlobung feiner Tochter Martha mit dem praf: 
tifchen Arzt Doktor Georg Authardt im Wochenblatt 
befannt machte, da erinnerte fich faum noch jemand an 
die geheimnisvollen Vorgänge, über die man fich ein 
paar Wochen lang die Köpfe zerbrochen hatte. — 

Auch Bruno Hartmann, dem da3 Bankhaus Hen- 
ning & &o. ohne eigentliche Verpflichtung die ihm für 
die Herbeifchaffung des gejtohlenen Geldes ausgeſetzte 
Belohnung gezahlt hatte, war mit Vergnügen auf die 
ihm dafür auferlegte Bedingung der Verſchwiegenheit 
eingegangen, und meder der nach feiner Entlafjung 
aus dem Brandenfteiner Kreiskrankenhauſe langſam 
binfiechende Heinrich Wendriner noch feine Tochter, die 
einige Monate ſpäter als Erzieherin nach Südamerika 
gegangen war, hatten eine Veranlafjung, der Welt die 
Gefchichte des für fie jo unglüdlic) ausgegangenen 
Kampfes um die Beute zu erzählen. 

Ende. 


PA) 





Huf sinkendem Wrack. 


Novellette von Ulr. Myers. 


mit Jllustrationen 8 8 


von Adolt Wald, (Nachdruck verboten.) 


ie Bafjagiere drängten ſich um die ſchwarze 
Tafel, an welche das „Etmal“ des Tages 
geschrieben werden jollte. Es war Mittags 
gegen halb ein Uhr, und der englijche Dampfer 
„Briton“ ſchoß in eiliger Fahrt durch die faft fpiegel- 
glatten Wogen des Atlantifchen Ozeans. Geit drei 
Tagen war er von New York unterwegs, und das 
Wetter war geradezu ideal ſchön gemejen. 

Das ganze Schiff zitterte unter den Stößen der fich 
mit höchjter Gejchwindigkeit drehenden Schraube. In 
wenigen Minuten war der Navigationsoffizier mit feiner 
Berechnung fertig. Set würde an die jchwarze Tafel 
mit Kreide das „Etmal” gejchrieben, daS heißt Die 
Zahl der Seemeilen angegeben werden, die das Schiff 
in den le&ten vierundzwanzig Stunden durchmeijen hatte. 

Der HZahlmeifter erjchien jelbjt heute und jchrieb 
unter allgemeiner Spannung des aus Herren und 
Damen bejtehenden Bublitums die Zahl 281 an die 
ſchwarze Tafel. 

Ein dreimaliges „Hipp, hipp, hurra!“ beantwortete 
dieje Mitteilung. 





58 Auf ſinkendem Wrad. 

NDAMDDAD ED A DOT AT AD AD AD AD AD DET ED DD 
„Wir machen es! Die Deutfchen befonımen es 

nicht! — Wenn das Wetter fo gut bleibt, find mir 

mehr als vierundzmwanzig Stunden früher in Liverpool, 

als die Deutfchen antommen können, und dann haben 

wir fie glänzend gefchlagen. — Ein Hurra für die eng» 





lichen Schiffe, ein Hurra für die englifchen Geeleute 
und Ingenieure!” 

Dann rief eine laute Stimme: „Wer hat 281? 
und ein alter Herr mit weißem Haupthaar und glatt: 
raſiertem amerifanifchen Gejicht fchlug ein Notizbuch 
nach und rief: „Miſſis Hawkins hat 281, fie hat ge- 
wonnen.“ 


Novellette von Ulr. Myers. 59 
EDIT DEE DD DD Dre DT ee De DD ed re 

„Es ift eine alte Gefchichte,” fagte einer der jüngeren 
Engländer zu der Tame, die neben ihm ftand, „daß 
das Glück immer zu den reichen Leuten geht. Miſſis 
Hawkins hat es wirklich nicht nötig, noch einen Gewinn 
von ungefähr fünfzehn Pfund zu machen. . Sie ijt 
Milionärin von Haufe aus und hat durch den Tod 
ihres Gatten neue Millionen geerbt.“ 

„Sie fcheinen fich fehr für diefe Millionen zu inter: 
eſſieren,“ bemerkte die junge Engländerin ſpitz zu ihrem 
Nachbar. | 

Diefer errötete und beeilte fich zu erklären: „Bab, 
was ift für mich diefe Miffis Hamlins! Sie iſt eine 
Deutfche, eine geborene Görner. Sie ftammt aus Ham⸗ 
burg und war an einen Ameritaner in Chicago ver: 
heiratet. Einem Engländer gefällt nur eine Englän- 
derin!” 

Ein koketter Blid aus den Augen der jungen Dame 
Iohnte die Bemerfung des galanten Landsmannes. 

Der Rapitäan kam jebt über das Promenadended, 
um nach der Rommandobrüde zu geben. Bon allen 
Seiten näherten fich ihm die Herren und Damen der 
eriten Kajüte, um ihn zu fragen, wie die Chancen der 
MWettfahrt ftünden. Bisher waren die englijchen Ozean: 
dampfer die größten und fchnelliten der Welt gemwejen. 
Seit einigen Jahren aber hatten die Deutfchen e3 unter: 
nommen, die englifchen transatlantifchen Dampfer zu 
fchlagen, und jeßt, alfo im Jahre 1886, hatten fie bes 
reits große Erfolge zu verzeichnen. Sie hatten Doppel- 
fchrauben eingeführt, gegen welche fich damals noch die 
alten Seeleute fträubten, und fie hatten die englijchen 
Schiffe zuerft um Stunden, dann um Tage überholt. 

Der Rapitän des „Briton” und der erite Mafchinijt 
hatten fich nun einmal in den Kopf gelebt, diesmal 
einen Rekord zu fehaffen, wie es ihn noch nie gegeben 


60 Auf finfendem Wrad. 

ID RDrE DD DE DE DD ED DD re De Dr ne De Dr: 
hatte. Es galt den Kampf um die Ehre des Schiffes 
und der Linie, denn eines der neueſten deutfchen Schiffe 
war erſt achtzehn Stunden nach dem „Briton“ von 
New Port abgefahren, und es wäre eine Schande für 
die Engländer gemwejen, wenn daS deutjche Schiff fie 
überholen würde. 

Eine vielleicht dreißigjährige, elegant gelleidete und 
recht hübfche Frau kam jet aus dem Damenjalon an 
De und wurde glückwünſchend umringt. 

„Sie haben die richtige Zahl getroffen, Miſſis Ham- 
fing,” wurde ihr von allen Seiten zugerufen. 

Der weißhaarige Amerikaner mit dem glattrafierten 
Geficht überreichte der Dame fünfzehn ne „hr 
Geminn,” fagte er. 

„Bitte, werfen Sie ihn in die Büchfe für die Unter- 
ftüßung der Schiffsbefagung,“ entgegnete gelangweilt 
Frau Hamlins. 

„Welche Zahl wollen Sie für morgen befegen?“ 
fragte der alte Herr. 

„Bar feine,” antwortete nachläflig Frau Hawkins. 
„Ich habe jeßt dreimal hintereinander gemonnen. Andere 
Leute wollen auch einmal gewinnen. Ich werde morgen 
nicht mitmwetten.“ 

Dann wandte fie ſich von der dichten Schar der 
Paflagiere ab und ging langfam das Promenadended 
hinunter nach dem Borderteil des Schiffes zu. Gie 
machte erjt an der Schrante halt, welche das PBrome: 
nadended der zweiten Kajüte von der erſten Kajüte 
trennt, und ſchien ein wenig erjtaunt, als ein Herr, 
der drüben auf der Seite der zweiten Kajüte jtand, fie 
fehr ehrerbietig grüßte. Der Mann mar ihr gänzlich 
unbelannt, doch fie dankte ihm mit einem leichten Neigen 
des Kopfes und ging dann wieder ein Stüd zurüd bis 
in die Nähe des Damenfalons. Hier ftrectte fie fich in 


Novellette von Ulr. Myers. 61 
——— ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ Dre DD Dr D 
halb liegender Stellung auf einen der Ruheſtühle aus, 
welche die Paſſagiere mit an Bord zu bringen pflegen, 
und griff nach dem Buch, das ſie vor einer Stunde 
aus der Hand gelegt hatte. Es war eine Dorfgeſchichte 
aus den bayeriſchen Alpen. 

Eine Viertelſtunde lang las Frau Hawkins, dann 
begann ſie aufzublicken und in immer länger werdenden 
Zwiſchenräumen zu leſen. Ihre Augen ſchweiften über 
das Buch hinweg und über die Baluſtrade des Pros 
menadended3 hinaus über die unbegrenzte Fläche des 
Dzeand. Tas interefjante Geficht der ſchönen Frau 
fah zornig und erbittert zugleich aus. Gie legte das 
Buch heftig aus der Hand, und als es zu Boden fiel, 
fümmerte ſie fich nicht um dasſelbe. 

Bor, Scham, Neid kämpften in ihr. Born über 
ihr eigenes Dafein, Scham über ihre Vergangenheit, 
Neid über das, was fie gelefen hatte. Wenn fie doc) 
eine von dieſen Bauernmädchen geweſen wäre, Die 
ihrem Herzen folgen durften, die glauben durften, was 
ihnen von den Burfchen gejagt wurde, den fie liebten! 
Was hätte fie darum gegeben, andere Eltern gehabt 
zu haben, unter anderen Verhältniffen groß geworden 
zu fein! Und doch Hatten jedenfalls ZTaufende und 
Abertaujende fie beneidet, da fie al3 die Tochter des 
reichen Reeders, als deſſen einziges Kind, geboren ıwar, 
das in Glanz und Überfluß aufmuchs, dem feiner ihrer 
Wünſche verjagt blieb, bi3 das Leben ihr überhaupt 
nichts mehr bieten konnte. Wie hatten die Menfchen 
alle fie beneidet — und doch, wie liebeleer war ihr 
ganzes Leben gemwejen! Ihr Vater Hatte im Gejchäft 
ſehr viel zu tun, fo daß er fi) um die Tochter nicht 
fümmern fonnte, ihre Mutter war früh geftorben, und 
fremde Leute erzogen das Kind. Diefe brachten ihr 
einen lächerlichen Stolz bei, brachten fie zu der Über; 


62 Auf finfendem Wrad. 

DDr rede DDr Dr Dr ED ED - ⏑ Dre ED -eD-:D 
zeugung, daß e3 nicht auf der Welt gebe, das fie nicht 
haben, das fie nicht erreichen könne. Solange fie Kind 
war, hatte fie fich wirklich für eines der bevorzugten 
Weſen gehalten, denen fein Wunſch verſagt bleibt; als 
fie aber herangemachfen war, entjtand die Sehnfucht 
in ihr nach irgend einem Glüd, das fie erwartete und 
das nicht Fam. Ihr Vater freute fich, als die Tochter 
gejellichaftsfähig geworden war, denn ihre Schönheit 
und ihr Geijt erregten Aufjehen, als fie in die Geſell-⸗ 
ſchaften der reichen Kaufleute fam. Zugleich aber warnte 
er fie, daß fie vorfichtig fein folle in der Wahl eines 
Gatten, weil jie ftet3 annehmen müffe, fie würde nicht 
um ihretwillen, fondern um ihres Vermögens willen 
geheiratet. Sie folle einen reichen Mann wählen, denn 
bei dieſem wäre fie wenigſtens ficher, daß er fie nicht 
allein um ihres Geldes millen nehme. 

Da war der Amerilaner Hawkins nach Hamburg 
gefommen, hatte in Gefchäftsangelegenbeiten mit ihren: 
Bater verkehrt und hatte angefangen, fich un Doras 
Hand zu bewerben. Börner war ganz damit einveritans 
den gemejen, daß feine Tochter den Amerilaner heirate, 
und da Hamkins fehr, fehr reich war, gab ihm Dora 
ihr Jawort ohne jede Neigung, aber doch in der Hoff: 
nung, daß diejer Mann fie um ihrer jelbjt willen nehme, 
nicht um ihres Geldes willen. So viel Eitelkeit bejaß 
fie natürlich, daB fie begehrenswert erjcheinen wollte 
auch ohne ihr Geld. 

Wie viele Enttäufcehungen und Demütigungen hatten 
ihr aber die ſechs Jahre ihrer Ehe gebracht, die fie 
drüben in Amerika verlebt hatte! Jetzt mar fie feit 
zwei Jahren Witwe und kehrte nach der Heimat zurüd. 
Sie mußte, fie fand dort niemand, der fie erwartete, 
ihr Vater war geftorben, den brieflichen Verkehr mit 
ihren Freundinnen hatte fie aufgegeben. Aber fie wollte 


Novellette von Ulr. Myers. 63 
DDr De DrDrED ⏑ ⏑ ⏑ DDr 
trotzdem nach der alten Heimat zurück. Das eine Sehnen 
wollte ſie wenigſtens ſtillen, das nach der heimiſchen 
Scholle. 

Sie hatte ein engliſches Schiff gewählt, weil fie ſich 
rafch zur Abfahrt entfchloffen hatte; aber auch auf da3 
Schiff Hatte fie der Fluch verfolgt, unter dem fie litt, 
der Fluch des Neichtums. Irgend jemand hatte es 
erzählt, daß fie reich, überaus reich fei, und eine Menge 
von Mitgiftjägern machten ihr fofort den Hof, drängten 
ſich ihr auf, beläjtigten fie. Glaubten denn diefe Herren 
wirklich, daß fie nicht wußte, wem ihre Huldigungen 
und ihre Annäherungen galten? Und hätten ihr diefe 
geldgierigen Männer, die lüftern nach ihrem Vermögen 
waren, ihre Liebe mit taufend Eiden gefchworen, fie 
hätte ihnen nicht geglaubt, fie wußte, fie würde nie- 
mand glauben, der ihr von zärtlichen Gefühlen jprach, 
auch dann, wenn diefer Mann es ehrlich meinte. Sie 
war mißtrauifch geworden, fie hatte den Glauben an 
die Menfchen verloren und damit die Freude am Leben. 

Wie beneidete fie aljo die Bauerndirne, von der fie 
foeben gelejen hatte. 

Bora ftand auf und ging wieder nach dem Pro- 
menadended hinunter, nach dem Bug des Schiffes zu. 
Über zwei ihrer Verehrer, die fich ihr in den Weg flell: 
ten, jah fie hinweg, als wären fie durchſichtig, und die 
Abgemwiejenen zogen fich befcheiden zurüd, um nicht den 
Born der reichen Frau zu erregen. Als fie unten auf 
dem Ded der zweiten Kajüte jtand, mußte fie fich plöß- 
lich umſehen, fie fühlte, daß jemand fie anſtarrte. Es 
war der Mann, der fie vorhin gegrüßt hatte. | 

Berächtlich wollte fich Dora hinwegwenden, als ihr 
der fonderbare Ausdrud im Blid des fremden Mannes 
auffiel. Sie blieb jtehen und mujfterte ihn ruhig und 
fühl. Der Mann war groß und kräftig, feinem Außeren 


64 Auf finfendem Wrad. 


DD D AD AD ED ED AED AD AD AD AD AD ED DD ne 


nach ein Kaufmann. Er hatte duntelblondes Haar 
und einen dunkelblonden Schnurrbart. Sein Gejficht 
war nicht unſympathiſch, aber auch nicht befonders 
ihön. Er jchien den Blick Doras für eine Ermutigung 





zu halten, denn er näherte fich und 309g nochmals feinen 
Hut. 

„Woher kennen Sie mich?” fragte Dora Kurz. 

Der Fremde lächelte. „Sch kenne Sie jeit länger 
als einem Dugend fahren. Mein Name ijt Holbert, 
Emil Holbert. Sie werden fich meiner vielleicht nicht 
mehr erinnern.“ 

„Rein,“ antwortete Dora. 


Novellette von Ulr. Myers. 65 
EDDIE ED Dre ⏑ ⏑ Dre DD neD re DE Dre Dre DD ne 

„Ich war im Haufe Ihres Vaters angeftellt und 
tannte Sie jchon, als Sie noch ein junges Mädchen 
waren und in die Gejellfchaft eingeführt wurden. ALS 
hr Herr Vater damals den großen Ball gab, mar 
ich mit eingeladen, und ich hatte damals die Ehre und 
das Vergnügen, mehrmals mit Ihnen zu tanzen. Ich 
wurde Ihnen auch vorgeftellt.” 

Dora lächelte. „Das ift fehr lange her. Sie können 
von mir faum verlangen, daß ich mich Ihrer noch ent: 
ſinne.“ 

„Ich habe das auch nicht angenommen. Aber ich 
habe Sie ſofort wiedererkannt, als ich Sie auf dem 
Schiffe ſah.“ 

Dann war er alſo der alberne Menſch, der von 
ihren Reichtümern erzählt hatte, und gewiß war durch 
die Stewards und Stewardeſſen die Nachricht davon 
aus der zweiten Kajüte in die erſte gekommen. Er 
hatte wahrſcheinlich renommiert mit ſeiner Bekanntſchaft. 

„Ich habe Sie auch wiederholt in Chicago geſehen,“ 
fuhr Holbert fort. „Ich habe dort mehrere Jahre eine 
Stellung gehabt. Jetzt war ich zwei Jahre in New 
Dort. Ich weiß, daß Ihr Herr Gemahl geſtorben iſt 
— und nun müſſen wir uns hier auf dem Schiffe 
treffen!“ 

Es lag etwas Kordiales in den Worten Holberts, 
das Dora verletzte. „Sie kehren gewiß mit großen 
Erfolgen nach Deutſchland zurück,“ meinte ſie ironiſch. 

„Meine Erfolge find nur gering,” entgegnete Hol- 
bert einfach, „ſoweit e3 fich um materielle Dinge han— 
delt. Vermögen bringe ich nicht mit mir, aber ohne 
Nuten ijt der Aufenthalt in Amerifa für mich nicht 
gemwejen. Ich babe viel gelernt, was ich in Deutſch— 
land zu verwerten hoffe.” 

„sh wünſche Ihnen viel Glüd,“ fagte a und 


1904. XIII. 


66 Auf finfendem Wrad. 

OK rE Der Deere Dre DD ee De DDr er DD eD 
brad) dann das Gefpräc kurz ab, indem fie zu ihrem 
Ruheplatz zurüdging. 

Stetig und ununterbrochen macht das Schiff feinen 
Meg. Unermüdlich dreht fich die Schraube, und vor 
den Feuern der Schiffsmafchine ftehen die halbnackten, 
von Schweiß triefenden Heizer, um den unerjättlichen 
Schlund der Keffelfenerung mit Kohlen zu füllen. Man 
fahrt mit äußerfter Kraft, und bis zum legten Kohlen: ° 
zieher ift man erfüllt von dem Gedanlen, früher als 
das deutſche Schiff die englifche Küfte in Sicht zu be- 
fommen. Auf Dec fteht die Wache, der Offizier von 
Dienjt fpäht von der Kommandobrüde forgfältig in die 
dunkle Nacht hinaus. Unter Ded ijt es ruhig. Die 
Baffagiere fchlafen. Gegen elf Uhr ijt e3 auch im 
Rauchſalon ftill geworden. Die fpielenden und trinten- 
den Herren haben fich gleichfall3 zur Ruhe begeben. 
Die Damen find ſchon längere Beit vorher in ihre 
Kabinen gegangen. 

Viermal Schlägt die Schiffsglode, der Matrofe ruft 
zur Rommandobrüde dem Offizier die Meldung zu: 
„Bier Glas!” 

Das iſt zwei Uhr Nachts. 

Der Offizier prüft den Rompaß. „Zwei Strich 
mehr Süd!” ruft er dem Mann am Steuer zu. 

„Zwei Strich mehr Süd!“ wiederholte der Mann 
das Kommando, zum Zeichen, daß er es verjtanden 
Dabe, und dreht daS kleine Rad. 

Plöglich ertönt ein fürchterlicges Krachen. Der Offi— 
ziev auf der Koinmandobrüde bricht fajt zuſammen und 
halt fih nur mühſam am Geländer fell. Das Schiff 
erzittert in feinen Grundfeſten, und ein gelleuder 
Schreckensſchrei, fich vafch hintereinander wiederholend, 
ertönt vom Deck und aus dem Innern des Schiffes. 


Novellette von Ulr. Myers. 67 
DD rd Dee DD 

Mit gellenden Schlägen gibt die Schiffsglode das 
Notjignal. Ä 

„Schotten dicht! Schotten dicht!” tönt lant das 
Kommando des wachhabenden Offizier, und die ae 
leute geben es weiter. 

Die Machine bat plößlich zu arbeiten aufgehört. 
Halbbekleidete Paſſagiere erſcheinen ſchreckensbleich auf 
Deck. Das Schiff legt ſich tief nach Steuerbord hinüber. 

Die Pfeifen der Bootsleute ſchrillen über das Deck. 

Der Kapitän kommt angeſtürmt und eilt auf die 
Kommandobrücke. 

„Klar zum Boote ausſetzen!“ ſchallt ſein Kommando. 

Das Schiff ſinkt. In voller Fahrt iſt es mit einem 
ſchwimmenden Eisberg zuſammengeſtoßen, der, von 
Norden herkommend, den Pfad des Schiffes kreuzte. 
Es war einer jener heimtückiſchen Eisberge, die nur 
wenige Zoll über Waſſer ſichtbar ſind, aber tief unter 
Waſſer gehen. Das Schiff iſt vorn vollſtändig aus— 
einandergebrochen, die Maſchine demoliert, das Waſſer 
dringt mächtig in das Schiff, das ſich mehr und mehr 
nach rechts hinüberlegt und deſſen Spitze ſchon in das 
Waſſer taucht. 

Die gellende Stimme des Kapitäns bringt die Offi— 
ziere und die Matroſen raſch zum Bewußtſein ihrer 
Pflicht. Mächtige Blaufeuer flammen auf, Fackeln 
werden angezündet. Die Kommandos der Offiziere und 
Bootsleute übertönen die furchtbaren Schreckensſchreie 
der vor Angſt faſt wahnſinnigen Paſſagiere. Aus tiefem 
Schlafe ſind die nichtsahnenden Menſchen aufgeſchreckt 
worden, um zu erfahren, daß das Schiff ſinke. Ahnungs⸗ 
los und friedlich lagen fie in ihren Kojen, und jeßt 
heißt es das Leben retten, wenn folches überhaupt noch 
zu reiten ift. 

„Die Bacdbordboote zuerjt!” fehreit der Kapitän, 





68 Auf finfendem Wrad. 

DEI DE DE Dre Dr ED DE DE DE Dre Dre De DDr Dre ED 
denn das Schiff neigt fich immer mehr nach Steuer: 
bord und macht das Herablafjen der Boote nach der an- 
deren Geite immer jchwieriger. 

„Die Frauen und Kinder zuerft in die Boote! Es 
fommen alle mit. &3 find genug Boote da. — Bringt 
das fchreiende Weib dort fort, fie macht alle wahn: 
finnig!* ruft der Rapitän, und die Stewardeſſen werfen 
der unglüdlichen Frau, die in der Todesangft ganz von 
Sinnen ijt, eine Dede über den Kopf, um ihr Schreien, 
da3 die anderen Pafjagiere volllommen rafend macht, 
zu erſticken. 

Ein wildes Drängen entjteht an den Booten. Keine 
Rückſicht gilt mehr, jelbft die Bande der VBerwandtfchaft 
find gelöft, jeder fämpft um fein Leben. Das erjte 
Boot wird zu Waſſer gelaffen und Tentert, weil ein 
paar wahnfinnige Menjchen von De her nachfpringen. 
Ein wildes Hilferufen beginnt um das gelenterte Boot, 
aber niemand kann den Unglüdlichen zu Hilfe kommen. 

In die Kommandoruje, in das Schreien der ver- 
zmweifelten, von Todesangſt gejchüttelten Menſchen mijchte 
fich da3 Zifchen des Dampfes, der aus allen Ventilen 
entweicht, denn im lebten Augenblid haben die Ma- 
jhiniiten, bevor fie den Raum im Schiff verlaffen, die 
Hähne geöffnet, um eine Keffelexplofion zu verhüten. 

Mit immer fehnelleren Schlägen mahnt die Schiffs: 
glode zum Berlaffen des Schiffes. Die Bootsmann3- 
maaten lafjen ihre Pfeifen ertönen, und aus dem 
Inneren des Schiffes Tommen die legten Mannjchaften 
herauf, melche die waſſerdichten Abteilungen, die fo: 
genannten Schotten, gefchlojjen haben, jo gut es ging. 
Auf Ded wird e3 dunkel. Die elektrifchen Yampen find 
fämtlich ausgegangen, nur zwei trübe Pofitionslaternen 
brennen rechts und links auf dem Schiffe, deſſen Vorder- 
teil jetzt faſt vollſtändig in den Wellen verjchwindet. 


\ 
Novellette von Ulr. Myers. 69 
EDDIE DE DD ED ⏑ ⏑ ⏑ Did 

Der Kapitän und die Offiziere ſchwingen fich in das 
legte Boot, und bei Fadelfchein rudern die Kleinen Fahr: 
zeuge fo eilig als möglich vom Schiffe fort, um nicht 
in den todbringenden Wirbel hineingezogen zu werden, 
wenn da3 Schiff verfinkt. 

Weiter und weiter entfernen fich die Sadeln, bis 
fie nur noch wie ro.e Punkte auf der FOREN er⸗ 
J— 

An der Reling des Schiffes, welche den abfahren— 
den Booten zugekehrt war, ſtand eine Frau, die zurück— 
geblieben war — Dora Hamkins. 

Sie war zeitig genug auf Deck erſchienen, um in 
eines der Boote zu gelangen; aber ſie fühlte ſich an— 
gewidert von dem wahnſinnigen Kampf der Menſchen 
um ihr bißchen Leben. 

Was lag ihr am Leben? 

Außerdem war es ihr feſter Entſchluß, wenn fie je- 
mals einen ſolchen Schiffbruch mitmachte, auf dem unter: 
gehenden Schiffe zu bleiben. Ihr Gatte hatte viel mit 
Schiffskapitänen verkehrt, und die alten Seeleute hatten 
übereinftimmend verfichert, es fei viel vernünftiger, bei 
einer folchen Rataftrophe auf dem Schiffe zu bleiben 
und mit diefem unterzugehen, als fich den Schredniffen 
einer Meerfahrt auf offenen Booten auszufegen. Beier 
ein Ende mit Schreden, als Schreden ohne Ende. 

Nein, ihr lag gar nichts am Leben. Dieſes Leben 
war für fie ein verlorenes und hatte ihr nie etwas 
geboten. Einmal muß jeder Menjch jterben; ob früher 
oder jpäter, was fommt es darauf an. 

Dora mußte fih an der Reling fejthalten, denn 
das Schiff ſank vorn immer mehr und mehr, und fein 
Held hob fi aus dem Waſſer heraus. Jetzt bildete 
Ihon das Verdeck eine fchiefe Ebene, deren unterer 


70 Auf ſinkendem Wrack. 

DD DD DD DD ED DD EDDIE EDDIE DE Dre 
Teil fi) im Waſſer befand. Hin und wieder drang 
ein dumpfes Gludfen und Gurgeln aus dem GSchiffs- 
inmern, wenn da3 Waller wieder in einen Raum ein- 
gedrungen war, und die Zuft durch die Laden nach 
oben entwich. 

Ein Geräufch Hinter ihr veranlaßte Dora, fich um: 
zufehen. Sie jah die Geltalt eines Mannes, und troß 
des unficheren Scheins der Bofitionslaternen, in deren 
Nähe fie jich befand, erkannte fie Emil Holbert. 

Sprachlos jtarrt Dora den Mann an, der fie mit 
eigentümlichen Blicken betrachtete.*) 

„Unglüdlicher, Sie find zu jpät — — die 
Boote. ſind fort!” 

„Ich weiß es,“ ſagte Holbert, „denn ich ſah fie ab— 
fahren. Ich bin abſichtlich zurückgeblieben.“ 

Dora lächelte. Alſo noch ein Menſch, der ſich nicht 
vor dem Tode fürchtete. 

„Sie wollten nicht die Schreckniſſe der Bootsfahrt 
durchmachen und zogen ein raſches Ende vor?“ 

„Ich ſuchte Sie, und als ich ſah, daß Sie zurück— 
blieben, ging ich nicht von Bord.“ 

„Um meinetwillen?“ fragte Dora erſtaunt. 

„Um Shretwillen. Sch wollte mit Ihnen zufammen 
sterben.” 

„Cie find ein Narr!” jagte Dora entrüftet und 
wendete fih von dem Menfchen ab, der ihr unheimlich 
wurde. 

„Fürchten Sie nichts,” rief Holbert, „ich werde Gie 
nicht beläftigen. Aber im Augeficht des Todes und der 
wenigen Minuten, die wir noch zu leben haben, mill 
id) Ihnen jagen, weshalb ich zurücgeblieben bin, mes: 
halb ich mit Ihnen zufammen fterben will, weshalb ich 


*) Siche das Titelbild 


Novellette von Ulr. Myers. 71 
— EDDIE DD DI DD re 
glüdlich bin in diefem Augenblid, glüdlicher als in den 
legten Sahren meines Daſeins.“ 

Mieder tönte das entfegliche Gurgeln aus dem 
Inneren des Schiffes. Eine der Schotten mußte unter 
dem Andrang des Waſſers gebrochen fein. Das Schiff 
jtellte fich noch fehräger, fo daß das Ded noch fteiler 
wurde. Ein Beben und Hittern war durch das Schiff 
gegangen, und Pora hatte fajt ihren Halt an der Re—⸗ 
ling verloren. 

Mit einem Sprung ftand Holbert neben ihr und 
hielt fie am Arme feft, damit fie ua in das Waſſer 
binuntergleite. 

„Sie ftehen vor dem Tod mie ich,” fagte Holbert; 
„was gelten Ihre Millionen? Nichts. Sie find ebenjo 
arm wie ich, denn Sie Haben nicht8 mehr al3 das 
Leben, da3 in wenigen Minuten verloren fein wird. 
est kann ich fprechen, jett Tann ich Ihnen jagen, 
was ich ſeit Jahren in meinen Inneren zurüdgedämmt 
habe. Als ich vor vielen fahren Sie als junges 
Mädchen im Haufe Ihres Vaters Tennen lernte, als 
Sie auf jenem Hausball mit mir tanzten und jo lieb 
und freundlicd) zu mir waren, entftanden törichte Hoff: 
nungen in meiner Bruft, die zur leidenjchaftlichen Liebe 
geworden find. Ich durfte und konnte e8 nicht wagen, 
mich Ihnen zu nähern, Ihnen jemals meine Liebe zu 
geitehen. Aber die Hoffnung hielt mich aufrecht. Sie 
waren noch fo jung, und ich glaubte an das Glüc des 
Lebens. Dann kam der Amerilaner und heiratete Sie, 
bevor noch irgend eine meiner Hoffnungen erfüllt war, 
und die Verzweiflung padte mich. Aber fo jehr ich 
mich aufbäumte gegen das Echidjal, ich konnte nichts 
tun, ich mußte ftillfchmweigen und zujehen, wie ein anderer 
Hann Eie, tie ich über alle Maßen liebte, als fein 
Meib heimführte. Sie gingen über den Ozean, und id) 


72 Auf fintendem Wrad. 

DD D DD DD rer 
folgte Ihnen, ich hielt e3 nicht aus in Europa. Sch ging 
nach Chicago, um in Ihrer Nähe zu fein. Ich litt fürchter- 
lich, wenn ich Sie am Arme Ihres Gatten jah, und doch 
fand ich ein Glüd in der Entjfagung, fand ich ein Glüd 
darin, daß ich in Ihrer Nähe fein Fonnte. — Ihr Gatte 
ftarb, und Sie wurden reicher als je. Alle meine Hoff: 
nungen waren fehlgefchlagen. Ich wußte e3, ich hörte es, 
daß Ihr Herz verbittert war, daß Sie nicht mehr an die 
Menfchen glaubten, daß Sie feinem Menjchen trauten, 
und ich mußte, daB ich von Ihnen verlacht worden 
wäre, wenn ich Ihnen je von Liebe gejprochen hätte. 
Ich war unglüdlicher jeit der Zeit, da Sie Witwe 
waren, aläin der Beit, in der Sie Ihrem Gatten an- 
gehörten. Ich verließ Chicago und ging nach New 
York, um die lebten verzweifelten Anftrengungen zu 
machen, Reichtum zu erwerben und mit dem Reichtum 
Sie, Dora. Es follte nicht fein. Meine Unternehmungen 
find fehlgefchlagen. Ich beichloß nach Europa zurüd- 
zufehren und hoffte, ich würde die Wunden, die mir 
die Leidenjchaft für Sie gejchlagen hatte, zum Ver- 
heilen bringen, wenn ich das Weltmeer zwifchen Sie 
und mich brachte. Da wollte es das Schidjal, daß ich 
Sie auf diefem Dampfer traf, und alles, was ich für 
Gie empfunden Hatte, brach wieder durch. Ich hätte 
troßdem gejchwiegen. Aber Gott ſei Dank, die Stunde 
ift gefommen, in der ich zu Ihnen fprechen darf, die 
Stunde des Todes. Sch preife diefe Stunde; fie hat 
mir Glücjeligfeit gebracht und Ruhe für mein Herz, 
das bald zu jchlagen aufhören wird.” 

„And Sie denten nicht daran, daß Sie mir die legten 
Minuten, die ich noch zu leben habe, verbittern, indem 
Sie mih zum Mitfchuldigen an Ihrem freimilligen 
Tode machen?“ 

„Sie — mitjchuldig?” fragte Holbert. „Wiefo? ch 


Novellette von Ulr. Myers. 13 
DDR EDDIE TED Dre Dre Dr Dre ED Deere 
bin freiwillig bier geblieben. Sie trifft feine Schuld. 
Wie können Sie ſich einen Vorwurf machen um einer 
Sache willen, die ich freiwillig auf mich nahm?“ 

Dora jchwieg und ſah nach Oſten hinüber, wo ein 
graner Strich am dunklen Horizont erfchien. „Wie 
lange wird das Schiff noch brauchen, bis es ſinkt?“ 
fragte fie dann. 

„Es Tann noch eine ganze Zeitlang dauern,“ ant- 
wortete Holbert, „denn e3 ijt gelungen, fämtliche Schot« 
ten im binteren Zeil des Schiffes zu fehließen. So—⸗ 
lange die Türen nicht brechen, welche die mwajferdichten 
Abteilungen abjchließen, wird das Schiff ſchwimmen. 
Das Tann jo lange dauern, bis ein Sturm fommt.“ 

Holbert Hatte eines der Taue durchfchnitten, die 
noch in den Bootsdavits hingen. Er befeftigte das 
Zauende jo an der Neling, daß es einen Halt bot für 
Doras Hände Gr felbjt trat einen Schritt zur Geite 
und hielt fih an dem Bootsrand feſt. 

Der Horizont im Often rötete ſich. Feurige Strah—⸗ 
len fuhren am Himmel empor und erleuchteten dag 
Firmament; der glühende Sonnenball ul aus den 
Fluten empor. 

Die beiden Schiffbrüchigen Tonnten jet ihre trau- 
tige Lage überfehen. Um das Schiff herum trieben 
Trümmer von Booten, Holzteilen und Floßſtücke, die 
man der Inſtruktion gemäß in das Waſſer geworfen 
hatte. Aber man ſah auch Zeichen von Ertrunfenen 
treiben, die mit dem erſten Boot gefentert oder in der 
Verzweiflung in das Waller gejprungen waren. 

Set betrachten fich auch der Mann und das Weib, 
die auf dem Wrad zurüdgeblieben waren. Sie prüfte 
ihn mit falten, ruhigen Blicken, jeine Augen leuchteten 
in eigentümlichem Glanz. Dora mußte ihre Augen 
abwenden. Diejer Blid des Mannes, der fich da müh— 


74 Auf finfenden Wrad. 

DD rRDFr EI EEE Dre De DD re Dre D ⏑ Dede rede 
jam am Bootskran fefthielt, hatte etwas Vorwurfs⸗ 
volles für ſie. 

Ein dumpfes Krachen kam aus dem Schiff. Dann 
tönte wieder ein Gurgeln, und eine Waſſerſäule drang 
aus der Gegend, wo ſich die große Luke befunden hatte. 
Das Schiff ſank ſofort tiefer. Wieder eine Schotten⸗ 
tür gefprungen. 

Hätte nicht Holbert vorjichtshalber das Tauende 
für Dora befeftigt, fo wäre diefe jet abgeglitten. So 
aber ftand er wieder neben ihr, umfaßte ihre Gejtalt 
und 309 fie höher hinauf, mobei da3 Tau gute Dienſte 
leijtete. 

„Wozu die Bemühung,* ſagte Dora, „das verlängert 
doch nur das Ende. Laſſen Sie mich 103.” 

„Nein, Sie jollen nicht fterben, Sie jollen wenig— 
ſtens nicht abfichtlich jterben,” entgegnete Holbert. „Es 
ift Zeit genug, wenn Gott es will. Nach menfchlichem 
Ermeſſen haben wir feine Hoffnung, gerettet zu werden 
oder tiberhaupt noch lange auf diefem Schiffe zu meilen. 
Aber wir find e3 ung und unjerem Gottesglauben 
fchuldig, auszuharren. Mag diefer Todestampf die 
Sühne fein für das, was wir vielleicht im Leben ge- 
fündigt haben, wenn auch unbewußt.“ 

Seine Worte wirkten auf Dora eigentümlich tröftend 
und waren ihr dod) fehmerzlich. Sie fühlte, wie feine 
Kräfte erlahmten; er mußte fich mit der rechten Hand 
an dem angebundenen Ende des Taues feithalten und 
mit der linfen umfchlang er fie. Sie legte ihren Arm 
um feinen Hals, um fich an ihm feitzuhalten und ihm 
die Laſt zu erleichtern. 

Mieder jprang eine Schotte, und da3 Schiff neigte 
ſich jetzt ſo bedenklich, daß das nächſte Springen einer 
Schottentür die Kataſtrophe ſicher herbeiführen mußte. 

„Es dauert nur noch wenige Minuten,“ murmelte 


Novellette von Ulr. Myers. 75 
REDE DT Dr DrKD DE DE DEI Dre Dre Dee Dee Deere. ED 
Holbert, und Dora, deren Kopf an jeiner Bruft lag, 
hörte das Schlagen feines Herzens. 

„Sie haben mich immer geliebt?” fragte fie halb» 
laut. „Ohne Hoffnung?“ 

„Stet3, immer, in jedem Augenblid der lebten 
Jahre meine Lebens,” jagte Holbert und drüdte leiſe 
die Geftalt Doras an jich. 

„Sie waren jehr unglüdlich?* 

„Ich war unglüdlich und doch glüdlich. Ich hoffte 
immer noch, es würde eine Stunde fommen, in der ich 
Ihnen jagen könnte, wie jehr ich Sie liebe. Und diefe 
Stunde ift ja auch gekommen.“ 

„Warum haben Sie früher nie gefprochen, warum 
haben Sie mir früher nie gejagt, was Gie für mich 
empfinden?“ 

„Weil Sie mir nicht geglaubt hätten.” 

„sch hätte Ihnen auch nicht geglaubt,” jagte Dora 
und neigte ihren Kopf. Holbert fühlte ihre Gejtalt 
zittern und hörte ihr Schluchzen. 

Sie hatte an nicht mehr geglaubt, fie hatte nie- 
mand mehr getraut. Und jebt kam ihr der Glaube, 
jest — im Angeſichte des Todes. 

Ein dumpfes Dröhnen drang aus dem Inneren des 
Schiffes, eine Wafferfäule fprang auf, und dann über- 
fchlug fih das Schiff, in die Tiefe ſinkend. 

Beide Arme fchlang Dora um Holbert3 Hals. 

Dann verjank fie mit ihm in dem Strudel des ſinken⸗ 
den Schiffes. 

Mit der Kraft der Verzweiflung arbeitete Holbert 
fih aus dem jtrudelnden Wafler heraus, das ihn zu— 
erst nad) unten 309 und dann wieder hinaufitieß. Mit 
feinen rechten Arm machte er Schwimmbewegungen, 
mit feinem linfen Arm hielt ex die Geftalt der ohn— 


76 Auf ſinkendem Wrack. 

mächtigen Frau gefaßt. Mit übermächtiger Anſtrengung 
hob er ſie über die Waſſerfläche. Ein Stück Floß, wie 
es als Bodenbelag und zuſammengeklappt als Bank 
auf dem Oberdeck jedes Schiffes ſteht, ſchwamm in ſeiner 
Nähe. Es war eine Fläche von mehreren Quadrat—⸗ 
metern Latten, ähnlich einem Stüd Planfenzaun. Mit 
zwei Stößen hatte Holbert das Floß ergriffen und hielt 
e3 fejt. Sechsmal ſetzte er an, um mit faſt übermenfch- 
licher Kraft den Körper Doras auf das Floß zu bringen; 
immer wieder mißlang es ihm, bis feine Kräfte ihn 
faft verlajjen hatten. Dann endlich brachte er den 
Oberleib der ohnmächtigen Frauengeftalt auf das Floß, 
und mit der legten Kraft jchob er ihren Unterlörper 
nach. Dann ſchwamm er längere Zeit, fich an dem 
treibenden Floß fejthaltend, weil er nicht mehr die 
Kraft hatte, fich ſelbſt aufzuſchwingen. 

Seine Kräfte verließen ihn. Aber er dachte nicht 
an fich, jondern an die Frau, die er retten wollte. 
Eine Hoffnung lebte jegt in dem um fein Leben Tämp- 
fenden Wanne, nachdem er dem Strudel des finfenden 
Schiffes entgangen war. Per deutjche Dampfer, dex 
jedenfall alles aufbot, was in feinen Kräften ftand, 
um den „Briton” einzuholen, mußte in der Nähe fein. 
Wenn e3 nur gelang, ein paar Stunden fich auf dem 
Floß zu halten, war Ausficht vorhanden, daß der 
Dampfer vielleicht die Schiffbrüchigen fand. Er fuhr 
jedenfall in demſelben Kurs wie der englifche; die 
transatlantifchen Dampfer halten ja immer denfelben 
Pfad über den Ozean ein, fchon aus dem Grunde, um 
bei Unglüdsfällen einander zu helfen. 

Ein heftiger Weftwind Hatte fich erhoben. Die 
Wellen jchlugen über das Floß. Es war ein ver: 
zweifelte® Ringen und Kämpfen, bis e3 Holbert gelang, 
ein zmeites, kleineres Stück Floß, das im Wafler um- 


Novellette von Ulr. Myers. 77 
ù ⏑ DEAD AD ADD ED EDDIE DE DD 
bertrieb, zu erreichen und fich mit dejjen Hilfe dann 
auch auf das größere Floß zu ſchwingen. Hier fonnte 
er fich zurechtfegen und den Kopf der ohnmächtigen 
Frau auf feinen Schoß legen. Auf ſchwankenden Brettern 





aß er da, jede unvorfichtige Bewegung Tonnte ihn mit: 
famt dem ohnmächtigen Weibe wieder in die Flut 
fchleudern. Aber wenn es auch fein Leben gefojtet 
hätte, ev mußte ihren Kopf emporheben und mußte ihre 
bleichen Lippen küſſen. 

Sm Augenblid des Todes hatte jie ihn gefüßt, er 





78 Auf finkendem Wrad. 
DDr Dr ED De ED Dr eD 
wollte diejfen Ruß erwidern. Die Sonne begann heiß 
zu brennen. Hunger, Durft und Müdigkeit, die Ab- 
jpannung nach der Aufregung machten fi) auch bei 
Holbert bemerkbar. Das Waller und der Himmel über 
ihm fchienen ihm in ein einziges graues Etwas zu ver- 
ſchwimmen. 

Das Stöhnen Doras, die wieder zur Beſinnung kam, 
weckte ihn aus ſeiner Betäubung. 

„sh will leben!“ flüſterte fie. 

Mit zärtlichen Blicken betrachtete r Holbert. 

„Ich will leben mit dir!“ 

wei Stunden jpäter fifchte der deutjche Dampfer 
die Schiffbrüchigen auf. Er Hatte bereit3 die Boote 
bes „Briton” mit den anderen Paſſagieren getroffen 
und an Bord genommen und fuchte die Unglüdzitelle 
genau ab. 

Auf deutſchem Schiff fuhr Dora zur Heimat zurüd, 

einem neuen Leben des Glüdes und der Liebe entgegen. 





> 


2 





Im Schatten des beiligen 
Berges. 


Eine Wanderung durch das Athosgebiet. 
Uon W. Helmuth. 


mit s Mustrationen. ? Machdruck verboten.) 

WW: alle fennen aus den Landkarten die charal- 

teriftiiche Gejtalt der hHandförmigen Halbinfel Chal— 
fidife, Die wie zur Abwehr drei ihrer Finger weit in das 
Meer hinausftredt. Hagion Oros, Longos und Kaſ— 
fandra find die Namen, welche die drei langen, jchmalen 
Landzungen heute führen. Ein mächtiger Gebirgstegel, 
der fich auf der erjtigenannten von ihnen erhebt, gibt 
uns die Erklärung für ihre Bezeichnung als „heiliger 
Berg”, und wir miljen, daß es das DVorgebirge Athos 
iſt, welches da zu uns herüberwinkt. 

Wir wiſſen es jcehon aus den Tagen ber, da man 
uns zuerjt die Gejchichte der Perſerkriege erzählte. 
Denn das Vorgebirge Athos mit jeinen mwildumbrande- 
ten Klippen machte die Umfchiffung der Halbinjel Ehal: 
kidike zu einem fo gefährlichen Wagnis, daß Xerres 
nicht vor dem ungeheuren Unternehmen zurückſchreckte, 
für jeine Kriegsflotte einen Kanal graben zu lajjen, 
der ihr dieje Umjchiffung erjparte. | 


HH . Im Schatten des Heiligen Berges. 
⏑ De De Den De DD ⏑ xD 

Die Spuren’ des gigantiichen Werkes find heute 
faum noch wahrnehmbar. Aber der NReifende, der von 
Caloniti her daB meite Gebiet de3 heiligen Berges 
Athos betritt, fieht fich da in eine jo fremdartige, jelt- 
fame und in fich abgefchlojfene Welt verjegt, als wäre 
der Kanal des eroberungsfüchtigen Perſerkönigs bis in 
die jüngfte Zeit hinein ein trennendes Hemmnis für 
den Verkehr der hier anſäſſigen Menfchen mit den Be: 
wohnern der übrigen Welt geweſen. Man jollte in 
der Tat glauben, daß Verhältniſſe, wie fie fich bier 
herausgebildet haben, nur auf einer einfamen Inſel 
inmitten des weiten Ozeans entjtehen und fich erhalten 
fönnten. Die Halbinfel trägt nämlich zwanzig, zum 
Teil befeftigte Klöjter mit etma 7000 Mönchen und 
Einfiedlern aus allen Nationen der griechifch-orthodoren 
Kirche. Die Mönche leben als Handwerker, Winzer, 
Acerbauer, Bienenzüchter u. ſ. mw. in Elöfterlicher Ver: 
bindung und bilden eine Art von Republik unter einem 
Vermaltungsrate, der heiligen Synode. Und was mir 
von dem Leben der hier angefiedelten meltflüchtigen 
Männer fehen, mutet uns in unjerer Zeit des Haftens 
und Jagens, des Kämpfen: und Vorwärtsdrängens 
beinahe an wie ein Märchen. 

Auf einer Bodenfläche von 40 Kilometer Länge und 
20 Kilometer Breite jeit Jahrhunderten fein mweibliches 
Weſen — und dennoch feine Verminderung der Seelen: 
zahl, fein Verfallen und Abfterben des vor langen 
Beiten Gejchaffenen, feine Erfehütterung des ſeltſamſten 
aller Gemeinmwefen, das diefe Taujende von Männern 
nit feinen ungefchriebenen und doc) unantafibaren Ge- 
fegen zuſammenhält! 

Georg Eber3 entwirft von dem Leben am Berge 
Athos folgendes ebenfo poetifche wie anfchauliche Bild: 
Weder auf dem Lande, noch in der Athosjtadt Karyäs 


1804 XII. 


— | 


— — 


6 





Das Kloster Watopädi. 


82 Im Schatten des Heiligen Berges. 

DD ADD DD AD ED ED DEI DDr EDDIE DREI TD 
läßt fich ein Laut aus Frauenmunde, ein fröhlicher Auf 
von den Lippen eines Kindes, ein Lied, das heitere 
Mädchen fingen, eine Mahnung der Mutter oder der 
Schrei eines Säuglings vernehmen. Auch fein Raſſeln 
eine Wagens, Tein Knall einer Peitfche, fein Eriege- 
tifcher Trommel-, Pfeifen: oder Trompetenklang läßt 
fich bier hören, und wo man Männern im Geſpräche 
zufammen begegnet, hört man fie jelten anders als ge: 
laffen und mit gedämpfter Stimme reden. Die Leiden: 
Schaft fol ja hier fchmeigen, und es fehlt das Weib und 
fein da8 Herz und den Geijt, das Denken und Streben 
des Mannes anfenernder Einfluß. Die fpärlich ver- 
tretene Jugend teilt hier mit dem reife das nämliche 
Streben. Der Zmanzigjährige geht gelaffen und wunfch- 
108 dahin wie der Alte, und troß feiner feurigen Augen 
und elaſtiſchen Gejtalt wird der Jüngling, der dort fo 
kräftig die Hade ſchwingt, ———— das iſt „guter 
Alter“, gerufen. 

Keine Geburt, fein Zuzug auf Befehl eines Herr: 
fcher3 und ebenjomwenig die Hoffnung auf Gewinn oder 
günftigere Bedingungen für die Vermertung der Kraft 
hält die Zahl diefes merkwürdigen, nur aus einem Ge- 
fehlecht beftehenden Volkes jeit vielen Jahrhunderten 
auf der nämlichen, in der legten Zeit ſogar wachjenden 
Höhe. ES ift nur das gleiche Seelenbedürfnig, die 
gleiche Sehnjucht, die fort und fort, und als folgten fie 
einem zwingenden Gefege, die Taufende amı heiligen 
Berge zufammenführt, und fie merden fich nicht ver- 
mindern, folange noch der Auf, der durch die ganze 
Welt des griechifchen Morgenlandes fchallt, offene Obren 
findet. 

„Auf dem Athos,” fo lautet er, „findeft du Waldes- 
ichatten, Quellengerieſel, milde Lüfte, ungejtörte Rube, 
und das höchſte der Güter, die Freiheit. Den Frieden 


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Eingang des Klosters Watopädi, 


84 Sm Schatten de Heiligen Berges. 

DD D DDr DDr ⏑ DE Dr Dre Dr ED ED ED — 
mit fich felbft, den findet nur, wer die Welt übermun- 
den ımb einen Giß in der Werkftätte aller Tugenden 
auf dem Berge Athos gewonnen hat.“ 

Daß diefe Stätte des Friedens immer aufs neue 
ihren munderbaren Neiz auf fo viele ruhebedürftige 
Geelen ausübt, mag fich freilich zum guten Teil wohl 
auch aus ihrer Iandfchaftlichen Schönheit erklären. 

„Reichtum, Lebenskraft und Fülle des Pflanzen: 
wuchſes,“ jagt Griefebach in feinem ausgezeichneten 
Heijebericht, „wie man fie bier erblickt, müffen auch 
den weniger Unterrichteten mit Bewunderung erfüllen. 
Das Geſträuch ift bis 15 Fuß hoch und wäre undurch— 
dringlich, hätte man nicht die Pfade künſtlich aus— 
gejchnitten, Morten und Schattenblumen füllen alle 
Räume, und die Lianen ranten in fo üppigem Triebe, 
daß fie an vielen Orten, befonders bei den Wafferfällen 
der eriten Einfentung, gleichfam ein Laubdach über 
dem Kopf des Wanderer bilden, der voll Erftaunen 
an den Einjiedeleien und zaubervollen Szenen dieſer 
unbefannten "Bone vorüberzieht, biß der von üppigen 
Kräutern und Farngebüfchen dichter durchwachſene Hoc): 
wald mit riefigen Walnuß- und Kaftanienbäumen, 
Steineichen und Zypreſſen in der IImgegend von Karyä3 
die Seele mit neuem. Entzüden erfüllt.” 

In drei verjchiedenen Niederlafjungsmeifen find die 
7000 „guten Alten” über den fchmalen Streifen male: 
rifchen Gebirgslandes verteilt. Die meiften leben in 
den Klöjtern, Deren es zwanzig von verjchiedener Größe 
gibt, andere wohnen in Sfiten oder dorfartigen An— 
fiedlungen beieinander, und ein nicht unerheblicher 
Bruchteil endlich bringt fein befchauliches Daſein in 


fogenannten Zellen, das ift in einzeljtehenden Häujern 


oder Hütten zu, die fich zumeilen in den mildejten und 
abgelegenjten Gebirgstälern finden. Dieſe Einjiedler er: 


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Weihbrunnen und Uhrturm im Kloster Watopädi. 


86 Am Schatten des Heiligen Berges. 

DDr Dr ED ERDE ED EDDIE ED ED Dre Der Der Dee Dr 
freuen fich der volliten Unabhängigkeit, fuchen aber in 
ihrem eigenen Intereſſe zumeift Anfchluß an das nächſt⸗ 
gelegene Klofter, um die Kirche desjelben zu befuchen 
und in Zagen von Krankheit und Not auf Beiltand 
rechnen zu Dürfen. 

Eines der größten und fehensmwerteften unter diefen 
ift das Klofter Watopädi, das mit feiner verwirrenden 
Menge von Gebäuden, Türmen und Kuppeln mehr 
einer kleinen befeftigten Stadt als einer Zufluchtsftätte 
ruhebedürftiger und friedenfuchender Seelen gleicht. 
Aber man darf nicht vergeflen, daß die Athosklöfter 
zu einer Beit entjtanden find, mo fich die Mönche gegen 
Piraten und anderes räuberijches Volk zu wehren hatten, 
und daß fie der ftarfen, zinnengekrönten Wachtürne 
nicht wohl entraten konnten. 

Heute, wo von Seeräubern nichts mehr zu fürchten 
ift, dienen diefe Türme entweder zu Wohnzwecken oder 
wegen ihrer befonders fejten Bauart zur Aufbewahrung 
wertvoller Schäte, wie fie die Bücher und Handfchriften- 
jammlungen der meiften Athosklöfter darftellen. Sollen 
fich hier Doch im ganzen noch 11,000 bis 12,000 griechifche 
Handfchriften befinden, und find Doch unter den Minia⸗ 
turen, welche diefe Handfchriften ſchmücken, , vielfach 
wahre Perlen klöſterlicher Kunſt. 

Bon ftrenger Mönchszucht ift in dem nach einer 
gemiffermaßen republilanifchen Berfaffung geleiteten 
Rlofter Watopädi faum die Rede. Jeder fromme Mann, 
der fich feinen Schuge anvertraut, Tann darin ganz 
nach feinem Gefallen leben, fich, wenn feine Mittel e3 
geftatten, fogar feinen eigenen Koch oder Diener halten, 
fofern er nur die gottesdienftlichen Übungen teilt und 
die ftrengen Faftengejege innehält. Dieſe Unterwerfung 
fegt indeffen eine nicht geringe Entfagungsfähigkeit 
voraus, denn der Gottesdienft in den Kirchen eines 


“ıppdorepmy 2201s0]M WI pn 





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88 Im Schatten des heiligen Berge. 

DDr Ir DrEDrE ⏑ DD DDr DD Dre Dee Dre 
Athoskloſters währt mitunter ohne jede Unterbrechung 
16, 17, ja jelbjt 24 Stunden, und die Fafttage, an 
denen jelbjt der Genuß von Eiern, Ol und Fiſchen — 
Tsleifch darf überhaupt nie genofjen werden — verboten 
ift, füllen in ihrer Gefamtheit etwa acht Monate des 
Jahres aus. 

Gleich allen anderen Athosklöſtern hat auch Wato— 
pädi nur ein einzige Eingangstor, über dem fich das 
Bild der PBanagia, der heiligen Jungfrau, befindet. 
Unbarmberzig weift der Pförtner hier jeden Unberufenen 
zurüd; und der Neifende, der nicht von Saloniki oder 
von Karyäs her mit den erforderlichen Legitimationen 
verfehen ift, darf fich nicht die geringfte Hoffnung dar- 
auf machen, Eintritt zu erlangen. Dem Zeichner unjerer 
Bilder dagegen wurde die Bergünftigung zu teil, mehrere 
Tage im Innern des Kloſters zu verbringen, und er 
fand fomit nicht nur Zeit genug, mehrere bejonders 
malerifche Bartien, zu denen auch der Uhrturm mit dem 
in feinem griechischen Klofter fehlenden Weihbrunnen 
zu rechnen ift, auf dem Skizzenblatt feitzubalten, jondern 
er Tonnte auch allerlei interefiante Beobachtungen über 
das Leben der frommen Brüder anjtellen. j 

Befonders lebhaft ging es nach feinem Bericht um 
die Mittagszeit in der gewaltigen Küche zu, mo Bruder 
Alypios (zu deutfch etwa Kleinforge) die Nationen aus 
einem ungeheuren, an eifernen Ketten von einem dreh— 
baren Kran berabhängenden Kefjel verteilte. Denn es 
fanden fich da jtet3 zahlreiche Skitenbewohner und Ein: 
fiedler ein, denen die eigene Nahrung ausgegangen fein 
mochte, und die ich nun bier ihren Napf mit Bohnen- 
brei, Stodfifh, in Waller abgekochtem Gemüje oder 
anderen Lederbijjen füllen laſſen wollten. Ohne Ent: 
jhädigung aber. wurde niemand auch nur die kleinſte 
Bortion verabfolgt; nur daR es eben nicht Elingende 





— 


Wachturm am Strand von St, Lawra 


90 Km Schatten des heiligen Berges. 
DON MDOADNDADADADADADADNDNADNDADND 
Münze, fondern irgend eine von dem Hungrigen ver: 
fertigte Arbeit war, in der die Bezahlung geleijtet 
wurde. — | 

Ein anderes bemerkenswertes Athostlofter ift das 


Me 4 Be nm nennt 





Eingang in das Kloster Lawra, 


von St. Lawra, das, hoch oben auf einer Felfenklippe 
de3 zerflüfteten Meeresitrandes gelegen, auf den erjten 
Blick ſehr wenig von feiner frommen Beltimmung er: 
fennen läßt. | 
Der zinnengefrönte Wachturm hat bier ein be: 
jonders drohendes und trugiges Ausjehen, weil er denn 





J 


ae 70 





Schiffes im Bafen des Klosters Lawra, 


insegnung eines 


€ 


92 Hm Schatten des heiligen Berges. 

DAAD RD DR AD AD AD ED AD re Dre Dre Dre Dee Dee De 
auch in der Tat gar manche recht ernfthafte Fehde hat 
bejtehen müffen. Wenn die Gefahr am höchſten ge- 
jtiegen war, fuchten die bedrängten Mönche hinter feinen 
cyklopifchen Mauern eine legte Zuflucht, nach dem Meere 
bin durch den fchroff abfallenden, unerfteiglichen Selfen, 
auf der anderen Seite aber durch einen tiefen Graben 
gefchügt, der mit fchnell fließendem Waffer gefüllt werden 
fonnte, und über den e3 feine andere Verbindung mit 
dem Zurme gab als die durch die Zugbrüde. 

Auf einem weiteren Bilde jehen wir daS nämliche 
Klojter von der Tandfeite, und es fallen dem Befchauer 
dabei die Wipfel zweier mächtigen Zpyreflen ins Auge, 
die Das eigentliche Wahrzeichen dieſes alten Mönchs- 
faftells bilden. Cie follen von dem Begründer des 
Klofters, dem heiligen Athanafius aus Trapezunt, im 
Sabre 963 gepflanzt worden fein, hätten aljo heute ein 
Alter von nahezu taufend fahren. Grieſebach, der fie 
genau unterfuchte, fand, daß der Umfang der einen 
15 und der der anderen 12 Fuß betrage. Bei dem 
befanntlich außerordentlich Iangfamen Wachstum der 
Zypreſſen hegt der berühmte Botaniker nicht den min- 
dejten Zweifel, daß die beiden Bäume wirklich das 
ihnen von der Legende zugefchriebene Alter haben. 

Unterhalb de3 Kloſterfelſens von St. Lawra befindet 
fich ein Kleiner gefchügter Hafen, der den Schiffen der 
Mönche Zuflucht gewährt, und in welchem fie vor jeder 
neuen Fahrt nach orthodorem Ritus eingefegnet werden. 
Wie e3 auf unferem Bilde dargejtellt ift, lieſt dabei 
ein Priefter vor dem mit dem Muttergottesbilde ge— 
ſchmückten Altarfchrein die üblichen Gebete ab, welche 
das Schiff dem Schuge der Banagia empfehlen, und 
andächtig laufcht die Bemannung des Schiffes jeinen 
Worten. | 

Das fchönjtgelegene aller Athosklöfter ijt daS des 


Bon W. Helmuth. 93 


MDADADAD AD AD ED AD AD ED AD ED AED AD AD AD AD ED 


heiligen Paulus, Ajiu Bamlu, das, feinem Namen 
zum Trotz, dem heiligen Georg und der Darbringung 
Chrifti gewidmet ift. Nichts ift malerifcher, fagt Griefe- 
bach, al3 der Anblick des Kloſters Bamlu, das man, 





Ansicht des Klosters Ajiu Pawlu. Im Bintergrund die Vorberge des Athoskegels. 


plöglich in die erſte bewäſſerte Taljchlucht einbiegend, 
wie ein Schloß an die Felsmauer geklebt, vor fich fieht. 
In dem Kirchlein auf dem Gipfel, dem höchjten und 
Iuftigiten Gotteshaus der morgenländijchen Ehriften, 
wird nur einmal im Jahre, am Tage der Verklärung 
Chriſti, Gottesdienft gehalten. In dem herrlichen 


94 Sıı Schatten des Heiligen Berges. 
ID EDED ED ED Dre DD re D nme DreDnDrEDrE DDr Dede DD 
Walde, der die Berghänge bedect, vereinigen fich faft 
alle Laubholzarten des jünlichen Europa, und kaum 
irgendwo auf unjerem Erdteil dürfte eine gleiche Yülle 
und Üppigfeit der Vegetation anzutreffen fein. Mäch- 
tiger vielleicht al3 an irgend einem anderen Punkte des 
landjchaftlich jo veizuollen Athosgebietes mögen fich dem 
fremden Wanderer hier jene Empfindungen aufdrängen, 
die Ebers in die Worte zufammenfaßt: | 
„Schön ift der Schauplaß, den fie fich ermählten; 
denn den grünen Waldesjchatten auf den Bergen und 
in den Tälern durchriefeln Triftallhelle Bäche; in er- 
habener Herrlichleit überragt der Athosriefe die Berge 
und Hügel, und an die felfigen Küflen jchmiegt fich 
in köſtlicher Bläue oder brandet in fchäumendem Uns 
geftüm das fchönfte der-Meere, das Mittelländifche. 
Bon überaliher ift es fichtbar und lockt mit feinen 
Dampfern und weißen Segeln in der Ferne wie mit 
rufenden Stimmen. Aber, was fie heifchen, will bier 
niemand verjtehen. Sein Rauſchen erwedt nur neue 
Träume, fein wildes Braufen, wenn der Sturm e3 
heulend aufregt und gifchtende Wogen an die Klippen 
des Ufers peitfcht, veranlaßt die Klausner, nur höher 
zu ſchätzen, was fie hier jo geduldig fuchen: Sicherheit, 
Ruhe, Frieden.” 





a 


Mamsellchben. 


Eine heitere Geschichte von Alwin Römer. 


® 


1. (Nachdruck verboten.) 
uf den großen Wiefen bei Safpershagen im 
gejegneten Lande der Obotriten herrjchte emfige 
Tätigkeit. Die Sonne lag auf den frifchge- 
mähten Schmwaden de3 langhalmigen Grafes 
und ließ den würzigen Kräuterduft Doppelt jtarl daraus 
emporfteigen. Sie lag auch auf den Köpfen der un- 
ermüdlich die Senje ſchwingenden Mäher, die exit bis 
an die Hälfte der weiten grünen Flächen mit ihrer 
Arbeit herangelommen waren; fie Drang durch Die 
weißen und bunten Kopftücher der fleißig vechenden 
Mägde, die nur felten einmal die Harfe als Stüße in 
den Arm nahmen, um fich eine kurze Raft zu gönnen; 
fie feßte den Knechten jo tapfer zu, wie fie nur konnte, 
um ihnen das Aufladen der zur Einfuhr fertigen, hoch: 
aufgeftapelten Heuhaufen jo jauer wie möglich zu 
machen; aber fie richtete mit all dieſer ausdauernden 
Bosheit fo gut wie nichts aus. Die Leute fehmwigten 
weidlich, jtöhnten auch wohl ab und zu, aber fie ließen 
nicht nach in ihren Eifer, die Grummeternte jo weit 
wie möglich zu fördern, obgleich anjcheinend Leine Men— 





96 Mamfellchen. 

DEI Dr Der Dr DDr Dr DD Dede Dr Dede 
jchenfeele vorhanden war, die ihre Tätigkeit Fontrolliert 
hätte. 

Freilih, der Schein trügt wohl mitunter. Denn 
plößlich, gerade als Jochen Sötebier fich Hinter den 
einen der halbgefüllten Erntemagen gefchoben hatte, um 
da zu prüfen, ob die Laft auch gut verteilt fei, nebenbei 
aber auch den Inhalt feiner Branntmeinflafche einer 
eingehenden Prüfung zu unterziehen, ftand eines der 
‚bisher mit der Harfe tätig gemefenen weiblichen Wejen 
neben ihm und rief den Verdutzten an: „He, Jochen, 
iſt das Kaffee?“ 

Wie von einem Schlage getroffen, ſank ihm der 
Arm herunter, aber doch nicht gleich ſo, daß das edle 
Naß aus der Flaſche unnützerweiſe in das nebenbei 
gefallene Heu gefloſſen wäre. 

„Nä, Frölen!“ ſtotterte ee dann und ſteckte den 
Pfropfen ſacht auf die Troſtbouteille, um ſie möglichſt 
unbemerkt in der Hoſentaſche verſchwinden zu laſſen. 

„Hat der Herr nicht ausdrücklich verboten, bei 
der Arbeit Branntwein zu trinken?“ rief darauf das 
„Frölen“. 

„Ick harr ſo 'n bannigen Dorſcht, Frölen,“ ſagte 
Jochen. 

„Das hab' ich bh gemerkt,” entgeanete fie, „und 
das zum dritten Male, mein lieber Jochen. — Her 
mit der Buddel!” 

Zögernd holte Jochen die Halbgeleerte wieder her: 
vor und lieferte fie ab. ! 

„Deine Strafe fann dir mein Vater bejtimmen. Er 
wird ja wohl noch herüberkommen,“ fchloß fie den 
Heinen Zmifchenfall und trat dann wieder in die Reihe, 
an ihren Pla zurüd. 

Mit leiſem Grauen bemerkte Kochen eine Viertel- 
jtunde jpäter einen Reiter am Horizont, der gerades— 


Bon Alwin Römer. 97 
eDreDD reden Dede eD 
wegs auf die Wieſen zubielt. Es dauerte auch nicht 
lange, jo war er heran. 

„Dag, Kinnings!” fchrie er fehon von weitem und 
ließ feinen Braunen langjfamer gehen. „Das geht ja 
forfch vorwärts — alles, was wahr ift.“ 

Dabei reichte er feiner Tochter, die zu ihm heran 
getreten war und dem Braunen den Hals Flopfte, die 
Hand und jah ihr zärtlich in die Augen. 

„Du ſiehſt, Papa,” fagte fie halblaut, aber mit un- 
verfennbarer Freude in der Stimme, „daß dir ein heim= 
tüdifcher Verwalter jet nicht mehr ſchaden kann. Sch 
ftehe meinen Mann.“ 

„Das tuft du, min Deern!” erklärte er vergnügt. 
Leiſer fuhr er dann fort: „Es fragt fidh bloß, ob ich 
dich das nächſte Mal noch habe, wenn mir jo ’n Jeſu— 
witer wieder mitten in der Ernte durch die Wicken 
geht.“ 

„Wirſt Schon, Väterchen!” jagte fie beruhigend und 
bligte ihn mit ihren blauen Schelmenaugen an. 

„Das werd’ ich nicht,” behauptete er eigenfinnig. 
„Will es auch gar nicht! Irgend einer kommt fchon, 
der dich mir wegſtibitzt. Nur ein recht braver Kerl 
foW’3 fein. Nicht jo 'n Windhund wie der Bodeneder, 
der dir am Sonntag ja jchöne Augen gemacht bat bei 
der Taufe in Köſterhuſen.“ 

„Hat er das?” 

„Ad, tu nicht fo, Mädel! Du Deine es jelber ja 
gut genug.” 

„Ra, um den laß dir feine grauen Haare wachlen. 
Der hat fchon Befcheid.” 

„War er etwa hier auf Jaſpershagen, wo er weiß, 
daß —“ 

„Nein. Aber geſchrieben hat er.“ 


„J kiek doch, jo 'n Slaukopp? — Na — hat 
1904. XII. 








93 Mamſellchen. 

— 
etwa Wilzendorf auch geſchrieben, min Deern?“ forſchte 
der Alte. 

„Nein. Er weiß wohl, daß es keinen Zweck hat,“ 
entgegnete ſie kurz. 

„Is aber 'n forſcher Kerl und weiß zu wirtſchaften.“ 

„Mir gar zu forjch, Väterchen.“ 

‚Sm... und Fri v. Kladow?“ 

„Der ift mir wieder nicht forfch genug!’ lachte fie 
übermütig. 

„So? Segg mal, Deern, Tennjt du die Gefchichte 
von dem fledrigen Fifchreiher, dem die Yale zu fett 
und die Karpfen zu lütt und die Sleie zu weich un 
die Barfe zu —” 

„Badding, erzähl mir das Lieber 'n ander Mal!” 
wehrte fie jich lachend. 

„Nä, Deern, du mußt Farbe befennen, heute noch. 
Fritz kommt und will wiſſen —“ 

„Was will er wiſſen?“ 

„Das wird er dich ſelber fragen.“ 

„Er ſoll es lieber bleiben laſſen,“ ſagte ſie ernſt. 
„Und damit er nicht in Verlegenheit kommt, bleib' ich 
die Nacht wieder auf Jaſpershagen, und du bringſt 
ihm bei einer guten Flaſche Rüdesheimer bei, daß dein 
Inſpektor auf Jaſpershagen nicht die Abſicht hat, nach 
Groß⸗-Kladow überzuſiedeln, und er ſich deshalb beizeiten 
wo anders umtun ſoll.“ 

„Hilde, das iſt verkehrt. Kladow iſt wirklich ein 
guter Kerl.“ 

„Ich mag ihn ja auch ganz gern, Vater, aber nicht 
zum Mann.“ 

„Fauler Kram! Solche Männer gibt's nicht, wie 
du dir einen wünſcheſt. Oder es müßte direkt mal einer 
vom Himmel herunterfallen,“ knurrte der Alte miß: 
mutig. „Übrigens fteigt da drüben ein jchönes Wetter 


Bon Alwin Römer. 99 
EDTrEDDEEDEED ED ED D ED ED DDr er Dre DE DD reD 
auf. Das gibt doch noch einen Kladderadatjch heute. 
Paß auf, ob ich nicht recht habe.“ 

„Es fcheint fo,” fagte Fräulein Hilde und reckte prü- 
fend das Näschen in die Luft. „Dann wird wohl heute 
feiner mehr kommen.“ 

„Wer denn?” 

„Einer vom Himmel! ... Wie ich ihn mir wünſche!“ 
lachte fie ausgelafjen. „Aber nun haben wir wahr: 
baftig genug gejchwaßt, Väterchen. Jetzt mach, daB 
du nach Wildenhorft fommft. Ich will hier jehen, was 
wir noch unter Dach und Fach Friegen können, ehe e3 
losgießt.“ 

„Und du kommſt wirklich nicht herüber heut abend?“ 

„Auf keinen Fall. Morgen früh um vier iſt die 
Nacht vorbei. Da heißt's zeitig ſchlafen gehen,“ be⸗ 
ſchied ſie ihn. 

„Na, denn adjüs ook, du Dickkopp!“ brummte er und 
galoppierte davon. 

„Gott ſei Dank!“ dachte Jochen Sötebier. — 

Aus dem heißen, ſonnigen Frühſeptembertag war 
inzwiſchen ein recht unangenehmer Geſelle geworden. 
Ein heftiger Gewitterwind hatte im Handumdrehen ein 
ganzes Geſchwader weißer Wolkenroſſe zuſammen⸗ 
gepeitſcht, die ſich grau und grauer färbten; immer 
winziger wurden die Ausſchnitte dazwiſchen, durch die 
der blaue Himmel noch herniederlugte; immer ſchmaler 
die grellleuchtenden Ränder der wampigen Wolkenballen, 
die an dieſen Ausſchnitten noch Strahlen der verdeckten 
Sonnenſcheibe reflektierten. Nun verſchwand der letzte 
blaue Fetzen droben, und ein drohendes Schiefergrau 
überzog eintönig das ganze Firmament. Aber es fiel 
noch kein Tropfen. Nur der Wind heulte in kurzen 
Zwiſchenräumen wild auf und wirbelte die Heuhaufen 
durcheinander, und von vornher verkündete ein ſchwaches 


100 Mamfellchen. 
——— DE DD DeDd re Dre DnEDrE Dr ED re 
dumpfes Grollen, daß das Unmetter weiter jüdlich jchon 
in vollem Gange fei. 

An den Heumagen arbeitete man fieberhaft. Es 
galt, die ziemlich vollgeladenen Fuhrwerlke wenigſtens 
noch troden heimzubringen. Alles beteiligte fich bei 
diefer Arbeit. Auch Hilde v. Reidersberg ſchwang 
tapfer die Heugabel, als ob fie ihr Leben lang nichts 
anderes getan babe, und ihr Zun war den Leuten ein 
anfpornendes Beifpiel, das ihnen der durchgebrannte 
Inſpektor niemals gegeben. 

„Dat regent all,” ſagte plöglich die Stimme einer 
Jungmagd. 

„Ja, regnen deiht dat,“ antwortete darauf, ſich ver⸗ 
wundert an den Kopf faſſend, Jochen Sötebier, „äwer 
Sand.“ 

„Büſt du däſig, Jochen?“ lachte ſeine Nachbarin. 
„Wo kann denn dat Sand regnen?“ Und offenen 
Mundes fandte fie einen prüfenden Blid in die Höhe. 
Dabei aber befam fie wirklich eine Ladung feinen Sandes 
in ihr heißes, ſchweißtriefendes Antlig, und jpudend 
und fprudelnd ſchrie fie nun: „Pfui Düvel, dat iS doch 
wahrhaftig Sand!” 

Ein förmlicher Regen der weißen winzigen Körner 
fegte jett bernieder, mitten unter die Arbeitenden, die 
jprachlos über fol Naturwunder zum Himmel empor: 
Tchauten, allerdings mit geſchloſſenen Lippen und die 
Hand als Schuß über die Augen gelegt. 

Auch Hilde war einen Augenblid lang verdußt ge: 
mwejen. Aber ihre Heumagen waren ihr wichtiger als 
unnüge Himmelöbetrachtungen. 

„Vorwärts, Leute!” fagte fie. „Den Sand bringt 
der Wind von irgendwo mit, wo fie ihn fcheffelmeife 
haben. — Jochen, dein Fuder ift vol. Fahr zu!” 

Doch Jochen hatte offenbar eine ftärfere Neigung 


Bon Alwin Römer. 101 
DD ID RD ED ED EDDIE DD De D ne Dre DD ee 
zur Beobachtung feltfamer Naturerjcheinungen. Er 
hing noch immer mit den Bliden an dem unbeimlichen 
Gemitterhimmel, von dem fich der Sandregen wie aus 
einem Trichter gejchüttet auf die Wieſe ergofjen Hatte. 
Und jetzt warf er plöglich die Peitſche von fich, die er 
fonft in der Hand gehalten und jchrie: „KRinnings, 
lopt, wat ji lopen könnt! Da fällt de Wand dörch 
de Wolfen, grad up uns tau!” 

Mit Rieſenſätzen ſprang er blind über die Wieje 
weg, über Heubaufen, Gräben und Strauchwerk fort, 
ohne fich umzufehen, und die Mägde und Rechte 
famt den Mähern taten’3 nach einem kurzen Aufblic 
ihm fchreiend und freifchend nach. Nur ein paar der 
Erfahreneren unter dem Schwarm blieben zurüd, traten 
aber unmillfürlich näher an ihr „Frölen“ heran, ges 
ſpannten Blickes das Ungetüm betrachtend, das fich mitten 
durch die düſtere Wolkenwand durchgearbeitet hatte und 
nun näher und näher fam. 

„Dat iS ja wol ’n Luftballon,* fagte einer der 
Tapferen, die bei Hilde ausgehalten hatten. 

„Und was für einer,” entgegnete Hilde. 

„Su kiek bloß, Kriſchan, da fin ook Minfchen in!“ 
rief ein zweiter. 

„Nä, fo wat!” 

Gleich darauf ftieß Hilde einen leifen Schrei aus, 
denn der eine der Gondelinfaffen hatte ſich unvermutet 
mit einem kühnen Rud über den Rand der Forbartigen 
Gondel geſchwungen, hing einen Augenblid lang, die 
Entfernung vom Erdboden mefjend, und fprang dann 
fiher und gefchidt ab. Dabei kam er allerdings nicht 
gleich auf feine Füße zu ftehen, fondern glitt in einen 
der Lleinen Heubaufen, aus dem er fich jedoch fchnell 
berausarbeitete und nun mit Gejten und Rufen um 
Beiltand warb. 


102 Mamſellchen. 
—————————— —— — 

Eine Minute ſpäter war das ganze Kontingent von 
Jaſpershagen um ihn verſammelt, das aus einiger 
Entfernung beobachtet hatte, wie der mörderifche „Mond“ 
Jochen Sötebiers fich als das Wunderwerk eines Luft: 
ballons erwies, der auf pommerifcher Erde Gtation 
machen wollte. Hurtig folgten fie den kurzen, klaren 
Anmeifungen de3 Luftjchiffers, griffen nach den Schlepp- 
feilen des in Ianggezogener jchräger Linie herunter: 
taumelnden Fahrzeuges und zogen ſchließlich an dem 
vielfältigen Strid: und Maſchenwerk das Ungetüm lang: 
fam auf die gemähte Wiejenhälfteehinüber. 

Während der Offizier, der aus der Gondel gefprungen 
war, fi bemühte, jein Luftfchiff in tranfportfähigen 
Zuftand zu bringen, wobei die Jaſpershagener fich zu- 
nächft ein bißchen ungeſchickt anftellten, Troch aus dem 
mächtigen Korbe noch ein zweiter Inſaſſe hervor, deſſen 
bleiche Gefichtsfarbe in ein brennendes Rot umfchlug, 
al3 irgend eine der drallen Dirnen, ihn beobachtend, 
den anderen zurief: „Kiel doch, da wär’ jo noch ein’n 
in! De hät ja woll de Tid verflapen!“ 

In da3 hierauf erjchallende Gelächter der Anechte 
und Mägde Hang die Stimme des Dffiziers, der wohl 
Führer des Ballon3 war und den anderen nur als 
Baflagier mitgenommen hatte: „Na, Malwitz, find wir 
nicht famos gelandet — was? Nun trinten Sie bloß 
nen ordentlichen Schlud Feuerwaſſer, damit Sie Leib 
und Geele wieder zufammenfriegen! Das erſte Mal 
wird einem gewöhnlich 'n bißchen ſchwach. Aber mit 
der Zeit legt fich daS.” 

„D, mir ift ganz gut,” renommierte Malmib. 
„Aber ein Kognak könnte vielleicht doch —“ 

„Kognak werden Sie von unferen braven Obotriten 
faum erwarten dürfen, und die Slafche, die wir mit 
hatten, muß un3 unterwegs jemand ausgetrunfen haben. 





LEID 


Bon Alwin Römer. 103 
DIRDORDADADADAD KDD DD DEAD DD DI ED 
Aber nen Kornſchnaps werden wir ſchon auftreiben, 
dent’ ich. — He, Kinnings, bett denn kein'n von jü 
'n lütten?“ rief der Offizier und machte mit der Hand 
eine lippende Bewegung vor den Lippen. 

Aber die SFafpershagener jchüttelten verlegen die 
Köpfe und ſahen nach ihrem „Frölen”, die mit den Mäg- 
den zufammen tapfer Hand angelegt hatte, um den 
Ballon auf die Erde zu bringen und den beiden An 
tömmlingen deshalb auch nicht weiter aufgefallen war, 
obwohl fie ſtatt des KRopftuches einen breitrandigen 
Strohhut aus grobem Geflecht trug. 

Hilde ward ein wenig rot, als fie jet in die Rock 
tafche griff und daraus Jochen Sötebiers konfiſzierte 
„Zeoftbouteille” bervorholte. 

„Hier,“ jagte fie, „wenn da3 genügt?” 

„Ru ſüh doch, min Döchting,” lachte der Offizier 
und fchaute dem hübjchen Mädchen Iuftig zwinkernd in 
die blauen Augen, „drünkſt du fo wat 008?” Und nun 
nahm er den Kork von der Flafche, tat einen tüchtigen 
Zug und reichte fie darauf dem Kameraden. „Profit, 
Malwitz!“ fagte ex, fich ein bißchen fehüttelnd. „Wenn 
Ahnen der nicht ſchmeckt, haben Sie fein Herz im Leibe. 
Das iſt ein Damenlikör allererfter Sorte.” 

Natürlich kicherten die Jaſpershagener vergnügt, wie 
fie ihr „Frölen“ jo in Berlegenheit jahen, und Hilde 
wurde nicht wenig zornig. Aber ein recht Fräftiger Trumpf 
zur Abwehr wollte ihr nicht gleich einfallen, obgleich fie 
fonft jchlagfertig genug mar. So fehwieg fie. Es war 
auch feine Zeit mehr, lange Wortgefechte zu beginnen. Ein 
jäh aufleuchtender Blitz blendete ihnen allen die Augen 
für einen Moment und erinnerte fie an das Wetter droben. 
Und nun hörte fie im Geräufche de3 polternd einjegen- 
den Donners die eben noch fo übermütige Stimme des 
Luftſchiffers kurz und fcharf wieder Befehle erteilen. 


104 Mamſellchen. 
DDr ED FED ED ADD ADD DE Dre DDr Dre 

„Als ob wir alle nur feinetwegen hier herausgefah⸗ 
ren wären!” dachte Hilde und mollte nach den Kut— 
jehern rufen, um fie zur fehleunigen Abfahrt mit den 
ganz und halb beladenen Wagen zu treiben. 

Da jchallte die fonore Stimme noch einmal auf: 
„Kinnings, noch eins: wo find wir hier eigentlich?“ 

„Dat hürt al tau Jaſpershagen,“ antwortete einer 
der Knechte und bejchrieb einen Kreis mit der aus: 
geſtreckten Hand. 

„Weit von der Bahn?” erkundigte fich der Luft- 
ſchiffer. 

„Vier Stunn'.“ 

„Dunnerlichting! ... Ihr habt aber Doch 'nen Gaſt⸗ 
hof im Ort?“ 

„Nä.“ 

„Malwitz, ich glaube, wir werden dieſe Nacht in 
einem Heuſtall logieren!“ rief er darauf launig ſeinem 
noch immer geknickten Begleiter zu, ohne ſich jedoch 
in der flinken Art ſeiner Tätigkeit zu unterbrechen. 

„Sollte ſich nicht ein gaſtliches Gutshaus oder ſo 
etwas finden?“ entgegnete der Angerufene kleinlaut. 

„Sie ſcheinen ein großes Vertrauen in mein geliebtes 
Pommern zu ſetzen!“ ſchallte es zurück. Dann flog ein 
ſchneller Blick des Umſichtigen zufällig über die noch 
ihrer Führer harrenden Heufuhren, und als ob er es 
darauf angelegt hätte, Hilde ſpeziell zu reizen, rief er: 
„Bringt mal einen der leeren Wagen hierher, und 
dann ſchafft die anderen unter Dach! Oder ſoll das 
alles erſt klaternaß werden? Iſt denn hier kein In⸗ 
ſpektor?“ 

Das ging ihr denn doch über den Spaß, und zornig 
erwiderte fie: „Wir Bu längjt zu Haufe mit unjerem 
Heu, wenn Sie nicht — 

„Sp unangemeldet vom Himmel beruntergefallen 


Bon Alwin Römer. 105 
Dede Dre Dee Der Dre DDr S— 
wären, wollen Sie ſagen?“ ergänzte er lachend, da ſie 
zögernd nach Worten ſuchte. „Wie mir ſcheint, habe 
- ich die Ehre, den Herrn Inſpektor, das Fräulein Guts⸗ 
mamfell und jo weiter in einer Berjon begrüßen zu dürfen? 
ch bitte demütigft um Verzeihung wegen der eben ge: 
übten, unüberlegten Kritit, denn ich möchte es um feinen 
Preis der Welt mit Ihnen verderben — ſchon weil wir 
heute abend auf Jaſpershagen zu Bett gehen wollen 
— und nicht etwa hungrig wie unartig geweſene Kinder. 
— Dürfen mir antlopfen nachher?” 

Nun mußte fie doch lächeln. „Sie ſollen willlommen 
fein,” jagte fie. 

„Malwitz, danten Sie Ihrem Schöpfer und diefem 
Engel bier: Sie kriegen ein Bett!” rief er dem Freunde 
zu, um fich dann wieder an Hilde zu wenden: „Nein, 
wirklich, ein richtiger Engel find Sie, Mamfellchen, mie 
wir droben in den höheren Regionen feinen gefunden 
haben. Hatten Sie nicht auch die Hausapothele vor- 
bin bei fih? — DO, werden Gie nicht rot deswegen, 
obgleich Sie das nur noch niedlicher macht. — Und 
wenn Gie jet davonfahren, nehmen Sie meinen 
Freund Malwig mit. Der arme Kerl darf mir nicht 
krank werden. ... Bielen Dank fchon im voraus — 
und auf Wiederjehen nachher!” 

Das lebte fagte er fchon, als jeine Füße in einen 
tleinen Trab verfallen waren, weil er gejehen hatte, 
wie man mit dem Netzwerk in Verwirrung geriet. 

Eine Minute ſpäter Inallten die Peitſchen und ächzten 
die Räder. Es bedurfte weder des ermunternden Zus 
rufs Jochen Sötebiers noch feiner Fuhrgenoffen, denn 
von den fchnell aufeinander folgenden Bligen zur Eile 
angefpornt, jagten die Pferde mit ihren Laften den 
holprigen Weg auf Jaſpershagen zu, in der Hälfte 
der fonft dafür benötigten Zeit. Noch ehe die ver- 





106 Mamſellchen. 

DD DIDI AD AD ADDED ED ⏑ ⏑ ⏑⏑⏑ ⏑⏑ ED ARD ED 
einzelt berniederllatjchenden großen Tropfen fich in 
prafjelnden „Strippenregen” germandelt hatten, waren 
die Heufuhren glücdlic) unter den Schußdächern des 
Gutshofes geborgen. 

Egon v. Malwitz lag bald danad) in einem ſchönen, 
weichen Bett auf Jaſpershagen und fühlte fi) darin 
offenbar molliger al3 in der „Luftlutjche” feines Freun—⸗ 
des Wimbach, die er aus purem Übermut, mit einem 
Schuß Langeweile vermifcht, auf dem Tempelhofer 
Felde bei der Neich3hauptftadt am Vormittag bejtiegen 
hatte. 

Hilde v. Neidersberg ftand am Fenfter und ſah 
finnend in das endlofe Geriefel hinaus. Der pflicht- 
eifrige Hauptmann jamt den Leuten, die ihm helfen 
mußten, Seiner Majeftät Luftballon „LXibelle” zu bergen, 
wurden draußen auf der Wiefe ſicher pudelnaß. 

Hilde mußte nicht recht, ob e5 Bedauern oder Schaden: 
freude war, was ihr Herz bei diefem Gedanken ein Klein 
wenig fchneller klopfen machte. 


2 


Das Gewitter hatte jich verzogen, fchneller noch, als 
es gelommen war. Hauptmann Wimbachs Ballon ftand 
längft im Schuppen von Jaſpershagen verpact, als 
die erjten Schatten der Dämmerung ihr Goldneb über 
die Fluren ſenkten, die nach dem erfrifchenden Regen 
beinahe etwas Frühlingshaftes befommen hatten. 

Nach einem Kleinen Imbiß, den ihm Hilde durch 
eine der Mägde gejandt, hatte er fi) umgezogen und 
war dann befchäftigt geweſen, feinen Bericht zu ver- 
fafjen, den er mit einem Telegramm zufammen nad) 
dem nächjten Boftamt fchaffen laffen wollte. 

„Haben Sie einen Boten, Mamfelldjen?” fragte er 
Hilde, die ihm auf der mächtigen Diele des einfach 


Bon Alwin Römer. 107 
gebauten Gutshaufes in den Weg lief. „Aber er muß 
zuverläffig fein.“ 

Cie verfprach ihm, einen Ausbund von Gemiffen- 
baftigleit zu fenden, und bat ihn zugleich, bei feinem 
Freunde anzufragen, ob er zur Abendmahlzeit herunter: 
tommen wolle. 

Eine Biertelftunde fpäter ritt Klaus Wittenfand, 
der bei den Ulanen in Demmin geftanden hatte, mit 
den Poftjachen des Hauptmann in den leife hernieder: 
fintenden duftllaren Abend hinaus, während aus den 
Fenſtern des großen, felten benußten Eßzimmers im Erdge- 
ſchoß des Gutshaufes fchon das Licht der Lampen blinlte. 

Malwitz Hatte fich nach langem, vergeblichem Bu: 
reden des Hauptmanns ermuntert und war wieder auf- 
gejtanden, wiewohl er diefe Nötigung für eine geradezu 
graufame Maßregel erklärte, da man bei Abmefenheit 
jedes berrjchaftlichen Familiengliedes Feine Rüdfichten 
zu nehmen brauche, er aljo ebenjogut im Bette hätte 
jpeifen können. Aber Wimbach Hatte jchließlich mit 
dem Hinweis auf die außergewöhnlich nette und hübfche 
Gutsmamfell den Sieg dDavongetragen. 

Nun faßen die beiden fich in dem altmodifch aus⸗ 
geftatteten, mäßig beleuchteten Riefenzimmer gegenüber, 
lauter gute Dinge vor ſich, wie der ländliche Tijch fie 
auch bei Überrumpelungen zu bieten im jtande ift, und 
dennoch hatte bisher Feiner von ihnen fein Geded an- 
gerührt. Sie warteten nämlich auf „Mamſellchen“, für 
das fie aus eigener Machtvolllommenheit ein drittes 
Geder Hatten auflegen laffen. 

Aber „Mamfellchen” wollte fich nicht bliden lafjen, 
troßdem fie fchon zmweimal nach ihr gefchidt Hatten, 
und Malwitz, der Leutnant von den Gardedragonern in 
feinem jchie® fißenden Jagdkoſtüm, Inurrte unmillig: 
„Da haben Sie's, Wimbach! Ich bin wirklich wieder 





108 Mamſellchen. 

DDr De DDr Der D rer ee Dre Dez DrEDr Dee DD 
der Dumme! Aber warum bin ich nicht Tonfequent 
geweſen und liegen geblieben! So ’ne Eleine pommerjche 
Gans hat ja doch feine Ahnung!” 

„Sagen Sie das nicht, lieber Malwitz!“ meinte 
lächelnd Wimbach, der jchon feit fünf Minuten immer 
heißer mit einem köftlich duftenden gebratenen Hähnchen 
liebäugelte. „Das Mädel ift nicht halb jo dumm, wie 
Sie fih einbilden. Steht hier dem ganzen Kram vor, 
feitdem der Inspektor durchgebrannt iſt. Mitten in 
der Ernte! Ach nein, allen Reſpekt! Sie führt für 
ihr Alter ein bervundernsmwertes Regiment.” 

„Meinetwegen,“ brummte Malwitz und ftocherte 
rücfichtslo8 an einer Platte mit allerhand Schinfen-, 
Wurſt- und Oänfebruftfchnitten herum. „Aber da e3 
mein Regiment nicht ift, da3 fie führt, jo —“ 

„Stil! Das wird fie fein!” flüfterte der Haupt: 
mann und jah gejpannt nach der Tür. Nichtig, da 
trat die Erwartete über die Schwelle. Sie hatte offen- 
bar Zoilette gemacht, aber fich nicht etwa in ftädtijche 
Kleidung geftedt. Ein dunkler Rod mit dem lande3- 
üblichen Faltenreichtum ſchloß dicht über den Knöcheln 
ab, und ein heller Schimmer zwiſchen dem fi) leife 
wiegenden Saum und den koketten Halbſchuhen ver- 
riet, daß die Füßchen in leuchtend weiße Strümpfe ges 
ſchlüpft waren. Aus dem ftraff figenden Mieder Träu- 
felte jich bi8 Dicht an den Hals ein ſchneeweißes, jauber 
gebügeltes Hemd, das auch die Arme baufchig um: 
tleidete. So oder ähnlich mochten die jungen Mädchen 
der Umgegend wohl Sonntags zur Kirche wandern. 
Aber ob e3 ihnen allen jo entzüdend zu Gefichte ftand 
wie dem Mamfellchen, war entjchieden fraglih. Denn 
fie ſah bezaubernd darin aus mit ihren frifchen Farben, 
die mit den rotbädigen Äpfeln auf dem Geſims ringsum 
wie um die Wette leuchteten. 


Bon Alwin Römer. 109 
DeEDrEDrED REDE D re Dee Dre Dee De Dee Dre De Der Dre De dr 

„Das ift recht, meine liebe Landsmännin, daß Gie 
fo Tommen,” fagte fröhlich der Hauptmann, der ein 
Sohn der Kolberger Gegend war. „Nun wird es und 
noch einmal jo gut ſchmecken.“ 

SZuvorlommend rüdte er ihr den Stuhl zurecht. 

„sh glaube, Sie haben meinetwegen gemartet,” 
bemerkte fie nach einem Blick über die Tafel und nahm 
Plat. „Das ift aber gar nicht in der Ordnung.” 

„sh bin fogar Sghretwegen nur noch einmal zum 
Vorſchein gekommen heute,” erklärte in feiner Teden 
Manier Malwitz, der von fo viel ländlicher Anmut 
ganz bezaubert war. 

„O wirklich, Herr Leutnant?” fragte fie, offenbar 
freudig erftaunt über jo viel Artigleit. „Das ift aber 
viel zu viel Ehre für mid. Wenn’s noch um unfere 
Leutemamfell geweſen wäre! Pie könnte fchon eher 
Anspruch darauf machen.“ 

„Weshalb denn?“ 

„Weil fie älter ift als ich.“ | 

„Wie alt ift fie denn?” erkundigte ſich Wimbad) 
lächelnd. 

„sh glaube achtundvierzig,” gab fie nachdenklich. 
treuherzig Auskunft und zudte nicht einmal mit der 
Wimper dabei. 

Der Leutnant gab einen Ton von fich mie eine 
befonder8 gelungene Rakete, wenn fie auffteigt, und 
fing dann unbändig an zu lachen. 

„Aber was haben Sie denn?“ fragte fie fopffchüttelnd. 
„Habe ich eine Dummheit gejagt?” 

„Sie find entzüdend, Mamſellchen,“ rief er endlich. 
„So eine alte, langmeilige Leutemamfell fol mich ver- 
anlaſſen —“ Und er ließ die zweite Rakete fteigen, 
um einen zweiten Lachanfall einzuleiten. 

„O, Mamſell Rungen ift ſehr unterhaltfam,” ex: 


110 Mamſellchen. 

EDDIE DD ED ED DD De Dede Dre 
klärte fie beinahe gefräntt. „Soll ich fie hereinbitten? 
Gie glaubt zwar, fie paffe nicht recht zu Jhnen, aber —“ 

„Liebes Mamfellcden, man fol niemand in feinem 
Glauben ſtören!“ unterbrach fie Malwitz abwehrend. 
„Wenn Sie fchon jemand nötigen mollen, jo nötigen 
Gie lieber uns beide bier zum Zugreifen.“ 

„sa, aber bitte, geniexren Gie ſich doch nicht,” ent- 
gegnete fie und präfentierte die Schüfjel mit den Hühnern. 
„Es iſt Doch alles da —“ 

„Und nicht etwa wie bei armen Leuten,” fetundierte 
Malwitz. 

Darauf gab ſich das Kleeblatt eine ganze Weile 
den Genüſſen der Abendtafel hin, bis Wimbach fragte: 
„Wie kommen Sie eigentlich in dieſen abgelegenen 
Hansjochenwinkel, Mamſellchen? Sie ſprechen ja ein 
unverfälſchtes Pommerſch, aber Ihre Wiege hat ſicher⸗ 
lich nicht in Jaſpershagen geſtanden.“ 

„Wie man jo herkommt,“ wich fie ihm unmerklich 
aus. „Sie baben’3 heute früh ja auch noch nicht ge- 
mußt, wie Sie von dem jchönen Berlin fortflogen, daß 
Gie ſich heute abend in Jaſpershagen mit einem armen 
pommerfchen Mamfellchen langweilen würden.” 

„Aber wie können Sie fo etmas jagen! Es iſt ein- 
fach himmliſch in diefem famofen pommerfchen Winkel. 
Nee, nee, in allem Ernſt!“ entrüjtete ſich Malwig und 
goB von. dem Wein, der auf der Tafel jtand, die 
Gläfer voll. „Bah, Berlin — was ijt Berlin? Syafpers- 
hagen foll leben! Brofit, Wimbach!“ 

„Profit!“ fagte der Hauptmann und nidte fröhlich 
zu dem Mamſellchen hinüber. Da griff fie zögernd 
nad) dem für fie beftimmten Glaje, führte es lächelnd 
an die kirſchroten, fanft geſchwungenen Lippen und 
nippte vorfichtig daran. 

„Ad, bloß nicht zieren!” tadelte Malwitz, der fie 








Bon Alwin Römer. 111 
beobachtet hatte. „Ihr Damenlikör von Heute nach: 
mittag war doch eine ganz andere Nummer.” 

„Ach Gott, Herr Leutnant —“ fagte fie vorwurfs⸗ 
vol. 

„Haben Sie fich nicht, Tleine Heuchlerin! Es iſt 
ja nicht3 dabei. Oder denten Gie vielleicht, unjere 
Gtadtdamen nehmen nicht auch mal fo 'ne Pleine Herz. 
ftärlung? . Ach, da könnten Sie was erleben, ſag' ich 
Ihnen!“ 

„Bitte, erzählen Sie doch ein bißchen davon. Was 
für Damen find denn das?“ fragte Mamſellchen neu- 
gierig. 

„Ra natürlich — das möchten Sie wiſſen!“ achte 
er vergnügt. „Aber das ift nichts für Kinder, mein 
liebes Fräulein. Denn Berlin ift ein Sündenpfuhl, ein 
gräßlicher Sündenpfuhl, von dem ein braves pommer- 
[ches Mädchen am beiten gar nicht8 zu hören befommt.” 

„Pommerſches Gänschen, denten Sie inmwendig.“ 

„D ... Mamfellhen, wie Tönnte ich...” beteuerte ex. 

„Ra, na! Oder ift es wirklich fo furchtbar, was 
Eie in dem fehlimmen Berlin ſchon alles erlebt haben?“ 

„Beobachtet haben, meinen Sie!” verfchanzte der 
Leutnant fich vorfichtig. 

„Ach fo, nur beobachtet?” fagte fie, und aus ihrer 
Stimme klang eine deutliche Enttäufchung, die ihm eine 
heimliche Freude bereitete. 

„Sind fie nicht in der ganzen Welt egal, dieſe 
nafchigen Dinger?” dachte ex ſchmunzelnd und ſah feine 
Zeporellolifte jchon um eine neue reizvolle Eroberung 
vermehrt. „Je mehr man auf dem Kerbholz bat, je 
verrüdter find jie hinter einem her.” 

Zaut aber jagte er auf ihre Frage: „Manches iſt 
natürlich auch dabei erlebt; denn zum Gäulenbeiligen 
hab’ ich vorläufig die Qualifitation noch nicht.” 





112 Mamſellchen. 
⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ne De Dre Dre DDr Dr eD 

Und dabei ſandte er ihr einen übermütigen Blick, 
der nur dürftig verhehlte, wie er ſich ſeiner ſieghaften 
Unwiderſtehlichkeit in dieſer Minute voll bewußt war. 

„Ja, ſo ein Leutnant hat's doch zu gut!“ ſeufzte ſie 
darauf herzbrechend. 

Er lachte laut auf, ſo köſtlich berührte ihn dieſer 
naive Neid. „Möchten Sie nicht gar mit mir tauſchen?“ 
erkundigte er ſich und zwirbelte ſelbſtgefällig an ſeinen 
Habyſpitzen herum, die nicht gerade üppig geraten 
waren. 

„Sofort,” erklärte fie. 

„Ra natürlich, Sie Kleine Unfchuld! Aber ich nicht 
mit Ihnen, fo niedlich Sie auch find. Vielleicht auch 
gerade deswegen. Ah ...!“ 

„Schmeicheln müfjen Sie nicht, Herr Leutnant! 
Ihre Berliner Damen find ja doch alle viel hübfcher!* 
mwehrte fie fich kokett, was ihn zu einer neuen kleinen 
Attacke reizte. 

„Bardon, Mamſellchen,“ erklärte er mit einem feuer- 
gefährlichen Blicke, „das ift noch fehr die Frage. Mit 
Ihren frifchen Farben und Ihrer famofen Figur würden 
Sie an der Spree überall Furore machen. Ach, ich 
wollte, ich Lönnte in Halenjee mal jo mit Ihnen da- 
hinſchweben!“ Und mit etwas frähender Stimme begann 
er zu fingen: „Schlöjjer, die im Monde liegen .. .” 

„sn Halenjee?” fragte fie eritaunt. „Wo ift denn 
Das?" 

„Ah — das ift eine hochfeine Gegend in Berlin! ... 
Nicht weit von Charlottenburg, ja! Da halten wir 
manchmal unjere Bälle ab,” gab er Auskunft. 

„Die Kaſinobälle?“ fragte fie treuherzig. 

„Na natürlich, die Kafinobälle!” rief er lachend. 
„Was denn fonjt?” Und dabei blinzelte er Wimbach 
amüſiert zu. 


Bon Alwin Römer. 113 
Dnre DDr Dre Dre DDr De Dede Dede 

„Aber davon müſſen Sie mir ganz entfchieden was 
erzählen,” bat fie. 

„Nee, nee, nich zu machen,” wehrte ex fich und 
nahm eine ernjtbafte Miene an. „Das find Dienſt⸗ 
geheimnifje, was, Wimbach ?” 

Wimbach nidte beftätigend. „Minnedienftgeheim> 
niſſe,“ jagte er troden und vertiefte fich dann in die 
Prüfung der aufgefahrenen Wurftforten. 

„Und davon plaudern auch Sie nichts aus, Herr 
Hauptmann?” fragte fie fchalkhaft. 

„Der Mann redet überhaupt nicht, wenn er fo 
ernſthaft bejchäftigt ift wie jetzt,“ fpöttelte Malwitz. 

„Ich finde auch, daß Sie recht einfilbig find, Herr 
Hauptmann. Gie follten mir wirklich ein bißchen von 
Berlin erzählen. Ihr Freund bringt ja doch nicht 
Gejcheites an den Tag,“ ermunterte fie. 

„Mein liebes Fräulein,” jagte er darauf, „wein 
unjer guter Malwitz das Wort hat, fommt ein anderer 
nicht auf. Ich kenne auch Berlin nicht halb fo gut 
wie er. Zumal von den Rafinobällen habe ich mich 
ganz zurüdgezogen.” 

„Er iſt nämlid ein Kleiner Philifter, der arme 
Hauptmann,” unterbrach ihn Malwi lachend. „Aber 
Cie haben ja noch immer nichts getrunfen, Mamfell: 
chen? Nicht3 da — gemogelt wird nicht! Trinken 
Sie mal au3 damit ich wieder einſchenken kann.“ 

„Ach nein, Herr Leutnant,” erklärte fie haftig und 
hielt beide Hände über ihr Glas, „ich danfe wirklich 
jehr, ich möchte lieber nichts mehr trinken. Ich glaube, 
es befommt mir nicht.” 

„Unſinn!“ polterte ev heraus. „Reden Sie mal 
ein Machtwort als Alterspräfes, Wimbach! Gie glaubt, 
es befommt ihr nicht. Hahahaha!“ 

Der Hauptmann warf erjt einen Blid auf das 

1904. XIII. + 8 


114 Mamſellchen. 

⏑ ⏑ ⏑ ⏑ —⏑ Dre Dede De Dede 
junge Mädchen, aus deſſen Händen er Nachmittags eine 
halbgefüllte Branntweinflaſche in Empfang genommen 
hatte, dann zuckte er die Achſeln und ſagte lächelnd: 
„Haben Sie nicht ſelbſt vorhin den Grundſatz auf- 
geſtellt, daß man niemand in ſeinem Glauben ſtören 
ſolle?“ 

„Ach, das war doch etwas ganz anderes,“ rief Mal- 
wit verdrießlich. „Aber ich merke fchon, daß ich mich 
forrigieren muß in Beziehung auf Bhiliftertum: Gie 
find nicht ein Lleiner, wie ich vorhin gutmütig, wie ich 
nun mal bin, gejagt habe, Sie All ein ausgewachſener, 
ein linker Flügelmann, ein — 

„And alles bloß, weil ich Mamſellchen jo hübſcher 
finde?” entgegnete der Hauptmann beluftigt. „Belter 
Malwitz, ich liebe nun mal die Weiblichkeit, wenn fie 
fich hold zeigt, mehr als vom Becher exaltiert. Bacchan- 
tinnen find mir ein Greuel.“ 

Hilde war ein bißchen rot geworden bei diefer 
Äußerung Wimbachs. Klang es nicht, als ob er fürchtete, 
fie könne fich wirklich einen Raufch antrinken, wenn jie 
dem Leutnant Befcheid täte? Einen Augenblid lang 
zudte e3 ihr in den Fingerfpißen, nun erſt recht nach 
dem Glaſe zu greifen und den Zutrunk des guten 
ungen mit dem offenen, Iuftigen Wefen zu ermidern. 
Aber dann fühlte fie, ohne hinzuſehen, wie die Augen 
des ernjteren Mannes erwartungspoll auf ihr rubten. 
Und diefe Augen hatten eine eigentümliche Kraft, der 
fie fich vergeblich zu erwehren fuchte. Die troßige An- 
mwandlung verflüchtigte fich unter diefem Blid, und fie 
erklärte, fich zu Malwitz wendend: „Alfo es bleibt da- 
bei: genötigt wird nicht!” 

„Ratürlich, da Sie Beiltand gefunden haben, müffen 
Sie fi) noch mehr zieren. Aber es ift ein Unfinn,“ 
redete fich der Leutnant in Eifer, „denn wer bei Tage 


Bon Alwin Römer. 115 
EDEDFEDLEEDE ED ED ED Fr ED ED ED ED EDDIE De D&D 
einen fräftigen Korn nicht verjchmäht, der kann auch 
Abends —“ 

„Fangen Gie fchon wieder von der dummen Flafche 
an?“ unterbrady fie ihn, zornig werdend. „Die gehörte 

ja gar nicht mir.” 

„Ra natürlich!” Iachte er fpöttifh. „War nur aus 
Verjehen in Ihre Tafche geraten! Na, Mamſellchen, 
Schwamm drüber! Aber nun ftoßen Sie endlich hübſch 
mit mir an; denn fo jung fommen mir auf feinen Fall 
wieder zuſammen.“ 

„Wenn Sie mich fo abfertigen, erſt recht nicht,” er- 
Härte fie entrüftet. „Eſſen Sie lieber einen Apfel, der 
jtillt den Durft auch, aber fteigt nicht in den Kopf.” 
„Na, fo was!” vief er ärgerlich lachend und leerte 
dann übermütig fein Glas. 

Wimbach nidte ihr Lächelnd zu und fagte: „Sie 
haben da wundervolle Äpfel auf dem Wandſims jtehen. 
Da3 ganze Zimmer duftete danach, al3 wir eintraten.” 

„Sommermaränen!” bejtätigte fie ftolz. „Die jchönften 
fuche ich immer heraus al3 Zimmerfchmud. Urväter⸗ 
fitte im Pommern. Aber das willen Sie gewiß felbit.” 

Er bejtätigte es ihr, worauf fie fich erhob und eine 
der rot leuchtenden Früchte vom Breit nahm. „Wer 
bat Appetit von den Herren?“ fragte fie und ließ ihre 
heiteren blauen Augen von einem zum anderen geben. 
„Es ilt der fehönfte, den wir in diefem Jahre gepflüct 
haben.” 

„Na, da geben Sie ihn mir als VBerföhnungszeichen 
und erſte Gunftbezeigung, Sräulein Paris!“ rief der 
Leutnant launig. 

Wimbach wollte fich bei diefem Wettbewerb nicht 
ausfchließen. „Wenn Sie ihn aljo opfern wollen, fo —“ 

„Wieſo Fräulein Paris?” fragte fie jedoch zunächſt. 
„Was Toll das heißen?” 


116 Mamſellchen. 

„Ja ſo,“ bemerkte Malwitz darauf, „Monſieur Paris 
kennen Sie hier nicht? Iſt am Ende auch nicht zu 
verlangen in Hinterpommern. Oder iſt das noch Vor⸗ 
pommern bier? — Na, alſo dieſer Glüdspilz kriegte 
eines Tages mal Beſuch von drei wundervollen Frauen- 
zimmern, die nebenbei auch noch Göttinnen waren, mas 
bei wirklichen Schönheiten ja eigentlich felbftverjtänd: 
lich ift. Die hatten nun einen beinahe ebenfo großen 
Apfel wie diefen, um den fie fich in den Haaren lagen, 
meil er für die Schönfte von ihnen beftimmt war. Der 
liebe Paris aber follte nun entjcheiden, wer von ihnen 
den größten Anjpruch darauf hätte.” 

„Und wie entfchied er?” fragte fie, al3 er inne- 
hielt. 

„Natürlich ſah er fich die drei erſt hölliſch gemifjen- 
haft an; dabei ließ fich jedoch der Schlauberger auch 
noch von jeder etwas verfprechen, damit er ihn an die 
Meiftbietende losſchlagen konnte. — Gerieben nicht? 
— Die eine nun wollte ihm die Weisheit mit Löffeln 
beibringen; von der anderen jollte er Serbien, Buls- 
garien und die angrenzenden Raketenkiſten geſchenkt be- 
fommen; die dritte endlich verjprach ihm eine gewiſſe 
Frau Helena, geborene Leda, die aber fehon mit einem 
Herrn Menelaus verheiratet war, zum Weibe. Das 
war nämlich ein richtiger Ausbund von Schönbeit, 
wenn auch nicht gerade von Tugend, was ja — 
Gottes öfter vorkommen ſoll —“ 

„Na — und?“ 

„Er fiel auf Numero drei herein, der arme Kerl.“ 

„And Sie denken nun, wenn ich dieſen Apfel ver: 
geben joll, muß ich gleichfalls jo unbefonnen handeln 
wie diefer Paris?" 

Malwig zudte die Achſeln. „Wenn ich ihn Triege, 
dürfen Sie mir noch viel fehlimmere Sachen fagen,“ 


Bon Alwin Römer. 117 
EDDIE ID LED re De Dee De Dr Dre Dre D rk DDr ddr — 
bemerkte er dazu mit feiner liebensmwürdigen Unvers 
frorenbeit. 

„Eingebildet find Sie wirklich nicht, Malwitz!“ Tachte 
etwas unjicher der Hauptmann. 

„Ja aljo, was wird?” ermunterte fie Malmis. 

„Darf ich es nicht wie Paris machen und mir erft 
etwas verjprechen laſſen?“ fragte fie fehalkhaft. 

„Sehr vernünftig gedacht! Alſo, was foll ich auf: 
marfchieren lafjen, Mamſellchen?“ entgegnete der Tauge— 
nichts. „Wollen Sie einen Stern vom Himmel her- 
untergeholt haben? Oder möchten Sie lieber — eine 
feine Billa im Berliner Tiergartenviertel?” 

„Das exrjtere wird Ihnen wohl faum gelingen, wenn 
Sie fich heute nachmittag auch als kühner Luftfchiffer 
produziert haben, und Numero zwei heben Sie nur 
lieber für Ihre Tünftige Frau Gemahlin als Morgen: 
gabe auf. — Haben Sie etwas Reelleres, Herr Haupt: 
mann?” 

„sch gebe Ihnen die Bälfte ab, wenn Sie ihn mir 
ſchenken,“ fcherzte diefer. 

„Das ließe fich ſchon eher hören,” jagte fie finnend. 

„Und ich mache Ihnen eine Liebeserklärung mit 
allen Schitanen,” trumpfte übermütig Malwitz. 

„Wollen Sie die. nicht lieber zu der Tleinen Villa 
im Berliner Tiergartenviertel legen?” bemerkte fie 
ironisch. 

„D bitte, mein Herz bat vier Piecen. Für folch 
kleines Mamjellchen ift da immer noch Platz,“ Iachte er 
keck. „Alſo Eriege ich den Apfel — he?’ 

Sie war heftig errötet über feine letzte Antwort; 
aber ftatt ihn zu rügen, horchte fie jet angefpannt in 
die Nacht hinaus. Durch das offene Fenſter, das die 
funtelnden Sterne am Haren Septemberhimmel fichtbar 

werden ließ, wurde Huffchlag hörbar. 


118 Mamſellchen. 
rDrzDreDr Dre Dre 

„Das ift Klaus Wittenfand, der von der Poſt zurüd- 
kommt,“ fagte fie und eilte hinaus, dem Reiter ent- 
gegen. 

„Ra, Klaus,“ hörten die beiden fie Draußen rufen, 
„tümmt de Herr nich?“ 

„Nä,“ antwortete Klaus, „bei kann nich. mer 
bier is ’n Brief für Sei, Frölen.“ 

Das weitere verflang, weil der Knecht inzwifchen 
abgejtiegen fein mochte und fein Pferd über den Hof 
führte. 

Endlich erſchien fie wieder, aber nicht mehr in der 
freien, leichtbeweglichen Art, die fie fo entzüdend ges 
fleidet. Ein Hauch von plößlicher Bellemmung jchien 
ihr angeflogen zu fein. Sie zögerte leicht, ehe fie 
das erite Wort ſprach, und man hörte ihr an, wie ihre 
Stimme leife zitterte. 

„Sie müſſen fchon entfcyuldigen, meine Herren, daß 
ich Sie warten ließ. Ich hatte eine Überrafchung für 
Sie. Klaus Wittenfand hatte Nachricht mit nach Wilden- 
borft genommen zu Herrn v. Reidersberg, dem auch 
Jaſpershagen gehört —“ 

„Herrn v. Reidersberg?“ fragte elektriſiert Malwitz. 
„Das iſt doch die Möglichkeit!“ 

„Ich hatte geglaubt, er würde herüberkommen und 
Sie begrüßen. Er kann aber nicht abkommen, wie er 
ſchreibt. Sie möchten ihm die Ehre geben und ihn in 
Wildenhorſt aufſuchen. Leider hat der Bote ihm nicht 
mitgeteilt, daß er auch noch nach Zagenthin zur Poſt 
mußte, und bringt nun dieſen Brief zu einer Zeit, wo 
Sie kaum noch Neigung haben werden —“ 

„Reidersberg? ... Wildenhorſt? Und dieſe Klitſche 
hier gehört ihm auch?“ rief Malwitz, der vor Neugier 
zu vergehen ſchien. „Aber, Mamſellchen, warum haben 
Sie denn das nicht früher verraten? Selbſtverſtändlich 


DrEDrDr Dee DreeD 





Bon Alwin Römer. 119 
DDr DE Dr DDr ED ED AD ED DE Dre De eD 
wären wir binübergezodelt. Sagen Sie jelbft, Wim- 
bach, ilt das nicht ſchnurrig? Bei dieſem felben Reiders- 
berg war ich vor vier Wochen zur Hühnerjagd ein- 
geladen. Konnte leider nur feinen Urlaub Triegen. 
ch Hätte wahrhaftig nicht übel Luft, noch den Verſuch 
zu machen und —” 

„Es iſt zehn Uhr, lieber Freund. Man wird Gie 
faum noch erwarten.” 

„Sol ich anjpannen laſſen?“ fragte Hilde. 

„Auf keinen Fal! Morgen ift auch noch ein Tag, 
und mer weiß, ob's drüben fo behaglich gemejen wäre 
wie hier bei Ihnen, Mamſellchen. Jetzt erhebe ich das 
Glas und bitte um Befcheid: Haben Gie aufrichtigen 
Dank für die prächtige Aufnahme, die Sie ung gewährt 
haben. Auf Ihr Wohl!“ 

Sie wurde rot, griff aber nach ihrem Weintelch und 
ließ ihn gegen den feinen anklingen. 

Malwitz kaute an feinem Schnurrbart, der in der 
Aufregung ganz die Faſſon verloren hatte, ließ fich faum 
herbei, bei dem Klingklang mitzutun und fragte endlich 
nerods: „Hat Herr v. Neidersberg nicht eine Tochter 
jo um die Zwanzig herum?” 

Sie jah ihn prüfend an, ehe fie antwortete: „Aller: 
dings, Herr Leutnant.” 

„Ab, das ift des Pudels Kern?” achte Wimbad) 
und ließ einen leifen Pfiff durch die Zähne ftrömen. 

„Stattliche Erſcheinung — nicht?” 

Hilde zucdte die Achjeln. „ES geht,” fagte fie, nicht 
gerade wohlmollend. 

„Aber ſonſt doch ſehr hübſch?“ 

Hilde zuckte die Achſeln noch Träftiger. „Das iſt 
Geſchmackſache,“ erklärte fie dann. „Ich finde fie nicht 
gerade hervorragend.” 

„Läßt darauf fchließen, daß fie fogar fehr hübſch 


120 Mamſellchen. 
E⏑ ED Dre D re De Dre DDr Dre YdeeD 
ift. Sie find eben ein bißchen neidisch, Mamfellchen! 
— Uber nun fagen Sie mir noch eins, wenn Sie Be: 
fcheid willen: ift fte fchon irgendwie mit jemand — 
vielleicht heimlich oder jo ...?“ 

„Soviel ich weiß, nein.“ 

„Da3 ift mir die Hauptfache,“ erklärte Malmib. 
„Und zu Haufe ift fie doch auch?“ 

„Heute abend werden Sie fie ficher nicht mehr zu 
fehen bekommen drüben,” bejchied ihn Hilde, „aber 
morgen ganz gewiß.” 

„Meinen Sie? Hm...” murmelte er nachdenklich 
und wandte fich dann in franzöfifcher Sprache an Wim- 
bach: „Dieje Leine Baroneffe ift eine famoje Partie.” 

„Hab' ich mir gleich gedacht,” entgegnete Wimbach 
troden. 

„Sie bat ungeheuer viel Moos.“ 

„Alſo auf zum Angriff!” meinte der Hauptmann 
ironisch. | 

„Sie haben gut lachen.” 

„Uber ich lache ja gar nicht.” 

„Ra, ich Tenne Sie, Liebiter, Sie haben da einen 
Zug um den Mund —“ 

„Das bilden Sie fi nur ein, Malwitz.“ 

„Dann kommen Sie morgen aljo mit?“ 

„Das wird nicht gut gehen. Ich muß nach Berlin 
zurüd, werde aber von dort aus an Ihren Jagdfreund 
fchreiben. Meinetwegen brauchen Sie fich nicht etwa 
zu genieren. Pie paar Stunden fahre ich jchon allein.“ 

„Sanz allein in dem mwadligen Luftballon?” fragte 
erfchroden Hilde. 

„Würde Sie das jehr ängftigen?” entgegnete er und 
jtreifte ihr ©eftcht mit einem forſchenden Blid. 

„sh denke es mir fchredlich, fo allein über die 
Melt dahinzufliegen,“ erklärte fie. 


Bon Alwin Römer. ’ 121 
DL DrE DD ED TED DD AED De De De neDreD re Dre D ne 

„Iſt aber nicht fo ſchlimm, Mamfellchen,” bemerkte 
ex freundlich. „Immerhin Tonnen Sie fich beruhigen: 
die Rückreiſe mache ich mit der Eifenbahn.” 

„Dann müſſen Sie ja aber über Wildenhorft, und 
dann wuerDen Sie auch Raft machen müſſen dort. Das 
wird Ba —‘ 

Sie ftocte einen Augenblid. Beinahe hatte fie nd 
verplappert. 

„Was wird?” fragte er verwundert. 

„Das wird partout nicht zu umgehen fein,“ zog fie 
fich gewandt aus der Schlinge. 

„sch wollte über Gülkow fahren,” jagte er. „Iſt 
das nicht näher?” 

„Keine Viertelſtunde,“ gab fie lebhaft zur Antwort. 
„Aber ein abjcheulicher Feldweg, während Sie über 
Wildenhorft Chauſſee haben.” 

„Das ließe fich aljo überlegen,” fagte er nach: 
denklich. 

„Na, natürlich kommen Sie mit,“ rief Malwitz. 
„Stoßen wir darauf an, Wimbach! Sie auch, Mam⸗ 
ſellchen!“ 

Und mit forcierter Luſtigkeit goß er die halbleeren 
Gläfer wieder voll. 

Aber Hilde hatte nicht die Abficht, den unter ganz 
anderen VBorausfegungen begonnenen Abend weiter aus— 
audehnen. „Ich muß den Herren jest „Gute Nacht“ 
mwünfchen,“ erklärte fie. „Die Pflicht ruft zu einer 
legten Kontrolle — und dann iſt auch der Sandmann 
fhon bei mir gemefen. Ich Ichide Ihnen den alten 
Ehriftian, der Ihnen nachher hinaufleuchten Tann. 
Schlafen Sie gut auf Jaſpershagen.“ 

„Wollen Sie uns wirklich wie die armen Waiſen⸗ 
finder bier figen laflen?” fragte der Leutnant. „Sie 
haben ja doch auch den Apfel noch zu vergeben.” 


122 Mamſellchen. 
—⏑ ED De Dee —— ed 

Aber fie hatte die Hand fchon auf den Türgriff 
gelegt. „Morgen!” jagte fie lachend. 

„Das halt’ ich nicht aus, Mamfellchen.” 

„Wirklich nicht, Herr v. Malwitz?“ Uang es mit 
leifjem Spott zu ihm berüber. | 

„sh glaube, Sie kriegten e3 fertig, mich durchfallen 
zu lafjen,“ ſagte er, aber in feinem Ton lag troßdem 
nicht der Anflug des geringften Zweifels über feinen 
Sieg. | 

Und zwiſchen Tür und Angel jchon antwortete fie 
ſchalkhaft: „Wenn Sie es glauben! ... Man foll ja 
wohl niemand in feinem Glauben ftören. ... Gute 
Nacht!” 

Dann fchlug fie die Tür hinter fich zu. 

„Ein fideler Käfer! Was, Wimbach?” meinte der 
Leutnant und warf ihr eine Kußhand nad. „Aber 
ich wollte doch, wir wären nad) Wildenhorft gefahren 
heute. Na, peten wird fie wohl nicht gleich. Und 
Schließlich: gefährlich war die Gejchichte doch auch Taum 
bier. Nicht mal ’nen Ruß gekriegt hat man von dem 
NRaderchen. Aber daran waren Gie fehuld, lieber 
Freund. Wir wären viel vergnügter geworden, wenn 
Sie nicht To ſtockſteif dageſeſſen hätten.” 

„Ra — na!” fagte nachdenklih Wimbach. 

Da erſchien der alte Chriftian auf der Bildfläche, 
der fie nach oben geleiten follte. 


3. 


Am anderen Morgen, als Malwitz die Augen auf: 
fchlug, lagen die Sonnenftrahlen nicht allzu jchräg mehr 
im Bimmer. Er fonftatierte an feinem Chronometer, 
daß es neun Uhr fei, reckte fich noch einmal herzhaft 
und jprang dann aus dem aroßen Bett, um eine recht 
forgfältige Zoilette vorzunehmen, denn daß er heute 


Bon Alwin Römer. 123 
öESS⏑⏑ ⏑ ⏑ — UV — 
in Wildenhorſt möglicherweiſe eine ernſthafte Eroberung 
machen wollte, hatte er nicht vergeſſen. Als er an 
eines der Fenſter trat, die mit altmodiſchen Mullgar⸗ 
dinen nur notdürftig verhängt waren, wohl weil die ſeit 
Jahren nicht gebrauchten Zugrouleaus geſtern nicht mehr 
funktioniert hatten, erblickte er unten den Hauptmann 
ſchon in voller Tätigkeit. Er hatte offenbar an ſeiner 
„Libelle“ die Spuren der geſtrigen feuchten Landung 
nach Möglichkeit entfernen laſſen und ließ die ver— 
ſchiedenen Teile nun zum Tranſport auf Leiterwagen 
packen. Da man augenſcheinlich noch eine ganze Weile 
mit dieſer Arbeit zu tun hatte, fo konnte ſich Malwitz 
zur Inſtandſetzung feines äußeren Menfchen genügend 
Zeit nehmen, wa3 ihm jehr angenehm war, da er fehr 
wohl mußte, wie viel junge Damen auf den erjten 
Eindrud geben. 

Aber ſchließlich, als auch feine Schnurrbartipigen 
in ftrengfter Symmetrie wie ein paar dünne Gicheln 
drohend feine leichtgebogene ftolze Erbnaje flankierten, 
und er vom Spiegel jein Abgangszeugnis empfangen 
hatte, ftieg er binab, frühftüdte haſtig, fragte nach 
„Mamſellchen“, die fich jedoch nicht blicken ließ, und 
fam dann endlich draußen auf dem Gutshof zum Vor- 
Schein, juft als mit fröhlichem Zuruf und Hutſchwenken 
Herr v. Neidersberg zum Tor hereintrabte. 

„Wünfche wohl gefchlafen zu haben, meine Herren!“ 
rief er in feiner breiten, behaglichen Art und jprang 
von Pferde, das fogleich einer der Knechte an dem 
Zügel nahm. „Ich mar fehon einmal hier heute, in 
aller Herrgottsfrühe, aber da rechnete ich gar nicht 
darauf, Sie ſchon aufzufinden.“ 

Dann machte er fich mit dem Hauptmann bekannt, 
den er mit jeinen gutmütigen blauen Augen ziemlich 
neugierig. mufterte, und nun fehüttelte er auch Malwitz 





124 Mamfellden. 

OD AD ADD AD ADDED ED AD AD AED AD Dre 
die Hand, dem „Ichneidigen Kerl, der feinem alten 
NRegimentstameraden Malwig wie aus den Augen ges 
ſchnitten“ ſei. Der alte Malwig und er hatten bei 
den Pajewalter Küraſſieren zufammen gejtanden. 

„Ich babe gehört, Sie wollen fich heimtückiſch mit 
Ihrer Himmelsgondel da an uns in Wildenhorft vor; 
beidrüden, Herr Hauptmann,” lachte er darauf und 
jtrich fi) den fchon arg melierten Spitzbart zurecht. 
„Aber daraus wird nichts! Es wird haltgemadıt 
in Wildenhorft, darüber gibt’3 fein Parlamentieren. 
Menn Sie morgen in Berlin fein müſſen, jo bringt 
Sie der Nachtzug auch noch hin. Verladen lafjen können 
Sie ja den Schwamm ſchon am Nachmittag, und an 
einem zuverläffigen Menfchen foll es nicht fehlen, der 
die Gejchichte bejorgt; aber Sie und der liebe Malwitz 
ejfen bei mir Mittag und jtechen ein paar Slafchen 
Rotſpon mit mir aus oder auch Rüdesheimer, der, 
glaub’ ich, von gejtern abend noch Falt fteht. Ab: 
gemacht! Ich müßte ſonſt wahrhaftig annehmen, Sie 
hätten’8 mir übelgenommen, daß ich Sie geftern abend 
bier habe fiten laſſen.“ 

„Aber ich bitte ſehr,“ erklärte der Hauptmann, 
„wir waren hier vorzüglich aufgehoben.” 

„Ra, dann aljo los. Ich will fofort für ung an- 
jpannen lafjen. Mein Gaul bat nämlich auch genug 
für heute vormittag.” Dabei bielt der Baron dem 
Hauptmann die Hand hin. 

Doch der zögerte noch immer. 

„Aber Wimbach,“ bohrte nun auch Malmis, „Sie 
fommen wirklich noch zur rechten Zeit.“ 

„Und meine Hilde würde es mir nie verzeihen, 
wenn ich einen von Ihnen entmwifchen ließe. Gie freut 
ih riefig, Sie in a) begrüßen zu dürfen,” 
fügte der Baron hinzu. 


Bon Alwin Römer. 125 
DDr Dre Dede ⏑ ⏑ needed Dede 

„Ganz auf meiner Seite, befter Herr Baron,“ be- 
teuerte Malwitz, den Bart vorfichtig nachftreichend. 

„So viel unverdienter Güte kann ich allerdings nicht 
widerjtehen,“ lächelte Wimbach und jchlug ein. 

ALS der Baron Jochen Sötebier rief, der den Jagd—⸗ 
wagen aus der Remiſe ſchaffen follte, wandte fich 
Wimbach mit der Frage an den Knecht: „Sit hr 
Frölen noch nicht zurück?“ 

„Nä,“ ſagte Jochen und grinfte über das ganze 
Geficht, wohl weil er dieſe Frage in Gegenwart des 
Barons für bedenklich hielt. 

„Das tut mir aber leid,” entgegnete Winbach dar: 
auf, fich zu Neidersberg wendend. „hr Mamfellhen, 
das uns geitern fo famos aufgenommen bat, iſt den 
ganzen Morgen noch nicht fichtbar geworden. Ich hätte 
ihr gern adieu gejagt.” 

„Werd's ihr beitellen, Herr Hauptmann,” fchmunzelte 
Neidersberg und drohte mit dem Finger. „Sie werden 
ihr doch den Kopf nicht verdreht haben?” 

Der Hauptmann errötete leicht, was ihn innerlich 
fehr ärgerte, zumal da er ein leifes ſpöttiſches Lächeln 
darüber um Malwitz' Lippen huſchen ſah. 

„Sie ift ein ganz eigenartiges Berjönchen, da3 mein 
Intereſſe allerdings lebhaft in Anſpruch genommen 
bat,” erflärte er und fah dem Leutnant dabei beinahe 
drohend ins Gelicht. 

„But, daß ©ie fie hier nicht mehr zu fehen kriegen,“ 
lachte Reidersberg. „Sie wären im ftande, fie mir 
abjpenjtig zu machen und von Jaſpershagen zu ent: 
führen.” 

„Nee, das tät’ er nicht,” bemerkte Malwitz darauf. 
„Dazu iſt er zu folide.” 

Der Hauptmann zuckte die Achjeln. „Sprechen wir 
von etwas anderem,” jagte er. „Aber bitte, vergejjen 


126 Namfellden. 

DIR ED ADDED ED FED ED ERD Dr ED Dr Dre Dre Dr-EDr- ED 
Gie den Gruß nicht, und daB es mir ſehr leid getan 
babe.“ 

„Sol beforgt werden, Herr Hauptmann,” verjprach 
der Baron. „Und mas kann ich von Ihnen Binzus 
fügen, lieber Malwitz?“ 

„Ra — mir tft fie ja nicht fo and Herz gemachjen 
in den paar Stunden. Aber einen fehönen Dank jelbit- 
verftändlich, wenn ich bitten darf,” erklärte der Leut- 
nant diplomatifh. Er mollte fich die Ausfichten bei 
einem Manne nicht verderben, der einmal ein ganz 
famofer Schwiegervater zu werden verfprad). 

Inzwiſchen war da3 leichte Gefährt Schon angejchirrt; 
die Herren ftiegen auf, und Jochen Sötebier ließ luſtig 
die Beitfche Inallen. Auf den Wagen zündete man 
fi) eine Frühzigarre an und ließ die blauen Wölkchen 
in die Löftliche, Elare Septemberluft fteigen, ohne dabei 
eine befonder3 lebhafte Unterhaltung zu führen. Erft 
al3 nach einer Stunde Fahrt eine langgeftredte Schloß: 
anlage mit einem ausgedehnten Park dahinter fichtbar 
wurde und der Baron erllärte: „Da liegt der alte 
Kaſten,“ konnte ſich Malwitz nicht enthalten, feiner 
Freude über diejfen ftolzen Herrenfi in enthujiaftifchen 
Worten Ausdrud zu verleihen. 

kochen Sötebier fuhr mit ziemlicher Gefchidlichkeit 
über den rafengefchmücdten Vorplatz, in defjen Mitte 
eine von Ajtern und Georginen umblühte Fontäne die 
Strahlen der Morgenfonne in jprühende Farben zer- 
teilte, und bog dann zur Rampe hinauf. 

Der Baron übernahm fogleich die Führung feiner 
Gäfte. In dem hohen, im Spätbarod gehaltenen Veſti— 
bül, deſſen Wände mit Kapitalgemweihen von verfchie- 
denen Jägergenerationen geſchmückt waren, wehte ein 
falter Hauch, der auf ungemütliche Innenräume jchließen 
ließ. Aber wie fie nun den Salon betraten, der in 


Bon Alwin Römer. | 127 
DD REDrED ED Dre D re Dr De Dr Der Dre Dre Deere 
gut modernem Cinne eingerichtet war und alle die be- 
haglichen Seffel und Lehnftühle aufwies, von denen 
unfere Altvordern noch feine Ahnung Hatten, wirkte 
dieſer Gegenſatz doppelt überrafchend. 

„Ich bitte, mich einen Augenblick zu entjchuldigen,” 
fagte der Baron verbindlich, „dort Liegen die neuejten 
Zeitungen, fogar die Berliner Abendblätter von geitern. 
Wenn Sie inzwifchen einen Blick hineinwerfen wollen?” 

„För Svenska Hem? Iſt das auch ein Berliner 
Abendblatt?” fragte lächelnd Malwis, der an den Tiſch 
herangetreten war. 

„Das iſt natürlich was Schmedifches, lieber Freund. 
Meine Hilde hat fid) das abonniert. Ihre Mutter war 
ja eine Schwedin,” erklärte NReidersberg und ging. 

„Ra, wie finden Sie das hier, Wimbach?“ flüfterte 
der Leutnant, als fich die Tür Hinter ihm gefchloffen 
hatte. „Feudal, mas?” 

Der Hauptinann zudte die Achjeln. „hr Baron 
ift ein ganz prächtiger alter Herr. Aber trodem: ich 
komme mir hier jo überflüffig vor. Jaſpershagen war 
entjchieden gemütlicher,” jagte er laut. 

"Da fchallte plöglich ein filbernes Lachen von der 
Zür her, deren Portieren ich eben auseinander taten, 
und eine ihnen beiden nicht unbelannte Stimme fagte: 
„Das freut mich, Herr Hauptmann, daß Ihnen Jaſpers— 
hagen jo gefällt.“ s 

„Damfellchen!” rief er unmilllürlich und drehte fich 
um, während Malwitz die Erfceheinung im Rahmen der- 
moosgrünen PBortiere ganz entjeßt anftarıte. 

„Buten Morgen, meine Herren!” grüßte Hilde 
fröhlich und trat näher, den beiden ihre Hände ent» 
gegenftredend. „Und herzlich willlommen auf Wilden: 
horſt!“ 

Sie führten beide die ihnen gereichten Hände, die 


128 Mamjelldden. 

I N ra N Fl FT el Fl Pl nF m} 7 PN 
heute viel fchlanfer und formenfchöner erfchienen, an 
die Lippen. Aber fie blieben auch beide zunächſt ftumm. 

„So hab’ ich Sie mir gedacht und mich Schon den 
ganzen Morgen darauf gefreut,“ achte fie übermütig. 
„Eigentlich hätt’ ich ja wieder als Pommerin zum Vor: 
ſchein kommen müffen und die Iuftige Komödie noch 
ein bißchen weiterfpielen. Aber Papa mollte nicht. 
Papa fette fein Amtsvorjtehergefiht auf und verbot 
e3. Hoffentlich mißfalle ich Ihnen jo nicht ganz und 
gar, Herr Leutnant.“ | 

„Ah... im Gegenteil!“ rief, endlich fich aufraffend, 
Malwitz. „Ich ſchwärme fonft nicht für Reform, aber 
diefes KRoftüm macht aus Saulus einen begeifterten 
Paulus. Es Lleidet Sie geradezu phänomenal.“ 

„Finden Gie das auch, Herr Hauptmann?* fragte 
fie mit einem fchelmifchen Geitenblid auf Wimbach. 

„sh muß mich erjt noch von meiner Überrafchung 
erholen, gnädigjte Baroneſſe,“ entgegnete er langſam. 
„Diefe Metamorphoje fommt mir zu unerwartet.” 

„Kann ich für mein Zeil eigentlich nicht behaupten,” 
jchwindelte Ted der Leutnant. „Ich habe geſtern abend 
ſchon jo was bemerkt, wollte aber der Sache nicht auf den 
Grund gehen, um den hübfchen Spaß nicht zu ſtören.“ 

„Ach, wirklich?" fragte ſpöttiſch die kluge Hilde und 
ſah ihm mit einem vieljagenden Blick dicht unter ihren 
Brauen fort in die Augen. 

Der Bli gefiel ihm nicht. Er dachte plößlich daran, 
mas für dummes Zeug er geftern abend alles gefprochen 
und wie er fich bei ihr nach ihr ſelbſt erkundigt hatte. 
Verwünſcht! Und nun fam ihm ins Gedächtnis, daß 
ihm auf Franzöfifch Wimbach gegenüber eine Bemerkung 
über ihres Vaters Reichtum entjchlüpft war. Herrgott, 
wenn fie daS verftanden Hatte! Aber eigentlich war 
diefes Schlimmfte ja wohl nicht zu befürchten. Pie 


Bon Alwin Römer. 129 
ö DE AED ADD Dre De Dee Dre Dede Dede Dee 
pommerjchen Edeldamen waren für gewöhnlich ja nichts 
weniger als perfekte Franzöfinnen, wenn fie nicht in 
Hoffreifen lebten. Und die Mutter mar eine Schwedin 
gewejen. Gott fei Dank, eine Schwedin! Es hätte 
ja fcehlieglich auch eine Franzöfin fein fönnen. Wenn 
der Teufel fein Spiel treibt, paflieren noch fcheußlichere 
Zufälle. 

Der alte Baron, der jest zurüdtehrte, unterbrach 
feine Gedanten. „Ab, da biſt du ja, Hilde!“ rief er 
vergnügt. „Haft du dich ordentlich gemweidet an deinen 
armen Opferlämmern, be? Uber warte mal, ich habe 
dir noch ein paar Beltellungen auszurichten — nämlich 
Herrn Hauptmann v. Wimbach hat es fehr leid getan, 
dich nicht noch einmal gefehen zu haben in <Yafper3- 
bagen, und er läßt dich durch mich hiermit herzlich 
grüßen, während der Herr Leutnant, dem du leider 
nicht jo ang Herz gemachjen bilt in den paar Stunden 
— hahahaha, gut behalten, was, lieber Malwitz? — 
‚dir wenigſtens einen fchönen Dank zuerkennt.“ 

„Das heißt —“ ftotterte der Leutnant in zunehmen: 
der Verwirrung, „ganz fo... äh... war die Sache 
denn doch nicht, Baronefje! ... Ich ... ich mußte 
ja halb und halb, daß wir Sie hier wiederfinden 
mußten, während mein Freund Wimbach allerdings ... 
OB ...“ 

„Ich babe beftellt, was mir aufgetragen worden ift. 
Gie find mein Zeuge, Herr Hauptmann!” rief Iachend 
der Baron, der fich über die Verlegenheit des gemandten 
Gardeleutnants herzlich amüfierte. „Stimmt’3 oder nicht ?” 

„Bis auf den mir freundlicht verliehenen Adel jind 
Sie unſeren Aufträgen ziemlich wortgetreu nachgekom— 
men,” erklärte der Hauptmann mit einer leichten Wer: 
beugung. „Hätte ich freilich gewußt, wer hinter diefem 
anmutigen „Mamſellchen“ verborgen war, fo —“ 

23904. XIII. 9 


130 Dramfellchen. 
DD ED ED Fr RED RD ED RED AD ARD RD AED ADD ADDED re 

„Ach, drechjeln Sie feine Nedensarten, lieber Herr 
Hauptmann! ... Wir find bier in Pommern, wo man 
ein fräftiges Wort verträgt.” 

„sh glaube, ich bin geftern, zumal bei unferer 
Landung draußen, ein bißchen fehr kräftig geweſen,“ 
entgegnete Wimbach lächelnd und die Baroneije mit 
einem kurzen Blid ftreifend. „Wir hatten da ein Suter: 
mezzo wegen einer Herzitärtung —“ 

„Ach ja, Jochen Sötebiers „Damenlikör“!“ unterbrach 
ſie ihn errötend. „sch hatte dem Schlingel den Brannt- 
mein Lonfifziert, weil er drauf und dran war, fich zu 
betrinten. Und wie nun die beiden Herren auf die 
Erde herunterfielen, und es Herrn v. Malwitz dabei ein 
bißchen unheimlich zu werden jchien, fam die Flaſche 
aus meiner Tafche zum Vorſchein und brachte mich in 
den fürchterlichen Verdacht bei den Geftrengen, eine 
Liebhaberin diefes „Damenlikörs“ zu fein! .... Es war 
riefig drollig.* 

„sh bitte zerknirſcht um Verzeihung, Baroneije,” 
fagte Wimbach verlegen. „Aber Sie fprachen ein jo 
wajchechtes Plattdütfch, daß ich wirklich glaubte... 
na, und da bin ich dann wohl allerdings ein bißchen ... 
ich fürchte fogar, ich habe Sie geduzt in der Fritifchen 
Minute.” 

„Ra natürlich haben Sie das,“ beftätigte mit etwas 
Schadenfreude über Wimbach3 Bedrücktheit der Leutnant. 

„Welch ein unglaubliches Verbrechen!” fpottete gut: 
mütig Hilde und fügte, dem Hauptmann die Hand 
reichend, hinzu: „Ich habe da wirklich nichts zu ver: 
zeihen, bejter Herr Hauptmann. Im Gegenteil, Ihr 
Humor hat mich entjchieden zu Dank verpflichtet; denn 
auf dieſer drolligen Verwechſlung bat fich ja nachher 
die ganze nachfolgende Komödie aufgebaut, die mir fo 
viel Vergnügen bereitet bat.” 


Bon Alwin Römer. 131 
UDRD RD RD AD AD ED ED DE DD De IE Dre Der Dr eD 

„Sie haben eine bezaubernde Art, Nachficht zu 
üben, Baroneſſe,“ entgegnete warm werdend der Haupt: 
mann und küßte ihr die Hand. 

„Ja, jo viel Scharfblid haben Sie wirklich lange 
nicht entwidelt, lieber Wimbach,“ fpöttelte Malwitz, 
dem die Situation zwiſchen ‚den beiden ein leijes Un- 
behagen ſchuf. „Geradezu koloſſale Leiftung geftern! 
Kameraden werden fich fchedig lachen, wenn ich erzähle.” 

„Da3 zeigt mal wieder Ihre ganze Unverfrorenheit, 
Malwitz,“ achte ärgerlich der Hauptmann. „Ihr Blick 
mar allerdings während unferer Landung ziemlich ſtarr 
nach innen gerichtet. Aber das werden Gie natürlich 
verſchweigen.“ 

„Und daß Sie ſpäter noch viel ärger gefoppt worden 
ſind, ſtreiten Sie ſelbſtverſtändlich auch ab,“ miſchte 
ſich Hilde ein, die das kleine Scharmützel ſehr beluſtigte. 

„Ah ... ich Hatte Sie doch gleich durchſchaut, Ba- 
roneſſe!“ behauptete der Schlingel Ted. 

„Dafür waren Sie dann allerdings reichlich forſch, 
Herr Leutnant,” erklärte fie. 

„Gerade dadurch wollte ich Sie ja reizen, endlich 
Farbe zu befennen,” parierte er. 

„Sie verftehen es meifterhaft, fich herauszuminden,” 
ladjte fie. „Aber — ich glaube Ihnen trotzdem nicht!“ 

„Dann muß ich alfo gleichfall3 zu Kreuze kriechen 
und um Vergebung betteln?” meinte ex darauf in drolli- 
ger Gefnidtbeit. „Nun ja, ich habe allerdings ein paar: 
mal ziemlich derb deutſch gejprochen, aber —“ 

„Beruhigen Sie ſich nur, deutjch Tann ich eine ganze 
Portion vertragen,” fehnitt fie ihm das Wort ab und 
bat dann auf einen Wink ihres Vaters hin die Herren 
zum Frübftüd. 

Malwitz ließ feine Augen unruhig über ihr Antlig 
gleiten. Es war ihm gemejen, al ob fie in ihrer 


132 Mamſellchen. 
AED AD ED re Dre De DD De Dre Dee Dre Dee 
legten Antwort auf das „deutſch“ einen bejonderen 
Ton gelegt hatte. Flüfterte ihm das nun bloß fein 
Schuldgefühl mißtrauifch zu oder hatte fie wirklich 
gejtern verftanden, was er in feinem Leichtfinn Unkluges 
auf Franzöfifch gefchmagt hatte? Wenn er bloß hätte 
dahinter fommen können! 

An der Tafel hatte er feinen Pla neben ihr, wäh⸗ 
rend Wimbach ihr gegenüber ſaß. Man führte ein 
ſehr lebhaftes und angeregtes Geſpräch, und Fräulein 


Hilde mar dabei von einer fo bejtridenden Lieben3- 


mwürdigfeit, daß ihm langfam mieder die Zuverficht 
wuchs, noch alles zu gutem Ende lenten zu können. 
Den Verſuch wollte er wenigſtens nicht unterlafjen. 
Das war diefes entzüdende Gefchöpf, daS mit allen 
Gaben Fortunas überfchüttet fchien, wahrhaftig wert. — 

Als daher der Baron nach beendeter Tafel die 
Havannas präfentierte und die Herren fragte, ob 
fie fich die Bibliothek anfehen mollten, die ein paar 
alte interejjante Werte über pommerfche Gefchichte ent: 
hielt, die bei Tifche erwähnt worden waren, benußte 
der Leutnant die Gelegenheit, fich ein Plauderviertel- 
ftündchen mit der Baronefje zu fichern. Er ſchützte 
plöglich gefommenes Kopfweh vor und wanderte mit 
Hilde in den großen Park hinaus, aus dem die Eber- 
efyen wie rote Korallen herüberleuchteten. 

„Herrlicher Park, den Gie hier haben, zumal jetzt,“ 
begann er ftimmungsvoll und fügte nach einem leijen 
elegifchen Seufzer Hinzu: „Das find Naturfreuden, die 
wir in Berlin oft jehmerzlich entbehren.” 

„sch Dachte, der Tiergarten wäre ein ganz jchöner 
Erfaß,” entgegnete fie. „Und weiter draußen Schlachten: 
fee, Wannfee, Grunewald, Halenjee —” 

Das gab ihm wieder einen Stich, daß fie Halenjee 
erwähnte. 


Bon Alwin Römer. 133 
DD EDER ED ED AD AD ED ED DD ED ED ED DD ED 

„Halenjee lieben Sie doch befonders,“ jtichelte fie 
nun auch noch. | 

„Wegen der Kafinobälle?” lachte er gezwungen. 
„sch glaube, Sie können mir meine übermütigen Scherze 
von gejtern noch immer nicht vergeben.“ 

„Im Gegenteil. Ich mußte immer wieder lachen, 
wenn ich daran denke. Sie waren ja zu komiſch in 
Ihrer Schwerendterrolle.“ 

„sh freue mich, wenn es Sie amüfiert hat. Aber 
ich hätte wohl den Wunſch, äh... daß Sie fich mit 
der Zeit davon Überzeugen ließen, wie exrnft ich bi3- 
weilen auch fein fann.“ 

„Können Sie das wirklich?” 

„Aber, liebſte Baronejje, halten Sie mich denn 
durchaus für einen Windbeutel?“ 

Sie ſah ihm einen Moment lang in die Augen. 
Dann entgegnete fie gemeſſen: „Aufrichtig gejagt, 
nein!” 

„Bott ſei Dank!” atmete er auf, und gehobenerer 
Stimmung voll erflärte er: „Und Sie werden es be- 
ftätigt finden, wenn Sie mich näher kennen lernen, 
Baronejje. Ihr Herr Vater hat mich eingeladen, meinen 
Herbiturlaub bier al3 fein Jagdgaſt zu verbringen. 
Ich Tomme aber nur, wenn ich weiß, daß ich Ihnen 
nicht unangenehm bin.” 

„Mir? Unangenehm?” unterbrach fie lächelnd feine 
feuriger werdenden Erklärungen. „Aber nicht im ge: 
ringiten! Ich Hoffe, wir werden uns herrlich amüs 
fieren. Ich befomme nämlich auch Beſuch.“ 

„So?“ jagte ex gedehnt, al3 ob ihm Unheil ſchwane. 

„Ein paar BPenjionsfreundinnen haben fich an- 
gemeldet. Sehr jchöne Mädchen! Da merden Gie 
wie der Fiſch im Wafjer in Wonne herumplätjchern 
können.“ 


134 Mamſellchen. 
Do} DLEDED DD ADD ADDED ee Dee DD 

„Dazu brauchen die Benjionsfreundinnen wahrhaftig 
nicht zu kommen,“ flüjterte er kühn. 

„Richt verfchwören!” lachte fie. „Kommen Sie mit 
in den Gartenſaal. Da habe ich da3 ganze Penſionat 
auf einer Photographie. Sie werden jehen, daß e3 
die ſchönſten auf dem Bilde find.” 

Und ziemlich ſchnell fchritt fie ihm den Weg voran 
zur Terrafje, um die Flügeltür zu dem licht gehaltenen, 
offenbar al3 Mufilzimmer benugten Gartenſaal zu öffnen. 

„Sehr bübfche junge Damen!” murmelte er, al3 er 
die ziemlich große Photographie nun in der Hand hielt. 
„Kann man nicht leugnen. Aber —” 

„Bitte, entjcheiden Sie, welche die hübſcheſten von 
allen find. Aber ehrlich!” | 

„But,“ lachte er, „wenn ich die Anmefenden alfo 
ausfchließen muß — daS wollen Sie doch mit Ihrem 
aus übergroßer Befcheidenheit geborenen „ehrlich“ jagen 
— fo gefallen mir die beiden Fräulein hier oben links 
am beiten.“ 

„Und das find fie!” triumphierte Hilde. „Margot 
und Alifon!” 

Er jtußte wieder. Die Namen klangen nicht gerade 
germanifh. Was für ein PBenfionat war denn das 
gewefen, in dem diefer Reidersberg feine Tochter ge⸗ 
habt Hatte? 

„sit diefes Leine Fräulein unten neben der Vor- 
jteherin nicht eine von den Gelſower Heinersdorfs ?” 
erkundigte er fich tajtend. 

„O nein. Das ift eine kleine Melun aus Paris, 
eine Tochter des Minifters. Ich weiß nicht, ob Sie —“ 

„Ah ... aus Paris?” jtammelte er bedrüdt. „Darf 
man fragen ... äh ... wo gnädigfte Komtefje in Pen: 
fion waren?“ | 

„In Brüffel,” erklärte fie. „Rennen Sie Brüfjel?“ 





Bon Alwin Römer. 135 
ID ADED EDDIE DDr DD ADDED ED ED DDr eD 

„Was man in einer Woche jo kennen lernen kann.“ 

„Das ift natürlich) nicht viel,” bemerkte fie. „Ich 
mar beinahe drei Jahre dort. Margot und Alifon find 
gebirene Brüffelerinnen.” 

„Wird mir natürlich ein Vergnügen fein, fie kennen 
zu lernen,” erwiderte er mit einem Verſuch, recht er⸗ 
freut auszuſehen. Aber fein Geficht erfchien verzerrt, 
und feine Stimme klang beifer. „Der Teufel fol fie 
holen jamt dem ganzen Brüffeler Benjionat!” dachte 
er wütend. „Konnte diefer alte Schafstopf feine Tochter 
nicht ebenfogut nach Stralfund oder Schwerin fchiden? 
— Wenn ich bloß erft in der Eifenbahn ſäße! Weiß der 
KRudud, wo diefer Unmenſch, der Wimbadh, bleibt!” 

„Wollen wir jet aud) in die Bibliothek gehen, Herr 
v. Malwitz?“ fragte Hilde freundlich. | 

„Ach ja, bitte, mein Kopffchmerz ift ziemlich fort,“ 
rief er erleichtert umd ließ fich zu den Herren führen. 
Dort nahm er unbemerft Wimbach auf die Seite und 
flüfterte ihm zu: „Wir müſſen fort, lieber Freund, 
der Alte hat die Abficht, ung den Zug verpafjen zu 
lajjen, um uns für den Abend hier zu behalten. Aber 
das geht nicht.” 

„Auf feinen Sal!” entgegnete der Hauptmann. 
„Im übrigen — haben Sie Gnade gefunden, Malwitz?“ 

„Ra ob!” erklärte er jelbjtgefällig und warf einen 
Geitenblid nach dem Niejentifh, an dem Hilde ftand. 
„In vier Wochen fol ich wieder antreten. Weiß frei- 
lich nicht, ob ich gut daran tue.“ 

„Glückspilz!“ murmelte der Hauptmann, und dabei 
hatte er ein Gefühl, al3 würge ihn jemand an der Kehle. 

Als fie Abfchied nahmen, wiederholte der Baron 
feine Einladung au den Sohn jeines ugendfreundes 
und fügte artig hinzu: „Auch Sie find ung jederzeit 
herzlich willlommen, Herr Hauptmann. Ein großer 


136 Dramfelldden. 

Nimrod find Sie ja nicht, wie Sie mir verraten haben, 
aber trogdem braucht man fich auf Wildenhorft nicht 
tot zu gähnen. Es geht manchmal riefig Iuftig bei una 
zu. Nicht wahr, Hilde?“ 

„Sie find ſehr gütig, Herr Baron.” 

„Nein, nein, da3 war feine leere Redensart, bejter 
Herr Hauptmann, kommen Sie wirklich. Das Geſcheiteſte 
ist, Egon bringt Sie gleich mit, wenn er feinen Urlaub 
antritt, und Sie abkommen können. Was, lieber Egon?” 

„Aber jelbftverftändlich,” murmelte Malwitz. 

„Dann kommt auch der große Apfel zur Verteilung,“ 
fagte lächelnd Hilde und fah dem Hauptmann mit 
einem fröhlichen Blick in die Augen. 

„Welcher Apfel?” fragte der Baron neugierig. 

„Das wirft du dann fchon jehen,” wich fie ihm 
lachend aus. 

Nun reichten fie fich noch einmal die Hände, und 
dann ließ Jochen Götebier die Gäule anziehen und 
tutfchierte die Säfte von Wildenhorft flott in den ber- 
niederdämmernden Abend hinaus. 


4. 


Natürlich erhielt der Hauptmann niemals eine Auf: 
forderung von Malwitz, mit nach Wildenhorft zu fahren. 
Es war ihm auch ganz lieb, denn es hätte ihm nur 
Schmerzen bereitet, den überall jchnel in Frauengunft 
Itehenden Leutnant tagtäglich an Hildes Geite beob- 
achten zu müſſen. Daß dieſer fich die Zuneigung der 
fchönen jungen Baronefje erobert hatte, bezmeifelte er 
feinen Augenblid, jo wehe es ihm tat. Er wußte e3 
aus Erfahrung, wie manchen Menſchen ein Glüd nach 
dem anderen mühelos in den Schoß fällt, während 
andere in Sehnfjucht und Unraft vergehen. Ein bitteres 
Lächeln umzucdte ihm die Mundmwinfel, jo oft er daran 


Bon Alwin Römer. 137 
Deere De DD De Deere Dee De dr Dr eD 
dachte. Hätte das holde Edelfräulein an jenem Abend 
auf Jaſpershagen, wo fie ihnen noch als befcheidenes 
Wirtſchaftsmamſellchen galt, das bißchen Franzöſiſch 
gehört, in dem der luſtige Schmetterling für einen 
Augenbli gezeigt Hatte, daß er zu feiner Werbung 
nicht ohne gewiſſe praftifche Erkundigungen fehritt: der 
Gieg wäre ihm wohl etwas ſchwerer geworden. 

Er verlor ſich in taufend unfruchtbare Grübeleien, 
jo oft er daran dachte. Dabei hatte er eine unein- 
geftandene. Angſt vor Briefen mit Dreipfennigmarfen. 
Mißtrauiſch nahm er fie ftet3 zur Hand, wenn der 
Burfche fie brachte, und zögernd beſah er zunächſt den 
Boftjtempel. Denn aus einem jolchen Umfchlag würde 
er ja ficherlich einmal die qualvolle Nachricht von der 
Verlobung der beiden herausholen. 

Da erhielt er eines Mittags ein Stadttelegramm 
vom Baron Reidersberg, in dem Ddiefer ihn bat, den 
Abend mit ihm zu verbringen. Rendezvous: KRaifer- 
feller, Friedrichjtraße. Antwort nach Monopolbotel. 
Eine Weile ſchwankte er. Malwitz hatte ihn ftark ver: 
nachläffigt in den beiden Monaten — Gott fei Dank, 
denn er war ihm unjympathijch geworden jeit Jaſpers—⸗ 
hagen; aber e3 war zehn gegen eins zu wetten, daß er 
dort mit ihm zufammentraf. Und womöglich war die 
Baroneffe auch dabei. Aber diefer letzte Gedanke gab 
für ihn den Ausſchlag. Er ſah fie dann wenigſtens 
noch einmal wieder mit ihren fchalthaft bligenden blauen 
Augen und dem feinen füßen Mund. 

Als er gegen fechs Uhr da3 große, originell ein» 
gerichtete Weinlofal betrat, fand er den alten Baron 
noc gänzlich allein in einer laufchigen Nifche hinter 
rotbeſchirmtem elektrifchen Licht bei einer Flafche Bor: 
deaur. Wie e3 jchien, war er troß des roten Schimmers 
über ihm und vor ihm nicht in der roſigſten Laune. 


138 Mamfellchen. 
⸗— a en 7 m) m TU m) UI I — et — FI) 

„Ein Glüd, daß Sie menigjten3 kommen, liebjter 
Herr Hauptmann,” rief er grollend. „Bon diefem Trob- 
topf, dem Malwitz, ift mir ſoeben eine Abfage zu- 
gegangen. Hat mein Telegramm erſt um fünf Ubr 
vorgefunden, fchreibt er, und gibt deshalb gleich nach 
bier Nachricht, daß er wegen Liebesmahl und Nachtdienft 
leider nicht ablommen fann. Iſt das nicht auffällig? 
Was? Dder glauben Sie den Schwindel?” 

Dabei jchob er ziemlich heftig das Depejchenformular 
zur Geite, um eines von den Rotweingläſern heranzus 
ziehen und e3 dem Hauptmann zu füllen. 

Diefer zudte die Achjeln und fagte lachend: „Es 
fann doch ebenjogut wahr fein, Herr Baron, denn —* 

„sch weiß, was ich weiß,” unterbrach ihn Neiders- 
berg unwirſch. „Das ijt nur Hildes wegen. Die beiden 
haben irgend einen Strubel miteinander gehabt, und 
feiner will natürlich nachgeben, troßdem fie fich gegen 
feitig jehr gern haben. — Wiſſen Cie vielleicht zufällig 
etwas Nähere3?” 

„Keine Silbe! Wir fehen und allerding3 auch felten 
genug jebt.” 

‚Sm... und ich glaubte, Sie fämen täglich zus 
fammen!” 

„Das läßt fich in dem großen Berlin gar nicht 
durchführen. Dazu kam dann wohl fein Urlaub, von 
dem er mir allerdings nicht einmal eine Karte gefandt 
bat. Hat er tüchtig gejchojfen in Wildenhorft?” 

„Er war ja gar nicht da. Als es fo weit war, 
fchrieb er plöglih, daß er an den Rhein müſſe zu 
irgend einer alten Zante. Das fiel mir allerdings auf, 
aber machte mich noch nicht gerade mißtrauiſch. Alte 
Tanten haben ja mitunter Schrullen, zumal wenn fie 
öfter haben bluten müſſen für die Herren Neffen. Aber 
als ich ihn mir heute hierher bejtellen will, macht mir 





Bon Alwin Römer. 139 
aD Deren Dre Dre eDr DD DD DD DD dDdreD 
mein Töchterchen plößlich Oppofition. Sie will ihn nicht 
jehen, weil — ja, weil fie eben nicht will. Sie ift 
nämlich ein ebenſolcher Troßfopf wie er. BZmeifellos 
bat es fie verdrofjen, daß er fich Damals für die Tante 
entjchieden bat, wenn der Hafen nicht vielleicht noch 
tiefer ſteckt. Vielleicht hat auch ein Mädchen das Recht, 
empfindlicher zu fein in folchen Dingen. Na, jedenfalls 
babe ich fie endlich Doch herumgefriegt, indem ich ihr vor⸗ 
[hlug, Sie auch einzuladen. Und nun —“ 

„Kommt der Strohmann und die Hauptperfon bleibt 
aus,” ergänzte matt lächelnd der Hauptmann. 

„Richt doch, Herr Hauptmann. Vom Gtrob: 
mann Tann ganz und gar feine Rede fein,” rief ver: 
legen mwerdend der Baron. „Ich ſchätze Sie wirklich. 
Wäre ich ſonſt jo offen gegen Sie geweſen? Und hätten 
wir beide nicht gemütlich miteinander trinfen und plau- 
dern können, während die beiden Nader fich ausein: 
ander fetten?” 

„sch bin Ihnen auch gar nicht böfe, Herr Baron,“ 
entgeguete Wimbach und jtieß mit ihm an. „Aber 
jagen Sie doch, wo ift denn nun Fräulein Hilde?* 

„Sie muß jeden Augenblid da fein; fie macht nur 
noch ein paar Einkäufe mit unjerem Bajtorsfohn, der 
" bier in Berlin ftudiert. ... Sehen Gie, dort juchen 
fie fchon nach ung,” rief Reidersberg und winkte. Unter 
einem feden Chinchillabarett hervor ließ Hilde ihre 
großen blauen Augen in dem lichtüberfluteten Lokale 
umberwandern, bis fie endlich ihres Vaters lebhafte 
Gebärden bemerkte. Ein anmutiges Lächeln glitt über 
ihr Antlig, al3 ihr der Hauptmann grüßend entgegen: 
trat. Mit einer impulfiven Bewegung jtredte fie ihn 
die Hand hin und fchüttelte fie ihm fräftig, ehe er im 
itande mar, fie an feine Lippen zu ziehen. Dann wurde 
ihm Franz Barthel, der Sohn des Dorfpfarrers von 


140 Mamſellchen. 

ADDED Dre Dee DD red 
Wildenhorft, vorgeftellt, ein fchüchternes Kerlchen, da3 
wohl jein erſtes Semejter in Berlin abjolvieren mochte. 

„Ra, KRinnings, habt ihr nun alles?“ erkundigte 
fi) der Baron. 

„a, Badding, bis auf den Spieltifch für den Herrn 
Paſtor. Darüber find wir nicht fehlüffig geworden. 
Der eine fcheint mir nicht recht praftifch, der Franz 
am beiten gefält. Da mußt du entfcheiden. Wenn 
du willſt, brauchen wir bloß au telephonieren, dann 
ſchickt der Gefchäftsinhaber fie beide her,” erklärte Hilde, 
indem fie fih aus dem warmen Belzjatett herausfchälte, 
wobei ihr Wimbach half. 

„Um Gottes willen!” jträubte fich Reidersberg ent- 
jfegt über den legten Vorſchlag. „Die Berliner denten 
fo ſchon immer, wir Bommern find die geborenen Dös⸗ 
töppe! Das könnte ein fchönes Hallo bier geben! — 
Sit das Gefchäft weit von hier?“ 

„Keine fünfhundert Schritte.” 

„Ra, Franz, dann werd’ ich alfo in den fauren 
Apfel beißen und mich von dir hinführen laffen, damit 
wir bei deinem Vater endlich an einen vernünftigen 
Tiſch zu figen kommen, wenn wir dem unchriftlichen 
Lajter des Skats frönen wollen. Komm, zeig mir 
das Geſchäft.“ 

„Gern, Herr Baron. Aber ich darf wohl erſt Ab- 
ichied von Hilde nehmen, denn ich kann nicht wieder 
mit zurüd. Ich habe nachher leider Verpflichtungen,” 
antwortete der Jüngling. 

„Was Teufel! Haft du vielleicht auch ein Liebes- 
mahl und hinterher Nachtdienft ?* inquirierte mißtrauifch 
der Baron. 

„Nein,“ ftotterte der gute Junge verlegen. „Ich 
fol heute abend einen Vortrag halten im Verein der 
Naturfreunde.“ 


Bon Alwin Römer. 141 


EDDIE ee Dee 





Dede Dee 


„So — jo! Na, dann ftärfe dich wenigſtens mit. 
einem Glas Rotwein, während ich in den Paletot Frieche. 
— Nicht wahr, lieber Wimbach, Sie entfchuldigen mich 
auf die paar Minuten und nehmen fo lange mit der 
Hilde fürlieb?” 

„Bitte jehr, Here Baron,“ entgegnete rot werdend 
der Hauptmann, dem im Grunde feine Herzens nichts 
lieber war, als ein Biertelftündchen mit dem ans 
gebeteten Weſen vertraulich zufammenfigen zu können. 

Franz Barthel machte eine etwas ungelente Ver—⸗ 
beugung, während Hilde ihm noch allerlei Aufträge 
wegen der Verpadung gab. Dann waren fie plößlich 
allein in dem laufchigen Wintel, beftrahlt von dem 
roten Licht des Schirmes, da3 ihren Gefichtern einen 
warmen Hauch gab, und fahen fich prüfend an. 

„Was meinte eigentlich mein Papa mit dem Liebes: 
mabl, da3 Franz Barthel haben jollte?” fragte Hilde 
endlich, um dem Schweigen zwiſchen ihnen ein Ende 
zu machen. 

„Es bezog fich auf die Abjage des Herrn v. Mal: 
wis,“ entgegnete Wimbach, wie aus einem Traume 
auffchredend und reichte ihr das Telegramm, daS der 
Baron zurückgelaſſen hatte. 

Sie lachte leife auf. „Er kommt nicht,” fagte fie 
dann, und eine merkbare Freude tönte durch ihre 
Stimme. „Nun, das Hatte ich erwartet. Dafür wollen 
wir beide nun fo recht nach Herzensluft von Jaſpers— 
hagen plaudern und von Berlin und wovon Sie ſonſt 
wollen.“ 

„Erzählen Sie mir erit, Baroneffe, warum Gie 
jchmollen mit Malwitz. Ihr Herr Vater machte mir 
eine Andeutung —“ 

„Aber eine verkehrte,” verjegte fie ruhig. „Denn 
ich jchmolle durchaus nicht mit ihm, Herr Hauptmann. 


142 Dramfellden. 

ED DD RD Dee Dre De Dee Dre Dre Dre Dre Dre DD DD 
Malmig ift mie höchſt gleichgültig, und nur Papa 
bildet fich ein, daß wir miteinander Verjteden ſpielen.“ 

„Aber Ihr Herr Vater meinte doch, daß —“ 

„Ich mag ihm die ganze Wahrheit nicht jagen, des 
alten Malmig wegen. Das würde ihm wehe tun. 
Und die halbe glaubt er mir nicht.” 

„Iſt fie denn jo jchlimm, die ganze Wahrheit?” 
fragte er zaudernd. 

Da ſchoß es wie Blitze aus ihren jchönen blauen 
Augen, und ihre feinen Nafenflügel fingen an zu beben. 

„Das fragen Sie mich, Herr Hauptmann? Nach 
jenem Abend in Syajpershagen, wo mir einen Moment 
lang in fein Inneres ſchauen fonnten und dort nichts 
wie den nüchternjten Egoismus und die jämmerlichite 
Eitelkeit fanden?” entjchlüpfte es ihr erregt. 

Er bob feine Augen, in denen ein ſeltſames Leuch- 
ten war, zu den ihren, ehe er erwiderte: „So haben 
Sie alles gehört, was er Törichtes ſagte an jenem 
Abend ?* 

„Törichtes?“ nahm fie beinahe zornig das Wort 
auf. „Warum nennen Sie töricht, was feiner Meinung 
nach doc) Flug und felbftverjtändlich mar? Es ijt eben 
eine Art Pflicht, als Seiner Majeftät Gardeleutnant 
eine „gute Bartie” zu machen. Und Taufende erfahren 
es nie, daß fie nur diefer Pflicht zuliebe von den Eltern 
weg nach Berlin und an den Hof fommen. Aber wer 
dahinter fommt, muß mitunter einen herben Elel emp: 
finden. Ein Glüd für mic), daß ich ihn kennen lernte, 
ehe e3 zu fpät war, und mich ſchützen konnte am anderen 
Tage! Das aber danke ich indirekt Ihnen, Herr Haupt: 
mann.” 

„Sind Sie deffen fo ganz ficher, daß nicht bloß eine 
übermütige NRenommierlaune ihm die häßliche Be: 
merkung über die Lippen gejagt hat? Können Sie ihm 


Bon Alwin Römer. 143 
ö— EDT DT ED FE DE DE DD Dr ED ED ED rd — 
nicht Doch noch verzeihen?” fragte er, fich zu Worten 
zwingend, gegen die fein Herz rebellierte. 

„Ich babe ihm längft verziehen,“ erklärte fie lächelnd, 
„wenn man eimem Zalmiring überhaupt zu verzeihen 
braucht, daß er nicht aus Dukatengold ift.” 

„Sie können recht ſarkaſtiſch fein, Baronefje,” mur: 
melte er und biß dann wieder nervös an feinen Tippen 
herum. 

„Aber nur fehr felten. Übrigens hat fich ja Ihr 
Freund, wenn ich ihn jo nennen darf —“ 

„Wir find immer ganz gut miteinander ausgekom— 
men, ohne uns freilich allzu oft zu ſehen,“ fchob er ein. 
„Kaſtor und Pollux find wir nie gemefen.” 

„Run, er hat fich ja längſt zu tröften gewußt.“ 

„Wieſo?“ fragte er erjtaunt. 

„Sehr intim feheinen Sie wirklich nicht mit ihm zu 
ſtehen, was ich übrigens jchon in Jaſpershagen gemerkt 
habe, ſonſt wüßten Sie doch wohl, daß er fich nächſtens 
mit Miß Alice Banjon verlobt.” 

„AH... Sie fcherzen, Baroneſſe!“ 

„Wenigſtens hat es mich nicht etwa tragifch be- 
rührt, als ich es dur Tante Berlau erfuhr heute 
morgen,” fagte fie gleichmütig. 

„So wußten Sie ja ganz ficher, daß er nicht kommen 
würde heute abend?” . 

„sh durfte wenigstens darauf rechnen.“ 

„Und meinten Sie num nicht vielleicht, daß — daß 
auch ich abfagen würde?“ erfundigte er fich ftodend. 

„Nein!“ erklärte fie ehrlich. „Und ich hätte es vecht 
häßlich von Ihnen gefunden, wenn Gie es getan hätten.“ 

„Wahrhaftig?” fagte er, das Herz voll Tyauchzen. 
„Ach Gott, Baronefje —“ 

„Was jeufzen Sie denn fo herzbrechend, Herr Haupt: 
mann 2” 


144 DMamfellden. 
DD TED DD TED ED ED ED ED ED ED De De De ne DD 

„Was ich jeufzte? ... DD... ih wollte... ich 
wollte —“ 

„Was wollten Sie?” 

„sh wollte, Sie wären das „Mamſellchen“ noch!” 
rief er feurig. 

„And was wäre dann?” 

„Dann packte ich Sie in meinen Luftballon und 
flöge mit Ihnen davon, irgendmwohin ... recht, recht 
weit von bier.” 

Sie glühte auf troß des roten Schirmes, der fie 
beftrahlte, und da3 Herz klopfte ihr bis in den Hals 
binauf. „Sie find ja ein ganz gefährlicher Menjch, 
Herr Hauptmann,” wiſperte fie dann, ohne ihn an- 
zuſehen. 

„Fräulein Hilde, würden Sie ſich ſehr wehren?“ 
fragte er. 

„Ich glaube: ja!“ antwortete ſie ſchalkhaft. „Mir 
iſt ein Fahrſtuhl ſchon was Unheimliches.“ 

„Fräulein Hilde,“ murmelte er nach einer Pauſe, 
„wenn ich nun nächſtens nach Jaſpershagen käme ... 
und... und —“ 

„Da würde fich Bapa ganz bannig freuen,” unter- 
brach fie ihn, ihre ins Unendliche wachſende Verlegen- 
beit hinter dem Scherzwort verbergend. 

„Und Gie ſelbſt?“ 

„Ich?“ 

„Würden Sie mir endlich einen gewiſſen Apfel 
zuerkennen, der —“ 

„Sofort. Das heißt, wenn Sie Wort halten und 
mir die Hälfte abgeben,“ verſuchte ſie, ihm nochmals 
zu entſchlüpfen. 

Aber jetzt hatte er die richtige Wendung. „Und 
wenn nun dieſer Apfel ein Leben, ein langes Menſchen⸗ 
leben in Freud und Leid bedeutete — würden Sie ihn 


” 


Bon Alwin Römer. | 145 
dann auch noch mit mir teilen?” forjchte er voll ver- 
baltener Glut. 

„Sie können furchtbar hartnädig fragen, Herr Haupt- 
mann,” jagte fie beflommen und fah ihn zum erjten 
Wale wieder an dabei, nur einen Herzjchlag lang. 
Aber diejer Blick war ein loſer Verräter. 

„Hilde!“ rief er in überflutender Glüdesfülle. 
„Willſt du wirklich ?* | 

„Mit taufend Freuden!” fagte fie ſchlicht, aber innig 
und ah iR ION NEUEN ur die Hand. 

‚Du jiebft ja ganz ſpitzbübiſch — aus, liebe 
Hilde! Habt ihr euch wieder über „Damenlilör” unter⸗ 
halten?” fragte der Baron, der bald nach diefem heim- 
lichen Verfpruch zurücdgelommen mar und jet prüfend 
feine Augen von einem zum anderen gehen ließ. 

„Rein, Vadding,“ lachte fie voll Übermut. „Davon 
war leider nicht die Rede. Aber Heinz Wimbad) bat 
mir verfprochen, un3 in Bälde zu befuchen auf Wilden: 
hoxſt.“ 

„Das freut mich aufrichtig, Herr Hauptmann,” ent: 
gegnete artig Neidersberg, der verdubt den Vornamen 
jeines Gajtes aus Hildes Munde vernommen hatte. 

„Auch wenn ich mit Höchit ernfthaften Abfichten 
über Ihre Schwelle trete, Herr Baron?” fragte der 
Hauptmann in ruhiger Seftigkeit. 

„Aber Hilde!” rief der Baron nun völlig faſſungs— 
[08. „Was bedeutet denn das? ch dachte doch, 
DU — “ 

„Biſt du mir böſe darüber, Papa?“ fragte ſie weich 
und ſah ihn mit ihrem zärtlichſten Kinderblick in die 
Augen. 

„Du weißt wohl, daß ich dir nicht böſe ſein kann,“ 
ſagte er, ſchmelzend unter dieſen ſonnigen Strahlen. 


1804. XIII. 10 


146 Mamſellchen. 

— — — —— — — De De DD De Dede De DD ed 
„ber das kommt mir wirklich fo ganz und gar un— 
erwartet —" | 

„Ach,“ fagte fie fchalfhaft, „und dabei haft du doc) 
immer gejagt, daß für mich einmal einer vom Himmel 
berunterfallen müßte, Vadding!“ | 

„a, das habe ich. Aber dabei doch an ganz wen 
anders gedacht.” 

„And ich immer nur an ihn,“ entgegnete jie,. glüd- 
lich zu Wimbach aufjchauend. 

„Hm ... dann kommen Sie nur, lieber Haupt- 
mann! ... Wann dürfen wir Sie denn erwarten?” 
fragte Reidersberg, von einem fchlecht verhehlten Jubel— 
ruf Hildes freudig bemegt. | 

„Darf ich nächſten Sonntag?” fragte Wimbad) 
itodend. | 

„Aber gewiß. Bis dahin hat fie mich längjft breit 
gefchlagen. Denn wenn ich nicht „ja” jage, wäre fie 
im ftande, mit Ihnen im Luftballon davon zu gehen,” 
lachte Reidersberg und rief den Kellner, um Sekt zu 
beitellen. 


Fr 





Die Hmeisenkönigin. 


Neues aus dem Leben der Ameisen. 


Uon Bans Petersen. 


mit 7 Mustrationen. r (Nachdruck verboten.) 


(W: hätte nicht fchon an einem fchönen Sommertage 
im Walde vor einem der wimmelnden Ameijen: 
haufen gejtanden und ftaunend den Naturgejegen nach: 
gefonnen, die all die vielen taufend Fleinen Tierchen 
zwingen, mit dem gleichen Eifer die weißen Larven und 
Puppen ihrer Brut aus der Tiefe des Neftes in höhere 
Etagen zu tragen. Und dasjelbe Wimmeln, nur von 
der Peripherie des Neſtes nach der Tiefe zu, mar zu 
beobachten, wenn jich der Himmel trübte. 

Die Erkenntnis, daß die Ameiſen jene erjte Mühe 
aufwenden, um die Brut an die Sonne zu bringen, 
die andere dagegen, um fie vor dem drohenden Regen 
zu jchügen, reicht weit zurüd. Schon im Altertum 
haben Naturforjcher dies gefchäftige Treiben in den 
Ameijenfolonien beobachtet, und bei einigen griechifchen 
Schriftjtellern findet ſich bereits die außerordentliche 
Fürforge der Ameijen für das Wohlbefinden ihrer „Eier“ 
gerühmt. 

Aber auch ſchon damals führte die Beobachtung zu 


148 Die Ameijenkönigin. 

a MT U N Ft FL FF IN Re 
einer Streitfrage. Einzelne Autoren behaupteten näms 
lich, daß der Gegenftand der gerühmten Fürforge der 
Ameijen nicht ihre Eier wären, fondern Körner, die zu 
ihren VBorräten gehörten und die fie MIEEL, um fie 
vor Fäulnis zu fchügen. 

Es wird fich ſchwerlich je entjcheiden laſſen, ob diefer 
Streit auf einem Irrtum derjenigen berubte, die das 
le&tere behaupteten. Vielleicht fannten die Alten wirk⸗ 
lih eine Ameijenart, die tatjächlich Getreidelörner in 
unterirdifchen Borratsfammern aufſpeicherte. Dieſe 
Möglichkeit müſſen wir annehmen, feit Charles Dar: 
win jeinen Bericht über die „aderbautreibende Ameife“ 
in Teras veröffentlicht hat. Auf Grund von jahre: 
langen Beobachtungen, die Dort der Naturforfcher Lin— 
ſercom angeftellt hatte, berichtete Darwin an die Linnean 
Society in London über diefe merkwürdige Ameifenart, 
welche in kunſtvollen Anlagen unter einem freisrunden 
Plage wohnt, den fie felbft mit einer beftimmten Sorte 
Rorn bebaut. Um den Eingang zur Burg glätten die 
Roloniften die Oberfläche in einem Kreife von acht bi3 
zwölf Fuß im Durchmeſſer, jo daß dieſer Hof das 
Anfehen eines jchönen Pflafters erhält. Rings im 
Kreife bauen fie das Korn an und pflegen dasfelbe mit 
fteter Sorgfalt, indem fie alle anderen Gräfer und 
Kräuter abbeißen, die etwa dazwiſchen und in einer 
Entfernung von einem bis zwei Fuß außen um den 
Ackerkreis auffprießen. Auch Laffen fie Raum für 
itrahlenförmig angeordnete Durchgänge, wie dies unfer 
nebenftehendes Bild verdeutlicht. Das gebaute Gras 
wächſt auf das üppigfte und gibt einen reichen Ertrag 
kleiner weißer, fiefelharter Körner, die gemöhnlichem Reis 
fehr ähnlich find. „Wenn das Korn reif it,“ fchreibt 
Darwin wörtlich, „wird es forgfältig eingeerntet und 
von den Arbeitern mitjamt der Spreu in die Korn: 


Von Hans Peterjen. 149 
DL ⏑ AD AD AD AD AD AD AD AD AD AD AD ADD AD —— 
fammer getragen, wo es von der Spreu befreit und 
weggepadt wird. Die Spreu wird über die Grenzen 
des gepflafterten Hofes hinausgeworfen. Während 
anhaltenden Regenwetters kommt e3 vor, daß die Vor: 
räte naß werden und der Gefahr ausgefegt find, zu 





Bof der ackerbautreibenden Ameise in Texas. 


fproffen und zu verderben. In diefem Falle bringen 
die Ameifen am erxjten jchönen Tage daS feuchte und 
bejchädigte Korn heraus und fegen es der Sonne aus, 
bis es trocden it, worauf fie alle gefunden Körner 
wieder zurüctragen und wegpaden.“ 

Die Forſchung kennt jegt bereits über taufend Arten 
von Ameifen, deren Lebensmweife fehr verfehieden tft, 


150 Die Ameiſenkönigin. 
RIIRDAD RD RD ED ED DD ED DD DD DD ed DD 
und die Doch alle zu derfelben Inſektenfamilie aus der 
Drdnung der „Hautflügler” gehören, al3 welche fie eng 
verwandt mit den Bienen und Wefpen find. Gemein: 
jame Merkmale ihres Baues find großer Ropf, Träftige 
vorjtehende Oberliefer, gelniete Fühler und feitlich zu- 
jammengedrüdter Thorar, der durch einen mit ein bis 
zwei Knoten verjehenen Stiel mit dem Hinterleib ver: 
bunden ift. Die Ameifen leben in Kolonien vereinigt, die 
fich zu gemwiffen Zeiten aus dreierlei Ständen zufammen: 
jeen, den geflügelten Männchen, den bis zur Mutter: 
ſchaft geflügelten Weibchen und den Fleineren, ftet3 un: 
geflügelten „Arbeitern“ (verfümmerten Weibchen). Bei 
verschiedenen Arten, namentlich des Auslandes, kommt 
noch eine zweite Form von Arbeitern mit ftark ver: 
größertem Kopf und mächtigem Oberfiefer vor, die als 
„Soldaten“ von der gewöhnlichen Form unterfchieden 
werden. Die Weibchen und die Arbeiter (genauer „Ar: 
beiterinnen“) befißen im Hinterleib eine Giftdrüfe, deren 
Inhalt im mefentlichen aus Ameifenjäure befteht und 
gegen den Gegner gefprist wird. Den Menfchen ift 
aber diefes Gift nicht gefährlich; der Geruch wirkt fo- 
gar erfrischend. 

Faft alle Ameifenarten leben in Nejtern, die aus 
vielfach gemwundenen Gängen und Kammern bejtehen, 
unter und über der Erde, in Baumftämmen u. ſ. m. 
angelegt und von der Nachlommenfchaft einer einzigen 
weiblichen Ameiſe, der Ameiſenkönigin, oder einiger 
weniger folcher Ameifen bevölkert werden. Von diefer 
Nachkommenſchaft befteht die große Mehrzahl aus Ar: 
beitern. Sie find es, die wir an der Außenjeite des 
Neftes und außerhalb desjelben an der Arbeit jehen. 
Der Ausbau und die Erhaltung des Neſtes ijt ihr Ge: 
Ihäft. Ihnen fallt das Einholen der Nahrung für die 
Männchen und Weibchen . und die heranmwachfenden 


Bon Hans Peterjen. 151 


ID ED ED ED .ED ID IND IND DAAD TD 


Maden, Larven und Puppen zu, die fie auch füttern 
und pflegen, während die Königinnen unermüdlich dem 
Gierlegen obliegen. Arbeiter verrammeln Abends die 





Meterhohes Waldameisennest. 


Zugänge des Neftes und öffnen diejelben am Morgen. 
Andere übernehmen die Bewachung der Zugänge wäh: 
rend de3 Tages, indejjen die Kameraden auf Nahrung 
ausziehen. 

Wo zwei Formen von Arbeitern vorhanden find, 
fallt den großlöpfigen „Soldaten“ die Nolle der Führer 


152 Die Ameifenkönigin. 
und Ordner auf den Gtreifzügen zu. Sie furagieren 
neben dem Zug der Arbeiter her und zerfchroten größere 
Beuteſtücke, um fie den Fleineren Pameraden mund- 
gerecht zu machen. Kehren die fleißigen Einfammler 
mit gefülltem Bormagen zurüd, fo füttern fie die Larven, 
die Männchen und Weibchen, indem fie ihnen ein Tröpf: 
chen des im Vormagen bereiteten Zuderfaftes in den 
Mund flößen. Bei vielen Arten jchleppen die Arbeiter 
auch mit großer Gefchiclichleit, und oft in Gruppen 
mit vereinten Kräften, lebende und tote Kerfe, Käfer 
und Raupen ins Neft, die dann die Männchen und 
Weibchen und im Neſte bejchäftigten Arbeiter bis auf 
die harte Haut und Schale aufzehren. 

Die Hanptnahrung der Ameifen befteht aber aus 
füßen Säften, welche die „Arbeiter“ Früchten und Blüten 
aller Art, aber auch Tieren, vornehmlich der Blattlaus 
(Aphnis) entnehmen, die aus den „Honigröhren” ihres 
Hinterleibs den Nektar der Ameifen fpendet. Daher 
find die Ameifen immer hinter den Aphniden ber. Gie 
jtreicheln und klopfen fie janft mit den Fühlern, um 
die Abfonderung des Saftes zu befördern. Doch nicht 
nur deshalb Hat man die Blattläufe die „Milchkühe 
der Ameifen” genannt; gemijje Ameiſenarten entführen 
fogar dieſe Honigjpender in ihre Nefter, um fie wie 
Stallfühe auszunugen. In heißen Ländern, wo e3 
feine Blattläufe gibt, vertreten die ihnen verwandten 
feinen Ziladen ihre Stelle. 

Unfere Ameifen bedürfen im Winter feiner Nahrung, 
da fie dann in Erftarrung verfallen. In füdlichen 
Ländern, wo dies nicht der Fall ift, tragen dagegen die 
Ameifen Wintervorräte in ihre Nefter ein, wie wir e3 
bereit3 bei den „aderbautreibenden” fahen. Je wärmer 
das Klima, um fo früher fangen fie an zu fammeln und 
defto ſpäter im Herbſt hören fie auf. 


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Bau neuer Kolonien der amerikanischen Wiesenameise. 


154 Die Ameifenkönigin. 
m TI a? em) um) I 7 I um) I u) un) UF um I m I Fl m Pe) 

Das Leben der Arbeitsameifen außerhalb des Nejtes 
ift naturgemäß viel früher beobachtet und erforjcht 
worden als daS Leben der Ameijengemeinjchaft im 
Net ſelbſt. Es gibt die verjchiedenften Arten von 
Ameifenneftern: Holznefter zum Beifpiel, deren Gänge 
und Kammern in die Stämme Träftiner Bäume gehöhlt 
find, und andere, die aus Holzſpänchen an Bäumen 
durch einen klebrigen Stoff, den die PDrüjenameifen 
beim Bauen abjondern, aufgemauert werden; Erdneiter, 
die in die Erde gegraben und mit einem Erdhügel ver: 
fehen oder unter einem ſchützenden Steine angelegt find, 
und Nefter von zufammengejeßter Bauart, mie die 
unferer Waldameije, die übrigens auch in Amerika 
weite Verbreitung bat. 

Da3 Äußere der Ameifenhaufen im Walde, die oft 
eine Höhe von einem Meter und noch mehr erreichen, 
ift jedem Leſer befannt. Dieſe Nejter beftehen aus 
Blattteilchen, Fichten- und Kiefernadeln, Harzkrümchen, 
Erdklümpchen, Holzſtückchen und haben unter der Boden: 
fläche einen viel größeren Umfang als über der Erde. 
Das Innere diefer Nejter enthält ein Gemirre von 
kreuz und quer laufenden und fich vereinigenden Gängen 
und Kleinen Höhlungen, von welchen nach allen Seiten 
bin Haupt: und Nebenftraßen meit von dem Hügel 
weg führen, die durch das umnunterbrochene Herbei— 
Schaffen weiterer Pflanzentrünmer förmlich geglättet 
find. Zeritört man einen folchen Hügel, jo fommen 
Taufende von Arbeitern in dichten Gewimmel zum 
Vorfchein, die entweder Puppen und Larven flüchten 
oder fogleich mit der Wiederherjtellung de3 Baues be: 
ginnen. Auch die Najenameijen führen vom Eingang 
ihres Neſtes aus regelrechte Straßen nach verjchiedenen 
Richtungen hin. In locderem fandigen Boden find die 
Wände zwifchen den Gängen und Kammern weit dider 


Bon Hans Peterjen. 155 
ADDED AD AD AD AED AD AD I DD DD 
al3 in fejtem Boden. Wird ein Neft übervälfert und 
in feiner Ausdehnung zu groß, jo werden in der Nähe 
Tochterfolonien angelegt. In Amerika gibt es Ameifen- 
arten, welche die Straßen, die von ihren Nejtern aus— 
Itrahlen, mit einer Dede überwölben, zumal diejenigen, 





Prinzessinnen der ackerbautreibenden Ameise spielen vorm Neste. 


welche das Hauptneſt mit den ZTochterlolonien ver: 
binden. 

Sp verfchieden aber auch die vielen Arten von 
Ameifenneftern find, alle find fich darin gleich, daß fie 
das Leben der Königin und ihrer Brut vor unferen 
Mugen verbergen. Die erjten wijjenjchaftlichen Werte 
über das merkwürdige Familienleben der jo hoch be= 


156 Die Ameijenkönigin. 
⏑⏑ De Dre Dee De Dre Dre Dre Dre Dre Der DerD 
gabten Inſekten entjtanden vor hundert Jahren; Die 
grundlegenden Schriften von Latreile und Huber 
erfchienen 1802 und 1810. Der vergleichende Blid 
auf das Leben im DBienenjtaat gejtattete lehrreiche 
Schlüſſe. Aber erjt viel fpäter hat der GSchmeizer 
Forel wirklich umfaljende Studien den Ameifen: 
neftern und dem Leben in ihnen gewidmet, und auch 
Tafchenberg, als er den Band „Inſekten“ von 
Brehm „SUuftriertem Tierleben“ bearbeitete, hat 
noch eingeftehen müſſen, daß die Art und Weiſe, 
wie eine Mutterlolonie gegründet wird, noch nicht 
völlig aufgehellt fei. 

Da kam der englifche Naturforfcher Sir Sohn Lub— 
bod auf die Idee, ſich Fünjtliche Ameijennejter in Glas 
heritellen zu lafjen und in diefen unter genauer Berüd- 
fihtigung der natürlichen Lebensbedürfnifje der Tier: 
chen Meiſenkolonien künftlich Heranzuzüchten. Lubbocks 
Buch „Ameifen, Bienen und Weſpen“, das 1883 auch 
in deutjcher Sprache erfehien, war die Frucht diefer und 
ähnlicher Studien, die er den Bienen und Welpen 
widmete. 

Als Schüler Lubbocks hat neuerdings der Ameri- 
faner Mac Cook viele Umeifenarten von Nord: 
amerifa ſowohl in der freien Natur wie in fünft- 
lichen Neftern beobachtet, und ihm Hat die Wifjen: 
Ihaft jest auch eine bejondere Abhandlung über Die 
Ameijenkönigin zu danken, zu welcher die anjchau: 
lichen Abbildungen gehören, die wir unferen Lefern' 
vorführen. 

Die Bezeichnung „Ameiſenkönigin“ ijt der viel älteren 
Bezeichnung „Bienenkönigin” nachgebildet, mit Bezug 
auf die Ähnlichkeit, die zwischen der Organifation eines 
DBienenjtaates und dem eines Ameijenftaates befteht. 
Bei den wegen ihres Honigs von alter3 her gejchägten 


Bon Hans Peterjen. 157 


ED DAD ADD AD ADDED DD DD DE DD 


und gezüchteten Bienen ift e3 bekanntlich das Schidjal 
jeder weiblichen Biene, die auf dem „Hochzeitszug“ 





Arbeiterinnen treiben Männchen und Weibchen zum Bochzeitsflug. 


einmal von einem Männchen befruchtet ward, ihr Leben 
lang Taufende von Bienen hervorzubringen als Mutter 
eines großen Bienenvolles. Beinahe das ganze Jahr 


158 Die Ameijenkönigin. 

DD RD ED ED DE DrEDe Dre Dr ED ED DE Dre Dee DDr ED 
hindurch legt fie nur Eier, aus denen gefchlecht3lofe 
Arbeitsbienen entjtehen; dieſe fleißigen- Arbeiterinnen 
haben Blütenhonig einzutragen, die Brut zu ernähren 
und Wachs zu bereiten für den Bau der Zellen und 
Waben. Nur im Frühjahr legt die Königin Eier für 
eine Anzahl männlicher und für einige wenige weibliche 
Bienen, von denen jede beftimmt ift, nach ihrem Hoc): 
zeitäflug im Mai gleich ihrer Mutter Gründerin und 
Königin eines neuen Bienenvolfes zu merden. Die 
Fortpflanzung des Gefchlechts ift der Königin raſtlos 
verfolgter Lebenszweck. Diefem Zmed dienen auch alle 
Hilfeleiftungen der Arbeitsbienen. In Liebe und Ans 
bänglichteit find fie ihrer Königin ergeben. Während 
diefe unverdroffen von Zelle zu Zelle ein Ei nach dem 
anderen legt, ift fie immer von Arbeitsbienen begleitet, 
die ihr Nahrung reichen, fie mit den Fühlern jtreicheln, 
mit der Zunge beleden und ihr jede mögliche Aufmerf- 
ſamkeit bemweifen. Dagegen leben die Männchen (Drob: 
nen) von Beginn an als Müßiggänger im Stod, mo: 
bei fie verzehren, was die Arbeitsbienen eintragen, fo 
lange bis eine Brinzefjin ausfchlüpft, welchen wichtigen 
Prozeß ein tutender Ton begleitet, Er ift das Signal 
für die Königin-Mutter zum Auszug. Mit einem großen 
Teil der Arbeitsbienen verläßt fie den Korb, um aus: 
zuſchwärmen und einen neuen Stud, den der Bienen⸗ 
züchter bereit gejtellt hat, zu bejiedeln. Auch jede der 
neugeborenen Prinzejjinnen fliegt aus, jedoch begleitet 
von den Männchen. Die Männchen, die fich ſchon an 
den Tagen vorher im Fliegen übten, umfchmärmen die 
Schöne, die ihrem dunklen Drang zum Hochzeitszug 
folgt. Eines von ihnen gewinnt die Umſchwärmte, die 
Baarung erfolgt und endigt mit dem Tode des Aus: 
erwählten. Befruchtet für ihre ganze Lebenszeit, die 
vier, auch Fünf Jahre währen kann, find die neuen 


Bon Hand Peterjen. 159 
DEI DD RD ED AD ED DD re De Dre Dre Dre Dee D DD 
Königinnen nun im Stande, jährlich) 50,000 bis 60,000 
Eier zu legen. Die Erjtgeborenen begründen das neue 
Geschlecht in neuen Stöden, die jüngite ift Thaonfolgerin 
in dem von ihrer Mutter verlafjfenen Stod. Hier haben 
fic) auch die Männchen wieder eingejtellt, die am Hoch 
zeitsfluge vergeblich teilnahmen. Sie lafjen jich meiter 
füttern, bis es dem fleißigen Nachwuchs an Arbeits 
bienen im Bau zu eng wird, und der Tag der „Drohnen- 
Schlacht“ naht, zu der fich die Arbeitsbienen zur Ver: 
nichtung der Müßiggänger verbünden. In Übermacdht 
fallen fie über die faulen Drohnen ber, wobei, fie ihren 
Stachel gebrauchen, ohne daß diefer abbricht, was ihren 
Tod herbeiführen würde. Die Leichen werden hinaus 
geſchafft. Die Natur, die bei der Hervorbringung der 
Männchen zur Sicherung der Fortpflanzung jo vers 
fchwenderifch war, räumt mit ihnen auf, nun der Nach: 
wuchs gedeiht. 

Ganz wie die Bienenkönigin bringt nun auch die 
Ameijentönigin ein ganzes Boll hervor, von deſſen 
Leben fie den Mittelpunft bildet. Auch fie fliegt als 
Prinzejjin aus zum Hochzeitäflug, und die eine Bes 
fruchtung feßt fie in Stand, ihr Leben lang — von 
den Pauſen der minterlichen Erjtarrung abgejehen — 
Tauſende und Abertauſende von Eiern zu legen. Big 
in den Auguft werden von ihr nur Eier für Arbeits- 
ameifen gelegt, und erjt dann bringt fie die größeren 
Eier hervor, au welchen geflügelte Männchen und 
Weibchen entitehen. 

Auf Grund der Beobachtungen an unjeren heimifchen 
Ameijenarten hat Tajchenberg in Brehms, Tierleben“ von 
dieſem Hochzeitsflug eine ungemein lebensvolle Schil- 
derung gegeben. Zunächſt wird es den Männchen, die 
zu Lufttieren geboren find, in den unterirdifchen Räumen 
zu eng, ſie luſtwandeln auf der Außenfläche des Haufens 





mc: = a a — 


160 Die Ameifenkönigin. 

umher, bejteigen Gräjer und andere Pflanzen in der näch— 
jten Nachbarfchaft und verraten große Unruhe. Zwiſchen 
ihnen erjcheinen Arbeiter, faflen fie mit den Zangen 
und fuchen fie in das Neft zurückzubringen. Diefe Aufs 
regung währt einige Tage, dann aber bietet fich dem 
Blide des Beobachterd ein überraſchendes Schaufpiel, 
eine Hochzeit der Ameifen dar. Nichts Menjchliches 
gibt einen Begriff von dem mirbelnden Aufbraufen, 
von dem ntan nicht weiß, ob e3 Liebe, ob es Wut bes 
deute. Zwiſchen dem Volle milder Brautpaare, melde 
von nicht3 zu wilfen fcheinen, irren Ungeflügelte um- 
her und greifen bejonders die an, welche ſich am meilten 
vermwidelt haben, beißen fie, zerren fie jo ftart, daß man 
meinen jollte, fie wollten fie vernichten. Das ift aber 
nicht ihre Abficht, fie wollen fie vielmehr zum Gehor— 
fam, zu fich ſelbſt zurüdbringen. ... Jetzt grenzt die 
Wildheit an Raferei: in taumelndem Wirbel erheben 
fih die Männchen, nach ihnen die Weibchen, und in 
wechſelndem Auf: und Abfteigen gelangen fie zu be- 
deutenden Höhen. Ein hoch gelegener Gegenjtand,. ein 
Baumgipfel, eine Turmſpitze, ein Berggipfel dient dem 
Zuge gewiſſermaßen als Flugziel. Die Ameijenjchmärme 
an einem fchönen Auguftnachmittage, bejonders nach 
einigen Regentagen, die von gemiljen Arten gebildet 
werden, haben bisweilen die Menfchen in Furcht und 
Schreden verfeßt, namentlich dann, wenn die Schmärme 
einer größeren Landftrede fich zu fürmlichen Wollen 
vereinigt und die Spitzen der Rirchtürme al3 vermeint- 
liche Rauchwölkchen umfchwebt haben. 

Auf die Frage: Wie fieht es während der Schwärnt- 
zeit im Nefte aus und. was wird aus den Schwärmen? 
hatte Tafchenberg vor 25 Jahren die folgende Antwort: 
Bei den fchon einige Tage vor dem Schmärmen be- 
merkbaren Bemühungen der Arbeiter, unter dem ge— 


Bon Hans PBeterfei. 161 
AD AD NDED ED IND AD MED AD ED ADD AED ADD ID 
flügelten Volle Ruhe und Ordnung miederherzuftellen, 
gelingt e3 doch, ein oder das andere Weibchen und 
Männchen zurüdzubalten, welche fich in der nächiten 
Nähe des Neftes paaren. Eines oder einige folcher 
Meibehen find es, die fie in das Weit zurückbringen, 
ihnen die Flügel abreißen, venjelben alle Fürjorge er: 





Ameisenkönigin im Kreis ihrer Leibgarde. 


meifen, fie belecden, füttern und in gleicher Weife be- 
handeln, wie es die Bienen mit ihrer Königin tun. 
rede Stammmutter jorgt nun durch Eierlegen für den 
Fortbeftand des Neſtes. Die Schwärmer gelangen ent- 
fernt vom Geburtsnejte wieder auf die Erde, Taujende 
und Abertaufende werden eine Beute anderer Kerfe oder 
jolcher Tiere höherer Ordnungen, welche Gejchmad an 
ihnen finden, oder die Männchen fterben nach wenigen 
Tagen planlojen Umherirrens eines natürlichen Todes, 
1904. XII. 11 


162 Die Ameifenkönigin. 
Dr Dr Dre Dr DDr erde De 
während die nicht verunglücdten Weibchen Gründerinnen 
neuer Nefter werden, ficher auf verjchiedene Weife bei 
den verfchiedenen Arten, auf welche aber, ift bisher 
noch bei keiner durch unmittelbare Beobachtung felt- 
geitellt worden. 

Mac Cook, der in Texas die „acerbautreibende 
Ameije” fehr genau beobachtete, ftellte feſt, daß bei 
diefer Art die neugeborenen Prinzefjinnen in der Zeit 
ihres Heranreifend bis zum Hochzeitäflug bei fchönem 
Metter oft aus dem Nefte hervorkriechen und es ſich 
in der Nähe des Eingangs im Sonnenfchein wohl fein 
lafjen. Sie fpreizen ihre Flügel, reden ihre Glieder, 
ſchwingen fi auf Grashalme, kurz, treiben allerlei 
VBorübungen für den Hochzeitsflug. Auch) die jungen 
männlichen Slügelträger fommen hervor, mifchen fich 
unter die PBrinzefjinnen und Spielen harmlos mit 
ihnen. 

Ganz anders als ZTafchenberg ftellt Mac Cook das 
- Berbalten der „Arbeiterinnen” des Neftes dar, wenn 
die Stunde des Ausflugs naht. Während Tafchenberg 
annahm, die Arbeiterinnen würden unmillig über das 
Ausbrechen und Ausfcehmärmen der Männchen und 
Weibchen und wären bemüht, fie daran gemwaltfam zu 
hindern, ift es nach) Mac Cook ihr Beftreben, diefelben 
zum Aufbruch zu nötigen. Wie die Abbildung auf 
Geite 157 zeigt, find währenddefjen andere Arbeiterinnen 
am Werk, Blätter zu pflüden und heranzufchleppen, 
um nach dem Aufbruch der Geflügelten die Eingänge 
des Neſtes damit zu verfchließen. Daß die Männchen 
nach dem Hochzeitäfluge fterben müſſen, auch wenn fie 
der Verfolgung durch andere Inſekten entgehen, beruht 
auf ihrer Unfähigteit, jich jelbjt zu ernähren. Ihre 
Kiefern find zu ſchwach dazu. 

Die befruchtete Königin, die nicht den Weg in ein 


Bon Hans Peterjen. 163 


IDADAD DD DD ED DD EDIT DIDI ED DIDI 





Einbringen einer Nlüchtigen Königin. 


Neft findet, deffen Bewohner fie freudig aufnehmen, 
fucht fich auf dem Terrain, auf das fie niederfiel, einen 
geeigneten Pla zur Anlage eines Neftes. Zunächft 


164 Die Anteifenlönigin. 
entlleidet fie fich ihrer Flügel, die ihr für die meitere 
Lebensaufgabe im Neft ja doch nur Hinderlich wären. 
Durch Reiben und Stoßen entfernt fie diefelben. Dann 
friecht fie in eine kleine Erdfpalte oder eine Falte in 
der Ninde eines Baumes und legt hier einige Eier, die 
fich zu Arbeitern entwideln. Dann gebt fie jelbjt auf 
Nahrung aus und bringt Honigfaft heim zur Fütterung 
ihrer Brut, forgt für Neinlichkeit im Neft und beginnt 
den Nusbau desfelben. Sobald die erften Neſtlinge 
entwidelt find, beginnen fie unter Anleitung der Mutter 
diefer in all den genannten Gefchäften zu helfen. ®ie 
Familie wählt, und fo müſſen es die Räume auch. 
Bei der anhaltenden Fruchtbarkeit der Königin würde 
der vorhandene Raum für das neue Gejchlecht oft nicht 
ausreichen, wenn die vielen Feinde der Ameijen nicht 
gleichzeitig für ihre Verminderung forgten. An feinem 
Zage kommt die Zahl vollftändig wieder heim, die 
am Morgen auf Nahrung und zum Furagieren aus— 
309. Je mehr Berlufte aber der Haufe erleidet, um fo 
eifriger wird die Königin in ihrem Trieb, für Erfaß 
zu jorgen. Gie lebt bald nur noch der. Mutterjchaft, 
alle anderen Arbeiten überläßt fie den Arbeitern. Das 
bei ijt fie immer von einem Hofftaat umgeben. Dieje 
Leibgardiften begleiten fie überallhin, und jobald ein 
neues Ei aelegt it, nehmen einige aus der Schar e3 
auf und bringen es in die Kammer, die der Aufzucht 
der Larven und Puppen dient. In jeder Beziehung 
zeigen fie fich der Königin dienjtbar und aufmerkjam. 
Ihre gute Berpflegung wird durch jie ftreng geregelt. 
Zugleich aber bewachen fie fte ftveng, und ihr Leben 
inmitten des Hofftaates ift eigentlich eine glänzende 
Gefangenjchaft. 

In den Tünftlichen Neftern Qubbod3 ijt dieſes Ver— 
hältnis aufs fchärfite beobachtet worden. Hat die 


| Bon Hans Beterfen. 165 

NODOMDAMDADTED EDDIE DD EDDIE DD ED ED - ED .ID 
Königin einmal das Verlangen, einen Weg einzu— 
ichlagen, der der Leibgarde nicht behagt, nähern 
jich ihr fofort einige aus dem Kreis, die ihr mit fanf- 
tem Nachdruck dur Stupfen mit den Fühlern und 
Zupfen an den Beinen beibringen, wohin fie ihre 
Pflicht ruft. Oft geht das nicht ohne Widerftand, 
denn die Königin ift mehrfach fo groß und ftärker 
wie eine Arbeitsameife; aber die Leibgarde geminnt 
jchließlich immer. 

In einem der Tünftlichen Ameifennefter Mac Cooks 
gelang es einmal der Königin, ihren Wächtern zu ent: 
fliehen. Sie gewann den Ausgang und konnte ſich eine 
Meile ihrer Freiheit freuen. Doch gar bald holte die 
Leibgarde fie ein. Alle Höflichkeit beifeite lafjend, faß- 
ten die BZornigen die Entflohene. Vergeblich ſetzte fie 
fich zur Wehr. Bei den Fühlern gepadt, wurde fie zum 
Neſte zurüdgezogen. Den legten Alt diefer Szene zeigt 
unjere Abbildung auf Seite 163. 

Ein beneidensmwertes Leben führt die Ameiſenkönigin 
in dem von ihr gegründeten Staate alfo nicht. Wohl 
jteht fie an der Spite ihres Volkes, aber ihr Volk be- 
herrſcht ſie. Wohl wird fie gepflegt und gehegt von 
ihren Hofitaat, aber diefer regelt ihr Tun und Lafjen 
nach den Intereſſen der Gefamtheit und den Gefegen 
eines demofratifchen Gemeinmejens. 

Ein Vorrecht aber hat die Ameifenklönigin vor ihrem 
Volle, das der Langlebigkeit. Lubbock züchtete in einem 
feiner Fünftlichen Nejter eine Königin, die fünfzehn 
Jahre alt wurde. So alt werden freilich im Freien 
die wenigſten, aber alle doch viel älter als die Ar— 
beiter, von denen wenige das erjte Jahr überleben. 
Das dankt die Königin der ficheren Hut, in der fie im 
Nefte Lebt. 

Nührend ift das Bild von der Trauer der Leib— 


166 Die Ameifenkönigin. 

EDDIE —⏑ —⏑ —⏑ DD -EDrED ED ED DD 
garde um ihre geftorbene Königin, da3 Mac Eoof, 
entwirft. Die tote Königin lag inmitten der größten 
Kammer de3 künftlichen Neftes. Ihre Leibwächter um⸗ 
gaben fie rings und brachten ihre Gefühle zu lebhaften 
Ausdrud. Durch Streicheln und zärtliche® Zupfen 
fuchten fie die Tote aus dem vermeintlichen Schlafe zu 
weden. Doc feine Antwort erfolgte. Die Mutter 
ihres Volles war tot. 


* 





Erkenne dich selbst! 


Hus dem Seelenleben einer Frau. 


Uon Anna Vogel v. Spielberg. 


x (Nachdruck verboten.) 


ie hatte ihn gejehen, heute, nach langer, langer 

Zeit, und nichts in ihrer Seele, fein Überrajchungs: 
Schre und feine Wiederjfehensfreude, fein Beben und 
fein Bangen Hatte fie daran gemahnt, daß er es 
war, den fie einjt geliebt. So ruhig, al3 wäre er ein 
völlig Fremder, hatte fie ihn begrüßt, al3 er nach halb— 
jähriger Abmejenheit wieder gelommen war, fie zu be- 
fuchen. Doch nein! Nicht fie, jondern ihren Gatten, 
feinen Freund! 

Den ganzen Abend war er geblieben. Pen ganzen 
Abend hatte fie ihm gegenüber geſeſſen und nicht ohne 
Teilnahme, doch meist ſchweigſam dem Geſpräche ge- 
laufcht, in welches fich die beiden Gelehrten bald nad) 
dem erjten Hin und Her über die Neije vertieften. 

Er war endlich wieder gegangen. Sie aber blieb 
noch und verjuchte, den Gatten in eine Unterhaltung 
zu ziehen; der aber, von dem langen Gejpräche mit dem 
Freunde ermüvet, zeigte feine Luft, auf ihr Geplauder 
einzugehen. Anfangs jchweigfam und zerjtreut, jagte 


168 Erkenne dich felbft! 
er ſpäter ein paar entſchieden unliebenswürdige, wenn 
auch nicht bösgemeinte Worte, dann kühl: „Gute Nacht!“ 
und ging nach ſeinem Schlafzimmer. 

Verletzt zog auch ſie ſich zurück. Nun ſtand ſie da 
in ihrem Erkerfenſter und blickte umflorten Auges in 
den öffentlichen Park hinab. 

Soeben tauchte groß, in rötlichgoldenem Scheine 
der Vollmond am Horizont auf, und wunderſam, ge— 
heimnisvoll rauſchten die dichtbelaubten Bäume in der 
leichtbewegten Sommernachtluft. Ein ſüßes Gemiſch 
von Jasmin⸗ und Roſenduft zog durch das offene Fenſter 
herein, umkoſte ſchmeichelnd die bleichen Wangen der 
jungen Frau und verwob ſich mit dem feinen Duft 
ihrer dunklen Haare. Sie aber nahm nichts wahr. 
Sie dachte an Menſchenglück und Liebesſeligkeit und 
mußte darüber bitter lächeln. Sie wußte ja, daß nichts 
ſo kuxz ſei als das Glück, nichts kürzer als das Liebes— 
glück, am kürzeſten eines Mannes Liebe. 

Hatte ſie dieſe ſchmerzliche Erfahrung nicht ſchon ge— 
macht — zweimal gemacht? Hatte jener Mann, dem 
ſie nun unlöslich verbunden war, nicht ſchon lange auf— 
gehört, in ihr ſein Herzensglück zu ſehen? Und jener 
andere, der einſt ſo unabſichtlich und unwiſſentlich in 
ihr Geſchick hineingeſpielt, ihr ganzes Denken und 
Empfinden an ſich geriſſen hatte, war nicht auch er, 
der ſie mit ſtummer Glut geliebt, mit ſeiner Liebe längſt 
zu Ende? 

O Liebe! Vielbeſungene Liebe, die ewig währen 
ſoll, wie es die Dichter ſo ſchön lügen! Was bleibt 
von dir zurück als ein zerriſſenes Herz! 

O daß ſie niemals, niemals Frau geworden wäre! 
Daß ſie ein kaltes, leeres Herz beſeſſen hätte, nicht eines, 
welches ſich nach heißer Liebe ſehnte und nach heiterem 
Glücke dürſtete! War ſie als Mädchen deshalb ſo 


Bon Anna Bogel v. Spielberg. 169 
DAAD DD Dr DD DDr DD DD 
übermütig gemwefen, weil ihre jpäteren Jahre in bitterem 
Weh vergehen follten? Mußten dem heiteren, anmut?: 
vollen Mädchen deshalb alle Herzen zufliegen, weil fie 
als Frau das einzige Herz, nach dem fie verlangte, ver: 
lieren follte? 

Er war ein ftolzer, ernfter Mann geweſen und hätte, 
dem Alter nach, beinahe ihr Vater fein können, ihr 
aber hatte er fich in grenzenlojer Liebe unterworfen. 
Und jeßt, nach kaum fünf Jahren, war fie ihm nichts 
als eine Laft, ein Gegenstand der Abneigung! 

War diefes Bemwußtfein nicht erhebend? Konnte 
fie nicht ftolz fein darauf, daß fie mit jenem Übermaß 
der Liebe, das er ihr entgegengebracdht, fo bald fertig 
geworden war? Wie hatte fie es denn nur angefangen, 
woher die Kunſt gelernt, ich Herzen zu erobern, um 
‚fie jo raſch wieder zu verlieren? 

Sie ſann und grübelte in dumpfer Bitterfeit und 
fam mit gleich bitterem Weh nur zu der Meinung, 
daß fie ein Opfer wäre, doch nicht ein fehuldiges. Nein, 
fie trug feine Schuld! Sie Hatte fich nur, tief gefränft 
und tief erbittert über des Gatten NRüdfichtslofigkeit, 
von ihm gewendet, und feine Sache wäre es gemejen, 
fie, die jo maßlos Gedemütigte, die er in feiner Un— 
gerechtigfeit für eine Unterlaffungsfünde der Natur 
büßen ließ, wieder aufzurichten und zu verfühnen. Statt‘ 
deſſen aber fehien er zu erwarten, daß fie, die Be— 
leidigte, ihn, den Beleidiger, noch demutsvoll um Ver: 
zeihung bitte für die Torheit, daß fie die ganze Sache 
fo ernft, jo tragifch aufgefaßt. ... Ha, ha, das war 
zu köſtlich! — 

Arme Frau! Bekehrſt du dich noch immer nicht zur 
Einſicht, daß du allein im Unrecht biſt? 

Sie war ein Weib mit gleich viel Gemüt und einem 
ſehnſuchtsvollen Herzen, doch auch im Bann einer ge— 


170 Erfenne dich ſelbſt! 

ED ED DE De De ee Dre — 
wiſſen Eitelkeit, beherrjcht von den findifchen Verlangen 
jo vieler Frauen, ftetS  gefchmeichelt und verwöhnt zu 
werden, von allem verfchont zu bleiben, was den heiteren 
Bleichmut der Seele ftören Fönnte, Aufgemachjen und 
erzogen in den engen Grenzen bürgerlicher Mädchen: 
bildung, konventioneller Gefellfchaftsregeln, war fie be: 
fangen von dem böfen Wahne unverftändiger Frauen, 
die Fran als „Meifterjtüd der Schöpfung” mülje dem 
Manne immerdar ein Gegenjtand abgöttifcher Ber- 
ehrung fein. Sie hatte al3 ein interefjantes, geiſtvolles 
Mädchen gegolten und mar viel ummorben worden. 
Ihre gejellfchaftlichen Erfolge hatten ihr Selbitgefühl 
ins Maßlofe gejteigert. Sie mwähnte, ein volllonımenes 
Gejchöpf zu fein — innerlich fomohl als äußerlich. 
Das aber war nicht der Fall. Zwar ließ fih im Hin- 
blick auf ihre feelijchen Eigenjchaften — bei ihren zmeis 
undzwanzig Jahren — noch „etwas aus ihr machen”, 
der Ernſt der Ehe mußte ihre heitere Dberflächlichkeit, 
fomwie die eitle Anmaßung und ungebundene Vergnü— 
gungsluft herabjtimmen, doch ihre Erjcheinung durfte 
feinen und konnte nie Anſpruch auf wirkliche Schönheit 
machen. Was fie ſchön machte, kam aus ihrem Innern. 
Das war die anmutspolle Heiterkeit, das filberne Lachen 
und der lebhafte, wißig jehillernde Geift. Damit blen- 
dete, bezauberte fie — mehr vielleicht, als oft eine 
Schönheit bezaubern Tann. Ihr ging’ — um nur ein 
Beifpiel anzuführen — wie e3 jelbjt einem Goethe er: 
gangen: die Anerlennung feines Ddichterifchen Genies 
ließ ihn gleichgültig, doch feine ftümperhaften eich: 
nungen wollte er als Meisterwerke anertannt, bewundert 
willen. Sie glaubte ſchön zu fein und verbarg das 
nicht. Alle Vorzüge, die fie in Wahrheit bejaß, hatte 
fie — ohne fich darüber verlegt zn fühlen — beitreiten 
lafjen, doch wehe dem, der es gewagt hätte, was fie 


Bon Anna Bogel v. Spielberg. 171 
DDmDerEDre Der Dre Ders DderkD-eD 
bloß in der Einbildung bejaß, zu bezweifeln: die Schön- 
beit! 

hr Gatte Hingegen war ein Mann vol ftolger, 
rücjichtslofer Wahrbheitsliebe. Wie jeder Mann von 
Bildung und Gejchmad, ftellte er hohe Anforderungen 
an die Frau, die er gewählt. Streng und unerbittlich 
gegen fich jelbjt, forderte er auch von anderen gleiche 
Gelbitertenntnis, gleiche Selbjtbeherrfchung. So blieb 
er, obſchon gelaffen und kühl in feinem Wefen, unnach- 
fichtlich gegen alle jo oft Nochficht heifchenden Schwächen 
der Frauen. Und follte er die feine auch erft für fich 
erziehen müfjen, frei mußte fie werden von aller Rlein: 
lichteit in ihren Denten und Empfinden, von aller 
Lächerlichteit in ihrem Gebaren! Er war, wenn der 
Afthetifer in ihm zu Worte Tanı, als folcher viel zu 
gemifjenhaft, al$ daß er — bei aller Parteilichfeit für 
feine Frau — ihr, wenn auch keineswegs häßliches 
Geſicht ſchön oder auch nur wirklich hübſch finden 
fonnte. Als fthetiter hätte er fie auch entjchieden 
fchöner gewünſcht. Doch nicht gefchaffen, Unabänder: 
liches zu bellagen und törichten Wünfchen nachzubängen, 
gab er fich damit zufrieden, wie fie war. Nur als ex 
entdedte, daß fie ihre vermeintliche Schönheit insgeheim 
noch zu erhöhen ftrebte durch Schminke, Augenbrauen: 
und Haarfärbemittel, Durch Brenneifen und dergleichen, 
wurde er böfe. Sn aller Entfchiedenheit verbot er ihr 
derartigen Unfug. Sn graufam trodener Wahrbeits- 
liebe jeßte er, allerdings nicht ohne Übertreibung, weil 
eben bejtrebt, ihr das Lächerliche und Sinnlofe ihrer 
Bemühungen recht zu Gemüie zu führen, Hinzu, daß 
fie, ohnedies nicht ſchön, durch ſolch aufdringliches 
„Schönfeinwollen”, ganz abgejehen von der Schädlich- 
teit einiger diejer Verfchönerungsmittel, fich nur zu einer 
— Rarilatur mache. 





an um? ZU —— 


172 Erkenne did) felöft! 
m ED DD ED ED AD AED REDE AD ED ED REDE DC — 

„Ohnedies nicht ſchön!“ rief fie mit heiterem Spotte. 
„Warſt du auch diefer fchmeichelhaften Anficht, als du 
um mich warbft?” 

„Gewiß!“ fagte er ehrlih. „Schön, in des Wortes 
wahrem Sinne, habe ich dich nicht gefunden, jelbft in 
den Zeiten meiner närrijcheften Verliebtheit nicht.” 

„Warum Haft du nich dann zu deiner Frau ge- 
macht?” fragte fie mit ungläubigem Staunen. 

„Weil ich dich liebte.” 

„Und liebft du mich noch?” 

N 

„Warum aber?” 

„Warum, mein Kind? Als ich einft einer Frau, 
durch ihre göttergleiche Schönheit Hingerifien, meine 
Liebe geftand, fragte auch fie: „Warum lieben Gie 
mich?" — „Weil Sie fo bHinreißend ſchön und fo be- 
bezaubernd kokett find!" — „Sonſt nicht3?* fragte fie 
enttäufcht. „Sonft nichts!” mar meine überzeugungs- 
volle, ungefchminkte Antwort. Tych Liebte ja nicht fie, 
jondern nur ihre Schönheit, die aber wurde furz dar- 
auf von den Blattern zerſtört und — ich dachte nicht 
mehr an fie. ... In dir aber liebe ich dich, nur dich! 
Nicht deine Schönheit, denn du bift nicht ſchön. Und 
wenn dein Geficht auch noch weniger hübjch werden 
follte, lieben würde ich dich dennoch. Gib dich damit 
zufrieden, Heine Törin, und zwinge mich nicht in alberner 
Eitelkeit, dich zu belügen. Ich hätte früher allerdings 
nicht. gedacht, daB ich, der „Schönheitsnarr”, eine 
„Nichtſchönheit“ heiraten würde; aber da ich es getan, 
ift’3 gut fo. Ich gäbe dich auch nicht für alle Schön- 
heiten hin. Laß dir’3 daher genügen, daß du mehr bift 
als jchön, daß du liebenswert bift, und wünfche auch 
nicht länger, ſchön genannt zu fein, da du geliebt wirft.“ 

Anfangs gab fie ſich damit zufrieden, denn ſtolzer 


Bon Anna Bogel v. Spielberg. 173 
fehten ihr der Triumph, troß ihres Nichtſchönſeins den 
großen Schönheitsfchwärmer erobert zu haben. Aber 
mit der Zeit genügte ihr dies noch nicht. Der Wert 
der Frau befteht in Züchtigkeit und Schönheit. Beide 
follen bewahrt, behütet werden. Marie unterjchäßte 
nun die erjtere keineswegs, doch, ohne daß fie fich defjen 
Har bewußt gemefen wäre, ftand ihr die letere höher. 
So machte der nur leife eingefchlummerte Glaube an 
ihre Schönheit bald wieder auf, wurde mächtiger als 
je und noch verftärkt durch den törichten Wahn, der 
Gatte wollte fie nicht ſchön nennen, um ihrer Eitelkeit 
nicht neue Nahrung zu geben. Daß fie eitel märe, 
leugnete fie fich gar nicht ab. Sie hielt dies bei einer 
Frau von Gefchmad für begründet, ja für notwendig. 

Rein Zweifel! Er wollte fie nur nicht ſchön nennen! 
Nun aber verlangte fie leidenschaftlich, zu erfahren, 
daß er jie ſchön finde. So oft fich die Gelegenheit 
ergab, forjchte fie vorfichtig nach feinen wahren Ge- 
danfen. Doch immer mar der Sinn feiner Rede: 
„Nein, du bift nicht ſchön!“ 

Und als fie einmal, von Ungeduld erfaßt, alle Bor- 
fiht und Selbſtbeherrſchung vergaß und ihr heftiges 
Verlangen in ebenfo heftiger Weiſe äußerte, da wurde 
er gewahr, daß er zu lange, allzu lange Geduld und 
Nachficht gehabt. So mochte jie endlich die volle Wahr: 
heit hören, um von ihrer „firen Idee“ geheilt zu werden. 
Er dachte gut von ihr. Er hielt fie für ftark genug, 
die Wahrheit zu ertragen, und war im Innern über: 
zeugt, daß ihre Liebe ftärfer fei als ihre Eitelkeit. 
MWenn nicht, wenn er fich in ihr täufchte, dann, aller- 
dings, dann war fie nicht wert, daß er fie liebte. 

Und fo feste er ihr in aller Ruhe, doch mit der 
ſchonungsloſen Offenheit des unbefangenen Kritikers 
auseinander, warum fie, im äfthetifchen Sinne, nicht 


174 _ Erkenne dich ſelbſt! 

DIDI REDDIT —⏑⏑⏑ ⏑ Dr DD 
ſchön fei. Bor allem ihre Nafe — zwar griechifch, 
doch unten zu breit; der Leine Mund zu wenig zart 
gefchweift; die Wangen zu fehmal; die Stine zu fteil; 
der Teint zu unrein und mit kleinen Sommerſproſſen; 
die Augen, zwar ſchön in ihrem feurigen Glanz und 
ihren beredten Ausdrud, doch mißfarbig, nicht braun, 
nicht grau, nicht grün, ein fonderbares Gemifch diefer 
drei Farben; und auch da3 dichte braune Haar von zu 
wenig Glanz und Weichheit, um ſchön genannt zu 
werden. Die Hände, weiß, klein und zart, Doch zu 
mager und ohne edle Form. 

Nein! Schön — das ſei ſie nicht! Durch ihr Ge⸗ 
ſicht und ihre Geſtalt konnte ſie nicht blenden, dazu 
bedurfte es erſt ihres Frohſinns, ihres Benehmens, und 
dieſe Eigenſchaften konnten ja in der Tat auch alle ihre 
Schönheitsmängel vergeſſen laſſen! 

Das alles war trotz des gewiß verſöhnenden Zu— 
ſatzes fo hart, jo bitter, wie es nur die Wahrheit ſein 
kann. 

Sie Hatte ihm mit bangem Staunen gelauſcht und 
feinen Worten — nicht geglaubt. Er übertrieb fo gerne, 
um fie zu neden, fi an ihrem Ärger zu meiden, oder 
auch, wenn e3 fich darum handelte, ihr irgend etwas, 
das er nicht billigte, recht vermwerflich erjcheinen zu 
laſſen. Auf folche Art Hatte er fie fchon von mehr 
als einer Torbeit abgehalten, von mehr als einer Kleinen 
Unart geheilt. Gewiß! Er Hatte wieder einmal jo 
recht von Herzen übertrieben, um fie für ihre Neugierde 
zu Strafen! Es mochte ja das eine oder das andere 
an ihr nicht volllommen fein — aber, du lieber Himmel, 
da konnte er auch lange fuchen, bi3 er auf eine „Boll 
kommenheit“ fäme! Nein, fo viele Fehler, jo abſcheu— 
liche Fehler habe fie nicht, Fönne fie nicht Haben! Dann 
wäre fie ja geradezu eine Vogelfchesche! — Man dente 


Von Anna Vogel v. Spielberg. 175 
nur, fie, die einjt fo Bielummorbene, eine Bogelfcheuche! 
Lächerlich! Hatte fie von früheren Anbetern nicht hun- 
dertmal hören müſſen, daß ihr Geficht von klaſſiſchem 
Schnitte fei, daß ihre Augen, wahre Nixenaugen, jeder: 
mann rettungslos betörten, und daß ihr die paar 
Sommerſproſſen geradezu entzüdend ftänden! Und er, 
der Schönheitsfchmärmer, machte fie zu einer Qogel- 
ſcheuche! Das war zum Zotlachen. 

Damit befchwichtigte fie fih — für heute. Aber 
feine Kritik bejchäftigte von nun ab raftlog ihren Geift. 
Sie wollte prüfen, ob er wirklich ein verläßlicher Kri—⸗ 
tiler wäre. | 

Und fie begann zu prüfen. 

Sie: forfchte unermüdlich im Spiegel, fie verglich 
fich in Gejellichaft mit anderen Frauen, mit anerfannt 
ſchönen Frauen, jo lange, bis fie fich der Einficht nicht 
verfchließen Tonnte, daß ihr Gatte im Rechte fei. 

Nicht Schön! Nicht ſchön! 

Das aber war das Bitterfte für fie, das Bitterfte 
für jedes Weib, daS liebt und dem geliebten Manne 
gefallen will. Und das war ihr verfagt! Piel bitterer, 
viel härter, viel erbarmung3lofer traf es fie, als ſelbſt 
Mighandlungen fie hätten treffen können. Ihr Herz 
erlitt den Todesſtoß bei der Erkenntnis, daß fie nicht 
im ftande fei, Gefallen zu erregen, dem geliebten Manne 
durch ihren bloßen Anblid Genuß zu bereiten. 

Soll aber nicht der Liebe Auge blind fein gegen 
alle Schönheit3mängel im Antlig der Geliebten? Und 
macht die Liebe, die fie bejeelt, nicht ihr Angejicht 
durchgeiſtigt, fie zu einem idealen Schönheitsbilde? 
Sehen müſſen, wie der feine Ajthetifer im ftillen jtets 
Vergleiche anftellte zwijchen ihr und Frauen, die be- 
wunderte Schönheiten waren, und dann in feinen Augen 
lefen zu müſſen: „Schade, jammerfchade, daß du nicht 


176 Erlenne dich ſelbſt! 

ſchön bijt wie diefe hier!“ — Arme, verblendete Frau! 
E3 kam ihr nicht in den Sinn, daß ihr Gatte Wich- 
tigeres zu denken, Beſſeres zu tun hatte, al3 derlei 
müßige Gedanken und Vergleiche anzuftellen. Sie aber 
redete fich das immer wieder ein, verlor das Selbft- 
bewußtfein und den inneren Halt, erfüllt von einer 
jammervollen Überzeugung, er liebe fie nicht, könne fie 
nicht lieben, und nur er mochte wiljen, wie ſchwer ihm 
— dem Schönheitsdurftigen — täglich und ftündlich 
der Anblid feiner „unfchönen“ Fran falle, wenn er aud) 
Großmut und GSelbftverleugnung genug befaß, um ihr 
das zu verbergen. 

Sie meinte tage:, wochenlang, weinte viele bittere 
Tränen — im Verborgenen, aber oft auch vor ihm. 
Sie fühlte ſich fo hilflos in ihrem Sammer, daß fie 
ihn nicht verbergen konnte, und darüber wieder jo zer: 
wühlt von Scham, daß fie ſich am liebjten in tiefjte 
Einfamteit geflüchtet hätte. 

hm wurde das unangenehm. Er fand es zwar 
ſehr begreiflich, daß fie für ihn ſchön fein wollte, er hätte 
e3 fogar begreiflich gefunden, wenn fie es auch für die 
Welt hätte fein wollen, allein daß dies ihre größte 
Sorge war, diefe Bejchränttheit ihrer Auffaffung der 
Liebe ärgerte ihn. Konnte fie ihm diefelbe durch nichts 
anderes bemeifen, als nur durch ihr „für ihn fehön 
fein wollen”? Warum nicht lieber durch die Frage: 
„Bilt du mit mir als Hausfrau und Lebensgefährtin 
zufrieden? Wenn nicht, was muß ich tun, um dich 
zufrieden zu machen?” — Daß e3 fie mit Stolz er- 
füllte, die Gattin eines Gelehrten, eines namhaften 
Hochſchulprofeſſors zu fein, das zu verbergen gab fie ſich 
feine Mühe, aber durfte fie deshalb nie den Gedanten - 
auflommen lafjen, daß ein Mann in folcher Stellung auch 
Sorgen — Schwere Sorgen jeder Art — haben könne? 


Bon Anna Bogel v. Spielberg. 177 
DDr DEI De EDDIE De Dede Dre Dre Dr ED Dee De eD 

Wußte fie nicht, daB Gattenliebe durch mehr als 
bloßes Gefallen erhalten und genährt werden müjle? 
War es ihr unbelannt, daß jeder Mann, gäbe er fich 
auch noch fo ſtolz, oft Stunden arger Riedergefchlagen- 
heit, böjen Zweifel an fich ſelbſt hat und daß da feines 
Freundes Zuspruch jo beilfam ift wie der Troſt aus 
Franenmund? Und hatte fie ihn je gebeten: „Sag, was 
dich kümmert; ich will dich tröften, wenn ich dir fchon 
nicht helfen kann?“ — Nichts von alledem! Gtet3 nur 
diefelbe langmeilige, läppiſche Frage, ftet3 nur dasfelbe 
törichte Verlangen, gelobt, verwöhnt, bewundert zu 
werden. Das mußte ihn endlich erbittern. 

Und es erbitterte ihn immer mehr. Das Haus, die 
Gattin wurden ihm verleidet. Ermüdet und abgejpannt 
von ſchwerer Geiltesarbeit, gedrückt von Sorgen aller 
Art, fühlte er fich bald nur wohl, wenn jeine gejell- 
Ichaftlichen Beziehungen ihn mit Frauen zufammen- 
führten, die nicht bloß fehöner, ſondern auch liebens— 
mwürdiger waren al3 die feine, und — mie er bemerfen 
mußte — auch liebensmerter! 

Das blieb ihr nicht lange verborgen. Krank im 
Gemüte lebte Marie dahin in tiefiter, troftlofer Ver: 
einfamung — fich jelbft zur Lait. 

Da hatte ihr nun — nad) Jahren — das Schidjal 
einen Mann aufs neue entgegengeführt, des Gatten 
Freund, den fte einft als Mädchen angejchmwärmt und 
von dem die Sage ging, er habe auffallende Erfolge 
bei den Frauen. | 

Und diefer Mann, bedeutend jünger als ihr Gatte, 
ließ fie abermal3 zu dem verhängnispollen Wahne 
fommen, fie wäre ſchön. Das hatten ihr, feit fie ver: 
mählt, viele Schmeichler ſchon gefagt, nur der nicht, von 
dem fie es einzig und allein Hatte hören wollen. Jene 

1904. XIII, 12 


178 Erkenne dich felbft! 

DrEDRDERED ED DE DE Dr ED — — EDDIE DD 
anderen aber — was waren das für Männer gemefen? 
Phrafenhelden! Allein diefer da, de3 Gatten Freund, 
ernft und gemeljen, war nichts weniger als ein Mann 
banaler Galanterie und fonventioneller Zügen. Daher 
erfchien ihr fein Urteil über fie glaubwürdig. ALS fie 
zum erften Male aus feinem Munde gehört: „Sie find 
in der Tat eine jchöne Frau!” — da mar es ihr bei- 
nahe zum Weinen gemefen vor tiefer, freudiger Be: 
wegung. Er fand fie aljo ſchön! Schön troß all dem 
jtilen Elend, da3 fie durchlebt und deſſen Spuren auf 
ihrem Antliß fichtbar waren, jener gleichjam verfteinerte 
Ausdrud tiefiter Kränkung, herbſten Grames! 

Er fand fie nicht nur ſchön, er liebte fie auch — Stumm, 
aber ſehnſuchtskrank. So oft ihr Blid den feinen traf, 
erfannte fie darin ein Etwas, welches bejagte, daß diejer 
falte, blafierte Mann fich jtumm und till verzehrte . 
in einer unbezähmbaren Leidenschaft, einem Etwas, das 
bejagte, daß jetzt fo manches, das ihm früher wichtig 
war, für ihn au Wert verloren habe, weil fie, nur fie 
allein al feine Sinne und Gedanten bejchäftige.. Das 
irre Feuer feines fonft ftahlharten Blides, das ſprach 
von einer Seele, in die Verftörung eingezogen war und 
— Zerſtörungsluſt. | 

Unglüdlich und haltlos, wie jede von ihrem Gatten 
vernachläffigte Frau, erfüllte fie diefe ftumme Liebe an: 
fangs mit einer Art wehmütiger Genugtuung und trojt- 
reicher Zuverficht, doch fpäter enıpfand fie feinen anderen 
als den wilden Wunfch, von diefem ſeltſamen Mann 
offenkundig geliebt zu werden. 

Endlich aber kam die Zeit, wo fie e3 nicht mehr 
wagte, fi) zu belügen, wo fie fich vol Scham und 
Schreden eingejtand, daß, wenn er ſpräche, fie ihm 
willen und befinnungslos verfallen wäre. 

Sn Ddüfterer, gramerfüllter Einſamkeit raunte ihr 


Bon Anna Vogel v. Spielberg. 179 
DD ADDED DE DE DE DE DD Dre D Dre DD DreD 
bejtändig etwas zu: Gei feine Törin! Lebe, folang 
du jung bift! Leben aber heißt lieben und genießen.... 
Dein Mann genießt auch. Er genießt das Leben ohne 
dich und ohne Gewiſſensbiſſe. Er läßt ſich's wohl fein, 
dein Gemahl, wohl in dem Bewußtfein, er jei ein Mann 
und diefen alles erlaubt, du aber Frau, und diejer jei 
nicht3 erlaubt, nicht einmal das Recht zu Tlagen, daß 
du von ihm vernachläffigt und verſchmäht bift. Und 
du — du läſſeſt deiner lachen, al3 der bintangejegten, 
der verſchmähten Frau! 

Frau fein! Weißt du, was das heißt? Das heißt 
das elendeite aller Lebeweſen fein und um fo elender, 
je gewiſſenhafter fie it. Denn dann tft jie geboren 
und gejchaffen nur zum Leiden und zum Entfagen — 
entfleivet aller Rechte, gezwungen zu allen Pflichten! 
Giehft du es nicht an dir? Und du empörſt dich nicht? 
Das ift nicht Jugend — das iſt Feigheit! Zeig, daß 
du Mut haft — Mut und Rraft! Nicht nur zum 
Leiden — den haft du bewiejen — auch Mut zur Tat. 
Haft du denn das Recht, den anderen, der nicht fchlechter 
und geringer ift als dein Mann, der dich verfehmäht — 
haft du das Recht, ihn elend zu machen? — — 

Sie blidten beide oft falt, wie der Wahnfinn blicdt 
— verjtört, zerfahren, überreizt von quälenden Ge— 
danten. Und beiden war e3 oft, al3 fühlten fie das 
Nahen jenes Furchtbaren, das Menfchengeift vernichtet 
bis auf den Grund. 

Einmal, al3 er von ihr ging, da blieb fie auf dem 
Diwan figen und ſah ihm nach mit einem dunklen 
Blide. Doch al3 die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, 
da riß fie eine unfichtbare Hand empor und zerrte fie 
hinaus — ihm nach! Sm dritten Zimmer bolte fic 
ihn ein, alS er foeben die Vorzimmertür öffnen wollte. 
Mit Frampfhaften Drude legte fie die Hand auf feinen 


180 Erfenne dich jelbjt! 

— ö DD ED DD ED 
Arm und fah ihn an mit flammendem, wenn aud 
unausgefprochenem Gebieten: „Sprich! Dir gebührt’3, 
zu ſprechen!“ 

hm war es, al3 träfe ihn ein Schlag aufs Herz, 
der feinen ganzen Körper erfchütterte. Doch bald ge- 
faßt, fragte er — ruhig, mie er meinte, ‚in Wahrheit 
aber bebte feine Stimme und feine Lippen zucdten — 
mühſam beherrfeht:. „Was haben Sie mir zu jagen?“ 

„Daß e3 mir unmöglich ift, noch länger ſolche Dualen 
zu ertragen!” wollte fie hinausfchreien, doch, im Inner—⸗ 
jten erjchüttert, ließ fie die Arme fchlaff herabſinken 
und fagte tonlos und gebrochen: „Leben Sie mohl! 
Und — kommen Sie nicht wieder!” 

Sie wandte fich dann und ging mit ſchweren Glie- 
dern auf ihr Zimmer. Dort warf fie fi) auf die Kniee 
und weinte in tiefſter Geelenqual. 

Er .aber ging hinaus. In wildem Unmut warf er 
die Tür ins Schloß, daß es dröhnte, und diefes Ge- 
ränfch verjchlang den gedämpften, heiferen Zornesſchrei, 
der feinen bleichen Lippen entfuhr. 

Wenige Tage fpäter trat er eine Erholungsreife an. 
Ihn trieb es fort, damit er — fern von ihr — fie ver: 
geſſe. Dem Freunde war er dies fehuldig und fich 
felbft, denn er war nicht der Mann, der eines Weibes 
wegen die Pflichten gegen den Freund und gegen fich 
felbft vergeſſen wollte. 

Ohne Abfchied war er fort. In menigen Zeilen 
nur hatte er den Freund von feiner Abreife benach: 
richtigt und ihn gebeten, daß ex ihn bei feiner Frau ent—⸗ 
fehuldige, e3 fer ihm nicht möglich gemejen, fich perjün- 
lich zu verabjchieden. Wie lange er fortbleiben werde, 
hatte er nicht gefchrieben, hatte überhaupt nicht ges 
jchrieben während all der Zeit, die er in fremden Län— 
dern verbracht. 





Bon Anna Bogel v. Spielberg. 181 
IDEE DrrE DE Dr ED ED ED ED DD ED ED ED ED EED ED ED 

Nun weilte er wieder daheim, und heute hatte ihn 
eine nicht zu bezähmende Sehnjucht zu dem Freunde 
geführt. Zu ihm allein! Der Frau desjelben war er 
mit ausgefuchter, Fühler Höflichkeit entgegengetreten. 
Dem Freunde jedoch hatte er eine aufjallende Herzlich: 
feit bewiefen, gerade fo, al3 wollte ex ihm heimlich ein 
großes Unrecht, das er ihm allerdings nicht angetan, 
Doch zugedacht hatte, abbitten. Er hatte beinahe nur 
mit ihm gefprochen; doch wenn er bin und wieder — 
um der Form zu genügen — an dejjen Gattin einige 
Worte gerichtet und ihr dabei notgedrungen in3 Auge 
geblictt, war das fo fremd, fo kalt gejchehen, jo ohne 
jedes Intereſſe, ala fähe er fie zum erſten Male, als 
wüßte er nicht einmal mehr, wie elend er Durch fie ge= 
weſen. Sie war ihm fremd geworden, fremd und gleich» 
gültig. Ä 

Und auch bei ihr mar alle vorbei — vorbei! 

Zu Ende war der böfe, wilde Traum, der fie viele 
Monden lang gequält. Damals hatte fie von Tag zu 
Tag feiner geharrt, gewartet bi3 zur völligen Erfchöp- 
fung — damals Hatte fie im ftillen nach ihm gemeint, 
nach ihm gerufen und ihm gezürnt, daß ihn die Sehn- 
fucht nicht zurüdtrieb. 

Doch unmerklich, aber ftetig hatte fie fich Daran ge- 
mwöhnt, feinen Anblid zu entbehren. Stunden, Tage, 
endlich auch Wochen waren vergangen, ohne daß fie 
feiner gedacht, und dies auch immer ruhiger und frem- 
der, bis ihr endlich jo zu Mute geworden, al3 hätte 
fie da8 alles nur geträumt, als wäre es ein Fieber: 
wahn geweſen. Da hatte fie fich auch gefragt: „Iſt's 
wahr, daß ich ihn. je geliebt habe?“ 

Und heute — bei Tiſche — da hatte fie die beiden 
Freunde insgeheim beobachtet und verglichen. Dabei 
war ihr etwas Seltjames aufgefallen. Warum begriff 


182 Erkenne dich felbit! 

DDr Dre Dee Dre DreDr-eDreDreEDriDreD 
fie nur fo leicht, daß fie den Gatten geliebt, warum 
hingegen ſchien es ihr ganz unbegreiflich, daß fie feinen 
Freund geliebt hatte? Was mar denn dieje3 dunkle, 
unbemwußte Etwas, da3 fich hier wunderte, dort nicht? 
Was war es auch, das fie hier — troß allem inneren 
Groll, troß dem Bewußtjein, daß man ihr ein ſchweres 
“ Unrecht zugefügt — die beiderjeitige Entfremdung fo 
fchmerzlich fühlen ließ, während ihr die mit jenem anderen 
beinahe als Erlöſung fchien? War das die fcheintot 
eingejargte, doch nie gejtorbene Liebe zu dem Gatten? 
Die wahre Liebe, die alles trägt und duldet, die feinen 
Anfang und fein Ende hat? Wenn e3 das war, warum 
fiel e3 ihr aber dann — bei allem inneren Drängen — 
jo jchwer, den erjten Schritt zur Annäherung zu machen ? 

Warum? Weil fie es nicht tun durfte, weil fie zu 
tief beleidigt worden war! 

So dachte fie in nächtlich jtiller Stunde meiter, 
dachte an eine lange, bange, öde, trojtlos öde Yukunft, 
an viele Taufende von Tagen, die einer wie der andere 
verftreichen würden — fo langfam, fo entfeßlich lang— 
fam — und feiner unter allen würde ihr ein wenn 
auch noch jo kleines Glück zu bringen haben, wohl aber 
würden alle von ihr ftet3 dasjelbe fordern: Erfüllung 
ihrer Pflicht, ihrer Lleinlichen Verpflichtungen der Welt, 
dem Haufe gegenüber! So würde Tag um Tag dahin: 
ziehen im alten, faden, leeren Einerlei, und langſam, 
aber ftetig und unaufbaltbar ihr Körper altern und 
ihr Geift ermüden, bis ihre Lippen, die das Lachen, 
das vom Herzen kommt, fehon längft verlernt, für alle 
Zeit verfiummen und ihre fehnjuchtsmüden Augen fich 
zum legten Scjlafe fchliegen würden. Nach einem 
freudenarmen Taſein auf Erden — eine AnDentnue, 
unfaßbare Emigteit! 

Ein tiefer, tiefer Schauder vor dem Elend, da3 





| Bon Anna Vogel v. Spielberg. 183 
I Dr DD Dr Dre Dr ED DD DE DET 
Menfchenleben heißt und Frauenlos, ergriff fie. Jetzt 
ſterben können, fterben mit ihrem wunden, weltmüden 
Herzen — ſterben im Frühling der Natur, beim wunder⸗ 
ſamen Zauberſcheine des vollen Nachtgeſtirns, jetzt dieſe 
Welt verlaſſen dürfen, da ſie ſo ſchön war, ſo voll 
Mondesglanz und Blumenduft — das wäre Glück! 

Glück? 

Hatte denn ſie im Leben einen Menſchen beglückt? 
Hatte ſie es auch nur verſucht, zu beglücken? 

Betroffen fuhr ſie empor. Wer hatte das geſagt? 
Woher dieſe Stimme? 

Mit entſetztem Staunen erkannte fie dieſelbe. Aber 
war dem in der Tat ſo? Hatte ſie wirklich ſtets nur 
das eigene Glück geſucht, ſtets nur an den eigenen 
Schmerz gedacht und nie daran, daß nicht ſie allein 
unglücklich wäre, daß vielmehr neben ihr — einſam, 
glücklos und unbefriedigt — ein Weſen lebt, welches 
gleichfalls Anſpruch habe auf Glück? Nur durch einige 
Türen getrennt war dieſer Mann, dem ſie ſo unendlich 
viel zu verdanken hatte, ehrenwerten Namen, angeſehene 
Stellung und ſorgloſe Exiſtenz. Aber gedankenlos hatte 
fie das alles hingenommen und ihm gelohnt mit alber- 
nen Launen und törichten Troß! 

Als wollte fie Schuß juchen vor dem Ankläger in 
ihrem Innern, blidte fie hilflos, angfterfüllt zum Him— 
mel. Vom nahen Kirchturm fchlug es Mitternacht, 
und jeder dieſer dumpfen Echläge vermehrte ihre Angft, 
erfüllte ihre Phantafie mit unheimlichen Vorftellungen. 

Der volle Mond ftand im Zenith. Er jchien troß 
feines intenjiven Silberfcheines jo blaß, fo fahl wie 
daS blutloje Antliß einer Leiche, und neben feiner großen 
Scheibe verblichen al die Kleinen Eterne, fo daß es 
ichien, als leuchte er allein in der Unendlichkeit. So 
Ihön er ihr gejchienen, bejonders als er, viel größer 





184 Erfenne dich ſelbſt! 

a un Fl 7 un? I me? I un FI um I me? U en? ⏑ me? m? u U ne T ml Ze 7 ef 
noch, in vötlichgoldenem Scheine am Horizont auf- 
geftiegen war — ein guter Freund, ein ZTröfter und 
DVertrauter — fo fchredhaft und furchterregend ſchien 
er ihr nun wie ein tiefbeleidigter, in feinem Zorn un: 
erbittlich jtarrer Gott. Und Feine mitleidige Wolte Fam, 
ihr ihn zu verhüllen! 

Ein unheimliche Graufen befchlich fie — ein bei- 
jpiellojes Angftgefühl. Wohin nur fliehen vor dieſem 
Bilde verfteinerter Erbarmungslofigkeit? Wohin aus 
diefem unheimlichen Raunen, wo ſich's in allen Winkeln 
gejpenfterhaft zu regen fchien? Wohin aus diefer fchuß- 
und troftlofen Bereinfamung? 

Sie lief, von wahnfinniger Angft beflügelt, hinaus. 
Sie lief durch alle Zimmer, riß endlich die legte Tür 
auf und Stand nun, tief aufatmend, doch zitternd ftill. 
Sie war in Sicherheit! Auch bier fehien hell der Mond 
herein, doch fühlte fie fein Bangen mehr. Ste war 
ja nicht allein. 

Das Bett war unberührt. Doch auf dem Diwan 
lag er, zu dem es fie beinahe unbewußt getrieben, jo 
wie ein furchtbefangenes Kind zur Mutter flüchtet, meil 
es fich bier befchüßt, geborgen weiß. 

Bei dem Offnen der Tür war er aufgefahren. 
„Warum fehläafjt du noch nicht?” fragte er heftig. 

„Ich Tann nicht,” entgegnete fie eingejchüchtert. 
Die Hände auf der Bruft gefaltet, ftand fie an der 
Tür, als wagte jie es nicht, näher zu kommen. 

„Du kannſt nicht fchlafen? — Sa, das lange Auf: 
bleiben tut niemals gut — am wenigſten aufgeregten 
PBerfonen!” fagte ex fchroff. „Merk dir's doch endlich 
und geh von nun an früher zu Bett,“ ſetzte er ruhiger 
hinzu, indem er fich wieder auf den Diman legte, in der 
Meinung, fie werde jich nun entfernen. | 

Sie aber rührte fich nicht vom Flecke. Ihre Augen 


Bon Anna Bogel v. Spielberg. 185 
DD DDr ED ED Der DDr DDr ED ED 
bafteten ftarr auf feinem vom Mond hell bejchienenen 
Gefichte. Was fie da ſah, erjcehütterte fie. Bei Tage 
war e3 ihr nicht aufgefallen, da hielten Arbeit, Pflicht 
und Wille ihn aufrecht. Doch jest, im bleichen Lichte 
der ftillen Mitternacht, fand fie ihn um viele Jahre 
gealtert, fo blaß und fahl, jo abgefpannt und fchlaff, 
beinahe verfallen jah er aus. Es fiel ihr plöglich 
ſchwer aufs Herz, daß fie ihn nie gefragt: „Arbeiteſt 
du nicht zu viel? Gönnſt du dir nicht zu wenig Ruhe? 
Leideſt du nicht an deinem Gemüte oder an deinem 
Körper?” BZermalmend Iegte fich ihr da3 Bemußtfein 
ihrer Selbjtfucht auf die Bruft. DO, daß fie gar jo elend, 
fo erbärmlich gewefen und immer nur an fich gedacht! 

„Was willſt du eigentlich?” fragte er nach einer 
Pauſe in müdem Tone. 

„Nichts, Paul,” ermwiderte fie leife und ſtockend. 
„Mir iſt's nur heute fo unheimlich in meinem Zimmer, 
To bange —” Und Elagend, Halb unbemußt, febte fie 
hinzu: „Ich bin zu viel allein.” 

Die tränenmeiche Stimme, das Furchtſame und 
Mehrlofe in dem Wefen der fonjt jo herben Frau rührte 
ihn wider Willen. Dennoch fagte er achjelzudend: 
„Wer bat es jo gewollt? übrigens — leg dich nur 
zu Bett, das ilt das Klügfte, was du tun kannſt.“ 

Gleich einem ausgefcholtenen Kinde wandte fie fich 
mit einem fchmerzlichen Blid ab. Sie fand nicht den 
Mut, das Drängen ihres Herzens in Worte zu kleiden, 
und e3 drängte fie, ihm etwas Angenehmes und Liebes 
zu jagen, mehr als das — ihn um Berzeihung zu bitten. 
Schon hatte fie die Hand auf den Drüder gelegt, um 
jeiner Weifung nachzuloınmen, aber da brach es fich 
Bahn, unaufhaltfam, aus tiefjter Seele. Sie lehnte 
beide Arme an die Tür, grub ihr Geficht Hinein und 
meinte bitterlich. 





186 Erfenne dich felbit! 
ö— ED DEI DD ED ED ne Dre re Dre 

„Was fol das nun wieder?” rief er unmillig. 
„Wenn du fchon fentimental fein mußt, fo fei es für 
dich, mir fehlt der Sinn dafür!” 

Sie meinte fort. 

Endlich fprang er erzürnt auf und kam auf fie zu. 
„Wenn ihr nur mwüßtet, wie widermärtig ung Männern 
eure Tränen find! Sei ftill!" Er ftampfte dabei mit 
dem Fuße. 

Sie aber konnte fich nicht beruhigen. Symmer reicher 
floffen ihre Tränen, immer heftiger fchluchzte fie. Ihr 
Körper wand fich wie im Krampfe. 

Er trat vollends zu ihr und führte fie zum Diman. 
Dort ſank fie wie gebrochen nieder. Ex fehritt durch 
da3 Zimmer und pfiff leife vor fi bin — bei ihm 
das Zeichen äußerfier Erregtheit. Ein paarmal unter: 
brach er fich, blicdte Hart und finjter auf das gequälte 
Weib. 

Endlich wurde fie rubig. Stil und ftumm lag fie 
eine Weile da. Nur ihr Körper bebte unaufbörlich 
unter der Nachwirkung der Schmerzenstränen: Dann 
wollte fie fich aufrichten, doch kraftlos ſank fie zurüd. 
„Ich Tann nicht!” ftammelte fie. „Ich bin jo ſchwach, 
jo elend —“ 

Schon früher hatte es ihn gedrängt, durch fanftere 
Worte ihre Tränen zu Stillen. Nun Efonnte er nicht 
mehr au fich halten, wie ja der Mann überhaupt der 
Frau gegenüber, bejonderd wenn er fie jo hilflos ſieht, 
ftet3 weichmütig und verſöhnlich ift. Er ließ ſich auf 
den: nächitftehenden Stuhle nieder und legte feine fühle 
Hand auf Marien3 heiße Stirne. 

„Was haft du von mir gewollt?” fragte er fanft. 
„Warum bit du gefommen?* 

„Das hab’ ich ja Schon gefagt,“ murmelte fie faft 
unhörbar. „Ich hatte Furcht, ich fühlte mich jo elend 


Bon Anna Vogel v. Spielberg. 187 
um DIDI DD EDDIE DE DDr De Dre 
und verlafjen, jo gottverlaffen —“ Ihre Stimme brach 
in unnennbarem Web. | 

„And deshalb kamſt du zu mir?“ 

„Ja,“ hauchte fie. „Und noch wegen etwas anderem.” 

„Willſt du mir's jagen?” 

Sie verbarg das Geficht in den beiden Händen. 

„3% ſchäme mich!“ 

„Sp arg ift es?“ Das war der. mildlächelnde Ton 
des "Verföhnten Vaters dem Kinde gegenüber, das Ein- 
tehr hält. 

Sie ſchwieg. Mit einem Male aber bob fie fich 
empor und fah ihm ernft ins Auge. „Ich will dir's 
fagen, Baul. ... Ich hielt heute Einkehr in mich felbft 
und erkannte, daß ich verſtockt und ungerecht und voll 
GSelbitfucht gemwejen bin. Doch wenn es möglich wäre, 
wenn du —“ Gie jchlug die Augen nieder, weil fie 
abermals von Tränen dunkel wurden. 

„Wenn ich?” fragte er mit Intereſſe. 

„Wenn du mir’3 möglich machteft, nein, wenn du 
e3 mir erlauben mwollteft, daß ich an dir fo manches 
gutmachen dürfte! — D Paul!” unterbrach fie fich 
mit ſchmerzlicher Innigkeit. „Baul! Ob du es glaubft, 
ob nicht, ich Liebe dich ja — 0, fo fehr — mehr als 
mein Leben!” Und mit fliegenden Atem, mit zitternder 
Stimme und zerriffenem Tone fuhr fie fort: „Ya, Baul, 
ich liebe dich, mit jener Liebe, welche durch nichts getötet 
werden kann, durch Fein von div mir zugefügtes Leid, 
durch feine Kränkung, durch feinen Schmerz! Die Liebe 
glüht und blüht dennoch fort, wenn jte auch feine andere 
Nahrung Hat als Schmerzen, die im ftillen bluten, 
doch ihrem Keime ewig neue Kraft zuführen. ... Und 
nun,” fie ſprach es leife und mit zudenden Lippen, „nun 
mach mit mir, was du mwillft.... Gutes hab’ ich nicht 
verdient,” murmelte fie erjticht, aber — fei barmherzig!” 


188 Erkenne dich felbft! 
DD EDITED EDrEDrEDrED ED ED ED MID ED AED ED ED ED 

Er war ſehr ernjt geworden und blieb eine Weile 
ftil. „Und das, Marie, das alles ift dir heute Klar 
geworden? Gerade heute?” fragte er dann leife, ohne 
feine Bewegung zu verbergen. 

„sa, Paul, heute!” entgegnete fie mit blutüberfüllten 
Wangen. Sie fämpfte mit fich felbft. „Ich will dir 
alles jagen, Paul!” ſetzte jie jtodend hinzu. „Ich habe 
deinen Freund geliebt — oder zu lieben geglaubt —“ 

„Meinst du, ich hätt’ es nicht bemerkt?“ unterbrach 
er fie milde. „Ich ſchwieg, weil ich meines Freundes 
fiher war. Er ift feiner von jenen, die fich über alle 
Bedenken hinwegſetzen. Die Frau gilt ihm zwar wenig, 
aber der Mann, der Freund gilt ihm alles. Es gibt 
Männer, die euch Frauen ehren wie ihresgleichen, aber 
es gibt auch ſolche — und zu dieſen zählt mein Freund 
— die in euch nur ein Spielzeug fehen, mit dem man 
macht, was man will.“ 

„Und du? Zu welchen gehörſt du?” fragte fie be 
Elommen. 

„ge nachdem,” war feine Antwort. „Die Frau, 
wie ich fie will, ift die Frau, die alles, was gut ift, 
jein kann: jetzt ein liebes, heiteres, demutsvolles Kind, 
das mich erfreut, erheitert, dann ein mitempfindendes, 
felbftlofes Weib, das mich in böfen, kummervollen 
Stunden erhebt und tröftet, endlich eine Eluge, ernite 
Freundin, die mich verjteht, der ich vertrauen kann wie 
einem Freunde, wie mir ſelbſt. Eine folche Frau achte 
ich dem Manne gleich, ja vielleicht höher als ihn. Die 
anderen aber, die Liebe nur fo lange fühlen können, 
als ihre Eitelkeit nicht verlegt wird, Weiber, die jeder 
Mann mit Schmeicheleien gewinnen Tann, die bloß 
reizen, gefallen und genießen wollen — dieje find auch 
mir nur das, mozu fie fich jelbjt machen: eine 
Sache, die man wegwirft, wenn man ihrer ſatt ift.“ 


Bon Anna Bogel v. Spielberg. 189 
DDr DDr DDr Dre Dre ⏑ DDr Dre Der De De DereD 

Marie blidte ſtarr vor fih hin. Was er gejagt 
— hatte es nicht auf fie gepaßt? 

Don einer heißen Schamempfindung übermältigt, 
fıhlug fie die Hände vor das Geficht, und tonlos rang 
es fich von ihren Lippen: „Zu diefen zählte auch ich, 
denn Schmeicheleien betörten mich! Nach ihnen geizte 
ih, für fie jchien ich dich verraten zu dürfen.” Eine 
Weile brütete fie vor fich hin. Plöglich rief fie leiden- 
fhaftlid aus: „Doch nein — nein! Ich habe dieſen 
anderen nicht geliebt! Mein Herz nicht! Das Bing 
an dir — an dir allein! Hätt' ich mich fonft im letzten 
AHugenblid von dem Berfucher Losgeriffen? Nein, ich 
gehöre nicht zu ihnen, glaub es mir, Paul!” 

„Das weiß ich,” jagte er voll Überzeugung. „In 
deinem Befige war ich auch glücklich — o, jo glüdlich 
— folange du liebenswürdig und einfichtsvoll warft. 
Da vermißte ich die Schönheit nicht. Doch als du das 
Gegenteil murdeft, verſchwand mein Gefallen an dir. 
Ihr Frauen wißt nicht, wie wenig ihr oft bedürft, um 
zu gefallen, doch auch wie wenig nötig ift, daß ihr eud) 
uns verleidet.” 

„Du Haft mich wohl jehr gehaßt?“ fragte fie. 

„Gehaßt, Kind? Nein, du wart mir nur unangenehm 
geworden.” | 

„Halt du die Abficht gehabt, dich von mir zu trennen, 
Paul?” 

„Manchmal hab’ ich wohl daran gedacht.” 

„Und warum haft du e3 unterlajjen?“ 

„Barum? Weil du deine Pflichten als Hausfrau, 
troß allem, was un3 trennte, genau erfüllteft, und dann 
— ich weiß e3 felbit nicht, warum. Vielleicht deshalb, 
weil ich dich vordem zu fehr geliebt, und die Erinne— 
rung daran mir vermehrte, dich in die Lage einer ge- 
fehiedenen Frau zu bringen, allen Stürmen und Fähr— 


190 Erkenne dich felbjt! 

DI DD DDr Dre DDr Dre DD De DD Dee DreD 
nijfen des Lebens preisgegeben, verdächtigt von der 
Melt, verfucht von Böſem.“ 

„Und Haft du nie gehofjt, gemwünfcht, e3 möge 
zwifchen uns bejjer, ſchöner werden?“ fragte fie leife. 

„Sehofft wohl nidyt, dazu war id) zu wenig Optis 
mijt. Jedoch gewünſcht hab’ ich es oft — oft. Es iſt 
doch bitter, zu mwiljen, daß man an ein Wefen gebunden 
ift, mwelche8 uns fremd, ja feindfelig gegenüberfteht. 
Man kann fich feiner auf gefeßlichenm Wege zwar ent- 
ledigen, Doch die Erinnerung daran wird uns jtet3 
verftimmen. Und — jage felbit — gibt es etwas 
Schöneres als zwei verjühnte Feinde?“ 

„Du fragit noch?“ rief fie und fchlang die Arme 
um feinen Hal3. | 

Er 308 fie nicht an fih. Er hatte fie noch etwas 
zu fragen. 

Und er fragte mit verftohlenem Lächeln: „Wirjt du 
mich wieder quälen mit deinen Fragen, ob du ſchön 
bitte Wirt du Dich wieder von mir wenden, wenn 
ich Div fage, du biſt's nicht?“ 

Beihämt im Innerſten verbarg fie ihr glühendes 
Geficht an feiner Bruft und murmelte: „Mußt du fo 
graufam fein, mic) mit diefer Frage an meine erbärm- 
liche Kleinlichleit zu erinnern?“ 

„sa, Kind, das mußte fein!” erwiderte er. 

„Mir aber bat es weh getan, Paul!” 

„Glaubſt du, mir war es angenehm, wenn du mich 
früher immer zwangſt, dir eine bittere Wahrheit zu 
Tagen?“ 

Gie ſchwieg. Er hörte nur, wie ſchwer der Atem 
fiy ihrer Bruft entrang. Er beugte fein Geficht zu 
ihr hinab und fragte leife, unterdrüdt: „Kann ich jeßt 
an dich glauben, wie ich früher an dich geglaubt? 
Wirſt du mich nicht wieder enttäufchen?“ : 


Bon Anna Bogel v. Spielberg. 191 
DD Der ED Dr ED EI DDr Dre DDr 

„Baul, o Paul!” flehte fie mit erſtickter Stimme. 
„Schone mich!“ 

Er ſchlang leidenschaftlich fehnend feine Arme um 
ihre Schultern und küßte mit heißen Lippen ihren Mund. 
„Mein liebes Weib!’ flüfterte cr tiefbemwegt. 

Da Fam es über fie, wie die Erjehütterung wohl 
über einen kommen mag, der, auf Lebenszeit verurteilt, 
lange Jahre ſchon eingekerkert, jeder Hoffnung bar, 
wieder Menjch fein zu können, fich der Freiheit wieder: 
gegeben flieht. Da fühlt er fich durchrüttelt von etwas 
Furchtbarem, von dem er nicht zu jagen weiß, iſt's 
Schmerz, iſt's Wonne, Leben oder Tod. ... Da fchlang - 
fie die Hände um feine Schultern und jubelte und 
Schluchzte in einem Atem: „Dein — dein mit jedem 
Atemzuge!“ 





Im Dordseebade. 


Zeitgemässe Winke und Ratschläge. 


Uon Lothar Brenkendorf. 


F 


mit 12 Illustrationen. Machdruck verboten.) 


Wen die langen, ſonnigen Sommertage kommen 
und mit ihnen die Sehnſucht des Städters nach 
einer Flucht an das Herz der Natur, jo erhebt ſich 
alljährlich aufs neue der nie entjchiedene Streit zwiſchen 
den Gebirgsjchwärmern, die nur im Dämmerjchatten 
romantifcher Bergmälder oder in der bedrüdenden 
Großartigkeit fchroffer Feljenfpigen die höchſte Offen: 
barung wahrer Naturjchönheit zu erbliden vermögen, 
und den Meeresenthufiaften, die mit der Überzeugung3- 
feftigfeit von Fanatitern behaupten, daß der an Leib 
und Seele erholungsbedürftige Stadtmenfch nur aus 
dem falzigen Ddem der majeftätifchen See Genejung 
und Erquickung trinten fönne. In der Regel find die 
einen jo wenig zu überzeugen als die anderen, 

Aber es läßt fich nicht leugnen, daß der tatjächliche 
Erfolg gewöhnlich der leßteren Kategorie von Natur: 
freunden recht zu geben jcheint. Wer aus einem See— 
bade, zumal aus einem Nordfeebade, zurückkehrt, der 


1904. 


ATI. 





| 
| 
N 


\ 





Zur Ebbezeit. 


194 Im Norvdjeebade. 

ODE DD ⏑ ⏑ DA DD ADD ADD AD ADDED 
bringt beinahe immer fräftigere Farben und Gejund- 
beit jo offenfichtlich auf feinen Wangen mit, dem leuchtet 
die gejteigerte oder wiedergejchentte Lebensfreude jo 
bell aus den Augen, daß man bei feinem Anblid an 
die alte Mär von dem Sungbrunnen erinnert wird, 
dejjen wunderwirkende Flut den müde und hinfällig 





— — 





Yorlesung am Strande. 


gewordenen menschlichen Körper von allen Gebrecjen 
befreit. 

Zwei KRurmittel find e3, deren Zuſammenwirken 
dieje faſt immer augenfälligen Erfolge hervorbringt, 
und fie jtehen dem Bejucher des Seebades in unerjchöpf: 
licher Fülle zur Verfügung. Ihre Anwendung ift mit 
teinerlei Unbequemlichfeit verbunden, und das eine von 
ihnen, das nach der Anficht mancher ärztlichen Autorität 








Bon Lothar Brentendorf. 195 

DD AD DD DD ⏑ DAAD DD DD 
jogar da3 bei weiten wichtigere ijt, wirkt ohne jedes Zu- 
tun des Erholungsbedürftigen fortwährend auf ihn ein. 
Diejes unjchägbare Rurmittel iſt die Luft, die wir 
am Geejtrande atmen, deren mwürziger Hauch die un: 
bedeckten Teile unferes Körpers bräunt und deren be- 


i — — ir. * 





en Se 


Bohe Flut. 


lebende, kräftigende Wirkung wir deutlich verjpüren, 
wenn mir Gelegenheit haben, ihr für fürzere oder 
längere Seit unjeren ganzen Leib unverhüllt preis 
zugeben. 

Für dieſe bejonderen anregenden und abhärtenden 
Eigenfchaften der Seeluft, zumal an den Küften der 
Nordjee und auf den diejer Küfte vorgelagerten Inſeln, 


196 Im Nordſeebade. 
⏑ ⏑ ⏑⏑ ⏑⏑ ⏑⏑⏑—C————— ED 
läßt ſich leicht eine Erklärung finden. Sie wirkt auf 
die menſchliche Haut und damit auf den geſamten 
Organismus zunächſt als ein thermiſches Reizmittel, 
indem ſie eine vermehrte Wärmeabgabe bedingt und 
den Körper damit zu einer erhöhten Wärmeerzeugung, 
alſo zu einer geſteigerten Lebenstätigkeit nötigt. Denn 
die Luft über dem Meere und an ſeinen Geſtaden iſt 
während der Sommermonate relativ kühl, infolge ihres 
hohen Feuchtigkeitsgehalts ein ausgezeichneter Wärme— 
leiter und überdies faſt immer ſo ſtark bewegt, daß die 
„Durchlüftung“ zu einer ſehr energiſchen und ausgiebigen 
wird. So gering auch ſcheinbar der Kraftaufwand ſein 
mag, deſſen wir bedürfen, um einem kräftigen Seewinde 
Widerſtand zu leiſten, von ſo weſentlichem Einfluß iſt 
doch auch dieſer auf den Stoffwechſel innerhalb unſeres 
Organismus. 

Der von der atmoſphäriſchen Luft über dem Binnen- 
lande nur felten erreichte hohe Feuchtigleitsgehalt der 
Geeluft, ihre Sättigung mit fein verteiltem Salz 
wirkt außerdem ungemein mwohltätig auf die Atmungs- 
organe. Er befördert die Schleimabjonderung und 
macht jeden Atemzug zu einer wirklichen Erguidung. 
Batienten mit chronifchen Katarrhen der Luftmege, mit 
Heufieber und Heufchnupfen, Keuchhuften und nicht zu 
weit vorgejchrittener Lungentuberkuloſe verfpüren denn 
auch zumeift am eheften die heilfame, lindernde Wir- 
fung der Geeluft, und ihnen kann während der geeig- 
neten Jahreszeit faum ein befjeres Rurmittel empfohlen 
werden als der Aufenthalt am Meere. 

Der Umftand, daß die Temperatur durchjchnittlich 
eine relativ niedrige ift, bedeutet dabei, fofern der Kräfte: 
verfall nicht Schon gar zu weit vorgefchritten ift, keine 
Gefahr. Man braucht filh an der See nicht vor. Er: 
fältungen zu fürchten, es wäre denn, daß man fie Durch 





Jm Wellenschlag. 


4de1dogogdaageygqatT 420 


198 Im Norvdjeebade. 

DD AD AD ID AD AD AD AD AD AD AD DD DD — 
Leichtfertigteiten geradezu herausfordert, denn fogenannte 
Erkältungen werden meift nur durch fchroffen Tempe: 
raturmwechjel, wie.er in manchen Gebirgsgegenden zu den 




















häufigen Erſcheinungen gehört, hervorgebracht, und einer 
der mejentlichiten Vorzüge des Seeklimas ift gerade 
jeine Gleichmäßigfeit, die. nur geringe Wärmeſchwan— 


Bon Lothar Brentendorf. 199 


DMDADMDAD ED ED NDAD ID AD AD DAAD ADD DD 


tungen und beinahe niemals jähe, unvermittelte Über- 
gänge von hohen zu niedrigen Temperaturen aufzumeifen 
bat. 

Einer der wichtigften und nicht hoch genug zu ver: 





Strandpartie bei Abend. 


anjchlagenden Vorzüge der Seeluft aber iſt ihre außer: 
ordentliche Reinheit — das gänzliche Fehlen aller jchaden- 
bringenden Beimifchungen von Staub, Rauch und’ ge: 
jundheitsfeindlichen Ausdünſtungen, die im Binnenlande, 
und zwar Teineswegs nur im Bannkreis der großen 
Städte, die Atmofphäre verunreinigen und vergiften. 
Am meiften nähert fich die Seeluft einem Zujtande ab: 














a nn 
— — 


— 





Die Slı 












































202 Im Nordjechade. 
— DDr Dee DD rede Dede Dekra eD 
foluter Reinheit natürlid auf den durch breite Meeres: 
flächen vom Feftlande getrennten Inſeln, und man 
handelt fehr Elug, wenn man diefen bei der Wahl eines 
Geebadeortes den Vorzug gibt. 

Der zweite wichtige Faktor für die gefundbeitliche 
Wirkung einer Seebadekur iſt das Waller. Was das 
Meerwaſſer von dem der Flüffe und Binnenfeen unter: 
jcheidet, ift in erfter Linie fein Salzgehalt, feine be- 
ſtändige ſtarke Bewegung und feine nur verhältnis: 
mäßig geringen Schwankungen unteriworfene gleichmäßige 
Temperatur. Die erheblich energifchere Wirkung der 
Nordjeebäder im Vergleich zu denen in der Oſtſee er- 
Härt fich zum Teil aus dem mejentlich größeren Salz 
gehalt des erjtigenannten Meeres, noch mehr vielleicht 
aber aus dem zumeift viel ftärleren Wellenfchlage, der 
als mechanijches Neizmittel auf die Haut des menjch- 
lichen Körpers einwirkt und die Tätigkeit derjelben ge: 
waltig erhöht. Namentlich da, wo ein flacher, fanft in 
das Meer abfallender, jandiger Strand vorhanden ift, 
der eine allzu fchwere Brandung verhindert, kommt der 
MWellenfchlag in feinem Effelt auf den Organismus 
einer gründlichen Mafjage gleich, ift aber zumeift noch 
wertvoller und heilkräftiger als dieſe, weil er mit 
chemifchen und thermifchen Wirkungen verbunden ijt, 
die auch ihrerfeit3 mwefentlich zur Abhärtung und Kräf— 
tigung der Nerven beitragen. 

Die Wärmeabgabe des Körpers ijt Jelbft bei Fürzefter 
Dauer des Bades eine fehr bedeutende, und fie muß 
nach phyſiologiſchen Gejegen durch eine erhöhte Wärme: 
erzeugung innerhalb des Körpers erjegt werden. Dies 
gefchieht vor allem durch eine ausgiebigere Atmung, 
durch einen ftärkeren Berbranch an Sauerftoff und eine 
vermehrte Ausfcheidung von Kohlenſäure. Außerdem 
aber wird durch den energifchen Hautreiz auch die Herz- 


Bon Lothar Brenkendorf. 203 
DD DAAD ADD RD AD DD ADD D DE re D 
tätigfeit nicht unerheblich beeinflußt, und jeder kann 
leicht an fich felber feitjtellen, daß unmittelbar nach 





Wasserratten. 


einem Falten Seebade jein Bulsjchlag langfamer, aber 
träftiger iſt alS zuvor. 

Bedeutet daS Baden in der See fomit einen viel 
energijcheren Eingriff in die Funktionen des Geſamt— 
organismus als das Baden in einem Fluſſe oder in 
einem Binnengewäſſer, jo_ergibt ſich daraus zugleich 


204 Im Norvdjeebade. 

ED EDREDF EDDIE DD ED KDD DDr DD DDr DD 
die Mahnung, bei der Anwendung eines jo wirkſamen 
Mittel3 die gebührende Nüdficht auf die Befchaffenheit, 
die Leiltungs- und Widerftandsfähigfeit diefes Organis— 
mu3 zu nehmen. Wo ein organifches Leiden vorhanden 
ift, follte vor dem Beginn der Seebadefur immer der 
Nat eines Arztes eingeholt werden, und gewiſſe Rrant: 
beitszuftände, wie ſchwere, unlompenfierbare Herzfehler, 
Gehirn: und Rüdenmarksleiden, Neigung zu Blutungen 
und dergleichen, würden bei einem Aufenthalt am Meere 
eher eine Verſchlimmerung al3 eine Befjerung erfahren. 
- Daß man Patienten mit aluten, fieberhaften Erkran— 
tungen nicht an die See ſchicken darf, braucht als felbft- 
verjtändlich' kaum noch befonder3 hervorgehoben zu 
werden. 

Aber auch der Erholungfuchende, dejjen Zuftand an 
und für fich eine Seebadekur durchaus ratfam er: 
feheinen läßt, follte ftetS eine gewiſſe Vorficht beob- 
achten, wenn er nicht Gefahr laufen will, durch eigene 
Schuld um den gehofften Erfolg zu fommen. Es ift 
eine alte, in taufendfältiger Erfahrung bewährte Regel, 
daB man unter feinen Umftänden gleich nach der An— 
funft mit den Bädern beginnen fol. Gelbft robufte 
und widerftandsfähige Perſonen werden gut tun, erft 
am zweiten oder dritten Tage ihr erſtes kurzes Bad zu 
nehmen. Schwächliche aber follten fich überhaupt erft 
durch tagelange Gewöhnung an die Seeluft akklimati— 
fieren und dem Strandbade ein oder mehrere warme 
GSeebäder voraufgehen lafjen. Das Vermeilen im Waſſer 
aber ſoll immer nur von kurzer Dauer fein. Wer feinem 
Körper wirklich eine Wohltat erweiſen will, der dehne 
felbft bei längerer Gemwöhnung das Seebad niemals 
über einen Zeitraum von mehr als zehn Minuten aus. 
Unangenehme nervöfe Erfcheinungen wie Mattigfeit, 
Appetitverluft und Schlaflofigleit ftellen fich font jehr 


Bon Lothar Brenkendorf. 205 
IAIDAMDDDAD AD ED AED ED ID ADDED DE Dr ED - ED ED 
leicht jtatt der erwarteten Kraftigung ein und find nur 
jehwer wieder zu befeitigen. Auch empfiehlt es fich, 
bie und da einen Tag mit dem Baden auszufegen, und 
wir möchten uns durchaus der von dem erfahrenen Arzt 
eines vielbejuchten deutjchen Nordjeebades vertretenen 
Meinung anjchließen, daß drei bis fünf Seebäder in 





Badekarren. 


der Woche am erjprießlichiten für das allgemeine Wohl: 
befinden find. 

Wenn fich die normale Körperwärme und mit ihr 
zugleich eine Empfindung gejteigerten Behagens nicht 
unmittelbar nach dem Bade einjtellen, ift mit Sicher: 
heit darauf zu fchließen, daß die Konftitution der 
energifchen Reizwirkung nicht gewachſen ijt, und in 
folchen Fällen kann nicht dringend genug vor weiteren 
Berfuchen ohne die Einholung ärztlichen Rates gewarnt 
werden. 


206 Im Norvdfeebade. 
LONMDmDmEDAD DD ED DE DD AD AD A DATA DD — 
Im übrigen bedarf es für den Aufenthalt im See— 
bade nicht allzuvieler Berhaltungsregeln. 
Man vergönne fich einen möglichft ausgiebigen Schlaf 


n 
N — P . — 
Bine 
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„ANTRAGS ABGABEN EHE 
F 


4 
—— 


Nachmittagskaffee. 


von wenigftens neun bis zehn Stunden, Halte fich am 
Vormittag wie am Nachmittag ungefähr je drei Stunden 
am Strande auf und wähle für daS Bad, jofern man 
nicht durch die Nücjicht auf Ebbe und Flut an andere 
Tagesſtunden gebunden ijt, die Zeit zwijchen dem erjien 














Von Lothar Brenkendorf. 207 
en FE en Pa? I m? I m) U m m) I m m? un? 
und zweiten Frühſtück. Anftrengende körperliche Lei: 
tungen, wie größere Fußtouren nach dem Muſter der 
bei einem Gebirgsaufenthalt fo beliebten und zweck— 
mäßigen Ausflüge find an der See bejjer zu unter: 








Sandfestung. 


laffen. Noch weniger aber witrde fich eine lebhafte 
geiltige Tätigkeit empfehlen, und nur der wird auf eine 
volle Wirkung jeiner Badefur am Meeresgejtade rechnen 
dürfen, der fich vom erften bis zum legten Tage einer 
möglichit volllommenen Ruhe, einem abjoluten Nicht3- 
tun hinzugeben verſteht. 

Daß die Malerin ohne Schaden für die Gejundheit 
ihr Skizzenbuch, und der Liebhaberphotograph feinen 


208 Im Novdfeebade. 
RONDRD ADDED AD ADD AD ADD 
Apparat mitbringen darf, ift felbjtverjtändlih. Wer 
von einem jo unmiderjtehlichen Tätigkeitsdrange bejeelt 
it, daß ihm der Genuß des von der brandenden See 
dargebotenen majejtätifchen Schauſpiels oder allenfalls 
die Lektüre eines guten Buches zur Ausfüllung feiner 
Zeit nicht genügen, der möge getroft feine Zuflucht zu 


— 








Spiel mit den VWogenkämmen. 


derartigen leichten und vergnüglichen Beichäftigungen 
nehmen. Gine Handarbeit beim Nachmittagstaffee in 
der Strandhalle mag allenfall3 erlaubt fein, zumal 
wenn fie zehn hübfchen Fingerchen Gelegenheit gibt, 
ihre Behendigfeit und Gejchielichleit zu zeigen. Sym 
allgemeinen aber follten e3 die Erwachſenen im See— 
bade der glüdlichen Jugend nachtun, für die der Aufent- 
halt am Meeresgeftade immer einen wahrhaft paradie- 
ſiſchen Zuftand bedeutet, und die das ſchwierige Broblen, 


Bon Lothar Brentendorf. 209 
DDr DDr Dre Dre Dre De DDr De ED De Dre ex 
eine Reihe von Tagen im fchönften Nichtstun hinzu⸗ 
bringen, ftet3 auf3 bejte zu löjen weiß. | 
Ob fo ein Häuflein übermütiger Großftadtkinder, 
froh, dem fteinernen Hänferlabyrinth für eine Weile 
entronnen zu fein, da3 Beispiel der Heinen einheimifchen 
Waſſerratten nachahmt und fich die mit leifem Ziſchen 
beranrollenden Wellen in Iuftigem Spiel um die nadten 
Beinchen plätjchern läßt, ob es in tapferem Kampf 
gegen die fteigende Flut die aus Sand gebaute Feitung 
fo lange verteidigt, bis auch der Letzte und Mutigſte 
die einftürzenden Wälle im Stich laſſen und jich fchleu: 
nigft über die Zugbrüde retten muß — immer können 
uns unfere feinen Buben und Mädel, denen hier Ge- 
ſundheit und Lebensfreude jo hell aus den blanken Augen 
ftrablen, als ein Vorbild dienen, wie auch wir uns im 
Seebade verhalten jollten, um im vollen Maß zu finden, 
was wir am Geftade de3 ewigen Meeres fuchten: Kräf— 
tigung und lange nachwirkende Erquidung für Leib und 
Seele. 


9 


1904. XIII. 14 


= N— 
ee I 


MDannigfaltiges. 


(Machdruck verboten.) 

Dredbels Mikrofkop. — Nachdem im Jahre 1616 in 
Holland das einfache, unvolllommene und nur wenig leiſtungs— 
fähige Mikroflop erfunden worden war, verbejjerte bald 
nachher zu Alkmaar der gelehrte Chemiker und Phyſiker 
Kornelius Drebbel (+ 1634), ein jcharffinniger und erfindung$: 
reicher Denker, den interejjanten und nüblichen Apparat, 
indem er das „zufammengejegte Mikroſkop“ erfand, deſſen 
vorzügliche Leijtungsfähigkeit jich alsbald als eine ganz er- 
jtaunliche erwies. In einem Tropfen fauligen Wajjers 
offenbarte e3 eine bis dahin unbekannte Welt von winzigen 
lebenden Gejchöpfen. Drebbel zeigte bereitwilligjt Dies 
Wunderbare feinen Freunden und anderen neugierigen oder 
wißbegierigen Leuten in Alkmaar. Und auch noch fonjtige 
mikroſkopiſche Wunder zeigte er; fo in einem erbjengroßen 
Käſeſtückchen eine zahllofe Menge winziger Maden, die darin 
jich ihres Daſeins erfreuten. z 

Diejes letztere Experiment wäre ihm aber beinahe übel 
befommen, denn Allmaar war von jeher ein großer Käſe— 
jtapelplaß, wo die von den vielen Käſebauern Nordhollands 
verfertigten vortrefflichen Kugelkäſe allmwöchentlich zu Marfte 
gebracht und an die Großhändler und andere Auffäufer und 
Berjender verfauft wurden. Ginige diefer Großhändler 
begaben ſich zu Drebbel. 

„Doktor,“ fagte ihr Wortführer, „ift eg wahr, daß Ihr, 


Mannigfaltiges. 211 
⏑ Dr ED Dre DDr Dre DD DD 
wie behauptet wird, einen wunderfamen Apparat erfonnen 
habt, wodurch nachgemwiejen wird, daß fich jelbjt in dem 
allerfleinften Stückchen unferes weltberühmten Käjes eine 
{hier zahllofe Menge Kleiner Maden befindet?” 

„Das ift wahr,” verfegte der Gelehrte. „Wünfchen 
vielleicht Die Herren, fich perjönlich von der Richtigkeit zu 
überzeugen?“ 

„Das möchten wir wohl.“ 

Auf einem Nebentifche ftand des Gelehrten Frühſtück. 
Er brödelte von einer Käfefchnitte ein winziges Stückchen 
ab, ſchob es ins Mikroſkop und ließ dann die drei Be- 
fucher, einen nach dem anderen, hineinjchauen. 

Höchſt eritaunt, ja beftürzt wurden fie über das, was 
fie erblicten. „Da3 ift Zauberei!" murmelten fie einander 
zu. „Teufelswerk und böllifche Augenverblendung!“ 

„Nein, ihr Herren“, rief triumphierend Drebbel, „eine 
wifjenjchaftliche Leijtung erjten Ranges ijt es, die mir zu 
hohem Ruhm gereichen wird !“ 

„Doktor,“ ſprach bedächtig der Wortführer, „es wird 
fchon allerlei Böſes gemunkelt über Euch, denn man glaubt, 
das, was Ihr betreibt, gehe nicht mit rechten Dingen zu. 
ch felbjt befürchte, daß Ihr mit folch häßlichem Erperi- 
ment unfer altes, folide3 Käfegefchäft in ſchlimmen Verruf 
und damit auch Die Stabt Alkmaar in3 Unglück bringen 
werdet.” 

„Das ift wohl faum zu beforgen.“ 

„Dte hohe Obrigkeit ſollte allen Ernjtes Euch dergleichen 
Erperimente verbieten.” 

„Dazu hätte fie fein Recht. Übrigens fchadet e3 dem 
guten, abgelagerten alten Käfe gar nicht, daß er fo voller 
mitroftopifch Eleiner Maden iſt. Es fcheint, daß er gerade 
dadurch einen pilanteren Gejchmad erhält und noch appetit- 
licher wird. Seht, ich verjpeife jest dieſe Käfefchnitte und 
damit zugleich Hunderttaufend Maden, die darin find.“ 

„Das ilt Eure Meinung, Doktor; es ijt aber nicht die 
unfere. Unfer gutes Käfegefchäft kann gar zu leicht Dadurch 
ſchwere Einbuße erleiden. Hört deshalb unſeren gütlichen 


212 Mannigfaltiges. 

EDDIE EDDIE DD ED ED ED — 
Vorſchlag: Zerfhlagt Euren verwünfchten Apparat und 
verfertigt Leinen neuen wieder! Hundert Dulaten zahlen 
wir Euch gern, wenn Ihr unferen Wunjch erfüllen wollt.“ 

„Ich follte auf meinen Erfinderruhm Verzicht leiften für 
armjelige Hundert Dufaten?“ riefentrüftet Drebbel. „Nimmer: 
mehr!“ 

„So nennt Euren Preis.” 

„Richt für zehntaufend Dufaten! Die Tann ich mir 
leicht. verdienen, denn ich habe auch noch andere wichtige 
Erfindungen gemacht, die mir große Summen eintragen 
. werden.“ 

„Doktor, laßt Euch warnen!” ſprach ernjt mahnend 
wieder der Wortführer. „Was Ihr betreibt, kann gar leicht 
als Teufelswerk ausgejchrieen werden. Bedenkt, in welcher 
Zeit wir leben! Jahraus, jahrein werden Zauberer und 
Heren, oft aus viel geringeren Urfachen, auf dem Scheiter- 
haufen verbrannt. Das könnte leichtlich auch Euch wider: 
fahren, wenn Ihr durch Eure eigene Schuld Die fämtlichen 
Käfebauern in ganz Nordholland gegen Euch aufhetzt.“ 

Darin lag viel Wahres. Mit dem finfteren Aberglauben 
jene3 Zeitalter war gewiß nicht zu feherzen. 

Einen Augenbli wurde Drebbel jtußig, Dann aber rief 
er mutig: „Wohlan, wenn e3 gefchieht, daß ich der Dumm— 
heit der Menge unterliege, dann jterbe ich eben al3 Mär: 
tyrer der Willenjchaft.” 

„Das wäre aber doch eigentlich recht ſchade, * fagte ein 
anderer von den drei Herren. „Gibt es denn. nicht andere 
Dinge und Stoffe, die Ihr in Eurem Apparat unterfuchen 
könntet?“ 

„O gewiß!“ 

„Es brauchen alſo nicht gerade Bröcklein von unſerem 
Kugelkäſe zu ſein?“ 

„Das iſt durchaus nicht notwendig.“ 

„Run, fo nehmt die hundert Dukaten von uns an, ver⸗ 
ehrteſter Doktor, und laßt dafür fortan unſeren Käſe in 
Ruhe, wenn es Euch doch nicht an anderen Objekten zu 
mikroſkopiſchen Studienzwecken fehlt.” 


Mannigfaltiges. 213 
DD DD DD DD RD AD AD ADD De 
Das fah denn der Gelehrte auch ein, und damit war die 
fonderbare Verhandlung zu einem erfreulichen Ende gelangt. 
Der Erfinder jtrich die Hundert Dufaten ein und unterjuchte 
in der Folgezeit feinen Käfe mehr. J. O. Hanfen. 
Neue Erfindungen: I. Kleiderhalter „Praktiſch“. 
— Praktiſch nennt ſich der neue Kleiderhalter, welcher der 
Firma Diefenthal & Co. in Osnabrüd- gefeglich geſchützt 





Kleiderhalter „Praktisch.“ 


wurde, mit vollem Recht. Derſelbe unterjcheidet fich ſchon 
in feinem Äußeren von den bisherigen im Handel er- 
Ichienenen derartigen Gebrauchsgegenjtänden, weil der Er: 
finder im Prinzip von ganz anderen Vorausfegungen bei 


FIIR, 























— 


Kleiderhalter ausgezogen. Rleiderhalter eingeschoben. 


der Konjtruftion ausgegangen ijt als die Verfertiger ſon— 
jtiger Kleiderhalter. 

Der einfache Apparat bringt die Kleidungsjtücde aus 
dem Schranke in einer Weife heraus, daß jedes einzelne 
Stück fofort greifbar wird, und das läſtige Suchen im 
Schranfe aufhört; ein einziger Griff genügt, um den Kleider: 


214 Mannigfaltiges. 

ö ⏑ ED ED AED ID AD DD AD ADD ED 
halter hervorzuziehen und die Garderobe der Luft auszu— 
fegen oder bequem in Gebrauch zu nehmen. 

In einem zweitürigen Kleiderjchranfe von gewöhnlicher 
Breite und Tiefe, worin zwei Stück „Praktifch” angebracht 
werden, find zwanzig Anzüge oder Kleider überfichtlich ge- 
ordnet unterzubringen. Neue Schränke können bei Ber- 
wendung dieſes neuen Kleiderhalters auch wejentlich Heiner 
fein, und e3 Tann dadurch alfo viel Raum in der Wohnung 
gejpart werden. 

Der Kleiderhalter „Praktifch” Tann in jedem Schranfe 
leicht angebracht werden, da derjelbe in drei verfchiedenen 
Größen angefertigt wird; bei Bejtellung ijt nur die Tiefe 
des Schranfes anzugeben. P. R. 

II. Zigarrenhalter am Bierglas. — Beim Bier: 
trinken am engen Stammtijch, beim Kartenfpielen u. |. w. iſt oft 





Zigarrenhalter am Bierglas. 


das Weglegen der Zigarre mit Unbequemlichkeiten verbunden, 
und nicht jelten findet bei folchem Anlaß ein Herabfallen 


Mannigfaltiges. 215 
PX af DE ee u? u) Un ⏑ 20 um) U um) I um) I m m 7 nF UN N Re} 
der Zigarre auf den Fußboden ftatt. Um diefem Übelftand 
abzuhelfen, ijt ein an jedem Bierglas leicht anzubringender 
BZigarrenhalter erfunden worden, wie ihn unfere Abbildung 
zeigt. Der Halten zum Anhängen läßt fich dem Rand des 
Glaſes anpaſſen; die Klappe zur Aufnahme der Zigarre ift 
verfchiebbar, jo daß man für eine fejte Lage der Zigarre 
forgen Tann. Wer fich für dieſe Erfindung intereffiert, 
wende fich an das Patentanwaltsbureau Sad in Leipzig. 

Die Saffköpfigkeit bei FJrauen. — Beim weiblichen 
Geſchlecht tritt die Kahlköpfigkeit mindeſtens ebenfo häufig 
auf wie bei dem männlichen. Von fachverjtändiger Seite 
wird fogar behauptet, daß diefes Übel unter den Frauen 
weit mehr verbreitet ift, als man vermutet, daß aber dag 
weibliche Raffinement es bejjer verfteht, einen jolchen Schön- 
heitsfehler zu verdeden und vor den Augen der Welt zu 
verbergen. 

Die Urfachen für den Haarmangel bei dem weiblichen Ge- 
fchlecht find ganz andere al die beim Manne. Während 
bei dem legteren allerhand äußerliche Einflüfje, ungenügende 
Ausdünftung der Kopfhaut infolge der unzweckmäßigen 
Kopfbedeckungen, jchroffe Temperaturmechfel, die meiſt durch 
die Unfitte des Hutabzieheng beim Grüßen veranlaßt werben, 
nervöfe Beeinfluffungen durch geiftige Überanftrengung, 
Erkrankungen des Haarboden3 durch Übertragung von 
Pilzen infolge von Benugung unfauberer Kämme, Bürften 
und anderer Haarpflegeinjtrumente u. ſ. w., ind Treffen ge: 
führt werden, jo find beim Weibe mehr Tonftitutionelle 
Einwirkungen im Spiel, auf welche der fo häufig fich ein- 
jtelende Haarſchwund zurüdzuführen ift. 

Schon die ganze nervöſe Beanlagung des Weibes ift 
dazu angetan, zu allerhand hyſteriſchen Anmwandlungen zu 
führen, welche fich neben anderen Erjcheinungen durch die 
verjchiedenartigiten Kopfſymptome, insbejondere durch chro— 
niſche Kopfjchmerzen, verbunden mit Haarausfall, äußern. 
Dazu Tommen noch die beim weiblichen Gefchlecht fich jo 
häufig findenden allgemeinen Ernährungsftörungen, Blut- 
armut, Bleichjucht und fonftige Mängel in der Blutzu- 


216 Mannigfaltiges. 
— D DD Dee DD ED De DD -EDe ed 
fammenfegung, welche ebenfall3 ihre Rückwirkungen auf 
den Ernährungszuftand de3 Haarbodens nicht verfehlen. 
Ferner gibt es noch andere unvermeidlihe Vorkommniſſe 
im weiblichen Zeben, unter denen gewaltige Ummälzungen 
im Organismus fich abfpielen, wie zum Beifpiel dag Wochen: 
bett mit feinen Borbedingungen und feinen Folgen und 
ähnliche, welche außer für mancherlei andere pathologifche 
Zuftände auch als Urjache für fich einjtellenden Haaraus- 
fall gelten Tönnen. 

Das find jedoch alles Momente, welche im Verhältnis 
zu der ungemeinen Häufigkeit des Übels nicht fo ſchwer 
ins Gewicht fallen. Die Haupturjache für den Haarſchwund 
beim weiblichen Gejchlechte Liegt vielmehr in einer gewiſſen 
Verwahrlofung, mit welcher über die Behandlung des meift 
ſchwer zu dirigierenden Kopfhaares vielfach Hinweggegangen 
wird, und in der daraus fich ergebenden Unfauberfeit und 
mangelhaften Pflege der Kopfhaut. Es mag ja zugegeben 
werden, daß bei dem meift ſtarken und üppigen Haarwuchs, 
den das weibliche Gefchleht im allgemeinen aufzumeifen 
hat, eine peinliche und ausgiebige Pflege de3 behaarten 
Kopfes ungemein fcehwierig und mühfam ift. Das darf 
aber nicht als Entfchuldigung gelten für die vielen Unter: 
lafjungsfünden, die fich gerade in der Behandlung ihres 
ſchönſten Schmudes die holde Weiblichkeit zu Schulden 
fommen läßt. 

Ebenfo wie jeder andere Körperteil feine regelmäßige 
Reinigung und forgfame Pflege erfordert, um von gejund- 
heitlichen Schädigungen verjchont zu bleiben, jo muß noch 
in viel höherem Grade der behaarte Kopf einer peinlichen 
Überwachung unterzogen werden, denn wenn e3 einen ge: 
eigneten Aufftapelungsort für allerhand Schmuß, Staub, 
Hautfchuppen, Mikroorganismen u. ſ. mw. gibt, jo ift e3 
das Dichte, Frauenhaar. Bei feinem reichlichen Fett— 
gehalt bleiben derartige Unreinlichkeiten bejonders feit in 
ihm haften und machen aus den bisherigen jeidenmweichen 
Strähnen mit der Zeit ein ſchwer entwirrbares, filziges 
Gewebe. Anfolge der dadurch entftehenden Dichtigfeit und 


Dannigfaltiges. 217 
DD De ned Dre ED DrEDrED ED ED Dr ED DD 
Undurchdringlichteit des Haare3 hat auch die Kopfhaut zu 
leiden. Diefelbe wird in ihrer normalen Ausdünftung be- 
hindert, die fich abjtoßenden Hautjchuppen und Talgdrüfen- 
abjonderungen bleiben auf ihr haften und verftopfen die 
Ausführungsgänge der Haarbälge. Die darin befindlichen 
Haarwurzeln werden dadurch gewiſſermaßen erftickt, fie ers 
franten, fterben ab und fallen aus. Wird in folchen Fällen 
nicht beizeiten eingegriffen, fo wird ſich bald ein regel- 
rechter Haarausfall einjtellen. Des Morgens beim Kämmen 
werden ganze Büſchel Iosgelöfter Haare mit dem Ramme 
entfernt, was anfänglich weniger beachtet wird, aber mit 
dem immer mehr zunehmenden Dünnmwerden der Haarfülle 
doch fchlieplich zu Bedenken Veranlaffung gibt. Die Frauen 
fönnen e3 fich dann meift nicht erklären, worin dies auf- 
fallende Ausgehen der Haare feinen Grund hat, bis fie 
fchlieglich von fachverjtändiger Seite Darüber belehrt werden, 
leider oft erft, wenn e3 zu fpät ift, um dem Übel noch mit 
einigermaßen günjtigem Erfolge Einhalt zu tun. 

Die Kahlköpfigkeit beim Weibe äußert fich in einer 
anderen Weife, als dies beim männlichen Individuum 
der Fall if. Während bein Manne der Haarausfall 
mehr durch jcharf abgegrenzte, Table Flächen von größes 
rer und geringerer PDimenfion gelennzeichnet ift, jo ijt 
beim weiblichen Gefchlecht der Haarausfall mehr ein all: 
gemeiner, über die ganze Kopfhaut fich erjtredender. Ein 
an Haarſchwund Leidender Frauenkopf macht ungefähr den 
Eindrud eines auf magerem Boden angelegten Getreide: 
feldes, auf welchem in größeren Zmwifchenräumen nur hin 
und wieder ein jpärlicher, krankhaft ausfehender Halm 
emporwächjt, oder in einer anderen Form den eines Pelz- 
jtücdes, in dem die Motten ihr Unmefen getrieben haben. 
Die ſcharf umfchriebene Form des Haarſchwundes ift ja 
allerdings auch bier und dort bei weiblichen Individuen 
beobachtet worden, aber nur in vereinzelten Fällen. 

Das Alter der weiblichen Wefen jpielt beim Auftreten 
der Ropfhaarerkranfungen eine weniger nennenswerte Rolle. 
Man findet das Übel ebenfo bei jugendlichen Individuen 


218 Mannigfaltiges. 

DDR EDDIE RED RD AD ADD AD DD RED ED AD ED DD 
als bei Erwachſenen und Perfonen de3 höheren Alter2. 
Nur find in den jüngeren Kahren, während fich der Drga- 
nismus noch im Wachstum und in der Entwidlung bes 
findet, die Ausfichten auf Wiedererfat günftiger als im 
fpäteren Alter. In jedem Falle ift jedoch immer noch Hilfe 
und Rettung möglich, wenn die Haarmwurzeln noch nicht 
total erkrankt und abgeftorben find. 

Das ganze Geheimnis der Kopfhaarpflege beim weib- 
lichen Gefchlecht ift Sauberkeit, aber nicht nur in Bezug auf 
die zu behandelnden Zeile ſelbſt, ſondern auch in Bezug auf 
die Dazu zu verwendenden Inſtrumente. Kämme, Bürften 
und ähnliche Utenſilien ſollen fich jtet3 in einer tadellojen 
Verfaſſung befinden. Das Kopfhaar jelbit ift mehrmals 
täglich, am beiten früh und Abends, mit Bürfte und Kamm 
gehörig zu bearbeiten, Damit Staub und fonftige Unreinlich- 
feiten daraus entfernt werden. Durch häufiges Bürjten 
wird das Haar glänzend und weich und läßt fich dann mit 
dem Kamm beſſer dDurchlämmen. 

Das Haar fol man ftet3 in der Weife fämmen, Daß 
man Ddasjelbe an den Spiten faßt und in der Richtung 
von unten nach oben durcharbeitet. Auf diefe Weife wird 
erſtens das Ausreißen von Haaren verhindert, zweiten? 
ift die Manipulation auch weniger fchmerzhaft. Abends 
vor dem Schlafengehen ift die Frifur ftet3 aufzulöfen, Das 
Haar tüchtig durchzubürften, zu kämmen und zu einem 
leichten Zopf zu flechten. Mit feſtgeſteckter Friſur zu 
ichlafen, tft nicht zu empfehlen, weil dadurch die ein- 
zelnen Haare zu ſehr angefpannt werden, und Schmerzen 
auf der Kopfhaut entitehen. 

Zur Sauberhaltung des behaarten Frauenfopfes genügen 
jedoch nicht allein Kamm und Bürfte. Auch fleißige Wafchuns 
gen des Haare und der Kopfhaut find ein unerläßliches 
Bedürfnis. Mindeftens alle acht bis vierzehn Tage hat dies 
zu gefchehen. Als einfachites, aber ſehr brauchbares Kopfs 
waſchwaſſer ift eine Löfung von laumarmem Wafjer und 
Mandelfeife (etwa ein Stüd Mandelfeife auf drei Liter 
Waſſer), der ein paar Tropfen Perubalfam zugejegt find, 


Mannigfaltiges. 219 
DDr DDr ED re DD Deere DD DDr De 
zu empfehlen, auch fann man eine dünne Ablochung von 
Ramillentee, dem einige Tropfen Salmiafgeift zugefebt find, 
verwenden. Bei den Wafchungen fommt e3 hauptjächlich 
. darauf an, die Kopfhaut gehörig zu maffteren und nad) 
gefchehener Abſpülung mit laumarmem Waſſer tüchtig zu 
frottieren. Nach der Wafchung muß da3 Haar in einem 
gut temperierten Zimmer oder mittel3 eines Trocdenappa- 
vate3 gründlich getrodnet, gebürftet und durchgefämmt 
werden. Sit da3 Haar von Natur jehr fetthaltig, fo reibe 
man Haar und Kopfhaut noch mit einem der viel empfohlenen 
altoholifchen Haarwäfler, Bay-Rum oder Eau de Quinine 
nad; iſt es von Haufe aus troden, jo benuge man zum 
Nachwaſchen ein fetthaltiges Kopfwaſſer, zum Beifpiel Philos 
dermin oder Birkenwaſſer. Beim Trodnen des Haares 
muß man darauf achten, daß diefer Prozeß nicht zu fchnell, 
am allerwenigften durch ſtark überhitzte Trodenapparate 
vor fich geht, weil infolge von zu hohen Wärmetemperaturen 
das Haar leicht bricht. Auch empfiehlt es fich, Die Spiben 
der Haare alle zwei bis drei Monate einmal jchneiden zu 
laſſen, da fich das Haar fehr Häufig an denfelben jpaltet 
und ausgeht. 

Sind infolge von ſtarkem Haarausfall Erfabteile unbedingt 
erforderlich, fo jollen diefelben nur aus leichten, poröfen 
Stoffen hergeftellt werden, damit’ die Kopfhaut gehörig aus— 
dünſten Tann, und eine vollitändige Erſtickung der bereit3 
erkrankten Haarmwurzeln nicht jtattfindet. Unterlagen aus 
Haar oder Waldmwolle find Direkt zu verwerfen, ebenfo bringt 
da3 viele Brennen des Haared mehr Schaden als Nuten. 

Den beiten Beweis, daß bei guter Pflege auch ein ſchönes 
Haar zu erzielen und zu erhalten ift, liefern Die Englände: 
rinnen, welche befanntlich in der Haarpflege auf der Höhe 
ftehen und dafür auch über das ſchönſte Haar von allen 
Frauen der Welt zu verfügen haben. Dr. med. Schütte. 

Wie Mendelsfohn zu feiner Iran Ram. — Unter den 
Badegäften Pyrmont befand fih im Sommer 1764 auch 
Moſes Mendelsfohn, der vielgerühmte „Sokrates vom 
Strande der Spree”. Zu feinen eifrigften Bemwunderern 


220 Diannigfaltiges. 

gehörte der reiche Hamburger Kaufmann Gaugenheim, der 
gleich ihm Heilung in Pyrmont ſuchte und dort feine per: 
fönliche Bekanntſchaft machte. 

Eines Tages fagte der Hamburger zu feinem neuen 
Freunde: „Wir alle haben Sie aufs wärmſte ing Herz ge- 
gefchloffen. Mehr al3 alle übrigen aber verehrt Sie meine 
Tochter. Es wäre die größte Freude ihres Lebens, Sie 
perfönlich Tennen zu lernen. Erze'gen Sie un die Ehre, 
uns in Hamburg zu befuchen. Sollte meine Tochter Ein: 
drud auf Sie machen, fo könnte ich mir fein höheres Glück 
denfen, al3 Sie zum Schwiegerfohn zu bekommen.” 

So fhüchtern und zurüdhaltend der leider etwas ver: 
wachjene Mendelsfohn war, jo gewann er es doch nad) 
längerem Zögern über fich, der Einladung zu folgen. Er 
reifte nach Hamburg, damals noch eine lange, beſchwerliche 
Fahrt, und fuchte Saugenheim in feinem Kontor auf. 

„Sehen Sie hinauf zu meiner Tochter,“ forderte der 
angefehene Kaufherr nach) der wärmſten Begrüßung ihn auf. 
„Sie wird über Ihren Beſuch entzüct fein.” 

Mendelsjohn entjchloß fich Dazu. Die Unterhaltung mit 
der jungen Dame gejtaltete fich jo anregend wie möglich. 
Allein es entging dem großen Philofophen nicht, Daß das 
junge Mädchen nach der erjten Begegnung e3 gefliffentlich 
vermied, ihren berühmten und verehrten Gaſt anzufehen. 

Am nächſten Tage ftattete dieſer wieder dem Vater in 
feinem Kontor einen Beſuch ab. Um die Unterhaltung zu 
eröffnen, fprach er mit Begeilterung von den angenehmen 
Manieren und der Eugen Unterhaltung des Fräuleins. 

Saugenheim ſchwieg längere Zeit. Endlich ermannte 
er. fich zu der peinlichen Mitteilung, die er dem jungen 
Gelehrten zu machen hatte: „Darf ih offen mit Ihnen 
reden ?” 

„Sch bitte Sie darum,” ermwiderte der Philofoph be— 
tlommen und ahnungsvoll. 

„Sie ind ein edelmütiger, einfichtiger Mann, Sie werden 
e3 daher meinem Kinde nicht allzu übelnehmen, wenn e3 
— wenn —“ 


Mannigfaltiges. 221 
DDr DD DD DDr DDr DDr — — 

„Wenn e3 fi mit meinem unglüdlichen Budel nicht 
ausſöhnen kann?“ 

„So iſt es.“ 

„Ich ahnte es. Trotzdem bitte ich um die Erlaubnis, 
mich von ihr verabſchieden zu dürfen.“ 

Er erhielt ſie und begab ſich wieder wie am Tage vorher 
in die Wohnräume der Familie. Die Tochter des Hauſes 
ſaß in einem erhöhten Erkerſitz am Fenſter und nähte. 
Mendelsſohn ſetzte ſich ihr gegenüber, und wieder gerieten 
ſie in ein feſſelndes Geſpräch. Allein ſie hielt die Augen 
auf ihre Arbeit geſenkt, und er blickte beharrlich die Bäume 
vor ihrem Fenſter an. 

Im Laufe des Geſprächs warf die junge Dame die 
Frage auf: „Glauben Sie, daß Ehen im Himmel geſchloſſen 
werden?“ 

„Ohne jeden Zweifel,“ war ſeine eifrige Antwort. „Sie 
kennen doch gewiß die ſchöne Auffaſſung, daß gleich bei 
der Geburt eines Kindes im Himmel verkündigt wird: 
Der ſoll die bekommen und die den. Mir iſt übrigens bei 
der Gelegenheit etwas ſehr Merkwürdiges paſſiert.“ 

„Iſt's möglich? Was denn?“ 

„Es wurde auch mir eine Frau beſtimmt, aber mit dem 
Zuſatz, ſie werde einen abſcheulichen Buckel bekommen. 
„Gütiger Gott,“ rief ich aus, „ein verwachſenes Mädchen iſt 
immer in Gefahr, ſcharf und bitter zu werden. Das Weib 
muß ſchön fein, um liebenswürdig und geliebt zu fein. 
Gib mir, o Gott, den Budel und laß dafür fie ſchön und 
lieblich ſein!““ 

Noch Hatte er feinen Sat nicht beendigt, als ein Paar 
Arme fich ungeftüm um feinen Hals fchlangen und ein 
tränenüberjtrömtes, blühendes Geficht fich an ihn jchmiegte. 
Sie wurden ein fehr glüdliche Paar. C. D— 

Neues vom Mont Relé. — Die Ausbrüche des Mont 
Pelé, die vor zwei Jahren über die Inſel Martinique fo 
furchtbare Verhserungen brachten, hatten für den Gebirgs- 
tod, dem der Bulfan angehört, eine eigentümliche Folge 
gehabt. Auf dem alten Gipfel entftand ein neuer Tegel: 


222 Mannigfaltiges. 
— ⏑ ED —⏑ — ——— iD 
förmiger von über tauſend Fuß Höhe. Der Leſer wird ſich 
erinnern, daß bis zum erſten Ausbruch im Jahre 1902 den 
alten Krater des Mont Pels ein kleiner See ausfüllte. 
Dicht neben dem ausgetrodneten Becken dieſes Sees erhob 
fich der neue, aus fefter Lavamaſſe beftehende Berggipfel 
un Oftober 1902, fünf Monate nach der Hauptlataftrophe. 

In jener Zeit war der Mont Bels faſt immer mit Wollen 
bededt. Um die Mitte des Monats Lüftete fich der Wolten- 
fhleier, und da entdedte Profeſſor Lacroir von feiner Beob- 
achtungswarte auf Morne des Cadets aus eine über den 
Dämpfen des immer noch tätigen Vulkans mächtig auf: 
tragende Felfennadel. Vierzehn Tage jpäter wurde der Berg 
wiederum auf kurze Zeit wolfenfrei, und die Mefjung der 
neuen Spiße ergab, daß fie inzwifchen noch gewachſen war. 
Das Wachstum ließ ſich bi? Ende November verfolgen, 
während im Januar 1903 der Lavakegel ſich um mehrere 
hundert Fuß verkleinerte. Als im März Profejjor E. O. Hovey 
auf Martinique eintraf, um dag merkwürdige Phänomen 
zu jtudieren, hatte die neue Spitze aber wieder die Höhe 
von 5143 Fuß (1568 Meter) über dem Meeresfpiegel er- 
reicht. Die Photographie, die wir nebenjtehend reprodu= 
zieren, wurde am 25. März 1903 durch Profeſſor Hovey 
im Beden des früheren Kraterjeeg aufgenommen. Wir 
jehen darauf den alten Kratergipfel, den eine etwa 
200 Fuß tiefe Kluft, aus welcher Rauch fteigt, von dem 
neuen Gipfel trennt. Dieſer letztere erhob ſich Damals 
1150 Fuß über den alten. - Nach Drei Seiten war er vom 
“ alten Krater durch die Kluft getrennt. Der nordweitliche 
Teil war durch die von den großen Ausbrüchen her zurüd- 
gebliebene Lava ausgefüllt. Die Subjtanz des Sipfeld war 
vulfanifche Felfenmaffe und gleichfam aus einem Guſſe, 
fo daß ſich die Entftehung nur erklären ließ, wenn man 
annahm, die Maſſe jei zwar glutflüjfig, aber fchon im Er: 
itarren begriffen au8 dem Innern des Vulkans empor- 
geitiegen, bis dann die Erjtarrung fich vollendete. 

Das Innere diefes neuen Gipfels, den die Franzoſen „le 
cöne“ (Kegel) benannten, ftand mit dem Innern des Vulkans in 





Der „Löne* auf dem Mont Pelg,. 


224 Dannigfaltiges. 
Dr rED DD Dre DD re Dre Dre D ne Dre DD m re 
direkter Verbindung; auch feiner Spite entjtrömte oft Rauch 
und bisweilen auch glühende Lavamaſſe. Dieſe merkwürdige 
vulfanifche Neubildung ift aber von feinem langen Beitand 
geweſen. Ein deutfcher Forfcher, Dr. Georg Wegener, der 
mit Profefjor Hovey auf dem Mont Pels zufammentraf, hat 
neuerdings auf Grund von Hoveys Berichten mitgeteilt, 
daß der „Coône“ wieder verfchmunden if. Schon im Mai 
vorigen Jahres ftürzte die oberfte Mafje ab, wobei der ganze 
Felskegel feurig erglühte. Durch die Abftürze hatte die von 
Blöden bededte domförmige Wölbung allmählich den 
Zmwifchenraum bi3 zu dem nordmeitlichen Kraterringmwall 
ausgefüllt. Bis zum Juli wurde der Gipfel durch häufige 
Abjtürze immer fpiger und fchmaler, biß wieder eine größere 
Maſſe von etwa 50 Meter Höhe abftürzte. Diejer Prozeß 
fegte fich bis zum 6. Augujt fort, wo ein neuer Abjturz 
von 25 Meter erfolgte. 3.9. 

Das Borgefühl der Tiere. — Es iſt eine merkwürdige 
Tatfache, daß manches Tier ein gewiſſes Vorgefühl, eine 
Ahnung von freudigen oder betrübenden Ereignijjen befitt, 
die ihm bevoritehen. So berichtet Profeſſor Berty in feinem 
Merk „Über das Seelenleben der Tiere“ unter anderem 
folgenden Fall: „Der Kandidat G.'zog eine bejonders 
fräftige und begabte Amſel auf, welche in einen halben 
Jahre fajt alle Kirchenmelodien und andere Muſikſtückchen 
pfeifen lernte und deshalb bald allgemein bewundert wurde. 
G. ſchenkte den Bogel zuleßt feiner Schmweiter, einer etwa 
drei Stunden von ihn wohnenden Pfarrersfrau So oft 
nun der Bruder Diefe Verwandte ganz unerwartet bejuchte, 
mußte dies die Amſel ſchon eine Biertelftunde vorher und 
geriet in die Außerfte Unruhe, hörte mitten im Geſang 
plößlich auf und lief wie rafend im Käfig umher, bis ©. 
in daS Zimmer eintrat und den Vogel in gewohnter Weife 
aus dem Käfig herausließ. Der Berfuch wurde mehr als 
zwanzigmal wiederholt und immer mit demſelben Ers 
folg.“ 

Der Vater des befannten Zoologen Edartshaufen, der 
viel auf Reifen war, bejaß einen Eugen Pudel, der fich 


Dannigfaltiges. 225. 
DEI FED FED FED EDDIE ED ED EI DD re Dre DD ce 
in der Abweſenheit feine® Herrn unaufhörlich traurig 
zeigte und faum fo viel Nahrung zu fich nahm, um nur das 
Leben zu erhalten. Sobald jedoch der Pudel mit Begierde 
zu frefien begann und munter und luſtig herumfprang, 
fonnte man ficher darauf rechnen, Daß der Herr felbft wider 
Erwarten der Angehörigen denjelben Tag noch in der Hei- 
mat eintreffen werde. 

Ein noch merkwürdigeres Beifpiel von dem Ahnung? 
gefühl der Tiere erzählt auch der „Bayerifche Landbote” 
vom Jahre 1838. Im unterfräntifchen Dorfe Oberfinn bes 
faß der Fleiſcher Röſch einen Eugen und zuverläfftigen Hund, 
der jedoch bisweilen zu Haufe bleiben mußte, wenn fein 
Herr auf den Biehhandel ging, und durchaus nicht3 merken 
ließ in feinem Betragen, felbft wenn der Meifter mehrere 
Tage lang ausblieb. Am 19. Dftober 1838 begab fi Nöfch 
wieder auf den Handel; in der folgenden Nacht wurde der 
zurüdgebliebene Hund Außerjt unruhig, winfelte und lief 
aus der Stube, heulte dann kläglich und war auf feine 
Meife zu beruhigen. Am folgenden Tage traf die Nachricht 
ein, daß Röſch einige Stunden von der Heimat in dunkler 
Nacht in ein Kellerloch gejtürzt und auf der Stelle ver: 
fchieden war. Ber brave Hund empfand alfo im voraus 
den harten Verluſt, der bevorjtand. 

Der Lehrer B. in Graubünden erzählt in einem Schweizer 
Journal folgendes, noch weit jeltfameres Beifpiel. Der 
Bruder des Erzählers überwinterte feine fleine Rinder: 
herde in einem Stalle nahe bei einer Schlucht, in welcher 
er feine Kühe jeden Tag zur Tränke führte und in welche 
auch bisweilen Lamwinen von dem Gebirgäfamm herab: 
ftürzten. Eines Morgen3 jedoch waren die Kühe durchaus 
nicht zu bemegen, diefe Schlucht zu betreten, und nad) ver- 
geblichen Anftrengungen fah man fich genötigt, die Tiere 
in den Stall zurüdzuführen. Kaum aber waren diefelben 
angebunden, jo Donnerte eine mächtige Lawine in die 
Schlucht herab und riß den Brunnenlaften, an dem man 
die Kühe hatte tränfen wollen, mit in die Tiefe hinab. 
Hätten fich die Kühe geduldig wie fonft zu ihrem Brunnen 

1904. XIU. 16 


226 Dannigfaltiges. 


EIER DE DD ADD Dre Deere De 





führen laffen, fo wären fie fämtlich neben ihrem Dem 
erschlagen und begraben worden. 

Wer tft im finnde, daS Geheimnis folcher Ahnungen zu 
Iöjen? 2. Hafchert. 

Seltfame Telephongefprähe. — Das Telephon iſt jchon 
häufig zu eigentümlichen Gelegenheiten benußt worden; 
aber den merkwürdigſten Gebrauch davon hat wohl ein zum 
Tode verurteilter Mörder in Teras gemacht, der vor einigen 
Wochen bat, den Gouverneur feines Staates anrufen und 
auf diefem etwas ungewöhnlichen Wege um Begnadigung 
bitten zu Dürfen. Der Gefangene wurde von feinem Wärter 
vor das Telephon geführt, und der Gouverneur angeflingelt. 
Der Mörder und der hohe Staatsbeamte waren nämlid) 
in ihrer Jugend befannt gemwejen, waren zufammen zur 
Schule gegangen, und da e3 in der Macht de3 Gouverneurs 
lag, die Begnadigung auszufprechen, jo hatte der Mörder 
wohl Ausficht, der Todesitrafe zu entgehen. Doch der 
Gouverneur war zum Unglück für den Verurteilten auch 
ein Freund des Ermordeten gewejen, und jo hatte er feine 
Beranlafjung, der Gerechtigkeit ihren Lauf nicht zu lafjen. 
Eine Viertelftunde lang unterhielten fich die beiden Männer 
durch das Telephon, doch der Gouverneur war unerbittlich, 
und fchließlich Tieß der Mörder das Hörrohr fallen und 
fih wieder in feine Zelle führen. Am nächſten Tage wurde 
er gehängt. 

Km Suni 1903 wurde ein Mijter Fanzler, Angeftellter der 
Glektrizitätsgefelfchaft zu Louifiana, von der Univerfität zu 
Purdoe zum Ingenieur promoviert, nachdem er telephonifch 
eine Prüfung zu bejtehen gehabt. Er wohnte in St. Louis, 
während die Prüfung, die für den 8. Juni angejebt war, 
in 2afayette, im Staate Indiana, ftattfand. Infolge 
der Überfchwemmung, von der St. Louis um dieje Beit 
heimgesucht wurde, war es ihm nicht möglich, den Prüfungs— 
ort zu erreichen, und er war ſchon fajt verzweifelt, als ein 
Freund ihn auf den Bedanten brachte, er jolle der Fakultät 
doch den Vorſchlag machen, ihn telephonifch zu prüfen. 
Gefagt, getan; er ließ fich mit einem der Profeſſoren ver» 


Dannigfaltiges. 2327 
ID AD DD ED ED ED DD ED ED ED re D re Dr- Dr eD 
binden, erklärte, e8 wäre ihm unmöglich, infolge der Übers 
ſchwemmung nad) Lafayette zu fommen, und jchlug dem 
Eraminator den ihm von jeinem Freunde angegebenen 
Ausweg vor. Man jagte ihm, er möchte einige Minuten 
am Apparat bleiben, und während diejer Zeit hielten die 
vier Eraminatoren eine furze Beratung ab. Fünf Minuten 
Tpäter erklärte einer derfelben: „Wenn eine vertrauen 
würdige Perſon bei Ihnen in dem Telephonraum bleibt 
und eidlich bejtätigt, daß Sie Teine Bücher bei fich haben 
und Shnen auch fonjt Feine Hilfsmittel zur Verfügung 
ftehen, jo wollen wir Sie telephonifch prüfen.” — Fanzler 
ließ, hocherfreut, einen Richter Tommen, der der Prüfung 
. beimohnte und eidlich beftätigte, daß alles „mit richtigen 
Dingen” zuging. Mehrere Stunden lang wurde der Eramis 
nand mit Fragen überfchüttet, die er meiſtens jchnell und 
richtig beantwortete. Schließlich wurde ihm mitgeteilt, Daß 
die Prüfung bejtanden wäre, und mit einem Geufzer 
der Erleichterung hing er das Hörrohr an und ging nach 
Haufe. | j sn. 

Ein Rönigfiher Sauswirt. — Ein hoher Miet3herr, mit 
welchem feine Mieter jehr wohl zufrieden fein können, iſt 
König Eduard VII. von England. Eine ganze Anzahl von 
englifchen Schlöffern, die vom Adel des Landes bewohnt 
werden, gehören nämlich eigentlich zum Befit des Königs, 
wofür diefer alljährlich einen Mietsbetrag erhält, der meiſt 
mehr originell als einträglich zu fein pflegt. 

Manche diefer Verträge des betreffenden „Mieter3“ mit 
der Krone gelten für ewige Zeiten, alle aber datieren ſchon 
weit zurücd, weshalb der oft höchſt mwunderliche „Miets⸗ 
preis“ auch nach gutem alten Brauche entweder nur ſym⸗ 
boliſch oder ganz praftifch-reell gehalten ift. | 

Zum Beifjpiel bat der Abmieter von Schloß Bud- 
land in der Graffchaft Kent, der einen ewigen Mietö- 
kontrakt befißt, eine ſehr originelle Miete zu bezahlen. Zur 
Nüderinnerung an die einjtigen blutigen Wirren der eng- 
liſchen Königsfamilien York und Lancafter, den Krieg der 
roten und der weißen Roje (1453—1483), muß der Mieter 


228 Diannigfaltiges. 

nr rede ADD Dr ED ⏑ DD —⏑ ⏑ De 
dem König alljährlich die erfte rote NRofe, die in den zum 
Schloß gehörenden Gärten gepflüdt wird, überjenden. 

Kriegerifcher gehalten ijt der fyınbolifche Mietspreis, den 
jedes Jahr am 18. Juni, der Schlaht von Waterloo, der 
Bewohner der Burg Stratfields3-Nfaye, der Herzog von 
Wellington, dem König zu entrichten hat, nämlich ein Feines 
Fähnchen in den franzöfiichen Farben. 

Die gleiche „Miete” muß der Herzog von Marlborough, 
der „ewige“ Mieter von Schloß Woodjtod, zahlen, und zwar 
ftet3 am 2. Auguft, dem Jahrestag der Schladht von Blen- 
heim, einem Dorf im bayerifchen Schwaben, wo 1704 im 
fpanifchen Erbfolgelrieg fein berühmter Ahne, der große 
Staatsmann und Feldherr Marlborough, die Sranzofen bes 
fiegte. Die Fahne zeigt die blau-mweiße Farbe Bayern?. 

Weniger poetifch, jedoch gehaltreicher ift der Miets⸗ 
preis des Bewohner? von Schloß Bonburg, welcher feinem 
hohen Herrn Vermieter nach altem Brauch zum Dfterfefte 
140 Hühner und 1800 Eier zu überfenden bat. EN. 

Barum weinen wir beim Kachen? — Das Weinen ift 
meist der Ausdrud des Schmerze3 und der Trauer. Gleich- 
wohl Tann man häufig beobachten, daß ſich auch beim 
Lachen die Augen mit Tränen füllen und einem herzhaft 
und kräftig lachenden Menjchen die Tränen fogar über die 
Wangen rollen. Worauf beruht diefer Vorgang? 

Benor wir auf feine Erklärung näher eingehen, müſſen 
wir uns erjt über die Umjtände, die bei der Tränens 
entjtehung mitwirken, unterrichten. Abgefondert wird die 
Tränenflüffigfeit von den Tränendrüfen, von denen je zwei, 
eine größere und eine Eleinere, an dem nach den Schläfen 
zu gerichteten Rand des oberen Augenhöhlenrandes liegen. 
Die Tränendrüfen fondern nun beftändig ihre Flüffigkeit 
ab, die zu 98 Prozent aus Waffer, fodann aus Kochfalz 
und Spuren von Eiweiß, Schleim und Fett befteht, und 
zwar alle 20 Minuten einen Tropfen. Dieſe Tränenflüjfig- 
feit dient dazu, das Eintrocdnen und Trübewerden der 
Hornhaut de3 Augapfels zu verhüten. 

Die Tränenflüffigkeit tritt aus den Tränendrüfen durch 


Mannigfaltiges. 229 
IRDRDEEDEEDERE DD ERDE ED ED ee Dre Dr Dre Dee Dre Dr DeeD 
ſechzehn feine Ausführungsgänge in der Nähe der Übergangs- 
falte des oberen Xides über dem den Schläfen zugelehrten 
Augenwinfel heraus. Durch den Schlag der Xider wird 
fie über die vordere Fläche des Augapfels verbreitet und 
allmählich nach den der Nafe zugewendeten Augenmintel 
gedrängt. Somohl am oberen al3 auch am unteren Lid- 
rand diefes inneren Augenwinkels liegen nun fogenannte 
Tränenpünttchen, die die Öffnungen von zwei zarten Kar 
nälchen darftellen, welche fich fpäter vereinigen und in den 
Tränenfad einmünden, von dem ein häufiger Kanal nad 
dem unteren Nafengang führt. Die für gewöhnlich abge: 
fonderte Tränenflüffigfeit wird alfo von den Tränenpünft- 
chen aufgefaugt und nach der Nafe abgeleitet. 

Sit beim Weinen die Tränenabjonderung nur mäßig, 
jo find die Tränenpünktchen noch im ftande, Die Tränen- 
. flüffigfeit zur Nafe abzuleiten. Weinende find vielfach ge= 
zwungen, ſich wiederholt die Nafe auszufchnauben, und da3 
bat feinen anderen Grund, als daß die in die Nafenhöhle 
eingedrungene Tränenflüfligkeit zur Entfernung drängt. 
Wird nun aber bei heftigem Weinen die Tränenabfonderung 
ſehr ftark, fo können die Tränenpünftchen die Tränenflüffig: 
feit nicht fchnell genug abführen, fie fließt über den unteren 
Lidrand hinweg und rollt nun al Tropfen über Die 
Wangen. 

Das Weinen wird bei traurigen Gemütserregungen durch) 
nervöſe Einflüffe hervorgerufen. Das Verbindungsſtück 
zwifchen Gehirn und Rückenmark bildet daS verlängerte 
Mark oder das Kopfmark. E3 liegt noch in der Schädel: 
fapfel. In ihm befinden fich Nervenferne, von denen dic 
Bemwegungsnerven, die den Anſtoß zu den Bewegungen 
der Gefichtämusfulatur und der Drüfen des Kopfes geben, 
ausgehen. VBollzieht fich im Gehirn eine ſtärkere nervöfe 
Erregung, fei fie durch Schred, Angſt, Traurigkeit oder 
Schmerz veranlaßt, fo wirkt fie zurüd auf dieſe Nerven 
ferne, die dann die Erregung durch Die Bewegungsfafern 
nach den Gefichtsteilen fortleiten. Nun entfpringen von 

diefen Nervenkernen auch feine Nervenfafern, die mit den 


230 Mannigfaltiges. 
— ⏑ ⏑ ⏑ ⏑⏑ DD DD Dre Dee 
Tränendrüſen in Verbindung ſtehen. Auch durch ſie wird 
die Gehirnerregung fortgepflanzt. Hierdurch werden die 
Tränendrüſen ſozuſagen geöffnet, ſie entleeren ihren Inhalt, 
und wir weinen dann infolge der Furcht, der Bekümmer— 
ni3 oder der Schmerzempfindung. 

Beim Weinen während des Lachens fommen aber ander3- 
artige Berhältniffe in Betracht. Pie fröhliche Stimmung, 
wie fie das Lachen begleitet, ruft im Gehirn nach vielen Er- 
fahrungen und Beobachtungen nicht eine fo ftarfe Erregung 
hervor, daß dieſe fich den Nervenkernen des Kopfmarks 
fräftig genug mitteilte, um durch die bloße Fortleitung 
des Reizes mittel$ der Bemwegungsfafern die Tränen: 
drüfen zur Abfonderung der Tränenflüffigfeit zu veran- 
laffen. Etwas mag allerdings die freudige Erregung auch 
mitspielen, aber es muß doch ein neuer Antrieb hinzufoms 
men. Die Nerventerne des Kopfmarks ſtehen nicht nur 
mit Bewegungsnerven in Verbindung, jondern e3 laufen 
von der GefichtSoberflähe auch Empfindungsnerven zu 
ihnen hin. Nun wird aber bein Lachen befanntlich die 
Geſichtsmuskulatur ſtark bewegt. Dieje Bewegung erregt 
die Empfindungsnerven, die den Reiz zu Den Nervenkernen 
des Kopfmarks fortleiten. Durch diefen neuen Anjtoß mwer- 
den fie felbjt jo erregt, daß fie nun ihre eigene Erregung 
felbjtändig durch jene feinen Bewegungsfafern, welche fich 
von ihnen zu den Tränendrüfen binziehen, weitergeben 
und die Drüfen in Tätigkeit verjegen. Dice Tränen perlen 
uns jeßt über die Wangen mitten im Lachen. 

Daß von außen kommende Reize in dieſer Weije auf 
die Empfindungsnerven und Die damit verbundenen Nerven: 
ferne, ſowie rückwirkend auf die Tränendrüfen einen tat- 
fächlichen Einfluß ausüben, bemweifen anderweitige Beob— 
achtungen. Bei Berührungen der Lidränder, bei jcharfem 
Blicken in die Sonne, bei Reizungen der Nafenfchleimhaut 
durch ſtark viechende Stoffe oder Berührungen tränen Die 
Augen ebenfalls. E3 werden auch hier die betreffenden- 
Empfindungsnerven erregt, die dann den empfangenen 
Neiz zu den Nervenkernen des Kopfmarks fortpflanzen, von 


Dannigfaitiges: 231 

DDRD ADD AD AD AD AED AD AD AED AD ED DD ee 

wo wiederum die Erregung Durch die feinen Bewegung? 

fafern zu den Tränendrüfen Hinläuft und die Tränenabfon= 
derung veranlaßt. Th. ©. 

Ein abfonderfihes Graßdenkmal. — Brabdentmäler für 

Hunde und für Pferde find ja, befonders in England und 


Ir 18 ron? 


old 
— * 


RL las, Bade. 





Grabdenkmal eines Schweines. 


Amerika, wo e3 fogar eigene Friedhöfe für diefe Tiere gibt, 
nichts Seltenes. Doch hat man wohl faum von einem Grab- 
denkmal für ein Schwein gehört, und doch ijt das Schwein, 
das unter dem oben dargejtellten Grabjtein bei Mombafa 
an der Küjte von Djtafrifa liegt, tief betrauert worden. 
Die englifche Infchrift lautet in der Überfegung: „Zur Er— 
innerung an Dennis, das Lieblingsfcehwein S. M. Schiff 


232 NMannigfaltiges. 

IMDEDERLI DI EI ⏑ EDDIE ED EDDIE 
„Schwalbe“, welches jtarb am 10. Dezember 1895, achtzehn 
Monate alt, tief betrauert.” 

Um wirflih an die Wahrheit der beiden letzten Worte 
zu glauben, muß man wiſſen, daß die Matrofen aller Länder 
eine geradezu findifche Vorliebe für Tiere haben. Beſonders 
find die Schweine, die man an Bord bringt, um fie fpäter 
zu jchlachten, die Lieblinge der Matrofen, und die Leute 
werden in der Eintönigfeit ihres Dienftes und des Aufents 
halt3 auf hoher See nicht müde, ftundenlang mit den Tieren 
zu jpielen. Das betreffende feine Schwein war durch irgend 
einen Zufall auf einer Kreuzfahrt der „Schwalbe“ an Bord 
gebracht worden und wurde hier derartig der Liebling der 
Mannfchaften, daß fie Geld zufammenlegten, um e3 dem 
Koh abzufaufen und fo fein Schlachten zu verhindern. 
Wahrjcheinlich haben die Matrofen das Schwein aus lauter 
Liebe zu Tode gefüttert, denn e3 wurde eines Tages krank 
und ftarb, und jo groß war die Zuneigung der biederen 
Seeleute zu dem toten Tiere, daß fie ihm an der Küſte ein 
Grab gruben und einen Denkſtein errichteten. A. O. K. 

Das Taillenmaß einer modernen Benus. — In Zulunft 
wird feine Schneiderin eg mehr nötig haben, jich der Mühe 
des Maßnehmens zu unterziehen, fobald die Kundin, für 
die jie ein Kleid fertigen ſoll, normal gebaut ift. In dieſem 
Fall ift ed nur erforderlich, da8 Daumenmaß der betreffen: 
den Dame anzumerten, und dies gefchieht, indem man ein 
Zentimetermaß um die Wurzel des bejagten Gliedes legt 
und die Zahl, die gewöhnlich zwiſchen fieben und acht 
fhwanfen wird, genau feitjtellt.e Nun kann die Kundin 
ruhig ihres Weges gehen. Da3 Maß für eine normale, 
nieht überfchlanfe Frauenfigur läßt fich nämlich genau nach 
dem Umfange des unterftien PBaumengelents berechnen. 
Mißt dieſes zum Beifpiel 7 Zentimeter, dann hat das Hand- 
gelent einen Umfang von 14 Zentimeter, aljo das Dop— 
pelte. Das Maß des Halfes beträgt wiederum noch einntal 
fo viel wie das des Handgelenks, alfo 28 Zentimeter. Diefe 
Zahl doppelt genommen ift nun dag genaue Maß für die 
Zaille jeder ebenmäßig gebauten Frau, die fein Gewicht 


PMannigfaltiges. 38 
III DEI DEI DEI DD ED EDDIE DD 
darauf legt, eine Wefpentaille zu befigen. Vorausgeſetzt, 
daß die betreffende Schöne üppig ift, ohne Torpulent zu fein, 
jtimmt Diedoppeltgerechnete Taillenweite, alſo 112 Zentimeter, 
wieder für Bruft- und Hüftenumfang. Für eine fchlantere 
Figur wird von 112 Zentimeter das Map des Handgelents 
(14 Zentimeter) abgerechnet, bleiben aljo 98 Zentimeter. 
Auch Ärmel und Nodlänge kann auf ähnliche Weife feſt— 
gejtellt werden. | 

Die Erfinderin diefer gar nicht fo üblen dee ift eine 
tonangebende Parifer Schaufpielerin, die unlängjt bei einem 
feinen Damenfchneider erſchien und ihm mit der Verfiche- 
rung, daß fie eine volllommen ebenmäßige Figur bejite, 
den Daumen ihrer Rechten binftredte. „Hier, Monfieur, 
meſſen Sie!” rief die Schöne mit Pathos. „7 Zentimeter, 
nieht wahr? Nun merken Sie fih: Zweimal um meinen 
Daumen iſt einmal um mein Handgelenf, zweimal um mein 
Handgelenk ijt einmal um meinen Hals, zweimal um meinen 
Hals ift einmal um meine Taille und zweimal um meine 
Taille ijt einmal um Bruft und Hüften. Wenn Sie fid) 
danach richten, fit da Koſtüm tadello3.“ 

Damit war fie verfchwunden, und ihre Rechnung war 
richtig. M. O. 

Die Geſchichte eines BYormwelttieres. — Nachdem man 
Thon längft den Ichthyoſaurus, Plefiofaurus und Teleofaurus 
und andere wunderbare vorweltliche Meerdrachen und Kro- 
fodile fannte, entdedte man in einem Steinbruch des Beter3- 
berges bei Maaftricht im Jahre 1792 in einer Kreidejchicht 
die Überrefte eine Neptil®, das zwar mit den genannten 
Tieren eine gewiſſe Ähnlichkeit hatte, aber fich doch au 
erheblich von ihnen unterfhied. Man hat dieſes Tier 
jpäter Moſaſaurus genannt. Seine Länge betrug gegen 
30 Meter, und es vereinigte in jeinem Bau Anklänge an 
Meerdrachen mit denen an Schlangen und Krofodile. 

Bei den in dem Steinbruch bei Maajftricht aufgefundenen 
Reiten handelte es fich indeffen nur um den riefigen Schädel 
diefes Ungeheuers. Als die Steinbrucharbeiter auf den im 
Kalk eingefchlojjenen Schädel gejtoßen waren, erfuhr zuerft ein 


234 Mannigfaltiges. ' 

⏑ ⏑ —⏑ Dre Dre De Dre Dre 
Maaſtrichter Arzt, Dr. Hofmann, davon, der die Schädel- 
knochen mit vieler Mühe und großen Kojten heben und 
ausarbeiten ließ. Die Unterfuchung durch Fachleute zeigte 
bald, daß man bier einen Fund vor fich hatte, der in die 
Entwidlungsgefchichte der Tiere wichtige Einblicke gewährte. 
Man bot daher dem Arzt für die Überlaffung des Schädels 
eine beträchtliche Summe, aber diefer wollte fich nicht von 
feinem wertvollen Beſitz trennen. 

un gehörte aber der Steinbrukh einem Kanonikus 
Godin, der, als er erfannt hatte, daß der Fund ein kleines 
Vermögen darjtellte, Jofort auf ihn Anspruch erhob. Ver 
Arzt aber weigerte fih, den Mofafaurusfchädel herauszu- 
geben, indem er hervorhob, daß durch feine Bemühungen 
und Beldaufmwendungen der Schädel überhaupt erjt zu Tage 
gefördert und ohne ihn Höchftwahrfcheinlich zertrümmert 
worden wäre. Es Tam zu einem Prozeß, der über Jahr 
und Tag dauerte. Endlich wurde der Mofafaurus zum 
rechtlichen Befit des Kanonikus Godin erklärt. Godin 
wandte fi) nun an verfchiedene wijjenjchaftliche Snjtitute, 
darunter auch nad) Paris, und bot den Schädel für einen 
hohen Preis zum Verlauf an. Allein da die Forderung 
allzu übertrieben war, fo fand ſich fein Käufer. 

Bekanntlich entfpann ſich nad) dem Ausbruch der franzö— 
ſiſchen Revolution eine Reihe von Kriegen zwiſchen Frank— 
reich und den verbündeten monarchiſchen Mächten, und bei 
dem Feldzug 1795 rüdten die Franzoſen unter dem General 
Pichegru auch vor Maaftriht. Pichegru wußte um den 
koſtbaren Mofafaurusjchädel. Bei dem Bombardement de3 
Hauptforts von Maaftricht, St. Pierre, in defjen Nähe der 
Kanonikus Godin wohnte, gab er daher den Befehl, das 
Haus Godins zu fchonen. 

Allein diefer war von der rüdfichtsvollen Aufmerkſamkeit 
des General3 durchaus nicht erbaut, denn er argmöhnte, 
und nicht mit Unrecht, man fei nur deshalb jo für Die 
Überrefte beforgt, weil man fie ihm entreißen und dann 
nach Paris führen wollte. Er Tieß daher den Schädel in 
der Nacht heimlich verjteden. Auf dieſe Weife hoffte er, 


Mannigfaltiges. 235 
AD ADrEDrE Dr Dr Dr ED Dee De Dre Dr ED Dede — 
auch nad) der Übergabe von Maaftricht im Befit feines 
Kleinod3 zu bleiben. 

Aber er follte fich verrechnet haben. AS die Franzofen 
die Stadt eingenommen hatten, und zum Plabfommandanten 
der General Freyeinet ernannt worden war, ließ Diefer 
öffentlich befannt machen, daß er den zweiten Entdedern 
des Moſaſaurus 600 Flaſchen Wein ſchenken werde. Das 
wirkte unmwiderftehlih. Das Verſteck wurde verraten, und 
Ihon am nächſten Morgen brachten zwölf Grenadiere den 
Schädel zum General. Er wurde nun nad) Paris in den 
Jardin des Plantes gefchafit, wo er von den Gelehrten 
auf Das eingehendfte unterfucht und als einer der wich- 
tigften und wertoolliten Gegenftände diefer Sammlungen 
erklärt wurde. | 

Aber hiermit iſt die Gefchichte dieſes Wormelttieres 
immer noch nicht zu Ende. Denn im Jahre 1835 wurde 
ihn der Ruhm der höchiten Seltenheit plößlich geraubt. 
Man entdeckte nämlich in diefem Jahre im Annern der 
Vereinigten Staaten Nordamerikas, in Kanfas, wahre Un 
mengen von Mofafauren der verjchiedenjten Form, fo daß 
man gegenwärtig über 50 Xrten von ihnen Tennt. In⸗ 
folgedefjen ijt fein Wert bedeutend geſunken. Th. S. 

Hier wird nicht geklopft. — Ein Lehrer in einem bei 
Berlin gelegenen Dorfe, an deſſen Haustür die liebe Schul— 
jugend, um den Lehrer zu necken, gar zu gerne im Vorbei— 
gehen klopfte, heftete, um dem Übel abzuhelfen, einen großen 
Zettel an die Außenſeite der Tür, auf den er mit großen 
Buchſtaben die Worte ſchrieb: „Hier wird nicht geklopft!“ 
Trotzdem klopfte es eines Abends wieder an die Tür, 
und der Lehrer kam gerade noch recht, um in dem davon— 
laufenden Übeltäter einen ſeiner Schüler zu erkennen. „Na, 
warte, mein Junge!“ dachte er. 

Am folgenden Tage herrſchte unter den Schülern große 
Spannung ob der Dinge, die da kommen würden, und nur 
einer, der Übeltäter ſelbſt, benahm ſich ſehr gefaßt. Der 
Lehrer trat ein, jtellte fofort einen Stuhl in Bereitjchaft, 
tief daS Opfer vor und erfuchte es, fich in der geeigneten 


236 Dannigfaltiges. 
ORDADADADADAD ADD AD ADDED ADDED 
Richtung über den Stuhl zu legen. Der Knabe gehorchte 
fofort; der Lehrer nahm den Rohritod zur Hand und hob 
den Rod des Knaben auf, um mit der Erefution zu be- 
ginnen. Aber, o Wunder, jtatt zu fchlagen, ließ er den Stod 
finfen, und mit unterdrücdten Lachen wandte er fich zur Tür. 
Warum? Aufdem Hojenboden des Knaben Elebte ein Zettel, 
und auf diefem Zettel jtand in großen Buchjtaben gefchrie- 
ben: „Hier wird nicht geflopft!“ C. T. 

Der Kopfſchmerz der Schnelleſſer. — Die Klagen über 
Kopfſchmerzen, die man einſt vorwiegend dem ſchönen Ge— 
ſchlecht überließ, werden heutzutage auch bei der Männer: 
welt immer häufiger, und namentlich find es Gejchäftsleute 
und Gelehrte, die von diefem Übel heimgejucht werden. 
Aber find fie nicht vielleicht ſelbſt ſchuld daran und Liegt 
e3 nicht in ihrer eigenen Hand, Abhilfe zu Schaffen? Auf 
diefe Frage, die Tauſende und Abertauſende unjerer 
Lefer interejfieren muß, fol im nachfolgenden geantwortet 
werden. 

Die meiften Leute vergejjen, Daß jedes Drgan, jeder Zeil 
unjeres Körpers feine Ruhe braucht, jo auch das Gehirn, 
zumal heutzutage, wo es im allgemeinen weitaus mehr 
Arbeit leijten muß, als ihm ehedem zugemutet wurde, und 
Daher auch ausgiebigere Ruhepaujen braudt. Man plagt 
e3 tüchtig mit allen möglichen Arbeiten am Tage, und jtatt 
des Abends Ruhe für dasfelbe zu juchen, indem man dem 
Körper eine leichte Erholung gibt und dadurch die Denk— 
mafchinerie ein wenig ausfpannt, jo zum Beifpiel durch 
längeren Spaziergang, Kegeljpiel oder irgend einen an— 
gemefjenen, nicht übertriebenen Leibesſport, jest man fich 
zum Kartenspiel nieder oder zum Schach oder zu aufregender 
Lektüre und dergleichen Dingen mehr. Das Gehirn befommt 
auf dieje Weije keine Ruhe, es wird überreizt, und Kopf 
ſchmerzen ftellen fi) ein, Die nicht3 anderes als der Aus: 
drud diefer Überreizung find und als Warnrufe der Natur 
aufgefaßt werden follen. 

Man hört oft die Klage: Sch kann vor lauter Kopffchmerz 
nicht fchlafen. Das heißt nichts anderes, als daß Die 


Mannigfaltiges. 237 





DD Dre 


Gehirnmafchinerie derart überanjtrengt ward, daß fi Er- 
müdungsjtoffe zwifchen ihren Rädern — man erlaube dieſen 
Vergleich! — angehäuft haben, die den Mechanismus in 
Unordnung bringen und zu heftigen Sreimachungdverfuchen 
antreiben.. LXebtere erfolgen natürlich unter dem Ausdrud 
von Schmerzen. Ein Beweis für die Wahrheit dieſer 
Ausführungen ift, daß die Kopfjchmerzen vergehen, fo» 
bald man die Gefamtausfcheidungstätigfeit des Körpers 
anregt, wobei dann aud die Ermüdungzitoffe des Ge: 
hirns von dannen ziehen. Etliche Stunden Spaziergang 
in guter Waldluft oder auf Bergeshöhen, ein wenig ge— 
regelte Turnerei, ein warme3 Bad mit womöglich nach: 
folgender Durchknetung des Körpers wirken zum Beifpiel 
in diefem Sinne. 

Eine andere Urfache der immer häufiger werdenden Kopf: 
fchmerzenplage ift das haſtige Eſſen ohne nachfolgende 
Verdauungsruhe. Die eingeführte Speife, nicht gut gefaut 
und wenig dDurchfpeichelt, belajtet den Magen für längere 
Zeit bei ſolchen Sünden an der Geſundheit, fie geht einen 
höchſt langſamen Zerfegungsprozeß ein und entwidelt 
Giftjtoffe, die in flüchtiger Form, gleich den Heizgafen im 
Kamin, nach oben fteigen und das Gehirn reizen. Derlei 
Leute haben üblen Geruch aus dem Munde, Tlagen be: 
ftändig über Kopfſchmerzen und find in einem Reizzu— 
ftande, der für ihre Umgebung oft höchſt unangenehm 
fühlbar wird. 

Daß die giftigen Ausdünftungen der fchleichenden Zer: 
fegung in Magen und Därmen den Nerven und Deren 
Zentralfis, dem Gehirn, Schaden bringen, läßt fich denten. 
Viele Leute fühlen Dies auch felbit, indem fie von einem 
fogenannten Magenkopfichmerz jprechen. Aber an jolchem 
Mageniopfichmerz leiden viel mehr Menjchen, ald man 
glaubt, und die große Menge follte deshalb etwas mehr 
auf ihre Verdauungstätigkeit Jchauen und für gutes Kauen 
und etwas Ruhe nach dem Ejjen forgen, denn wenn man 
dem Magen feine Zeit läßt, jeinen Berrichtungen nach» 
zulommen, und die Kräfte, welche die Verdauungsorgane 


238 | Drannigfaltiges. 

DD rEDerDrE DD Dre Dr De DD rede Dreier 
berbeigerufen haben, um die erhaltenen Speifen energisch 
zu verarbeiten, wieder ablenkt, jo muß die Verdauungs- 
arbeit nur halb, jozufagen nebenher betrieben werden. Und 
diefe „Pfufcherarbeit” rächt fih am ganzen Menfchen durch 
Unbehagen, Magendrücden, üblen Geruch au3 dem Munde 
und mehr oder minder heftigen Kopfſchmerz. 

Sole Ablenkung der Verdauungsarbeit, wie wir fie 
oben ins Auge faßten, wird aber durch die von fo vielen 
Menjchen beliebte jofortige Tätigkeit nach dem Efjen hervor: 
gerufen. Biele Menfchen werden eben auf dieſe Weife 
ihres Lebens nie recht froh, fie leiden an allen möglichen 
Beſchwerden, über deren Urſachen fie fich nicht ins Klare 
fommen. Kleine Urfachen, große Wirkungen! Diefer Ausruf 
gilt auch hier, und ein jtattlicher Bruchteil der Menjchheit 
würde feiner Kopfſchmerzen und dejjen, was fonjt noch 
drum und dran hängt, ledig werden, wenn er Ordnung in 
feinem Körperhaushalt hielte und jedem Teile feines Leibeg, 
vor allem aber dem VBerdauungsapparat, da3 Seine gäbe, was 
ihm an Arbeit, was ihm an Ruhe zulommt. Ewald Paul. 

Der Gefhihtskenner. — Napoleon I. jpielte gern Ge: 
lehrten gegenüber den Gefchichtstenner, obgleich ihn fein 
Gedächtnis in Namen und Daten oft recht bedenklich im 
Stich ließ. Dieſe Schwäche gab einmal PVeranlafjung zu 
einer drolligen Szene, als Ameilhon, ein Mitglied der 
Parifer Akademie, der die befannte römiſche Gefchichte 
Lebeaus fortfette, zur Audienz beim Kaifer befohlen war. 

„Ah, Sie find Herr Ancillon?“ leitete Napoleon die 
Unterredung ein. 

„Sa, Sire, Ameilhon,” verbefjerte ihn der Gelehrte 
mit lächelnder Zuftimmung. 

„Richtig, Ameilhon! Und Sie haben die römifche u. 
ſchichte Lebons fortgeſetzt?“ 

„Sa, Sire, Lebeaus römiſche Geſchichte,“ lautete die 
zweite Korrektur. 

„Jawohl — die römiſche Geſchichte Lebeaus — bis zur 
Einnahme Konſtantinopels durch die Araber.“ 

„Ja, Sire, durch die Türken.“ 


Drannigfaltiges. 239 
nn DT un I m) DT) I m? I ne? se? 2 e) 

„Was jagte ich, Durch die Araber?! Selbjtverjtändlich 
Durch die Türken,” verbefferte fich der Kaifer, „im Jahre 
1449." | | 

„sa, Sire, im Jahre 1458.” 

„Wollte ich auch jagen, Herr Ameilhon — 1453,” be- 
endete Napoleon die für ihn jo befchämend ausgefallene 
Gefchichtsrepetition und entließ, fichtlich übelgelaunt, den 
Afademiter. I m. 

Damenjodeis. — Damen, die als Jockeis Pferderennen 
mitritten, würden heutzutage großes Auffehen erregen, aber 
no vor etwa hundert Jahren ſcheint diefe Tatjache in 
England nicht befonders auffällig geweſen zu fein. Noch 
zu Anfang des verflojjenen Jahrhunderts war es gar feine 
Seltenheit, Damen der vornehmſten Gefelfchaft Englands 
- Nennen reiten zu fehen. Dabei wurden die Damenjodeis 
beim Abjchließen der Wetten den Herrenreitern nicht felten 
vorgezogen, und nicht etwa aus Galanterie, denn dieſe hört 
bei Wetten um große Summen auf NReunpläßen befannts 
lich auf. 

Es gab auch Rennen, die ausfchlieglich von Damen ges 
ritten wurden. So wurde im Jahre 1725 bei den ſoge— 
nannten Riponrennen von Damen um einen filbernen 
Zafelauffat geritten. 

Ein weiterer Bewei3 wird in Birftwith Hall, einem 
alten Zandfig in der Nähe von Thirsk in der Graffchaft 
VYorkſhire, noch heute gezeigt. Es ift eine altertümlich ge— 
formte Teelanne, die von einer Dame der Familie bei 
einem Wettrennen gewonnen wurde. Sie trägt die In— 
ſchrift: „Brav geritten!“ W. St. 

Der erſte SteRdrief, der befannt ijt, jtammt aus dem 
Sabre 25 vor Chrifti Geburt und hat den folgenden 
Wortlaut: 

„Am 16. Tage diejes Jahres ift ein junger Sklave des 
Ariftogenos, Sohn des Chryfippug, in Alexandrien entlaufen, 
namens Hermon, ein geborener Syrer aus Bambyfe, uns 
gefähr achtzehn Jahre alt, mittlerer Größe, bartlos, mit 
geraden Beinen, im Kinn ein Grübchen, an der linken Seite 


210 Dranntgfaltiges. 

der Nafe eine linfenförmige Warze, eine Narbe über dem 
linken Mundmwinfel, an der rechten Handwurzel mit bar- 
barifhen Buchjtaben tätowiert. Er trägt einen Gürtel, 
dejfen Inhalt drei Minen gemünzten Golde3, einen filbernen 
Ning, auf dem eine Salbflafche und Schabeifen dargeltellt 
find, auf dem Körper ein Schurzfell. Wer ihn zurüdbringt, 
erhält zwei Talente und 3000 Drachmen; wer feinen Aufent- 
halt verrät, wenn dieſer an einem heiligen Orte ijt, ein 
Zalent und 2000 Brachmen, wenn bei einem zahlung3- 
fähigen und gerichtlich belangbaren Manne, drei Talente 
und 5000 Drachmen. Anzeige gütigft bei den Beamten der 
Strategen zu erjtatten. Mit ihm entlaufen ift Bien, der 
Sklave eines Hofbeamten erjter Klafje, unterſetzt, breit: 
ſchulterig, mit kräftig entwidelten Beinen, Augen grünlich. Er 
trug, als er entlief, eine Tunifa und einen Heinen Sklaven: ' 
mantel und ein Srauenköfferchen; er hat einen Wert von 
jech3 Talenten und 5000 Drachmen. Wer ihn zurüdbringt, 
erhält diefelbe Summe wie für den Obigen. Anzeige auch 
über Diefen bei den Beamten der Strategen zu erjtatten.“ 

Ob die Entflohenen, troß der hohen Belohnung, ent⸗ 
wijcht find, verrät die alte Urkunde nicht. ER. 

Ein Höfliher König. — Der Bertraute und Berater des 
Königs Louis Philipp von Frankreich war ein Herr Dupin, 
wiewohl er mit diefem nicht immer einerlei Meinung war. 
Sein biederes Wejen und feine Anfpruchslofigfeit, die jich 
fogar in feinem mehr als befcheidenen Anzuge ausſprach, 
fagte dem einfachen Sinne des Königs zu. 

Eine Tages während eines politifchen Gejpräches mit 
dem Könige vergaß fich Dupin fo weit, in feiner gewohnten 
Weiſe dem Könige zu fagen: „Sch jehe wohl, Majejtät, daß 
wir uns nie verjtehen werden.“ 

„Ich habe mir Schon dasfelbe gedacht, Lieber Herr Dupin,” 
entgegnete der König, „nur wagte \% nicht, es Ihnen zu 
Tagen.” ©. T. 


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Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von 
Theodor Freund in Stuttgart, 
in Oſterreich-Ungarn verantwortlich Dr. Ernſt Perles in Wien. 










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Es dürfte faum ein literariiches Gelegenheitsgefchenf fleineren Umfangs 
geben, welches jungen Frauen und Bräuten willfommener fein fönnte, als das Buch 
einer gemüt- und humorvollen frau über das erjte Jahr im Eheftand. „Das erjte 
Jahr im neuen Haushalt” umfaßt die Erlebnifjfe eines jungen Paares in mittleren 
Derhältniffen; alle Seiten der häuslichen Srauenpflichten werden bald humoriftifch, 
bald ernſt in Briefen einer jung verheirateten frau an ihre freundin vorgeführt. 


| Zeittragen SSSS) Von R. Artaria. 


im Familienleben. era — 4 Mark 


— Urteile der Preiie: — 


Ein fympathifches und anregendes Buch, das im Gewande eines fpannenden ° 
Romans uns das Ehepaar aus dem früheren Buche derfelben Derfaflerin „Das 
erfte Jahr im neuen Haushalt” fünfzehn Jahre fpäter wieder vorführt, und das 
hauptfächlich die fchwierige Erziehungsfrage der heranwachfenden Kinder ins Auge 
faßt. Artaria fennt das moderne £eben mit jeiner Ueberjchägung der Perfön: 
lichfeit, feinem Jagen nach äußerem Schein und dem verderblichen Einfluß, den 
namentlich letteres auf die Samilie ausübt, genau. Trotzdem ift nichts auf Ten: 
denz zugejchnitten, fein Hinweis auf einen in der £uft jchwebenden Jdealismus, 
Die treffliche Hausfrau Emmy und ihr Hugo, die Malerin Karoline, Thormann, 
Baronin Reinach und Töchter nebft den zwifchen den Erwachjenen fich tummelnden 
Kindern — alle find fie wirfliche Menjchen, die wir längft gefannt zu haben 
meinen. Die Derfafferin will feine Direftive geben, fie will in ihrer befcheidenen 
Art durch lebenswahre Bilder aus dem Gefelljchaftsleben zum Dergleich und Nach: 
denfen anregen. Jhr Buch ift dabei auf einen Ton echter Menfchenliebe und 
Pflichttreue geſtimmt, dem der zwanglofe Stil und ein feiner Humor zu befonderem 
Dorzug gereichen, — ein Gejchenfwerf, nicht nur den rauen, fondern auch den 
Samilienvätern zur gelegentlichen Lektüre zu empfehlen. 

, „Jllustr. frauen-Zeitung.“ 


Ein Werf, dem wir die weitefte Derbreitung aus vollem Herzen wünfchen. 
„Allgem. Moden-Zeitung.“ 


Ein vortreffliches Buch, einfach,. dabei doch fpannend und voll Lebens— | 














wahrheit. „Leipziger Zeitung.“ 
Ein lehrreiches und unterhaltendes Buch (nicht nur für $rauen!), das 
wir ungern aus der Hand legen. „Das Blatt der Hausfrau.“ 


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