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1. Richard Hop, San Sebaftian. 16. Mar zn Frauenherzen.
e AH, ée e ct Gelder 17. v. Sadher-Mafod, Der kleine Adam.
n Märtyrer der Liebe. — | 18. Augnft Berker, Das alte Bild.
Die Baronin Amalti. 19. 9.2 —7— Hochſommerzeit war's.
4. Balduin ne Ten, Das BE = — Das weiſe Lamm.
nis des (a? oti, Mein Bruder Yves.
wan eis, Raud. — Elaretie, Noris.
KT Telmann, Geridtet. Se eorg Hartwig, Das Dorfkind.
e wei Eleven Worths. | 24. Skowronnek, Die Frau Leutnant.
` Edgar A. 338 eltſame Geſchichten. 25. Bierre Lotti, Aziy adeh.
9. Ouida, Leiden einer Anſtandsdame. | 26. Adelheid Weber, Die 1 gelber Lore.
10. Breit Harte, Im Walde pn Karquinez. 3% uft. 20h. — ie
I un Freih. von Wolzogen, Bafilla. en Bourget, Ihr Schatten.
arimil. Schmidt, Glasmacherleut'. 2. Bret Harte, Der Kreuzzug des
heodor ——— Erniedrigte „Excelfior“.
und Beleidigte. 30. eng Nun BIRNEN:
* —— Hochlandsgeſ ichten. ercy White, Weſtend.
ontſcharow, Eine alltägl.Geſchichte. 32. Guſtaf Janſon, Das Paradies.
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Die Teufelsmaschine. humoreske von A. O. Klaussmann 66
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Die Russen in der Mandschurei. Bilder aus dem fernsten
Osten. Uon Martin Bowitz . » 2 2 2 2200.86
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Aus dem Thyratal. Eine Barzwanderung von Ch. Seel-
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Ihr Erstes. Skizze aus dem Frauenleben. Uon Else Krafft 161
Wie man sein Geld verwahrt. Ein Blick in die Schatz,
-kammern der Neuzeit. Uon Berm. Giersberg . . . 172
Mit 18 Jllustrationen.
Beim neuen Papst. Römische Skizze von Woldemar Urban 195
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Seite
Mannisfaltiges:
Ein Augenblick, gelebt im Paradiese `... 208
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IT. Gabel mit beweglichen Zinken . . . 210
mit 2 Jllustrationen,
KEINEN ae an e a ee SE
6
Inhalts⸗Verzeichnis.
Derek DD DD
Ameisenbegräbnisse
Kinderstubenidyll bei den Kwakiutlindianern
mit Jllustration.
Das Tahrgeld nach Brighton .
Der Haarkauf .
Goldene Hochzeitsfeiern
Uom Meerschaum
Verfehltes Inkognito
Ein Romanschluss, der ein menedhenleben —
Die Anfänge von Monte Care .
Der Photographieappärat ‘im Spazierstock
Mit 2 Jllustrationen.
Musikalische‘ Spitzbuben .
Ein kurioses Wandgemälde .
Gänsekämpfe .
Gemürtvolle Teilnahme .
Das Telephon im Dienste der Ferdi:
Das öffnende Dekokt R
Wo man Langeweile kennen lernt.
Ein Ball der Hunde
Die enttäuschte Kleine .
Seite
212
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240
4
Schiffbruch.
d e Roman von Benriette v. Meerbeimb.-
OG
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
urch die Ausrufe der Bewunderung fühlte
ſich Aſta beftig erregt. (Gë Tom ihr fo
vor, al3 ob die Menfchen ihr aufmerkfam
ins Geficht jtarrten. Sollten fie in ihr das
tiginal des bemunderten Bildes erkennen?
Wenn ſie nur fort könnte! ber eng eingeleilt
ftand fie zwischen dem fie umdräangenden Bublifum.
Mengersty bahnte fich einen Weg durch die Menfchen-
mafjen und zog ihren Arm durch feinen. „Was habe
ich prophezeit? Großartiger Erfolg!’ |
Man drehte fich nach dem Baar um.
„Das war Hein
„Wo?“ |
„Die blonde Dame in dem grauen Zudtteb mit
dem großen Federhut.” Ä
„Iſt fie wirklich fo hübſch wie das Bild; gr
„Mindeſtens.“
„Haben Sie das gehört?“ Mengerskys —
Augen ſahen in Aſtas roſig glühendes Geſicht. „Kom—
8 Schiffbruch.
men Sie mit fort, wenn Sie Aufſehen vermeiden wollen.
Ich habe das Bedürfnis nach friſcher Luft. Wir bum—
meln die Linden herunter dem Tiergarten zu.“
Sie gingen durch das Brandenburger Tor. Die
Sonne lag voll auf den ſchlanken joniſchen Säulen.
Die Schutzleute dirigierten mit majeſtätiſchen Hand—
bewegungen die Fuhrwerke und Fußgänger, die über
den Platz haſteten.
„Jetzt iſt Berlin ſchön, im Sommer iſt's ſchrecklich!“
ſagte Aſta. „Sind Sie gern hier, Herr Mengersky?“
„Ich? Augenblicklich ja. Im ganzen iſt Berlin
aber keine Stadt für Künſtler. Der Militarismus, der
Handel dominieren zu ſehr. Im Frühling gehen wir
nah München. Da ſollen Sie einmal Künſtlerfreiheit
fennen lernen.”
„Wir?“
„Ja — Sie, ich und Fräulein Paulſen. Sie werden
ſehen, wie dieſe Zuſammenſtellung das Berliner Son,
zertpublikum begeiſtert. Das muß in München wieder—
holt werden. Übrigens morgen früh gehen Sie gleich
zum Photographen — zu Bieber in der Leipzigerftraße
— und laffen ſich in diefem Koſtüm photographieren.
Darunter wird gefcehrieben: Driginal des Gemäldes von
Bengal „Ein Veilchen auf der Wieje Tonn Die
Veilchenidee muß für unſere Zwede gründlich aus:
gefchlachtet werden. Ich fage Ihnen, wenn Sie da3
erste Mal in Ihrem weißen Kleide das Lied fingen,
raft das Publikum.”
„Mir kommt das alles etwas marktfchreierifch vor.”
„Iſt es auch. Aber was tun? Die Welt mill
nicht nach verborgenen Talenten fuchen. Die vor:
bandenen müſſen jelbft nachbrüdlich auf fich aufmerk—
Tom machen. Später, wenn Sie erft enen Namen
haben, ift daS alles überflüffig.”
Roman von Henriette vo. Meerheimb,. 9
IE ED — D ED re Dre Deere
„Es iſt nicht leicht, Künftlerin fein!” fagte Alta
ſeufzend.
Mengersky hätte am liebſten laut aufgelacht. Was
ahnte dies Kind von den Kämpfen einer ringenden
Künſtlerſeele, was wußte ſie von einer in Entbehrungen
verbrachten Jugend! Wie er ſtundenlang in der kalten
Dachkammer übte, bis die Finger ſo ſteif waren, daß
ſie den Bogen nicht mehr führen konnten! Was ahnte
fie von den bitteren Seelenqualen, wenn andere un:
bedeutende Talente an die Öffentlichkeit gezogen, mit Lob
überfchüttet wurden, und ihn nur laumarme Kritiken
flüchtig erwähnten, das Publikum ftumm und fühl in
feinen Konzerten blieb, in denen er fein höchftes Sünnen,
fein tiefites Empfinden vor den tauben Ohren ftumpf-
finniger Hörer preisgeben mußte, bis c3 ihm durch die
Aufopferung einer ihm nabeftehenden Perſon gelang,
Geld ‚ausftreuen zu Fönnen, Geld für Reklame, Geld
für Reifen und elegantes Auftreten!
„Ich Toll aljo wirklich mit "oben nad) München
gehen?” unterbrach Aftas Frage feine Gedanken.
„ya, das Toilen Sie!" Er nahm feinen weichen
Filzhut ab. Der Wind Trei durch fein lockiges, dunk—
les Haar. „Wenn der Frühling auf die Berge fteigt,
dann mollen wir om Starnberger Ge jodeln, in
der fleinen Künftlerfneipe „Badhähnerl” und „Rahm:
ſtrudel“ elen. Wollen ©’ mithalten — mas?"
„Wenn ich dürfte!”
„Wer hat denn etwas dagegen zu reden?”
„Meine Gefchmifter und —“
Aſta ftocte.
„Und?“ fragte Mengersky geſpannt.
Sie wandte den Kopf befangen zur Seite. „Und
mein Bräutigam.“
Mengersky drückte ſich den Hut tief in die Stirn.
10 Echiffbruch.
Eeer, E Ee ⏑ — ⏑ DD ED EDDIE
Blo einen Bräutigam bot das kleine Veilchen
ſchon? Wo weilt denn der Herr?“
„Er iſt Marineoffizier und macht eine: met
See |
Mengersty lachte plößlich jo ZE — daß bie
Borüibergehenden: fich. verwundert nach ihm umfahen:
„Marineoffizier — und ſchwimmt auf dem ‚Stillen
Ozean, : während Sie in Berlin Konzerte geben! Bes
neidensmwerte Seelenruhe! Laſſen Sie den Herrn Bräu-
tigam nur ruhig EE Ka Liebe jcheint
etwas wäfferig zu fein.” ey
„Herr Mengersty!” `, `
"og gefällig?” sët
Sein liſtiger Geſichtsausdruck brachte je zum m Sachen
Sie konnte ihm nicht böfe fein.
„Ss UUS recht. Lachen Sie, das ſteht Ihnen rei⸗
ven. Sie find zur Lebensfreude gefchaffen.” .
Er ergriff ihre Hand und drüdte fie heftig. ` „Sie
follen nur die beitere Seite unferes Lebens mit og
nießen: den Beifall und den Erfolg. Wenn: Sie fich
mir anvertrauen, werde ich den Ernſt, die Schwermut
für mich behalten. Muſik iſt die Wurzel aller Künfte,
fie fchließt ein unbefanntes Reich auf, das nichts ge-
mein hat mit der äußeren Sinnenwelt. In dem Reich
tebe ich, und Sie jollen auch hineinfehen. Mich Hat
meine Kunſt 'entjchädigt für Hunger und Armut, Mip-
achtung, häufiges Mißverftehen — Tpäter übertriebenes
Lob.”
Mengerstys Augen nahmen einen ernten, af
düfteren Ausdrud an. Er behielt, in feine Gedanten
vertieft, immer noch Aſtas Hand in Ns Gie Ton:
den am Hand: des ‚Neuen Sees“. In dem matt ge
färbten Waſſer jpiegelten "ei die umftehenden Bäume
ganz Klar.
Roman von Henriette v. Meerheimb. 11
xD Da u
„Wünſchen Sie néi :Erfolge?* Mengerskys Tat,
zinierende Augen. hielten Aſtas Blide wie gefangen:felt.
„Dann. lafjen Sie fich dieſe Gelegenheit nicht entgehen.
Man muß wifjen, was man will. : Möchten Sie Ihren
Marineoffizier heiraten, jo Jagen Sie es öffen. ` Dann
braucht der Münchner Plan nicht ausgeführt zu SE e
„sh will mit nach München reiſen“
Aſtas Antwort Hang fehr Tee Gedantenvall ſah
ſie aufs Waſſer. Die ſtille graue Fläche erinnerte ſie
an den Kieler Hafen. Ein hineingeworfener Stein
zog langſam immer weitere Kreiſie.
„Sie haben gut gewählt!“ Mengerstys Stimme
durchaitterte mühfam verhaltener Triumph: „Ich würde
an Ihrer Stelle Ihre Angehörigen mit. der Tatjache
überkafchen, nicht lange. vorher darüber jchreiben. und
von München aus dem Bräutigam den Abfchied erteilen.”
„Briefe erreichen ihn in der nächiten Beit en
nicht.”
„Deito heiter. Wenn er im St Teinen
Brief, fondern nur Zeitungen mit glänzenden Kritifen `
über ehre Konzerte findet, wird er wohl SE E
das bedeutet.” wé
„Das glaube ich auch.” | | `
„sh biete mich Ihnen ala naar an. Alles
Geſchäftliche, alle Arrangements übernehme ich. Sie
ſollen nur die goldenen Früchte miternten. Ich dächte,
der Vorſchlag ließe ſich hören.“
„Sie ſind ſehr gut zu mir!“ Aſta ſah ſo kindlich
dankbar zu Mengersky auf, daß es ihn rührte und ein
wenig beſchämte. Er gab ihre Hand frei und trat tief
aufatmend einen Schritt von ihr zurück.
Sie fuhr fort: „Oder halten Sie mein Talent für
ſo groß, daß Sie nur um der Kunſt willen mir helfen
wollen?“
12 Schiffbruch.
EDDIE DD DD >
Er verbiß wieder ein Lächeln. „Die Antwort out `
diefe Frage gebe ich fpäter einmal. Wann? Vielleicht
jehr bald in München. Sch will mich aber nicht beffer
machen, wie ich bin. Ganz objektiv, nur um der Kunſt
zu dienen, handle ich nicht. Was ift das überhaupt
für ein Blödfinn mit der geforderten „Objektivität“
des Künftlers. Ich — ich — will leben, leiden, ge:
nießen — ein volles Leben, großes Leiden, Kampf,
Dual und Sieg — daraus wird der Künſtler der ſub—
jeftive Künftler, der feine Wonne, fein Leid euch vor:
jauchzen, vorweinen fol. Geht mir doch mit eurer
pappledernen „Objektivität“ !”
„Sie jprechen wie Marka. Pie fagte mir auch,
Durch Leiden erft veifte man zur Künftlerin.“
„Marta Baulfen!” Mengersfy z0g die Schultern
hoch. „a, fie ift eine große Künftlerin, weil fie ganz
Weib ut. eben Tag würfe fie ihre Kunſt bin —
für ihre Liebe.“
„Das finden Sie recht?”
„Recht — recht? Beim Künftler fragt man nicht
nach Recht und Unrecht. Uns gelten andere Gefeße.
Markas Denkungsart ift erhaben.“
„Mir reien Sie doc, meine Liebe der Kunft zu
opfern.”
„Niemals. Nur Ihren Berlobten follen Sie out:
geben. Herz und Kunft geraten bei Ihnen nicht in
Miderjpruch.”
„Hier biegt mein Weg ab,” ſagte Aſta gepreßt.
Sie wußte jelber faum, was fie an Mengerstys
Morten jo aufregte. Ein tiefer, heißer Unterjtron
ſchien durch all jeine Reden zu gehen und ihnen einen
verborgenen Sinn unterzulegen.
„ch bringe Sie nach Haufe,” antwortete er fur,
Bon gleichgültigen Dingen plaudernd , jehritt er
Da en? uU 7 mr
d
Roman von Henriette v. Meerheimb,. 13
DEI Dre DnmeD ne Dn ⏑ Dee Dee Dre Der Dre De Dre Dre re DreD
neben ihr her. Erjt vor der Tür ihres Zimmers ver:
abfchiedete er fi). Er nahm ihre Hand, ftreifte fchnell
den Handſchuh ab mit feinen frauenhaft gefchidten
Künftlerfingern und drückte feine Lippen auf ihr zartes
Gelenf, dann auf jeden einzelnen Finger.
„Auf Wiederfehen, Alta — liebe, fchöne, Kleine
Aſta!“
Fräulein Ries ſteckte in dieſem Augenblick ihren Kopf
zur Zimmertür heraus.
Aſta machte ihre Hand von Mengerstky frei.
Wie gejagt lief fie in ihre Stube, warf Déi vor dem
Bett auf die Kniee und brüdie das heiße Geficht in
beide Hände.
Siebentes Kapitel.
„Sind Sie jehr aufgeregt?” Fräulein Nies ftreifte
Aſta das weiße Seidentlleid über. Sie erbot fich, bei
der Toilette zu helfen, natürlich nur, um „Gefühls—
jtudien an einer angehenden Künjtlerin” zu machen,
wie Ajta Déi ausdrücdte.. Auf Bett und Stühlen lag
der ganze Zoilettenapparat herum.
Das alte Fräulein mufterte mit geheimer Empörung
die eleganten Sachen: reich gejtidte Wäfche, feidene
Unterröde, jeidene Strümpfe, lange Handjchuhe, Tafchen-
tuch mit echten Brüffeler Spigen, Fächer, weißes Plüfch-
cape mit dunflem Pelzbeſatz.
„Man muß wirklich hoffen, daß das Konzert out
befucht fein wird. Wie wollen Sie ſonſt diefen Toi-
lettenaufwand beftreiten, liebes Fräulein v. Hollen?“
Alta machte ſich ungeduldig von den an ihr herum:
zupfenden Händen der alten Jungfer frei. „Natürlid)
bin ich aufgeregt!” ſagte fie mit nervöſem Lachen.
„Fühlen Sie meine Finger. Eiskalt — nicht wahr?
14 Schiffbruch.
DDr DDr ⏑ Ee ⏑ ED ED DD ED ED EDDIE DD DD
Dor meinew: Augen: tanzen lauter pe, vote Sonnen.
Und- ment Sie mich? fragen, was für ei Lied ich fingen
toll; ich weiß. es we nicht ne Die. Worte
noch die Melodie. . ri, dE
Marka klopfte an bie Tür. EI? Sie fertig? Wir
muͤſſen fahren!"
Gig trat ein und Streichelte Aſtas heißes Geſicht.
„Lampenfieber, Kleine? Nur ruhig Blut! Sehen Sie
über all die Köpfe hinweg, und ſingen Sie Ihr Lied⸗
chen, wie wenn Sie ganz allein wären.”
„Wenn das nur fo ginge! Ich babe Angit, ſolche
ſchreckliche Angſt. Ich bringe gewiß keinen Ton her—
aus.“
„Dann bieten Sie wenigſtens den Sen einen
angenehmen Anblid. Mengersky und ich forgen für
den Ohrenſchmaus. Wegmwerfen tut das Bublifum fein
Geld alfo nicht,“ meinte Marla troden. „Als ich mein
erites Konzert in Moskau gab — das ift lange ber:
O ſchöne Zeit — o ſel'ge Zeit,
Wie liegſt du fern, wie liegſt du weit!
Nehmen Sie Ihre Notenrolle mit, Aſta!“
„Mengersky will, daß ich auswendig ſinge.“
„Natürlich, aber Sie müſſen ſie bei ſich haben. Das
Gedächtnis könnte Sie im Stich laſſen.“
„Ich halte Ihnen den Daumen,“ verſprach Fräu—
lein Ries.
„Dann kann uns ja nichts paffieren. " Marla
widelte Ajta in ihr Cape. „Je länger wir bier herum:
trödeln, um fo ſchlimmer wird Ihre Angft.” ... |
Während der Fahrt ſprach nur Marla. Aſta ont:
wortete feirte Silbe. Sie fürcdhtete, in Tränen oder in
ein Frampfhaftes Lachen ausbrechen zu müſſen, wenn
fie ein Wort eriwiderte.
— 11m
Roman von Henriette v. Meerheimb. 15
Das Publikum ftrömte ‚von allen en au Fuß
und zu Wagen der Philharmonie zu. Ss
EE A St großen Säite sage der
Zettel über der Solle
„Das ift immer jo, wenn Mengerety ſpielt⸗
Marla. Sie führte Alta durch einen befonderen Ein»
gang: in das. Zimmer der Künftler. .
Herr Rofengart vefelte Wë dort bereit. au dem
Sofa herum. `
Mengersky jprach mit — aiavierbegleiter in
einer Ecke.
Als die Damen eintraten, ging er ihnen —
Roſengart überreichte Marka feierlich ein wundervolles
Roſenbukett.
Mengersky hielt Aſta einen Veilchenſtrauß hin.
Sie ftotterte mühfam ihren Dank. |
Er ſah fie prüfend an. „Was ift denn das? Das
fieht ja beinahe jo aus, ala. ob Sie Angjt hätten?
Das mär noch ſchöner! Herr Roſengart denkt an
alles — er hat uns eine Flaſche u bereit
geſtellt.“
„Auf Ihren ausdrücklichen Wunſch, Herr Mengerskh,“
fiel Roſengart ein. |
„Da trinken wir fchnell einen Schlud.”
Mengersty ging zu dem Champagnerfühler und goß
die bereitftehenden Gläſer voll. „Angſt! Wenn ich
Gie begleite — da3 ift eine perfönliche Beleidigung.“
Er bielt Afta das Glas hin. Gie trank e3 burftig
aus. Ihr Hals mar troden. Die Farbe Lam in ihr
Geficht zurüd.
Dom Ronzertfaal ber tönte das gedämpfte Sprechen
der Menfchen wie das Summen eines großen Bienen-
fhwarmes. Stühle Happten unaufhörlid. Die Blätter
der Programme kniſterten. Die Damenkleider raufchten.
16 Schiffbruch.
— ⏑ Eeer Ee ee ME ee Mee Ee 3
Rofengart zog feine Uhr heraus. „SFränlein Baulfen
— darf ich bitten?”
Afta ſah mit entjegten, mitleidigen Augen auf Marka.
Wie war e3 nur möglich, daß diefe fo gelaffen out
Honn und mit der Miene völliger Gleichgültigkeit in
den Saal ging?
Bon Markas Spiel hörte Afta nicht viel — ein
Gemwirr von Tönen — nur an dem lauten Klatjchen
merkte fie, wenn ein Stüd zu Ende war. Nach dem
Adagio aus Beethovens neunter Sinfonie trat minuten
lang tiefe Stille ein.
Dies Adagio ift nicht wie von einem fterblichen
Menfchen erfonnen — e3 ift der Traum eines ver:
Härten feligen Geijtes, ber fich halb Lächelnd, halb
mweinend feines Erdenleben3 erinnert.
Doppelt laut und jtürmijch feste endlich der Beifall
wieder ein.
Mengersty ftand auf und bot Aſta den Arm.
„Kommen Sie!” jagte er ruhig.
Gie erſchrak. „Jetzt ſchon? Ich Dachte, ich finge
erjt nach Ihnen.“
„Nein. Es iſt beſſer fo.”
Am liebſten hätte ſie ſich an den Tiſch, an dem ſie
lehnte, feſtgeklammert, aber ſie ſchämte ſich.
Als fie den Saal betrat, wurde lebhaft geklatſcht.
Das galt natürlich nur Mengersky, dem beliebten
Künftler. Mechanifch und ohne zu wiljen, was fie
tat, verbeugte He fich leicht.
Mengersty jeste fi) an den Flügel. Wie faft alle
Violinvirtuofen war er auch ein fertiger Klavierjpieler.
Er begann ein kurzes Borjpiel und ging dann in
die veizende Melodie des jo entzücend komponierten
Goetheliedes über: „Ein Veilchen auf der Wieje Toun
Das Publikum tuſchelte. Operngläjer, Lorgnetten,
Roman von Henriette v. Meerheimb. 17
a m U m] U m um) U m U m) TUI II oe]
KRneifer richteten fich auf Afta. Das war ja das Dri-
ginal des neuen Bildes von Bengal.
„Süß — berzig — bildhübſch — nein, zu reizend!”
Ein Zeichen von Mengersty bedeutete Ajta, on:
zufangen.
Gie fette ein. Ihre Stimme zitterte bei den erjten
Strophen merklich. Sie fang das Lied befangen, nicht
halb fo nedifch Lieblich wie fonft, aber trogdem ent:
zückte es die Zuhörer.
Man applaudierte, rief da capo, immer lauter und
jtürmifcher fordernd. Wlan jubelte der Jugend, Der
Schönheit, dem reigenden Gefamteindrud Beifall. Wirk:
lih, „es war ein herzig's Veilchen”, das da vor ihnen
ſtand.
Mengersky begann ſein Spiel von vorn. Jetzt ſang
Aſta weit beſſer. Der Beifall belebte ſie. |
Das Publikum vote — der Jubel wollte fein Ende
nehmen. Auch die folgenden Gejänge, heitere Liebes-
und Frühlingslieder, mußten wiederholt werden. Zum
Schluß wurde „das Veilchen“ To ftürmifch wieder ver-
langt, daß Alta es wirklich zum dritten Male vortrug.
Glühend heiß vor Geligfeit warf fie fich dann im
Nebenzimmer Marla in die Arme, ja felbft Herrn
Rofengart, der felbftgefällig ſchmunzelnd daneben jtand,
hätte fie am liebjten umarmt.
„Sratuliere, mein Fräulein — gratuliere. Geniale
Idee mit dem Beilchenlied — koloſſaler Erfolg! Machen
wir demnächſt noch einmal.”
Alta konnte nicht antworten. Nebenan ſchwieg alles.
SFeierliche Stille breitete fich aus.
Aſta vergaß ihre ausgeftandene Angit, ihr Ent:
züden über den Triumph ... da fang fie wieder —
die Zaubergeige des Meijters. Goldene Fäden ſpann
die Violine, Zauberfäden — — danı ein Klingen der
1904. VI. 2
18 Schiffbruch.
ee ME ME EC Me EDDIE DD DD DDr Dre DD
Saiten mie ein le&tes fpöttifch-füßes Kichern. Mengersky
ließ den Bogen finten. Er verbeugte fich faum zum
Dank, wiederholte auch niemals ein Stück und mochte
der Beifall noch fo laut toben.
Afta traten Tränen in die Augen. Jetzt fchluchzte
auch die Geige wieder in einem fcehmermütigen Adagio,
um gleich darauf einen Funkenregen kühnſter Paſſagen
den Zuhörern hinzufchleudern.
Mengersky trat in das Künftlerzimmer, ließ das
Publikum draußen De müde klatſchen, legte feine Geige
in den Raften und Zlopfte jeinem jungen Begleiter
freundlich auf die Schulter. „Sie haben wieder ge:
jpielt wie ein Erzengel, mein Hanfel! — Adieu, Herr
Rofengart, ruhen Sie auf Ihren Lorbeeren! Wir
haben alle vier unjere Sache ganz brav gemacht, was?
— Jetzt auf zu Bengals, meine Damen! PBrofeljor
Bengal hat das um uns verdient. Drei Paar Hand-
Schuhe zerklatfchte er ficher beim Beilchenlied.”
„Ich bin eigentlich jehr müde,’ meinte Marla
zögernd.
„Müde? Angegriffen? — Sie Arme! Dann fahre
ich mit Fräulein v. Hollen allein zu Bengald. Ganz
enttäuschen dürfen wir die nicht.”
Ehe Marla Zeit zur Antwort finden konnte, legte
Mengersty Alta ihr Cape um. Er fchlug den Pelz—
fragen hoch. Das blonde Köpfchen hob jich reizend
von der dunklen Umrahmung ab.
Er ang fie haſtig durch das die Garderoben um:
drangende Publikum. Der Hausdiener pfiff. Eine
Droſchke fuhr vor. Mengersky hob Afta in den
Wagen.
Stumm ſaß er neben ihr. Der durch die Gla3-
jcheiben hereinfallende Laternenſchein beleuchtete hell ihr
zartes Profil.
Roman von Henriette v. Meerheimb. 19
DIDI DIE DD DD ED DDr Dr ED Dre DDr
„Alta!“ Tagte er endlich leife und mit von Leiden:
ſchaft erſtickter Stimme.
Sie wandte ſich lächelnd zu ihm. „Habe ich mt,
lich gut gejungen?”
Er nidte nur.
„Wie dankbar ich Ihnen bin! Wenn ich das je
vergelten könnte!“
Ein leifes Schluchgen zitterte in der holden Stimme.
„Da3 können Sie!" Er faßte ihre Hand. „Lieben
Sie mich ein wenig. Weiter will ich feinen Pant.“
Sie fchloß die Augen. Willenlos überließ He ihm
ihre Hand, auf die er heiße Solle drüdte.
In dem Tormweg der Bengalfchen Villa gab Mengersty
fie frei. Aſta ftrich fich das verwirrte Haar glatt.
„Berzeihen Sie mir, daß ich mich binreißen ließ,”
bat er traurig.
Seine Stimmung jcehlug oft blißfchnell von der aus—
gelafjensten Luftigkeit zur düfterften Schwermut um.
Aſta kannte diefe Schwankungen fehon. Mit einem
Lächeln ſah fie in fein verdüftertes Geficht. „Ach habe
nichts zu verzeihen.”
„ziebiter Engel! — Bleiben Sie mir gut. Gie
follen über feine Formverlegung mehr zu Klagen haben.
Vertrauen Sie mir! Sie fchenten Ihr Vertrauen feinem
Unmürdigen, nur einem Unglüdlichen — glauben Gie
e3 mir!”
„Unglüdlih? Ste, Herr Mengersky! Ach, wenn
ich To fingen könnte, wie Sie jpielen, ich wäre der glüds
lichite Menfch von der Welt.”
Er Sehüttelte müde den Kopf. „Wenn Marla Ihnen
etwa von mir — von meinem Leben erzählen will,
hören Sie nicht auf fie,” bat er plößlih. „Sch allein
will Sie einmal in dies Gewirr von Torheit, Schuld,
Unglüd und Schmerz bineinfehen laffen.”
20 Schiffbruch.
III DD DD RD ELF MD EDDIE ED DEI ED
„sch werde niemand anhören. Nur was Gie mir
felbft fagen wollen, will ich miljen.“
Er legte ihre kleine Hand an feine heiße Stirn.
Sie fühlte das Boden feiner Adern in jeder Finger:
ſpitze.
Beide überraſchte jetzt das Anhalten der Droſchke
vor dem Portal der Villa. Der Lichterglanz blendete
ihre an das Dämmerlicht gewöhnten Augen.
Als Mengersky und Aſta den Salon betraten,
waren die übrigen Gäſte bereits verſammelt. Ein
lautes „Bravo“ empfing ſie.
„Wo iſt denn Fräulein Paulſen? Kommt ſie nicht
auch?“ fragte Frau Bengal.
„Sie war zu abgeſpannt,“ antwortete Mengersky.
Frau Bengal faßte Aſta neckiſch unters Kinn.
„Wohl etwas eiferſüchtig auf unſer neues Sternchen?“
Mengersky zuckte die Achſeln. „Künſtlergrillen!“
„Marka bekam heute früh eine Nachricht, die ſie
erſchütterte,“ entſann ſich Aſta plötzlich. Den Vorwurf
der Eiferſucht konnte ſie nicht auf Marka ſitzen laſſen,
ſo unbegründet derſelbe auch ſein mochte. „Sie ſagte
mir nicht, was es ſei, und mich beſchäftigte das Kon⸗
zert zu ſehr, als daß ich weiter darüber nachgedacht
hätte. Erſt jetzt fällt es mir wieder ein.“
Profeſſor Bengal reichte Aſta den Arm. Mengersky
mußte die Hausfrau führen. Die Paare ſaßen ſich
gegenüber an dem großen runden Tiſch im Speiſeſaal.
Die Tafel war entzückend dekoriert mit flachen goldenen
Schalen in verſchiedenen Formen — alle bis zum Rand
mit Veilchen gefüllt. Die dunklen, anſpruchsloſen
Blumen wirkten wundervoll auf dem goldig ſchimmern—
den Grunde.
„Nächſtens haben wir wohl genug von den Veilchen,“
flüſterte van Tielen der neben ihm ſitzenden Dame,
Roman von Henriette v. Meerheimb. 21
DD RD ADD AD re DDr ⏑ DD DD De
einer jungen Schaufpielerin, zu. „Bas wird ja Die
reine Beilchenmanie bier 3
„Das Fräulein feheint fich zur Spezialität ausbilden
zu wollen,” entgegnete die Dame. Neidifch fah fie Aſta
an, der all diefe Huldigungen galten. „Sie follte lieber
im Bariets auftreten. In die Philharmonie gehört
fie nicht mit ihrer feinen Stimme und dem großen
Reklame: und Toilettenapparat.”
Alta hörte nichts von den leifen, boshaften Reden.
Um fie herum fehmirrte nur lauter Mob und Bewunde—
rung. Profeſſor Bengal war ganz außer ſich vor Ent»
züden, Mengerskys Blicke fprachen deutlich) genug.
Auch die übrigen Säfte ftimmten begeiftert in das
„Hoch“ ein, das der Gaſtgeber auf die „neue hoffnungs—
volle Sfüngerin der Kunſt“ ausbrachte. Jeder bat um
ein Billett zum nächſten Konzert, beftellte fich ein Lieb-
lingslied.
Der Champagner ſchäumte in den Gläfern. Vom
Wintergarten ber tönten weich gedämpfte Walzerklänge
einer verftedt binter den Kamelienbäumen ſitzenden
Muſikkapelle.
Der Duft der Blumen, der Geruch der Speiſen,
des Weins, alles das lag ſchwül und ſchwer in der
Luft.
Aſtas Kopf wirbelte. Sie war froh, als ſie nach—
her im Wintergarten ein kühles, verſtecktes Plätzchen
fand.
Mengersky ſetzte ſich zu ihr. Er ſprach nicht viel,
aber jedes Wort klang ſchmeichelnd wie eine Liebkoſung,
jeder Blick bedeutete eine Liebeserklärung.
Aſta ſchloß die Augen. Sie hätte ewig hier ſitzen
bleiben mögen, eingewiegt vom Duft der Blumen, den
ſanften Klängen des ſchwermütigen Walzers.
Als ſie doch endlich aufbrechen mußte, gab ihr Frau
22 Schiffbruch.
Ee BECH ee Ae Ce MECH Ee DDr DD
Bengal den Diener zur Begleitung mit, denn allein
dürfe ein junges Mädchen nicht fo fpät in der Nacht
nach Haufe fahren.
Mengersty beftätigte das. Er blieb noch auf Frau
Bengals Bitten und 309 Déi nebit einigen anderen
intimen Hausfreunden in des Profeſſors „Allerheilig-
ſtes“, eine altdeutfch eingerichtete Weinftube, die nur
durch einen alten, Toftbaren Gobelin vom Xtelier ge-
trennt war, zurüd. Hier kamen dem Profeſſor feine
genialften Ideen, wie er fich ausdrüdte. ...
Alta Hufchte möglichit leife über den Korridor der
Penfion. Alle jchliefen gewiß längſt. Sie ſchrak zu-
ſammen, als fie beim Betreten ihres Zimmers in dem
unficheren Schein ihres matt brennenden Lämpchens eine
dunkle Gejtalt regungslos an ihrem Bett fiten ſah.
Sie ftieß einen leifen Schredengfchrei aus.
„Ich bin es, Alta.” Marla richtete Déi aus ihrer
zufammengefuntenen Stellung auf. „Ich habe auf Sie
gewartet. Ich wollte noch mit Ihnen fprechen.“
Alta gähnte gezwungen. „Ich bin fehr müde.“
„Was ich zu fagen habe, ift kurz. Hoffentlich kommt
es nicht ſchon zu ſpät.“
Afta warf ihr Cape auf den nächſten Stuhl. Sie
fniete neben Marka nieder und faßte ihre Hände. In
dem blafjen Mondlicht, das durch die unverſchloſſenen
Fenfter drang, ſah Markas Geficht jeltjam alt und ver:
fallen aus.
„ta, Rind — Sie find fehr jung und unerfahren.
Mengersfy Huldigt Ahnen. Nehmen Sie das nicht
ernft. Ein Künftler ift Leicht entzüdt. Seine Bewunde—
rung bat gleich etwas Maßloſes.“
„Mengersky bemundert mich nicht maßlos. Ich
nehme ihn auch nicht ernst, jondern jehr heiter.“
„Alta, fpielen Sie mir feine Komödie vor!”
Roman von Henriette v. Meerheimb. 3
ADDED ED ED DDr DIDI DDr rede DD
„Weshalb jollte ich das tun?“
„Sie meinen, ich babe fein Recht, mich in Ihre
Angelegenheiten zu mifchen? Nein, ein juriftifches Recht
babe ich jicher nicht, nur das Recht der Freundjchaft
— und aud) eine gewiſſe Verantwortung, weil ich Sie
bei Bengal3 einführte, Sie mit Mengersky betont
machte.”
„Wir wollen nicht mehr von ihm fprechen.”
„Wenn Sie mir verfichern Tonnen, daß er Ihnen
gleichgültig ift — dann fage ich nichts mehr.“
„Bleihgültig! Nein. Wie Toun mir fold) großer
Künftler wohl gleichgültig fein?” |
„But, verehren — bewundern Sie ihn als Künit-
lex, jo viel Sie wollen — daS tue ich auch. Den
Menfchen aber laſſen Sie nicht in Ihr Schickſal en:
greifen — Sie würden es bitter bereuen.”
„Warum?“
„Weil Ihnen Mengersky nie mehr fein Tonn, mehr
fein darf als der Künftler, zu deſſen Genie Sie out,
leben und —”
„Ich will nichts mehr hören, wenigſtens nichts
Nachteiliges über Mengersty.” Aſta hielt fich Die
Ohren zu. „Er wird mir felber jagen, was ich wiſſen
muß. Ich mag nicht durd) dritte unterrichtet werden.”
„Wie Sie wollen. ch bin II Aber merlen Gie
ſich, daß zwiſchen Ihnen und Mengersky ein Hinder:
nis ſteht, das ſich niemals aus dem Wege räumen
läßt.“
Aſta glaubte, dieſe Worte ſeien eine Anſpielung
auf ihren Bräutigam. „ya, ja — ich weiß!” ſie ſeufzte.
„Marla, Sie fehen jehr blaß aus! Sind Sie Frank?”
lentte fie ab.
„Rein — aber ich hörte heute früh, daß Profefjor
Neen feine Frau verloren hat. Das erregte mich wohl
24 Schiffbruch.
ADD DD ED DD DDr DD DD DD ed
etwas. Er ut fehr allein jeßt mit feinem kleinen Rinde.
Er war immer fo hilflos in allen äußeren Dingen.“
Afta legte den Arm um Marfas Schultern und fah
ihr tief in die Augen. „Marka, wenn Dbnen die Liebe
mehr ift wie Ihre Kunſt — dann können Cie ihm ja
Delen
Marla machte fich fanft von dem umfchlingenden
Arm frei. „Wir haben feit vielen Jahren nie mehr
perjönlich etwa voneinander gehört,” ſagte fie ernit.
„Ich werde mich ihm nicht anbieten ... und er, er
wird es nicht wagen, mir zuzumuten, meine Runjt auf:
zugeben, um ihm in aller Stille zu dienen.“
„Freilich, das kann er nicht verlangen. Das würden
Sie wohl auch nie tun.“
Marla antwortete nicht. Sie jah ftill in die blafje
Mondjcheibe am Himmel. Ein fehmerzlicher Zug lag
um ihren Mund.
Ohne zu antworten, ging fie dann mit einem ftummen
Kopfnicken hinaus.
„Berlin, 10. März.
Liebe Ellen!
Eure Rlagen über meine fpärlichen Briefe mehren
ih. Wenn nur meine Zeit mit diefen Vorwürfen
wüchfe! Wer bat in Berlin überhaupt jemals Zeit!
Alles jagt und hetzt ſich ab. Aber es ut doch wunder-
vol bier. Der Winter war zu himmlifch! Die Morgen:
ſtunden übe ich fleißig. Den Unterricht im Konſer—
vatorium gab ih auf. Was foll mir Generalbaß
nügen? Komponieren werde ich niemals. ` rt verlor
nur meine fojtbare Zeit damit. Fräulein Behr, die
berühmte Konzertfängerin, ftudiert mir jeßt meine Lieder
vor den Konzerten ein. Dadurch Tomme ich viel fchneller
vorwärts als bei Profeffor Runzes ewigen Übungen.
Roman von Henriette o. Meerheintk. 25
DImDr DDr DD ED DEI ee De Dre DD ed red DDr
ch lege zwei Kritiken über mein lebtes Konzert
bei. Was fagt hr zu dem „holden Schmelz” meiner
Stimme und der „reizend jugendfrifchen Erjcheinung“
der Sängerin? Es ärgert mich immer ein bißchen,
wenn mein Ausfehen jo hervorgehoben wird. Ich
mwünjchte, man lobte nur die Stimme. Mengersty jpielt
immer in den Konzerten, bei denen ich finge. Er be-
jtimmt die Wahl der Lieder — fogar meine Toiletten.
Neulich fang ich die „Roſenlieder“. Ich trug eine blaß-
rofa Damajttoilette und wilde "Nolen im Haar und am
Ausfehnitt. Ich mußte die Lieder Dreimal mieder:
holen. Am anderen Morgen befam ich anonym einen
wundervollen Rojenftrauß.
Mein Bild ſteht in allen Schaufenftern ber Leip—
zigerftraße, daneben Mengerskys Raſſekopf, die Violine
an die Wange gelehnt, und Marla Paulfen an der
anderen Seite. Ihr ſeht, ich bin in guter Gefellfchaft.
In diefer auserwählten Gejelljchaft werde ich in kurzer
Zeit nah München gehen, um auch dort in Konzerten
an fingen. Im Sonmer ziehe ich mit Marka zufammen
in die Berge, um mich zu erholen.
Erjehrid nicht über diefen Plan, Ellen. Neue Geld:
opfer verlange ich nicht. Ich nehme jegt ziemlich viel
ein. Sreilich, mein Leben, meine Toiletten Toten enorm.
Aber ich denke, das ut eine gute Kapitalanlage. Später,
wenn ich erſt auf feiten Füßen jtehe, berühmt bin,
brauche ich nicht mehr fo viel Wert auf mein Außeres
zu legen. ch hoffe, Dir dann das Kapital zurüd-
zahlen zu können; jebt freilich bin ich noch lange
nicht jo met und muß noch ein Weilchen Deine Schuld:
nerin bleiben.
Dir verpflichtet bin ich body, Ellen, nie Tom ich
e3 Dir genug danken, daß Du das für mich getan haft.
Welch ein Leben ift das jet! Meine Vormittage
26 Schiffbruch.
ID EDDIE ED DD ADDED AD re EC ee er
gehören der Arbeit, Abends gehe ich ins Theater, in
Konzerte oder zu Bengals. Durch die fand ich viele
Freunde; freilich in ganz anderen Kreiſen, wie in denen
ich früher lebte. Berlin fcheint fich in unendlich viele
Zirkel zu teilen, von denen feiner mit dem anderen ver:
tehrt. Ich fehe nur Künſtler, Maler, Muſiker, Dichter
— wenige Beamte, faft nie Offiziere. Von dem Schiff3-
unglüd, das Kiel bis auf den Grund aufregte, jprach
bier niemand. In Berlin wird alles fchnell vergejfen.
Raum ift ein Ereignis in der Preſſe befprochen, kommt
jchon ein neues dran, und das erite, das fo viel Staub
aufmirbelte, iſt völlig beifeite gelegt.
Fräulein Nies, nach der Du Dich erkundigſt, fißt wie
angenagelt über ihrem Roman. Er wird aber immer
langmeiliger und wäſſeriger. Abends lieft fie mir mond,
mal daraus vor. Schredlich fade, aber fie fagt, das
muß fo fein. Gott gebe, daß fie ihr Gefchreibfel an-
bringt! Das arme Ding hat fo wenig Geld. Marla
und ich boten ihr etwas an. Aber fie nimmt nichts —
fie tft zu ftolz. Manchmal tut fie mir fchredlich leid.
Wenn ich zum Konzert fahre in einer hübfchen Toilette —
ich weiß, das Publikum wird applandieren, oft ganz
maßlos applaudieren für ein kleines Lied — dann (pt
fie in ihrer trübfeligen, häßlichen Stube bei der Arbeit
und muß alles befchreiben, was fie nie gejehen, nie ſelbſt
erlebt oder empfunden bat. Natürlich wird das dürf-
tig, grau und farblos wie ihr eigenes Leben oder fo
unnatürlich gejcehraubt und erzwungen.
Am beiten finge ich jetzt heitere Lieder. Kennt ihr
das reizende Gedicht von Nofegger: „Darf i 's Deandl
lieben?” Das fang ich al3 Zugabe neulih. Den
Tumult hättet Ihr hören jollen! Ich weiß, es ift Feine
große Kunſt, folch Liedel zu fingen, aber es ( zu rei-
zend, wenn alle jo entzücdt find. Mengersky jagt auch:
Roman von Henriette v. Meerheimb,. 27
DDr RD ee DD AD ED DD ED Dee D re Dre Dre
„Singen Sie nur, was Ihnen gut liegt und dem Publi-
tum gefällt — für Gie ijt die heitere Seite der Kunſt
und des Lebens.” — Ach, er ut fo gut zu mir! Ellen,
wenn Du ihn einmal fpielen hören Fönntejt — fo gött:
lich, überirdifch fchön! Dem Ton diefer Geige müßte
ich folgen noch in meiner Zodesftunde, wenn fie mich
tiefe. Sfeder Nerv, jede Fafer zudt an mir bei
diefem Spiel vor Entzüden, Wonne, Verzweiflung,
Schmerz. Du kannſt das nicht verjtehen, Ellen, weil
Du unmufitalifch bift. Wie viel Div dadurch entgeht,
ahnit Du zum Glück nit. Mir ift, als würde die
ganze Welt jtumm fein, wenn ich diefe Geigenjtimme
nicht mehr hören dürfte. Dir kommt das wahrfcheinlich
eraltiert vor. Vielleicht hätt’ ich’3 befjer nicht gejchrie-
ben, nun es aber einmal dafteht, mag’3 fo bleiben.
‘ch erzähle nur von mir und frage gar nicht nach
Euch. Und doch liegt (Guer trauriges Leben mir ſchwer
auf der Seele. Oft bin ich freilich zu glüdjelig, um
mich davon niederdrüden zu laffen. Habt nur Geduld:
es muß fich alles — alles wenden!
Vielleicht Tonn ich Euch diefen Sommer noch befuchen,
dann beitere ich Kurt auf — und Dtto, den lieben
sungen. Sch Tann ihn mir gar nicht bedrüdt und
Tchweigfam vorftellen, wie Du ihn fchilderft.
Herzensjunge, mußt Du denn durchaus zur Marine
gehen? Ich finde, Das it folch fchredlicher Beruf.
In der Heimat Zwang, Enge, Abhängigleit. In der
Weite Gefahren, Unficherheit und auch Zwang — ftets
die unfichtbare Kette, die Dich bindet. Ein wirklich
freies, großes Leben führt nur der Künſtler. Aber ich
will nichts jagen, denn
„Sn deiner Brujt ruh'n deines Schiedfal Sterne —“
denen muß man folgen, feinen anderen. —
William Nornann erreichen jetzt feine Briefe. Ellen,
28 Schiffbruch.
ge EDDIE DDr — re Dee Dre Dre Dre DD ECH
willft Du es ihm jpäter fchreiben, daß ich Erfolg babe,
Künftlerin von Ruf geworden bin? Es mar eine
übereilte Torheit unjere Verlobung — eine ganz finn-
loſe Handlung, ohne innere, zwingende Notmendigfeit...
wenigſtens bei mir.
Er wird eë auch überwinden. — Nicht wahr, Ellen,
Du fagft ihm das alles — je eher, je beſſer.
Geid innig umarmt von Eurer Afta.“
Achtes Kapitel.
„Wie joll das enden?” fagte Joſeph Mengersty
laut vor ſich hin.
Niemand fonnte ihm Antwort geben, denn er ftand
ganz allein mit feiner Bioline im Arm am offenen
Fenfter jeiner Heinen Barterremohnung in der Schnorr-
ſtraße in München.
Sa, wie follte es enden? Das mar fchmer zu be-
antworten, für ihn felbft am ſchwerſten.
Cie famen gerade noch zu den letten Tagen des
Rarnevals in München zurecht. Marla Paulſen, Aſta
und er. Da murde die norddeutiche Schmwerfälligteit
gründlich abgefchüttelt. Er jtürzte fich in das Karne—
valstreiben, mit dem ganzen ungebändigten Übermut
eines leichtlebigen Künſtlers jchmamm er in diefem
Strom ſorglos ausgelafjener Fröhlichkeit. Alta riß er
mit hinein, während Marta Tühl beobachtend ziemlich
zurüdhaltend blieb. Mengersky und Ajta moren bald
die Hauptperjonen auf all den Masten: und Koſtüm—
feften. Mit feiner Geige im Arm als „Rattenfänger“
309 er alt und jung magnetifch nach ſich. Oder er
fchlug die Zither, in eine echte derbe Tiroler Loden-
joppe und Wadenjtrümpfe gekleidet, bie Spielhahnfeder
auf dem graugrünen Filzhut, während Afta mit lang
Roman von Henriette v. Meerheind. 29
ni DDr DD DD DD DD
berabhängenden Zöpfen in etwas idealifierter Bauern:
tracht Volkslieder fang.
Der Jubel wollte fein Ende nehmen — alles um:
drängte die beiden.
Auch ihre gemeinfamen Konzerte wurden ſtets vor
ausverlauftem Haufe gegeben. München ift eben die
Stadt der Mufil, der Mal: und Baukunſt. Pie Dicht:
kunſt findet weniger Anklang.
In der’ Fleinen Rünftlerfneipe, in der fie täglich
dinierten, bildete die „Muſik“ einen Tiſch für "di,
Marka und Mengersfy murden dort ſtets mit be-
fonderer Auszeichnung als große Künftler behandelt.
In Alta verliebten fich alle — junge und alte Kollegen.
Das Mädel war auch zu reizend. —
Mengersty bis die Zähne übereinander. Sa, zum
Tollwerden hübſch war fie in ihrem Turzen, braunen
Lodenrod, den fie jet immer trug, mit der glattweißen
Hemdblufe und dem breiten Ledergürtel, einen Ma—
trofenhut auf dem Lockenkopf — noch taufendmal reizen:
der als in den eleganten KRonzerttoiletten.
Es lag über ihrer ganzen Erjcheinung der zauberifche
Duft der erjten Jugend und reinjter Unfchuld, der
Mengerstys Leidenfchaft fteigerte und doch wieder in
Schranken hielt. Hier in München fand niemand etwas
dabei, wenn er mit dem jungen Mädchen allein Bälle
und Theater befuchte, mit ihr ganze Nachmittage on
Starnberger See verbrachte. und Abends bis jpät in
die Nacht hinein in einem Der dielen Kleinen Biergärten
figen blieb. Hier ſah man viele Pärchen, Kunſtenthu—
ſiaſten beiderlei Gefchlecht3, die ſich (ber die ftrenge
Etikette der Heimat Ted hinmegfeßten. Sn München
fonnte man ungeniert tun, was in Berlin Anjtoß er:
vegt hätte.
Ohne genau zu wiſſen, wohin fie trieben, genofjen
30 ` Schiffbruch.
I Dr De DD De DDr Dre
fie die himmlischen Frühlingstage in der fchönen Königs:
ftadt, die Kunft und Natur gleich verſchwenderiſch aus—
geitattet bot. Mengersty machte jich felten Gewiſſens—
biffe und Skrupel; nur manchmal, wenn Aftas Augen
mit unbedingt gläubigem Vertrauen zu ihm aufjahen,
oder fie eine Außerung tat, als ſtünde es ganz feſt,
daß ihrer beider Zukunft ftet3 die gleiche‘ fein müſſe,
dann tauchte wie jetzt in der Einſamkeit die marternde
Frage auf: „Wie foll das enden?“
Meift genoß er die fehöne Gegenwart ohne Nach:
denken, küßte ihre Hände, flüfterte ihr Schmeicheleien
zu. Nur die Worte: „Sei meine Fran,” die fpracdh er
nicht.
MWarım? ...
Meit weg von diefer fonnigen KRünftlerftadt, in der
engen, dunklen Lefchnoftraße in Warfchau, ftand ein
jcehmales, graues Haus mit breitem Giebel und eng
nebeneinander liegenden Fenftern. Das bewohnte eine
ältliche, die, unfchöne Frau, die beftändig ihren Roſen—
Franz abbetete, im Haufe herumfchlurrte, nur Sonntags
ein ordentliches Kleid anzog, um in die Meſſe zu gehen —
eine unfaubere, häßliche Berfon.
Das war die Gattin des berühmten PViolinvirtuofen
Mengersky, fehon jeit zehn jahren feine Frau. Syn
feiner ärmften, elendeften Zeit hatte er in Warſchau
bei ihr ein Pachftübchen bewohnt. Er konnte ihr die
Miete nicht bezahlen, er hätte nicht exiftieren können,
wenn fie ihm nicht umfonft das Zimmer geheizt, den
Tee Morgens, Mittags die Kohlſuppe gekocht hätte.
Sie drängte ihn nie, feine Schulden zu bezahlen. Sie
mar froh, ihm dienen zu können. Für ihre befcheidenen
- Ansprüche war fie wohlhabend. Sie borgte ihm Geld
— ohne zu fragen, zu feilſchen, opferte fie den größten
Teil ihres Vermögens. Zum Dank heiratete er fie.
Roman von Henriette v. Meerheimb. 31
DAAD Dr Dre DDr ED Dee Dre Dr DDr Deere
Eie mar jelig. Sie verlangte gar nicht danach, fein
Leben zu teilen, nur für ihn zu forgen, für ihn beten
wollte fie.
Er machte Kunſtreiſen, durchitreifte faft die ganze
Erde — fie blieb in ihrer alten, dumpfen Gaſſe wohnen,
überglüdlich, wenn er fie einmal im Jahr befuchte.
Mit der Treue eines Hundes bung fie an ihm. Die
Zeit feines Beſuchs war der Höhepunkt im Jahr. Die
Monate vorher und nachher zählten nicht. Nur um
diefe wenigen Tage drehten fich ihre Gedanfen. Wenn
ihm die Nationalgerichte, die fie meifterhaft zu kochen
verftand, ſchmeckten, ftrahlte ihr Geficht.
Allmählich ſöhnte er ſich mit feiner Heirat, die ihm
erh unfäglich peinlich gemwejen war, aus. Es wurde
ihm fchließlich zum Bedürfnis, alle Jahre ein paar
Tage in der alten, winkligen Stube zu Dipen: fie er:
innerte ihn an die Zeit feiner Entbehrungen. Es war
ihm ein angenehmer Kitel, die früheren Drangſale mit
feinem jeßigen Leben zu vergleichen. Es ſaß fich ganz
behaglich auf dem alten, ſchwarzen Lederjofa, vor der
dampfenden Kohlſuppe — daS. glüdjelig verklärte Ge-
ficht jeiner Frau ihm gegenüber. Sie fprachen nur
Polniſch zufammen. Gie die einverftanden zu allen,
was er ihr erzählte. Wenn er jpielte, hörte fie mit
gefalteten Händen andächtig zu. Beim Abjchied mußte
er ein kleines gemeihtes Heiligenbild mitnehmen, das
fie bet jeiner nächften Heimfehr gegen ein anderes ver:
taufchte. Das Geld, das er ihr fehickte, fparte fie ſorg—
jam für ihn auf, denn fie wußte, daß er ſonſt alle feine
großen Einnahmen mit vollen Händen mieber ausgab
— und fammelte fo in geheimen ein Kleines Vermögen.
Er fragte nie nach dem Verbleib der Summen. Es
war ihm eine Beruhigung, fie an feinem Geminıt teil-
nehmen zu laſſen.
32 Schiffbruch.
De ZU en) DD DD ADDED ED DEI
Die wenigſten Menfchen ahnten etwas von feiner
Heirat, nur Marka hatte er fich einmal anvertraut.
Das war noch vor Jahren geweſen, als feine Heirat
ibm wie eine Schande, ein unerträglicher Hemnifchuh
erjchien, und er fich das Wort von ihr geben ließ, nicht3
zu verraten. Jetzt, mit den fahren, dachte er anders
Darüber. |
Er war an feine Frau gewöhnt wie an ein zwar
ziemlich unbrauchbares, aber unveräußerliches Eigen:
tum. Er hätte e3 nicht vermocht, fie von fich zu ftoßen.
Sie genierte ihn ja jo wenig. Sollte er zum Dank
für alle ihre Opfer, ihre anbetende Liebe fie mie einen
überläftigen Dienjtboten davonjagen?
Gene ganze feinfühlige Natur jträubte fich gegen
diefe undankbare, rohe Handlung. Sogar ein gewiſſer
Aberglaube verband ihn mit der Leſchnogaſſe und feiner
unfchönen Bemwohnerin. Er hatte das Gefühl, folange
diefe treue Geele für dich betet, Tonn es dir nicht fchlecht
gehen. In feine wunderliche Weltanfchauung paßte ein
wenig Aberglauben ganz gut mit hinein.
Aſta ahnte nicht, daß er verheiratet war. Oft ſchwebte
ihm das Geſtändnis auf den Lippen, aber er brachte e3
nie fertig, He aufzuklären.
Borläufig ſchob er die läſtige Auseinanderfegung
immer weiter hinaus. Aber einmal würde fie ficher fragen
und er antworten müſſen. Wie würde es dann enden?
Da war er wieder am Ausgangspunkt feiner Ge:
danken angelommen und gerade fo Flug mie vorher.
Nur feiner Geige konnte er all die quälenden Ge—
danken anvertrauen, fie fehluchzte, jammerte, jubelte
feine unruhige Geligleit, feine bangen Zmeifel in den
itrahlenden Sommertag hinaus.
Unter dem Fenſter ſtanden die Vorübergehenden
ftill, um dem Spiel zu laufchen.
Roman von Henriette v. Meerheimb. 33
DD ED ED EA ED ED AD ED ED FED AED ED ED
. Ein leder Jodler unterbrach feine kühnen Paſſagen.
Er ließ den Bogen finfen und ſah Hinaus. Aſta mar
e3. Die Sonne lag voll auf ihrem blonden Haar, ihrer
weißen Blufe. Im Gürtel hingen ein paar duntelrote
Rofen.
Sie trat dicht an fein Fenfter. „Schau — da jteht
er noch und fpielt, und Marla und ich gehen ſchon
faſt eine halbe Stunde in der Schnorrgaffe auf und
ab. Aber der Herr Mengersty vergißt bei feiner
Violine feine beiten Freunde und jede Verabredung.”
Mengersty legte das Inſtrument Hin und ftrecte
den Kopf weit zum Fenſter heraus. „Ich komme jo-
fort — bitt’ taujendmal um Entjehuldigung.”
„Marta und ich haben unjere Köfferchen ſchon zur
Bahn gefchict.”
„Zur Bahn?“
„Ja gewiß — wir wollen doch nach Partenkirchen.
Haben Sie denn alles vergeffen? Wenn mir ung nicht
beeilen, kommen wir nicht mehr zurecht.“
„Machen wir! Sch werfe meine Sachen jchnell
in den Rudjad.”
„Die Violine au?“
„Rein, die bleibt zu Haus. Sn fünf Minuten bin
ich da.”
Mengerskys Kopf verfchwand. Syn der Tat hatte
er die verabredete Partie nach Partenkirchen total oer,
gellen. Aber es jchadete nichts — er konnte in un:
glaublich Tuer Zeit feine Sachen in den NRudfad
Schnüren, und kamen fie wirklich zu dieſem Zug zu fpät,
jo fuhren fie eben mit dem nächiten.
Das Glück war ihnen aber in Geftalt einer Kleinen
Zugverjpätung günftig. Sie erreichten alle drei etwas
erbigt und atemlos noch den Anfchluß.
„Das war a Hetz'!“ Der NRudjad flog in das Web.
1904. VI. 3
34 Schiffbruch.
DIDI ⏑ ⏑ DD ADD Dee Dee Dee DDr
Der Zug feste fich Ton in Bewegung. Der Gepäd-
träger konnte nur noch fchnell abjpringen.
Mengersky redte fih. „Ach, das wird un3 gut
tun — ein paar Tage lang nur Berge fteigen, Milch
trinfen und jodeln. Die Alpenrojen blühen ſchon —
morgen pflüden mir einen großen Strauß. Aber früh
aufftehen, meine Damen!”
„Das verjteht fich.” Aſtas Augen ftrahlten. „Wird
das fchön werden! Jetzt kommen mir in die Berge
-— Marla, freuen Sie ſich nicht auch?“
„Sa, gewiß. Aber mir ift das alles nicht fo neu
wie Ihnen.“
Markas Gefichtsausdrud war in letter Zeit immer
ernft, ihre Stimmung niedergedrüdt und apathijch.
„Ich möchte in einem Kleinen Bauernhaufe wohnen,“
ſchwärmte Aſta.
„Womöglich im Heuſtadel ſchlafen,“ lachte Men—
gersky, „und früh ſich ſelber die Ziegenmilch direkt in den
Kaffee melken, was? Es gibt Genüſſe, die ſind nur
in der Phantaſie ſchön; dazu gehört das Schlafen im
Hen und andere allzu ländliche Dinge. Ich ziehe wenig—
tens eine gute Sprungfedermatrage bei weitem vor,
vielleicht weil ich die Hälfte meines Lebens auf einem
Strohſack ſchlafen mußte.“
„Auf einem Strohſack — wirklich?“
„Ich war ſogar froh, wenn ich den hatte und eine
Dede dazu. Durch die dünnen Mauern ſolcher Dach:
fammer pfeift der Nordwind höllifch Falt. Die Wände
moren oft ganz mit einer dünnen Eisjchicht bededt.
Dazu ein Inurrender Magen.”
„Sie haben gehungert?” Ajta weinte faſt vor Mitleid.
Mengersky zudte die Achjeln. „Das ging nod
Beſſeren mie mir ebenfo. Richard Wagner ift feiner-
zeit in Paris dem Hungertode nahe geweſen. Ihn
Roman von Henriette v. Meerheimb. 35
DD Deere De Dre Dre Dre Der ⏑ ⏑ Dre Dre Dr Dr Dr eD
rettete der ideal gejinnte König diefes Landes — mich
meine Bioline.”
„Und noch jemand anderes,” fiel Marla fchnell ein.
Ihre Augen richteten fich ftreng auf Mengersky. „ch
fürchte, Sie vergeflen das jegt manchmal.“
„Rein, das tue ich nicht,” gab Mengersky trobig
zurüd. Er ftedte die Hände in die Tafchen und pfiff
vor fi) bin. Dann beugte er fich zu Aſta, die entzücdt
zum Senjter hinausjah.
mmer höher wuchs das Gebirge an beiden Geiten
auf. Ein feiner, blauer Duft lag über der höchſten
Spite des Wetterjteingebirges.
„Auf den Kramer — vielleicht fogar auf die Zug:
ſpitz fteigen wir. Parunter tu’ ich’3 nicht, meine
Damen, meinte Mengersty. „Übrigens weiß ich ein
Duartier in Partenkirchen, das die Vorzüge der Sprung:
- federmatrage mit denen des Heuſtadels zu vereinen
weiß — ein ausgebautes Bauernhäuschen am Ende
des Dorfs. Ich hab’ vor Jahren jchon einmal da ge-
wohnt. Frau Huber, die Wirtin, ift eine brave Münch:
nerin, bieder, treuberzig und gerieben ſchlau. Die
Ausſicht ut Herrlich. Viele Fremde Tann fie nicht auf:
nehmen, aber der Touriſtenverkehr ift ja jegt noch nicht
jo fehlimm mie in der Ferienzeit.“
Marta und Aſta waren mit allem einverftanden.
Marla aus Gleichgültigkeit, Aſta aus volliter Ober,
zeugung, daß alles, was Mengersky vorjehlug, mujfter:
gültig Sei.
Das Haus lag wirklich reizend, halb verfteckt im
Grünen. Um den hölzernen Balkon rantten rote Kletter-
tojen und duftendes Geißblatt. Auf den grünen Matten
der Bergabhänge meideten Kühe. Die Töne des ob,
geſtimmten Glockenſpiels ſchwangen fich mie eine out,
fteigende Melodie durch die flille Luft.
%
%
36 Schiffbruch.
De TU 7 >) RIED ED DEI DEI ED
Trotzig ftarr ragten die grauen, zerllüfteten Fels—
wände des Wetterfteingebivges zu dem mattgrünlichen
Abendhimmel auf. Roſige Wollenfegen hingen über
den zadigen, fchroffen Spißen.
Die Wirtin Tom ihnen mit ausgeftredter Hand aus
der offenen Haustür entgegen. „Grüß Gott!“
„Wir kommen gleih mit Sad und Pad, Frau
Wirtin,“ rief Mengersky.
„Machen Sie recht.“
„Können wir hier ein paar Tage wohnen?”
„Aber gewiß. Für den Herrn Mengersty ift immer
noch ein Platzl frei.“
„And die Damen?”
„Schaffen wir auch.“
„Haben Sie viele Gäſte?“
„Heuer iſt's noch nit fo arg. Ein Berliner ut grad
abgereift.”
„Gott hab’ ihn ſelig.“
„gebt wohnt nur noch ber Herr Profejjor hier und
Ten Kleines Bübl.“
„Doch Fein Kindergefchrei?”
„Bo denfen ©’ hin. Das Bübl ift ſchon bald acht
Jahr. So a lieb's Kindl. Hat jein Mutterl verlor'n.“
„Zut mir leid, kann's aber nicht ändern. Da muß
Dë der Herr Profeſſor eben eine andere Frau juchen.”
„Das jag’ ich auch. Wär niemand mit ihm an-
geführt. Der hockt allemeil ftil über feinen Büchern,
da hört man fein ungutes Wörtl.“
Die lijtigen, in Fett verfchwommenen Kleinen Augen
der Wirtin gingen von Aſta zu Marka bin und ber.
Mengersky lachte. „Na, Frau Wirtin, Sie fcheinen
mir auch gern Heiraten zu ftiften. Warum find Gie
denn allemeil noch ledig?“
„J bedankt’ mi’ ſchön! Hab’am eriten Mal genug.”
Roman von Henriette v. Meerheimb. 37
DDr Deere ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ DD en Dre
„Sollten Sie Ihre Anſicht ändern, laſſen Sie es
mich ja zuerſt wiſſen. Hauswirt in Partenkirchen wär'
ich ſchon längſt für mein Leben gern.“
„Der Herr Mengersky iſt halt immer noch ein ge—
ſpaßiger Herr.“
Die Wirtin ließ ihre Gäſte in den mit ſauberem,
weißem Sand beſtreuten Hausflur treten. Vor den
kleinen, feſt zugemachten Fenſtern blühten Rosmarin
und Gelbveigelein in üppigem Flor. Das Mutter:
gottesbild in der Ecke war dagegen ganz mit gemachten
ſteifen Papierroſen dekoriert. Die Wirtin ſchlug raſch
ein Kreuz im Vorübergehen — Mengersky auch.
Aſta ſah ihn erſtaunt an.
„Hier iſt das Zimmer für die Damen.“
Die Wirtin öffnete mit Stolz ihr Privatgemach, ein
großes, dreifenſtriges Zimmer mit Plüſchmöbeln, Nuß-
baumſchreibtiſch und billigen Nippes dekoriert.
Marka riß vor allen Dingen das Fenfter auf. Sie
trat auf die Kleine, fcehmale Holzveranda. Balfamifcher
Henduft Schlug ihr entgegen. Auf der Wiefe dicht vor
dem Haus harfte eine jtämmige Magd die Heuhaufen
zujammen.
Ein Heiner Junge in dunkelblauem Tuchanzug half
ihr dabei.
„Hanſel, Hanjel — was ſchaffſt denn da?” rief
die Wirtin ihm zu.
Der Feine Burfch ſah auf. Das blonde Haar klebte
an der heißen Stirn, das Gefichtcehen war dunkelrot.
„Armes Buberl, immer in dem diden Jakett!
Mußt ja bald umlommen vor Kb 3
„Ich hab’ kein anderes mit, Frau Huber.”
Marla ging die eine Treppe binunter auf die
Wieſe. Etwas in dem FKindergelicht Tom ihr mert,
würdig betount vor. Diefe breite Stirn mit den fein-
38 Schiffbruch.
Sleigh ED RD DD AD ED re De ⏑—
gezeichneten Brauen über den großen hellblauen Augen,
deren Blid immer wie in weite Fernen zu ſchweifen
ſchien, das gerade Näschen, der fehmallippige, weiche
Mund — mo hatte fie das doch alles fchon gefehen?
Sie ftredte dem Kind die Hand hin.
„Srüß Gott — wir wohnen jet auch ein paar
Tage in deinem Haus. Dürfen wir uns in dein Heu
legen? Du haft folchen großen Haufen zujammen:
gerecht.”
Das Kind nidte. ES fchien Iden und verjchlojjen
Fremden gegenüber zu jein.
„Wie heißt du denn?”
Marka ſtrich leicht über das feuchte, glatt anliegende
Blondhaar.
„Johannes Reen heiß’ ich.” Der Tleine Junge
nahm wieder die Harte auf.
ioo trat erjchroden einen Schritt zurüd. „Wo
ift dein Vater?” fragte He ganz leife.
„Bater ift auf die Berge gegangen, für ınid) war
es zu mett Zum Abendbrot kommt er wieder. Er
bringt mir Alpenroſen mit, wenn er welche findet.“
„Da freuft du Dich wohl ſehr?“ Marka ſprach ganz
mechaniſch. Sie beberrfchte ſich mühſam. Am Tiebften
wäre fie vor dem Rinde hingelniet und hätte das Lleine,
nachdenfliche Gefichtehen mit Tränen und Küſſen bededt,
weil es feinem Vater jo ähnlich jah.
„Lieſe, gehſt du ſchon fort?” rief Hanfel. Er jah,
daß die Magd ihr Handwerkszeug zufammenrafite.
„sch muß das Abendbrot richten,“ rief dieſe ſchon
auf der Treppe.
„Romm!” ſagte Marla. Sie faßte die Hand des
Kindes. „Wir wollen alle zufammen im Garten Abend-
brot eſſen. Wir pflüden einen ſchönen Strauß für den
Tiſch. Willſt du?”
Roman von Henriette v. Meerheimb. 39
Dr Dre De en DD De ⏑ ⏑V —
Hanfel war einverjtanden. Sie gingen an die blühende
Notdorndede. Marta fchnitt einen großen Buſch ab.
„Dein Vater bat gern Blumen auf dem Tiſch —
das weiß ich.” Sie befreite die Zweige jorgfam von
den Dornen. „So, nun laffen wir und von Frau
Huber ein fehönes Glas geben. Du folljt ſehen, mie
hübſch das ausfieht.“
Hanſels Geſichtchen legte fich in nachdentliche Falten.
„Früher hatten wir auch manchmal Blumen auf Dem
Zu, aber feitdem Mutti krank wurde nicht mehr.“
„War He lange Trank?”
„Sehr — ſehr lange.”
Die Mundwinkel zogen fich herunter, die großen
blauen Augen füllten ſich mit Tränen.
Arme feine Seele! Was mochte das Kind in den
langen Monaten gelitten haben?
Marla wechjelte fcehnell daS Thema. „Wir jehen
beide ftaubig aus. Weißt du, Hanfel, ich bin eine alte
Freundin deines Vaters, du Tannit ruhig Tante
zu mir jagen, oder auch nur Marka, mie du willſt.
Jetzt geh mit in meine Etube, ich waſche dir Die
Hände.“
Alta ſah erftaunt auf, als Marla mit ihrem Kleinen
Schüßling ihr gemeinfames Bimmer betrat und mie
ganz jelbitverftändlich dem Kind die Ärmel aufftreifte,
um die Leinen braunen Hände gründlich abaufeifen.
„Es ift Hanfel een. Alta, das Kind von Pro-
feflor Reen.“
| „ach — ift er auch hier?” Um Aſtas Mund fpielten
nedifche Grübchen. „Das nenne ich einen glüdlichen
Zufall! Oder ift e3 vielleicht feiner?“
„Laß das,“ bat Marla gepreßt. Seit einiger Zeit
war das vertrauliche „Du“ zwiſchen ihnen eingeführt
worden.
40 Schiffbruch.
DIDI DD DI ERDE AD AD DD DD DD re
Unten im Garten dedte Liefe den Tiſch für fünf
Berfonen. Das etwas derbe Leinentuch war leuchtend
fauber. Goldgelbe Butter, ſchwarzes und weißes Brot,
Schinken, Eier und eine riefengroße Satte bider Milch
fahen recht einladend aus. Der Rotdornbufch im hohen
Glafe prangte in der Mitte des Tifches.
Mengersky warf fchon hungrige Blicke auf die Spei-
fen. „Wenn der Profeflor nicht bald kommt, fange ich
an. Mag er jehen, wa3 übrig bleibt.”
Aber Marla bat um Geduld. „Ein abgegejjener
Tiſch ift fo unappetitlich.”
„Da kommt der Vater!” jchrie Hanfel.
Mit ausgebreiteten Armen lief er einem großen,
ichlanten Heren in grauem Tonriftenanzug entgegen,
der eben, von der Dorfſtraße kommend, in den Heden-
weg einbog. Mit dem Kind an der Hand betrat Pro-
fejfor Reen den Garten.
Mengersty und Alta zogen ſich unmillfürlich etwas
zurüd. Marla ging ihm entgegen. Das Kind mochte ihm
wohl ſchon von der „guten Tante“ vorgeplaudert haben.
Mit freundlichem Lächeln ging er ihr ahnungslos ent-
gegen. Erſt als jie dicht vor ihm ftand, erfannte er He,
Er wollte etma3 jagen, aber er brachte fein Wort
heraus. Er hielt ihre Hand in der feinen, unverwandt
ſah er in ihr Gefiht. Wenig verändert erjchien fie
ihm, denn die Erregung des Wiederſehens färbte ihre
Wangen rofig, ließ ihre Augen glänzen. Das weiche,
dunfelblonde Haar wehte der Wind in kleinen Moden
um ihre Schläfen.
„Marta — Sie hier?” jagte Zeen endlich.
„Ja — id) hab’ jchon mit Hanfel Freundfchaft
geſchloſſen.“
Er ſtrich ſich über das leicht ergraute Haar. „Wir
haben lange nichts mehr voneinander geſehen.“
Roman von Henriette v. Meerheimb. 41
DEI DD DEAD AED ED ED RED ED ED re DEI —
„Aber doch voneinander gehört. Sch las Ihre
Bücher.”
„Und ich die Ronzertkrititen,” fiel Zeen ein. „Wie
oft mußte ich an die leßten Abende in Mostau denken,
wenn Gie mir vorfpielten. Ich babe nach Ihren Cho-
pinjchen Nokturnos gedurftet, Marka, der Klang lag mir
immer im Ohr.”
„Sie haben es nicht vergefjen?”
„sch habe nichts vergeſſen, Marla.”
Sie beugte fich zu dem Kinde und drückte ihre
Lippen in fein weiches Haar. Sie mußte ihre felig
ſtrahlenden Augen verbergen.
„Hanfel wird hungrig fein.” Sie nahm die Hand
des Kindes. „Wir wollen elen. Darf ich Sie mit
meinen Freunden befannt machen, lieber Profeſſor?“
Ihr leichter Blauderton half ihm feine etwas melt,
fremde Unficherheit überwinden.
Mengersfy und Aſta traten aus dem Hintergrund
auf daS Baar zu. Die Belanntfchaft wurde durch
Mengerstys Liebensmwürdigfeit leicht vermittelt.
Alta ſah ihre Freundin erjtaunt an. War das noch
diefelbe Marka, die vorhin fo müde und gleichgültig in
der Wagenede lehnte?
Seht trat fie ſchwebenden Schrittes an den Tiſch.
Mit leichter Hand füllte fie die dicke Milch auf die
Teller, reichte daS Brot herum und belud Hanſels
Brötchen mit den zarteften Schintenfcheiben. Das
weiche, zärtliche Lächeln, die jtrahlenden Augen und
roſigen Wangen ließen fie um Jahre jünger erjcheinen.
Über ihrer ganzen Erjcheinung, ihrem Reden und
Tun lag mit einem Male ein verflärender Hauch holder
Meiblichkeit. Die ernite, herbe Künftlerin trat ganz
zurüd.
„Seit vierzehn Tagen bin ich ſchon bier in Barten-
42 Schiffbruch.
——— DEI ADDED EI ED
kirchen, wo wir bereit3 oft und gerne weilten,” be:
antwortete Reen Mengersfys Frage. ` „Hanſi war jo
blaß und fchmal in Marburg geworden, daß ich ihn
ſchnell aufpadte und "hierher brachte. Uns beiden tat
Zuftveränderung not. Unfer Häuschen in Marburg ut
nicht mehr recht behaglich. Nicht wahr, Bubi?“
Hanfel nickte nur. Er kaute zu eifrig an feinem
Schinkenbrot.
„Sie wollten — Ruhe haben, Herr Profeſſor,
und nun ſchneit Ihnen ſolch Künſtlervolk in Ihr Still—
leben hinein,“ meinte Aſta.
„Ich werde dankbar für Muſik ſein.“ Profeſſor
Reen ſah ſehnſüchtig auf Markas ſchlanke Hände.
„Freilich, ein Flügel wird kaum in Partenkirchen out,
zutreiben ſein.“
„Und Herrn Mengerskys Violine blieb in München
zurück.“
„Schade — ſchade! Aber Sie wollten ſich gewiß
alle hier ausruhen.“
„Das. wohl. Aber ob wir es ganz ohne Muſik
aushalten können, ift mir jehr fraglich. Unfere Frau
Wirtin befigt eine Zither, die hole ich nachher. Fräu—
lein Aſta fingt.”
„Wie ſchön wird das werden!” Reens Augen
leuchteten, janfte, geniale Dichteraugen, die kurzſichtig
über alles Häßliche im Alltagsleben hinwegjahen, um
voller Enthufiasmus das Schöne in weiter Ferne heraus:
zufinden.
„Was Beſſeres Tonnte uns nicht paffieren. Daß
wir diefer Jugendliebe Markas bier in die Arme liefen,
ift ein Glücksfall fondergleichen,” ſagte Mengersky leife
zu Mita, als fie nach beendeter Mahlzeit etwas ent-
fernt von den anderen auf der Wiefe aan und ber
gingen.
Roman von Henriette v. Meerheimb. 43
u re DDr ee DD DD ED re ED ee D De
Die eriten Sterne tauchten mattglänzend auf. Die
Formen der Berge erjchienen immer gemaltiger in dem
unficher fehwanfenden Dämmerlicht.
„Hier breite ic) das Plaid aus. Wir fiten dem
Baar da drüben außer Seh-, aber nicht außer Hörmeite.
Nun können fie bei Zitherbegleitung da wieder an-
fangen, wo fie vor acht Fahren aufhören mußten.“
„Slauben Sie, daß bag gejchieht?“
Mengersty ftimmte feine Hither.
„Wir wollen e3 hoffen — ſchon unfertwegen.”
„Warum?“
„Weil wir dann ungeftörter fein Fönnen.”
Dhne ihr Zeit zur Antwort zu laffen, fing er an
au fpielen, die befannte, mehmütige Melodie eines alten
Volksliedes:
„Du wirſt mir's ja nit übelnehm'n,
Wann nit mehr zu dir komm'n darf...“
Ab und zu fang Alta mit halber Stimme einen
Vers leife mit. Die wehmütige Melodie ſchwebte mie
eine leife, rührende Klage zu Marla und Reen ber.
über. Bon der Wieje brachte jeder Luftzug wahre
Duftwollen des trocknenden Heus, des reifenden Korns
berüber.
über den Bergen lag der funtelnde Sternenhimmel.
„Hanfel, geh jeßt zu Bett,“ fagte Reen. „Morgen
bleib’ ich den ganzen Tag bei dir. Wir liegen im Heu,
jehen in den blauen Himmel hinauf und denken uns
was Schönes — ja?“
„An Mutti im Himmel?“
„sa, Hanſi — ja... auch an die.” Reen küßte
das Kind auf die Stirn, dann fchob er es Marla hin.
Sie drüdte ihre Tippen auf die Stelle, die fein
Mund berührt hatte. Beide fahen der Kleinen Geſtalt
nach, bis fie im Haufe verſchwand.
44 Schiffbruch.
ID RD ED RD ARD RD RED RD AD ED DE ADD
„Das Kind hat viel an feiner Mutter verloren,”
fagte Reen ernit. „Sie lebte ja nur für ihn und ihr
Haus. Gut, daß He jet nicht jehen Tonn, wie un-
gepflegt und fchlecht verforgt beide find.“
„Sie empfinden den Verluft Ihrer Frau ſehr bitter?”
fragte Marla. Ihr Herz fchlug laut.
„In der Seele meines Kindes — ja.”
„Und für Sie?“
„Für mich bedeutet ihr Tod nur den Verluſt jeden
äußeren Behagen?, der ube und Ordnung. Gie
wiſſen ja, daß ich feelifch tief einfam in meiner Ehe
war.“
„Das hat Héi in den fteben fahren, in denen mir
uns nicht fahen, nicht geändert?”
„Nein. Wir redeten eine andere Sprache, fahen
jede8 Ding mit verfchiedenen Augen an. Räumlich
eng beieinander — innerlich Durch Welten getrennt.“
„Konnten Sie nicht verfuchen, Ihre Frau zu Sich
heraufzuziehen ?”
Er jehüttelte müde den Kopf. „Sie bejaß fein
Drgan, um überjinnliche Dinge Toten zu können. ` Ich
fonnte nur herunterfteigen — oder einfam bleiben. Da
war letteres beſſer.“
„Hat fie es nie empfunden, wie fremd Gie fich eigent,
lich waren?”
„Ich glaube nicht.“
„Bas müflen Sie im len gelitten haben!“
„sh hatte meine Arbeit und die Erinnerung an
einen reichen, wundervollen Frühling. ... Marla, alle
Erzeugnifje meines Dentens find nur die Früchte jener
Blütezeit.“
„Kann das wahr ſein?“ Ge legte die Hand über
die Augen.
„Ja, es iſt jo,” jagte er einfach.
Roman von Henriette v. Meerheimb. 45
EDREDERDED ED AD ED re Dre D re Dee Dr ED ED
Atemlos wartete fie auf feine folgenden Worte.
Aber er jchwieg und fah ernft vor ſich Hin.
Warum bat er nidyt: „Sei meinem Kinde eine
Mutter — Tomm in mein einfames Haus!” Jubelnd
würde fie ihre Kunft, ihr freies Leben Hingemorfen
haben ohne Klage, ohne den Gedanken, ein Opfer da—
mit zu bringen.
Aber er jprach die erlöjenden Worte nicht.
Das Zitherfpiel verjtummte. Nur die Grillen zirp-
ten noch im Grafe.
„Ich babe Ihr Leben nur durch Beitungsberichte
verfolgen können,” nahm "een nach einer Pauſe das
Gefpräc wieder auf. „Alles Glanz und Triumph.“
„Bom Standpunkt eines Zeitungsreporter3 aus ge-
fehen — ja. Ich dDächte, daS Auge eines Freundes
fönnte tiefer jehen. Bon meiner mübhjfeligen Arbeit,
den oft verzweifelten Kämpfen, in denen jede Künſtler—
natur oft vergebens nach Ausdrud ringen muß, von
meiner tiefen Herzenseinfamteit — nein, davon ftand
in den Kritilen nichts. Auch nichts von dem Durſt
nach wahrem Verſtändnis.“
„Wo viel Licht ift, gibt es auch Schatten. Sie möch—
ten Doch gewiß Ihr Künitlerleben mit feinem anderen
vertaujchen ?”
Sie merkte in ihrer Erbitterung nicht8 von der
atemlofen Spannung, mit der er auf ihre Antwort
wartete.
„Natürlich nicht,“ jagte fie nach einem kurzen Still-
ſchweigen ruhig. „Aber es wird fühl — ich muß Aſta
rufen; die könnte fich auf der feuchten Wiefe erfälten.“
Sie jtand auf. Reen blieb auf feinem Plaß fiten.
Mengersfys Zither lag achtlos im Hohen Grafe.
Er hatte den Arm um Aftas Schultern gefchlungen.
hr blonder Kopf lehnte an feiner Bruft. Der
46 Schiffbruch.
—————— ——
Mond, der langſam über den Bergen heraufkam, be—
ſchien hell ihr liebliches Profil. Er ſchien ihr etwas
zuzuflüſtern; ab und zu drückte er feine Lippen leiden—
Ihaftli) auf ihren Mund oder in ihr lodiges Haar.
Markas Schritte blieben geräufchlos in dem weichen
Grafe. Sie jtand unmittelbar vor dem Baar, ebe
Mengersty fie bemerfte ` Mit einem halb unterdrüd-
ten Auf des Unmuts gab er Afta frei, die Héi mie ein
Ichläfriges Kind aus füßen Träumen aufrichtete. _
„Schon fo fpat? Wir follen ſchlafen gehen? Gut,
Marla — ih fomme Morgen it ja wieder ein
Tag — ein himmliſch fchöner, fonniger Sommertag.“
Der Ausdrud der Glüdjeligkeit in ihrem füßen
jungen Geficht tat Marla meh. Ohne Mengersty an-
zureden, legte fie ihren Arm um Afta und führte fie
mit fich fort.
Mengersfy blieb auf der fait taghell vom Mond
bejchienenen Wieſe ſtehen.
Einer unbezwinglichen Aufwallung feiner exzen—
triſchen Natur nachgebend, warf er ſich plötzlich in das
Gras und drückte ſeine Lippen auf die Stelle, wo eben
noch der junge, blühende Körper des ſchönen Mädchens
ruhte.
Die Gräſer und Blüten kühlten ſeine heiße Stirn
mit feuchtem Tau.
——
— — — —— — —
Neuntes Kapitel.
Goldene Sommertage mit unveränderlich blauem
Himmel über grünſchimmernden Matten und grauen
Felswänden, Herdenläuten, Lerchenjubel und Geißbuben-
jodeln wohin man ging.
Marka, Profeſſor Reen und Hanſel durchſtreiften
nur die nächſte Umgegend. Langſam ſchlenderten ſie
Roman von Henriette v. Meerheimb. 47
auf den bequemjten Wegen, indes Hanfel, die Hände
vol Blumen, vor ihnen ber fprang.
Mengersky und Aſta wagten ſich weiter hinauf,
hoch hinein in die Pracht der Alpenwelt. Sonn:
verbrannt, heiß und müde, aber ftet3 fehnfüchtig, neue
Schönheiten der Berge aufzufuchen, kamen fie met
erft zum gemeinfchaftlichen Abendbrot zurüd.
Stillſchweigend verlängerte jeder jeinen Aufenthalt
bier. Aber Mengersky hielt es auf die Dauer nicht
ohne jeine Violine aus.
Die ließ Déi leicht aus München herſchicken. Schwie:
riger war fehon der Tranfport eines Flügels für Mara.
Aber jchließlich (dt für Geld alles zu haben — und
fo ftand denn auch bald ein alter, aber noch wunder:
voll fingender „Bechjtein” in Frau Hubers Wohnzimmer.
Bor allem verjchrieb Marla einen ganzen Poften leichter
Blujen und Leinenanzüge für Hanfel. Der arme eine
Kerl ſchmorte förmlich in feinem dien Tuchkittel.
Neen küßte ihr dankbar die Hand, als er Hanjel
jo vorteilhaft verändert Tab, Das Kind lebte förmlich
auf. Marta ftudierte feine Wünfche und Neigungen.
Sie verftand es reizend, mit dem Eleinen gungen zu
jpielen, der bald mit begeijterter Liebe an ihr hing.
In Reens Augen traten oft Tränen. Ein unbefchreib-
lich jehnfüchtiger Ausdrud lag auf feinen Geficht, wenn
er fein Kind von weiblicher Liebe und Fürforge um:
geben ſah.
Es rührte ihn tief, dieſe hochitehende Künftlerin
Ichliht mie jede andere Frau Déi dem Kinde widmen
zu fehen. Nein, nicht wie jede andere Frau — ihr
ganzes Sein und Wefen war doch viele Akkorde höher
geftimmt wie die der nüchternen Alltagsnaturen. Gie
mürde ſtets auch das einfachlte, ruhigſte Leben künſt—
leriſch Schön zu gejtalten willen.
48 Schiffbruch.
DREI ADDED DD DD Drei
Oft, wenn We in ihrem einfachen weißen Kleide,
liebevoll mit Hanſel plaudernd, neben ihm ber fchritt,
lag ihm die Bitte auf den Lippen: „Sei mein mie in
jener feligen Zeit unjerer erſten Liebe. Geb nicht
wieder aus meinem Leben fort.” Aber er fand nicht
den Mut, dies auszusprechen. Seine jenfitive Natur
jeheute davor zurüd, ein Opfer zu fordern.
Der Tag der Abreife rüdte immer näher. Marka
erriet den wahren Grund ſeines Schweigens. Sie
merkte, fie mußte jelbjt die befreienden Worte fprechen,
in denen, wie in einem weichen Mollaflord, fich die
traurige Dijfonanz feines Lebens, die trübe Schwermut
des ihren löſen follte.
Nach einem langen, einfamen Spaziergang faßen
fie zufammen auf einer Bank, um auszuruben. Hanſel
Hetterte am Abhang herum.
„Ex wird ſich ſchwer wieder in Marburg eingemöh-
nen,” fagte Reen mit einem tiefen Seufzer.
„Barum? Man Toun es dort Doch auch glüdlich
und ſchön für ihn machen. Ein Kinderleben muß fo
fonnig beiter fein wie ein Maitag. Jede Jahreszeit
möchte ich zum Feſt machen. Wenn der erjte Schnee
fallt, brät man Äpfel in der Röhre. Das erjte Veilchen
im Srühling, der Lerchenjubel über den Saaten — das
kann alles zum Geck werden. Man muß e3
nur verjtehen.”
„Sold einem armen Rinde, das Dienftboten über:
laffen ift, Toun man feine frohe Kindheit jchaffen.”
„Weshalb müflen Sie ihn denn Pienjtboten über-
laſſen?“ fagte fie mit fanftem Vorwurf. „Geben Sie
ihn mir! Ich will einen ſchönen Menfchen aus ihm
machen. Schön fein — darauf legt man heutzutage
gar nicht mehr Wert genug. Schön fein von außen
und innen, voll künftlerifchen Genießens jeden Augen:
Roman von Henriette v. Meerheimb. 49
IDEE ADD DIDI DD DDr Dee
blicks, jchön in jeder Seelenregung, in jeder Auffafjung
und Lebensrichtung. Das ift mein deal. Das Wort
„ſchön“ bat einen meiten Begriff, gutes, bobes
Streben iſt darin eingefchlojjen.”
„Mein Ideal ift daS auch. Aber mie fol ich es
verwirklichen? In unferer Keinen, verjtaubten Woh-
nung mit faulen, widerhaarigen Dienftboten, da findet
fich Feine Schönheit. Früher hatte ich wenigſtens Ruhe,
Sauberteit und Ordnung.”
„Sie follen fie wieder haben. Alle Fenſter will ich
mweit aufmachen, die Sonne muß herein, Staub und
Spinnmweben heraus. Frohes Lachen, KRinderjubel fol
Dingen — das ift doch die fchönfte Muſik. Cinfaches
Leben und hohes Denken — das ſei unſer Wahlſpruch.
Ja?“
Sie reichte ihm beide Hände. „Marka!“ Er ſtand
mie im Traum vor ihr. „Du — du könnteſt deine
glänzende Laufbahn aufgeben, um mir in meinem Heinen
Haus die Wirtfchaft zu führen, mein Kind zu erziehen?“
„Ich will beides tun,” fagte fie feſt. „Und noch
viel mehr. Ich werde dich lieben, dein Kind lieben,
euer Leben ſchön und heiter machen.”
„Das Opfer ift zu groß! Deine unt —” `
„Pflege ich dabei weiter. Meine Muſik ift fo mit
mir verwachlen, da gibt’3 Teine Trennung. Das Kon-
zertegeben bleiben zu lafjen, ift Fein Opfer. DO, du
lieber Träumer in deiner ftillen Studierftube, du ahnſt
nichts von der häßlichen Seite unferes Lebens. Hältft
du mich für To armfelig, daß mir an dem Jubel eines
met jehr verjtändnislofen Bublitums fo viel liegt?
Was gebe ich auf? Den Staub, die überhitte Atmo-
ſphäre voller Ronzertfäle, den Neid, die Reklame, alles
Häpliche fallt von meiner Runft ab — nur das Schöne,
Emige nehme ich mit mir in mein neues Leben, mit zu
1904. VI. 4
50 Schiffbruch.
geen Ee ED DD DEI ED ADD DD DD Dre
dir in dein jtiles Haus. — Hanfel, Tomm einmal
ber!”
Das Kind Det auf fie zu. Mit einem jehüchternen
Lächeln bot er ihr feine Glocdenblumen und Farnblätter,
die in der Fleinen heißen Hand fchon matt die Spiten
hängen ließen.
Marla zog Hanfel zu Héi heran. „Sol ih mit
nach Marburg fommen und bei euch bleiben?”
Hanfel nidte eifrig. In feinen großen blauen
Augen lag ein glücfeliger Ausdrud.
Sie fügte ihn auf die Lider. „Ganz deine Augen!”
jagte fie, innig zu Reen aufblickend. „Ich will forgen,
daß dieje lieben Kinder- und Pichteraugen nur noch
Schönes und Gutes jehen.“
Hanfel lief wieder zu feinen Blumen.
„Wirt du eë auch nie bereuen, Marka?“ fragte
Reen mit jtodender Stimme.
Sie jehüttelte den Kopf. „Ich bin fo lange herum:
gewandert, jebt komme ich endlich nach Haufe zu dir.
Heimatlos war mein Leben, heimatlos meine Geele,
feit du von mir gingft.”
Stumm faßen fie nebeneinander Hand in Hand und
fahen in die fintende Sonne hinein.
Abends wurde die Verlobung bei einem Glafe
Rheinwein gefeiert.
Frau Huber war felig, daß ihr Profeſſor fich bei
ihr eine Frau geholt habe. „Hab’3 mir gleich gedacht,
mie ic) das Fräulein geſeh'n hab’,“ meinte fie. „Sie
mar halt gar fo lieb mit dem Bübl. Na, mit der (dt
der Herr Profeſſor nit ang’führt.“
Mengersky fpielte zur Feier des Tages feine fchöniten,
ſchwermütigſten Weiſen. „Ein Abfchiedsgruß für die
jheidende Genofjin,” fagte er. |
Roman von Henriette v. Meerheimb,. 51
EDDIE EDDIE Eechen Mee ECH
Afta umarmte Marla wieder und immer wieder.
Sie wünfchte ihr herzlich Glück, und doch Klang durd)
ihre Gratulationen eine deutliche Verwunderung bin-
durch. ES erjchien ihr fo unglaublich, daß man das
herrliche Leben einer Künftlerin aufgeben mochte, um
eine eine Häuslichkeit in Stand zu halten, ein Kind
zu erziehen. Da ging es ihr doch beffer! Gie fonnte
ihre Liebe und ihr Künjtlerleben vereinen.
Nie Tom ihr der leifefte Zweifel an Mengerskys
Liebe. Nichts ftörte ihren blinden Glauben. Wie ein-
gefponnen in ein Ne von goldenen Sonnenfäden ge:
noß fie diefe himmlischen Tage. Kein Brief der Ihren,
der einen Mißklang hätte bringen Fönnen, erreichte fie.
Hollens mußten faum, wo fie augenblidlich war. An
William Normann dachte fie faft nie. Ellen mürde
ihm ficher alles getreu berichtet haben. Damit war
das läftige Band endgültig gelöft. Sie fuchte jede
leife Erinnerung an ihn zu verbannen, und c3 gelang
ihr vorzüglich.
Früh Morgens, oft um fechs Uhr fchon, trat fie ihre
Bergmanderungen mit Mengersy an. Nur felten
nahmen fie einen Führer mit. Er Tanıte alle Wege
und Stege hier wie der ältejte Bergfteiger.
Manchmal rubten fie unterwegs an einem fehatti-
gen Plägchen aus. Afta pflücdte Blumen. Mengersty
wand einen Kranz Daraus, den er ihr in das blonde
Haar brüdie Oft ſank er in folchen Momenten vor
ihr nieder, küßte ihre Hände, ihre kleinen Füße, troß
ihrer Abmehr.
„Laß mich doch! Ich Huldige der Schönheit der
Königin Jugend.“
Was bedeutete feinen heißen, finnenbetörenden Liebes⸗
ſchwüren und Küffen gegenüber die blaffe Erinnerung
ihrer erften, halbvergeffenen Verlobung?
52 Schiffbruch.
ID EDDIE ⏑ ⏑ AD AED DIDI X—C
Mengerskys ſich oft plölich verdüfternde Stimmung,
in der er nach folchen Ausbrüchen wortkarg und melan-
cholifch neben ihr her fchritt, jchob fie auf unberechenbare
Künftlerlaunen,, ohne "éi weiter den Kopf zu Aer:
brechen.
' Markas Verlobung, der die Heirat faſt unmittelbar
folgen jollte, änderte aber auch Aſtas Pläne. Aus
dem langen Aufenthalt in den Bergen fonnte nun nichts
werden.
Profeſſor Zeen reifte mit Hanfel nach Warburg,
um alles möglichft in Stand zu fegen. Marka wollte
baldigit folgen, um Hd dort mit ihm in aller Stille
trauen zu laſſen.
Bor einem Berliner Winter ohne Marla graute
aber Alta, und Mengersky ftimmte ihr bei.
„Ich babe ein glänzendes Anerbieten, nach Amerika
zu gehen zu einer Konzerttour. Komm mit mir!“ bat
er. Insgeheim nannten fie fich jebt hu" „ch Tonn
dir leicht einen guten Kontrakt verjchaffen.“
„Nach Amerika?“ Aſta überlegte unjchlüffig. „Was
werden meine Angehörigen dazu jagen?” |
„Kind, wenn Du bei allen Unternehmungen deine
Bafen und Vettern fragen willft, wirft du nie felb-
ſtändig,“ lachte er. „Schlag ein!”
Sie legte zögernd ihre Hand in die feine.
Er trat dicht vor fie hin. „Ich Halte fie feft, diefe
Heine Hand,” jagte er mit leicht bebender Stimme.
„sch laſſe fie nicht wieder los. Es ift für uns beide
das beſte, Alta, wenn mir in einem anderen Erdteil
find. Wir laffen allen Altweiberklatich, alle kleinlichen
Anfichten in der Alten Welt zurüd und fangen ein
neues Leben an. Nur ich und du. Willft du?“
„Ich möchte ſchon.“
„Du mußt! Ich will dir ein Leben ſchaffen, Kind,
N
Roman von Henriette o. Meerheimb. 53
Ee Ee EE EE EDDIE ADDED AD DE Dre DD DD
wie du e3 dir nie träumen ließejt. Laß die Lleinlichen
Bedenken fahren. Denke groß!”
Sein heißer Atem mwehte über fie bin. Gie fah in
fein intereffantes Geficht mit den ſchwermütigen Augen.
Sie jchlang die Arme um feinen Hals.
„Ich will dir folgen bis ans Ende der Welt!“
Mit einem Jubelruf drüdte er fie an fih. Ber
Atem verging ihr fat unter jeinen wilden Küffen.
„Mein — ganz mein! Gleich fahr ich na Mün-
den zu dem Konzertarrangeur und fpreche mit ihm.
. Anfang September geht’3 fort. Bis dahin treiben wir
uns noch in den Bergen herum.” —
Mengersty fuhr wirklich nach einem ziemlich Fühlen
Abfchied von Marta noch München zurüd.
Alta erbot ſich, Marla beim Boden zu helfen. Der
Nachmittag ohne Mengersty wurde ihr. lang.
Vielleicht Tom er exit morgen früh zurüd.
Marta nahm das Anerbieten an. Sie war in
legter Zeit zu ausfchließlich mit ihren eigenen An-
gelegenbeiten bejchäftigt gewejen; aber heute, wenige
Stunden vor ihrer Abreife, fiel es ihr ſchwer aufs
Herz, in welch gefährlicher Lage fie das junge Mäd-
den zurüdlie. Morgen früh Tom Mengersky mie:
der. Wollten die beiden etwa ganz allein bier wohnen
bleiben?
Alta Job auf dem Fenjterbrett. Ihre Fleinen Füße
trommelten gegen die Wand. Sie ſah geradezu ftrah-
lend hübſch und glüdlich aus.
Marta legte ihre NRöde und Blufen zufammen.
Aſtas angebotene Hilfe bejtand im Zufehen. Bon dem,
was fie plauderte, hörte Marla nichts. Sie erwog
immer nur, wie fie Aſta bewegen follte, von bier fort,
zugehen. „Komm mit nad) Marburg zu meiner Hoch-
zeit!” bat fte plößlich ziemlich unvermittelt. Der Ein-
54 Schiffbruch.
m DD ADD AD EI AD AD AD AD AD AED Dre DDr Dre
fall Tom ihr wie eine Offenbarung vor. „Es iſt ge:
vadezu herzlos, wenn du mich allein heiraten läßt.”
Alta jchüttelte den Kopf. „Ach, ihr feid euch ja
beide ganz genug. Zum Überfluß habt ihr Hanfel
zum Zuſehen.“
„Bitte, reife mit mir.”
„Kann ich doch nicht, liebſte Marla.“
„Warum nicht?”
„Wenn Mengersty zurückkommt, muß er doch mich
wenigſtens vorfinden.”
Marla ließ den Koffer ins Schloß ſchnappen. Sie
drehte den Schlüffel zweimal um und verwahrte ihn
forgfam in ihrer Geldtafche. Sie trat zu Aſta ins
Fenſter. „Du fonnt doch bier nicht mit Mengersiy
allein wohnen bleiben, Aſta!“
„Weshalb denn nicht? Wir wollen im Herbft eine
Ronzertreife nach Amerika machen.”
„Ihr beide zuſammen?“
„Ja, wir zwei allein.“
Aſtas lachende Augen erſchienen Marka ſchrecküch
in dieſem Augenblick. Sie wußte, welch heiße Tränen
bald fließen mußten.
„Natürlich heiraten wir vorher.“
„Hat er dir das geſagt?“
„Nein — aber das iſt doch ſelbſtverſtändlich! Er
hat mir geſagt, daß er mich liebt, daß wir immer Au:
jammen bleiben wollen, da3 heißt doch jo viel wie,
wir heiraten — nicht wahr?”
„Bei anderen Männern ja — bei Mengersty nicht.“
„Warum denn bei ihm nicht?“
„Weil er nicht heiraten Tonn — weder dich nod
jemand anders.”
„Weshalb denn nicht? Er ut doch wohl fein oer,
fappter Mönch?”
Roman von Henriette v. Meerheimb. 55
Eelere DD RD DA e DD DD D re
„Afta, Jet ernſt. Was ich dir jebt jagen muß,
wird dich jehr hart treffen.”
„Was denn nur?“
„Mengersty ift bereits jeit zehn Jahren verheiratet.”
„Das ift nicht wahr!”
„zeider doch. Er hat eine unfchöne, alte Frau, die
in Warſchau lebt. Sie half ihm einmal aus bitterer
Not. Mengersty wird fie deshalb nie von fich ftoßen.
Außerdem ijt er, wie du weißt, Fatholifch, und feine
Kirche erlaubt Feine Scheidung. So wunderbar e3
klingt: troß feiner oft jehr frivolen Äußerungen hängt
Mengersty an feiner Kirche und auch an feiner Frau
mit dem Stücdchen jeines Herzens, das fich auch nie
von Polen, jeiner Heimatjtadt Warjchau, feinem alten
Rinderglauben losmachen fonnte Ich hätte dir längſt
die Wahrheit gejagt, Alta, nur bielt ich ein Ver
fprechen, das ich Mengersky einmal gab, für bindend.
Ehe ich dich aber in diefen Abgrund ftürzen laffe, breche
ich lieber mein Wort.”
Alta glitt von dem Fenjterbrett herunter. Sie
Honn dicht vor Marla und legte ihr beide Hände
fehwer auf die Schultern. In ihr ſüßes, junges Ge-
ficht gruben fich ein paar Linien, die es auf einmal
völlig veränderten. Es erjchien Marla wie da3 einer
Fremden — graublaß, mit bitter verzogenem Mund
und ftarr aufgerifjenen Augen.
„Alta! Um Gottes willen — fieh nicht fo oer,
zweifelt aus!” bat He „Zrin? ein Glas Wafler —
berubige dich! Kind, geliebtes Kind, dir bleibt ja
noch fo — viel die Liebe deiner Gefchwifter, die Freude
an deinem Geſang. ... Vielleicht, Liebling — wenn
du diefen Schmerz überwunden bat. findet du Dich
noch einmal zu deinem Verlobten zurüd.”
Alta Dep ihre Hände von Markas Schultern herab-
56 Schiffbruch.
ORDER DD DD ED DD ADDED De DD
gleiten. Sie lachte ſcharf auf. „Bon einer Hand in
die andere!” fagte fie hart. „Weil ich den einen nicht
heiraten fann, fol ich mit dem anderen fürliebnehmen?
Ein hübfcher Vorſchlag!“
„Ich meinte ja nur, daß du nach und nach es ver-
winden wirft, Aſta. Komm mit mir! Ich packe fchnell
deine Sachen. Es iſt bejfer, du fiehjt Mengersty nicht
wieder. Überlaß alle mir. In unferer Leinen Häus—
lichkeit in Marburg ift Pla für dich, da pflege ich
dich gejund.“
„Nein — ich bleibe hier und warte auf Mengersky.
Ich will jelbjt von ihm hören, ob es wahr ift.”
„Aſta, ich ſchwöre dir, daß ich die Wahrheit gefagt
babe. Denkſt du, ich werde dich belügen?“.
„Rein. Aber die — die Perfon könnte inzwifchen
geftorben jein, oder er fich Doch von ihr gejchieden
haben.“
„Das hätte ich gehört.”
„Haft du ihn danach gefragt?”
„Das nicht. Aber wenn er nicht noch an feine
Frau gebunden wäre, würde er offen und gerade han-
deln können. Dies alles fieht nicht nach gutem (Ge:
wiſſen aus. Ich kenne Mengersty, Afta. Ich weiß,
welche dämonifche Gewalt er über monde Frauenbherzen
ausüben Tonn. Geh der Gefahr aus dem Wege.“
„Welcher Gefahr?” |
„Son noch einmal zu fehen. Er wird dir von
feiner Herzenseinfamtleit vorreden — du jolljt die Mufe
feiner Runft fein und fo weiter.”
„Darauf will ich es anlommen laſſen. Ich muß
ihn doch wenigſtens anhören.”
„Ich kenne ihn better ald du. Er wird jich nicht
von feiner Frau fcheiden laffen, um dich zu heiraten.
Er wird dir anbieten —“
Roman von Henriette o. Meerheimb. 57
DET DD DIA ED ED ED DD DA Dre
„Schweig! Sprich die häßlichen Worte nicht aus!”
fuhr Afta auf. Sie vergrub das Geficht in beide Hände.
Marla Iniete neben ihr nieder und verjuchte ihr
Die Hände wegzuziehen. „Aſta, Tomm mit mir; ich
bitte, ich befchwöre dich! Du fonnt ja von Marburg
aus an Mengersky jchreiben.”
„Laß mich allein — du folterft mich.”
„Gut.“ Marla ftand auf. „Wenn du meine Hilfe
nicht annehmen willſt, Aſta,“ fagte fie traurig, „jo höre
wenigſtens zum Schluß noch einen guten Nat.”
„Den William Normann zu heiraten und ein „glüd-
feliges, gerubiges Leben” an feiner Seite zu führen?
Ich danke für diefen guten Rat.”
„Du Tprichft jehr bitter.” In Marlas Geficht jtieg
eine leichte Röte des Unmuts. „Mein Rat betrifft
etwa3 ganz anderes. Er bezieht fich auf deine Kunſt.“
Alta ließ die Hände in den Schoß fallen und horchte
unwillkürlich auf.
„Auch damit fchlägft du einen faljchen Weg ein,
Kind. Hauptjächlich durch Mengerskys Schuld bt du
in diefe verkehrte Richtung hineingeraten. So mie du
die Sache betreibft, wirft du ein paar Jahre lang, To
lange du hübſch und jung but. bewundert — dann
aber vergeflen werden. Mit jedem Jahr, das du älter
wirft, werden die Menfchen größere Leiftungen von
dir fordern, und du wirft fie nicht geben Tonnen. denn
du but flach in deiner Kunſt geblieben. Pie ernite
Arbeit fehlt — das Ringen, Leiden, Streben. In
einiger Zeit wirft du das Publikum langmeilen mit
deinen Veilchen- und Rofenliedern. Und was bleibt dir
dann?”
„Du felbit Haft mir gefagt, daß Reklame zur Kunſt
gehört.”
„ja, Herz — meil ich dir einen Erfolg gönnte und
58 Schiffbruch.
RD ED re Dee
ich dein ganzes Künftlertum nicht ernſt nahm. Ich
dachte, es fei bloß eine Laune, ein Übergangsjtadium
zwifchen Verlobung und Heirat. Willit du aber dabei
bleiben, Aſta, jo geh auf ein Konjervatorium, ftudiere
ernft und fleißig. Du kannſt dazwiſchen in Konzerten
fingen, weil du ſchon etwas bekannt bt und nicht
ganz in Vergeflenheit geraten Dot Dann mwird es
ſich erweiſen, ob du eine Sängerin wirft, die man ernit
nehmen Tonn, oder ob du nur eine hübſche „Spezia-
lität” warſt, die die Yaune des KRonzertpublilums eine
Zeitlang in Mode brachte.”
Alta antwortete nit. Markas Worte berührten
fie jehr peinlich. In ihrer krankhaft gereizten Seelen—
jftimmung glaubte fie nicht an die bittere Wahrheit ber.
felben. Marla war ficher eiferfüchtig auf ihre Erfolge
geweſen, wenn fie es fich auch bisher nie merken ließ.
Sie mußte durch ihre Heirat aus dem öffentlichen
Künjtlerleben ausfcheiden, und fie konnte es nicht er-
tragen, Aſta jo mühelos Bewunderung ernten zu fehen.
Die Konzertreife mit Mengersky nad) Amerila, Die
fiher ein Triumpbzug wurde, war ihr wahrjcheinlich
ein unerträglicher Gedante, weil fie fie nicht mehr mt
machen Tonnte. WBielleicht erfand fie auS Neid, um
Mengersky von ihr zu tremmen, die ganze Gejchichte
jeiner Heirat.
Erleichtert, wie befreit von unerträglichem Drud,
atmete fie auf.
„sh will deine Worte überlegen, liebe Marla,”
fagte fie mit völlig verändertem Gefichtsausdrud. „Du
haft gewiß recht, daß ich noch viel lernen muß. Ich
bin ja nod jung genug dazu. Aber jett meine eben
errungene Stellung aufzugeben, wäre mehr wie unklug.
Da3 würde einen neuen mübjeligen Anfang bedeuten,
wicht wahr?“
m) E
Roman von Henriette v. Meerheimb. 59
eene ee ED ED ED RD DD ADD Dre DD —
„Ohne Mühe erreicht man nicht8 Großes,” ant-
wortete Marta kühl. Sie erriet Aſtas Gedantengang
und fühlte fich verlegt.
Sie ſprachen nicht mehr zufammen, bis Marla im
Neifeanzug von Alta Abfchied nahm. Da fonnte fie
e3 Doch nicht Toten. das junge Mädchen innig zu um:
armen. „Leb wohl, liebes, unvernünftiges Kind!” fagte
fie ſchluchzend. „Dente immer daran, daß unjer Haus
in Marburg dir Tag und Nacht offen ſteht. Ich fürchte,
du wirft nur zu bald die Wahrheit meiner Worte er:
kennen.“
Vom erſten Teil der Rede fühlte Aſta ſich ergriffen,
aber der Schlußſatz ärgerte ſie wieder. Trotzdem küßte
ſie Marka und verſprach bald zu ſchreiben.
Sie winkte auch pflichtſchuldigſt mit dem Taſchen—
tuch, ſolange das Gefährt, das Marka und ihr Gepäck
zur Bahn beförderte, noch zu ſehen war.
Mit einem Gefühl der Befriedigung ſah fie es end-
Déi um die Ede biegen und verjchwinden.
„Künitlerneid und Mißgunſt — nichts weiter!“
dachte fie erleichtert, wenn Markas Reden fie be-
unruhigen wollten.
Der einfame Abend verging trübjelig. Bücher hatte
fie nicht bei fich.
In der Nacht fchlief fie fchlecht. Immer wieder
Ichredtte jie aus unruhigem Halbſchlaf in die Höhe.
Blaß und mit überwachten Augen Top He am anderen
Morgen am Raffeetijch in der Laube, als fie Mengersky
in den Garten einbiegen jah. Er ſchwenkte Ton von
weitem den Hut.
Alta ſtand auf. Sie hielt ſich am Tiſch feft, um
wicht zu fallen. Alles ſchwankte um fie herum.
„Suten Morgen!” Mengersfy Tom mit rafchen
Schritten auf fie zu. „Guten Morgen, Liebſte, Schönfte,
60 Schiffbruch.
RD DD DD ADD RD ED De DD ee De DE Dre ECH
Holdejte! Gleich komme ich wieder, will nur erft
den Münchner Staub etwas abbürjten. Dieſe Hiße
in der Stadt! Scheußlich — geradezu fcheußlih!" Er
atmete tief auf. „Kontrakte hab’ ich in der Tafche!
Großartig, ſag' ich dir! Als Impreſario bin ich gar
nicht fo übel. ... Aber was machſt denn du für ein
grandiges Geficht? Schlecht gejchlafen? Oder gar Mi-
gräne? Das wär noch fchöner!“
„Schlecht gejchlafen habe ich — ja,” fagte Aſta
langfam. hr Herz fchlug laut und ſchwer. Gie
tonnte die Worte kaum bhervorbringen. Sie jah ihn
nicht an, und Doch wußte fie, daß feine fehlanfe, ge:
feymeidige Geftalt in dem leichten, weißen Sommer-
anzug fich bebaglich dehnte, feine Augen mit zärtlichem
Bid auf ihr lagen, fein dunkler Kopf Dé malerifch
von dem grünen Gemirr der Geißblattranken, die die
Laube umzogen, abhob.
Er dagegen muſterte ſcharf durch die halbgeſchloſſe—
nen Augen hindurch ihr blaſſes, verſtörtes Geſicht.
Kein Zweifel — Marka hatte geſprochen, um noch
ſchnell vor der Abreiſe ihr Gewiſſen zu erleichtern!
Welche Frau kann denn je den Mund halten? Narr,
der er war, ihrem Verſprechen zu trauen!
Nun, ſchließlich erleichterte ihre Schwatzhaftigkeit
ihm eigentlich nur die Ausſprache, die, wenn er nicht
ehrlos handeln wollte, doch nicht gut zu umgehen war.
„Ich komme gleich wieder,“ ſagte er langſam. „Wir
müſſen uns ausſprechen, Aſta. Aber hier, ſo dicht am
Hauſe, könnten indiskrete Ohren uns belauſchen. Willſt
du zur nächſten Bank auf der Wieſe gehen? Da, wo
Marka und ihr Profeſſor immer ſaßen — ja? Ich
komme ſofort nach.“
Ohne Antwort, nur mit einem ſtummen Kopfnicken
ging fie ihm voran.
Roman von Henriette v. Meerheimb. 61
RAD DE EDDIE EDDIE ADD Dre Dee
In Gedanken verfunten, die Arme um bie Kniee
gefchlungen, jaß fie auf der Bank und wartete.
Er ftand ſchon einige Sekunden neben ihr, ehe fie
ihn fah. Er faßte nach ihrer Hand. „Alta, was hat dich
fo verändert? Was ift in der kurzen Zeit mit dir vor-
gegangen? Warum bt du fo ftumm und blaß?“
fragte er ungeftüm.
„Marta hat mir etwas gejagt. Ich glaube es aber
nicht eher, als bis du e3 mir mit deinem eigenen Munde
beſtätigſt. Ich Tonn — ich will eg nicht glauben!“
„Was hat Marta dir gejagt?“
„Du wärſt verheiratet. Irgendwo in Polen lebte
deine Frau. Das ift doch nicht wahr — da3 Tann
nicht wahr fein?”
Er fette Héi zu ihren Füßen ins hohe Gras zo
lehnte den dunklen Kopf an ihre Steg „Und wenn es
nun doch Wahrheit wäre, Aſta?“
Mengersky ſprach fehr Leite Er fühlte ihre Kniee
zittern wie bei einem plößlichen fchweren Schlag, der un-
erwartet hinterrücks trifft. Ex bob den Kopf und ſah fie an,
tonnte aber den Anblick ihres fchmerzlich verzogenen Ge⸗
Hds nicht ertragen und verbarg den Kopf wieder in
ihrem Kleide. Erſt als er fühlte, daß ihre Hand kalt
und ſchwer auf feinem Haar lag, richtete er ſich auf.
„Alta, ich Liebe dich — nur dich!” beteuerte er.
Er nahm ihre Hand von feinem Kopf herunter und
bebielt fie zwifchen jeinen Fingern. „Nimm es nicht
fo ſchwer. Außer Marka weiß kaum jemand in Deutfch-
land etwas von meiner Heirat. In Amerika ahnt erft
recht niemand etwas davon. Du wirſt überall als
meine Frau gelten.”
„Aber ich bin es nicht!”
„Du wirft mein ganzes Glod. die Mufe meiner
Kunſt fein.”
62 Schiffbruch.
Aſta lachte ſchrill auf. Marka hatte dieſe Wendung
richtig prophezeit! „Du könnteſt dich ja von deiner Frau
ſcheiden laſſen! Wenn du mich wirklich liebſt, ſo —“
„Das kann ich nicht, Aſta. Wir Katholiken ſind für
immer gebunden. Und dann — ich weiß nicht, ob Marka
es dir auch geſagt hat — ich bin meiner Frau viel
Dank ſchuldig! Die alte, treue Seele verdient es nicht,
daß ich ſie von mir ſtoße. Es wäre ihr Todesurteil!“
„Wenn ſie hört, daß du mit einer anderen Frau
lebſt, muß das doch ebenſo ſchmerzlich für ſie ſein!“
„Das erfährt ſie nicht. Wie ſoll ich aber eine neue
Ehe eingehen, ohne ihre Einwilligung zur Scheidung
zu erlangen? Das kann ich ihr nicht antun! Ver:
lange alle von mir, nur da3 nicht.“
Sie fah ftarr über ihn hinweg.
„Alta, fieh mich an!“ bat er. „Du liebjt mich...
ich liebe di. Du follft meinen Ruhm und Reichtum
— alles Schöne, allen Glanz meines Lebens teilen. Ich
will dich anbeten für das Opfer, das du mir bringit.
Ich ſchwöre dir, daß ich nie aufhören werde, dich zu
lieben, daß ich dich, fobald meine Frau ftirbt — fie ift
ja viel älter als ich — heiraten werde. Vor der Welt,
die nicht3 von meiner Ehe weiß, giltft du auch jetzt
ſchon für meine Frau. Nun, fei nicht Klein, mäge und
grüble nicht Jonge
Sie legte die Hand an die Stimme Hecht, Un:
recht, Schuld, Treue — alles waren nur Worte, leere
Begriffe. Er drehte und mendete fie nach Belieben.
Ein gräßlicher Schmerz mühlte in ihrem Herzen.
Menn er He wirklich geliebt hätte, würde er nicht
magen, ihr das zu bieten: ein Leben im Glanz und
Luxus und doch ein Leben der Sünde, des Betruges.
Ihre Empörung beftegte ihren Schmerz. Sie machte
Idi von feinen Armen frei und ftand auf. „Ich muß
Roman von Henriette o. Meerheimb. 63
TT, ADD REDE REDE DIDI DEI ADD ED
febr tief in deinen Augen gefunten fein!” Ihre Stimme
zitterte. „Sehr tief, daB du mir folche Vorfchläge zu
machen wagft!”
„Sehr tief! Sehr Hoch Stelle ich dich! Hoch über
banale Anfichten. Sehr groß dente ich von deiner Liebe.“
„en der Tat — zu groß, wenn du glaubjt, ich
fönnte das verwinden.“
„Alta, fteh nicht To falt und fremd vor mir!“
„Wir müfjfen uns Doch von heute an kalt und fremd
gegenüberftehen.”
Aber er fchlang feinen Arm um fie und drüdte ihren
Kopf feit an feine Bruft.
Gie lag eine Sekunde millenlos in feinen Armen,
dann machte fie fich fanft los. „Wir wollen uns feine
bitteren Worte fagen. Du wählſt deine Frau — ich gehe.“
„Afta, ich wähle He nicht — ich Tonn fie nicht wie
einen Hund davonjagen. Was willſt du denn anfangen
ohne mich, Kind? Deine Verlobung ift fo gut wie aufge-
löft, bei deinen Verwandten fühlft du dich unglüdlich!”
„Mir bleibt meine Kunft.”
Er achte Hart auf. „Deine Kunſt! Glaubft du
wirklich, daß dein niedliches Stimmchen, dein Salon⸗
talentchen Runft iſt?“
Mita wurde ſehr blaß. „Ich habe doch fo viel
Erfolg gehabt?”
„Mit mir — ja. Berfuche es einmal, ohne mich zu
fingen! Bielleicht applaudiert man deinem hübfchen
Geficht zuliebe noch ein paarmal — dann (US zu Ende.“
Das war in härterer Form noch einmal Marlas Urteil.
„Früher fprachft du anders.” Ihre Lippen zudten.
Ihr war, als ob feine graufamen Worte ihr vollends
den Boden unter den Füßen fortzögen. Langſam glitt
fie immer tiefer in einen bodenlofen Abgrund, in graues
Nichts Hinein. Jeder Halt, jede Stüße, nach der fie
64 Schiffbruch.
RED ERDE ELEND ME, SEELE DS Ee, Ee Ee e
verzweifelt hafchte, zerfloß mie Nebel — ihre Hände
griffen in bie leere Luft.
„Du bit diefen Winter über Mode geweſen, weil e3
mir paßte, dich dazu auszumählen,“ fuhr Mengersty
ſchonungslos fort. „Mit men ich Konzerte gebe, dem
wird allemal applaubdiert, den reif’ ich eben mit durch.
Wenn du aber glaubft, daß teure Toiletten, ein helles
Stimmen und ein hübfches Geftcht zur Künftlerin
ausreichen — da fehlt denn doch noch viel. Du wirft
ftet3 Dilettantin bleiben.”
„Was fehlt mir denn zur Künſtlerin?“
„Alles — oder wenig, wie man’3 nehmen will!
Die armjelige Kindheit fehlt dir, eine bittere Sugend —
das harte, qualvofle Ringen, um das eine zu erreichen...
Ach was — erklären läßt ſich das gar nicht.”
„And trogdem ich nur Dilettantin bin, mollteft du
mich mitnehmen auf deinen Konzertreifen? Hätten
meine dilettantifchen Leiftungen nicht den Kunſtgenuß
abgeſchwächt?“
„Im Gegenteil — erhöht! Bei meinem Spiel hätte
das Publikum wahre, große Kunſt genoſſen, bei deinem
Geſang ſich von dem ſchweren, überwältigenden Ein⸗
druck ausgeruht. Dem Kenner iſt ſolch ein Gegenſatz reiz⸗
voll, der naiv Genießende nimmt alles dankbar hin.“
Aſta ſtand einige Sekunden ſtumm und blaß vor
ihm. Ihr war, als hätten ſeine letzten Worte etwas
in ihr zerbrochen.
Er beſann ſich auf eine Einlenkung. Sie tat ihm
leid in ihrer bitteren Enttäuſchung. Aber ehe er ſich
noch beſinnen konnte, wandte ſie ſich ohne Laut, ohne
Gruß zur Seite und ging raſch dem Hauſe zu.
Er wollte ihr erſt nachgehen, aber dann beſann er
ſich anders. Es war vielleicht beſſer, ſie beruhigte ſich
in der Stille. Wenn er nach einem längeren Spazier⸗
Roman von Henriette v. Meerheimb. 65
u DD FED DEI FED AED ED ED De Dre DD Dede
gang zu ihr Tom, noch einmal ruhig, liebevoll bittend mit
ihr fprach, würde fie fich Doch noch feinem Wunsch fügen.
ALS er aber am Nachmittag nach einem anjtrengen-
den Marſch zu Haufe anlangte, ftand nur Frau Huber
vor der Tür.
„Alſo Sie fomm’n doch wenigjtens noch, Herr Men—
geröfy! J hab’ fchon denkt, Sie wären mir aud)
ausg’rudt?”
„Ich? Wiefo denn?“
„Na, das Fräul'n Wita hat doch gleich nach'm Frühſtück
wie toll ihr Sach' ein'packt, Geld hing'worfen und fort!“
„Nach München wohl?“ Mengersky biß ſich auf
die Lippen vor Arger. Dieſer Trotzkopf! Nun mußte
er ihr in der Hitze nachfahren und ſie zurückbringen.
„Ra, nit nach München, direkt zu Haus zum Bru—
der. Sie käm' nie wieder, hat fie gejagt, und fingen
tät fie auch nit mehr. Dabei hat fie ausg’fchaut mie
unfere Muttergottes mit den fieben Schmerzen. Alle:
weil dent’ i, man hat die Gäſt' noch a Weil’ — da
fliegen |’ fehon wieder auseinander. — Was woll'n
denn der Herr Mengersty zum Ejfen hab’n? Ein
Brathänderl i3 ſchnell g’richt’t.“
„Nichts. Ich fahre mit dem Abendzug na München.
Was Toll ich bier noch,” antwortete Mengersty un—
wirſch. Er warf die Tür ins Schloß. „Diefe Närrin!“
Seine Lippen waren ganz weiß vor Schmerz und Born.
„Hab’ v3 nit g’jagt? Run geht der auch!” brummte
Frau Huber übellaunig. „Iſt halt a verdrehte G'ſchicht'
mit dem Künftlervoll. A Schraub’n iS ihna allemeil
a bijjel Ioder im Köpfl.“
(Fortfeßgung folgt.)
1904, VI. ö
een
Die Teufelsmaschine.
Bumoreske von A. O. Klaussmann.
mit Jllustrationen ` ?
von Adoit Wald. (Machdruck verboten.)
ie fennen doch diejes moderne Gefährt, Auto:
mobil genannt, eine Erfindung, die entjchie-
den aus der Hölle jtammt, denn fie hat alle
Leute in Aufregung verfegt, jelbjt unfere
Sprachgelehrten, die Dë über einen Erſatz für das
ſchreckliche Wort „Automobil“ nicht einigen können.
Den Leuten übrigens, die "di Hals und Beine bei
der Sache gebrochen haben, wird es ziemlich gleich-
gültig fein, ob dies durch eine Kraftmajchine, ein Aut,
einen Selbitfahrer oder durch einen Motorwagen oe:
ſchah. ch ſelbſt bin von Anfang an kein Freund dieſer
Neuerung gemefen, weil fie zu viel Skandal madt und
fich außerdem in gar zu fehlechten Geruch Iept Ich
habe mich mein Leben lang nicht mit technifchen Dingen
bejchäftigt — leider. Aber ein Juriſt hat heutzutage fo
viel zu lernen, daß er feine Zeit mehr übrig hat, um
fich auch noch um technifche Dinge zu fümmern. Warum
jolch ein Automobil von jelber läuft, wodurch es in
Bewegung gejegt wird, und mie man es behandeln
muß, damit es nicht wild wird oder an der unrechten
Humoreske von U. O. Klaußmann. 67
IRRE ED —⏑ ee AE Ae Bee -X⏑———————2—
Stelle ſtehen bleibt — von dem allen hatte ich bis vor
kurzem abſolut keinen Begriff, denn ich war überzeugt,
ic) würde nie etwas mit einem Automobil zu tun be-
fommen.
Aber der Menjch fol nichts verſchwören.
Sch ſaß als Affeffor beim Amtsgericht in Nieder-
heim und erwartete jehnjüchtig meine Beförderung zum
Amtsrichter, damit meinem unbejgldeten Dafein endlich
ein Ende gemacht werde. Da lam eines Tages ein
neuer Kollege zu uns, ein liebensmwürdiger, netter
Menſch, namens Werneburg, der viel überflüffiges
Geld bejaß und aud ein Automobil mitbrachte. Ich
führte Werneburg in die Gejellfchaft ein, war ihm aud)
beim Einarbeiten am Gericht behilflich, und er faßte
zu mir bald eine freundfchaftliche Zuneigung, die aber
leider durch fein Automobil wieder in die Brüche gehen
jolte, denn nach meinen Erfahrungen ift das nun
einmal eine Teufelsmaſchine.
In Niederheim erregte Werneburg mit feinem Auto-
mobil riefiges Auffehen. Die Bauern in der Umgegend
waren noch ziemlich unziviliftert, und als er feine erften
Ausfahrten unternahm, wäre er beinahe von ben Land-
leuten, die jeine Mafchine in natürlichem Inſtinkt für
Teufelswerk hielten, gelyncht worden.
Eines Tages jagte Werneburg zu mir: „Lieber
Rollege, morgen gibt’3 auf dem Gericht nichts zu tun,
und ich möchte eine kleine Spazierfahrt machen. Wollen
Sie mit? Heutzutage muß doch jeder gebildete Menfch
mwenigjtend einmal mit dem Automobil gefahren fein.
Ich hole Sie gleich nod Tiſch ab, wir. machen eine
Kleine Rundfahrt in der Umgegend und find Abends bei
guter Zeit wieder zu Haufe.”
Ich begriff, daß man über die neue Mafchine wenig:
tens etwas müſſe reden können, und da ich überzeugt
68 Die Teufelsmafchine.
ADDED AD AD ED ED ED DD DDr Dre De Dee Dre
war, e3 würde mir bei den jungen Damen ein gemwijjes
Relief geben, wenn ich von wilden Automobilfahrten
mit entjeglichen Lebensgefahren erzählen könnte, fagte
ich ohne meiteres zu. Ich ahnte ja nicht, was mir
bevorſtand.
Aber der Menſch verſuche die Götter nicht!
Au.
Gleich nach Tifch holte mich Werneburg ab. Das
Automobil war wunderhübfch rot ladiert, die Metall:
teile waren vernidelt, alles blitte und ſah äußerſt ein-
ladend und verlodend aus. Während Werneburg mir
feine Höllenmafchine vorjtellte, fammelte fich die ganze
Jugend des Städtchen um uns an, und al3 wir ob,
fuhren, gefchah das unter jubelndem Hallo. In der
Stadt fuhren wir natürlich langfam, denn als Männer
Humoreske von A. ©. Klaußmann. 69
ADDED TED REDE ED ED ED ED ED Dee De re ee Dre
des Geſetzes durften wir uns nicht gegen die Fahr:
ordnung vergehen.
Diefes langſame Fahren aber Tote Doch unfer Un:
glüd fein. Wir waren nänlich noch feine drei Straßen
weit, al3 Werneburg plößlich fagte: „Da drüben geht
Fräulein Scheffler.“
Das gab mir einen Stich më Herz, ſogar einen jehr
tief gehenden Stich.
MWerneburg lenkte fogleich feine Mafchine nach dem
Trottoir hinüber, auf dem Fräulein Scheffler ging,
hielt mit einem Ruck und rief, feine Müte jchwen-
fend: „Guten Tag, gnädiges Fräulein! Wohin des
Weges?”
„sch will zum Bahnhof,“ antwortete Fräulein Leonie
Scheffler und Hatte dabei nur für Werneburg Augen.
Meinen Gruß beachtete fie gar nicht, und ich hatte Ge
nicht8 anderes von ihr ermartet.
„sh will Ontel und Tante befuchen drüben in
Schmiedefeld. Der Zug geht freilich ert in einer halben
Stunde,” fuhr fie fort.
„Mein gnädiges Fräulein,” rief Werneburg, „das
trifft fich ja herrlich. Mein Kollege und ich machen
einen Ausflug in die Umgegend, und unfer Weg führt
über Schmiedefeld. Wollen Ste nicht lieber mit dem
Automobil fahren? Wir find viel früher da als der
Zug, und da ich die Ehre habe, Ihren Herrn Onkel
und Ihre Frau Tante zu Tennen, liefere ich Sie ım-
verjehrt bei den Herrfchaften ab und mache dabei auch
meinen Bejuch. Hoffentlich macht e8 Ihnen Vergnügen,
auch einmal auf einem Automobil zu fahren, gnädiges
Fräulein.“
Fräulein Leonie fehien zu überlegen, und ich merfte,
daß mich ihr Blick ftreifte. ES war aber fein liebens—
würdiger Blid. Dann fagte die junge Dame vorjichtig:
70 Die Teufelsmafchine.
hee Ae MECH, ME, Ee ED ED DEI FED ED ED ED ED ED ED
„Sie werden aber jedenfalls zu fchnell fahren, und mir
verunglüden am Ende gar.”
„Wo denken Sie hin,“ wehrte Werneburg ab, „wie
werde ich Sie denn gefährden! Nein, ich fahre ganz vor⸗
ſichtig. Sie können neben mir Pla nehmen auf dem
Borderfiß, und, follte ich Dbnen zu rafch fahren, fo
haben Sie e3 ja in der Sand, einfach in das Steuer⸗
rad zu greifen und den Wagen langfamer gehen zu
laſſen. Ich habe gefunden, Damen haben ein großes
Verſtändnis für das Lenken diefer Kraftwagen.”
MWahrfcheinlich weil Fräulein Leonie nicht neben
mir, der ich nun in die hintere Abteilung des Wagens
zu fteigen hatte, zu fiten brauchte, erklärte fie fich plöß-
lich zum Mitfahren bereit. Ich fprang vom Wagen,
um ihr auf den Vorderſitz zu helfen, aber Fräulein
Leonie tat, als wäre ich Luft. Sie nahm die Hand,
die Werneburg ihr reichte, und ſchwang fich leicht zu
ihm hinauf. Ich kroch gedemütigt auf meinen Hinter:
ylas, das Automobil tutete mehrere Male binterein-
ander feinen Warnungsruf, die Straßenjugend , die
Héi wieder bei uns angefammelt hatte; fchrie Hurra,
und wir fuhren weiter.
Am Ausgang der Stadt befindet: fich eine Schlofferei,
und Werneburg, der bis dahin ſehr vorfichtig gefahren
war, bielt plöglid. „Sie entfchuldigen, Fräulein
Scheffler,“ ſagte er, „ich will nur einmal zum Schloſſer
hinein und mir einen Schraubenjchlüffel mitnehmen,
den ich zur Reparatur hier habe. Mein Automobil
ift zwar in tadellofem Zuſtande, aber es Lönnte doch
vielleicht bei der Rüdfahrt nötig fein, ein paar Schrau⸗
ben Teller anzuziehen, und ich will daher lieber nicht
ohne Schraubenfchlüffel fahren.”
Dann ftieg er ab und ging in die Schlofferei hinein.
Ich blieb mit Fräulein Leonie allein. Ich buftete, weil
Humoreste von X. O. Klaußmann. 71
TE EE ED ED EDDIE Dr ED Dre Dr De Dee E
ich Hoffte, fie würde fich umdrehen, aber fie beachtete
mich nicht, und mir war recht erbärmlich zu Mute.
Hätte ich mich nicht gefchämt, fo wäre ich längſt ob,
geftiegen und hätte mich feitwärts in die Büfche ge-
Schlagen. Nur nicht länger in der fchredlichen Lage
eine3 mißachteten VBerbrechers hinter der jungen Dame
figen, die fo ganz und gar Feine Notiz von mir
nahm!
Ja, ich war ein Verbrecher, ein fehr ſchwerer Ver:
brecher ſogar, das mußte ich felber, und wenn Fräu—
lein Leonie mich ſchlecht behandelte, fo Hatte ich es ver-
dient. Kuliffenfieber und Champagner find böfe Dinge,
befonder8 wenn fie gleichzeitig auf einen Menfchen ein-
wirken, und hatten mich vor kurzem erſt in eine ſchauder⸗
hafte Patjche gebracht. |
Man hatte mich für das Liebhabertheater gepreßt
und mir eine eme Rolle aufgezmungen. Ich Hatte
noch nie in meinem Leben gemimt und nur eine Dunkle
Ahnung, daß man fich dabei ſcheußlich blamieren könne,
aber ich jagte an, und zwar lediglich deshalb, weil ich
hoffte, mit Fräulein Leonie auf den Proben öfters zu-
fammenzulommen, denn ich interefjierte mich außer:
ordentlich für die junge Dame. Alle Unannehmlichkeiten,
die die Proben ſchon brachten, wie da3 Ausmwendig-
lernen, auch die Grobheiten, die mir ber Regiſſeur —
ein wirklicher Schauspieler — mährend der Proben
fagte, nahm ich mit in den Kauf, überftand ein acht-
tägiges Kulifjenfieber, jchon bevor die Sache wirklich
zum Klappen Tom — alles, um mit der Angebeteten
meine3 Herzens zufammenfein zu Tonnen. An dem
Sonntag, an dem die Aufführung ftattfand, aß ich
nicht einen Biſſen und lief umher mie ein Menfch, der
gehentt werden fol. Bevor das Theaterfpielen los—
ging, trank ich aus Angft mit einem anderen Mit:
72 Die Teufelsmaſchine.
DD ADD ADD rer ED Drei ce ED
fpieler, einem Artillerieoffizier, met Flafchen Sekt, wo⸗
von der größte Teil auf mich fam. In einem Zuftand
halber Bemußtlofigfeit trat ich auf die Bühne und
brachte meinen Spruch an.
&3 lief alles vortrefflich ab, ich erhielt fjogar Applaus.
Das verdrehte mir, zufammen mit dem zu viel genoffenen
Champagner, vollitändig den Kopf. Als ich die Bühne
verließ, um mich durch den halbdunklen Gang, der hinter
der primitiven Bühneneinrichtung zur Herrengarderobe
führte, zurücdzuziehen, begegnete mir Fräulein Yeonie. Sie
trug ein reizendes Rokokokoſtüm und wollte foeben auf
die Bühne gehen. Sie fah mit der weißen gefräufelten
Perücke und in dem Koſtüm fo entzüdend aus, daß ich
unter der Einmirfung meines Bühnentriumphes und
des Gefteë einen nicht3mürdigen Überfall auf fie be
ging, indem ich fie plößlich umarmte und küßte. Ich
befam eine recht energijche Ohrfeige dafür, und das
verblüffte mich fo, daß ich ganz befinnungslos die Worte
jftammelte: „Werzeihung, gnädiges Fräulein, e3 war
ein Irrtum, es liegt eine Verwechjlung vor!”
Dann verſchwand ich in der Herrengarderobe und
blieb bier glücklicherweife eine ganze Zeitlang allein,
um mid) mit meiner Niederlage abzufinden.
Trogdem ich mich entfchuldigt hatte, und Fräulein
Leonie nun annehmen Tonnte, das Attentat hätte ihr
gar nicht gegolten, beachtete fie mich von diefem Tage
an abfolut nicht mehr. Ich hatte zuerjt gefürchtet,
nein gehofft, fie würde fich bei ihrer Mutter über mich
befchmweren, und diefe würde mich durch den Vater zur
Nechenfchaft ziehen laſſen. Dann hätte ich ſchlankweg
um fie angehalten. Aber fie jtrafte mic) mit dem
Gräßlichiten, was einem Menfchen pajfteren Tonn, näm—
lich mit der namenlofeften Verachtung!
Da Jop fie nun vor mir, faum einen Meter von
Humoresfe von A. DO. Klaußmann. 73
N ee PEN en PEN EN ⏑ ⏑ —⏑ en ee EC
mir entfernt, und doch eriltierte ich nicht für fie! Pie
Sage, in der ich mich befand, war — — |
Da ging das Automobil plöglich los und fuhr wie
wahnfinnig davon. Ich hörte einen lauten Schrei
Leonie und gleichzeitig einen Schredensruf Werne-
burg3, der ſoeben mit dem vermaledeiten Batentjchrauben-
sm Cé "e e
— ——
ſchlüſſel in der Hand aus der Schloſſerei herauskam.
Zum Glück führte die Straße ſchnurgerade weiter; denn
ſonſt weiß ich nicht, was geſchehen wäre.
Fräulein Leonie hatte wohl aus Langerweile am
Mechanismus herumgedreht, und nun ging die Teufels—
maſchine durch.
Hier galt es zu handeln. Ich ſprang auf den
74 - Die Teufelsmaſchine.
DDr Dee Dr eD
Vorderſitz, plumpfte mit einem Ruck neben der ganz
blaß gewordenen jungen Dame nieder und ergriff das
Steuer. Zum Glüc hatte ich bereit3 Werneburg fo viel
abgejehen, daB durch das Bewegen des jchräg jtehen-
den Rades das Automobil gelenkt werden fonnte, ich
bemerkte auch, daß ich, fobald ich das Rad ergriffen,
die Teufelsmaſchine wenigftens fo weit in meine Gemwalt
befam, daß fe dorthin laufen mußte, wohin ich wollte,
aber die Gefchwindigfeit, mit der wir dahinfauften, ver-
minderte fich nicht, denn ich hatte feine Ahnung, wie
man den Wagen zum Stehen bringe, was ich jo gerne
getan hätte. Erſtens war unjere Schnelligfeit beängjiti-
gend und außerdem war e3 natürlich höchit taktlos,
Freund Werneburg im Stich zu laſſen und gemilfer-
maßen mit Fräulein Leonie durchzugehen. Dieſe neue
Sreveltat wäre ja noch fchlimmer gemwefen als die
erite gegen fie verübte.
Warum bat aber eine folche Satansmafchine fünf
oder ſechs Hebel, die. man ziehen, drüden, heben oder
ihieben Tann? Ich hielt die Linfe Hand am Steuer:
vad und probierte. an allen Hebgfıx herum; ich drückte,
ich 308, ich zerrte. Dann gab e8 auf einmal einen
furchtbaren Knall, ich hörte das Brechen und Klirren
von Eifen, das Automobil machte einen Sprung wie
ein Pferd, das die Sporen befommt, und jaufte
wie ein Pfeil weiter. Ich ahnte, was gefchehen war:
ich hatte den Mechanismus, der das Abjtellen des
Motors beforgt, ruiniert, und nun moren mir
auf Gnade und Ungnade der Zeufelömajchine über:
lafjen.
„So halten Eie doch endlich!“ rief Fräulein Leonie,
wie es ſchien, ſehr ärgerlich. |
Sc antwortete: „Gnädiges Fräulein, ich habe mein
möglichftes verjucht, aber ich glaube, der Abjtellmecha-
Humoreske von X. DO. Klaußmann. 75
nismus ift nicht in Drdnung, der Wagen mp erft
halten, wenn das Benzin verbraucht ift.“
„Aber wir können doch nicht endlos in’ die Welt
bineinfahren! Um Himmels willen, nein, das gebt
nicht! Ich fteige aus!” rief Fräulein Leonie und machte
Anftalten, aus dem mie wahnfinnig dahinjagenden
Automobil zu fpringen, wobei fie natürlich Hals und
Beine gebrochen hätte. |
„Rühren Sie fich nicht, oder Sie find verloren!”
fhrie ih. „Was Tonn denn gejchehen? Ich werde
die Mafchine zu lenken verfuchen, damit wir nicht irgend»
mo anrennen oder umfjchlagen. Einmal wird Doch die
Triebfraft aufhören.“
Darauf tat Fräulein Leonie das, was junge Damen
immer in ſolchen Augenbliden zu tun pflegen: fie 308
ihr Tafchentuch heraus und begann zu weinen. Ich
ſah das nur flüchtig, denn ich hatte mit der Teufel3-
mafchine genug zu tun. Das Automobil zeigte eine
törichte Neigung, in die Straßengräben zu faufen, und
ich hatte fchwere Mühe, es daran zu verbinden.
` Debt näherten wir-ung einem Dorfe.“Ich tutete wie
wahnfinnig, um alles Lebende zu warnen, aber im näch—
Hen Augenblick ſchon hörten wir ein entjegliches Duielen,
Schreien, Grunzen, einen Ton, der durch Mark und
Bein ging. Das Automobil machte einen Saß und
fprang nach vorwärts, einen Augenblid legte es mëi
fogar etwas auf die Geite, dann jagte es weiter.
„Um Gottes willen, wir haben jemand überfahren!“
freifchte Fräulein Leonie, und ich war glüdlich, mit
hoheitsvoller Miene ermwidern zu können: „Nein, mein
mwertes Fräulein, e8 war nur ein Schwein!“
So raſch wir auch fuhren, jo hörten wir doc
Schreien, Schimpfen und Rufen hinter uns, und als ich
mich auf eine Sekunde ummwandte, jah ich jogar einen
76 Die Teufelsmaſchine.
Gendarmen hinter uns ber geritten fommen. Aber was
fonnte der Gendarm gegen unfer Automobil ausrichten!
Wir fuhren mit geradezu überirdifcher Geſchwindigkeit,
wenigſtens fam es mir fo vor.
Debt waren wir wieder auf freier Gtraße, und
wäre nicht der Staub geweſen, der uns in eine Wolle
büllte, deren Beitandteile Déi hät unangenehm in
Hals, Nafe und Augen drängten, jo hätte es mir bei-
nahe Spaß gemadt, fo dahinzufliegen.
Bald näherten wir uns Schmiedefeld, und ich warnte
durch unabläfliges Tuten. Ich erreichte damit aber
nur den Zweck, die gefamte Einwohnerfchaft, Mann,
MWeib, Kind und Hund und Kate, auf die Straße zu
loden. Unter allgemeinen Entfegensrufen raſten mir
durch Schmiedefeld hindurch.
„Halten Sie doch! So halten Sie doch!“ fchrie
Fräulein Leonie, aber mir jagten an dem Haufe, in
dem der Onkel und die Tante meiner liebensmürdigen
Neifegefährtin wohnten, in unverminderter Gejchwindig-
feit vorbei. Ich ſah zwei Arme ſich verzweifelt in Die
Luft ſtrecken, welche jedenfalls Leonies Tante angehörten,
die im Borbeifahren ihre Nichte erfonnt hatte. Dann
gab es zweimal einen Ruck, ein plögliches Schreien —
ein. Hund, ſowie eine Ziege waren unferer Fahrt zum
Opfer gefallen.
Weiter ging es, immer in der Ebene, und ich hätte
mer weiß was um einen Berg gegeben, an dem das
Automobil bätte binauflaufen müffen, um menigftens
Doch einen Teil feiner Kraft zu verlieren. Aber der
rettende Berg ließ Héi nicht ſehen; die norddeutjche
Ziefebene ift leider flach wie ein Billard.
Tas nächſte Dorf murde durchjagt, ohne daß
Menschen oder Tiere gefährdet wurden, aber die Ein-
mwohnerjchaft mußte bereit3 von unjerem Nahen in
Humoresfe von A. O. Klaußmann. 77
DD DDr Der Dre Dre EDDIE ED ED
Kenntnis geſetzt worden fein — mahrjcheinlich durch
den Telegraphen — denn eine Menge Menfchen jtanden
auf den Straßen, aber achtungsvoll an die Häufer oe:
drüdt; nur einige verwegene Kerle verjuchten, dem
Automobil große Knüppel in den Weg zu werfen. Einer
diefer freundjchaftlichen Knüppel faufte fo dicht neben
meiner Reifegefährtin und mir vorbei, daß mir nur
durch ein energifches Wenden der Köpfe einem jchmeren
Unfall entgingen.
Wieder waren wir auf freier Landftrafe. Wir
näberten uns jetzt der Eifenbahn, und ich wußte, daß
wir diefelbe kreuzen mußten. Da Tom auch ein Per-
fonenzug auf der Strede entlang gedampft. Ich Hatte
das angenehme Gefühl, daß wir gerade mit dem Ber:
fonenzug zugleich an der Stelle eintreffen würden, wo
Eifenbahn und Landitraße fich Freuzten. Wenn Dom
unfer Automobil die Schranfe zertrümmerte, und wir
befonderes Bech hatten, wurden wir von dem Perjonen-
zug gefaßt und zermalmt. Der Gedante war mir jo
fchreelich, daß ich die Linfe Hand vom Steuerrad nahm
und die rechte Leonies ergriff, gleichfam als wollte ich
fie fchüßen, aber die junge Dame fchleuderte meine Hand
weg, al3 wäre fie giftig.
Wir hatten aber Glüd. Der Perſonenzug fuhr doch
fchneller über die Kreuzungsitelle, und wir kamen in
dem Augenblid an, als der Bahnmärter die zmeite
Schranke zurüditieß. Um ein Haar wäre er überfahren
worden, und er jchimpfte fürchterlich hinter ung ber.
Set lag wieder ein Dorf dicht vor uns. Plötzlich
gab es ein unheimliches Rafjeln und noden im Gang-
wert des Automobils, einen Augenblid blieb es jtehen,
dann ſetzte es fich aber nochmals in rajende Fahrt.
Das noden, Rrachen und Raſſeln wiederholte fich,
und mitten im Dorfe ftand unjere Machine endlich ftill.
78 Die Teufeldmafchine.
DIDI DD RD RD ARD ED ADD ED DDr
Auch hier war die Einwohnerfchaft durch den Tele-
graphen alarmiert und bereitete uns einen ſehr un:
angenehmen Empfang. Borerft bekam ich eine Tracht
Prügel, und zwar feine Heine. Dann wurde ich durch
einen modernen Büttel vulgo PBolizeidiener befchüßt,
aber e3 koſtete mir und dem Boliziften ert ſchwere
Mübe, Fräulein Leonie au den Händen der rafenden
Weiber zu befreien, welche über fie hergefallen waren
und nicht übel Luft zu haben fehienen, fie zu lynchen.
„Mörder — elende Mörder!” fehrie man ung nach,
als uns der Bolizeidiener abführte, und hätten die Leute
nicht auf ihren Gemeindebüttel Rüdficht genommen, fo
hätten fie uns wahrjcheinlich gefteinigt.
Halbtot langten wir vor einem alten verfallenden
Turm an, der, mie ung bald Dor wurde, als Orts—
gefängnis diente.) Zwei enge Treppen führte uns
der Polizeidiener hinauf, nachdem er vorfichtig unten
daS Tor vor dem nachdrängenden Volke geſchloſſen
hatte. Dann öffnete er die Tür zu einem balbrunden
Turmzimmer, in dem "éi ein Wafferfrug und zmei
Schemel befanden, ließ ung eintreten und fchloß uns
ein. Bon unten her hörten wir das Sohlen und Schreien
der VBollsmenge, und deutlich vernahmen wir wieder
die Worte: „Mörder — Mörder!”
Popularität ift ja eine fchöne Sache, aber jegt war
fie recht meng angenehm. Leonie jant ganz gelnidt
auf einen der dreibeinigen Schentel, und ich jette mich
auf den anderen. |
„Fräulein Leonie,” fagte ich, „tragen Sie die Sache
mit Humor. (ES hätte viel fehlimmer fommen können.
Wir hätten mit zerbrochenen Gliedmaßen in irgend
einem Graben liegen bleiben oder mit unferem Auto-
*) Siehe das Titelbild.
Humoreske von A. DO. Klaußmann. 79
Dre red DD ED AD AD ED ED ED ED Dre
mobil an einem Hindernis anfahren und zerfchmettert
werden können. Als wir die Eifenbahn kreuzten, meinte
ich, unfer letztes Stündlein fei gelommen, und ich er-
laubte mir in diefem Augenblid Ihre Hand zu faſſen.“
Leonie antwortete mir nicht, fondern hielt ihr Ge-
ficht mit dem naßgemeinten Tafchentuch bededt.
In gewiſſen Augenbliden wird man zu einem ganz
gemeinen Menjchen. Die Prügel, die ich empfangen
hatte, verjegten mich auch nicht gerade in eine an-
genehme Stimmung, und ich wollte e3 doch der jungen
Dame beibringen, daß lediglich durch ihre Schuld die
ganze KRataftrophe entitanden war. |
„Snädiges Fräulein,” fuhr ich in fchärferem Zone
fort, „ich hätte e3 gemiffermaßen als ein Glüd betrach-
tet, mit Ihnen zufammen zu fterben und noch dazu
durch Ihre eigene Veranlafjung, denn Sie haben durch
da3 Spielen an dem Mechanismus die Teufelsmajchine
in Gang gebracht. ch ſage Ihnen das nur, um
Ihnen Tor zu machen, daß Sie Leine Urſache haben,
mich fo ſchändlich zu behandeln, wie Sie es noch immer
tun. Gie zürnen mir, und mit Recht, aber lieben
Sie wenigſtens einen Waffenſtillſtand, bis mir aus
diefem Mode herausfonmen. Das Tann Ran noch
ziemlich lange dauern.“
Leonie ſchien zu überlegen; ſie antwortete mit einer
Frage: „Warum ſchreien die Menſchen dort unten fort⸗
während: Mörder?” -
„Sch weiß es nicht, Fräulein Leonie, es muß Héi
um ein Mißverftändnis handeln. Wenn man ein
Schwein, einen Hund und eine Ziege überfährtt —
vielleicht find auch einige Gänſe darunter, aber ich
weiß es nicht genau — jo ut man doch dadurch noch
fein Mörder. Die Gefchichte Tonn nach meiner Be-
rechnung bundertzwmanzig Mark koſten, und für eine
80 Die Teufeldmafchine.
Ae, EC, EC, EC ME REDE ED DD ED ED EDDIE DD
jolche „VBergnügungsfahrt” bezahlt man fie ja gern: Eine
Strafe wegen unvorfchriftsmäßigen Fahrens werden
wir jedenfalls nicht erhalten, denn wir find ja an
der Sache unfchuldig, aber jchadenerfagpflichtig find
wir natürlid. VBorläufig babe ich nur den Wunſch,
daß Werneburg fich auf die Jagd nach dem Automobil
macht, um uns ber ouë dem Loche berauszubringen,
denn wenn wir vielleicht vierundzmanzig Stunden bier
figen müßten, fo wäre das doch wirklich Feine Annehm—
lichkeit.“
„a3 ?* fchrie Fräulein Leonie auf. „Bierundzmanzig
Stunden? Gie wollen doch nicht fagen, daß wir bier
beide in der Gefangenzelle bleiben müſſen?“
„Dieſe Ausficht ift vorhanden,” entgegnete ich, „und
zwar mit ziemlicher Sicherheit. Ich kenne die Verhält-
niffe bier in dem Neft nicht, aber ich bin überzeugt,
befondere Gefängniszellen erfier und zweiter Klaſſe gibt
e3 nicht. Man ift bier etwas ländlich. Deshalb werden
wir mwahrfcheinlich die Nacht bier verbringen müffen,
gnädiges Fräulein.“
Leonie befam einen neuen Anfall von Schluchzen.
„Mein Gott, was fol daraus werden!” rieffie. „Denken
Sie, mas das für mich heißt. Ich bin unmöglich —
ich bin verloren!“
Ich faßte einen heldenhaften Entjcehluß, trat an das
Fenſter des Turmes, da3 nicht befonder8 Hoch über
dem Boden war, holte mir dann den Schemel und ftieg
hinauf, um durch das Fenfter zu fehen. Pie Gr
fcheinung meines Geficht3 in der Fenjteröffnung murde
von unten mit lautem Sohlen begrüßt, und einige
Steine famen geflogen, welche zu meiner Rechten und
Linken die Mauer trafen. |
„Wir befinden uns zwar zwei Stockwerke hoch, aber
unten fteht ein Baum, Sräulein Leonie. Sobald "di
Humoreske von A. DO. Klaußmann. 81
I DDr ⏑ ee ee ⏑ DD ee ee ee eebe e
der fröhliche Schwarm dort unten verlaufen hat, zer:
trümmere ich das Gitter und jpringe durch das Feniter,
um Shren Ruf
nicht zu gefährden.”
„Sie werden
Héi Hals und Beine
brechen.”
„Um Shretmwil-
len, Fräulein Leo—
nie, joll eë mir ein
Vergnügen und eine
Ehre jein.”
„Es UI traurig
genug, daß Sie in
ſolchem Augenblid
noch ſcherzen kön—
nen.“
Zu meiner Freude
bemerkte ich, daß
ſich meine ſchöne
Feindin auf einen
Streit mit mir ein—
laſſen wollte, da—
durch trat unſer
Verhältnis aus
dem Stadium der
gänzlichen Verach—
tung in das des
Kampfes, und dd AT
ift immer ein Vor: — 0.0
teil.
„Es wäre viel fchlimmer, mein liebes Fräulein,”
jagte ich, „wenn ich ebenfalls Trübjal blajen wollte.
Nur der Humor Tonn uns aus der Sache herausretten.
1904. VI. 6
82 Die Teufelsmaſchine.
eier EC ME DD EDDIE FED EDDIE DE DDr DD ED
Es ijt bis zu dem Baum fein fo großer Sprung, und
wenn ich Ihnen fagte, es wäre mir ein Vergnügen,
für Sie aus dem Fenſter zu fpringen, fo meine ich das
ernjt. Ich weiß, die Zeit und der Ort find wenig dazu
angetan, un Ihnen ein Geftändnis meiner Verehrung
und Neigung zu machen, aber unfere Zage entjchuldigt
vieles. So lange ich Sie fenne, Fräulein Leonie, find
Sie mir wert und teuer gemwefen. Ich liebe Sie. Biel-
leicht denken Gie jetzt anders über das Attentat, das
ih im dunklen Gange zur Theatergarderobe auf Gie
verübte.”
Leonie war aufgefprungen, ihr Geficht mar zorn-
gerötet, als fie mir zurief: „Sie lügen fchändlich! Gie
mißbrauchen die Zwangslage, in der ich mich befinde,
in einer empörenden Weiſe!“
„Fräulein Leonie, der Vorwurf der Lüge ( für
einen Ehrenmann fo ſchwer, daß ich bitten muß, ihn
zu bemeifen. Sie haben mich jet auf das Dette be:
leidigt, und ich fordere von SYhnen Genugtuung, mwenig-
tens das Recht, mich zu verteidigen.“
„Sie zwingen mich, hr Liebesgejtändnis in dieſem
unpaffendften Augenblide, den es überhaupt geben
kann, anzuhören, während Ihr Herz einer anderen
gehört.”
„Hein Herz einer anderen?” fragte ich verblüfft.
„Woher willen Sie denn das? Was veranlaßt Sie
zu diefem Glauben? Schließlich muß ich Doch mein Den
beffer Tonnen al3 jede andere Perſon.“
Leonie ſchien mit fich zu fämpfen, dann jagte fie,
zu Boden blidend: „ALS Sie mich damals im dunklen
KRorridorgange überfielen, erklärten Sie zu Ihrer Ent:
fcehuldigung, e3 Handle fich um eine — um eine Vers
wechſlung. Ihre plumpe Zärtlichleit war alfo : einer
‚anderen Dame zugedacht.*
Humoreske von d DO. Klaußmann. 83
DREDEDREDF ED FED D AD ED DD ED EDDIE DD ED DD
„Das war eine Notlüge,” antwortete ih. „Ih
handelte in einem Zuftand von Sinnesverwirrung, Der
durch Ruliffenfieber und EChampagnergenuß entitanden `
war. Meine Verwirrung wurde aber noch durch die
Ohrfeige gefördert, die Sie mir freundfchaftlichermeife
zu teil werden ließen. In meinem Zuftande ftammelte
ich die alberne Entjehuldigung, die allerdings eines
Schulbuben würdiger gemejen wäre als eines gebildeten
Mannes. Aber ich ſchwöre es Ihnen, in diefem Augen-
bid. da wir gefangen hier im Turm fißen und unten
die wütende Vollsmenge unjere Stalpe fordert, daß
die „plumpe Zärtlichkeit”, wie Sie fo freundlich waren,
mein Benehmen zu bezeichnen, nur Ihnen galt, die
allein ich verehre und liebe.”
Nach Deier inhaltreichen Rede ſetzte ich mich ve
figniert auf den Schemel in der Nähe des Fenfters und
wartete auf eine Antwort meiner Mitgefangenen. Dieje
Antwort erfolgte aber nicht. Fräulein Leonie hatte fich
auf ihrem Schemel fo herumgedreht, daß fie mir den
Nüden zeigte. Sie betrachtete die leere Wand des GC
runden Turmgemachs.
Ich ließ ihr Zeit zur fbeeiehie: Als aber eine
Biertelftunde vergangen war, ohne daß ich eine Ant:
mort erhielt, näherte ich mich ihr und fragte: „Haben
Sie mir gar feine Antwort zu geben auf das, was ich
Ihnen fagte, und was mir aus dem tieften Herzen
am?“
Leonie ſtand auf und wendete Déi mir zu. „Wenn
ich Ahnen glauben könnte —“ murmelte fie mit blut-
rotem Geſicht.
„Es gibt Augenblice, in denen man glauben muß!“
Sie jentte den Kopf. „Können Sie fich denn nicht
Defien, daß ein Weib empört, gedemütigt, erbittert fein
muß, menn ein Mann ihr Zärtlichkeiten ermeift und
84 Die Teufelsmaſchine.
⏑⏑ ED De Dr DE Dre DE Dre Dre
ihr dann fagt, dieſe hätten einer ganz anderen og:
golten?“
„sa, das verftehe ich wohl. Jetzt aber iſt dieſes
Mißverftändnis aufgeklärt. Und darum frage ich noch:
mals: Leonie, Geliebte, wollen Eie mir verzeihen?
Fühlen Sie denn gar nichts für mich?“
Und da flüfterte fie: „Ich habe Sie ja ſchon lange
geliebt und gerade deshalb —“
„Mein ſüßes Mädchen!” rief ich voller Entzüden
und ſchloß fie jubelnd in die Arme.
Wir küßten uns gerade herzhaft, als mir Lärm
auf der Treppe hörten. Leonie erſchrak fehr, weil fie
glaubte, die empörte Volksmenge fäme, um uns zu ers
morden. Aber diefe Vermutung war glücdlichermeife
falſch.
Die Tür ging auf, und herein trat der Büttel, der
Gendarm, Werneburg und noch einige andere Perſonen.
Sie kamen als Befreier.
Ich frage hierdurch aber entrüſtet öffentlich an,
warum man Leute, die aus Elſaß-Lothringen ſtammen,
in Norddeutſchland als Gendarmen anſtellt? Dieſem
Umſtand allein nämlich verdankte ich Prügel und Ge—
fängnis. Der Gendarm hatte telegraphiert: „Automobil-
fahrer aufhalten! Haben Schwein, Hund und Geis
überfahren!“
Den Ausdruck „Geis“ für Ziege kannte der nord⸗
deutſche Telegraphiſt nicht, er glaubte, es ſei ein Schreib-
fehler und machte daraus das Wort „Greis”. Co
famen mir in den Verdacht, Mörder zu fein, und wurden,
als unſer Automobil ftreitte, fo böſe von der entrüfteten
Bevölkerung empfangen.
Borläufig wurden wir aus dem Gefängnis. ent-
laffen. Aber bis ſpät Abends wurden wir „verhört”.
Dann fuhr Leonie und ich mit der Eifenbahn nad
Humoresfe von A. DO. Klaugmann. 85
SE Ee DDr DD AD AD AED AD DD re DDr De DrzDre Dr ED
Niederheim zurüd, und ich hielt noch ſpät Abends bei
Leonies Eltern um mein Bräutchen an.
Sch wurde, als ich erklärte, Rechtsanwalt werden
zu wollen, damit unjerer baldigen Berbeiratung nicht3
im Wege ftehe, in Gnaden angenommen.
Schwein, Hund und „Geis“ Tofteten Hbundertund-
fünfzig Mark, die ich gern bezahlte. Ich wollte auch
die Reparaturlojten für da3 Automobil tragen, aber
Werneburg lehnte mein Anerbieten ab. Er erklärte,
er verkaufe die Teufelsmaſchine, die ihn um fein
Lebensglüd gebracht habe. Er habe nämlich Leonie
auch geliebt und wollte in den nächſten Tagen fich er
klären.
Beſtraft wurde ich wegen unſerer tollen Fahrt nicht.
Aber als ich mit Leonie ſchon verheiratet und wir von
unſerer Hochzeitsreiſe zurückgekehrt waren, hatten wir
noch ein paar Vernehmungen wegen der Fahrt zu über—
ſtehen. Unſere deutſche Gerechtigkeit arbeitet eben ſehr
gründlich.
Leonie und ich gehen jedem Automobil in weitem
Bogen aus dem Wege. Das mag undankbaͤr fein, aber
ficher ijt ficher!
Russen in der Mandschurei.
Bilder aus dem fernsten Osten. Von Martin Howitz.
1
mit ı1 Jllustrationen. Machdruck verboten.)
N: von Rußland unternommene und vollendete Bau
einer Eifenbahn durch die Mandjchurei, melche
den Schienenweg der GSibirifchen Eifenbahn bi3 zum
Golf von Petſchili fortjegt, ift, abgefehen von jeiner
politischen Bedeutung, ficher eine Kulturtat erften Ranges,
aus welcher auch dem deutjchen Handel und der deutjchen
Induſtrie beträchtlicher Vorteil erwachſen dürfte.
Durch dieſe Eifenbahnverbindung iſt dem Verkehr
mit Oftafien ein Weg gefchaffen, der Tier, bequemer
und für die wichtigften Waren, die in Betracht fommen, `
auch billiger ift als die befannten Seewege zwiſchen
den Häfen Europas und denen von Ehina und Japan.
Mit der Mandjchurei ift aber durch die „Ehinefijche
Ditbahn”, mie die transmandfchurifche Bahn offiziell
heißt, ein Ländergebiet in der Größe von Ofterreich-
Ungarn der Kultur und Ausbeutung erſchloſſen worden,
das in feinen Bergen unermeßliche Schäße von Gold,
Erz, Kohlen und anderen Mineralien birgt, und deſſen
Bon Martin Homiß. 87
ER ek u Pt Pan Par nn Par Tun put Eeer Da a m
Boden zu eis Mm — —
nem großen I 8
Teil entwe—
der für die
LZandmirt-
jchaft oder
für die Vieh-
zuht ganz
vorzüglich
geeignet ut.
Nicht viel
über ein Jahr⸗
zehnt hat
die Ausfüh—
rung dieſes
Rieſenunter⸗
nehmens ge—
dauert. Am
19.Mai 1891
legte Zar Ni—⸗
folaus LI.
noch als
Thronfolger
das erite
Glied der
großen ©ibi-
rifchen Eifen-
bahn. Am
1. November
1901 konnte
dev ruſſiſche
Finanzmint-
Her v. Witte
feinem kaiſer—
Port Arthur.
83 Die Auffen in der Mandfchuret.
IREDIERD EDDIE DD DD DDr EDDIE ADD DD
lichen Herrn die Vollendung der „Chinefifchen Oſtbahn“
melden, und der Zar beglüdwiünfchte nun den Minifter
„zu der Beendigung eines der größten Eifenbahnunter-
nehmen der Welt in einer fo kurzen ert und inmitten
von unglaublichen Schwierigkeiten“.
Mit großem diplomatischen Gefchid hat es Rußland
in diefem Jahrzehnt von-1891 bis 1901 verjtanden,
die zwijchen China und Japan ſtets herrfchende Eifer:
ſucht, den für Japan fiegreichen Krieg mit China, Chinas
wachjende Geldverlegenbeiten, den Boreraufitand und
beten Niederwerfung durch die verbündeten Mächte,
Deutfchlands Okkupation von Kiautſchou, die Iſoliert—
beit des britifchen Reichs während des Burenfriegeg,
fomwie die Lage in Korea auszunugen, um rechtzeitig
die feiner oftafiatifchen Politik günftigen Verträge mit
der chinefifchen Regierung zu jchließen. Sa, die Er-
hebung der mandjchurifchen Bevölkerung im “Jahre 1900
gegen die ruffifchen Truppen, welche den Bau der
Ehinefifchen Dftbahn zu fichern hatten, gab jchließlich
den Ruſſen auch einen berechtigten Vorwand zu jener
militärifchen Befegung der Mandfchurei, Die noch heute
anhält und die nicht nur in den Kabinetten der Re
gierungen von Japan und Großbritannien fo viel Miß-
trauen erregt hat.
Das Bordringen der Ruſſen nach Südoften gegen
den Stillen Ozean, ihr Verlangen nach eigenen, mo:
möglich eisfreien Häfen im Bereiche der Verkehrszone
zwifchen China und Yapan reicht bi3 in die Witte des
vorigen Jahrhunderts zurüd.
Bis 1858 befaß Rußland noch nicht das fibirifche
Küftenland am Japaniſchen Meer, in dejjen füdlichiter
Bucht jet die mächtig aufblühende Hafenftadt Wladi-
woſtok liegt, die Hftliche Endftation der eigentlichen Sibi-
rifchen Eifenbahn. Die ganze ruſſiſche „Küftenprovinz“
Bon Martin Howiß. 89
OD mD ED D DE Dr ED AED ED DD DD AD ED De
und die ganze „Amurprovinz”, die "dy weſtlich von
jener zwifchen dem Sgablonoigebirge und dem mittleren
Lauf des Amur ausbreitet, wurden ert in den fahren
1858 und 1860 von China an Rußland abgetreten;
Eisenbahnbrücke im Süden der Ehinesischen Ostbahn.
beide Gebiete hatten vorher zur Mandſchurei gehört.
Seitdem bildet der Amur bis zum Einfluß des Uſſuri
die nördliche Grenze der Mandfchurei, und der Uſſuri
die Dftgrenze des Landes gegen Sibirien.
Der Mittellauf des Amur macht einen großen Bogen
nach Norden, und daher jchiebt fich der nördlichjte Teil
der Mandjchurei ziemlich weit hinauf zwiſchen die ſüd—
90 Die rullen in der Mandjcdyurci.
` EIrDrDrEDrD
lichen Zeile von Zransbailalien und der jibirifchen
Küftenprovinz. Als es nun galt, den vom Ural ber
durch Südfibirien vorrüdenden Schienenweg der Si—
birifchen Eifenbahn von Transbaifalien nach Wladi—
woſtok weiterzuführen, wäre der Bau der Strede am linfen
Ufer des Amur entlang ein bedeutender Ummeg ge-
melen. Das war von der ruffifchen Regierung ſchon beim
erften Entwurf der Bahn ind Auge gefaßt worden,
und gleich als der Bau begann, waren auch fchon
Unterhandlungen mit China in Vorbereitung, welche
auf die Erlaubnis abzielten, jene Strede der Bahn in
diretter Richtung auf Wladimoftot durch die Man-
dfehurei zu führen. Um befjer zum Biel zu gelangen,
führte die ruffifche Regierung die Unterhandlungen aber
nicht felbit; fie rief vielmehr in Peling die „Rufjifch-
chinefifche Bank” ins Leben, die ihr zum Werkzeuge
diente bei der Verwirklichung ihres Planes. Die Bank
fand reichlich Gelegenheit, der chinefifchen Zentralregie-
rung wichtige Dienfte zu leiften, und als Gegenleiftung
erhielt fie im September 1896 die erbetene Konzeſſion
für den Bau jener Bahn durch die nördlide Man:
dfehurei, was freilich nicht ohne gewiſſe Zugeſtändniſſe
erreicht werden fonnte. Die „Geſellſchaft der Chineſi—
chen Oſtbahn“ wurde gegründet, deren Präfident von
der chinefifchen Regierung zu ernennen mar, und in
beten Vorſtand neben Ruſſen auch. Chinefen traten.
In Wirklichleit war auch dieſe zweite Gründung
ein Unternehmen der ruffifchen Regierung; mit ruſſiſchem
Geld, mit ruſſiſchen Materialien und von ruffifchen
Spmgenieuren ward der Bau der Bahn in Angriff oe:
nommen. Um den Bau vor Störung und Berjtörung
durch feindfelige Elemente der mandjchurifchen Be:
völferung zu fichern, legte Rußland mit Genehmigung
Chinas in die Ortſchaften an der Bahnftrede und in die
Don Martin Howiß. 9
OD ⏑ DA DD ED
neuentjtandenen Stationen nicht unbeträchtlicde Schuß:
truppen. Dasfelbe geſchah, als die „Gejellfchaft der
Chinefifchen Oſtbahn“ die weitere Konzefjion erhalten
en — a.
Bahnstrecke durchs Gebirge auf dem Weg nach Port Arthur.
hatte, jene Duerbahn im Norden der Mandfchurei durch
eine jüdlich gerichtete Bahn zu ergänzen, die bis nach
Port Arthur an der Straße von Betjchili geführt werden
follte. Da die Geſellſchaft von der chinefifchen Regierung
aber auch die Erlaubnis erhalten hatte, in der Man:
dfehurei nach Belieben Kohlen: und anderen Bergbau,
92 Die Ruſſen in der Mandjchurei.
DD DD DD ED ED ED ED me D ED ED ED DD ECH
Induſtrie und Handel zu treiben, jo bejchränfte fich der
Dienft jener Schußgtruppen nicht auf den Bahnbau allein,
und es war nicht zu vermeiden, daß es öfters auch zu
Neibereien zwiſchen been Truppen — 19 fotoen:
jotnien und 8 Kompanien Infanterie unter General
Gerngroß — und den chinefifchen Gouvernements-
truppen Tom. die jeit langer Zeit in der Mandjchurei
in ganz bejonderer Weiſe organifiert worden waren.
Provisorische Bahnstrecke zur Herbeischaffung des Baumaterials.
Die Mandfchurei ift eines Der Mebenländer des
chinefifchen Neiches. Trotzdem fie die Urheimat der
heute noch China beherrfchenden Mandfchudynaftie ift,
ift fie doch nicht dem eigentlichen "Heide einverleibt
worden. Gite zerfällt adminiftrativ in die Provinzen
Schingking (die Halbinfel Liaotung) im Süden, Mir in
der Mitte und Holungliang im Norden. Die Haupt:
jtadt von Schingking, dem auch die Hafenftädte Niu-
Hong und Port Arthur am Golf von Betfchili
angehören, ift Mufden, die alte Refidenz der Mandſchu—
dynaftie.
Es ijt ein buntes Gemifch, aus dem fich die gegen
Bon Martin Homiß. 95
ED DA D ED AD AD ED ED AD ED AD AD AD ED
12 Millionen zahlende Bevölkerung der Mandjchurei
zuſammenſetzt. Urſprünglich war das große Land vor-
berrjchend von Mandfchuren bewohnt, dem tungufifchen
Zweig des uralaltaifchen Stammes. Jetzt find Te
Wohnung von eingeborenen Bahnwächtern im Eisenbahndamm.
den Chinefen gegenüber in Der Minderheit. Won den
alten tungufifchen Stämmen wohnt kaum noch eine
Million in der Mandfchurei, doch rekrutiert ſich aus
ihnen die Beamtenmwelt, und der Boden (ut Hauptjäch-
lih im Beſitz der alten Mandfchufamilien. Als bie
Mandfehudynaftie in dem von ihr eroberten China
zur Herrfchaft gelangte, legte fie zuverläjjige mans
94 Die Ruſſen in der Mandſchurei.
DREDRD AD AD DAAD ED ED AD ED DD ED ED Dr De D
dſchuriſche Truppen in Die chinefifchen Städte, die in-
folge von Aufftänden immer mieder verjtärkt werden
mußten. Die wichtigften Beanıtenpoften in China mur,
den mit Mandfchuren beſetzt. An die Stelle ber Man:
dfehuren, die ihr Land verließen, rückten in Scharen
Ehinefen. Die meiften dieſer chinefifchen Einwanderer
‚waren unverbeiratet ımd nahmen Mandfchurinnen zu
Frauen. Die Nachkommen aus diefen Mifchehen waren
bald reine Ehinefen. Die Mandfchuren find von unter:
fester, aber fräftiger Geftalt, haben eine dunkle Haut-
farbe, bervortretende Badenktnochen, ein frijches Aus—
fehen, eine große offene Stirn und große braune Augen.
infolge der Vermifchung gibt es alle möglichen Über:
gänge von diefem reinen mandfchurifchen Typus zu dem
chineſiſchen. Die herrſchende Spradje ift die chinefifche.
Wohl jpriht man am chinefifchen Hofe und in Ge-
lehrtenkreifen noch Mandjchurifch), aber von der mot:
dfchurijchen Bevölkerung tun dies höchſtens noch zehn
Prozent.
Aus politifchen Gründen fiedelte die chinefifche Re—
gierung in der Mandfchurei auch Dunganen an, Ehi-
nefen im Außeren, aber ihrer Religion nah Moham—⸗
medaner, die in nationaler Abgeſchloſſenheit leben.
MWandernde Hirten und Jägervölker von teils tungu-
jifchem, teil mongolifchem Stamm leben über das ganze
Land zerjtreut. Die verfchiedenen Völker begen gegen-
einander Haß und Vorurteile, was den wirtjchaftlichen
Aufſchwung aufbielt. Dieſer Zuftand hat zu der Ent-
widlung des Räuberunweſens beigetragen, das heute
mehr al3 je in der Mandfchurei herrſcht. Echon lange
war der Norden und Oſten de3 Landes infolge un-
erträglichen Steuerdruds in Aufruhr; den Behörden
wollte es nicht gelingen, die Ruhe mwiederherzuitellen.
Es iſt daher gar nicht nötig, den Ruſſen Hintergedanten
Jpunssuonynasuf i2p ur addnuzınpsugequasy 42p uoa —A
N — — — ——
N Sg
—4
96 Die Ruſſen in der Mandfchurei.
zuzuschreiben zur Erllärung dafür, daß fie Truppen ins
Land zogen, um den Bau der beiden Bahnlinien durch
die Mandſchurei zu ſichern.
Auf dieſen Eiſenbahnbau wurde auch in techniſcher
Beziehung die größte Sorgfalt gewendet. Die Man—
dſchurei iſt gebirgig und reichlich bewäſſert. Alle Er-
rungenſchaften der modernen Eiſenbahntechnik waren
daher zu verwerten. Der lange Schienenweg durch
Sibirien iſt im Verhältnis weit billiger und einfacher
zu ſtande gekommen als die kürzeren mandſchuriſchen
Strecken. Zahlreiche Brücken mußten gebaut werden,
und die verſchiedenſten Syſteme kamen dabei in Ans
wendung. Steinerne Bogenbrüden, eiferne Ketten- und
Hängebrüden führen den Schienenftrang jet über die
zahlreichen Gemaier bin, melde den Weg der Bahn
freuzen. An dem Knotenpunkt, wo die füdliche Linie
von der nördlichen abzweigt, bei Harbin, befindet Dé
die größte der Brüden, deren rieſige Eifenkonjtruftion
über die breite Flut des Sungari geleitet ut.
Dies Harbin war früher ein bedeutungslofer mon:
dfehurifcher Ort mit wenigen chinefifchen Häufern; jebt
überragt e3 das füdlicher an der Bahn gelegene alte
Kirin ſchon an Bedeutung; e3 ijt eine große, blühende
Handelsftadt mit öffentlichen Gärten und Hofpitälern
und verfehrsreichen Gefchäftsftraßen. Es dehnt fich
auch am Sungari aus, auf dem fich während des Eifen-
bahnbaus der Schiffsverlehr mächtig hob, da viel von
dem: Baumaterial aus Sibirien hierher tranfportiert
ward. In Harbin war der GI der Bauleitung, und
noch heute ift hier der Sitz der Hauptfiliale der Ruflifch-.
‚Hinefifchen Bank. Der Bahnhof, um den fich die neue
‚Stadt ausbreitet, ift ein ftattliches Gebäude; in feiner
Nachbarfchaft liegt ein großer Gaſthof. Auch die
übrigen Stationsgebände der Bahn find jett alle jehr
Bon Martin Homitß. 97
OO NO —
ſolide Stein—
bauten, nach—
dem die ot:
fangs aufge-
jtellten Holz:
baraden
während de3
Kriegs im
Jahre 1900
von den Auf-
ſtändiſchen
zerſtört wor—
den waren.
Das Schie—
nengeleiſe iſt
einſpurig.
Selten hat es
auf dem na—
türlichen Bo-
den gelegt
werden kön—
nen; viel—
mehr mußte
der Weg ent—
weder künſt—
lich aufge—
dämmt oder
erſt durchs
Gebirge ge—
ſprengt wer—
den.
Unter un—
ſeren Abbildungen befinden ſich zwei Anſichten, die
das eine und das andere veranſchaulichen. Beide
1804. VI. 7
General Grodekoff mit seinem Stab nach dem Feldzug.
98 Die Rufen in der Mandfchurei.
zeigen Gegenden, die zur füdlichen Linie gehören.
Biele Meilen lang ziehen fich ähnliche Dammftreden
Din wie die auf dem Bilde, das auch eine Der Kleinen
mafliven Steinbrüden zeigt (Seite 89). Der Einschnitt
durchs Gebirge auf dem anderen Bilde (Seite 91) (ut
in der Nähe von Port Arthur zu fuchen. Die ganz
außerordentlichen Koften, die diefe große Eijenbahn:
anlage Durch die Mandſchurei dem ruffiichen Staat,
beziehungsmweife der Ruſſiſch-chineſiſchen Bank verurfacht
bat, werden aber exit Dadurch erklärlich, daß die Bahn zum
größten Teil dreimal gebaut werden mußte: erſt pro-
vijorifch für die Herbeifchaffung der Schienen, Schmellen,
Steine u. ſ. w, dann wirklich bi3 zum Ausbruch des Auf—
Standes, und nach der während desselben ftattgefundenen
Zerſtörung ein drittes Mal. Unfer Bild auf Seite 92
zeigt eine echt halb ausgeführte Brücke Der richtigen
Bahnlinie neben dem Geleife der proviforifchen Bahn.
Diele Stationsgebäude erheben Dé in bis vor furen
noch völlig unbewohnten Gegenden, bie jebt den Kern
von Anjiedlungen eingewanderter Kolonilten bilden.
Für die Eifenbahnfchugtruppen und eingeborvenen
Bahnwächter wurden unzählige Blodhäufer außerhalb
der eigentlichen Garnifonen am Bahnlörper entlang
errichtet; viele find in den Bahndamm gehöhlt, fo
daß fie im Winter guten Echuß gegen die Falten Winde
gewähren. Unjer Bild auf Seite 93 zeigt eine folche
Anlage mit einer aus Eingeborenen Deftehenden Be:
fagung. Die wichtigeren find bejjer befejtigt und mit
einem Schnellfeuergefchüg ausgeftattet. Die regulären
Schußtruppen find aus der Neferve der rufjijchen Armee
als Freiwillige ausgehoben, fie haben eine bejondere
Uniform, und Offiziere und Mannfchaften erhalten einen
höheren Sold als die Der eigentlichen Armee. Das
Bild auf Seite 95 zeigt jolche Freiwillige während der
Ss
-Fuempsinig suajegsbeiuan VAIgUOUSUI2IUL sap apnegqaßlloz A0
— — — — — — — EES Gah
100 Die Ruſſen in der Mandjchurei.
Dede De ee DDr ED red DD DD RD DD V De EC
Inſtruktionsſtunde, die im Innern eines Blocdhaujes
abgehalten wird.
Der bei weitem wichtigſte Teil der ganzen man:
dſchuriſchen Eiſenbahn ift die füdliche Linie durch Die
Provinz Schingking von Mukden nach PBort Arthur,
oder anders ausgedrüdt: durch die Halbinjel Liaotung,
die wefllich die Kitfte ber Bai von Linotung und öftlich
die der Bai von Korea bildet, nach der Südfpite an
der Straße von Petſchili.
Der früher chinefifche, jeit 1897 von den Kutten
bejegte Kriegshafen Port Arthur ift von außerordent:
lich ftrategiicher Bedeutung. Ex bewacht die Zufahrt
in den Golf von Petſchili, an deſſen Weftküfte Tientfin
liegt, daS den Hafen für die nahe NReichshauptitadt
Peking bildet. Vor dem Krieg mit Japan hatte China
den Hafen mit einem Aufwand von vielen Millionen
zu einem Kriegshafen erſten Ranges gemacht, wobei
die ganze Anlage mit ihren dreizehn den Hafen um:
gebenden hochgelegenen Forts von deutjchen Ingenieuren
und Baumeiſtern Dergejtellt wurde. 1894 wurde Der
jo befejtigte Hafen von den Japanern unter General
Dyama geſtürmt, doch erhielt ihn China nach dem
Kriege wieder zurüd. Als Deutjchland 1897 von der
Kiautſchoubucht Beſitz ergriffen hatte, ließ Rußland eine
Kriegsflotte in den Hafen von Port Arthur einlanfen.
Es geſchah dies im Einverſtändnis mit Der chinefifchen
Negierung, die nicht ohne Grund bejorgte, England
wolle fich Des wichtigen Platzes bemrächtigen. Dex diplo-
matijchen Welt gegenüber erklärte Rußland, daß e3
nur zeitweilig den Hafen für feine Flotte wünjche, da
e3 einen eisfreien Hafen an der fibirijchen Küfte nicht
belite. Japan ließ fich Durch dieſe Erklärung aber
nicht beruhigen. Es bejette Wei-hei-weih, das Port
Arthur gegenüber an der Straße von Betichili liegt,
-Buemipsinig u uoıssimmoysBungemun ↄlxuoijvuiajui 210
103 Die Rufen in ber Mandſchurei.
DD KDD KDD rED TED ADDED DD Dee DE Dee
und bezeichnete e3 als Unterpfand für den Heft der
ihm von China zu zahlenden Kriegsentfchädigung.
Unfer Bild auf Seite 87 zeigt einen Teil des Hafens
von Port Arthur mit dem ftark befeitigten „Goldenen
Berg”. Das in der Mitte anfernde Schiff ift ein ruj-
jtfcher Kreuzer; rechts am Ufer liegt ein Dampfer der
Dftbahngefellfchaft, zwischen ihnen fährt eines der kleinen
Dampfboote, die den Verkehr mit Tſchifu vermitteln.
Rußland Hatte wirklich im Plan, ſich an einer
anderen Stelle der Küſte von Liaotung aus eigenen
Mitteln einen „eisfreien Hafen” zu ſchaffen, und das
ift inzwifchen gejchehen. 45 Kilometer nordöjtlich von
Port Arthur an der Bai von Korea liegt in außer:
ordentlich günftiger Lage die Bucht von Talienwan.
1898 jchloß Rußland mit China einen Vertrag ab, in
welchem China den Ruſſen für die Zeit von 25 Jahren
neben Port Arthur die Bucht von Talienwan und das
Dazmifchen liegende Land pachtweije abtrat. Der Ber:
trag erteilte den Ruſſen ferner die Konzejfion zum Bau
einer Eifenbahnlinie zur Berbindung der Häfen Port
Arthur und Talienwan. Im Auguft 1899 verordnete
Der Zar, daß der Hafen von Talienwan als Freihafen
gelten und daß neben demfelben eine neue Stadt, namens
Dalny, erbaut werden folle.
In erjtaunlich Duer Zeit ift auf das bejondere Be—
treiben des Finanzminifters v. Witte diejer le&tere Ukas
verwirklicht worden. Dalny ut berufen, dem „offenen“
Vertragshafen Niutſchwang an der Bot von Liaotung,
defien Zollgebäude unjer Bild auf Seite 99 wieder:
gibt, den Rang abzulaufen. Rußland ijt ber nicht
von einer internationalen VBerwaltungstommiffion ob,
bängig wie in Niutſchwang. Die Zufahrt ift durch
feine Meerenge, wie die Straße von Betjchili, be-
einträchtigt. Der Hafen von Talienwan liegt per Küſte
Bon Martin Homiß. ` 103
von Korea ge:
genüber und Ja—
von näher als
Niutſchwang.
Während Dal—
mn auf Staats—
koſten für die
Zwecke einer
modernen See—
handelsſtadt an—
gelegt und er—
baut wurde, ge—
langte das
Schlußſtück der
ChineſiſchenOſt—
bahn zur Aus—
führung. Von
Mukden kom—
mend erreicht die
Linie zunächſt
bei Niutſchwang
das Meer, wen—
det ſich dann
weiter durch die
Landſchaft nach
Dalny, und von
hier aus eilt die
Bahn ihrer ſüd—
lichen Endſta—
tion Port Ar—
thur zu. Als die
eigentliche Kopf—
ſtation der ſibi—
riſch-mandſchu—
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*
Bahnstrecke zwischen Dalny und Port Arthur,
104 Die Ruſſen in der Mandfchurei.
DDR ED Dr Ee eege — Ee Mee Ee Bee ECH
riſchen Bahn ift aber Dalny zu betrachten. Ein Kriegs:
hafen wie Port Arthur konnte dem Weltverkehr nicht
die erforderlichen Dienjle bieten.
Schon jett jteht in dem mit Schugdämmen und
Ansladeftätten aller Art verjehenen Hafen von Dalny
der Eijenbahnverfehr in engfter Verbindung mit einem
von der Dftbahngejellichaft geregelten Dampferverkehr
nad Korea, Japan, China und Auftralien. Eine für
100,000 Einwohner berechnete Gejchäftsitadt, mit allem
Komfort der Neuzeit ausgeftattet, ift um den Bahnhof
herum aus dem Boden gemwachfen, doch (ut fie nur erft
zum Fleinjten Teile bewohnt. Das größte der bereits
beitehenden Gejchäfte (1 im Beſitz eines Deutjchen.
Den Japanern ift die Anfiedlung in Dalny verboten.
Im übrigen wird fremden Kaufleuten, die fich hier -
niederlafjen wollen, viel Entgegenlommen bemiefen. Der
Bau der Stadt, des Hafens und der Bahn fejjelte aber
Hunderte von Technilern und Intereſſenten, Taufende
von Kılis on Dalıy. Sm Jahre 1902 kamen nicht
weniger al3 717 Dampfſchiffe und 1418 Dfehunken in
den Hafen, zumeijt mit Baumaterial. Von den Damp:
fern waren 324 ruſſiſche, 241 japanifche, 83 englifche,
49 chinefifche, 12 normwegifche und je 2 dänijche, öſter—
reichiſche, deutſche und amerilanifche Schiffe. Am
24. Februar 1903 langte der erſte Schnellzug in Dalny
an, und an demfelben Tage fuhren zwei Dampfer Der
Chineſiſchen Oftbabngejeltfchaft nad) Nagajali und nach
Schanghai ab.
Unter Entfaltung einer gemaltigen Truppenmacht
hatte Rußland im Jahre 1900 den Boreraufftand in
der Mandjchurei, dem fich die chinefifchen Gouverne:
mentstruppen anjchloffen, niedergemworfen. Am 21. Juli
wurden die Truppen des ſibiriſchen Militärbezirks und
der Provinz Semiretſchinsk mobilifiert; aus Europa
Bon Martin Homitz. 105
PR RL ⏑ Eeer ne ed
wurden Verſtär—
kungen nachgeſandt.
Sm Oktober 1900
belief jich die Stärke
der ruſſiſchen Feld—
truppen in Oſt—
aſien bereits auf
123,000 Mann un—
ter 3900 Offizieren.
Die Operationen
dieſer Truppen wa—
ren ebenſo energiſch
wie erfolgreich.
Aber die Zerſtö—
rung der Eiſen—
bahn hatten ſie nur
zum kleinſten Teil
verhindern können,
Der Vandalismus
der Aufſtändiſchen,
die Opfer an Toten
und Verwundeten,
die Rußland zu be—
klagen hatte, die
Kriegskoſten, die
China nicht zu zah—
len in der Lage
war, rechtfertigten
es, daß Rußland
nach der Nieder—
werfung des Auf—
ſtaudes die mili—
täriſche Beſetzung
des ganzen Landes
Die neue russische Hafenstadt Dalny an der Talienwanbucht.
106 Die Ruſſen in ber Mandjchurei.
aD rd DDr ED ED ED ED EDE DE DD ED ED ee
ducchführte. Die chinefifche Regierung mußte den in
der Mandjchurei ftehenden vufjischen Truppen oe
jtatten, ſich bier anzufiedeln. Rußland aber erklärte,
Daß es das Protektorat über die Mandfchurei fo lange
aufrecht erhalten werde, bis Rußland durch die wieder:
bergeftellte Ordnung in China vor jeder Störung
jeiner vertragsmäßigen Intereſſen in dem okkupierten
Lande gefichert fei. Dem xuffifch-chinefifchen Mandfchurei-
abkommen feßten dann Großbritannien und Japan ihren
Bündnisvertrag entgegen.
Die Mandjchurei (ut nod Klima, Produkten und
Lage die bejte der Beligungen Chinas, die hinter der
Großen Dauer liegen. Das Klima zeigt durchjchnitt-
lich um 9 Grad Celſius Fältere Temperaturen als die
entjprechenden Breiten in Wejteuropa; egen fällt reich-
lich. In den Gebirgen, von melden der große Ehin-
gan im Weiten und da3 Schangan Alin-Gebirge im
Südoften beträchtliche Höhen aufweijen, herrſcht Wald
vor, in der Ebene Wiejen mit Außerft jaftigen Gräjern.
Gerfte, Hirſe, türkiicher Weizen, Kartoffeln, Mohn und
viele Gemüfe geben gute Ernten. Opium, Tabak, Syn:
digo, Hanf find weitere wichtige HandelSartitel. Jagd—
tiere, Hirjche, Bären, Antilopen, wilde Ziegen gibt e
in Menge, im Norden auch Zobel; freilich überall auch
Raubtiere, bejonders Wölfe und Tiger. Die Flüſſe
find fehr fifcehreich. Herden von Nindvieh, Pferden und
Schafen find häufig, aber bei dem Reichtum an faftigem
Gras könnten noch viel mehr von ihnen gute Nahrung
finden.
Wie wenig aber die chinejilche Regierung e3 uer:
ftanden bat, aus dem Beſitz des großen Landes den
vechten Borteil zu ziehen, geht ſchon Daraus hervor,
daß bi vor Dem der Bergbau in ganzen Lande ver—
boten war, „damit der geheiligte Boden der Heimat
Bon Martin Homik. 107
DIDI D EDDIE DE DDr DD DDr DD
des Raiferhaufes nicht beunruhigt werde”. Auf Über:
tretung des Verbotes ftand die Todesftrafe. Der ruffiiche
Einfluß bat auch hierin Wandel gefchaffen. Die Aus«
beutung der Gold- und Silberfundftellen ift jegt frei:
gegeben, aber an die Erfüllung gemiffer Bedingungen
gefnüpft, welche die Ablieferung eines Teiles des ge:
fundenen Goldes ımd Silbers an die chinefifche Staat3-
faffe vorfchreiben.
a
Kameraden.
Novelle von Lulu v. Strauss und Torney.
S (Nachdruck verboten.)
ie Sonne Idien in die großen Fenſter des
Nedaktionszimmers, aber es ſah trotzdem
nüchtern und ungemütlich aus; denn die
) Fenſter gingen nur auf einen engen Hinterhof
mit hohen kahlen Mauern, und die Sonne ſchien nur
auf lauter Papiere, die auf den Tiſchen verſtreut lagen.
Der Redakteur wandte mit einer ungeduldigen Be—
wegung den Kopf und ſah ſcharf durch die Brille das
junge Mädchen an, das an der Tür ſtand.
„Sie wünſchen, Fräulein?“
Sie machte haſtig ein paar Schritte vorwärts. „Ich
wollte — ich komme wegen der Skizzen — ich ſchickte
Ihnen vor ein paar Wochen etwas —“
Der Nedakteur runzelte die Stirn. „Ihr Name?”
„Marie Biller.“
Er nahm einen Haufen Bapiere aus einem Fach
des großen Schreibtifches, fuhr fuchend mit den Händen
dazwiſchen herum und warf ein Kuvert auf den Zug,
„Da. Cie können e3 gleich wieder mitnehmen.
Leider ungeeignet.”
„Herr Doktor, ich Dachte —“
ik
F
Kovelle von Lulu v. Strauß und Zonen, 109
DD DD DD DD ED De Der DDr De DD
„Bitte, Sränlein, ich habe feine Zeit übrig. Bier
it Ihr Manuſkript.“
An dem zweiten Redaktionstiſch waren zwei Herren
in halblautem Geſpräch, der eine balancierte auf der
Kante des Tiſches und rauchte eine Zigarette; er hörte
auch einmal auf zu ſprechen und ſtarrte dem Mädchen
ziemlich ungeniert ins Geſicht.
Sie war einen Augenblick regungslos ſtehen ge—
blieben, mit ſchlaff herunterhängenden Armen. Als ſie
merkte, daß der junge Menſch ſie anſah, nahm ſie
haſtig ihr Manuſkript vom Tiſch und ging zur Tür.
Auf der Straße ſchob ſie die Papiere in die Kleider—
taſche und ging mit dem gewohnheitsmäßig eiligen
Schritt der Großſtädterin die Straße entlang, ohne
aufzuſehen, mit einem müden, freudloſen Ausdruck im
Geſicht. Sie fuhr erſt auf, als fie auf einmal eine
Stinime neben fich hörte.
„Erlanben Sie, mein Fräulein, daß ich ein Stückchen
mit Ihnen gehe?“
(Gë war der junge Menjch, den fie da eben auf der
Redaktion getroffen hatte. Marie kannte ihn gleich
wieder. Eie antwortete nicht, fie war dunkelrot oe:
worden und fing au, raſcher zu gehen.
Er blieb neben ihr. „Haben Sie nur feine Angft,
ih will Ihnen nichts tun, Fräulein Biller.“
Sie jah überrafht auf. „Woher wiſſen Cie wie
ich heiße?“
Er lachte. „Reine Kunſt! Sie fagten e3 ja eben
jelbft auf der Redaktion. Ich ſah auch gleich, daß
Cie ein Neuling moren, hr tranriges Geficht dauerte
mich. So find alle Anfänger; mit ihren erften Ver—
juchen laufen fie auf die größten Redaktionen, wo fie
totenficher abgemwiefen werden, und dann find fie un—
glücklich. Das machen die meiſten mal durch.“
110 Kameraden.
Das Mädchen hatte zugehört, ohne ihn anzufehen.
„Es wurde mir fo fehwer, hinzugeben,” jagte fie leife,
„ich wollte auch gar nicht, ich hatte bie paar Sachen
nur jo zu meinem eigenen Spaß gejchrieben. Aber
Mutter meinte, ich müßte es verfuchen, ich fonnte doch
vielleicht noch etwas damit verdienen. Aber nun war
es ja doch unnütz.“ |
Er ſah mit einem Lächeln auf fie herunter; dieje
Anfängerverzweiflung fonnte er, und das Fleine Ding
tat ihm leid. .
„Sie broden noch nicht den Wut zu verlieren,
weil die Sachen nicht nach dem Gefchmad des einen
Redakteurs waren,” tröftete er gutmütig, „wenn Gie
He mir einmal anvertrauen wollten, ich würde Ihnen
gern mein Urteil darüber geben und Tönnte Ihnen
vielleicht mit einem guten Rat helfen.”
Sie ging langſamer und jah ihn nachdenklich ins
Geſicht. Was für merkwürdig ducchfichtige, ruhige
Augen fie hatte!
„sa — ih Tenne Sie aber gar nicht,” jagte fie
fragend.
„Dem ift leicht abzubelfen. Berzeihen Sie, daß ich
mich Ihnen nicht eher vorjtellte. Fri Norbert, Schrift:
Heller. Stiler. Dichter — alles in einer Perſon!“
Er bob mit drolliger Feierlichkeit den Hut, dann
blieb er vor einem Ladenfenfter flehen und 309 ein
Notizbuch aus der Tajche.
„Warten Sie, ich will Ihnen meine Adreſſe geben,
fo blindlings können Sie mir Ihre Geiſteskinder nicht
anvertrauen. Und Ihre Adreſſe muß ich auch willen.
Ich ſchicke Ihnen die Sachen dann in den nächſten
Tagen wieder.“
Das Mädchen hielt das Kuvert in der Hand und.
jah es unfchlüffig einen Augenblid an. Dann gab fie
Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 111
eebe ee ee eelerer eeler DAAD ADDED ADDED
es (bm hin. „Da. Sie - - Sie follen mir dann aber
offen fchreiben, mas Sie davon denken. Auch wenn
es nichts taugt.”
„Keine Angſt, Fräulein Biller. Kritik unter Kollegen
iſt offenherzig. Wenn die Dinger nichts wert find, jage
ich es Ihnen, und Sie dürfen es mir dann auch nicht
übelnehmen.” |
Sie fehüttelte den Kopf. „Nein, gewiß nicht! Das ift
ja gerade, was ich wünfche, ein offenes Urteil! Und —“
Gig war auf einmal ftill, irgend eine Kirchenuhr in
der Nähe jchlug zmei. „Schon fo ſpät! Ich muß
fchnell nad Haus. Mutter wartet ficher ſchon lange.
Adieu, Herr Norbert.”
Sie zögerte einen Augenblid, dann gab fie ihm die
Hand und lief ſchnell die Straße herunter.
Fri Norbert radelte ſchon am anderen Tage ber:
aus; er wollte ihr ihre Sachen gern felbjt bringen, und
fie wohnte To weit draußen, daß ihm der Weg zu Fuß
zu viel Zeit weggenommen hätte. Bor der jchmalen
Glastür ihrer Wohnung wartete er ert etwas, ehe er
tlingelte, er war ganz atemlos von Den vielen
Treppen.
ALS drinnen der fchrille Ton der Klingel ging, blieb
es erſt fill, dann famen Schritte zur Tür.
Marie Biller ſah dem jungen Mann fremd und
fragend ins Geficht, fie erfonnte ihn augenscheinlich
nicht. Aber dann auf einmal wußte fie, mer e3 war.
„ch Sie, Herr Norbert! Verzeihen Sie, daß ich
mich im erjten Augenblick nicht gleich befinnen konnte!
Ich Dachte auch) gar nicht, daß Sie jelbjt kommen
würden.“ |
Sie gab ihm die Hand und ging ihm voran über
den Kleinen dunklen Korridor.
112 Kameraden.
Dre Dr DreDneD De EDrE DDr DDr DD
„Bitte, kommen Sie herein. Mutter iſt leider nicht
da, fie wollte ein paar Beforgungen machen.”
Fritz Norbert Hatte den unbeſtimmten Eindrud, daß
er in feinem jaloppen Radelanzug gar nicht hierher
paßte, als er in das feine Zimmer eintrat. Altmodifche
Möbel, ein Kanarienvogel und ein paar Blumenftöcde
am Fenfter, blendend weiße Gardinen, und über dem
Ganzen fo eine Stimmung von Ruhe und etwas ſpieß—
bürgerlihder Gemütlichkeit.
Auf dem Teen blanfpolierten Nähtiſch am Fenfter
lag eine Etiderei, da hatte fie wohl eben gejejjen.
Marie jchob ihm einen Stuhl hin und jah ihn an,
aber jie fragte nichts. ES Hätte ihm Spaß gemadit,
wenn er etwas Ungedild oder Furcht vor feinem Dr
teil an ihr gemerkt hätte, doch fie blieb ganz ruhig,
auch als er das Kuvert herauszog und auf den Tijch
legte.
Wie er noch einen Augenblick zögerte, jah fie ihm
lächelnd ins Geſicht. „Bitte, ganz ehrlich.“
Er nidte. „Natürlid. Sehen Cie, Fräulein Biller,
Talent haben Sie, das habe ich gleich gelehen, Zwar
fein großes, aber eines, das fi) dev Mühe lohnt.“
„So? Meinen Sie wirklich?” Nun wurde fie doch
etwas lebhajter, ein geſpannter Ausdruck lag in ihren
hellen Augen. „Sch war ſchon ganz darauf gefaßt,
daß Sie mich auslachen würden.”
„Das gewiß nicht. QIalent haben Sie. Aber —
nun fommt das „Aber“. Die Übung fehlt Ihnen.
Sehen Sie, ich habe Ihnen da ein paar Notizen an
den Rand geſchrieben.“
Er ſchob ihr das Manuſkript Hin, fie beugte ſich
Darüber und fuchte die bezeichneten Stellen.
Fritz Norbert ſah fie nachdenklich an, während He
las. Die Sonne fchien ihr gerade auf das Haar, e3
Kovelle von Lulu v. Strauß und Torney. 113
DEDED REDE DE DD ED ED DT DE DE DE DE DE DE DE Dr ED
gab in dem dunteln, etwas rötlich getönten Braun ein
paar ſchimmernde Lichtreflexe, ähnlich den Goldton
im Frauenhaar auf manchen alten Borträts. Auch
die Nadenlinie des gebeugten Kopfes mar zart und
hübſch.
Sein Geſchmack war ſie aber doch nicht. So ein
ſtilles, ernſtes Geſichtchen, langweilig und temperament:
los. Dabei die ganze Erſcheinung ſo unbedeutend und
proſaiſch in dem ſchlichten blauen Kleid und der kleinen
Schürze mit der Stickereikante. Sie kam ihm auch heute
ganz anders vor als geſtern. Da hatte fie jo etwas
Hilflofes, Scheues gehabt, das ihn anzog und ihm Luft
machte, ein bißchen den Gönner und Helfer zu fpielen.
Das war heute wie mweggeblafen. Sie war ganz ruhig
und unbefangen, war auch gar nicht fo überſchwenglich
dankbar, wie er erwartet hatte.
„Im ganzen liegt in Ihrer Schreibweiſe ſo etwas
— ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken ſoll —
ſo etwas Weltfremdes, als ob Sie noch ſehr wenig vom
Leben geſehen hätten und wüßten,“ ſagte er, als ſie das
Papier wieder auf den Tiſch legte. „Ich würde Sie
nie für eine Großſtädterin halten nach dieſen Sachen,
eher für ein Baftorentöchterchen, daS noch nie aus
feinenn Dorf berausgefommen iſt.“
Gie jah vor ſich hin. „Viel anders ift es mir ja
auch nicht gegangen. Bater ftarb, als ich Klein war,
feitdem leben Mutter und ich ganz ftill für uns. Wir
müſſen auch beide ordentlich arbeiten, wenn wir genug
verdienen wollen. Morgens gehe ich zu einem alten
Herrn, dem ich vorlefe und abjchreibe, und zu Haus
mache ich Nachmittags und Abends Stidarbeiten für
ein Gefchäft. Da geht fo ein Tag mie der andere hin.“
Er magie ein ganz entjegtes Geſicht. „Ya, aber
Sonntags, da kommen Sie doch wohl mal heraus?
1904. VI. S
114 Kameraden.
Und ein Tag mitten zwiſchen den Menfchen in einer
großen Stadt zeigt einem mehr vom Leben als ein
ganzes Jahr in irgend einen Neft.”
„Sonntag3 bleiben wir zu Haus,” fagte das Mäd—
chen, ohne aufzujehen, „Mutter ift Tranklich, fie kann
das Gehen und den vielen Lärm nicht aushalten, und
Belannte haben wir auch nicht, wenigftens Feine näheren.”
„Du lieber Himmel, und das balten Gie aus?“
Er fah fie ganz erregt und mitleidig an. „Das ijt ja
gar Fein Neben, das ift ja ein langfames BVertrodnen!
Sie find doch nur einmal jung! Eine Schande, die
ichönen Jahre fo zu vergeuden. Denken Sie doch mal,
wie fchön die Welt ift! Das iſt doch alles für Gie
auch da, Sie haben ein Recht darauf.”
Sie jcehüttelte den Kopf, e8 war ein unruhiger Aus:
druck in ihrem Geficht. „Ich glaube, wir müfjen doch
immer erjt Pflichten erfüllen, ehe wir an Rechte denken
fönnen,” fagte fie Huftig. „sch habe e3 nie anders
gekannt, auch nie anders gewünſcht. Ich bin ja ſchon
dankbar, daß mir jo ruhig leben Tonnen und feine
Sorgen haben. Und unjere Freuden haben wir doch
. auch, fogar ein Stüdchen Frühling mitten in der großen
Stadt. Sehen Gie nur da unten!” Gie ging zum
Fenſter und machte es auf.
Als er neben ihr ſtand und ſich hinausbeugte, ſah
er tief unten in der Mitte des engen Hinterhofes auf
einem Stückchen Raſen einen blühenden Apfelbaum.
Die weißen duftigen Blütenzweige ſahen ganz fremd
und nicht hierher gehörig aus, ſie hatten auch keinen Hauch
zarter roſa Farbe wie ſonſt Apfelblüten, ſondern nur
ein kränkliches Weiß, ſchon etwas ſchmutzig vom Kohlen⸗
dunſt und Staub. |
Als er zurücdtrat, munderte er ſich über den träu-
merifch-glüdllichen Ausdrud, mit dem das Mädchen auf
- Novelle von Lulu o Strauß und Torney. 115
„ihr Stüdchen Frühling” hinunterfah. Ihm fiel auf
einmal ein, daß fie felbft gerade mie der Baum da
unten mar: zwijchen hohen Mauern eingellemmt, in
der Blüte verfümmert, ohne eine Ahnung von freier
Luft und Sonnenschein.
Er mußte felbjt nicht, warum er auf einmal fo ver:
ftimmt war, al3 er wieder an den Tifeh ging. Er
fuchte zwifchen den Bapieren herum und nahm dann
etwas heraus.
„Wollen Sie mir diefe Skizze noch eine Zeitlang
laſſen, Fräulein Biller? Sie ift entfchieden gut, und
wenn Gi mir erlauben, ein paar feine Änderungen
zu machen, könnte ich fie vielleicht für Sie unterbringen.
Ich habe ja viele Verbindungen, und fo cin erjtes
Gedrucdtjein macht doch immer Mut.”
Sie zögerte einen Augenblid. „ch weiß nicht, ob
es richtig ift. Sch Dachte eigentlich, die Abweifung
ſollte mir ein Fingerzeig jein, daß —“
„Dummes Zeug!” Er lachte auf. „Wenn Gie
überhaupt an SSingerzeige glauben, dann bin ich Doch
auch einer. Geben Sie her, Sie jollen jehen, e8 macht
Ihnen Spaß, wenn Sie gedrudt find! Und arbeiten
Cie nur tapfer weiter. Sch will Ihnen gerne helfen
und Ihnen jagen, was Ihnen noch fehlt.”
Sie ſah ihn nachdenflih an. „Sch möchte wohl
einmal etwas Tenuen, was Sie gefchrieben haben.“
„Barum? Weil ich fo mweife reden Tonn, meinen
Sie folgerichtig, meine Produktionen müßten tadellos
fein? Sa, Bauer, das ift ganz was anderes! Aber
wenn es Ihnen Spaß macht, mal was zu jehen —
meinethalben. Dann bringe ich Ihnen was mit, wenn
ich das nächte Mal komme. — Donnerwetter — ich
habe ja noch nicht einmal gefragt, ob ich überhaupt
mwiederfommen darf!” |
116 Kameraden.
ED ED ED ADDED ED ED ED ED D ED
Gebt lachte fie auch, aber gleich darauf war fie
wieder ernitbaft. „Gemwiß, wenn Sie mögen. Aber
ich weiß gar nicht — Sie Tonnen mich ja faum und
find doch fo gut gegen mich.”
Sie ftocte und fah ihn fragend an. Gar nicht be-
fangen, nur mie ein Rind, da3 etwas erklärt haben
möchte, das e3 nicht verfteht.
Er lachte und jtredte ihr die Hand hin. „Das tft
unter Rollegen ganz jelbjtverjtändlich, DaB man fich
hilft, wo man fon, Auf Wiederfehen, Fräulein Biller!“
Er war ſchon draußen und lief die Treppe herunter.
Eigentlich wunderte er fich über He ſelbſt und ärgerte
ſich zugleich. Warum hatte er das von dem Wieder:
fommen gefagt? Das Kleine Ding ging ihn doch nichts
an, war ihm nicht einmal intereffant. Wieder einmal
jo ein Streich, den ihm feine Gutmütigfeit fpielte. Na,
er brauchte fich ja nicht weiter mit ihr einzulafjfen, mem
er nicht wollte. — — —
Er vergaß fie auch ganz in der nächlten Zeit. Der
Großftädter ift Augenblicksmenſch, fcehnelllebig; ein Ein-
druck löſt den anderen ab und verwiſcht ihn.
Erſt fo nach vierzehn Tagen fiel fie ihm wieder
ein. Er hatte nach einem fidelen Abend fait bis Mittag
im Bett gelegen und ſaß nun mit jehmerem Kopf oer.
droffen am Schreibtifch, als ihm das Manuffript mit
der Elaren, feinen Mädchenhandichrift wieder in die
Hände kam. Er befah eë von allen Seiten und befann
fei — was hatte er doch damit wollen?
Ach jo, er hatte der Kleinen ja verjprochen, das
Ding an irgend einem. Blatt unterzubringen. Es mar
ja auch gar nicht fo übel, wenn auch noch fehr an-
fängerhaft. Er Forrigierte mit feiner großen, hafigen
Schrift ein paar ftiliftifche SSehler, wie er das Blatt
noch einmal überlas, und jchob es dann in die Tafche.
Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 117
DR RD AD De DD DDr Dre DD Dre Dre
Er konnte die Sache auch gleich beforgen, er hatte doch
nicht3 anderes zu tun.
Sein guter Freund, der lange Schmittberger, der
die Redaktion eines Blattes dritten Ranges leitete,
hatte geftern auch die Rneiperei mitgemacht und faß
ziemlich mißmutig an feinem Redaktionstiſch.
Norbert legte das Manuffript vor ihn hin. „Da,
das ſollſt du druden. Höchſtens eine halbe Spalte.
Ein ganz nettes Ding.“
Schmittberger Job gähnend auf das Blatt herunter.
„Was ift es denn? Bon dir? Nein, das ift ja eine
Damenhand.” |
Norbert die lachend. „Stimmt. So "me Kleine
Anfängerin, der ich den Spaß gönnen möchte, ſich ge
druct zu ſehen. Du kannſt es wirklich auf meine Ver:
antwortung tun, denn jchlecht iſt es nicht.“
Der andere lachte jegt laut heraus. „Na, hör mal,
das ift fo die richtige Kateridee! Fri Norbert als
literarifcher Mäcen! Diesmal will ich’3 tun, ich brauche
gerade noch eine Spalte. Aber bitte, gewöhne dir das
nicht dauernd an! — Wer ift denn diefe neue Größe?
Hübſch?“
„Ach, nichts Beſonderes, eine zufällige Bekanntſchaft.
Marie Biller heißt fie.”
Er warf ſich auf das Sofa und ſtreckte ſich bequem
aus.
„Haſt du nicht ein vernünftiges Kraut zu rauchen?
Ich habe meine Zigaretten vergeſſen. So — danke!“ —
Ungefähr eine Stunde ſpäter bummelte er durch die
Straßen ihrer Wohnung zu. Der Weg war ja weit,
aber die friſche Luft tat ſeinen Nerven heute ganz gut.
Auf der Redaktion hatte er noch ein paar alte Zei—
tungsnummern in die Tafche geſteckt, in denen ein paar
Skizzen und PBlaudereien von ihm jtanden; es war ihm
118 Stameraden.
eingefallen, daß fie gefagt hatte, fie müchte auch etwas
von ihm kennen.
Marie empfing ihn heute ſchon wie einen alten Be-
kannten, er merfte, daß fie fich freute über fein Kommen.
Ihre Mutter war diesmal aud da. Ein Tleines,
fümmerliches Frauchen in vertragenem, aber fehr ordent-
Idem ſchwarzen Kleid, mit forgenvollem Geficht und
einer verjchüchterten ngjtlichkeit im Wejen. Marie
mußte Ton von ihm erzählt haben, fie wußte gleich
Beicheid.
Als er mit feiner Nenigkeit von der Annahme der
teinen Skizze herausfam, war Marie ganz ftill.
Die alte Frau ſchlug mit glänzenden Augen Die
Hände zufanımen. „Siehft du, Marie, ich habe es dir
ja immer gejagt! — Nicht wahr, meine Tochter hat
Talent, da3 jagen Sie doch auch, Herr Norbert? Und
fie Toun noch ihr Glück damit machen. Wir wußten
nur bis jet nicht, wie man das anfangen muß. Aber
wo Sie ihr nun geholfen haben, wird fie mit ihrem
Talent ſchon weiterflommen.”
„Mutter, laß Doch,” Marie war ganz verlegen ge:
worden, fie ſtrich der Mutter leife über die Hand —
„jo viel iſt doch nicht daran.“
Norbert fah fie fragend an. „Freuen Sie fich denn
nicht auch ein bißchen, Fräulein Biller? Ich Dachte,
Sie würden Luftjprünge machen vor Vergnügen.”
Sie fehüttelte den Kopf. „Nein, nur Mutters wegen
freut e8 mid, Mir kommt e3 eigentlich vor, als ob
e3 nicht recht wäre. Was man fo für fich gedacht und
gefchrieben hat, daß das nun alle die fremden Leute
lejen — es ift, als ob ich mich ſchämen müßte.”
Er lachte gutmütig. „Das gibt fich, es ift nur fo
eine Art Zampenfieber. Balen Sie auf, wenn Gie es
exit gedrudt lejen, find Sie ganz ftolz.“
Novelle von Lulu v. Strauß und Zonen, 119
ge Eeer ED DD DE DDr De De DD Dre De Dee De eD
Die alte Frau Hatte in dem Fleinen altmodijchen
Glasſchrank zwifchen den Taſſen gekramt, jet Tom fie
zu Norbert.
„Mir fallt auf einmal ein, ob Sie nicht bei uns
Raffee trinken wollen,“ fagte fe wichtig, „es ift doc)
gerade die Zeit. Und wenn mir es auch nur einfach
geben Tonnen —“
„Sehr liebenswürdig, wenn Sie mich behalten
wollen!” Norbert jah lachend zu Marie herüber. „Wenn
es Ihnen aud) recht iſt?“
Marie war rot geworden, fie nidte ihm zu und
ftand auf. „Das ift hübſch, wenn Sie noch ein bißchen
Zeit haben. Mutter, dann mußt du unferen Gaſt fo
lange unterhalten, ich will eben den Kaffee machen.“
Sie war draußen, aber Norbert war ſchon neben
ihr. „Wenn ich Ahnen Tode Mühe mache, will ich
wenigſtens belfen,” meinte er Iuftig, „man mill fein
Brot doch verdient haben!”
Marie war ert etwas verdußt, aber dann ließ fie
es ſich lachend gefallen. ` In der winzigen Küche jaß
er auf der Tijchlante und drehte pfeifend die Kaffee:
mühle, während fie das Waſſer anfeßte, und das Mäd—
den wurde ſelbſt jo vergnügt dabei, daß ihr blalfes
Geficht ordentlich Farbe bekam. Norbert fand fie wirk—
lich hübſch fo.
„Um da3 Angenehme mit dem Nüblichen zu ver:
binden, werde ich Ihnen jegt etwas vorlefen,” erklärte
er, während fie den Kaffee aufgoß. „Willen Sie nod),
daß Sie neulich etwas von mir lefen wollten? Oder
hat Sie der voreilige Wunfch ſchon gereut? Ich habe
bier jo ein paar Dinger mitgebracht.“
„O ja, bitte, ich möchte e3 jo gern.” Marie fah
eifrig zu ibm herüber. „Wie ſchön, daß Sie daran
gedacht haben!”
120 Kameraden.
eeh Ee RD Fr ED DD AD ee De DD AED Den Dee —
„Ra, dann bereiten Gie fich auf einen riefigen Ge—
nuß vor, Fräulein Kollegin!”
Es moren nur ein paar Rleinigfeiten, die er nor:
la8, Geſellſchaftsſkizzen, Ted hingemworfen in ſcharf Jor,
taftischer Manier.
Er konnte das Geficht des Mädchens nicht jehen,
während er las. OS er fertig war, blieb fie aud) nod
einen Augenblid ftill.
„Es ift gewiß fehr gut,“ fagte fie dann langfam.
„Sie fennen die Welt ja auch wohl befjer als ich. Ich
würde das alles auch nie jo durchſchauen Tonnen. Aber
wir find ja gewiß auch jehr verfchieden.”
Ihn amüfierte ihr Urteil. Für das janfte Seelchen
waren feine Sachen auch zu feharfe Sot, fie fühlte ſich
abgeftoßen und mußte nicht, wie fie das ſchonend aus—
drüden jollte.
Ein übermütiger Gedanke durchfuhr ihn, er beugte ſich
vor und fah ihr mit einen lachenden Blid in die Augen.
„Meinen Sie nicht, daB mir uns troßdem ganz gut
verjtehen könnten?“ fragte er halblaut.
„Ich weiß noch nicht,” fagte fie nachdenklich, „Sie
find jo viel klüger als ich.“
Er antwortete nicht und fah faſt verlegen an ihr
vorbei. Diefes munderliche Feine Ding mit ihrer ruhigen
Unbefangenbeit ärgerte ihn beinahe. Es hätte ihm
Spaß gemacht, fie einmal herauszureißen, und doc)
fühlte er, daß das ein häßlicher Wunfch war.
Gie hatte jeßt ihren Kaffee fertig, er nahm ihr die
Ranne weg und trug fie triumphierend in die Stube
berüber.
„Er ift befonders gut geworden, weil ich geholfen
babe,” verficherte er Frau Biller, die den Kaffeetifch
inzwijchen mit drei altmodifchen goldgeränderten Taſſen
gedect hatte.
Novelle von Zulu v. Strauß und Torney. 121
DDr ED AD ED ADDED Dre D DEI ED ED ED eD
„Kuchen gibt eë freilich nicht,“ entfchuldigte fie fich
fat ängftlich, „ich konnte fo ſchnell feinen beforgen, der
Bäder wohnt fo weit.”
Er lachte nur. „Meinen Sie denn, daß ich täglich
fo fchlemmte? Du lieber Himmel — ein armer Literat!
Für den ut eine Zafje Kaffee in Gemütlichkeit ein
Luxus.“
Das kleine Sofa krachte ordentlich, als Fritz Nor:
bert ſich darauf ſetzte, er ſah überhaupt mit ſeiner
Länge und dem hochgetragenen blonden Kopf faſt zu
groß für die Tleine Stube aus; aber er fühlte fich wohl
und war ausgelaſſen Iuftig.
Marie war echt noch ftill, als ob fie fich fcheute,
Be einmal jo recht der forglofen Freude binzugeben,
aber bald lachte fie mit. Es fam Norbert vor, als ob
fie heute einmal wirklich jung wäre, nicht das früh:
alte, verlümmerte Schattenpflänzchen, das fie ihm fonft
Iden, -
Als fie fertig waren, räumte Frau Biller die Taffen
zufammen, um fie zu Toilen. Marie wollte ihr helfen,
aber das litt fie nicht, die follte bei dem Gaſt bleiben
und ihn unterhalten. So holte Marie denn ein paar
feine Sachen, die fie gejchrieben hatte, und las fie ihm
vor; er fritifierte fie und gab ihr ein paar gute Rat:
jchläge für die Zukunft. Zuletzt fam fie fogar ſchüch—
tern mit ein paar Verſen und Gedichten heraus.
„Ballen Sie nur auf, wenn Gie fo weitermachen,
werden Sie bald ganz berühmt fein,” nedte er, „und
dann bitte ich um Ihre Proteltion, Fräulein Kollegin!”
Sie war duntelrot geworden und fah ihn einen
Angenblid zögernd an. „Ich wollte, Sie fagten das
nicht immer.“
„Was fol ich nicht fagen? Fräulein Kollegin?”
Sie nidte verlegen. „Sch mag es nicht hören.
122 Kameraden.
DD DD DD ED ED ADDED ED DE DEI ED re
sch bin doch noch lange nicht fo weit, und es fängt
jo — fo gefchäftsmäßig!”
Er lachte. „a, das hilft aber nichts, wir find nun
einmal Kollegen!”
Gie jehüttelte den Kopf. „Lieber Kameraden,” jagte
fie ernſthaft. „Sie helfen mir doch wirklich wie ein
guter Kamerad.“
Kameraden! Sri Norbert mußte lachen. Was
mußte das Leine Ding von Kameradfchaft? KRamerad-
Ihaft, wie fie unter Männern in ernfter Arbeit Schulter
an Schulter oder auch in tollen Nächten beim Wein
Héi ſchließt? Eine Kameradſchaft, über Iyrifchen Ge—
dichten gejchloffen, mit ſolch einem Kind, das nichts
vom Leben wußte! Aber je jah ihn fo erwartungs:
voll treuherzig an, daß er die Nederei, die er auf der
Zunge hatte, nicht herausbrachte. Er jtredte ihr nur
die Hand hin. |
„Einverjtanden, mein fleiner Kamerad!“
Sie ließ ihre Hand unbefangen einen Augenblic
in jeiner und jah vor ſich hin. Er Schloß unwillkürlich
die Finger feiter um die fühle Mädchenhand, die fo
ruhig in Der feinen lag; fie merkte e3 gar nicht, auf
ihrem Geſicht war ein Ausdrud von träumerifcher Zus
friedenheit. So wie jemand, der ſchläft und noch nie
geweckt worden ift, mußte er denken.
Verftimmt ließ er ihre Hand los und rücdte heftig
den Stuhl.
Aber im nächſten Augenblid mußte er über "éi
lachen. Dieſes Leine Mädchen ging ihn ja nichts an.
Er wollte auch nichts von ihr. Und zu einem Experi-
ment war fie nicht einmal interejjant genug. Nein,
die fühle Rameradichaft war bier das bejte. — —
Bon da an Tom Fri Norbert aber dod) öfter. Es
ging jo ganz allmäblich, daß er fich daran gemöhnte,
Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 123
genee Ee Eelere ED DD ED DD DD De
alle paar Tage die fteilen Treppen heraufzufteigen und
den Knopf der Klingel bei Billerz zu drüden. Er war
bald ganz zu Haufe in der feinen Stube mit den alt-
modifchen Möbeln und den weißen Gardinen, troßdem
es da ganz anders war, als er es fonjt fonnte
Das ganze Leben fah fich aus diejer weltfremden Enge
ander® an, aber vielleicht gefiel es ihm gerade des—
balb fo gut. Es war immer fo ein Ausruben und
Aufotmen zwiſchen dem wirren Stundenmwirbel de3
Großjtadtlebens und des Literatentums.
Marie und er waren ganz gute Freunde jet. Er
verftand das Mädchen ja eigentlich nicht; es war eine
fo fonderbare Miſchung von faſt badfifchmäßigem Idea—
lismus und nachdenflicher Klugheit in ihrem Wejen,
und in dem winzigen Ausfchnitt vom Leben, den fie
wirklich fannte, machte fie fich ganz ihre eigenen Ge—
danken und Urteile.
Aber troßdem ihre Art (hm fremd war, hatte fic
doch einen wohltätigen Einfluß auf ihn. Ihre gleich:
mäßige Ruhe legte Te befchwichtigend auf feine Nerven.
- Manchmal freilich verftimmte fie ihn auch. Der Ver:
kehr mit Frauen war fonft für ihn unzertrennlich von
einem gewiſſen pricdelnden Weiz. Der fehlte hier, und
er fühlte auch, daß er machtlos war, aus Dem Geheim—
nis Deler Natur den Funken berauszufchlagen. Das
war er nicht gewohnt, und augenblidsmeife Tonnte e3
ihn ärgern, aber das waren (mmer nur flüchtige Re—
gungen, und Marie merkte fie gar nicht, fie blieb immer
gleich unbefangen gegen den Kameraden. —
Es war Ende April, die Luft war fchon ganz mom,
vor den Villen der Tiergartenftraße blübten die Zul:
pen und Hyazinthen, und an den Straßenecken Tonnen
Kinder mit großen Büfcheln fperriger Weidenzmweige
vol filberflammiger Kätzchen. So ein Tag, der es einem
124 Kameraden.
DD Ee DD ED DD AD ED ne Dre De Dee DD ee
zwifchen den hohen Häufern unbehaglich macht und ou
allerhand jentimentales Zeug aus der Jugendzeit ers
innert.
Frig Norbert bummelte mit der Zigarette die Fried-
richftraße entlang und überlegte eben, ob er nicht heute
einmal Zeit hätte, Hinauszuradeln, als er auf einmal
Marie Biller vor fich gehen ſah mit ihrem gleichmäßig
eiligen Schritt, den Arm voll Palete. Sie fah immer
geradeaus, gar nicht nach den glänzenden Auslagen der
Schaufenjter oder den Menfchen um fie herum.
Norbert ging etwas fchneller und war gleich bor,
auf neben ihr. Sie fuhr zufammen, als er fie an-
vedete, fie mußte ganz in Gedanken gemejen jein, aber
dann die fie ihm freundlich zu.
„Ich habe Beforgungen gemacht, ich muß Mutters
und meine Sommerjachen in Ordnung bringen,” fagte
De auf feine Frage, „jest wollte ich nach Haus.”
„Jetzt nach Haus!” Norbert fehüttelte den Kopf.
„Natürlich, fich gleich wieder krumm hinſetzen und fticheln.
Nein, Fräulein Marie, daraus wird heute nichts! Ge
haben Zeit und ich auch, und Gie fehren jebt um und
machen mit mir einen Fleinen Bummel durch den Tier:
garten. Sehen Sie nur, mie jchön es ift!“
Sie blieb unfchlüffig eben und jah zu dem blauen
Himmel über den Häufern hinauf, in dem ein paar
feine weiße Wolfen ſchwammen.
„Ich weiß nicht recht —“ jagte He zögernd.
„Aber ich weiß es. Eine Schande, foldy jchönen
Zon in der Stube zu boden! Kommen Sie — Tehrt
marſch!“ |
Sp gingen fie denn zufammen ert die Friedric)-
ftraße, dann die Linden entlang und durch das Bran-
denburger Tor in den Tiergarten hinaus.
Über den Bäumen und Bülchen hing daS junge
Novelle von Lulu o Strauß und Tornen. 125
DD EEE Dre Dre Dre DD
Laub wie ein dünner grüner Flor, irgendwo antworte:
ten fich ein paar Buchfinfen, der eine nah, der andere
ferner, in zmwitfcherndem Gefchmetter. Dazu war e3
wundervoll weiche, müde Luft.
Marie war anfangs ganz ftill, aber Norbert freute
fih an den großen, glüdlichen Augen, mit denen fie
um fich jah.
Ihm fiel auf einmal ein, daß ihre Pakete doch ge-
mwiß unbequem zu tragen waren; ohne zu fragen, nahm
er He ihr aus der Hand und jchob fie in die Tajchen.
„Geben Sie her, mir macht das nichts aus, ob fie
da in der Zafche teen. Sie follen heute mal ganz
vergnügt und frei fein und nichts zu fchleppen haben,
weder körperlich noch geiſtig.“
Sie ſah ihn ernſthaft an. „Ich glaube, das iſt
ganz unmöglich. Geiſtig, meine ich. Was man da zu
ſchleppen hat, wird doch mit der Zeit ein Stück von
einem ſelbſt, das man gar nicht miſſen möchte.“
Er ſchüttelte unzufrieden den Kopf. „Wenn Sie
doch einmal all dieſe ernſthaften Grübeleien zu Haus
laſſen wollten! Wiſſen Sie, daß das ganz was Ver—
frühtes, Unjugendliches an Ihnen iſt? Und Sie ſind
doch wirklich noch ſo jung.“
„Dreiundzwanzig ſchon — wenigſtens faſt,“ ſchob
ſie eilig ein.
Er mußte lachen. Das war echt wie ſie; ſo gar
nichts von der weiblichen Ziererei mit dem Alter, eher
noch ſich ein bißchen älter machen!
„Faſt?“ fragte er neckend. „Wann denn? Darf ich
das nicht auch wiſſen?“ |
„Warum nicht? Am vierten Mai.”
„Am vierten Mai? Famos, das it ja in acht
Tagen! Das müffen wir aber zufammen feiern, Fräu—
lein Marie!”
126 Stameraden.
EDrEDrEDrED TED ED ED DD AD AD DE DD Dr Dr De eD
Sie ſchien gar nicht auf ihn zu hören, fie jah nach:
denklich geradeaus. Dann hob fie den Kopf.
„Eigentlich beneide ich Sie um Ihre leichte Lebens—
auffaffung,” fagte fie. „ch wollte, ich könnte das auch.
Es muß viel netter und bequemer fein. Wie fangen
Gie das nur an?”
Er lachte. „Das ift ganz einfach. ES kommt wohl,
weil ich das Leben fo genau fenne. Bon klein auf
habe ich mich allein durchbeißen müfjen und babe einen
Tag Glück und den nächften Pech gehabt. Da lernt
man, das einzelne nicht fo fehmwer zu nehmen. Gonft
fonnte man auch gar nicht den Kopf über Wafler
halten. Und e3 lebt ſich wirklich) ganz bequem und
fidel fo!“
Er pfiff eine luſtige Gafjenhauermelodie vor fich
hin, dann brach er wieder ab.
„Sie würden das auch lernen, wenn Sie mehr her,
auslämen. Aber jo wie Sie hinvegetieren, immer allein
mit der alten Dame, die für die Jugend Fein Ver:
ftändnis hat, in dieſem winzig engen Kreis, da muß
es von felbjt fommen, daß Ihnen die kleinſten Kleinig:
fetten wichtig werden. Es ut wirklich ein Sammer um
Sie.“
Sn Maries Gefiht war ein Ausdrud von Unruhe,
es war, als ob fie etwas fuchte, um von diefen Thema
abzulommen.
„Wo find Sie eigentlich zu Haus, Herr Norbert?”
fragte fie haſtig. „Sie haben mir nie davon erzählt,
auch von Ihren Eltern nicht.“
(Gr zudte die Schultern. „Was ut denn da groß
zu erzählen? Meine Eltern habe ich kaum gekannt,
He ftarben, als ich Ten war. Damals wohnten mir
in Thüringen. Ich kam dann zu Verwandten hierher.
Aber ein Heim habe ich nicht mehr gehabt feitdent.
Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 127
ID DD DD ED AD AD ADD re De Dre Dre De Dre
Iſt mir aber auch ganz recht, mir paßt die Ungebunden-
beit bejjer.”
Marie ſah ihn an, mit einem großen, ehrlichen Mit:
leid in den hellen Augen. „Aber das ift doch fchred-
lich! Ganz allein Tonn doch Fein Menſch leben! Gie
haben doch gewiß viele Freunde.“
„Zreunde? Wie man’s nimmt.” Norbert ärgerte
Dë faft über daS Mitleid des Mädchens, er hieb zer:
jtreut im Borbeigehen ein paar hellgrüne Blattknojpen
mit dem Stod ab. „Wiflen Sie, ich habe viele gute
Bekannte, auch Freundfchaften, aber feinen Freund.
Ein Menfch fann einem ja doch nie genügen, man hat
mit jedem nur irgend eine Seite gemeinfam. Cbenjo
geht miv’3 auch in anderer Weife. Liebfchaften habe
ich genug gehabt, aber die Xiebe, die eine, große, kenne
ih darum auch nicht. Aber das ift ja auch viel bejjer.
Wozu ſich mit den Menfchen fo fejt verbinden? Biel:
leicht werden fie einem fpäter mal binderlich und läſtig,
und dann Tann man fich nicht losmachen.”
Marie war dunkelrot gemorden, aber fie ſah ihm
doch mit großen Augen voll ins Geficht.
„Rein,“ fagte fie fchroff, „fo Darf man gar nicht
denten, das iſt häßlich. Das ift Doch eben die rechte
Liebe, daß man Hi ganz gegenfeitig verfteht. Wenig
tens, was ich mir darunter denke. Und ich glaube,
das gibt e3 für jeden nur einmal auf der Welt. Und
wenn man das nicht hat, dt alles andere nur fchlechter
Erſatz. Man Toll fein Höchjtes nicht in Kleiner Münze
verzetteln, das iſt unmürdig! Dadurch verliert man
das Anrecht auf das wirkliche große Glück.“
Sie Hatte ganz aufgeregt gejprochen, aber faft als
ob fie mit fich felbjt ſpräche; an ihm fah fie vorbei,
als ob er gar nicht da more, in ihren Augen moar ein
fonderbar tiefer Augdrud.
128 Kameraden.
[ne 0 m? ö——
„Ein ſchrecklich unpraktiſcher Idealismus, den Sie
da entwickeln!“ Norbert war ſtehen geblieben und
ſah lachend auf fie herunter. „Kind, damit bringen
Sie Ihre Jugendjahre hin, daB Sie auf diefe ideale
Liebe warten? Und menn der Märchenprinz nicht
fommt, werden Sie alt und grau und haben überhaupt
nie gewußt, was leben heißt! Fräulein Marie, Sie
find Doch nur einmal: jung.”
Sie antwortete nicht, fie ſah nur mit ängftlichen
Augen zu ihm auf.
„Bir müffen weiter,” fagte fie dann baftig.
Er achtete nicht darauf, er beugte ſich vor und
ſah ihr ins Geſicht. „Willen Sie, daß Sie ein Un:
recht an ich felbft begehen? Den Augenblick verlieren
Sie über allerhand unmöglichen Träumereien, und Ihre
Seele, hr Ich verkümmert und vertrodnet unterdes
in der Entwicklung!“
Er war ſtill und atmete tief; er wußte felbft nicht,
warum er fic) jo aufregte, aber es machte ihn un-
geduldig, dieſes junge Geſchöpf in ihren eigenfinnigen
felbftgemachten Vorurteilen befangen zu fehen. Und
dabei Tom fie ihm heute auf einmal jo bejonders rei-
zend vor, als ob fie wieder etwas von dem Scheuen,
Hilflofen hätte, das ihn zuerſt angezogen Hatte.
Marie hatte echt nicht geantwortet, jet wandte fie
ſich auf einmal fchroff weg und fing an weiterzugeben.
„Sie follen nicht fo fprechen,” fagte fie hajtig, „Sie
gerade nicht! Sie wiſſen Doch, wie ich lebe, und daß
ich nicht anders kann. Sch muß mich ja hereinfinden,
ob ich will oder nicht, und Sie machen e3 mir nur
fchwerer. Sie wiſſen doch felbit, daß feine Möglichkeit
iſt — für mid —“
„Keine Möglichkeit?“ Norbert war dicht neben ihr,
er ſah mit lachenden Augen zu ihr herunter. „Mög:
Novelle von Lulu o Strauß und Torney. . 129
E⏑⏑ ⏑ ⏑ ⏑ ⏑ Dre De De
lichkeit, das Leben zu genießen, gibt es immer. Sie
brauchten nur zu wollen, Fräulein Marie!“ |
„Ich?“ Sie fah fragend zu ihm auf. „Wiefo?”
Er lachte wieder. „Das mollte ich Ihnen ſchon
lehren. Sie müfjen nur nicht übertriebene Anfprüche
ftellen. Wenn man das Beſte nicht haben Tonn, gibt
man Déi eben mit dem Geringeren zufrieden. Ich bin
wirklich) ein ganz guter Kerl, Fräulein Marie, Sie ſoll⸗
ten nur verfuchen, mich ein bißchen gern zu haben.”
„Sie?" Marie lachte, aber e3 war fein ganz un»
befangenes Lachen, He war rot dabei gemorden.
„Sole Witze jollten Sie nicht machen. Das ift nicht
hübſch.“ |
Norbert wollte haftig antworten, aber er war ftill,
als er ihr Geficht ſah. E3 war, als ob fie ihn ſchon
wieder ganz vergejjen hatte. Sie fah mit einem träume:
rifhen Ausdrud in das helle Grün der Bäume hinauf.
Sie hatte ihn wohl gar nicht verftanden. Biel-
leicht war da3 auch ganz gut. Er war gerade drauf
und dran gemwejen, fich wie ein verliebter Brimaner zu
betragen. Das war aber nur die Aufmallung eines
Augenblid3 gemejen, im Grunde ließ fie ihn ja doc)
kalt.
Marie blieb auch einmal ſtehen und ſah mit einem
tiefen Atemzug um ſich. „Es war wirklich gut von
Ihnen, daß Sie mich da herausbrachten. Wie wunder:
ſchön das alles iſt! Das Waller Hinter den Büjchen,
und die Sonne und die Vögel! Wir haben fo viel
gefprochen, da genießt man e3 gar nicht recht. Das
fann man nur, wenn man ftill ift.“
- So gingen fie denn ftill nebeneinander ber die lebte
Strede des Weges. Ganz bis nach Haus brachte er
fie nicht, er bog ein paar Straßen vorher ab, wo er
feiner Wohnung näher Fam.
1904. VI. 9
130 Sameraben.
—⏑ —⏑ ⏑ ⏑—CEC
Sie gab ihm beim Weggehen freundlich die Hand.
„Laſſen Sie ſich bald wieder bei uns ke Sie wiſſen,
wir freuen uns immer.“
Fritz Norbert hatte ne an dem Tage eigentlich vor:
genommen, nicht fo oft mehr hinzugeben. Aber wenn
e3 auch fonft öfter vorkam, daß er acht Tage nicht hin-
ging, Diesmal, wo fein Borfaß ihn gemijjfermaßen
band, war es ihm unbequen, eë fehlte ihm ordentlich,
Eigentlich war es auch übertriebene Vorficht. Seiner
ſelbſt wegen Hatte er fie wahrhaftig nicht nötig, und
Marie — na, er hatte doch deutlich gejehen, daß ihr
der Verkehr ungefährlich war. Sie würde Téi auch
wundern, wenn er jebt auf einmal wegblieb, fie wußte
ja gar nicht weshalb. Und dann — hatte fie nicht
gefagt, daß am vierten Mai ihr Geburtstag war?
Es wäre doch unfreundli von ihm, wenn er fih an
dem Tage gar nicht jehen ließ.
Vielleicht Fonnte er ihr auch eine kleine Geburtstags:
freude machen. Irgend etwas Befonderes. Er bejann
ſich, und endlich fiel es ihm ein, er wollte fie mit in
die Oper nehmen. Das war etwas ganz Neues für fie.
Und ihm würde es Spaß machen, ihr Entzüden zu fehen.
Am Nachmittag, al3 er wußte, daß ihr Sekretär—
dienst bei ihrem alten Geheimrat vorüber war, ging
er bin.
„Wie gut von Ahnen, daß Sie fommen!” fagte fie,
als er ihr gratulierte. „Ich Dachte fehon, Sie hätten
und ganz vergeffen. Sie find jo lange nicht bier ge: |
wesen.“
„Haben Sie mich wirklich für fo jchlecht gehalten,
Fräulein Marie?” Er ftand vor ihr und fah freund:
lich auf fie herunter. „Nein, im Gegenteil, ich babe
jehr viel an Sie gedacht. Sch Habe mich immer be:
Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 131
IDrED EDDIE Dre Dr DDr Dre De Der Der De Dre Dr ED ED
jonnen, was für eine Freude ich mir zu Ihrem Ge:
burtstag machen wollte. Und fehen Sie” — er 309
feine beiden Billette aus der Taſche und hielt fie ihr
bin — „bier ift mein Geburtstagsſpaß. Ich will Sie
heute abend mit ins Opernhaus haben — zu Triftan
und Syjolde.”
„Mich?“ Marie fah ihn ungläubig an. „Das dt
doch wohl nicht Ihr Ernſt! Ich — ich bin da ja nie
gewejen! Ich Tenne das ja gar nicht!”
„Eben deswegen! Für Shre Bildung fehr vorteil:
haft! Du lieber Himmel, dreiundzwanzig fahre —
Sie fehen, ich habe ein gutes Gedächtnis —- und noch `
nie im Theater gemejen!”
Frau Biller Tom jet auch herein und machte ihr
forgenvolljtes Geficht, als fie von dem Plan hörte.
„Kind, Mimi, du ins Theater! Aber dann kommſt
du ja fo ſpät nad) Haus! Und es ift doch auch fü
teuer! Das geht doch nicht, Herr Norbert, das Tonn
meine Tochter doch nicht annehmen!“
„Warum nicht? Das ift übrigens auch nicht fo
gefährlich, denn ich befomme als Rritifer immer Frei
billette.“
Norbert log diesmal, aber er tat e8 Marie zu Ge:
fallen. Sie war dunkelrot geworden, als die Mutter
davon ſprach.
„Alſo, Fräulein Marie, Sie machen fich heute abend
fo hübſch Sie können, und um fech3 hole ich Sie ab.
Nach Haufe werde ich Sie nachher auch bringen, da—⸗
mit fich Ihre Mutter nicht forgt.” —
Als er pünktlich kam, um fie abzuholen, war fie
Ihon ganz fertig. Sie hatte ihr bejtes Kleid an, ihr
braune Haar mar heute etwas locderer gemacht, und
ihr Geficht Hatte mehr Farbe als fonjt, das fleidete
fie gut.
132 Kameraden.
Te?
Fran Biller ftrich noch mit wichtigem Eifer an ihren
Kleid herum, zuletzt brachte fie noch ein Fleines Käſtchen
und gab e3 Marie. „Da, Mimi, das iſt mein (Ge:
burtstagsgefchent. Heute follft du ein bißchen hübſch
ausfehen, Kind.” `
Eine feine roja Schleife lag in dem KRäftchen.
Marie jah mit glüdlicden Augen auf das Ping
herunter. „Du but fo gut, Mutter, das ut viel zu
ſchön für mich!“
„ein, nein, Kind, fomm nur, wir wollen fie o:
jteden, daß Herr Norbert nicht warten muß.”
Marie war ſtill, als fie dann zufammen durch die
Straßen gingen. Norbert ſah manchmal in ihr Ge:
jicht, da3 hatte einen ermwartungsvollen Ausdrud mie
ein Kind vor Weihnachten.
„Freuen Sie ſich?“ fragte er einmal unterwegs.
Sie nidte. „OD, fo jehr. Aber ich habe faſt auch
Angſt. Sch weiß jo gar nicht, wie es ift.”
Er lachte. „Dumm, daß ich vergeffen habe, Ihnen
das Tertbuch vorher zu geben. Warten Sie, ich will
Ihnen etwas davon erzählen, damit Sie doch Bejcheid
wiſſen.“ |
Sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, während
er ihr den Gang der Handlung erzählte. Unterdes
moren fie am Opernhaus angelommen; es war ſchon
höchſte Beit, fie hatten Toum in der Garderobe die
Sachen abgegeben und ſaßen auf ihren Pläßen vorn
an der Brüjtung im dritten Rang, als der Zuſchauer—
roum bunfel wurde und die Ouvertüre anfing.
Ein paarmal fah er Marie an; fie ſaß ganz regungs⸗
[08 vorgebeugt, ihr Geficht fonnte er in der undeutlichen
Däanımerung nicht recht erkennen.
Dann vergaß er fie auch eine Zeitlang. Die gemal«
tige Zonfülle und Schönheit des Wagnerjchen Meifter:
Cedkie EC Ak
Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 133
AD ARDRED ED D Dre Dre De Dede DD E E
werkes riß ihn mit fort, erfüllte fein ganzes Ich bis in
jeden Nerv hinein.
Erſt als am Schluß des erften Aufzuges der Vor:
bang fiel und die eleftrifchen Lampen im Zuſchauer—
raum mit ihrem grellweißen Licht die fonderbar er:
bobene Traumſtimmung zerftörten, fiel ihm Marie
wieder ein.
Er beugte fich zu ihr hin. „Wie gefällt es Ihnen?“
Sie wandte langjanı den Kopf und jah ihm mit weit
offenen abmwefenden Augen ins Geficht. Sie hatte feine
Frage gar nicht veritanden, er mußte fie wiederholen.
Da .nidte fie. „Es ift wie ein Wunder!” fagte He
balblaut.
Er ſah auf einmal, daß fie bis in die Lippen blaß
war. Er erjchraft ordentlih. Wenn es ihr nur nicht
zu viel wurde! Sie war fo etwas ja gar nicht ge-
wohnt!
Um ihre Aufregung etwas zu beruhigen, fing er
an, ihr ein paar auffallende oder fomijche Erſcheinungen
im Publikum zu zeigen und feine Bemerkungen darüber
zu machen. Das Mädchen hörte zu, aber es war, als
ob fie ihn gar nicht verftände; fie die nur bin und
wieder, antwortete auch, wenn er fie etwas fragte, aber
es Tam ihm vor, als ob fie im Schlaf ſpräche. Faft
bereute er jeine dee. Sie hätte gewiß nicht gleich
als erjtes jo etwas Großartiges, Übermältigendes jehen
dürfen, dem moren ihre feelifchen Kräfte nicht ge-
mwachjen. —
Weiter. Die Tiebesjzene zwifchen Triftan und Iſolde.
Grünlihe Gartendämmerung auf der Bühne, finn-
beſtrickende Muſik, alle Nerven aufregend und zugleich
ſüß einfchläfernd. Durch die atemlofe Stille des Haufes
Iſoldes jehnfüchtiger und doch felig jauchzender Auf:
„So laß mich fterben!" —
134 Kameraden.
Dën A et ED TED DD DD DD AD DD
Norbert hatte fi) vorgenommen, auf Marie zu
achten; er hatte fich jegt genug an die Dämmerung
gewöhnt, um ihr Geficht zu erkennen. Sie faß über
die Brüftung vorgebeugt, die Lippen geöffnet, als ob
fie jeden Ton trinten wollte. Die Hände lagen im
Schoß, feſt ineinander gellemmt.
Er faßte fie leiſe mit feiner Nechten und Löfte fie
auseinander. Sie fuhr ert zufammen, aber dann ließ
We e3 ruhig gefchehen, litt eë auch, daß er ihre Hand
feit in feiner behielt. ` "ebe Finger waren glühend heiß,
e3 war ihm bisweilen, als ob es wie ein Zittern durch
fie bin lief. |
Sie ſprach kaum zwei Worte mehr während des
ganzen Abends. Als nach dem lebten Aufzug der Vor-
bang fiel und ein donnerndes Klatſchen und Rufen
durch Das Haus ging, ftand fie haftig auf und drängte
hinaus. Sie waren faſt die erften draußen. Wie im
Traum ließ fie es gefchehen, daß er ihr den Mantel
umbing und ihr das mitgebrachte Tuch um den font
band. Ihr Geficht war jet heiß, ihre Augen hatten
einen fonderbaren Glanz. Norbert hatte das Mädchen
noch nie jo hübjch gejehen.
Er felbft war in gehobener Stimmung. Dazu war
fo eine unbeftimmte Unruhe und Unternehmungsluft
in ihm — wenn er allein gemejen wäre, hätte er irgend
einen tollen Studentenftreich machen mögen!
Draußen auf der Straße 309 er ihren Arm feit in
feinen, fie gingen ohne zu fprechen, er fang und pfiff
abgeriſſene Melodien vor fich Hin, die ihm haften ge-
blieben waren.
Als fie aus dem Bereich der belebteren Straßen
heraus waren, fing er an, langfamer zu gehen. Gë
bummelte fich To köſtlich durch diefe faſt ſchwüle Nacht:
luft Hin — die eleftrifchen Lampen ftanden wie weiße
Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 135
Monde in dem tiefen Blau des Himmels, ein weißlicher
Lichtdunft lag über der Stadt, und ganz hoch oben
waren die Sterne wie Funken in die blaufchmwarze
Duntelbeit gefät. Das Summen des nächtliegen Groß:
ftadtleben3 Hang gedämpft in diefe ftilleren Straßen
herüber. Nur bin und wieder begegneten fie einem
Menfchen. Norbert wurde e3 langmeilig, daß das
Mädchen gar nicht ſprach. Er blieb auf einmal jtehen.
„Denken Sie fich das fehr intereſſant für mich, fo
ſtumm dahinzutrotten, Fräulein Marie! Sie haben
doch ficher eine Menge Gedanten, und ich finde e3
Schlecht von Ihnen, wenn Sie mich gar nicht ein biß—
chen davon profitieren laffen.”
Marie jcehüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht — e3
ift alles fo fonderbar” — fagte He wie träumend, „die
Welt ift jo anders heute. Und e3 kommt mir vor, als
ob ich gar nicht mehr ich felbjt bin.”
Er lachte nur, ohne zu antworten. Es war nichts
mit ihr anzufangen jebt, fie mußte fich erſt befinnen.
Da waren fie endlich in ihrer Straße. Frau Biller
hatte Norbert den Hausfchlüffel gegeben, er jchloß auf
und fie tappten fich hintereinander die dunklen Treppen
hinauf. Oben zündete er ein Streichholz an, Damit fie
das Schlüffelloch der Korridortür finden fonnte,
Marie blieb einen Augenblick zögernd ftehen und
wollte ihm die Hand geben. Er jchüttelte den Kopf
und jchob fie ſacht vor Héi ber in die Tür.
„Wie einen Dienſtmann wegſchicken Lotte ich mich
nicht gleich, Fräulein Marie. So vier Stunden Kunſt—
genuß wirken fchredlich auf den Magen, meiner Inurrt
ſchon wie ein Wolf. Ein Stüdchen Butterbrot müſſen
Sie mir ſchon geben.“
„Wenn Mutter nur nicht aufwacht,“ ſagte Marie
flüfternd.
136 Kameraden.
geen Egger Ee ee Ee Eege Ee ee Ee Ee Ee ⏑UV
„Keine Angft, wir find ganz leife, die alte Dame
merft es gar nicht.“
Nun ftanden fie in der Stube. Die eme Lampe
mit dem günen Schirm war niedrig gejchraubt, es war
ganz dämmerig. Das Fenſter war offen, die roten
Blüten des Geranienftod3 ftachen jonderbar grell von
der Dunkelheit draußen ab und bemegten fich leiſe in
der ſchwülen Nachtluft, die hereinmwehte. Auf dem Tiſch
ftand Brot und Butter und eine altmodifche gehäfelte
Raffeemüßge, mit der die kleine Kaffeelanne zugededt
war.
Marie war mitten in der Stube ftehen geblieben,
die Arme jchlaff berunterhängend, und ſah mit ab-
weſendem Blid über all die befannten Gegenstände meg.
Das rote Kopftuch war ihr auf die Schultern zurüd-
gefallen, das dunkle Haar lag unordentlich baufchig
um die Stirn. Ihr Geficht mar noch glühend heiß und
hatte einen Ausdruck glüdlicher Verſunkenheit.
Es durchfuhr Norbert auf einmal fonderbar beiß,
als er fie anfah. Ein reigendes Bild! Wie eine ganz
andere — er hätte nie gedacht, daß das in dem Mäd—
chen ftedte!
Leife nahm er ihr das Tuch ab und legte dabei
feinen Arm um ihre Schulter.
„Marie, bejinmen Sie fih! Gie find nicht mehr
im Opernhaus. Kommen Sie doch endlich mal wieder
auf die Erde!”
Sie mar zufammengefahren und fah ihn auf einmal
mit einem ängftlichen Blick an. „Nein — bitte nicht” —
mit haftiger Bewegung wollte fie dh von feinem Arm
losmachen.
Norbert lachte, ihre Angſt machte ihm Spaß, er 308
fie etwas feiter zu ſich. „Rind, ich tue Ihnen ja nichts!
Seien Sie nicht albern. Bon einem Kameraden Tonn
Novelle von Lulu pn. Strauß und Torney. 137
man fich das fchon mal gefallen laſſen. Da ift doch
nicht3 dran!”
Sie verſuchte ihn zurüdzufchieben. „Nein, nein —
das nicht — nicht die Kameradfchaft mißbrauchen“ —
fagte fie ſtockend.
„Mißbrauchen? Wer jagt denn das? Das Klingt
gleich fo ſchlimm! Es ift Doch nichts dabei. Wer
weiß, was morgen ilt! Und Sie haben doch jelbjt ge:
fagt, daß die Welt heute ganz anders ift — und Gie
jelbft au, Marie —“
„Ich will nicht — ich will nicht“ — fagte fie halb»
laut, atemlos.
Aber fie wehrte ſich nicht mehr. Gie litt es wie
willenlos, als er fie jet dicht an fich 308, ihr Kopf lag
an feiner Schulter.
Sie rührte Déi auch nicht, als er fie küßte. Sie
fchloß nur die Augen, und er fühlte, daß fie über und
über zitterte.
Haftig ſchob er ihren ont herum, daß er ihr ins
Geficht fehen fonnte „Sieh mich an! Mir in die Augen!”
Da jah fie ihn an. Mit großen bangen Augen,
wie ein Tier, das Héi vor der Peitjche fürchtet. Syn
feinem Blid war eine heiße Unruhe.
ALS ſich ihre Augen trafen, warf fie auf einmal die
Arme leidenschaftlich um feinen Hals. ` `
„sh weiß nicht, was das iſt,“ ſagte fie haftig
flüfternd, „mir ift jo bange. Und ich Tonn doch nicht
anders. AS ob ich Feinen Willen mehr hätte. Und
es iſt doch Unrecht —“ |
„Unreht? Warum? Laß doch die ewige altkluge
Neflerion.. Wer da3 Leben genießen will, muß Mut
haben. Nicht immer an das „Es fchidt fich nicht“
denfen. Das ut für Schmädlinge. Wer Mut hat und
frei ift, jchert Di nicht drum.”
138 Kameraden.
ID LED DAR RD AD AD AED AED DD DD Dre AECH `
Er hatte abgebrochen und raſch gefprochen, da-
zwijchen füßte er He wieder, mitten in das baujchige
dunkle Haar, das losgegangen war und über feine
Hand hing. Sie wehrte ſich nicht, fie bog ihm den
Kopf entgegen. Ihr Atem ging tief und zitternd. Es
war wie ein Rauſch über das junge Ding gelommen.
AU die zurüdgeftaute verfümmerte Lebensluft ihrer
dreiundzwanzig Jahre —
Ein ſchwüler Windſtoß fuhr auf einmal ins Fenſter,
die Lampe flackerte, und von der einen Geranienblüte
flatterten ein paar grellrote Blätter herunter. Norbert
nahm ſie auf und ſtreute ſie dem Mädchen ins Haar.
„Du — du —“
Er hob ſie auf mit beiden Armen und hielt ſie
einen Augenblick ſo; er fühlte dabei ihren ſtoßweiſen
Herzſchlag.
„Kind, was du zitterſt! Was haſt du denn? Angſt?
Vor was?“ Mit einem heißen, unſteten Blick ſah er
ihr in die Augen, dann lachte er auf. „Ja, ja, ich weiß
— ſo machen es die kleinen Mädchen alle, ich kenne
das — das gibt ſich von ſelbſt. Es will eben alles
gelernt ſein, Schatz! Beim nächſten kleinen Roman
geht es ſchon beſſer!“
Er lachte noch einmal, mit einem häßlichen ſcharfen
Klang in der Stimme.
Das Mädchen ſchauerte auf einmal wie fröſtelnd zu—
ſammen, ſie hob raſch den Kopf und ſah ihn ein paar
Sekunden lang wie fragend an. Seine Augen ant—
worteten ihr, es lag eine haltloſe, brutale Leidenſchaft
darin.
Marie ſah haſtig weg, in die Dunkelheit hinein.
Ihr Geſichtsausdruck hatte ſich plötzlich verändert.
Draußen hatte ſich der Himmel bezogen, kein Stern
war mehr zu ſehen. Es war ganz ſtill, nur von fern
Novelle von Lulu o. Strauß und Zommen, 139
DDr DD Ee Aere Dre ADDED DE Dr DD re
Hong ein rollende jummendes Getön über die
Dächer.
Auf einmal fchlug draußen irgendwo eine Kirchen—
uhr. Schwere einzelne Schläge, erjt viermal, den vollen
Stundenſchlag, dann fette fie noch einmal ein, nod
tiefer und dröhnender. Es Hang fonderbar unheimlich,
wie eine nahe drohende Stimme aus der ungemiffen
Dunkelheit heraus.
Marie jtrich ſich langſam ein paar dunkle Haar-
ſträhnen aus der Stirn. „Zwölf Uhr!” fagte fie laut,
wie aufwachend. „So ſpät ſchon! Das ift ja. mitten
in der Nacht. Wenn ih Mutter nur nicht aufmwede!“
Er fah fie ganz verwundert au, ihre Stimme klang
auf einmal fo anders. Sie bog den Kopf weg, als
er fie küſſen wollte.
Lachend legte er den Arm feiter um ihre Taille und
wollte fie nah an fich ziehen. „Was geht uns das
an? Für uns gibt es feine Zeit. Und es ut niemand
auf der Welt als du und ih! Wir haben uns zu
lieb —”
Sie jehüttelte den Kopf und fah ihm auf einmal
fremd und groß ins Geficht. Faſt mit einem Ausdrud
von Widerwillen. „Lieb? Nein, daS nit. Das ift
anders. Das weiß ich, daB ich dich nicht Lieb habe.”
Sie Hatte Déi plöglich von ihm losgemacht, ehe er
es vecht gemerkt hatte. Ein paar Schritte von ihm
weg ftand fie und fah ihn an, angftvoll, faft feindfelig.
„Kein, das war es nicht,“ jagte fie noch einmal
laut und haſtig, „ich weiß nicht, was es war. Schlecht
find wir geweſen — ſchlecht —“
Der Mann jagte einen Augenblick Tein Wort und
ſah ihre nur më Gefiht. Dann Tom e3 auf einmal wie
ein Born über ihn, er trat einen Schritt auf fie zu.
„Dummbeiten! Schleht? Wenn jeder Kuß gleich
140 Kameraden.
DIDI Dre DDr Der De Dee Der Me
eine Schlechtigfeit wäre, du lieber Himmel!” Er lachte
auf. „Sei doch nicht kindiſch Mädel! Komm!“
Dit unmillfürlicher Bewegung hob fie den Schirm
von der Lampe, daß ftatt der grünlichen Dammerung
das grelle weiße Lıcht auf fie beide fiel. Er fah, daß
ihr Geficht wieder ganz blaß mar.
„Es war doch fehlecht,“ fagte fie haftig, „wir haben
uns nicht lieb. Und mir mwiffen es beide. Wir haben
mit dem Höchſten gejpielt. Mit dem, was man nur
einmal im Leben zu vergeben bat.“
Fri Norbert ftand regungslos. Er verjchlang das
Mädchen mit den Augen. Sie ſtand gerade aufgerichtet,
es Tom ihm vor, al3 ob fie gewachſen wäre.
Einen Augenblid waren fie beide ftil. Marie bob,
wie fie da hinter dem Tiſch im Licht ftand, die Arme,
faßte ihr lofes braune3 Haar und drehte es haftig in
einen felten Knoten zufammen. Eine plaftifch jchöne
Stellung.
„Marie,* fagte der Mann auf einmal leidenfchaft«
lich, „laß die vielen Worte. Das ut Unfinn. Warum
ſollten wir nur gefpielt haben? Es Tann ja doch Ernſt
jein. Jeden Augenblid, wenn wir wollen. Und mir
gehören doch zufammen, du und ich —“
Er wollte ihr näher Tommen, aber er blieb doc)
wieder ftehen. Sie ſah ihm voll ins Geficht, ganz ernft-
haft. Es war ihm faft, als ob er fich vor ihren Augen
- fürchten müßte.
„Rein,“ fagte fie langfam, „wir gehören nicht zu:
ſammen. Wir verftehen uns gar nicht. Das weiß ich.
Und Sie auch. Wir find ung ganz fremd. Bis in die
Seele herein fremd.” `
Es war, al3 ob der fühle Ton ihrer Stimme ihn
auf einmal ernüchtert hätte.
Er nahm feinen Hut vom Tifeh und ging zur Tür.
Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 141
DDr Dr Dr ED AED DDr Mee Dr Dr ED DD
In einer ganz alltäglich praftifchen Überlegung nahın
er auch den Hausfchlüffel, der auf dem Tiſchtuch lag.
„Ich ſchicke den Schlüffel morgen zurüd. Gute Nacht!”
jagte er.
Gelundenlang ftand er noch an der Tür und ſah
zu ihr zurüd. Sie rührte fich nicht. Da ging er.
Das Mädchen blieb vorgebeugt ftehen, folange He
feine Schritte hören fonnte Dann ſchlug fie Die Hände
vor das Geſicht und fchluchzte auf.
Anfang uni, ein raufchender Negentag. Eintönig
grauer Himmel, und eintönig trommelnde Tropfen auf
den Blättern der Bäume und den fpiegelnden Straßen:
trottoirs.
Das Mädchen, das die Straße entlang geht, hält
mit der einen Hand vorſichtig das Kleid, mit der
anderen den Schirm, der hin und wieder vom Wind
zur Seite geriſſen wird. Sie geht mit gleichmäßig
eiligen Schritten und ſieht gar nicht auf. `
Sie merkt auch nicht, daß der junge Mann, der ihr
entgegenfommt, fie fcharf fixiert; mie er näher kommt,
geht er langjamer und ftreicht fich mit nervöfer Be-
mwegung den blonden Schnurrbart. Schließlich, als er
dicht vor ihr dt. bleibt er doch wie unmwillfürlich ftehen.
„sräulein Marie!“
Da fahrt fie auf, einen Augenblick erjchroden; aber
gleich Darauf fieht fie ihm mit einem müden, gleich:
gültigen Blid ins Geſicht. „Ad, Sie —“ jagt fie ge:
dehnt. Es Elingt fait etwas bitter.
„sa, ich, in Lebensgröße! Er lacht auf, aber oe
zwungen. „Wie nett, daß ich Sie mal treffe! Wie
geht es Ihnen, Fräulein Marie? Und Ihrer Mutter?“
Er iſt umgekehrt und geht, als ob das ſelbſtverſtänd—
lich wäre, neben (br her.
142 Kameraden.
ID LIED REDE ED EDDIE DD DD ED ED RD ED ED ED
„Es geht nicht gut,” antwortet fie, „Mutter ift ſehr
elend. Ich weiß nicht, was es ift, ich mache mir Sorge,
aber fie will nicht3 vom Doktor willen. Am erften
Juli gebe ich meine Stelle bei Geheimrat Mertens auf,
ich Tonn Mutter nicht To viel allein lafjen. Nur fchlimm,
daß der Verdienjt wegfällt. ch muß dann mehr für
das GStidgefchäft arbeiten.“
„Alfo noch mehr zu Haufe fien als font! Der
Meg zu Mertens war immer Ihr einziger Gang in
die frifche Luft. Sie werden felbjt auch noch front
werden.”
Sie zudt die Schultern, ohne aufzufehen. „Was
fol ich machen? Es geht ja doch nicht anders.“
„Haben Sie denn nichts anderes? Keinen bejjeren
Verdienft? Was macht denn die Schriftitellerei?”
„Ach, die!” jagt fie wegwerfend, „das war ja Uns
Dun. Sie fagten ja felbit, daß ich Ten großes Talent
habe. Und ich würde doch nie etwas leijten.“
Sie hält den Schirm zurüd über die Schultern.
Er bat fie die ganze Zeit von der Seite angejehen,
während fie fprachen. Ein jonderbares Gefühl von
Enttäuſchung und zugleich von Erleichterung kommt
über ihn.
Er begreift fich felbjt nicht. Wie hat ihm das da—
mal3 nur paffieren können? Eine Gejchmadsverirrung!
Nicht die Spur von Reiz in dem feinen Ding! Die
ganze Erfcheinung hat jo etmas Alltägliches, Spieß:
bürgerliche8® — das graue leid, der Kleine ſchwarze
Rragen um die Schultern, daS Haar unter dem Hut
fo feft zufammengefnebelt, und fo etwas VBerfümmertes,
Frühaltes im Gejicht!
Er hätte gar nicht nötig gehabt, fich jo ängjtlich
fernzuhalten. Gë mur wohl nur fo eine Art Schön:
heitsraufch gemwefen, Mufit regte jeine Nerven immer
Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 143
Eeer Ee DD De Dre De DD Dre Dre Dre Dee DD
fo auf. Er märe ihr ficher nicht wieder zu nahe ges `
treten, ihre Entrüftung war ganz überflüffig gemejen.
Die ganze Sache war eine Nächerlichkeit!
Vielleicht Tonnte noch alles wieder in Ordnung
gebracht werden. Anfangs hatten ihm die Bejuche bei
Billers ordentlich gefehlt, er hatte fich Ton fo daran
gewöhnt gehabt. Und eigentlich war doch fein Grund,
warum der Verkehr nun nicht weitergehen follte.
„Gar nicht mehr jchreiben wollen Sie?” fragt er
jest auf ihre legten Worte hin, „das ift ſchade. Ich
glaube, Sie hätten doch etwas leijten können, e3 fehlte
Ihnen nur die Anleitung. Und ich würde Ihnen ger
helfen, dag wiſſen Sie ja. Wir find doch immer ganz
gute Kameraden gemejen. Mir haben Sie jchon oft
gefehlt.“
Faſt neckend hat er da3 gejagt.
Sie hebt nur etwas den Kopf und vunzelt die
Stirn. „Wein. Das ift vorbei. Das war nur ein
Irrtum.“
Wie ſchroff das klingt! Sie ſieht ihn dabei gerade
an mit ihren durchſichtigen Augen. Es macht ihn auf
einmal wieder ganz verlegen. Sie gehen ein paar
Augenblicke nebeneinander her, ohne zu ſprechen.
„Tragen Sie mir das alſo doch noch nach, Fräu—
lein Marie?“ platzt er dann heraus. „Es war doch
wirklich nicht ſo ſchlimm. Du lieber Gott, man iſt doch
jung! Wenn ich Sie beleidigt habe, tut mir das ehr-
lich leid. Es joll auch nie wieder vorlommen! Mehr
fann ich Doch nicht tun, als Ihnen das fagen! Aber
dann lafjen Sie e3 auch jein wie früher!”
Gie hält jet den Schirm fo, daß er ihr Geficht
nicht jehen Tonn. er hört nur ihre Stimme, und die
klingt fonderbar hart. |
„Rein, das geht nicht. Für Sic tft das ja anders.
144 Kameraden.
DD ED DD Dre dee
Ihnen war das nur ein dummer Streich, den Sie am
anderen Tag vergeſſen haben. Uber für mi —”
Er wird jebt auch ungeduldig. „Aber das iſt
überfpannt und töricht, Fräulein Marie. Sie müſſen
die Sache anfehen, mie fie ift. Es ul ja ſchrecklich,
alles gleich jo fehwer zu nehmen! Wirklich jung find
Sie nie gemejen, und die eine Stunde, wo Gie mal
fühlten, daß Sie's fein könnten, die ſehen Sie mie ein
Berbrechen an! Sa, wenn Cie noch jemand damit
gefchädigt hätten, einem anderen die Treue gebrochen —“
Sie fieht ftarr geradeaus in den grauen Negennebel,
der über der Straße liegt.
„Das ift es ja gerade,” fagt fie dann langjam, „ein
Zreubruch. Nicht gegen einen anderen, gegen mich
jelbft. Meine Selbftachtung habe ich verloren.“
Gite find beide ftill.
„sa, das iſt wahr,” fagt fie dann noch einmal, als
ob ſie mit fich ſelbſt jpräche, „wirklich jung bin ich nie
gemwejen. Und jebt komme ich mir auch ſchon ganz alt
vor.”
„Verrücktheit!“ Gr lacht gereizt auf und ftößt den
Stock hart auf das naſſe Pflafter. „Und natürlich, ich
habe die Schuld an dem ganzen Unglüd! Nicht wahr?”
Gie fehüttelt den Kopf. „Nein, Ihnen mache ich
feinen Vorwurf; Sie denten darüber anders, das weiß
ih ja. Sie können auch gar nicht wiſſen, was das
für mich iſt. Ich richte nur mich felbft.”
Es kommt jo gedrücdt heraus und To traurig.
Norbert Debt fie an, ihr Geſicht hat einen müden, hoff:
nungslojen Zug.
Ein heimliche Schuldgefühl fteigt auf einmal in
ihm auf, und zugleich ein großes Mitleid mit diefem
jungen Ding, das fich da fo refigniert unter feiner Laft
von Gewijjenszweifeln und Lebensjorgen binfchleppt.
Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 145
ID D DD ED ED DE DET ⏑ D ED EDDIE I
Er bleibt- auf einmal ftehen. „Fräulein Marie,
wenn ich Sie nun noch einmal ehrlich bitte, mir zu
verzeihen und die Dummbeit zu vergejjen — bilft denn
das auch nicht3? Sie tun mir fo leid, wenn ich dente,
daß Sie fo trübjelig weiterleben wollen. Ich bilde mir
ein, ich könnte Sie vielleicht manchmal etwas vergnügt
machen. Darf ich nicht wiederfommen ?“
Sie bleibt auch eben und fieht ihm in die Augen.
Es ut. als ob fie fast lächeln muß über feinen treu-
berzig bittenden "on. Aber ihr Geficht behält den
müden Ausdrud. „Nein, jagt fie ruhig, „es iſt beſſer,
Sie fommen nicht wieder. Es wird doch nie, wie e3
früher war. Jener Abend würde immer zwifchen uns
itehen. Aber” — jie zögert einen Augenblick, dann gibt
fie ihm die Hand — „ich will verfuchen, das leßte zu
vergeffen und nur an — an den guten Kameraden von
früher zu denken.“ |
Ein paar Selunden hält er ihre Hand in feiner,
es fallt ihm nichtS ein, das er antworten könnte; eine
banale Redensart mag er nicht fagen. Ehe er ein Wort
gefunden, hat fie ihre Hand zurückgezogen und gebt.
Mit einem jonderbaren, halb unbehaglichen Aus:
drud im Geficht Debt er ihr nach, wie fie bie Straße
binuntergeht — wie eine eine graue Motte, unter
ihrem Schirm gegen den Wind kämpfend. Dann ift
He in dem bläulichen Regendunſt verfchwunden.
„Armes Ding!“ jagt Fri Norbert laut vor fich
hin, pop ein VBorübergehender ihn verwundert anfieht.
„Das wäre vorbei. Strich drunter.”
Er wendet fich Fröjtelnd um und gebt vafch die
Straße entlang.
ie
19804. VI, 10
Aus dem Tbpyratal.
Eine Harzwanderung von Ch. Seelmann.
mit s Tllustrationen. ? (Nachdruck verboten.)
Wie einerjeitS der Nordojthbarz mit der Roß—
trappe, dem Herentanzplag und dent Bodetal,
andererjeitS der Nordmeitharz mit der alten Kaijerjtadt
GoSlar und Bad Harzburg von Befuchern überflutet
wird, wird der Südharz von Naturfreunden und Ton:
riiten immer noch nur ſpärlich aufgefucht und durch:
wandert. Und doc) hat auch der Südharz hohe land:
ichaftliche Reize. Namentlich ift bier das Thyratal,
das die Grafſchaft Stolberg Durchjegt, mit feiner Willen
Waldeinſamkeit, feinen es begrenzenden fuppenreichen
Dergzügen und feinen taufrifchen Wiejengründen eine
wahre Berle, Die jeden Vergleich mit den gerühmtejten
Partieen der anderen Teile des Harzgebirges aus—
zubalten vermag.
Wer fich auf der Bahnfirede Halle:Kafjel dem Süd:
har oder Unterharz nähert, biegt bei der Station Berga
auf die Zweigbahn, die nach Stolberg führt, ab. Schon
bier bietet jich eine lohnende Aussicht dar. Nach Süden
breitet "éi Die fruchtbare „Goldene Aue” aus, die in
ichnellem Lauf die Helme durchſtrömt. Dahinter jteigt
der Nücden des Kyffhänjers auf, Dellen Abhänge von
wieuÄg) wi ayuapspıem
148 Aus dem Thyratal.
ID De: Dr — ——
Dede DeeDeEDen ED
friſchem Laubwald bedect find und von Dellen Höhe
das von den deutfchen Kriegervereinen errichtete Moler
Wilhelm Denkmal und der trogige Wartturm der alten
Kyffhäuferburg im Sonnenglanz herabgrüßen. Aber
unjere Fahrt geht nach Norden, das Tal der raufchen-
den Thyra entlang, die es nicht erwarten zu Tonnen
jeheint, ihre Waffer mit der größeren Helme zu oer:
einen. |
Tach etwa halbſtündiger Fahrt hält unfer Zug in
Uftrungen, wo die legten mwaldigen Ausläufer des Har-
zes jchon ganz nahe an uns herantreten. Unſer Blid
ſchweift weit hinein in das hier ausmündende Krumm—
Ihlachttal, in dem mehrere Bergmerfe und Hütten:
werte angelegt find. Den beften Überblie würden wir
gewinnen, wenn wir den nahen „Vogelherd“ befteigen
würden. Bon dort aus wirde die ganze Talfenkung
vor uns liegen bis zum faft 1900 Fuß hohen Auerberg,
der den wirkſamen Abjchluß des Lieblichen Krumm—
jchlachttals bildet. Aber mir ſetzen unfere Fahrt noch
bi3 zur Station NRottleberode fort. Rottleberode ift
von einer Kleinen, forgfam angebauten Ebene umgeben,
die auf der einen Geite von den vielgipfeligen Stol-
berger Bergzügen, auf der anderen von dem fogenann-
ten „Alten Stolberg” eingefaßt wird. Der „Alte Stol:
berg” ift ein wildzerklüfteter Gebirgsflöz aus Kalk—
geftein, auf dem ett die jeit langem in Trümmer ge-
funfene Stammburg der Fürften von Stolberg aufragte,
deren eine Linie bier ihren ausgedehnten Grundbefiß
hat. Ein jchloßartiger Bau, den ein ftattlicher Bart
mit feinen Bäumen und Wieſen umfränzt, jpiegelt fich
in dem klaren Waffer eines einen. blinfenden Sees.
Wir verlajjen jegt Die Bahn und wenden uns als
fröhliche Wanderer unferem Ziel, dem Städtchen Stol—
berg und dem oberen Thyratal, zu. Unſer Weg führt
Bon Th. Seelmann. 149
IDMDMDMD MD AD ID ID AD AD ED ADDED DDr De
uns auf glattem Kiespfad am Ufer der Thyra hin,
die übermütig die lichten Wieſengründe durcheilt, welche
Stolberg von der Woligangshöbe.
die Nadelwälder der aufiteigenden Berglehnen mie ein
dunkler Nahmen umfchließen. An anmutiger Abwechſ—
lung fehlt eë uns auf unferer Wanderung nicht. Da
liegt, in einer Senkung der rechtsjetiigen Bergwand ver:
150 Aus dem Thyratal.
ee eene Dr ED DrED ADDED Dre Dr DEI Dede Dee DD
jteeft, die romantische „Pulvermühle”, dann folgt, von
alten Lindenbäumen umjchattet, eine Waldſchenke; nach
ihr gelangen wir zur „KRarlshütte”, die ihre Schönheit
mitjamt dem waldigen Hintergrund in dem Spiegel-
bild, das ihr ein jchilfumfäumter Weiher entgegenhält,
jelbjt bewundern kann, und von weither kündet fich uns
ſchon klappernd eine Waffermühle an, die auf dem jen:
feitigen Ufer von einem eigenartig geformten Berglegel .
überragt wird.
Mir find unjerem nächften Ziel, Stolberg, bereit
ziemlich nahe gerücdt. Das Tal erjcheint uns jegt aus
gedehnter, denn man bat die Baumbeftände auf den
Bergflanten niedergejchlagen und dafiir den Pflug über
die Abhänge geführt. Große Erträgnifje liefert diefer
landwirtjchaftliche Betrieb nicht, aber hier auf diefem
fteinigen Boden iſt man ſchon mit wenigem zufrieden.
Nur oben auf dem Kamm Der Bergzüge haben noch)
die Wälder ihre Herrſchaft aufrecht erhalten.
Eine ſchmale, längliche Inſel von Dächern taucht
jest im Tal auf: Stolberg mit jeinen buntfarbigen
Hänferchen, über denen ftolz das gebäudereiche Schloß
der Fürſten von Stolberg thront, liegt vor uns, Mit
wenigen Schritten haben wir das Städtchen erreicht.
Die Stadt Stolberg hat jich auf dem Schnittpunkt
von vier Täler, Den unteren und den oberen Thyra=
tal, zu denen noch von den Seiten das Saltetal und
das Ludetal treten, entwickelt, aber troßdem ift das
bebaubare Gelände nur jehr bejchräntt. Die Häufer
find Daher zum Teil jo eng an den Berg gebaut, daß
die Bewohner, um in den Garten oder auch in den ım
Felſen ausgehöhlten Keller zu gelangen, ert auf den
Dachboden fteigen müſſen. Zwar find auch neue,
ſchmucke Gebäude entjitanden, aber eë finden ſich Doch
überwiegend alte Häufer vor. An einem derjelben er
Bon Th. Scelmann. 151
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L } Me. t DILL,
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Ein Strassenbild aus der Niedergasse in Stolberg.
blicken wir die Syahreszahl 1535, in anderen umſpannen
die Fenfterrahmen noch die mittelalterlichen, bleigefaß:
ten Bußenjcheiben.
—
152 Aus dem Thyratal.
Ee Ee MD DD DR DD ED ED ee Ce DE DEN
Eines der bemerkensmwerteften Häufer Stolbergs ift
freilich verfchiwunden. Es war das Geburtshaus des
Bauernführers Thomas Miünzer am Marktturm, das
durch einen Brand zerjtört wurde. Im Stadtarchiv kann
man noch heute
die Eintraguns
gen über Die
Koften ver:
merkt ſehen,
die der Stadt
Dadurch ent:
jtanden, daß
De ihren oe:
fürchteten
Sohn mit et:
nem Ehren:
trunk willkom—
men zu heißen
gezwungen
war. Einmerl:
würdiger Bau
ijt ferner das
ih an da
Cchloßberg
anlehnende
Rathaus mit
= — — — hohem Spitz—
Das fürstliche Konsistorialgebäude. dach und über:
hängendem
Obergeſchoß, das 1451 erbaut wurde. Seine Front zieren
eine jtattliche Sonnenuhr, das Stadtwappen und klaſ—
jifche Bilder mit Iateinifchen Spnfehriften. Im Unter:
ſtock (ut ein Ratskeller mit altdeutjcher Stube eingerich:
tet. Das jonderbarfte an dem Nathaus aber ift, daß
Bon Tg. Seelmanıt. 153
DDR DD DD DDR AD EDDIE DD ED
es im Innern feine Treppen beit. Dafür führt aber
jeitwärts eine Freitreppe empor, von der aus man in
die drei Stockwerke hineingelangen fann. Auf der
—
Das Schloss, vom Zwieselsberge aus gesehen.
Terraſſe hinter dem Rathaus erhebt jich Die altehr:
würdige St. Martinikirche, die "dun im 12. Jahr—
hundert im frühgotifchen Stil erbaut wurde. Sie tit
gejchmadvoll renoviert worden und mit farbigen Chor:
fenjtern und einem Altarbild, das die Auferweckung des
154 Aus dem Thyratal.
DD Eeer ED een erde
— — — AECH
Lazarus darſtellt, geſchmückt. Die Kirche zeichnet ſich
durch ein prachtvolles Geläute aus, deſſen machtvolle
Töne in den Bergen einen vielſtimmigen Widerhall
wecken.
Wir beſuchen nun noch die 1535 erbaute Kanzlei
oder die frühere ftolbergifche Münze, in der fich jekt
da3 fürftliche Konfiftorium befindet. Zwar ift die Landes:
hoheit feit 1815 an Preußen übergegangen, aber die
vormaligen Grafen und jegigen Fürften zu Stolberg
haben fich die Regelung der geiftlichen Fürſorge vor-
behalten. Das Konfijtorialgebäude ift ein vier Stock
hoher Prachtbau mit malerifchem, dunklem Holzſchnitz—
wert und vorfpringendem zierlichen Erker.
Set ſteigen wir auf terrajjenförmig angelegten
Steintreppen zu dem Bergvorfprung, auf dem Schloß
Stolberg aufragt, empor. Das Gefchlecht der Stolberge
laßt jich bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts au:
rücverfolgen. Sie hängen mit den Grafen von Honftein
zufammen. Der Stammvater der Etolberge ift Hein:
rich, ein Nachlomme des Grafen Friedrich) von Hon—
Hen. Heinrich war zuerſt Herr von Boigtftedt und
erbaute dann um 1210 die Burg Stolberg, die urſprüng—
lich Stalberg hieß, und nannte jich ſelbſt nach ihr. Zem
14. und 15. Sahrhundert erwarben dann feine Nach:
kommen die Burgen und Ämter Roßla, Kelbra, Hon:
Hein. Königftein, Ebersburg, Heinrichsburg, erbten
Wernigerode und ſiedelten ſich auch am Rhein an.
Schon 1412 wurde die Familie in den Reichsgrafen—
ſtand erhoben. Sie teilte ſich dann in die Rheinlinie
und die Harzlinie, die 1634 erloſch. Ihre Nachfolger
wurden die Mitglieder der Rheinlinie, die ſich 1645 in
die Linien Stolberg-Wernigerode, Stolberg-Stolberg
und Stolberg-Roßla ſpaltete. Da die im Rheinland
und Geldern zurückgebliebenen Stolberge von 1742
Ansicht der Stadt Stolberg von Süden.
156 Aus dein Thyratal.
DD ADD AD Dr Dre DDr ee DD DD erde
bis 1804 den Reichsfürftentitel führten, fo wurde den
Stolberg: Wernigerode 1890 der Fürjtentitel von neuem
von Preußen verliehen. ` Im Jahre 1893 erhielten dann
auch die Stolberg-Stolberg den Fürftentitel. Die jeßige
gefürjtete Grafjchaft Stolberg-Stolberg unfaßt einen
Slächenraum von 200 Duadratlilometern.
Das Schloß ut Fein einheitlicher Bau, auch nicht
von hervorragenden architektonifchen Schmud, ruft aber
doch durch ſeinen bedeutenden Umfang, die fenfterreichen
MWandflächen, Die Turmfapelle, den altertüimlichen Burg:
bot und den laufchigen Park einen nachhaltigen Ein-
Dud hervor. Zem Innern kann man eine Gemäldegalerie,
eine Wappenjammlung, ein Naturalienkabinett und eine
Bibliothef von 48,000 Bänden, darunter 20,000 Reichen:
predigten, befichtigen.
Bom Schloß aus hat man einen hübjchen Blid auf
die Stadt, ſchöner aber ift er nod von der Lutherbuche
aus. Wir fteigen Deshalb auf den Waifenberg zu
jenem am Waldrand ftehenden Baum hinauf. Er
führt jeinen Namen mit gutem Hecht. Denn, wie
die Stadtchronit meldet, erklomm Luther bei feinem
Aufenthalt in Etolberg in Begleitung eines ihm ver:
wandten Bürger3 den Berg, um von bier aus bei
Sonnenuntergang die verjehlungenen Talzüge zu Ober,
Schauen und zu bewundern. Dabei foli er dann Siet,
berg mit einem fliegenden Vogel verglichen haben, deſſen
Kopf das Schloß jei, deſſen Rumpf und Echwanz von
dem unteren Thyratal gebildet werde und dejjen Flügel
von dem rechts und links einmündenden Kaltetal und
Zudetal dargeftellt würden. Bon der Lutherbuche führen
mehrere Pfade in daS Tal hinab und den jenfeitigen
Berg wieder hinauf. Verfolgt man einen Dieler Wege,
fo hat man ein ftetS wechjelndes Bild von dem ganzen
Talfefjel und den ihn umfchließenden Bergen vor Di.
Bon Th. Seelmanı. 157
DIDI ADD DD DD
beten Kern zwar immer derjelbe bleibt, daS aber durch
Berfchiedenartigkeit des Standpunktes fortwährend neue,
anmutige Reize er:
halt.
An näheren und
entfernteren Aus—
flugspuntten Hat
Stolberg feinen
Mangel. Man kann
ſich nach der Eber3-
burg wenden oder
nah Der Ruine
Hohnftein wandern
oder nach Dem
Zmiejelsberg oder
der Wolfgangshöhe,
die mit 21 ftattli-
chen Buchen bejtan-
den ift. Wir ſchla—
gen den Weg nad)
dem Eichenforit ein,
den wir nach einem
einftündigen
Marſch ander tau—
ſendjährigen Hun—
rodseiche vorbei
erreichen. Eichen—
forſt iſt zugleich Fr. Roſe in Wernigerode phot.
der Name eines Aussichtsturm auf der Josephshöhe bei Stolberg.
ehemaligen Jagd—
schlößchens des Fürften von Stolberg. Beſteigen wir den
Ausfichtsturm, jo ift zwar der Fernblid auf der einen
Seite durch den Brockenrücken beſchränkt, aber dafür
entfehädigt die Lieblichleit der Landſchaft zu unferen
158 Aus den Thyratal.
Dr ED Ee ee ee Eeer Dre Dre DDr D De ee ee ECH
Füßen. Eine Kleine PBierteljtunde vom Jagdſchlößchen
entfernt, treffen wir auf eine Naturmerkmürdigteit, auf
einen Buchenſtamm von 5 Meter Umfang, aus dem
acht ſtarke Buchen hervorgewachſen find.
Seht aber lodt uns der gegenüberliegende Gipfel,
deſſen hochragender Ausfichtsturm jchon immer unfere
Blicke auf fich gezogen hat, der Auerberg mit der Joſephs—⸗
böhe. Der 575 Meter hohe Borpbyrfegel des Auer-
berges ijt eine weithin fichtbare Landmarke und ber
Metterprophet für die ganze Umgegend. Vordem
trönte das Plateau des Auerberges, das gemaltige
Tannen in Reih und Glied unftehen, ein AusfichtS-
turm in Rreuzform, der nach einem Plan des berühm—
ten Architekten Schinkel vom Grafen Joſeph von Stol-
berg im Jahre 1833 aus Eichenballen errichtet worden
war. Er murde jedoch durch einen Bligjchlag am
12. Juni 1880 zerjtört. AS Erſatz bat 1896 der
Harzllub im Verein mit der fürftlichen Verwaltung
einen eifernen Ausfichtsturm mit zierlichem Gitterwerk
in Rreuzform erbaut, der ebenfalls als Joſephshöhe
oder als Joſephskreuz bezeichnet wird. Eine eijerne
Schughalle bildet fozufagen den Sodel des Turmes,
der 38 Meter hoch ut und auf 200 Stufen erflommen
wird. In der Schughalle ift eine Sommermirtjchaft
eingerichtet. Das Panorama von der Joſephshöhe ift
faft unbegrenzt. Nur im Nordmeiten verhindert der
Broden den Fernblid. Nechts vom Broden zeigen "di
die Türme von Wolfenbüttel und Braunfchweig. Gegen
Nordoften fieht man die Domtürme von Magdeburg,
den Turm von Bernburg, Schloß Falkenjtein und
Rammelburg. Im Oſten taucht der Petersberg bei
Halle auf. Im Südoften erfcheinen der Kyffhäuſer
und die Rothenburg, im Hintergrund der Thüringer
Wald mit dem Inſelsberg, Schloß Friedenftein bei
Bon Th. Seelmann. 159
IIDODMDMDMDMD ED ED AD AD AD AD AD ADD ED DD DD
Goslar, die Wachfenburg bei Arnjtadt und die Türme
von Erfurt. Gegen Weiten endlich erblicdt man die
— —— —— nn
— an d =
` be - * U
; ,
` zs 5;
: — * —— — *
— SE e |Denicke's Ruhe.
Waldeinsſedelel.
Eichsfelder Pforte und hinter dem Eichsfeld den Hohen
Meißner bei Kaſſel, die Koloſſalfigur des Herkules, die
160 Aus dem Thyratal.
Ce ee Ee ED DD ED ED Der Dr De DE DDr ee DDr —
Gleichen bei Göttingen, die Weferberge und das Gol.
linggebirge.
Der Auerberg bildet auch die Wafferfcheide zwifchen .
der Thyra und der Selke. Am Fuße des Berges führt
die Straße nad) dem Gelfetal, in dem Alerisbad und
weiterhin Mägdeiprung betounte Ziele der Touriſten
jind. Wir aber wandern in einer anderen Richtung.
Wir jteigen von der Joſephshöhe öſtlich Hinab, Ober,
jchreiten die „Dolzchaufjee”, gehen bis zum „Güldenen
Altar”, einem Felſen über dem Krummijchlachttale,
nehmen bom unjeren Weg über das Gajthaus zum
Anerberg und gelangen nun auf einem Wiejenpfad in
den Schindelbruch und von dort nach „Denides Ruhe”
am Frankenteiche. Unter einer fechshundertjährigen
Riefeneiche empfängt uns ein entziidendes Waldidyll.
Aus Rajenftüden und Baumftänımen ift eine niedrige
Jagdhütte zufammengefügt, und Tiſch und Bänke aus
Aſtwerk harren unjer unter dem breiten Laubdach. Aber
noch eine kleine Überrafchung Steht uns bevor. Au
der Eiche lehnt eine Leiter. Wer fie hinauffteigt, wird
im Geäft noch eine zweite Hütte finden, in ber e3 fich,
umgeben von dem frischen Blättergrün, prächtig finnen
und träumen läßt. —
Mer den Harz durchmandert, follte e3 nicht ver:
fäumen, auch einen Abftecher nad) dem Unterharz und
nad) Stolberg zu machen. Er wird diefe Abweichung
von der großen Touriſtenſtraße nicht als einen Zeit:
verlust zu betrachten haben, jondern vieles finden, das
ihn feſſelt md erfreut, und er wird aus der Wald:
einfamfeit volle Befriedigung mit fich heimnehmen.
dë
Jbr Erstes.
Skizze aus dem Trauenleben. Uon Else Krafft.
% (Nachdruck verboten.)
Si ging umher, al3 jei ein Wunder gejchehen. Ihre
Augen jcehauten ganz meltfremd, und es war oe:
rade om GSilvejterabend, als fie plöglich ihres Mannes
Hand nahm, feheu, Tromm und geheimnisvoll.
„Heinz!“ jagte fie nur, leife erzitternd.
Er hielt fie im Arme und lächelte. „Sa — —
bift froh, fo das erte Jahr im eigenen Nejt? — Aber
du haft ja Tränen in den Augen? Du, das ijt eigent-
lich eine Beleidigung für mich.“
Sie ftrich über fein Geficht, über feine braunen
Haare und mar ganz und gar verwirrt. Heinz war
doch eigentlich gräßlich jchwerfällig. Er mußte e3 ihr
doch von den Augen ablejen, was in ihr vorging!
„Heinz!” jagte fie noch einmal, über und über rot
werdend. Und nun lief fie von ihm fort, lachte und
weinte in einem Atem und holte aus dem unterften
Winkel ihres Wäfchefchräntchens etwas Kleines, Zer—
zauftes und Unfcheinbares hervor, das ſich bei näherer
Betrachtung als ein Püppchen mit verblaßtem Wachs:
geficht und gläjernen Augen erwies.
1904. VI. 11
162 Ihr Erftes.
IRA EDDIE EIER EI DD ED NED Dee DD
Er mußte gar nicht, wa3 er dazu fagen follte, und
blickte bald feine junge Frau, bald die alte Buppe aus
Gretes Rindertagen an.
Da hielt Grete feinen Arm feſt. „Heinz, weißt du,
was nächjtes Jahr nod mit ung — — fein wird?”
Sie fchludte und ftotterte bei jeden Wort. Er
mußte e3 jegt wiſſen — ihr munderfeliges Geheimnis,
machte aber doch fcehnödermeife ein dummes Geficht,
fcehüttelte den Kopf und fragte harmlos: „Nein, ich
weiß wirklich nicht, Grete.” |
Sie reichte (Dm mit beiden Händen die alte Puppe
bin und drüdte gleich darauf den Kopf jo feſt an des
Mannes Schulter, dag er auch nicht das kleinſte Stüd-
chen ihres blutübergoſſenen Antliges zu jehen befam.
„Nächſtes — — nächftes Jahr werden — — werden
wir jo ein lebendiges Püppchen haben, Heinz!”
Als es heraus war, wollte fie wieder von ihm fort:
laufen. Sie Tonnte aber nicht. Ihr dicker, brauner,
tapfiger Heinz bielt jie vor lauter Rührung jo fejt um: -
klammert, daß fie fich nicht rühren konnte.
Aber nun wußte er e3 doch mwenigjtens!
Donn Tam der Frühling, und die junge Fran Tote
an feiner Blüte vorübergehen, ohne mit leifem Finger
an der jungen Pracht zu rühren. „Kleines — —
Kleines,“ ſagte fie faft ehrfurchtsvoll dabei.
Und an den vielen Kinderwagen in den Tonnen:
durchfluteten Stadtparkwegen blieb fie erſt recht jtehen
und konnte fich nicht fatt ſehen an dien, geballten
Fäuftchen, an runden, zofigen Gefichtchen, die da aus
den Kiffen fchauten.
„Iſt's ein Bub?“ fragte fie manchmal das be:
aleitende Kindermädchen oder die Mutter, die den
Wagen jchob.
Bon Elfe Krafit. 163
DD ERDE EDDIE ED DD V De Dre
Auf ein Niden lächelte die junge Frau und dachte
bei gefunden, jchönen Kindern: „So Tall mein3 mal
ausfehen!” Bei einem Kopffchütteln auf ihre Frage
dachte fie aber: „Sa, jedes kann natürlich nicht jolch
einen ungen haben mie unjeren!” — — —
Es jtand nämlich bei ihnen beiden Tet daß es ein
Knabe fein würde.
Heinz ſprach täglich von ihm, als fei er ſchon da.
„Wenn unjere Stadt fein Gymnaſium befommt, laß
ich mich .nach einem größeren Ort verjeßen, Grete.”
Oder: „ch werde den Jungen in die Einjährigen:
verficherung aufnehmen laffen, es koſtet uns ſonſt nach:
ber ein Heidengeld, das Militärjahr.”
Und fie nickte zu allem und lief die Woche ein paar:
mal zum Tor hinaus über die Wiefen zu den Eltern,
und fragte die Mutter fo viel törichtes Zeug, daß die
alte Frau in ihrer praftifchen Art fie oft mit einem
Wort aus allen Himmeln rip.
„Du, Mutterle, ob es wohl blonde Loden und blaue
Augen kriegt, das Kleine, wenn ich mir immer den
Engel auf unferem Hausfegen anfchaue? Und jo
mwunderzarte Haut und ein Grübchen im Kinn wie auf
dem Bilde?”
„see, Grete, wo foll denn da3 herlommen? Ihr
jeid alle beide dunkel, auch nicht befonders hübſch, und
braun wie die Zigeuner. Gei froh, wenn's geſund iſt,
euer Kleines.“
„Ja, aber — — aber ich hab' doch geleſen, man
ſoll immer ein ſchönes Bild anſchauen, wenn man
ſchöne Kinder haben will,” beharrte Grete. |
„So 'n Schnad,” meinte die Frau Inſpektor mit:
leidig, und beforgt hielt fie die jungen, Falten Hände
feft. „Haft du auch woll'ne Strümpfe an, Gretelen?
immer warm halten jegt, wenn aud) die Sonne jcheint!
DD
164 Ihr Erftes.
ED
Und tüchtig herummirtfchaften in deiner Wohnung, nicht
immer jo DU und verfonnen in der Stube fiten. Das
taugt jest nicht für dich.“
Die junge Frau murde rot. „Ich ſticke doch die
Wagendede, Mutterle. Vergißmeinnicht in lichtblauer
Seide auf weißem Tuch. Iſt fo eine mühfame Arbeit,
da muß —”
Die Mutter unterbrach fie klagend. „Die fchöne
Zeit! Und fo mas Unpraftifches! Ich Hab’ doch noch
die Striddeden liegen von der Großmutter, du wußteſt
Gë doch! Die tun’3 auch und fehen ſehr hübſch aus
auf dem Wagen. Was du für unnüßes Geld aus:
gibſt! Ihr habt's doch wahrlich noch nicht jo Dick!”
Da ſchwieg Grete und ging langfam und mit og:
ſenktem Kopf durch die Felder heim in das alte Haus
am Markt, in dem fie das erfte Stockwerk bewohnten.
Da traumte fie weiter in Déi hinein, von ihrem Kleinen,
füßen Rindchen, das von allen kleinen Erdenbürgern
gewiß das mwonnigfte jein würde. — —
In der Hauptftraße war ein großes Wäjchegejchäft,
das in feinem Schaufenfter nur das Allerfeinjte und
Teuerjte barg. Die Fran Bürgermeifter faufte dort, die
reichen Gut3- und Fabrilantenfrauen aus der Umgegend,
auch die elegante Frau Doktor Hegemann, die Til
ert aus Berlin hierher nach der Kleinjtadt verzogen
war.
Grete jtand oft mit heißen Wangen davor, lieb»
äugelte mit den munderzarten Spißenfächelchen einer
Babyausfteuer, mit weißen und roten Lederjchühchen,
und al3 Krone des Ganzen einem Bettchen, das mit
feinen Mullvorhängen drapiert und mit lichtblauen
Schleifen ausgeſchmückt war.
Und dann rvechnete die junge Frau ihr Wirtfchafts-
geld zufanımen, zählte und zog ab, und als Heinz eines
Bon (Gite Grott, 165
ADDED DE Dr ED ED ED Dr Dr ED DD Dee Dre DDr
Tages bei Tifch verwundert fragte, warum feine wunder:
liche Grete nie Appetit auf Fleifch oder ſonſtige Leder:
bilfen babe, und er immer. allein das Beſte aufefjen
müßte, wurde da3 blafjfe Gefichtehen ganz dunkelrot
und verlegen, und Grete ftotterte irgend etwas von
Sattfein und Unluft zum Ejfen. |
Aber fie fparte, fparte für die Spitenjädchen, `
Hemdchen, Lägchen und Schühchen, die im großen
Schaufenſter der Hauptitraße lagen.
Als zum Geburtstag die Mutter ihr ein paar
Goldſtücke brachte, damit fie fich das neue Sommer:
Ten felber ausfuchen Tonne, fiel fie der alten Frau fo
ftürmifh um den Hals, daß diefe ganz erjchroden
meinte: „Aber nein — — nicht To wild fein, du kannſt
dir ja Schaden tun, Greteken!“
Sie faufte fich natürlich fein neues len.
ALS Heinz eines Tages vom Amtsgericht heimkehrte,
Honn vor dem Lager feiner Frau im Schlafzimmer ein
Bettichen mit meißen Mullgardinen und lichtblauen
Schleifen gefhmüdt, und feine Grete mit gefalteten
Händen dabei, unfähig auch nur ein Wort in aller
Geligfeit zu jagen.
Der Gerichtsfelretäv wurde ganz verlegen, als er
die Pracht jah. „Aber du — — da3 hatte doch noch
Zeit, bis der junge da ift! Wohl mächtig teuer, was?
Und Mutter wollte doch die alte Rorbmwiege jchiden,
in der Du felber gelegen, Gretchen!“
. Sie verzog den Mund. „Das alte Ding! Das
wär’ doch lange nicht ſchön genug für unferen ungen!
Da, fieh bloß mal ber, Heinz!”
Sie hob die Bettchen, ftrich über die Spiten und
Schleifen und war ganz aufgeregt vor Entzüden.
Da gefiel’3 ihm auch, al3 er ihre Geligteit fah.
Er neigte fich ſogar und ſteckte einen der großen Finger
166 Ahr Erftes.
DIDI De 5
durch das Gitter des Bettchens, als läge ſchon etwas
Lebendiges, Zappelndes darin. Und dann lachten fie
alle beide und Lagen fich in den Armen und waren
felber wie die Kinder in ihrem Reichtum.
Als Heinz wieder aufs Amt gegangen war am Nach:
mittage, holte fich Grete ein paar Nachbarinnen ing
Haus und führte fie in feierlichem Schweigen zu dem
neuen Stüd ihrer Wirtjchaft.
Die Frau Oherftenerlontrolleur fchlug die Hände
zufammen. „Is nid) die Möglichkeit, Fran Sekretär!
Aber wie konnten Sie bloß! Schon vorher da3 Rinder:
bett im Haufe! Paſſen Sie auf, da haben Sie Un-
glüd mit dem Kleinen!”
Und die andere Nachbarin, die kinderloſe Kaufmanns⸗
frau, nidte dazu in düfterem Gent „Ich hab's Ihnen
fchon damals gefagt, als Sie zwijchen Weihnachten und
Neujahr gewaschen haben. Das gibt ein Unglück, Frau
Sekretär!“
Grete ſtand da mit herabgeſunkenen Armen. „Aber
— aber, die Tante in Berlin, wo ich doch ſo oft
zu Beſuch war, Hält ſolchen Aberglauben für Unſinn,“
verteidigte fie fich. „Alles Ammenmärchen!” ſchrieb fie
noch neulich. |
Die Nachbarinnen zudten die Achjeln, und die Frau
Dberftenerfontrolleur hob, nachdem fie neidifch die feine
Wäſche unterfucht hatte, kopfſchüttelnd eines der Kiſſen
empor. „Auch fo was Unpraftifches! Dieje vielen
Spiten drüden nur fo ein Kind, meine liebe Frau
Sekretär. Und lange halten tut Doch folche dünne Ge—
fchichte auch nicht!”
Grete ftanden plöglich die Augen voll Tränen. Ihr
war mit einem Male fo weh und jchwach zu Mute,
daß fie fich niederjegen mußte.
Beide Nachbarinnen gaben ihr gute Natjchläge.
Bon Elſe Grott, 167
ebe Ee Eeer Ee De Dede eeh
„Sehen Sie, da3 kommt vom vielen GStilljigen,
Frau Sekretär. Man fieht Sie ja fait den ganzen
Zog om Fenſter mit Ihrer Wagendede fien. Meine
Nichte hat's geräde fo gemacht, immer ftillgejeflen, vor
ih Hin geträumt und Kinterlitfens genäht. Nachher
bat fie jo jung fterben müſſen, als ihr erſtes —“
Grete erhob fich jäh und ging ftraff aufgerichtet
in da3 Nebenzimmer. Gie hatte eigentlich die Abficht
gehabt, die Nachbarinnen zum Kaffee aufzufordern
und ihnen dabei nod jo verfchiedene neue, winzige
Sächelchen zu zeigen, die fie wie ein Heiligtum im tief-
Hen Schrein bebütete.
Aber nun konnte fie eë nicht mehr. Gie ging nod)
einmal an das Kinderbettchen, als fich die beiden Frauen
verabfchiedet hatten. In ihre Tränen hinein ftahl fich
ein Lächeln, und eine ganz jonderbare Empfindung
fam über fie.
Sie dachte plöglich an ihren Tod bei des Kindes
Geburt und Fonnte nicht einmal entjegt über dieſen
Gedanken fein. ` Im Gegenteil, fie fam fich als fo eine
Art Märtyrerin vor, die die Erfüllung ihres höchſten
Wunfches opferwillig mit dem Tode bezahlt. Nachher
würde fie im Gedächtnis der Hinterbliebenen mit einem
Glorienjchein alles Guten fortleben. |
Die Kleine, phantaftiiche Frau malte fich dieſes Bild
mit einer Sartnädigfeit aus, daß fie ſchon ihren Buben
groß und jelbftändig vor fich fah, mie er noch immer
in Verehrung und Liebe feiner niegefannten, fchönen
Mutter dachte. Denn fie war natürlich ſehr ſchön im
Andenken der Überlebenden. Die einzige Photographie,
die von ihr aus den legten fahren eriftierte, zeigte fie
in fo vorteilhafter Stellung und Beleuchtung, daß der
Photograph das Bild jogar am Markt in feinem Glas:
fenfter ausgeftellt hatte. Heinz war fehr ſtolz darauf,
168 Ihr Erftes.
Te E Ee Ee Ee Mee ED ED
bie Mutter meinte, e3 fei zu ſehr geſchmeichelt, und die
Freundinnen zudten die Achjeln und jagten nichts.
Aber das jchadete nicht. Ihr unge würde das
dermaleinft nicht mehr unterfcheiden können und von
der nie gelannten Mutter mie von einer Heiligen
fprehden — — —
Grete fchredte aus tiefem Sinnen empor. Unten
vor der Tür war das Jagdwägelchen vorgefahren, in
dem die Eltern jede Woche einmal zur Stadt herein:
famen.
Der Knecht reichte der Frau Inſpektor gerade ein
großes Paket vom Kutjcherbod, und Vater und Mutter
gingen damit ins Haus, um die Tochter zu befuchen.
Dben padte die alte Frau aus. Ganze Bündel
Reinenftüde und alte, fchon etwas gelbe und vertragene
Rinderwäfche.
Der Vater ſtrich mit der braunen Hand gerührt
darüber bin. „Ya, ja, da habt ihr alle dreie drin-
gelegen, mein Zöchting. Zuerft der Heini, Gott hab’
ihn felig, dann der Joſeph mit feinen derben Stram-
pelchen und zuleßt du, unfer Nefthätchen. — Na, mas
fegite nu?”
Grete fagte zuerjt gar nichts. Sie ftreichelte nur
dankbar der Mutter Hände und meinte dann etwas
ſcheu und verlegen, ob denn diefe Art Wäfchefchnitt
nicht jchon etwas veraltet wäre.
Die Frau Inſpektor fchüttelte gekränkt den Kopf.
„Ra ja, da haben më ja! Gind mohl nicht fein
genug, meine Sachen? Das macht der viele Aufent-
halt in Berlin bei der verwöhnten Tante, die dir folche
Schrullen in den Kopf oelebt hat. Da — — — alles
noch felber von der Großmutter gewebt, gebleicht und
genäht. So was hält drei Generationen aus, jo gut
ift daS Leinen.”
Bon Elfe Krafft. 169
EDDIE IT Ee ee Ee DE DD DD ED EDDIE DDr DD
„a, ja, Mutterle, ich glaub's ſchon,“ lenkte Die
junge Frau haſtig ein, „und ich danke dir auch jchön
dafür.”
„Mbrigen3 hätten wir auch die Korbmwiege heut
mitgebracht,” meinte die Frau Inſpektor jchnell oer
föhnt, „aber da muß Vater erjt ein Stüd Rohr ein:
flechten, ehe wir He herſchicken.“
Der Inſpektor nicte lachend in feinen weißen Bart
hinein und nahm eine Prife. „Da haben dieje Teufel3-
tader, die Mäufe, gehörig dran "rumgearbeitet in den
zwanzig Jahren, feit fie unbenugt fteht. Aber ich ladiere
dann alles mit jchöner, brauner Farbe über, dann fieht’3
wieder fein aus, Gretefen.”
Die junge Frau wurde rot „Ich — — ich hab’
Schon ein Bettchen,” ftotterte fie. „Wollt (hrs mal
ſehen?“
Sie lief in das Schlafzimmer, während die beiden
Alten langſamer folgten.
„Dunnerkiel noch mal,“ meinte der Vater in ehr—
licher Bewunderung, „das iſt ja wie für 'nen Prinzen.
Wo haſt du denn das her, Töchting?“
Grete forſchte ängſtlich in der Mutter Geſicht.
Die ſtand ganz ſtumm, ſah in die Kiſſen, Deckchen
und Schleifen und rührte ſich nicht.
Die junge Frau ſchmiegte ſich gegen ſie, bittend,
weich. „Sei nicht bös, Mutterle, aber ich brauchte
doch kein neues Sommerkleid, nachdem ich mir die
alten wieder hergerichtet. Und über das ſchöne Bettchen
bin ich ſo ſelig, ſo ſelig.“
Sie war nicht böſe, die alte Frau. Es mußte wohl
beim Anblick des neuen Kinderbettchens etwas in ihrer
Seele erwacht ſein, das aus alten Tagen herüberkam,
ein lieber, lieber Gruß. So, gerade ſo hatte ſie ja
auch als unpraktiſche, blutjunge Mutter geſtanden und
170 Ihr Erſtes.
das Beſte und Schönſte für ihr erſtes Kindchen gerade
gut genug gehalten.
Sie ſtrich der Tochter mit leiſem Finger über den
geſenkten Kopf.
„Gott erhalte es dir!“ ſagte ſie dann. — —
Und eines Tages, die Roſen ſtanden in voller Blüte,
und auf den Feldern am Inſpektorhauſe draußen wurde
das erſte goldene Korn in die Scheuer gebracht, da
war es wirklich da, das kleine, ſo viel umträumte
Weſen. | Ä
Heinz jtand ganz betroffen, al3 man ihm das Bündel
in den Arm legte.
Ein Mädchen war aus feinem ungen geworden.
Blond, blauäugig, mit einer Haut fo wunderzart wie
bei einem Elfentinde. Und ein Grübchen hatte es im
Kinn, gerade fo wie auf dem Bilde, das fehnende
Frauenaugen ein Jahr lang in ftiller Andacht ans
geſchaut.
„Sonderbar,“ ſagte die Großmutter, das helle Haar
kann nur von der Urgroßmutter ſtammen, die als
Kind Zöpfe wie Flachs gehabt haben ſoll.“
Grete konnte darüber noch nicht nachdenken. Sie
lag mit gefalteten Händen wunſchlos in ſüßer Schwäche
auf ihrem Lager und wartete auf das Sterben. Es
war ſo köſtlich, dieſes müde Ruhen nach den vielen,
vielen Schmerzen.
Dann aber, als die Nacht verſtrich, und der erſte
Sonnenſtrahl durch das Fenſter lachte, und Heinz ihre
Hände nahm und ſie wieder und wieder in ſeiner Dank—
barkeit küßte und ſtreichelte, kam es plötzlich wie eine
rieſengroße Kraft und Lebensfreude über die junge
Frau. Sie wandte den Kopf und ſah im Morgenlicht
die Großmutter ſtehen, die lächelnd ihr Enkelkind in
den Armen wiegte, in den Augen ſo viel Stolz, ſo viel
Bon Elfe Krafft. 171
EDDIE ED ED ED ED ED ED re Dr Dre DDr D ED ECH
Liebe für das neue, winzige Gefchöpf, daB es in ber
Kranken jäh wie Eiferfucht emporftieg, und nur ber
eine Wunfch fie befeelte, leben, leben zu bleiben für
dag Kleine, für ihr Kind, das blonde, rofige Mädchen.
Mit einem halb fchluchzenden, halb TEE Laut
itredte Grete u Arme aus.
„Mutter, gib’3 mir, bitte, bitte, gib's mit, das Meine!“
Die alte Frau trat an daS Bett und legte ihr
lebendes Bündel vorlichtig vor die Tochter hin.
Heinz kniete ſtumm, in mortlofem Staunen über
fein eigen Fleifh und Blut, vor der jungen Mama.
Sie lag ein Weilchen regungslos und fah immer
nur in das weiche, runde Gefichtehen mit den Blau-
augen und den goldenen Härchen über der Stirn.
Dann lächelte fie, lächelte, wie nur Mütter lächeln
tönnen, küßte ihr Kindchen in ſtummem Gebet und
lebte — — lebte.
dp
aaa
ie man sein Geld verwabrt.
Ein Blick in die Schatzkammern der Neuzeit. `
Uon Berm. &iersberg.
mit ıs Jllustrationen. S (Nachdruck verboten.)
3 it eine alte Wahrheit, daß der Bejig nicht nur
Freude, jondern auch Sorge bereitet, und wäre e3
jchließlich feine andere Sorge als die Furcht, jeiner durch
den gewaltjamen Eingriff anderer oder durch die vernich-
tende Wut der Glemente wieder verlujtig zu gehen.
Schon in den älteften Zeiten bauten "dh die Mächtigen
der Erde diebes- und feuerfichere Schaglammern für ihre
beweglichen Neichtümer. Und die vergrabenen Schäße,
die hie und da ein Zufall nach Jahrhunderten wieder
ans Licht kommen läßt, erweden uns ein gemijjes Mit-
leid für die armen Befiger, die ihr koſtbares Eigentum
dem Schoß der Erde anvertrauen mußten.
Sn unjerer Beit pflegen nur noch Spigbuben ihre
Beute zu vergraben, und die mehr als zmweifelhafte
Praris, Erſparniſſe an abgelegenen oder ganz „un:
verdächtigen” Drten zu verjteden, wo fie „gewiß mie:
mand juchen wird“, tft lediglich bei Kleinen Leuten im
Schwange, die damit oft die übeljten Erfahrungen
Bon Hern. Giersberg. 173
ID MDmMDADED ED ADD ED DD ED DD DD ED ED
machen müfjen. ` Im allgemeinen ift daS Symbol der
Wohlhabenheit feit Jahrzehnten ber eiferne Geldjchrant,
deſſen bloßes Vorhandenjein dem glüclichen Befiger in
Sa — 00
vom d hi
(E
Einbrecher an einem Geldschrank älterer Bauart.
-den Augen feiner Mitmenfchen einen gewiſſen Nimbus
zu verleihen pflegt, auch wenn in Wahrheit nicht eben
die Schäße des Kröfus darin aufgejpeichert liegen.
Die Kaſſenſchränke älterer Bauart, in denen man
Geld und Geldeswert gegen Einbruchs- und Feuers—
174 Wie man fein Geld verwahrt.
ED rEDEDFEDTRED EDER DD ED AD AD ED ED Dr ED ED
gefahr zu fichern vermeinte, waren nun zumeijt recht
wenig geeignet, ihren Zweck zu erfüllen. Wohl ent-
prachen fie in Bezug auf Widerjtandsfähigfeit des
Materials, Feltigleit der Bauart und finnreiche Kom—
bination des Verfchluffes dem damaligen Stande der
Technik, aber die Herren Spigbuben, die das Auf:
jprengen von Geldjchränten zu ihrer Spezialität ge—
macht batten, zeigten Déi den Technikern zumeijt um
ein beträchtliche überlegen. Sie erfanden Werkzeuge
von bewunderungswürdigem Naffinement, die ihnen
das Aufbiegen der angeblich unangreifbaren Türen,
das Durchfchneiden der Seitenwände oder das Sprengen
der Schlöffer ohne allzu große Anftrengung und inner:
halb kurzer Zeit geftatteten. Der mit einer jogenann:
ten „Diebesfluppe” operierende Einbrecher auf unferem
Bilde mag als Beifpiel für die Leichtigkeit und Be:
quemlichkeit der „Arbeit“ dienen, deren es zur gemalt:
ſamen Eröffnung derartiger, eigentlich nur delorativen
Zwecken dienender Geldfchränte bedurfte.
Mit der Fenerficherheit war es um nichts beer
beſtellt. Mochte auch der Eifenmantel ſtark genug fein,
die Flamme felbjt von dem Inhalt des Schrantes ab-
zubalten, jo war damit doch nur wenig gewonnen,
denn bei der Unterfuchung nod dem Brande mußte
man zumeift die niederfchmetternde Entdeckung machen,
daß Banknoten, Wertpapiere und Gejchäftsbücher voll-
itändig verfohlt waren, eine unausbleibliche Wirkung der
von den glühenden Eiſenwänden ausftrahlenden oder
durch den Türfalz, die Schlüffellöcher u. |. w. eindringen:
den Hiße. Celten auch widerjtand ein nach älterem Eyjtem
fonjtruierter Geldfchrant der Wucht des Abjturzes,
dem er nach dem Durchbrennen des tragenden Fuf—
boden3 ausgefegt war und Der ihn, wenn es Det um
einen Fall aus beträchtlicher Höhe handelte, oft jo weit
Bon Herm. Giersberg. 175
———————
auseinander berſten
ließ, daß der Inhalt
leicht von den Flam—
men angegriffen wer⸗
den konnte.
Die gebieterijche
Notwendigkeit, all die-
fen Gefahren vorzu—
beugen, hat nun wäh:
rend der letzten Jahr—
zehnte auf dem Ge:
biete der Geldſchrank—
fabrifation eine je
volljtändige Umwäl—
zung hervorgebracht,
daß den Mitgliedern
der ehrenmwerten Ein—
brecherzunft bei dem
Wettlauf mit Den
Fortfchritten der Tech-
niker doch jchließlich
der Atem ausgehen
mußte. Wenn auch
Engländer und Ames
tifaner mit gutem
Beispiel vorangingen,
jo ift doch erfreulicher:
weife die deutſche In—
duftrie nicht Hinter
ihnen zurüdgeblieben,
und es Tonn ohne
überhebung ` ausge:
jprochen werden, daß
We ihnen mit ihren
Tdealer Durchschnitt durch die Kellerräume des Crédit Eyonnais zu Paris.
176 Wie man fein Geld verwahrt.
IRRE ADD AD AD DD AD ADDED ED
neueften Erfindungen und Verbeſſerungen jogar viels
fach den Rang abgelaufen bat.
Leicht und mühelos war das Ziel allerdings nicht
Panzerschrank mit doppelt verschliessbaren Fächern
(französisches Fabrikat).
zu erreichen. Denn jo wie im Artilleriewejen ber glüd-
lich gelungenen Erfindung einer widerjtandsfähigeren
Banzerplatte die Konjtruftion eines Geſchützes oder
Gejchoffes von entiprechend vermehrter Durchſchlags—
kraft auf dem Fuße zu folgen pflegt, jo wußten ge
Bon Herm. Gtersberg. 177
DD DD ED AD AD AD AD AD AD AD AED AD ADD AD ED
raume Zeit hindurch die berufsmäßigen Einbrecher, die
ja durchweg erfahrene und tüchtige „Fachlente* find,
jeder Verbejjerung der Abwehrmittel eine gleich bedeut-
Panzerschrank mit doppelt verschliessbaren Fächern und Kassetten
(französisches Fabrikat).
jame Vervolllommnung ihrer Angrifiswaffen entgegen:
zujeßen.
ALS die Panzer der Kaſſenſchränke jo demanthart
wurden, daß es nicht länger möglich ſchien, ihnen jelbjt
mit den bejlen Diebs werkzeugen beizufommen, machten
ich die Herren von der Zunft eine für ganz andere
Zwecke berechnete Erfindung zu nuße, indem fie mittels
des GSauerjtoffgebläjes Kleine Löcher in den Panzer
1904. VI. 12
178 Wie man fein Geld verwahrt.
RIMDD AD DA AD AD Dr DD DE Dr DD
ſchmolzen und fich damit die „schwache Stelle” fchufen,
von der aus mit zwedentfprechenden Inſtrumenten
meitergearbeitet werden konnte; und als geeignete
Vorkehrungen auch diefer viel und erfolgreich geübten
Einbruchstechnik einen Riegel vorjchoben, ftellte Héi juft
zur rechten Zeit in Geftalt des Thermit wieder ein
neues Hilfsmittel ein.
Unter diefem Namen Hatte nämlich Dr. Hans Gold-
ſchmidt in Glen ein Pulver erfunden, das, an und für
Héi durchaus nicht feuergefährlich, bequem in jedem
beliebigen Gefäß tranfportiert, ja jelbjt in der Taſche
mitgeführt werden Tonn, und das, auf die einfachite
Ziele durch Überftreuen mit Magnefium zur Eutzün-
dung gebracht, in wenigen Sekunden eine Temperatur
von 3000 Grad Eelfius und darüber erzeugt. Golden
Hißegraden aber vermag fo leicht Feine Eifen- und
Banzerplatte zu miderftehen, und es erſchien feines:
wegs als eine fenfationelle Übertreibung, als die eis
tungen aus Anlaß der neuen Erfindung fehrieben, daß
hinfort fein Geldfchrant mehr Sicher jet.
Wir werden indeljen weiter unten jehen, daß e3
der Tüchtigleit deutſcher Techniker gelungen ift, auch
diefer nicht gering anzufchlagenden Gefahr zu begegnen,
und daß von der namhaftejten deutfchen Geldjchrant:
fabrit heute bereit3 völlig thermitjichere Trefor und
Stahllammertüren bergejtellt werden.
Das höchſte Intereſſe an einer größtmöglichen ger,
volllommnung der einjchlägigen Sicherheitsvortehrungen
hatten naturgemäß von jeher die großen und enen
Banlinftitute, die nicht nur eigenes, ſondern auch frem—
des Gut in oft geradezu riefenhaften Beträgen zu bes
wahren haben und die darıım jtet3 einen bevorzugten
Gegenftand jehnfüchtiger Diebesgelüfte bilden.
Es gibt nun zwar viele KRapitalijten, die es gor:
Bon Herm. Giersberg. 179
ee PT I un 7 U 2 un m) DDr DD DD
ziehen, ihre zinstragenden Wertpapiere in eigene Ber:
waltung zu nehmen. Das bat entjchieden jeine Vor:
teile, aber e3 vermehrt auch die Sorge um eine hin:
länglich fichere Verwahrung der koſtbaren Effekten, und
da nur wenige in der Lage find, fich die bei dem heutigen
Stande der Diebestechnik erforderlichen, immerhin koſt—
Das Gewölbe für die Panzerschränke im Eompteir National d’Escompte
zu Paris,
jpieligen Gicherheitsvorrichtungen im eigenen Haufe
zu jchaffen, müfjen die Bankinftitute in den meiften
Fällen die Rolle de3 treuen Hüter übernehmen.
Die Einrichtung der verjchlofjfenen, dem aufbewahren:
den Bankier felbjt nicht zugänglichen Depots ift neuer:
dings zu einer ganz allgemeinen geworden, ımd fie legte
Den Bankhäuſern die Verpflichtung auf, für den Schuß
des ihnen anvertrauten Gutes auf die denkbar beſte
Weiſe zu jorgen.
180 Wie man fein Geld verwahrt.
Zwei verjchiedene Syſteme num find es, die dabei
von den großen Geldinftituten angenommen morden
find: da3 Geldjchrant- und das Stahlkammerſyſtem.
Das erftere, das vorwiegend in Frankreich, bei Eleineren
Banken aber auch in Deutjchland Brauch ut. Tennzeich-
net fich, wie fchon die von uns gewählte Benennung
kundtut, durch die Aufjtellung möglichſt jolider Panzer—
jcehränte, die im Innern eine Anzahl bejonders oer:
fchließbarer, größerer und Eleinerer Abteilungen oder
Fächer aufmweifen. Jedes Dieler Fächer wird gegen be-
jtimmte Jahresmiete einem Kunden für die Aufbewah:
rung feiner Effelten oder beliebiger anderer Wertjachen
zur Verfügung ge:
; ſtellt. Es enthält
zuweilen noch eine
bejondere, ſelbſt—
verjtändlich eben:
fall3 verjchließbare
Kaſſette aus Stahl-
blech und befindet
jih unter jenem
doppelten Verjchluß, von dem weiter unten bei Be-
jehreibung der Stahlfammern die Nede fein wird.
Das Schrankſyſtem, das die denkbar größte Raums
ausnußung gejtattet, empfiehlt jich namentlich für folche
Banken, deren ejchäftslofale ihrer baulichen Beſchaffen—
heit nach für die Anlage eigentlicher Stahlkammern nicht
die nötigen Vorausjegungen bieten. Es iſt unter
anderem beim Credit Lyonnais in Paris (mit 63,000
Schrankfächern), bei der Bank von Frankreich, der
Banque PBarijienne, dem Comptoir National d'Escompte
und anderen großen franzöſiſchen Geldinftituten im
Gebraud).
Nebenher mag erwähnt werden, daß die von uns
Arnheims Klauenstufenfalzprofil.
Bon Herin. Gieräberg. 181
OD DD DD DD DD AD DD ED ED
abgebildeten franzöſiſchen Schränfe namentlich wegen
ihrer ohne weſentliche Profilierung glatt aufeinander
Schlagenden Türfanten nicht ganz auf der Höhe der
modernen deutjchen Technik ftehen. Eine durch inein—
ander greifende Profile gefchaffene Verankerung der
Tür mit ihrem Rahmen ift nämlich eine der mejent-
lichften Vorausfegungen ſowohl für die Diebes- mie
"MR
Durch Einlage von gedrehten Panzerschienen verstärktes Mauerwerk
einer $tahlkammer.
namentlich für die Feuerficherheit eines Geldjchrantes.
Ein gewaltfames Auffprengen mit Hilfe von Werkzeugen
wird Dadurch ungemein erjchwert und das Eindringen
von Feuergajen wirkſam verhindert.
Eine der befannteften und angejehenften unter den
deutjchen Geldjchrankfabrifen, die Firma ©. J. Arn—
heim in Berlin, hat denn auch von jeher auf die med,
mäßige Gejtaltung der Türzargenprofile ein ganz be:
182 Wie man fein Geld verwahrt.
EDrED AD DD DD DD DD ED AD AED ED AD A De
jonderes Gemicht gelegt, und das Deler Firma neuer-
dings patentierte jogenannte Klauenftufenfalzprofil (der
Lejer möge wegen de3 von uns nicht verjchuldeten
barbarifchen Wortes freundlichft nicht mit uns ins
Gericht gehen) ftellt ſowohl das Sinnreichite und Voll-
fommenjte dar, was in diejer Hinficht erreicht werden
fann. Die mit dem Schließen des Schrankes oder
Treſors felbjttätig bewirkte Verankerung zwiſchen Tür
und Rahmen gejtattet fein noch jo geringfügiges Aus:
weichen der Tür nach irgend einer Richtung hin, weder
bei Anwendung von —— noch etwa durch Hitze.
Letztere würde
im Gegenteil
durch Ausdeh—
mung des Me:
tall3 nur ein
um jo fejteres
Ineinandergrei—
fen und Zuſam—
Panzer aus Eisenbahnschienen. menprejjen be-
wirken, jo daß
ein Eindringen von Gaſen abjolut undenkbar ift:
Wir haben Ton oben erwähnt, daß bei Bränden
eine Vernichtungsgefahr für Leicht verfohlende Gegen.
jtände, wie es Banknoten, Wertpapiere und Gejchäfts:
bücher num einmal find, auch Durch die von den glüh—
heißen Eiſenwänden des Schranfes nach innen ftrah:
lende Wärme gejchaffen wird. Das einzige Mittel,
diejer Gefahr vorzubeugen, befteht in der Einfchaltung
einer Die Wärme nicht leitenden Sjolierfchicht zwischen
der Äußeren und Der inneren Banzerung der Wände
und Türen. Die in früheren Zeiten für dieſen Zweck
verwendeten Füllungen aus Aſche, Schutt und Der:
gleichen find abjolut unzulänglich, und ein Schrank mit
Bon Hern. Giersberg. 183
⏑⏑ AD AD De
derartigen <foliermaterial wird feinem Inhalt bei
Entwidlung hoher Temperaturen, wie fie Feuersbrünfte
oder die Anwendung von Sauerftoffgebläjfe mit fich
bringen, faum noch irgendwelchen Schuß gemähren.
Die belte bisher befannte Füllmaſſe (It eine befonders
||
be DUB Mm
HÄ
Stahlkammer des £redito Jtaliano in Mailand.
präparierte, dreimal geglühte Sfnfuforienerde, mie Be
Hd bei Schränfen und Stahlfächern, die von der Firma
Arnheim geliefert wurden, ſchon in zahlreichen Exrnftfällen
vorzüglich bewährt hat. Gegen die märchenhaft hohen
Temperaturen, die fich Durch Thermit erzeugen lafjen,
bietet allerdings auch diefe Erde feine ausreichende
Sicherheit mehr, und es ift deshalb erfreulich, daß die
Zechnifer der mehrfach genannten deutfchen Firma neuer:
dings eine — in ihrer Zufammenfegung felbjtverftänd:
184 Wie man fein Geld verwahrt.
IDOMDMEDID ADDED AD ADDED ED ED ED TED ED Dr ED
lich al3 Gejchäftsgeheimnis gehütete — Mifchung ber.
zuftellen vermochten,, die Hd als miderftandsfähiges
Iſoliermaterial auch dem gefürchteten Thermit gegen:
über ermiejen bat.
Das zweite Syitem zur diebes- und fenerficheren
Aufbewahrung verjchloffener Depots ift das der Stahl:
fammern,
dem man
fomohl in
England
und Ame—
vita mie
neuer:
dings ou
in Deutſch⸗
land me:
nigſtens
bei den
größeren
Bankinſti—
tuten
durchweg
den Vor— EE
zug gibt. Stahlkammer der D
Auch bier e
erhält jeder Mieter ein bejonderes, unter doppeltem
Verſchluß ſtehendes Fach, aber dieſe Fächer befinden fich
nicht in einzelnen Schränken, jondern in den Wänden
eines eigens für diefen Zweck konſtruierten Raumes.
Die Sicherheitsvorfehrungen gegen Einbruch3- und
Brandgefahr müfjfen, wenn jie eine volle Gewähr für
unbedingte Zuverläfjigkeit bieten follen, bier eigentlich
ſchon bei der baulichen Anlage der betreffenden Lokalität
beginnen.
ı —
— — — a Sëtz "AU Au H 1 111 1
Bon Herm. Gierdberg. 185
DDR
Alle aus ungebrannten Materialien mie Zement,
Granit, Sandftein u. f. m. hergeftellten Wände Tom:
nen fast ganz geräujchlos durchbrochen werden und
bieten daher feine genügende Sicherheit. Ein aus
hartgebranntem Material gefügtes Mauerwerk wider
iteht wohl dem Feuer, aber nicht unbedingt jedem Ein-
bruch3ver-
RL ſuche.
— 2 Man gibt
EEE 4 ihm de3-
SÉ halb eine
= = > größere
SES ` ftands-
Ep fähigkeit
d — = durch Ein⸗
EES fügung
SS, von ge⸗
e härteten
und ge—
drehten
Schienen
mit ſeitlich
ner Bank zu Berlin. Ä nicht get
jchiebba-
ven Muffenverbindungen, mie jie unfere Abbildung
auf Seite 181 zeigt. Die Hindernijje, die der Ein-
brecher beim Durchbohren einer ſolchen Wand zu
überwinden hat, find gewiß nicht gering, aber jte lajjen
fi, wenn die Diebe mit allen Errungenfchaften der
Neuzeit ausgerüftet find, dennoch befeitigen. Ein voll-
tommener Schuß der Stahllammer wird erjt durch das
Belegen der Wände mit ftarfen Panzerplatten erreicht.
Ohne jolche würde ein Banktrefor in der Tat niemals
186 Wie man fein Geld verwahrt.
OD ADADE DDr DD ID AD AED AD AD AD ADD re
als abfolut ficyer gelten können. Statt der Platten
wendet man zumeilen auch eine Banzerung durch neben-
einander gelegte jchwere Eifenbahnfchienen an. Natür-
lich muß die Sicherung fich auch auf den Fußboden und
die Dede der Stahlfammer erjtveden, und von bes
Stahlkammer der Banca Commerciale in Turin.
jonderer Wichtigkeit ift bie Anlage eines um die Außen:
jeite der Mauer laufenden Rontrollganges, der jeder:
zeit die Unterjuchung derjelben auf ihre Unverfehrtheit
geitattet.
Die von der Firma Arnheim hergejtellte Stahl-
fammer der Dresdener Bank zu Berlin, die wir neben
einigen anderen derartigen Gemwölben im Bilde vor:
führen, gewährt eine bejonders anjchauliche Vorftellung
von der Konjtruktion folcher Räume.
Bon Herm. Giersberg. 187
DD ED EDDIE DI ⏑⏑ DD ED
Durch bejonderen Reichtum der Ausftattung zeich:
net jich neben ihrer vorzüglichen Sicherheit die Stahl-
fammer der Banca Commerciale in Turin aus. Ihre
Größe und ihr deforativer Schmuck entjprechen voll-
fommen der Pracht, mit ber das Gebäude und Die
Gebäude der Banca Commerciale in Turin.
übrigen Gejchäftsräume diejes großen SSES Bank:
inftitut3 ausgejtattet find.
Bejonderes Gewicht muß bei der Anlage einer Stahl—⸗
kammer naturgemäß auf die Unangreifbarkeit der Tür—
und Fenſteröffnungen gelegt werden. Unſere Abbildung
auf Seite 189 zeigt uns eine ſolche von der Firma
S. J. Arnheim hergeſtellte Tür, die zur Stahllammer
des Credito Italiano in Mailand führt. Es iſt gewiß
188 Wie man fein Geld verwahrt.
DIDI ADD ADD DD ADD ADD
ein ehrendes Zeugnis für den vortrefflichen Auf unjerer
Induſtrie, daß nicht nur beinahe alle großen deutjchen
Banken, fondern auch die hervorragendjten Geldinjtitute
Öfterreich-Ungarns, Italiens, Rußlands, Norwegens
und Schwedens den Fabrifaten der Firma Arnheim
Schalterraum der Banca Commerciale in Turin. |
vor den englifchen den Vorzug gegeben haben und daß
dieje Firma im Laufe weniger fahre gegen 1500 Bank—
und Trejforanlagen ausführen fonnte
Unangreifbar für unberufene Menjchenhände wie
für die Wut der Elemente müjjen gleich den Türen
auch die Fenjterladen der Stahlfammern fein. Gie
erhalten außer der Sicherheit, die ihre eigene Stärke
gewährt, noch bejonderen Schuß durch Gitter aus ge:
drehten Stahljtangen von zirka 40 Millimeter Durch:
Bon Herm. Giersberg. 189
meffer, deſſen Befeitigung die Einbrecher allein ſchon
mehr als die ihnen zur Verfügung ftehende Zeit Toften
würde. | |
Es mag manchen unferer Leſer wundernehmen,
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Tür einer Stahlkammer von $. J. Arnheim,
daß wir bisher nur von einer Einbruchögefahr durch
gewaltfames Zerfchneiden, Durchbohren oder Zer—
fchmelzen der Panzerplatten gejprochen haben. Biel
näher muß ja dem Laien der Gedanke an Die Möglich:
Feit liegen, die Öffnung des Schranfes durch Anwen—
dung von Nachjchlüffeln oder von Inſtrumenten zu
sso ss uoneuiquioꝝ SOpuaj[a)snzu!3 uageisipng 43Po uajyez Inn
190 Wie man fein Geld verwahrt.
EDDIE DD DD DD ED D ED ED ED ED ED ED
bewirken, die geeignet find, die Funktionen der richtigen
Schlüffel zu verrichten. Aber von folchen Möglichkeiten
iſt heutzutage in der Tat nicht mehr die Rede. Die
Ronftruftion der
Schlöfjer iſt eine
jo kunſtvolle ge-
worden, Daß
fein erfahrener
Spigbube mehr
verjuchen wird,
fein Biel auf
diefem Wege zu
erreichen.
Das gleich:
zeitige Zurück—
jchieben der
zahlreichen, oft
beinahe arm:
diden Riegel,
die in die ent—
jprechenden Ver:
tiefungen der
Türzarge grei-
fen, geſchieht
durch eine ein—
Tode Drehung
der an der
Außenfeite der
Tür angebrach-
ten Dlive. Aber diefer Mechanismus kann erſt in Tätig-
feit treten, wenn durch Anmwendung des richtigen
Schlüfjels die Hemmung ausgelöft worden ift. Wie
wenig dabei von der Anwendung eines Diebswerk—
zeuges nach Art der fogenannten Dietriche zu fürchten
Bon Herm. Gieröberg. 191
ir DD ADmDrme Dr DD DE DD ED TED DE DD DD
ift, mag daraus hervorgehen, daß an den fogenannten
federlojen Schlöfjern bei den neun im Schlofje befind-
lichen Zuhaltungen ` im ganzen taufend Millionen
verjchiedene
Stellungen der
Zuhaltungen
möglich find, bei
denen die Rip—
pen und Kerben
ineinander ein—
dringen können.
Und nur eine
einzige Davon
ift die richtige,
bei der Das
Schloß geöffnet
wird. Der Dieb
würde aljo min:
deſtens ein
Menfchenalter
aufwenden
müſſen, um all
dieſe Stellungen 3 —
hervorzubringen. = See
Aber nicht = =
immer begnügt
man ſich mit —J—
der Gewißheit, — nn
daß niemand
ohne die richtigen Schlüſſel etwas auszurichten ver—
möge. Denn häufig ſind durch die Umſtände noch
weitergehende Vorſichtsmaßregeln geboten. Dieſer Not—
wendigkeit verdanken die Kombinations- und die Zeit—
ſchlöſſer ihre Entſtehung. Bei erſteren iſt der Hem—
E, — —WWliliu
— ——— — — e. .—
— — — er
Zeitschloss.
192 Wie man fein Geld verwahrt.
IODOMMDAD ADDED TED DE DD DD ADD DAAD DD
mungsmechanismus fo fonftrniert, daß ein Öffnen
der Tür erſt erfolgen Tonn. nachdem die in den
außen befindlichen Knopf eingejchnittene Kerbe nod,
einander die Ziffern einer bdreiftelligen Zahl oder die
Buchjtaben eines aus drei Zeichen beftehenden Wortes
berührt bat, die nur dem Eingemweihten befannt find.
Ein anderer mag an dem Knopfe drehen, jo viel er
"H
H
—4
N )
Ri
1
Tür eines Sicherheitsiaches.
will, er wird Doch niemals den beabfichtigten Zweck
erreichen.
Bei dem Zeitichloß erfolgt die Freigabe des Hem—
mungshebel3 ohne menschliches Zutun durch einen
automatifchen Mechanismus zu einer auf die Minute
genau vorher zu bejtimmenden Zeit. Drei nebenein-
ander angeordnete vorzügliche Glashütter Uhren regeln
diefe Prozedur. Jede von ihnen arbeitet dabei felb:
jtändig, jo daß, ſelbſt wenn zwei von ihnen ftehen
bleiben follten, ein Verfagen des Mechanismus nicht zu
fürchten ift. Eine durch ein Zeitfchloß geficherte Schrank:
Bon. Herm. Giersberg. 193
oder Trejortür ift vor der bejtimmten Zeit von me
mand zu öffnen, er möge auch im Beſitz der richtigen
Schlüfjfel fein. liberall da, wo ein Mißbrauch Deler
Schlüffel zu befürchten jteht, erweiſt fich deshalb dieje
Vorrichtung als bejonders zweckmäßig und empfehlen3-
wert.
Wir haben oben gejagt, daß die Türen ber einzel:
nen, an die Kun:
den des Bankhau—
ſes vermieteten
Sicherheitsfächer
jtet3 unter dop—
peltem Verſchluß,
daS heißt unter
dem gleichzeitigen
Verſchluß der
Banf und des
Mieters gehalten
werden. Meder
der mit der Ber:
mwaltung Der
Stahlkammer be-
traute Beamte
noch der Mieter würde im jtande fein, die Öffnung allein
mit einem Schlüfjel zu bewirken. Erſt wenn der Ange-
jtellte ber Bank den feinigen in Anwendung gebracht hat,
bat der Beier des Faches die Möglichleit, es mun
jeinerfeit3 aufzufchließen. Ein Mißbrauch durch Un-
berufene ut dadurch jo gut wie unmöglich gemacht.
Hie und da geht man in der Vorſicht jogar noch weiter,
indem man durch einen eigenen Geheimverfchluß, dejjen
Befonderheit nur dem Mieter des betreffenden Faches
befannt ijt, das Schlüfjelloch für jeden anderen un—
auffindbar macht. Ihrer Kompliziertheit wegen aber
1904. VI. 13
F
ai
)
re — —
CEA
Stahlfach mit @eheimverschluss.
194 Wie man fein Geld verwahrt.
> Eege DD ee Dre De Dede
iſt diefe an und für fich auch ziemlich überflüffige Bor:
richtung in Deutfchland wenig beliebt.
Wie ans vorftehender Schilderung wohl zur Ge-
nüge erhellt, ift heute alfo niemand mehr genötigt, feine
Erjparniffe zu vergraben oder fonjtwie zu verjteden,
um fie vor Diebes- und Feuersgefahr zu fichern. Er
Tonn vielmehr für den verhältnismäßig jehr gering-
fügigen Betrag, auf den fich die Jahresmiete für ein
Fach in der Stahllammer eines großen Banlinftituts
beläuft, für die Sicherheit feines Eigentums alle die
Bürgichaften erhalten, die eine hoch entwidelte Tech-
nit zu gewähren vermag. Es ijt darum nur natürlid),
daß von der zwedmäßigen Einrichtung heute bereits
nicht nur reicher begüterte Rapitaliften, jondern auch
viele fogenannte Leine Leute Gebrauch machen, die
- an folcher Verwahrung ihrer Erjparniffe jedenfalls better
tun als daran, daß fie fie irgend einem Bankhauſe zu
Spefulationszweden anvertrauen.
P?
Beim neuen Papst.
Römische Skizze von Woldemar Urban.
Së
mit 3 Tliustrationen. (Nachdruck verboten.)
T' dem Heinen Örtchen Riéſe bei Trevifo wurde
| dem jtädtifchen Boten Johann Baptiſta Sarto om
2. Juni 1835 ein Sohn geboren, der den Namen Giu—
jeppe erhielt. Es ut der jetige Papſt Pius X. Der
hübfche und fromme Knabe konnte durch die Unter:
jtügung des Pfarrers das Gymmafium bejuchen und Tom
dann in das Priefterfeminar zu Padua. 1858 erhielt
er ben Doktorhut und die Priefterweihe. In Nieje las
er feine erjte Meſſe vor feinen einfachen Verwandten
und den dortigen Bauern; e8 war für den fleinen Ort
ein Ereignis. Er wurde darauf zuerſt Pfarrer in Tom-
bola, 1867 in Salzano. Der Bifchof von Trevijo, der
jeine bedeutende Begabung erkannte, ernannte ihn zum
Kanonikus der dortigen Kathedrale, jpäter wurde er
Sekretär des Bifchofs und Generalvifar.
ALS - 1884 der Bifchofsfig von Mantua frei wurde,
fiel die Wahl auf Sarto. Er blieb in diejer Stellung
biS 1893, wo feine Ernennung zum Kardinal-Erzbifchof
und zum Patriarchen von Venedig erfolgte. Zehn Jahre
jpäter, am 4. Auguſt 1903, wurde ihm die höchite
Würde übertragen, welche die Fatholifche Kirche zu ver:
196 Beim neuen Buapft.
EDrEDrE Dre Dr ED DrEDrEDrE Dr EDrEDre Dede De DrrD ed ED
geben hat. Das Konklave der KRardinäle in Rom mählte
den Bauernfohn Giufeppe Sarto zum Papft, und als
Pius X. erteilte er, angetan mit dem päpftlichen Ornat,
dem Volk erſtmals den Segen.
Il papa del popolo — der Volkspapſt, wie man ihn
fowohl feiner Abfunft, als auch feines fchlichten Auf-
treten3 wegen vielfach nennen hört, hat unter anderen
bedeutfamen Änderungen im vatitanifchen Leben aud)
die feit Jahrhunderten nicht mehr gepflegten Volks—
predigten wieder aufgenommen. Pius X. jpricht feit
einiger Zeit jeden Donnerstag oder Sonntag zu feiner
römischen Gemeinde, wie — man möchte faſt jo fagen —
jeder Dorfpfarrer zu feiner Gemeinde fpricht. Nach ein-
zelnen Barochien werden die Mitglieder der römiſchen
Kirchengemeinde hierzu eingeladen vermittels eines o:
drudten Bettels, auf dem Ort und Zeit genau angegeben
ift und den fie von ihrem Geeljorger oder von irgend
einem der päpftlichen Ämter erhalten. Mit diefem Zettel
begeben fi) alte und junge Männer, Frauen und Mäd—
hen, Rinder, Arme und Reiche, Kranke und Lahme in
den Batilan, wo fich der Borgang nun folgendermaßen
abjpielt.
Nachdem man um die Betersticche herumgegangen —
das ijt eine Heine Reife — und die verfchiedenen Tore
paffiert bat, mo die Schweizer Hellebardiere und päpft-
lichen Gendarmen die Kontrolle ausüben, betritt man
den großen inneren Hof des Vatikans — den Corte di
San Damafo —, einen gefchichtlich denkwürdigen Platz,
auf dem gut zehn: bis zwölftauſend Menfchen jtehen
fönnen. Hier, unter freiem Himmel, hält der Papſt
feine Anjprachen.
Un der Stirnfeite des Hofes ift ein einfaches Podium
errichtet, auf dem ein roter Seffel ſteht. Hellebardiere
mit der neuen Pidelhaube — die alten Barette paßten
Papst Pius X.
198 Beim neuen Bapft.
DEI Dr ee Mee ee Eege Dre De Dre DD re De Dede dd
übrigen3 zu den bunten Landslnechtstrachten beſſer —
halten vecht3 und links von dem Podium Wacht, ab
und zu fieht man einen Monfignore im dunfeln Talar
oder eine Guardia dei nobili, aber nicht verrät einen
ungewöhnlichen, feierlichen Vorgang. Ein paar Fahnen
von einzelnen Kongregationen hängen herum, die hüb-
ſchen, zierlichen figlie di Maria mit ihren weißen Schleiern
und blauen Brujtbandern nehmen recht3 vom Podium
Aufftelung, mp auch der Platz für die päpftliche Ka—
pelle ift.
Der Hof füllt ſich allmählich immer mehr und mehr,
bis er ſchließlich vollitändig vollgepfropft erfcheint, auf
den Galerien und Balfonen des Vatifans fammeln fich
Leute. Jeder Platz ut beſetzt, alles im bunten Gewühl,
ohne jede Etikette. Das feheint des neuen Papſtes ftärkite
Seite zu fein. Bon Etikette bemerkt man nicht3. |
Punkt 3 Uhr Nachmittags ertönt im Hofe ein ftarfer
Trommelmirbel. Die Mufil zieht auf, nimmt ihren
Platz ein und fpielt eine Iujtige Weife. Ich hörte zum
Beijpiel die Ouvertüre zu „Zampa oder die Marmor:
braut”. `
Mit dem Glockenſchlag halb 4 Uhr — der Papſt iſt
von großer Pünktlichfeit — ertönt wieder ein Trommel:
wirbel, links vom Podium wird eine Tür geöffnet, durch
die hindurch man eben einen Aufzug niedergehen fieht.
Aus diefer Tür jchreitet — ganz weiß gelleidet und
umgeben von einer Anzahl geiftlicher und anderer Würden:
träger der päpftlihden Hofhaltung — Papſt Pins X.
hervor.
Ein braufendes Rufen und Schreien erfüllt die Luft.
„Evviva Papa Pio decimo! — Evviva il Papa del
popolo!“ cellt es von allen Ceiten, Tücher werden
geſchwenkt, Kinder auf die Schultern gehoben, eine un:
geheure Bewegung bemächtigt fich des Volkes.
Bon Woldemar Urban. 199
DIDI ADDED DD Dre Dre Dre Der Dede
Ruhig fchreitet ber Papſt zum Bodium vor, Lächelnd
grüßt er das Volk und fegnet es — ein Vorgang von
berzlicher Einfachheit und jchlichter Größe.
Der Papſt bat eine etwas matte Gefichtsfarbe, fieht
aber jonjt gut und verhältnismäßig jugendlich aus.
Wenn er jpricht, belebt fich fein Geficht, feine Be-
mwegungen werden frei und leicht. Er ut nicht das, mas
man einen großen Redner nennt, aber feine Rede ift
von wunderbarer Klarheit, fein Vortrag warm und de3-
halb von Überzeugungsfraft. Man gibt Déi ihm gern
- bin, wenn er jpricht, es ut, al3 ob man wieder jung
würde, wieder in feiner Kirche fäße und den väterlichen
Ermahnungen und Tröftungen feines Geiftlichen laufchte.
Man vergißt ganz, daß es der PBapit ift, der fpricht,
und daß man Dt im Vatikan befindet — fo väterlich,
ſo herzlich ſpricht Papſt Pius X.
Sein Vortrag iſt ebenſo einfach wie kurz, kaum zehn
Minuten. Dann ſpielt die päpſtliche Kapelle eine Hymne,
in welche die friſchen Kinderſtimmen der hübſchen figlie
di Maria einfallen, und nach etwa einer halben Stunde
iſt der Vorgang zu Ende. Ein Kaplan reicht dem Papſt
einen rotſeidenen Hut und einen ebenſolchen Mantel,
und langſam, den Hut in der Hand, freundlich nach
allen Seiten grüßend, geht er wieder mit ſeinem Ge—
folge ab.
Nur langſam entleert ſich der große Hof. Nach
einigen Minuten ertönt plötzlich noch einmal das laute,
gellende Rufen: „Evviva Papa Pio decimo! — Evviva il
Papa del popolo!“ und oben im oberiten Stod des Va—
tifans exfcheint noch einmal für wenige Sekunden Die
Geſtalt des Bapites hinter den Glasjcheiben, auf dem
Mege nach feinen Privatgemächern.
Auch einen Staatsfekretär nach feinem Sinne hat
fich on Stelle des bisherigen, des Kardinal Rampolla,
Ansprache des Papstes
RUE Er ee
n orte di San Damaso
202 Beim neuen Papſt.
DD DD med DD AD AD ED ED ED
Pius X. ermählt.e Es ui der Kardinal NRaffaele
Merry del Val, der am 10. Dftober 1865 in London,
wo fein Vater damals jpanijcher Botjchaftsrat war,
geboren wurde, aljo exit 38 Jahre zählt. Die Erklärung
für CX überrafchend fchnelles Emporfteigen auf Der
Stufenleiter geiſtlicher
Ämter und Würden liefert
der Umjtand, daß er durch
jeinen Bater, den jpäteren
jpantschen Botjchafter in
Wien und beim Batilan,
bereits in früher Jugend
in enge Berührung mit
verjchiedenen Fürſten—
höfen und den maßgeben-
den Perſönlichkeiten der
Kurie fam. Er bereitete,
ſich in der Academia dei
Nobili Ecelesiastiei für
den diplomatischen Dienjt
Raffaele Merry del Val, der neue der Kirche vor, wurde 1885
päpstliche Staatssekretär, zum Prieſter geweiht, be
reits vier Jahre darauf päpitlicher Geheimfämmerer,
1897 päpſtlicher Hausprälat und Tur nacheinander
apojtolifcher Delegat in Kanada und Titularbiichof von
Nicaa. Im Syahre 1888 begleitete er den Nuntius Ga:
limberti zur Beifegung des Kaiſers Wilhehn I. nod
Berlin, und 1902 war er Bertreter des Papſtes bei
der Krönung des Königs Eduard VII. von England.
I
@Dannigfaltiges.
x
(Nachdruck verboten.)
Ein Augenblick, geledt im RBaradieſe. — Im Juli des
Sahres 1875 waren in Britifch-Kolumbien reiche Goldfunde
gemacht worden, und viele Taufende von goldhungrigen
Menfchen jtrömten am Sticfeen River zufammen, wo fie ch
weder Tag noch Nacht Ruhe gönnten, fondern unermüdlich
den goldjtaubhaltigen Sand om Ufer des Fluſſes aus:
wufchen.
Ein junger Mann namens James Day, feiner urfprüng:
lichen Profeſſion nach ein Jchlichter Schufter, fand den Ertrag
Diefer mühſamen Arbeit allzu mager. Er befchloß, auf
eigene Fauſt dem Ausgangspunkt der Goldquelle nachzu-
forihen, und verließ den Hauptfluß, um an einem feiner
oberen Nebenflüſſe, dem Yellow (Greef. die Arbeit wieder
aufzunehmen.
Seine Erwartungen wurden enttäufcht. Er fand noch
weniger Gold al3 vorher. Dazu befand er fich in einer un—
bewohnten Gegend, die feine Möglichkeit bot, Nahrungs:
mittel und andere Lebensbedürfnifje zu faufen. Wenn er
ih auch mit VBorräten wohl verjehen hatte, fo jah er doch
nach drei fruchtlo8 durcharbeiteten Wochen mit Schreden,
daß fie "di ihrem Ende näherten. Da half ihm alles nichts,
er mußte umkehren.
Um den Rüdweg abzufürzen, folgte er nicht wieder den
Windungen des Yellow Greef jondern marfchierte quer über
Land. Plöglich fah er feinen Weg verjperrt durch eine tiefe,
204 Diannigfaltiges.
ID RDTEI ED ne De De Dre DDr ED rd Dee DD Ed
langgeftredte Schlucht mit hohen Teilen Wänden, die jeden
Übergang unmöglich machten. Sechs Meilen weit mußte er
an Dielem unmilllommenen Abgrunde entlang gehen, ehe
ji) etwas mie ein Übergang entdeden ließ, wenn er aud) fo
unwegfam war, wie man ihn ſich nur denfen fonnte. Als er
aber mit Mühe und Not die zerflüfteten, durch Geröll noch
unficherer gemachten Felspartien hinabitieg, fiel ihm plötzlich
eine Schicht zu Tage liegenden rötlichen Quarzes in Die
Augen, welcher Gold zu enthalten pflegt.
Mit zitternden Händen fchlug er ein Stüd von dem
Quarz ab — und Bebe da: er hatte eine reiche Ader gold-
Daltigen Geſteins entdedt!
Geine glüdfelige Benonimenheit war fo groß, daß er neben
feinem Reichtum niederfauerte und den Reft des Tages damit
zubrachte, fich au3zumalen, was für ein herrliches Leben er
führen werde, wenn er die Millionen eingeheimft habe, die ihm
bier fo unvermutet entgegenlachten. Dann fuchte er fich am
Rande der Schlucht eine bequeme Schlafftätte in der Nachbar:
Ichaft feiner Goldmine aus und legte ſich zum Schlafe nieder,
um am folgenden Morgen ſchon bei Tagesgrauen mit friſchen
Kräften an die Arbeit zu gehen und feinen Schaf zu heben.
In den Träumen dieſer dentwürdigen Nacht aber genoß er
das ganze Hochgefühl des Millionärs in vollen Zügen.
Unglüdlicherweife jedoch war e3 die Nacht des 24. Juli
1875. In diefer Nacht trat in Britifch- Kolumbien ein Erd—
beben ein, und James Day entging nur wie durch ein Wunder
dem Schidjale, von den Gejteinmafjfen mit verfchlungen zu
werden, Die den Abgrund ausfüllten, neben dem er an jenem
Tage dahingewandert war.
Seine reiche Soldader aber war in der Tiefe verſchwunden.
Er war ein armer Schuhflicker wie vorher und zog fich von
Der Öoldgräberei gänzlich zurüd. (Gë mußte ihm genügen,
daß er einen „Augenblid im Paradiefe” gelebt Hatte. —
An Bord der „Juno“, die von Kalfutta nach Singapore
dampfte, vertrieben fich die Paſſagiere im Rauchſalon die
Zeit mit Kartenfpielen. Ein englifcher Offizier gewann
einem Hindu eine nicht unbedeutende Summe ab und meinte
Mannigfaltiges. 205
Te N N Pl Te? ⏑ ne? Un? I u? ER um) ZU) Un? Zu nt —
‚wohlgefällig lächelnd: „Ach habe offenbar heute eine glück—
liche Hand.“
„sch wette, Daß ich Sie in dem Punkte Doch noch über-
treffe,“ behauptete der dunfelgefärbte Hindu.
Der andere nahm die Wette an. Er war fein vermögender
Mann. Was er foeben dem Partner abgenommen hatte,
fegte er aber auf die nächſte Karte und gewann den Einſatz
verdoppelt zurüd. Kameraden von ihm, die hauptfächlich
die Reiſegeſellſchaft bildeten, fingen an, fich für bie beiden `
Spieler zu interefjieren, erhoben jich von ihren Tifchen und
gruppierten ſich um die beiden, die vom Erfolg einerfeitg,
vom Mißerfolg anderfeits zu immer fühnerem Wagen ot:
gejpornt wurden. Die Einfäbe wurden immer höher und
gingen aus den Hunderten bereit3 in Die Taufende über.
Bald nach der einen, bald uns der anderen Seite lächelte
- Fortunas Laune. |
Endlich fagte der duhfeläugige Sohn Indiens: „Sch ſetze
mein Rubinenbergmerf zu Kotree gegen zehntaufend Pfund,
wenn e3 Ihnen recht ift.“
Der bis dahin vom Glücke begünjtigte Engländer ſah
Déi verlegen im Kreife der um den Spieltifch Herumftehenden
um. Seine „glüdliche Hand” hatte ihm vertrauende Gönner
erworben. „Unbedingt gehen Sie darauf ein! Wir über:
nehmen die Garantie, fall Sie verlieren follten,” fchallte
es ihm von fünf, jech3 Seiten entgegen.
Die Dargebotene Garantie genügte dem Hindu, der Ein:
fat wurde angenommen. Und nun wurden die Karten ge:
geben. Ber Hindu verlor. |
Gleichmütig, als handle es fich um den Berluft eines
Schillings, erhob fich der Indier vom Spieltifche. „Sch hole
Ahnen die Befigurfunde,” jagte er und ging.
Der ftrahlende Gewinner nahm mit überjtrömender
Freude und Dankbarkeit bie Glückwünſche derer in Empfang,
die ihm zu dem Siege verholfen und ihn zum reichen Manne
gemacht hatten.
Indeſſen war e3 nur ein „Augenblid im Paradieſe“, der
ihm gegönnt war. Der Berlierer des Bergwerks nämlich
206 Mannigfaltiges.
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fehrte nicht in den Rauchfalon zurüd. Unbemerft war
er ind Meer gefprungen und verſchwand unter dem Tochen-
Den Gifcht der Waffermaffen, welche der Bampfer auf:
wirbelte.
Durch diefen Alt der Selbjtaufopferung rettete er fein
Rubinenbergwerk für feinen Sohn; denn Spielfchulden
dürfen nach indifchem Geſetz von den Erben nicht eingetrieben
werden, und fo ging der Engländer mit der glüdlichen Hand
troß allem doch leer aus. —
In dem armfeligften Viertel von Paris fuhr an einem
rauhen Wintertage der Rechtsanwalt %. vor einem der
höchſten und unanfehnlichiten Häufer vor. Bis zum oberften
Stockwerk mußte er die jämmerliche Treppe emporklimmen,
ehe er an einer niedrigen Tür den Namen entdedte, welchen
er fuchte. Auf fein Pochen erjchien eine abgezehrte, ver:
fümmert ausfehende Frau und erklärte fich für die Perfön-
lichfeit, nach der er fragte. Sie führte ihn in ein nahezu
von Möbeln entblößtes Zimmer, beten Kamin fein Feuer
aufwies, in beten einer Ede aber auf einem Lager von
Zumpen ein magerer, etwa zwölfjähriger Knabe lag und
hujtete, daß dem Hörer dabei das Herz im Leibe weh tat.
Mutter und Sohn zitterten vor Kälte.
„Madame,” jagte der Rechtsanwalt teilnahmsvoll, „ich
habe Ihnen die traurige Kunde zu bringen, daß Ihr Herr
Onfel vorgeftern geftorben ijt.“
Die arme rou fuhr in beftigem Schred zufammen,
erinnerte Héi aber fchnell ihrer Iangandauernden Entfrem-
dung von dem Dahingefchiedenen und fagte traurig: „Mein
Obeim bat ich feit dem Tage meiner Berheiratung fo hart-
nädig von mir losgeſagt, daß ich durch feinen Tod Taum
noch etwas verliere.“
„sm Gegenteil,“ belehrte er fie, „Sie gewinnen ganz
erheblich dadurch.”
„Ich?“ fragte fie ungläubig. „Mit feinem Wiffen und
Willen ficher nicht.“
„Sein Wiſſen und Wille Tonn dabei feinen Einfluß aus:
üben. Er ut, ohne ein Tejtament zu binterlajjen, eines
Mannigfaltiges. 207
————————————— —
plötzlichen Todes geſtorben. Sie ſind ſeine einzige recht—
mäßige Erbin.“ |
„Reichtümer wird er nicht zurüdgelaffen haben,” jagte
die Frau, „denn er war kein ſparſamer Mann. Aber ſo viel
wird's ja wohl ſein, daß ich meinem Sohne eine warme
Stube machen und ein nahrhaftes Eſſen vorſetzen kann.
Vielleicht reicht es ſogar dazu, daß ich einen Arzt zu holen
vermag.“ J
vi, es reicht noch ein gut Stück weiter,“ meinte der
Beſucher mit einem gerührten Lächeln. „Ihr Oheim hat in
letzter Zeit ſehr glücklich ſpekuliert und hat eine ganz be—
deutende Erbſchaft hinterlaſſen.“
Mit aufleuchtendem Auge blickte die arme Frau zu dem
Gaſte empor. „Wie viel iſt's denn?” :
„Das läßt fich noch nicht genau feititellen. Unter einer
Million Franken iſt's ficher nicht.”
Die bleichen Wangen des armen Weibes färbten ſich
mit lebhaftem Rot. Ihre matten Augen erglänzten in einem
überirdiſchen Licht. Die von Sorgen und Hunger zuſammen⸗
gekrümmte Geſtalt richtete ſich in die Höhe. „Gott ſei Lob
und Dank,“ rief ſie, „dann kann für uns beide ein neues
Leben angehen! Meinem armen Jungen find die Wege ge:
ebnet, er wird Mangel und Kummer, die feine Kindheit
getrübt haben, nicht mehr an fchmeden haben. — Aber,“
fügte fie gepreßt hinzu, „mir ift gar nicht wohl.”
Sie drückte erbleichend die Hand aufs Herz und fant
gleich darauf Ieblos in die Arme des entſetzten Beſuchers.
Es war ein „Augenblic im Paradiefe” geweſen, den er ihr
bereitet hatte. Ein Herzichlag hatte fie der Erde entrüdt.
Ihr armer Junge aber durfte fich wenigſtens der Erb»
fhaft erfreuen. Er genas bald unter der guten Pflege, die man
ihm angedeihen lafjen fonnte, und ijt heute eine der Zierden
unter den Schülern eines Parifer Lyzeumd. Ki. Tüfterhoff.
Menue Erfindungen: I. Ein praktiſcher Gläſerträger.
— Soft alle Erfindungen auf dem Gebiete der hausmirt-
Thaftlihen Geräte find Veränderungen befannter Dinge,
und es bedarf met eingehender Erklärungen, ebe man
208 Mannigfaltiges.
DD DmD ⏑ DD AED EDDIE DD DDr ED
deren Zwecmäßigkeit einzufehen vermag. Der Gläferträger
„Serviteur“, den wir im Bilde vorführen, ift dagegen etwas
abjolut Neues. „Sonjt” hatte man in diefer Richtung jehr
viel Unglück, „jetzt“ iſt ſolches gänzlich ausgeſchloſſen.
Es iſt tatſächlich nicht leicht, Weingläſer zu tragen, ohne
Sonst.
ſie zu zerbrechen, gleichviel, ob man ſie, übereinander ge—
legt, in Behältern trägt oder auf Servierplatten ſtellt. Syn
reicheren Haushaltungen ijt Daher das Budget für zerbrochene
Weingläſer fein geringes. Hat die jervierende Perfon bei
einer Fejtlichkeit mit Gläſern Mißgefchick, "Tout dem Gaſtgeber
der Schreck oder das Lächeln feiner Gäſte met unangenehmer
als die Koſtſpieligkeit des Vorfalls.
Mannigfaltiges. 209
ADDED ED DD DES DD DD DD ED ED ED
Der Gläjerträger „Serpiteur” macht jolche Unannehme
lichkeiten unmöglih. Man jest das Glas auf, und fofort
iteht e8 fo feit, daß der Serviteur fchief gehalten, auf den
Kopf gejtellt, ja gefchleudert werden Tann, ohne daß die
Gläſer fallen oder aneinander fchlagen. Kein Gla3 Toun
Jetzt.
dur Stoß abgebrochen werden, da e3 elajtifch jteht. Jedes
einzelne läßt fich genau fo leicht abnehmen wie vom freien
Zug. Für gewöhnlich wird der Serviteur als Träger beim
Servieren und Abräumen benubt Wer fehr wertvolle
Gläſer benugt und häufig Geſellſchaften gibt, bewahrt om
beiten feine fämtlichen Gläfer in Serviteurs auf. Selbjt eine
ungeübte Perſon Tonn mehrere Dutzend der empfindlichiten
1904 VI. 14
210 Mannigfaltiges.
Kriſtallgläſer auf einmal zum Tiſch bringen, ohne daß die
Hausfrau fürchten muß, daß ihre frohe Tiſchlaune durch
Ungeſchick oder Mißgeſchick der ſervierenden Perſon oer,
dorben werde.
Von hervorragendem Nutzen iſt der Serviteur auch für
Geſellſchaftsbüfette. Gerade der gerngeſehene fröhliche Gaſt
wirft auf dem dicht gefüllten Speiſenaufbau oder im Ge-
dränge leicht ein paar Gläfer mit um. Derlei ſucht jeder
Gaſtgeber zu vermeiden, und hierzu ift der Serviteur ein
fiherer Helfer. Große Etabliſſements Dellen die gefüllten
Serviteurs in beliebiger Zahl aufeinander, fie ftehen voll-
fommen feit. EM.
IL Gabel mit beweglichen Zinten. — Die unten
PE abgebildeten Gabeln mit beweglichen Zinfen tragen
dem Umjtand Rechnung, daß
bei den gewöhnlichen Gabeln
das Putzen der Zinfen eine recht
mübhevolle Arbeit ut. Die vom
KRüchenperfonal nicht immer zur
Zufriedenheit der Hausfrau be-
ſorgt wird. Bei den neuen Gas
bein find die mittleren Zinten,
a und a,, beweglich eingefügt,
während nur die äußeren, d und
d,, feit find. Die eine Der be-
weglichen Zinken ift nach vorn,
Die andere nach hinten un den
Sig. 1. Sig. 2. Rift ce drehbar, wie es Fig. 2
Gabel mit beweglichen Zinken. punktiert zeigt. Sn Der Ges
brauchsftellung werden ſie Durch
die Hülfe g an den unteren Enden gehalten, welche durch
eine Feder f nach oben gedrüdt wird. I P.
Bornedme Gäfte. — Ein ſehr elegant gekleideter Herr
betrat eine3 der vornehmſten Reftaurant3 in Paris, wählte
Béi einen bequemen Pla& im Speifefaale aus und bejtellte
ein ausgejucht feines Mahl, das er, ſobald es aufgetragen
war, mit der Miene eines Kenners verfpeifte. Er hatte
MEET
Mannigfaltiges. | 211
ö DD erde
foeben jeinen Kaffee und ein Bläschen feinſten Likörs goë:
nofjen und zündete fich gerade die dazu beftellte echte Ha—
vanna, zu fünf Franken das Stüd, an, als eine gefchlojjene
Droſchke vordem Reftaurant vorfuhr. Ein ſchwarzgekleideter,
ernft blickender Herr ftieg aus und ließ Déi von einem der
herbeieilenden Kellner zum Wirte des Lokals führen.
„Meinen informationen zufolge,” begann der Schwarz-
gekleidete, „befindet fich augenblicklich hier in Shren Räus
men ein von mir fchon feit längerer Zeit gejuchter Herr,
der mit einer halben Million Franken flüchtig geworden
it. Wollen Sie die Güte haben, mich durch die Räume zu
führen, damit ich mich von der Anmelenheit des Verbrecherg
überzeugen Tann. Ich möchte bei der Verhaftung alles un:
nötige Auffehen, da3 ja auch Ihnen nur peinlich fein Tann,
vermeiden.“ |
Natürlich führte der Wirt den Beamten fofort durch die
Säle, und Taum hatten fie den Speifefaal betreten, als Der
Bolizift den Wirt anftieß und, auf den behaglich in ſeinem
Seſſel lehnenden Fremden mweifend, ihm zuflüfterte: „Dort
fißt mein Mann! Um das Wild nun nicht kopfſcheu zu
machen und um gleichzeitig alle Aufjehen zu vermeiden,
fhiden Sie, bitte, einen Kellner hin und lafjen Sie ihm
melden, fein Freund, der Baron R., bäte ihn, auf einen
Augenblid herauszutreten.“
Der Wirt Iddie einen Kellner mit dem Auftrage zu
dem Fremden, der ganz gelajjen aufitand, feinen Hut auf:
fegte und "éi in den Korridor begab, wo der Schwarz
gekleidete und der Wirt ihn erwarteten. AB er an den
beiden vorübergehen wollte, legte der Polizift die Sand auf
feinen Arm und fagte mit erniter Stimme: „Sm Namen
des Geſetzes verhafte ich Sie! Folgen Sie mir ruhig, jo
will ich von einer Feflelung abfehen. Andernfalls —“
damit z0g er ein Paar bligende Handfchellen hervor.
Der Fremde erbleichte, erwiderte fein Wort, ſondern
folgte dem Beamten ruhig zum Wagen, der, nachdem beide
eingeftiegen waren, fehnell der nächjten Polizeiftation zu—
fuhr.
—
218 Brnitinifitengeß
Ir
39 Realtek
HBaëitotrbeouzi Dnttzäie ici re Wë bagrëtëgarh eg!
ei Geikigye pfr a kr dien (Gpgge) SëtborziaterSchrpéutsg na
mett Dep: 2ottdi Sint tre Au gata ara
here äieggteihrgeiéeg Werhtiftung eines Millionendiebes
etwas wußte. Ebenfowenig war auf irgend einem anderen
der Reviere, die alle fofort antelephoniert wurden, von einer
folhen Verhaftung etwas befannt,
Man ftand vor einem Rätſel, das aber fchon geläft
wurde, noch ehe der Wirt feinen Heimmeg angetreten hatte.
Es erfchien nämlich, gerade al3 er fortgehen wollte, der
Befiter eines anderen vornehmen Reftaurant3 mit genau
demfelben Anliegen im Bolizeibureau wie er. Auch er wollte
einen Betrag von etwa 80 Franken einkafjieren für eine
Mahlzeit, Die er einem Millionendieb, der gejtern abend
in feinem 2ofal verhaftet worden war, geliefert hatte. Bei
ihm war genau diefelbe Gefchichte aufgeführt worden, nur
mit vertaufhten Rollen, denn diesmal hatte der Schmarz-
gefleidete gefpeift. Der andere hatte ja Thon gegeſſen. Es
braucht wohl nicht erft hinzugeſetzt zu werden, daß beide Wirte
mit fehr langen Gefichtern abzogen. IM. e
Ameifendegräßniffe. — In den Schriften der Linnefchen
` Gefelichaft zu London wurde ein Bericht über ein Ameifen-
begräbnis abgedruct, welchen eine Dame, Mrs. Hatton
in Sydney, eingefandt hatte, die diefem Begräbnis als
Augenzeugin beigewohnt hat.
Die Dame hatte eines Tages ihren vier Kahre alten
Knaben fchreien gehört und feinen Körper von roten Ameifen
angegriffen gefunden, auf deren Neſt er "éi, ohne etwas zu
ahnen, gejeßt hatte. Unter dem Beiftande einer Magd
wurden die Angreifer abgefchüttelt und dabei etwa zwanzig
Stüd getötet und auf die Erde geworfen.
Als die Dame nach einer halben Stunde wieder an die
Stelle fam, fand fie die toten Ameifen von einer großen
Anzahl lebender umringt. Sie entjchloß fich, deren weiteres
Tun zu beobachten, und folgte vier oder fünf von ihnen,
die fi) von den übrigen trennten und nach einem Hügel
i_ — ON 1
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Herkküteit inneugfelhänein anddrsfichtend nach; ungoſöhe
Séfdtrpfäieëitemarvgélouuëenbr gef. wieder dou bei,
Sie ordneten fi) zu einem Zuge und Debëtcbiäräurëgg
Butecwo Ai Gsfeuräilrétcg Tagen. Nach wantgeuo Miſmuten
guhrlteatgwoid bbr Aıtiiewiddraugnund d bag Dei Rer og
ER ihoerutoteri gaune rabemutcuf gcheſer·ffulgtenozu ahme
Gei. md redet est Man toi Umeiſi audeſo eebe.
ärëëeëlëunzélgdapoetb te ufreet, angetugehtkipiunag. Mie
Brnzäfiton] beivoglen ſich Sedërt engl ogdn0 gege tg, ugeffägt
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Here großon luſttepgungi gubo ESa gahlxiche Tute
nate doihal en die. silber af nieder een:
es ite! Brutt miedothede gotroogdoen dg eu diq der.
214 Drannigfaltiges.
EDDIE A AD ARD AD DD ee Dr
unglüdten einer Grubenerplofion. Sie mußten daſelbſt
liegen bleiben, da e3 offenbar unmöglich war, fie über die
jteilen und glatten Wände ihres gläfernen Gefängniffes
hinauszufchaffen.
Um die Ameifen bei ihrer Arbeit zu ftärfen, und weil
er glaubte, daß fie Hunger litten, feste White drei feine `
mit Honig gefüllte Tröge aus Kartenpapier auf die Ober:
fläche des Neftes. Aber anftatt über diejelben, mie fie ſonſt
tun, gierig herzufallen, begannen fie Diefelben als Fried—
höfe zu benußen und trugen ihre Toten hinein, fo daß nach
drei Tagen in dem einen Trog 140 und in jedem der beiden
anderen 180 Tote begraben waren. Ebenjo benutten fie
leere oder mit Zuder gefüllte Pappkäſtchen und fchienen,
folange fie Tote in ihrer Kolonie hatten, nur von dem
Gedanken befeelt, He über das Weichbild ihres Nejtes hinaus⸗
zufchaffen, obwohl die Erfteigung der ſenkrechten Wände der
Käjtchen für die Leichenträger nicht ohne Schwierigkeit war.
Dffenbar kennen die Ameifen die fchädlichen Einflüffe
der von den verweſenden Körpern ausgehenden Dünfte auf
die Gefundheit der Lebenden ganz genau.
Übrigens ift, mie derfelbe Beobachter verfichert, ihre
Sürforge für die Lebenden Doch noch größer als ihr Reſpekt
vor den Teten. Eines Tages traf er eine Arbeiterin, die
eine tote Ameife aus dem Nejte trug, um fie zu begraben,
und ihre Bürde niederlegte, um fich einen Augenblick au3»
zuruhen. Während fie hierbei um fich blickte, bemerfte jie
eine hilflos auf dem Boden liegende Larve, Die Durch irgend
einen Zufall vergefjen fein mußte, verließ jofort den toten
Körper ihres Kameraden und trug das zarte junge Weſen
eiligft in den Bau. Ber Tote konnte warten, und fo heißt
es alfo auch bei den Ameifen, troß al ihrer Pietät für Die
Berftorbenen: „Der Lebende hat recht!“ C. T.
Kinderfindenidyll bei den Kwakiutlindianern. — Ein
Indianervolk mit originellen Sitten find die Kwakiutl, die
im Norden der Vancouverinfel und an der gegenüberliegen:
den Küfte von Britifch-Kolumbien wohnen. Sie leben von
Fiſchfang und Jagd und Halten an ihren alten Gebräuchen
Mannigfaltiges. 215
OD ⏑ —⏑ EDDIE AD ED ADD ADDED
mit großer Zähigkeit fejt. Unfer Bild zeigt eine Indianerin
diejes Stammes in doppelter Tätigkeit. Sie jest mit der
‚großen Zehe des rechten Fußes die Wiege ihres Jüngſten
in fcehwingende Bewegung und ijt zugleich mit Spinnen
bejchäftigt. Die Kombination beider Tätigfeiten und Der
ganze Apparat, mit deſſen Hilfe das fleißige Indianerweib
ihr Kind wiegt, zeugt entfchteden von ungewöhnlicher In—
telligenz. B. 9.
Das. Fahrgeld nad) Brighton. — Bon der 1896 zu Berlin
geftorbenen berühmten italienifchen Sängerin Giulia Griſi
Eine Wiege bei den Kwakiutlindianern.
Cut miss D gen Kmskimugıynein”
216 Dannigjaltiges.
DD DADIED ADDED AD AED AD AD ED ED AED DT DD
erzählt der englifche Smprefario der Künjtlerin Wilbert
Beale in feinen „Erinnerungen“ folgendes heitere Gefchicht-
chen. Die Künjtlerin empfing für ihr öffentliches Auftreten
befanntlich geradezu fürftliche Honorare, aber fie hatte, vom
Wert des Geldes gar feinen Begriff. Handvollweife pflegte
De Gold und Silber, wie es gerang
ohne jemals zu zählen. Der, |
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218 DMannigfaltiges.
DIRDERDERD ERDE DD EDDIE DER RD AD DDr De Dee Dex DD
Der alte Herr nahm dem Friſeur die Schere aus Der
Hand, wählte forgfältig ein einziges langes Haar aus und
fchnitt e8 ab. Er barg e3 in feiner Brieftafche, dDrüdte Dem
vor Überrafehung fprachlofen jungen Mädchen freundlich
die Hand und verließ den Laden.
Debt ert blickte daS Mädchen auf die Banknoten. Es
waren zwei Noten zu je hundert Franken. Zmweihundert
Franken für ein einzige3 Haar! Der Mann müßte ent,
weder verrückt oder ein englifcher Lord fein, meinte ärger-
lich, daß ihm das gute Gefchäft jo plößlich entgangen war,
der Frifeur.
Das Mädchen eilte hinaus, um dem gütigen alten Herrn
zu danken. Sie erfpähte ihn noch, als er gerade in ein
vornehmes Hotel ganz in der Nähe eintrat. Den Bortier
des Hotel3 befragend erfuhr fie, daß der alte Herr weder
ein Verrücter noch ein englifcher Lord wäre, fondern ein
deutfcher Gelehrter, Alerander v. Humboldt mit Namen, der
in politifeher Miffion in Paris weile. W. St.
Goldene Hodzeitsfeiern. — Das Felt Der goldenen Hoch-
zeit ift an und für béi fchon eine Seltenheit, da es in uns
ferer rafchlebigen Zeit nicht vielen Ehepaaren bejchieden ift,
fünfzig Jahre zufammen zu leben. &3 gibt aber eine Menge
Menfchen, welche daS Bedürfnis haben, dieſes feltene et
nod in befonderer Weiſe zu feiern, um ihrer Eitelfeit oder
ihrer Sucht nach Abfonderlichem Genüge zu tun. So hat
im Jahre 1897 in Magdeburg ein Wafenmeifter, der gleich-
zeitig das Amt eines Henkers verfieht, feine goldene Hoch-
zeit zugleich mit Der filbernen Hochzeit feines Sohnes a:
fammen gefeiert; um da3 Felt würdig zu begehen, hatte
er alle Rafenmeijter aus ganz Deutfchland eingeladen, und
nicht weniger al3 230 waren diefer Einladung gefolgt.
Sn demfelben Sahre, und zwar im Auguft 1897, feierte
der Schweizer Fremdenführer Chriftian Almer in Grindel-
wald feine goldene Hochzeit in einer höchſt abfonderlichen
Weife. Seine Frau war noch nie auf einen Der Gipfel
gestiegen, zu deren Höhe Almer fo oft die Fremden hinauf:
geleitet hatte. Um nun zu zeigen, wie fräftig er noch Ier,
Dannigfaltiges. 219
AD AD AD ED ED ED ED rd re Dr
trug Almer feine Frau huckepack zu einer Höhe von
3000 Meter empor, wo er von einer großen Anzahl von
Bergiteigern erwartet und gebührend gefeiert wurde.
Ein gemwiffer Johann Dorman lernte al3 junger Menfch
in einem Pariſer Gefängnis feine Braut fennen, und nad):
dem er fie nach der Entlaffung geheiratet hatte, zog er mit
ihr nach Amerika. Als das Paar beinahe fünfzig Jahre oer
heiratet wor, befchlofjen fie, Die goldene Hochzeit gemein-
Jam im Gefängnis zu feiern, und zwar in einem Barifer
Gefängnis. Sie reiften alfo nach Baris, begingen bier eine
leichte Gejetesverlegung und wurden zu einigen Tagen
KA ngnis verurteilt. Ihre Abſicht aber wäre Tat nicht
Ausführung gelangt, da ja Männer und Frauen in
ee Gefängnifjen ihre Strafe abbüßen mülfen;
Dorman reichte daher jchleunigft ein Geſuch bei der Be-
hörde ein, damit er, um feine goldene Hochzeit richtig
zu feiern, mit feiner Frau zufammen eingefperrt würde.
Mit Rüdfiht auf den fonderbaren all wurde feinem
Wunſche Genüge geleiftet.
Ein gemwiffer Santle, ein Farmer in Vorkihire, feierte
feine goldene Hochzeit durch ein. großes Preisringen. Er
war felbjt noch vorzüglich bei Kräften und in feiner Jugend
ein berühmter Preisringer gewejen. Er erflärte fich bereit,
an feinem Hochzeitstage mit fünfzig jungen Leuten zu
ringen, und zwar würde er für jeden nicht mehr al3 zwei
Minuten brauchen, um. ihn zu Boden zu werfen. Jeder,
der an dem Preisringen teilnahm, follte eine Summe von
fünf Dollars einzahlen. Neunzehn Gegner hatte Gantle bereits
geworfen, al3 er mit dem zwanzigjten Unglüd hatte. Er
glitt aus, ftürzte und brach fi) das Schlüffelbein. Auf
dieſe Weife war das Preisringen zu Ende.
Ein gewiſſer Richardfon, ein alter Seiltänzer, feierte
feine goldene Hochzeit in Springfield im amerifanifchen
Staate Illinois auf folgende Weife. In der Nähe des
Ortes Springfield geht eine Eifenbahnbrüde in Höhe von
180 Fuß über einen Fluß. NRichardfon machte ſich on:
heijchig, feine Frau am Tage der goldenen Hochzeit in einem
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den edifrejlichas äi oi bëunftoiäreeitg rich inne
wordecder Mochoſchaſſiin rgebtich"Tchön vor taufend Jahren
abgebaut, "und das ift auch nicht unglaublich, Do das aus
Kiefel und Magnefia beftehende Material früher noch zu
vielen anderen Dingen als zur Herjtellung von Pfeifen-
föpfen benußgt wurde. Der Meerjchaumbergbau bei Menlon
fol fogar ſchon zweitaufend Jahre zurüdreichen. Die Ar:
beiter find meift Berfer und Kurden. Eine Gruppe von drei
bis fünfzehn Leuten hackt zunächit ein Loch von etwa einem
Meter im Durchmeſſer in den Boden und gräbt dann weiter
einen Schadt, bis fie auf eine rote tonige Schicht jtößt,
unter und in der gewöhnlich der Meerjchaum zu finden ut.
Sie wird zumeilen ſchon in wenigen- Metern Tiefe erreicht,
met aber erjt in 20 bis 40 oder gar 60 Metern.
Die rote Erde enthält Meerſchaum in nierenfürmigen
oder unregelmäßig gejtalteten Knollen von der Größe einer
Walnuß oder höchftens eines Apfels. Die eigentlichen
Blöcke werden erſt aus bejonderen Gängen herausgeholt,
indem oft unter großen Schwierigkeiten lange Stollen in
den reien Ton getrieben werden. Sn jener Gegend, it an
manchen Stellen der Boden ſchon derart unterwühlt, daß
die verfchiedenen unterirdifchen Gänge ineinander übers
gehen. |
Die Meerfhaumblöde werden von den „Lulidjchi3” ge:
fauft, von den Pfeifenfabrifanten in Eskifchahr, von denen `
immer an 150 auf dem Markte zu erfcheinen pflegen. Vor
der Verarbeitung muß der rote Meerfchaumblod gereinigt
werden, wa3 einfach durch Abfragen der äußeren Schicht
mit einem Meſſer gejchieht; über taufend Menfchen find
dauernd damit beichäftigt. Nach der Reinigung werden die
Blöcke nach ihrer Größe und Gite in vier Klafjen getrennt.
Dann werden fie weiter verkauft an die Händler und
Agenten in Eskiſchahr. Dieſe paden die Blöcke mit großer
Vorſicht und Sorgfalt in Baummolle ein, jo daß fich Die
Stüde nicht gegenfeitig ftoßen und reiben können. Im
Handel haben die vier Klafjen des Meerfchaums bejondere
Namen: Tiramali, Biremberlif, Pambukli und Dakme. Der
22% Mannigfaltiges.
ee Ee ee ED DD De DD DD DD De Dede
jährliche Ertrag der Meerſchaumbergwerke beläuft fich auf
1200 bis 1500 Doppelzentner. Der Meerfhaum von (Gë:
fifchahr fteht in Europa fehr hoch im Preife, fo Daß die
Bergmwerfe bei jparfamer Ausnutzung dem türkifchen Staat
viel Geld einbringen können, zumal fie auch heute noch al3
unerjchöpflich gelten. 8.0.8.
Berfebltes Inkognito. — Der KRomponift Leoncavallo
fam eines Tages durch eine füditalienifche Stadt und las
an den Anfchlagfäulen, daß an dieſem Tage feine Oper
„Bajazzi” gegeben würde. Er befchloß, der Vorſtellung
infognito beizumohnen, und Taufte fich Abend3 einen Parkett:
platz. Neben ihm Hatte eine hübfche junge Dame Plab
genommen, der es bald auffiel, daß er fih nicht an dem
allgemeinen Applaus beteiligte, fondern ruhig "ben blieb.
Nach einiger Zeit wandte fie fich om ihn mit den Worten:
„Barum applaudieren Sie nicht? Gefällt Ihnen die Oper
nicht?”
Leoncavallo, dem dieje Frage viel Spaß machte, ers
widerte: „Offen gejtanden, nein; ich muß fogar jagen, fie
mißfällt mir. Sie ift offenbar da3 Werk eines Anfängers,
um nicht etwas Schlimmeres zu jagen.“
„Wenn Sie das behaupten, mein Herr, dann haben Sie
keine Ahnung von Muſik,“ erklärte die Dame. `
„Sehen Sie,” jagte er und ſummte eine furze Melodie
vor fich hin, „dieſe Melodie ift aus Mozart geftohlen, das
ift aus Bizet und das von Beethoven.“
Kurz und gut, er zerriß die ganze Oper in Feben.
Seine Nachbarin fah ihn forfchend an und fuhr dann
fort: „Iſt das, was Sie mir gejagt haben, wirklich Ihre
aufrichtige Meinung?“
„Gewiß, meine ganz aufrichtige,” lautete die Antwort.
„But,“ verjegte Die Dame und verließ mit ironiſchem
Lächeln das Theater.
Als der Komponift am nächſten Morgen die Zeitung
durchflog, fiel fein Blid auf einen Artikel „Leoncavallo
über feine Bajazzi“, und zu feinem großen Erftaunen las
er alles, was er der Dame am vorigen Abend über fein
Diannigfaltiges. 2933
DD Dr Dr ED re Dre re Dee Dre De De
eigenes Werk erzählt hatte. Seine Nachbarin, die ihn ganz
genau erfonnt hatte, war mit der Kritik feiner Oper beauf-
tragt gemejen. gn
Ein Romanſchluß, der ein Menfhenleden rettete. — Ein
fürzlich verftorbener Schriftfteller hatte einen längeren Roman
gefchrieben, der inı Feuilleton einer Zeitung Aufnahme fand.
Eines Tages erhielt der Verfaſſer den Befuch eines Predigers,
der ihn, fogleich auf den Zweck feines Erſcheinens kommend,
fragte: „Haben Sie auch Toon den Schluß des Romans
verfaßt, der jebt im Tageblatt veröffentlicht wird?”
„Gewiß,“ antwortete der Schriftteller.
„Stirbt die Heldin zum Schluß?” fragte der Prediger
weiter. |
„Sa, fie ftirbt an der Schwindfucht. Nach den von mir
genau befchriebenen Symptomen Tonn fie faum am Leben
bleiben.“
„Sie müſſen fie aber doch leben laſſen und den Schluß
ändern,” bat eindringlich der Prediger. Und auf die Ent-
gegnung des Schriftitellers, daß fich das jeßt nicht mehr
tun lafjen werde, fügte er hinzu: „Sie müfjen e3 tun! ch
habe eine Tochter, die alle die Schwindjuchtsfymptome,
die Sie bejchreiben, hat und jede neue Fortjegung Des
Romans mit Spannung erwartet. Moien Sie nun das
junge Mädchen in der Erzählung fterben, jo wird meine
Tochter, da die Gefchichte einen fo tiefen Eindrud auf fie
gemacht hat, wahrjcheinlich ebenfalls fterben. Der Ausgang
Ihrer Erzählung entfcheidet aljo über ein Menfchenleben.“
Als dies der Verfaſſer hörte, verfprach er, die Änderung
vorzunehmen, derzufolge da3 von ihm gefchilderte junge
Mädchen "éi erholte und glüdlich wurde.
Und in der Tat — auch die Tochter des Predigerd über:
wand die Krankheit, verheiratete jich und wurde eine ge-
funde und glüdliche Frau. 8. €.
Die Anfänge von Monte Earlo. — An feinem o:
deren Beijpiele fong man fo augenfällig die Macht eines
Laſters zeigen ald an dem Fürftentum Monalo, das in
30 Jahren aus einem elenden Dorfe von faum 600 Ein-
224 Mannigfaltiges.
DDr ED DDr DDr De De Dr ED Dre Dre De DereD
wohnern zu einem weltberühmten Plage herangewachfen ut.
fo reich und ſchön und anziehend wie wenige Orte der Erde.
Schon im Jahre 1002 ließ fich der erite Grimaldi auf
dem Felfen von Monako nieder, und bis zum Jahre 184€
herrſchten die Grimaldi als Fürften über ihr Land, da3 Die
drei Städte Monalo, NRoccabruna und Mentone umfaßte,
3 Meilen lang war und eine mittlere Tiefe von 300 Meter
hatte.
Sie regierten unter dem nominellen Schuße der Könige
von Sardinien. Da He fich in ihren Adlerneſtern tödlich
langmweilten, jiedelten fie aber fchlieglich nach Paris über.
So Tom zum Beifpiel der Großvater Karls IL. der das
Spiel einführte, nie in fein Land. Er hatte feine Städte
an einen Intendanten namens Chapon verpachtet. Um fein
Pachtgeld beizutreiben, zwang Deler die Einwohner, fich.
ausfchließlich aus feinen Getreidelagern mit Weizen oder
Mehl zu verjehen. Diefe indirekte Steuer wurde mit graus
famer Strenge beigetrieben. Dabei waren natürlich die
Verkaufsprodukte des Intendanten die denkbar jchlechteften.
Nach dem Tode Honorius’ V. (1841) wollte deſſen Sohn
und Nachfolger Floreftan I. feine Staaten befuchen. Er
fand die Gemüter feiner Untertanen in ſtärkſter Erregung
gegen den Intendanten. Diejer juchte fein Heil in Der
Flut, und Florejtan I. verjchenkte auf dem öffentlichen
Plage 12 Fuder Wein und verteilte unentgeltlich Weißbrot;
fo beruhigte er feine Untergebenen.
Zugleich fchaffte er alle Steuern ab, führte fie aber nach
und nach wieder ein, Denn er war ein armer Mann. In
Baris konnte er ſich nicht mehr über Waffer halten. So
befchloß er denn, in feinem Schloffe zu Monako zu wohnen.
Diefes Schloß aber, welches die Bejucher heute mit feinen
prächtigen Galerien und feinen ftolzen Türmen entzüdt, war
damals einer Ruine ähnlich. Die Tore jchlugen im Winde,
dureh Dachriffe ob der Regen in die Zimmer, und in den
Hallen nijteten die Vögel in voller Sicherheit.
Das Land felber aber bot ein einziges, unvergleichliche3
Schaufpiel. Die Felfen, Die e3 gegen Norden fchirmten,
Mannigfaltiges. | 225
Ee Eeer Bee eege Ee D DDr ED re De ECH
oben auf einen Wald von Drangen: und Zitronenbäumen
nieder. Silberblättrige Dlivenbäume, Magnolien und
Dieandergebüfhe wuchſen an den Gebirgsbächen. Den
Strand entlang lag ein Dubtend einfacher Landhäufer im
Schatten der Syfomoren. Rechts ragte die große Mauer
der Turbie empor; lint3 leuchteten die weißen Häufer von
Bordighera aus ihren Yorbeerhainen blauduftig herüber —
ein Paradieſeswinkel!
Noch war Floreftan I. befchäftigt, fein Schloß zu rejtau-
rieren, als die Revolution von 1848 fam. Die Völker er:
hielten Berfafjungen, fogar Sardinien und die päpftlichen
Staaten.
Auch Floreftan glaubte dem Beifpiele feiner fürftlichen
Kollegen folgen zu müffen und gab, um anzufangen, feinen
getreuen Einwohnern von Mentone und Roccabruna eine
liberale Verfaffung. Die Einwohner von Monako mußten
nod warten. Am Abend aber nach allen Zluminationen
bewiefen ihm feine Frau und feine zmei Minifter, daß er
jet der Sklave feiner Untertanen fei und das göttliche
Recht der Herrfcher verlegt Habe. Floreſtan ſah es ein, und
am anderen Morgen verkündeten Plakate in Mentone und
Roccabruna, daß die Verfaffung wieder aufgehoben Ter.
Die Einwohner revoltierten jet, und eine Abordnung
ihrer Bürger ging zu den fardinifchen Minifter Cavour
und bat um Annexion der zwei Städte. Diefer lehnte ab,
da Monako nicht dabei fei. Nun erklärten fich die beiden
Städte felbjt für unabhängig, optierten aber etwas fpäter
bei der Annerion von Nizza durch Napoleon III. für Frank:
reih. Sie find auch heute noch franzöfifch.
1856 jtarb Florejtan und hinterließ die Krone feinem
Sohne Karl IL der das Spiel in Monalo einführte.
Diefer Karl III., der als blinder Greis im Jahre 1889
geftorben ift, war zu jener Zeit ein fchöner, ſtolzer Kavalier
mit abenteuerlichen und verfchwenderifchen Launen. Er
liebte e3, in prachtvoller Uniform, umgeben von einem:
fürftlichen Gefolge, zu paradieren. Napoleon III. Taufte
ihm, troß des WPlebifzit3 der Bewohner, nochmal3 Die
1904. VI. 16
%
226 Drannigfaltige®.
ee Ee Ee Ee Ee ED EDDIE ED ED ED ED Ee ee — — Dre
beiden Städte Mentone und Roccabruna um Die Summe
von vier Millionen Franten ab.
Diefer unverhoffte Goldregen Tom dem Fürjten jehr ge-
legen. Set konnte er fich einen Hof halten und fein
Ahnenſchloß wiederherftellen. Aber er hatte auch begriffen,
daß die Einkünfte von einem Dorfe mit 60 Häufern ihm
nie genügend fein würden. Er fchrieb daher an die da—
maligen Spielunternehmer und jchilderte ihnen die Vor:
teile, welche fein Kleines Fürftentum ihnen bieten würde.
Das Kapital jedoch hatte Ten Vertrauen zu ihm, und
es dauerte ziemlich lange, bis er einen Pariſer Kapitalijten
fand, der eë mit dem unternehmung3luftigen Fürften oer:
ſuchen wollte. Er hieß Daval und landete mit einem Kleinen
Bündel Taufendfrantenfcheine.
Aber er machte ein jehr trübes Gefticht, als er das Kleine,
winfelige Städtchen jah, und die Anfänge waren auch recht
ſchwierig. Daval mietete ein Haus gegenüber dem Schloffe.
Es jteht heute noch und dient als Kaferne für die Leib-
garde des Fürften. Ein Saal, der 5 Meter breit und
20 Meter lang war, enthielt zwei Roulettetifche und einen
Tiſch für Trente-et-quarante Zumeilen Tpielte ein feine?
Orchefter im Nebenzimmer. Der Eintritt war frei für
jedermann. Die Croupiers refrutierten fich aus ehemaligen
Kellnern aus Nizza. Als Spieleinheit galten Spielmarfen
von zwei Franken, die man am Eingang an einem Schalter
faufen Tonnte Die Einſätze waren Ten, und wenn Die
Bank fein Geld mehr hatte, hörte man einfach auf. Pie
reichen Spieler, die Gäſte der großen deutfchen Spieljäle
zu Homburg und Baden-Baden, fanden Déi nicht zurecht
in Dieler Umgebung, da auch das Oort Teinerlei Komfort
bot. Die Wirtfchaften waren ſchmutzig, und das einzige
Hotel daſelbſt jah niemals einen Gaſt zum zweiten Male
eintehren. Man mußte fchon von der blindejten Leiden-
Ihaft des Spieles ergriffen fein, um von Nizza aus auf
einem fchlechten Schiffe in diefes Neft zu kommen, wo fein
gutes Glas Bier und fein reinliches Bett zu haben war.
So kam es, daß troß aller Reklame durch ganz Europa
Mannigfaltiges. 2327
EDDIE DREI Ee DD DD DD De DDr Dr ed
das Unternehmen nicht gehen wollte. Daval zog fich bald
zurück.
Aber der Anſtoß war gegeben, und es kam auch gleich
ein neuer Unternehmer, ein Herr Lefebvre, mit dem Gelde
einer Madame Grivois.
Das Spiel begann von neuem, höher und ſolider. Jetzt
waren immer 30,000 Franken in der Bank, und würdige
Snipeftoren überwachten das Ganze. Ferner ging zweimal
am Tage das Dampfichiff Carlo II. nad) Nizza, um Die
Spieler hin und her zu befördern. Der Fürft felbft Tom jede
Woche ein paarmal und febte einige Spielmarfen.
Nach Berlauf einiger Monate hatte man den Weg nod
Monako ſchon beifer finden gelernt: man kam von Marfeille,
von yon, von Genua und Turin. Der Name Monako
Hang im Obre, und die Reifenden fchilderten Das Land in
den ſchönſten Farben. Dann war die franzöfifche Polizei
de3 zweiten Raiferreiches auch unerbittlich gegen bie Hafard-
ſpieler und trieb die reichen Südfranzofen förmlich ins
benachbarte kleine Fürſtentum.
Herr Lefebvre und Madame Grivois merkten, daß das
. Unternehmen ſich ausdehnen müſſe. Sie beſchloſſen alſo,
ein großes Kaſino zu bauen. Monte Carlo erſtand auf den
Felſen.
Auf dem Bauplatze ſtanden drei Hütten. Sie waren in
acht Tagen niedergeriſſen, und dann wurde fieberhaft ge—
baut. Das Bauterrain war ſo billig, daß der damalige
Bürgermeiſter von Monako einem Freunde gegen ein Mahl
von zwölf Gedecken jene Bodenfläche abtrat, auf der das
Hotel Beau-Rivage erbaut iſt. Heute ift der Quadratmeter
davon 800 Mark wert.
Die Grundmauern des Kaſinos ragten eben über die Erde
hervor, als ‘die Direktion Lefebvre-Grivois fich zurüdzog,
um dem eigentlichen Begründer von Monte Carlo, Herrn
Blanc, Pla zu machen.
Das war im April 1868.
Herr Blanc Tom von Homburg, wo cr al3 Spiels
pächter ein Vermögen von 20 Millionen erworben hatte.
298 Mannigfaltiges.
7 en} EDRD-ED ADD De DD
Klein, ſchwächlich, fkrofulds, wie er war, flößte er
erft dann Zutrauen ein, wenn er über Befchäfte redete.
Dann war er übermältigend. Er befaß im höchſten Grade
die Babe, ein folches Unternehmen zu leiten. Vol Sntelli-
genz, begabt mit einer leichten Auffaffungsgabe, über:
ließ er nicht3 dem Zufall, fondern er verließ fich jtet3 auf
feine prompten Entjchlüffe und feine energijche, zielbewußte
Leitung.
Zuerjt zahlte Blanc dem Fürſten 1,700,000 Franken bar
aus. Dann verpflichtete er fih, für 7 Millionen Arbeiten
ausführen zu laffen. Ferner übernahm er die Erneuerung
des Schloſſes und bezahlte die Steuern für alle gegen
wärtigen und zukünftigen Untertanen de3 Fürften.
Von feiner Seite aus bemilligte der Fürſt eine lang:
jährige Konzeftion, die ihm, im Falle eines Bruches, das
Gigentumsrecht über alle® bewegliche und unbemegliche
Vermögen des Unternehmens garantierte. `
Mit einem Schlage ftrömten nun Die Kapitalien nad)
diefem vorher kaum gefannten Fled Erde. Die Baupläbe
stiegen fchwindelhaft im Preife mit jedem Jahr. Elegante
Häufer und große fomfortable Hotels wuchjen aus dem
Boden. Die gärtnerifchen Anlagen wurden mit den feltensten
tropischen Pflanzen Tünjtlerifch geiert,
Der erite Saal, der in Monte Carlo eröffnet wurde, ift
der große viereckige Raum mit orientalifcehem Gepräge, in
dem jeßt die Roulettetiſche ftehen. Er beſtand zuerst allein
und war immer [hmußig wegen der ewigen Maurerarbeiten
um ihn herum.
Nach dem Kriege von 1870 baute Charles Garnier, der
Erbauer der großen Oper in Paris, das Theater. Blanc
ſchoß ihm dafür 5 Millionen vor. Serner erbaute er den
erſten Saal für Trente-et- -quarante mit feinen fchönen Wand:
gemälden.
Die Eifenbahn, welche bereits 1868 eröffnet wurde, garans
tierte Monako definitiv eine glüdliche Zukunft. Sie führte
von Nizza bis Bentimiglia und Eoftete ſchweres Geld, denn fie
zählt auf ihren 18 Kilometer Länge 12 Tunnels. Sie führte
Dannigfaltiges. 229
DD DDr DD DD DE Dre DE DE Dr ED Dr DD ee D
eine jtetig wachjende Zahl von Befuchern herbei, welche
Stammgäjte wurden, und Die fich in jeder Saifon über
neue Schönheiten im Fürftentum- freuten. Die Parkanlagen
waren einfach paradieſiſch, und die Hotel3 und Schlöfjer
klommen wie Adlernefter die Felfen hinan.
Neben der Eifenbahn war auch der Krieg von 1870 ein
Grund diefes unerhörten Auffehwunges. Die Franzoſen blie-
ben den Spielfälen von Homburg und Baden-Baden Ier
Die enormen englifchen und franzdfifchen Kapitalien wandten
fi von den zwei deutfchen Badejtädten nad) Monafo.
Das Unternehmen wuchs ins Kolofjale, und da, hatte Herr
Blanc zwei tüchtige Hilfskräfte an feiner Seite.
Zuerjt jeine Frau, die er von Homburg mitgebracht
hatte und die in der Gegend von Homburg in einer Nieder:
lofiung ausgewanderter franzöſiſcher Hugenotten geboren
war. Sie war, wie man Saat, eine Frau von großer In—
telligenz und Herzensgüte. Mit vollen Händen jchöpfte
He aus dem überquellenden Becher das Gold und trug
e3 den Armen und Elenden mit tröftendem Worte zu. Die
zweite Hilfsfraft war der Kapitän Doineau, den Blanc
zum oberjten Leiter der Arbeiten ernannte. Diejer Kapitän
Doineau genoß unter dem Kaiferreich eine ziemlich traurige
Berühmtheit. Er war Militärbeamter in Algerien gewejen
und hatte wie ein gemeiner Bandit eine Poſt überfallen.
Ein Neifender war getötet, mehrere verwundet worden.
Doineau Tom vor ein Kriegsgericht und wurde zun Tode
verurteilt.
Die wirkliche Wahrheit über den Fall erfuhr man nie.
Er wurde vom Kaifer begnadigt unter der Bedingung, Dot
er Frankreich verlajje. So Tom er nah) Monako. Durch
feine große Gejchäftstlugheit leiftete er Blanc bedeutende
Dienjte. Dazu übte er einen gewaltigen Einfluß auf die
italienischen Arbeiter aus. Doineau leitete alles, trieb alles
vorwärts und wollte Monte Carlo zu einem Zauberichlojje
machen.
Zu feinem Unglüd fiel er eines Tages bei Carlo II. in
Ungnade. Der Fürft war jet nicht mehr der Herrjcher
2330 Dannigfaltiges.
Eeer ee DD ⏑ Dr De Dre DD ren DD ne DD
über 600 Bauern; er war ein fehr reicher Potentat geworden
und regierte in einer berühmten Hauptjtadt. Das Unab-
hängigkeitsgefühl und der Eigenfinn Doineaus beleidigten
ihn. Er entließ ihn alfo und bot ihm 60,000 Franken Ent:
ſchädigung. Doineau wies He ftolz zurüd, Einige Zeit
danach trat Doineau noch. einmal an die Öffentlichkeit, denn
er war der Haupthelfer des Marjchalls Bazaine bei Geen
Entweichung von der Inſel Sainte-Marguerite bei Cannes.
Doineaus Fortgang hielt den Auffchwung nicht auf.
Die Häufer wuchſen auf das franzöfifche Gebiet hinüber.
Auf den Terrafien gingen die Berühmtheiten der ganzen
Welt fpazieren, und im Theater traten die erjten Künftler
und Künftlerinnen der Welt auf.
Keden Morgen brachte die Bank 150,000 Franken an bie
Tiſche für Trente-et-quarante und 80,000 Franken an Die
Roulettetifche mit. Die Bank wurde nie mehr geiprengt.
Wenn nichtS mehr von den 150,000 Franken da war, drüdte
der Partiechef auf eine elektrifche Klingel, und ein neuer
Goldſtrom Top wieder heran.
So ijt e8 geblieben. Die Gemwinneinnahmen des Kafinos
gingen progrefjiv in Die Höhe. Heute haben fie die Summe
von 25 Millionen Franlen erreicht.
Ziele enorme Summe dient dazu, die Voten de3 ganzen
Fürftentums zu bezahlen: Einnahmen des Fürften, Beamten:
gehälter, Dividendengelder u. f. w. Die Aktien jtehen noch
auf der ungeheuren Ziffer von 3500 Franken. Dr. Witry.
Der Fhotographieapparat im Spazierflod. — Seit der
Erfindung der Bromfilbergelatineplatten Tonn man in Tebr
furzer Zeit photographifche Aufnahmen machen; fie laſſen
Déi für den Handel im Borrat anfertigen, und gerade
diefem Umftand hat die Liebhaberphotographie ihren großen
Auffhwung zu danken. Das Mitführen der mit Brom:
filberemulfion überzogenen Glasplatten erwies Déi aber auf
Meilen wegen des beträchtlichen Gewichts und der Zerbrech-
lichfeit der Gläfer Doch al3 jehr unbequem. Das führte zur
Erfindung der fogenannten „Films“, Gmulfionshäuten, bei
denen als Träger für die empfindliche Schicht an Stelle
Mannigfaltiges. 231
DIDI II II
des Glaſes durchfichtige biegfame Häute benußt werden.
In der Regel wird Zelluloid benußt, das die Stärke und
Biegfamkeit von dickem Papier befist und in zugefchnittenen
Blättern verwendet wird, oder man fertigt dünne Kollo-
dium- oder gegerbte
Selatinehäute an,
überzieht ne mit
Bromfilberemulfion
und rollt Te über
Spannrollen, für die
man in den Reife:
apparaten die Roll-
kaſſetten konſtruierte.
Mit Hilfe dieſer
Films hat man es
jetzt glücklich ſo weit
gebracht, in den Griff
eines Spazierſtockes
einen kleinen photo—
graphiſchen Reiſe—
apparat hineinzukon⸗
ſtruieren. Der Griff
hat, wie unſere Illu—
ſtration zeigt, die Form einer Krücke. Im kurzen Ende
derſelben befindet ſich das Objektiv, im eigentlichen Griff
die Rollkaſſette. Auf jeder Rolle befindet ſich Film für
fünfundzwanzig Aufnahmen von der Größe, wie fie unſere
zweite Abbildung, die Photographie eines Seeſchiffs, wie-
dergibt. 9. M.
Mufikalifhe Spitzbuben. — Fortichritt ift die Loſung bei
allen Unternehmungen heutzutage. Ein jeder Menſch, er
mag ein einfacher Handwerker oder ein Fabrikbeſitzer fein,
der über Hunderte von Arbeitern verfügt, ſucht fich in feinem
Fache zu vervolllommnen, um jo mit bejjerem Erfolg feine
Konkurrenten bejiegen zu können. Dies Bejtreben herricht
in allen Schichten und Kreifen der Bevölkerung der Erde
und nicht zum geringiten in den Kreifen der Spitzbuben.
Der Kamera-Spazierstock.
233 Mannigfaltiges.
ID DDr DD ⏑ ⏑ 3
Dieſe Sorte Menſchen, die gegen Recht und Geſetz kämpft,
und auf jede nur mögliche Weiſe ſich das Beſitztum anderer
Leute anzueignen ſucht, wendet geradezu erſtaunliche Mittel
auf, um ihre Zwecke zu erreichen. So wurde kürzlich in
Paris eine Verbrecherbande verhaftet, die ihre Einbrüche
in den vornehmſten Stadtteilen unter den Klängen ganz
vorzüglicher Muſik ausführten. Während ſie vor den Häuſern
ihre Weiſen erklingen ließen, raubten die Spießgeſellen
der Muſiker ungeſtört die leer gewordenen Räumlichkeiten
aus. Der Anführer der Spitbubenbande war ein Staliener
namens Ferrari, der in Neapel Dirigent einer Muſikkapelle
gewejen war. Er engagierte eine Anzahl tüchtiger Muſiker,
die er, in Frack und weiße Binde gekleidet, vor die Türen
der vornehmiten Häufer führte. Durch fein ficheres, ge:
mwandtes Auftreten veranlaßte er den Portier des Haufes,
ihn in den Garten hereinzulafjen, um nicht auf der Straße
fpielen zu müfjen. Dies gelang ihm faft immer, und bald
lockten die Klänge eines ausgezeichnet ausgeführten Konzerts
Die Bewohner des betreffenden Hauſes, Die Dienerfchaft ein-
gefchloffen, an Fenjter und Türen. Die Kapelle fpielte nur
die ausgefuchtejten Stüde und vor allen Dingen längere
Piecen, fo daß den Helferähelfern Zeit genug blieb, die oer:
laffenen Räumlichkeiten einer gründlichen Plünderung zu
unterwerfen. Nach einem vorher genau beſtimmten Zeit-
raum beendete der Kapellmeijter jein Konzert, nahm mit
einer tiefen Verbeugung die gewöhnlich gar nicht gering
bemefjene Belohnung für den bereiteten Ohrenſchmaus ent:
gegen und verfchwand Am Laufe von etwa drei Monaten
fol dieſe Spisbubenbande für mehr al3 60,000 Mark
Schmuckſachen ꝛc. erbeutet haben, dann erjt gelang e3 der
Bolizei, den Zufammenhang zu entdeden und die Bande zu
verhaften.
Ein auf ähnliche Art „arbeitender” Spi5bube war ein
fürzlich in London verhafteter Menjch namen? Bligh. Ein
vorzüglicher Klavierjpieler, hatte er fich mit einem Kumpan,
der ein guter PViolinfpieler war, verbunden, und ein als
Diener auftretender, aber ebenfall3 im Frack, genau wie
Drannigfaltiges. 233
DmRDrD mr ED DD DIDI DD EI AD DD re DD
die beiden Mufifer, gekleideter Spibbube war der dritte
im Bunde. Sie boten jich bei Privatfeftlichleiten als Muſiker
an, und während fie im Salon fpielten, räumte der als
Diener eingeführte Dieb die Juwelenkäſten Der Damen Des
Haufes aus. Die Mufiker fuchten Héi während Dez Konzert3
auch genau über den Schmud der eingeladenen Bäfte Kennt:
ni3 zu verfchaffen, damit fie bei gegebener Gelegenheit auch
wußten, ob es ſich Iohnte, Deren Häufern einen Beſuch abzu-
ſtatten. W. St.
Ein kurioſes Wandgemälde. — Der berühmte Maler
Hogarth in London wurde einjt zu dem fehr reichen, aber
geizigen Lord Leslie gerufen, Damit er die Halle feines neuen
Edelfiges mit einem großen Wandgemälde, den Zug der
Kinder Sfraels durch Note Meer, verfolgt von Pharao
und feinem Heere, darjtellend, ausfchmüde.
Der Maler forderte Hundert Guineen und fagte, al3 ihm
der Lord zwanzig geboten hatte: „Da ich mich in einer
großen Geldflemme befinde, will ich die Arbeit für diefes
Geld übernehmen, doch verlange ich, daß mir der Betrag
im voraus bezahlt wird.”
Er erhielt fogleich das Geld und den Schlüffel zur Halle,
damit er, am nächſten Morgen fein Werk beginnen Tönne.
Kaum war die Sonne aufgegangen, fo erjchien er mit einen:
Anftreicher, Der einen großen Eimer mit ziegelroter Farbe
und einen riefigen Pinjel trug. Noch ehe fich der Lord aus
den Federn erhob, war die Hinterwand der Halle in cin
blutige3 Rot getaucht.
Hogarth prüfte fein Werk, rief Dann den Herru Dez
Haufes und fagte ihm, als er die Halle betrat: „Es ift
fertig!”
„Was ijt fertig?“ fragte der Lord erjtaunt und rief
mit einem Blick auf die vote Wand: „Was ftellt das vor?”
„Das Rote Meer!‘ ſagte Hogarth mit erniter Selbſt—
gefälligfeit. Ä g
„Das Rote Meer?" jtotterte der Nabob, denn er fing
an, Unrat zu wittern. „Aber wo ift denn Pharao? Wo
jind jeine Reiſigen?“ Ä
234 Mannigfaltiges.
ID MD DIESE EBD ED ED DD ED RD EDDIE Dre ed
„Sämtlich ertrunten!“
„Wo aber — zum Kudud! — find die Kinder Iſraels?“
„Die,“ fagte der Maler mit einer artigen VBerbeugung, „Die
haben bereits glücklich daS andere Ufer erreiht!" ©. T.
Gänfekämpfe. — Der Kampf zwifchen Tieren gleicher
Gattung ijt ein Sport, der nicht nur von barbarifchen Völker:
Ichaften gepflegt wird. So betreibt man befanntlich die
Hahnenkämpfe in fait allen füdlichen Ländern, den weit
merkwürdigeren Gänſekampf Dagegen noch in manchen Gegen:
den Rußlands. Ein deutfcher Maler, welcher vor längerer
Zeit das Innere von Rußland bereifte, fand Gelegenheit,
einen folchen Gänfelampf zu jehen.
Er betrat mit feinem Begleiter ein kleines Haus, auf
Delen Flur ihnen ſchon ein wildes Bänjegefchnatter ent:
gegenfchallte. Der Befiter führte fie auf den Hof, wo hinter
Gittertüren die in der Abrichtung begriffenen Gänſe jagen,
welche, jede abgefondert, in einem eigenen Berjchlage nur
mit Safer gefüttert wurden. In einem jtallartigen Raume
war eine freisförmige Erhöhung von vier Fuß angebracht
und ringsum mit einer Bretterwand verjehen; das war die
Bühne, auf welcher die Kampfübungen jtattfanden.
Auf bie Frage des Malers, ob es nicht möglich fei, ihm
eine Probe folcher Kämpfe zu geben, erwiderte Der Bejiber:
„Recht gern, aber dag ift ein Gefchäft! Es könnte leicht
nicht bei der Probe bleiben, und mer jtünde mir dafür, daß
nicht eine die andere umbrächte?“
Der Maler hinterlegte fünfzig Rubel, welche der Befiter
hinnahm, jedoch nur für den Fall, daß beim Kampfe ein Un
glück gefchehe. Fünfzig Rubel fei der Preis für eine noch nicht
völlig abgerichtete Kampfgans, die, weit größer und ftärfer
al3 unfere Gänfe, faft ber Größe und Stärke eines Schwanes
gleichlommen.
Der Befiter brachte nun auf die fich gegenüberliegenden
Seiten der Rampfbahn zwei anfehnliche Gitterkaſten, in
welchen fich Kanıpfgänfe befanden. Eine Gans war chnee-
weiß, die andere hatte ein graues Gefieder. Kaum wurden Die
Gegner einander anfichtig, als fie ihre Wut und Kampfbegier
Dannigfaltiges. 235
durch Aufblafen der Brujtfedern, ein wildes Zuden in den
Flügeln, die fie in dem engen Raume nicht volljtändig aus
zufpannen vermochten, und durch ein eigenartig erflingendes
Stöhnen zu erkennen gaben. Bie Kajten, in denen fie "di
befanden, ftanden auf Rollen, und jo wurden fie eine Zeitlang
gegenfeitig bis auf etwa einen Fuß Entfernung einander St:
gefchoben, bis der Zorn der Tiere aufs äußerfte gereizt war;
dann wurden die Kajten auf ihren urfprüngliden Plab
zurüctgezogen, und bie beiden Vordergitter zu gleicher Zeit
in die Höhe gehoben. Pfeilfchnell ſtürzten bie beiden Kämpfer
heraus, Doch nicht gegeneinander; jeder nahm des anderen
Play ein und fehüttelte und jpreizte das Gefieder, gleich-
fam, um fich ert zum Kampfe zu rüjten; wie Stacdheln jtiegen
die Bruftfedern in Die Höhe, die Augen glühten, und mit
einem heiferen Krächzen erhoben fich beide zugleich, umkreiſten
Die Bahn und ftießen in der Mitte derfelben fo heftig gegen:
einander, Daß beide zurüdtaumelnd zu Boden ftürzten. Aber
raſch erhoben fie ſich wieder und faßten jeder vor feinem
Käfig feiten Fuß. Ein Moment verging jo, in welchem fe
tief Atem jchöpften, dann fchritten fie mit zur Erde gebeugtem
Kopf, mit langgeftredtem Halfe und met ausgebreiteten
Flügeln in großen Kreifen umeinander ber; dieje Kreife
wurden immer enger, Die Köpfe hoben fich mehr und mehr
empor, die Flügel zogen fich ein; auf zwei Fuß Länge nahe
trat der graue Vogel plöglich einen Schritt näher, und den
Hals energiſch ausjtredend, ſtieß er jo heftig mit dem
Schnabel gegen die Bruſt des Gegner3 und bp fo fcharf
zu, Daß, als er den Kopf zurüdzog, die weißen Federn des `
Angegriffenen ringsumber in den Kreis flogen. In dems
felben Augenblicte aber hatte diefer fich emporgerichtet, die
Flügel weit ausgebreitet und mit denfelben einen jo Träf-
tigen Schlag nach dem Angreifer geführt, daß diefer jicht-
lich erbebte; Doch diente Der Schlag nur Dazu, feinen Mut
zu erhöhen, und mit grimmigen Biſſen fielen fich die Kämpfer
nun gegenjeitig an. So währte diefer Kampf mit Schlagen
und Beißen gut zehn Minuten, in denen Die Gegner Héi bald
näherten, bald jcheu einige Schritte voneinander rückwärts
236 Mannigfaltiges.
gie Ae Eeer Ee Ee Ee DD ne DD erde Dede
faumelten, um Déi bom mit neuer Wut wieder anzugreifen;
jest aber drängten fie hart gegeneinander, Bruft war feit
.. gegen Bruft gepreßt, Die Füße ftampften gewaltfam, während
die ausgebreiteten Flügel mit geradezu majeftätifcher Gewalt
aufeinander einjchlugen und einen ſtarken Zugwind in dem
Raume erzeugten, während die Köpfe aufeinander einfuhren
und die Hälfe einander zu umſchlingen bemühten. Nach langem
Hins und Herfchwanfen gelang letzteres Manöver endlich
dem weißen Kämpfer; er riß den ummundenen Hals des
Gegners an Déi, den Leib desjelben zu Boden und warf
Déi über ihn, doch jetzt fprang der Befiger mit einer ſpitzen
Stange auf den Kampfplatz, ſteckte diefe zwifchen Die ums
Ihlungenen Hälfe, ſtemmte fich darauf und ſchlug mit einer
Gerte jo lange auf den weißen Sieger, bis "déi dieſer dem
Gegner entwand und in feinen Käfig floh, der jogleich ge-
Ihlofjen wurde. Der graue Beſiegte aber blieb an dem
Boden fiten, er fchien halb erwürgt zu fein und Tonnte nur
allmählich Luft gewinnen.
Der Befiger unterfuchte nun die Kämpfer. Der graue
Vogel hatte viele Federn verloren, blutete auch aus mehreren
Wunden, Doch war er nicht lebensgefährlich verlett; der
weiße Bogel zeigte nur eine Wunde an der Brujt, welcher
noch immer Blut entfloß, Doch erklärte der Eigentümer,
feine der Wunden fei bedeutend. `
Der Maler fagt in jeiner Schilderung: „Das Schaufpiel
war im höchſten Grade aufregend, und die englifchen Hahnen=
fämpfe find nicht Damit zu vergleichen, da ſie gegen den Gänſe—
fampf etwas Kindifch-Lächerliches haben. Auf meine Frage,
ob er, nad) Art der Hahnenkämpfe, die Füße der Gänfe nicht
bewaffne, erklärte der Befiter, daß das bei Bänfen über-
flüffig und untunlich fei, weil die Gänſe fo große Kraft in
- Den Füßen befäßen, daß, wenn fie fejt die Bruſt des (eg:
ners damit bedrüden, fie ihn zu erſticken im ſtande find; be-
waffnete Füße würden fie auch am Aufſchwingen hindern-
und dadurch den Kampf unintereffanter machen.” C. J.
Gemütvolle Teilnahme. — Der Marihall Mac Mahon
war auf einer Inſpektionsreiſe in einer mittleren Stadt
Mannigfaltiges. | 237
⏑ ED RED ⏑⏑ ⏑ De Dre Dre Dr De
Frankreichs abgeftiegen und wurde in dem Hotel, in welchen
er wohnte, von einer heftigen Krankheit ergriffen. Der
Arzt, den man hinzugezogen, fehüttelte bedenklich den Kopf
und erlaubte dem Patienten unter feinen Umjtänden, feine
Reife fortzufegen.
Eine Dame, welche in demfjelben Hotel wohnte, wollte
eben abreifen, al3 fie die fritifche Lage des Marſchalls er:
fuhr. Sie verfchob fofort ihre Abreife, blieb und erkundigte
Déi mehrmals täglich in angelegentlichiter Ziele nach dem
Batienten. Der Wirt glaubte aus ihren ängftlichen Fragen
zu entnehmen, daß fie den Marfchall genau kenne.
Nach etwa drei Wochen wurde Mac Mahon außer Ge:
fahr erklärt, und dieſe freudige Nahricht auch der Dame
übermittelt. Als diefe erfahren hatte, daß der Marfchall
‚wieder genefen werde, gab fie fofort Befehl, man folle ihr
die Rechnung bringen, da fie die Abſicht habe, noch in der-
felben Nacht abzureifen.
„Ich bin jehr enttäufcht,“ jagte fie zu dem Hotehpirt,
während fie in den Wagen ftieg, „denn ich Hatte mit Be-
ftimmtheit Darauf gerechnet, einmal einem großen militäri:
Iden Begräbnis beimohnen zu können.” GË?
Das Velephon im Dienſte der Forfhung. — Das Tele:
phon hat nicht allein dem gejprochenen Worte eleftrifche
Schwingen verliehen, wie fte der Telegraph dem gefchrie-
benen Buchjtaben ſchon feit längerer Zeit zur Verfügung
Heft, fondern es ut zu einem Hörapparat geworden, mit
welchem man die feinften Tonſchwingungen in ähnlicher
Weiſe hören Ion, wie man im ftande ut, mit dem Mikro:
jfope die kleinſten Dinge zu fehen.
Das Telephon zeigt elektriſche Ströme an, welche auf
die bisherigen Galvanometer wegen ihrer Geringfügigfeit
nicht mehr einwirken. Die Verdichtung des Wafjerdampfes
in der atmosphärischen Luft erzeugt ſchwache Ströme, Die
den: Telephon zugeführt werden, in welchem fie ein eigens
tümliches Geräufch erzeugen, das Ähnlichkeit mit dem Knir—
Iden befitt, da3 man vernimnt, wenn eine Stange Zinn
unmittelbar vor der Ohrmufchel gebogen wird. Während
238 Mannigfaltiges.
DD DD Dr ED Dr DDr Dr Dr Dr Dr Dre Dre De
der Nacht, wenn die Luft ſehr feucht ift, erreichen dieſe
Ströme ihre größte Antenfität. Das Niederfahren von
Blitzen, einerlei ob diefelben nahe oder entfernt find, ijt
ftet3 von einem charakteriſtiſchen Geräufch im Telephon De
gleitet, da3 genau in dem Momente auftritt, in welchem
der Blitz gejehen wird. Man Tann daher im Telephon
das von feinem Donner begleitete Wetterleuchten „hören“
und die eleftrifchen Entladungen eines entfernten Gewitters
mit größter Genauigkeit zählen, zumal das Telephon auch
Entladungen anzeigt, deren Lichtfchein von Wolken bedecdt
wird. Das betreffende Geräufch im Telephon bejteht ges
wöhnlich in einer Art von Kniftern, das Déi aus einer
Tchnellen Reihenfolge elektrifcher Stöße von fehr verfchiedener
Stärke zufammenjest und fich mit dem eines fchwedifchen
Zündholzes vergleichen läßt, dag an der Schachtel gerieben
wird.
Die Gejamtdauer des Kniſterns überjteigt jelten die
Zeit einer halben Sekunde. Zumeilen wird auch nur ein
einzelner eleftrifcher Schlag, wie von der Entladung einer
Leidener Flache, gehört.
Ebenjo wie die elektriſchen Ströme der Atmofphäre,
werden auch die Erdjtröme im Telephon hörbar. Die Er:
Tchütterungen des Bodens, welche in vulfanifchen Gegenden
Störungen der Erdftröme bewirken, find meiſtens fo ſchwach,
daß das unbewaffnete Ohr fie nicht vernimmt, und das
Seismometer, welches Erdjtöße und Schwankungen angibt,
von ihm nicht beunruhigt wird. Dagegen bringt das Mikro:
phon am Telephon die ſchwächſten Erfehütterungen deutlich
zu Gehör, welche die fortwährende Tätigkeit der vulfani-
Iden Kräfte begleiten.
Dem Meteorologen, dem Geologen, dem Phyfiler, Dem
Aftronomen und dem Phyfiologen ift das Telephon bereit3
ein wichtiges Hilfsmittel der Forſchung geworden, und es
fteht noch zu erwarten, daß die durch Delen Apparat er-
möglichte Erweiterung der Grenzen des Gehörs fernerhin
Beranlaffung zu zahlreichen Wahrnehmungen wird, welche
die Erkenntnis der Natur bedeutungspoll fürdern. €. T.
Prannigfaltiges. 239
N N PEN pn m ey en Ee Mee ey TI I FI II)
Das öffuende Dekokt. — Einft war Kardinal Belay,
Delen Arzt der befannte franzöfifche Satiriker Rabelais war,
frank, und an feinem Kranfenbette waren mehrere Ärzte zu
einer Beratung verfammelt. Sie wurden dahin einig, daß
Seiner Eminenz ein öffnendes Dekokt (Abjud) zubereitet
werden müſſe. Rabelais, der mit feinen gelehrten Kollegen
diesmal gar nicht einig war, entfernte fich ſchweigend, Dep
auf dem Hofe ein großes Feuer machen, einen Dreifuß
darüber Dellen und darauf einen Seel voll Waffer jeben.
Dann warf er alle Schlüffel, die er finden fonnte, in den
Keſſel, ang des Koches weiße ode an, ſetzte deſſen Mübe
auf, und dann rührte er mit einem Stode die Schlüffel
energifch Durcheinander, al3 wolle er fie zum Kochen bringen.
AS feine Kollegen auf den Hof kamen und feine fonder:
bare Hantierung fahen, fragten He ihn verwundert nach
dem Grund derjelben.
„Meine Herren,” jagte er, „ich folge nur Ihrem melen
Beichluß, und ich weiß nichts, was befjer zum Öffnen dienen
kann, al3 die Schlüffel!”
Glücklicherweiſe wurde der Kardinal auch ohne „Öffnen
des Dekokt“ gefund. ` G T.
Wo man Langeweile — fernt. — Sm Verlaufe
einer lebhaften Unterhaltung Friedrichs des Großen mit
d'Alembert und Lord Marſchall kam man auch auf die
Langeweile zu ſprechen, und der König äußerte, er habe
noch nie eine zutreffende Erklärung von dieſem Übel er:
halten können. Bielleicht vermöge einer Der Herren eine
folche zu liefern.
„Ebenfowenig wie Eure Majeftät,” gab D’Alembert zur
Antwort, „find wir, Mylord und ich, mit diefer Krankheit
vertraut. Aber Eure Majeftät würde am leichtejten zu
einer genauen Kenntnis derfelben gelangen können.”
„And wodurch?” fragte Friedrich.
„Wenn Majejtät die beabfichtigte Reife an die europäi-
fhen Höfe ausführen,” verſetzte D’Alembert, „jo werden
Sie der Langemeile ficherlich fo oft begegnen, daß Sie fie
bald ganz genau fennen werden.“ e W.
240 Drannigfaltiges.
ee ee e Dr ED Dr ED ED DE Dr ED ED ED Dre Dr eD ED red
Gin Ball der Sunde. — Der Graf von Morny, Der
Halbhruder Napoleons III., galt für einen der elegantejten
Kavaliere am Parifer Hofe, und deshalb Hatte ihm aud)
die Gräfin Somoilow, die fich durch ihre Leidenfchaft für
Mufit und für Hunde einen Namen gemacht hatte, Die
Hand gereicht. Eines Tages gab fie einen Ball für Hunde.
Ihre ſechs eigenen King Charles-Hunde bildeten den Mittel:
punkt, um den ſich bie übrigen Vierbeiner, die eines be-
fonderen Rufes genofjen, eingefunden hatten. Yeder Ein-
geladene hatte die Befugnis, feinen Befiger mitzubringen.
Man gab den Tieren eine Mahlzeit und verfchönerte diefe
noch dadurch, daß am Schluffe derfelben ein Ball dreffterter
Hunde jtattfand.
Plößlich aber entitand ein großer Tumult; die Gräfin
Somoilow jchrie laut auf und ftürzte fich auf eine Bull
Dogge, Die eben einen ihrer Kings Charles-Hunde ab—
gewürgt hatte. Das war das Ende des Hundeballd. ez
Die enttäufhte Kleine. — Als Lord Roſeberry nad
Amerika fuhr, um die jtaatlichen Einrichtungen der Ber:
einigten Staaten kennen zu lernen, wurde ihm zu Ehren
in New dort ein großes Gaftmahl veranftaltet. Dieſem
wohnte auch die zehnjährige Tochter eines feiner ameri-
fanifchen Freunde bei.
Das Kind jtarrte den Fremden eine ganze Weile neu⸗
gierig an, dann wandte es ſich an ihn mit der Frage:
„Sind Sie wirklich ein engliſcher Lord?“
„Ja, mein Kind,“ verſetzte Roſeberry.
„Ich habe mir oft gewünſcht, einen echten engliſchen
Lord zu ſehen,“ fuhr die Kleine fort.
„Na, und ijetzt but Du wohl nun endlich zufrieden?“
fiel Roſeberry lachend ein.
„Nein, jetzt bin ich recht enttäuſcht,“ lautete die Ant—
wort. mn.
Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von
Theodor Freund in Stuttgart,
in Oſterreich-Ungarn verantwortlich Dr. Ernit Berles in Wien.
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