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Full text of "Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens 1910, Band 13"

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Ankündi un en aller Art, soweit sich dieselben zur Aufnahme eignen, gelangen 
9 g zum Preise von Mm. 1,— für die gespaltene Nonpareillezeile zum 

Abdruck. Aufträge auf ganze und halbe Seiten nach Uereinbarung. Annahme von Anzeigen 
durch die Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig, 












Union Deutſche Derlagsgefellichaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig. 


. Die Eroberung der Luft. 
Ein Handbuch der Luftſchiffahrt und Flugtechnik. 
Vista Mr N Arrans Nach den neueften Er- 











j — indungen und Er— 

antrmalırman.nz Äh, / fin Ä 
— = Haar fahrungen gemeinver- 
7 er — Kin ſtändlich dargeftellt 





sprach Mn WE Apeierm von hervorragenden 
— * — get Yılkı euneggpz Sachmännern, 
Min lege Mit einem Geleitwortdes 


Ar Grafen Zeppelin in Fat- 


. Yarıı fimile, 314 Abbildungen 
af 7 DR undeinem farbigen Zitel- 
Ser ALP. — bild. 
| 7 Eleg. gebunden 6 Mark. 
ö— — — — — 


Das Zeppelinbuch 


für die deutſche Jugend. 


107 Seiten Text mit 15 Abbildungen. 
In ſteifem Umſchlag brofchiert. Preis 1 Mark, 


Mit diefem Bude bieten wir dem deutſchen Volke, insbeſondere der 
Jugend, ein Q 






































Anfängen an big 
Tage. Das „Zeppelinbuch“ erzählt nicht allein vom Grafen Zeppelin als Mann 
der Tat und als Erfinder, ſondern es rückt auch die vorbildlichen Charakter⸗ 
eigenſchaften, die treue Geſinnung, die Ausdauer und Vaterlandsliebe dieſes 

deutſchen Mannes als leuchtendes Beiſpiel für die Jugend in helles Licht. 








—— 3u baben in allen Buhhandinngen. — 





Union Deutihe Derlagsgejellihaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig. 
Ein bewährtes Volks- und Familienbuch: 


< as Buch vom gefunden 


und kranken Menjchen. 
Bon Dr. C. E. Bock, 


weiland Profeſſor der patholog. Anatomie in Leipzig. 
Siebzehnte, volljtändig umgearbeitete 
= und vermehrte Auflage. ao 


Neu bearbeitet von . 


Medizinalrat Dr. W. Kamerer. 
Mit 145 Abbildungen und 6 mebhrfarbigen Tafeln. 
An feinem Halbfranzband 8 Mare. 


... Es iſt eine ftaunenerregende Leiltung, die uns in diefem beinahe 
1000 Seiten ftarfen Werke geboten wird, ein wahres Univerjallerifon, das 
auf jede Yrage eine Antwort gibt, und wir müffen zugeſtehen, daß dieje 
Antwort ftetS gründlich und bei aller Berftändlichkeit in vornehm wijjen= 
Ichaftliher Art gegeben wird. Eine feine Bejonnenheit liegt über der 
gunzen Darftellung; fo wird fie in geradezu gläns 
BeBTer Weife felbit jo ichwieriger Kapitel Herr, wie ER 

erjenigen über die Proititution, jo bietet fie gol— — 
dene Lehren über Ehe und über Erziehung, — ſo 
weiß ſie eindringlich vor Pfuſchern und Homöopathie 
zu warnen und über „Naturheilung“ aufzutlären. 
Genug, das Bock-Buch 

ift ein Hervorragendeß, 
in reidhiter Erfahrung 
gereiftes, durchaus mıo- 
dernes Wert, daß die 
Aufmertiamfeit der 
Ürztewelt verdient. 
(Died. Wochenſchrift.) 


Sn meisterbafter 
u. umfaſſendſter Weije 
wird in diefem Werfe 
die gejamte Heilkunde 
nach dem heutigen 
Standeder®ifjfenichaft N 
gemeinverjtändlich ge- 
madt. — Bod3 Bud 
vom gejunden u. Frans 
fen Menſchen darf als 
ein allzeit bewährter 
Ratgeber in gejunden / 
Tagen und als ein / 
treuer Helfer im der 
Not bezeichnet werden. 
(Frantf. Journal.) 















— Zu haben in allen Buchhandlungen. — 


Twin Citiss Campus 





* 


8 
en —— 


—* 


Bibliothek der | 
Unterhaltung 








Zu der Erzählung „Die Dame in Schwarz” von B. Birkenau. 
(©. 79) 
HSriginalzeichnung von J. Mukarovsky. 


ibliothef der o 
Unterhaltung 
und Des Willens 








Mit Original-Beiträgen der 
bervorragenditen Schriftiteller 
und Gelehrten 
jowie zahlreichen Zllujtrationen 














Sahrgang 1910. Dreizehnter Band 





Union Deutſche Verlagsgeſellſchaft 
:: Stuttgart, Berlin, Leipzig 


Druck der 


Union Deutfhe' 


Verlagsgefellfhaft 
in Stuttgart 


wiL5s, cs 
ARR Tlbo-| 





Snhalts-Berzeichnis. 


Seite 
Die Siegerin. Roman von Elſe Höffer (Fortſetzung 
und Schlußßß....... 
Die Dame in Schwarz. Ein Eiſenbahnabenteuer 
von B. Birkenaaauau772 
Mit Bildern von J. Mukarovsky. 


Das Erwachen Aliens, Bon Eh. Seelmann . . 85 
Mit 7 Bildern. 


Ein tapferes Mädel. Novelle von W. Harb . . 100 i 
Moderne Brunnenanlagen, Don P. Richter . 151 
Mit 7 Bildern. e 
Patenſchaft. Humoreste von C. Camill . . . . 159 
Auf Wache. Bon Loth, Brentendorff . . . . . 178 
Mit 15 Bildern. 
Das Blut als Zeuge. Don €. E. Weber . . . 201 
Mit 6 Bilden | 
Mannigfaltiges: | 
Prozeß und Hinrihtung im Zahre 1765 . . . 207 
Neue Erfindungen: 
I, Reifehängematte . . . 2 2 2 22... a 
Mit 3 Bildern. | 


II, Moderner Bratapparat für Gasheisung . . 213 
Mit Bild. 


Die bezahlte Chuld . . . 2 2 2 23.95 
Das man alles verfihern fanın. . 2 2 2 22.216 
Kameradſchaftlich... 0 0 0... 218 


Moderne Küftenbefeftigungen - « » 2 2...29 
Mit 2 Bildern. 


Ein Luftreiteer. iO 


Inhalts · Verzeichnis. a 





Ceite 
Ein Trunkenbold auf dem Hühnerhofe . . . . 222 
Seltjame Geräufhe und Erfheinungen . . . . 225 
Raffaelfhe Tapeten 2 2 0 nenn. 228 


Ein Baumftll . 2 0 nn 22909 
Mit Bild. | 


Ein originellee Sammler . . x 2 2 2 2000. 231 
Falſch aufgefaft.. 8232 
Der König der Friſeurer.. 232 
Eiſenhaltige Nahrungsmittee.. 2 202. 233 


Ein neues Reittoftüm für Damen. . 2 ....236 
Mit Bild. ; 


Der eigenfinnige List . » : 0 0. 

Die Tragkraft des Hate . 2. 2. 20. 
König Eduard als Rlubmitglied . . . 2... 
Das Tönnchen . . 4330 
Die Sprechſtunde der Geifter Br Be ar 6: 280 
Ein guter Rt. onen nn. 240 


888 








Die Siegerin. 


Roman von Elje Höffer. 


oo 
(Fortfekung und Schluß.) Nachdruck verboten.) 


Cinundzwanzigites Rapitel, 
artwig jchrieb an Erika einen langen Brief, 
H aber er erhielt ihn uneröffnet wieder. Sie 
ſchrieb ihm dazu mit ihrer klaren, feſten 
me] Schrift: „Heinz, laß mich aus Deinem 
Zeben gehen, gib mich frei! Sch weiß, daß ih Dir 
unendlich wehe tue, aber ich kann nicht anders; glaube 
mir, Heinz, mich felbjt verwunde ich noch tiefer. 
Und doch will ih das Dafein tapfer weitertragen — 
tue Du es auch. In Dir ftedt fo viel Starkes und 
Füchtiges, das auch ohne mich gedeiht, Ah, warum 
bin ich fo feige, warum fchreibe ich Dir folch einen 
ſchwächlichen Abfchiedsbrief! Einmal will ich offen 
fein, Du follft wiſſen, daß ich innerlich zugrunde gebe, 
wie Du zugrunde gebjt. Aber laß mich — ich flebe 
Dich an, laß mich! "Heinz, tritt nie mehr vor mich hin, 
Du machſt es mir fonft zu ſchwer, und es iſt doch 
zwedlos. . Du kannjt-mich nicht wantend machen, ich 
bin feſt entjchloffen. Es gibt nur diefen einen Weg, 
und unjer Glüd muß ſterben. Wenn ich kann, will ich 
aufhören, Dich zu lieben —“ 
Hartwig drüdte die geballte Fauft auf den Brief, 
„Den Grund will ih wijfen, den Grund!“ — 
Erika verlebte die Tage wie in Betäubung. Seit 


6 | Die Giegerin. oO 
Wengern den eriten Ruß auf ihren Mund gedrüdt 
hatte, war es wie eine Erfchlaffung über fie getommen, 
Eine Lähmung legte fih über ihre Gedanken und 
Empfindungen. Eine wilde Empörung wollte fich 
manchmal gegen feine Zärtlichkeit in ihr aufbäumen, 
aber ihr eiferner Wille zwang fie nieder. „Er hat mich 
getauft, ih muß die anderen retten!“ Und regungslos 
lag fie in feinen Armen, wenn feine beißen Lippen 
ihren kalten Mund fuchten. Nur der Ekel brannte und 
tab, und in ihrem zerftörten Herzen wucherte immer 
mächtiger der Haß gegen den, der das verfchuldet. 

Wenn Hans ins Zimmer trat, fühlte fie, daß fie 
blaß wurde, fo ftark ftieg der Haß in ihr empor, Gie 
ſprach niemals mit ihm, antwortete nie auf feine 
Fragen. Sie wollte ihn vergefjen, aber der Haß ftellte 
ihn mitten in ihr Empfindungsleben, Wenn er fich im 
Zimmer befand, dann folgte fie feinen Bewegungen 
mit funtelnden Bliden. „Du — du biſt ſchuld!“ dachte 
lie, „Nie fomme ich darüber hinweg — nie! Er bat 
mir ein Glüd genommen, das groß und Stark war, und 
ih muß dafür ein Leben nehmen in entehrender 
Schmad. Ab, vor den Menſchen, vor der Gefellfchaft 
bin ich nicht entehrt, die wird fich por mir verbeugen, 
mich umfchmeicheln, aber vor mir felbit, vor den wenigen 
anftändigen Menſchen, da bin ich eine Ehrloſe! Wer 
einem Manne angehört ohne Liebe, it eine Dirne. 
Mag fie auf der Gaſſe oder auf einem Schloſſe leben. 
Zu diefem Leben zwingt er mich! Ich haſſe ihn, ich 
hafje ihn, ih —“ 

Sie lag mit geſchloſſenen Augen in einem Seſſel. 
Sie hörte nicht auf Wengerns Unterhaltung, der mit 
dem Bruder ſprach. „Rann ich es denn überhaupt tun? 
Rann ich mich ſelbſt in den Schmuß ziehen? Nein, ich 
tu’ es nicht, ich kann nicht, ich will nicht, mag fommen, 


s' Roman von Elfe Höffer. 7 
was will! Wenn er ins Zuchthaus fommt, fo hat er es 
verdient!“ 

Da hörte fie nebenan der Mutter leiſe, kummervolle 
Stimme, Irmgards weiches Organ antwortete, und 
vom Garten her ſchollen die hellen Rufe der Beinen 
Brüder, 

Die traf es! Diefe vier Menfchen mußten vernichtet 

werden, wenn fie glüdlih. werden wollte Glücklich? 
Ronnte fie das überhaupt noch werden? Das war doc) 
nun auch vorbei. Mit folher Gewiſſenslaſt wurde fie 
niemals glüdlich. 

Sie hörte auf Die Stimmen der beiden Herren, 
auf die leife, klangloſe des Bruders, auf die behagliche, 
ſatte Wengerns. Wie fie fehon dieſe beiden Stimmen 
verabſcheute! Eiskalt kroch es ihr zum Herzen. | 

Da Stand Wengern leiſe auf und beugte fich nedend 
zu ihr nieder, Er preßte ſeine Lippen — auf 
ihren Mund. 

„Mein Dornröschen!“ | 

Sie zudte zufammen und jtieß ihn zurüd mit einer 
starten unwilltürlichen Bewegung. 

Er wurde dunkelrot und biß ſich auf die Lippen. 
„Verzeihung,“ murmelte er, „ich habe dich erſchreckt. 
Oder magſt du Zärtlichkeiten vor Zuſchauern nicht?“ 
Er ſah zögernd auf Hans. 

Der hielt jih lachend die Augen zu. „Aber Herr- 
Ihaften, geniert euch nicht! Ich kann verliebte Leute 
wahrhaftig verjtehen!“ Er lachte vieljagend, 

Erika zitterte vor Empörung. Gie erhob fich heftig. 
„Du weißt, daß von Derliebtheit nicht die Rede ilt, 
wenigjtens bei mir nicht. Den anderen müffen wir ja 
die Romödie der glüdlichen Verlobung vorjpielen, 
Wenn wir aber unter uns find, brauchen wir die er- 
bärmlihe Maste nicht mehr!“ Ihr Geficht war. toten- 


8 Die Giegerin. 0 








blaß, fie Sprach langjam und fait. „Wir alle drei willen, 
wie diefe Verlobung zuftande getommen iſt. Wozu 
da die läherlihe Romödie? Du haft deine Fa— 
milie in Shmahb und Schande geftürzt, und ich 
fudhe fie zu retten mit dem Einſatz meines perfön- 
lihen Glückes. Wengern kauft mid. Von meinem 
perjönlichen Gefühl war bei dem ganzen Schacher 
nicht die Rede, das bat auch abfolut nichts damit 
zu tun.“ Sie trat diht an Hans heran, und ihre 
Augen ſprühten ihm entgegen. „Dich aber veradte 
ih — fo tief, wie ich dich früher geliebt habe. Du biſt 
für mich der jämmerlihfte Menſch auf Erden. Und 
ich ftelle die Bedingung, daß du niemals die Schwelle 
unferes Haufes betrittft — ich kann deinen Anblid 
nicht ertragen.“ 

“ Hans ftand mit fahlem Gefiht vor ihr. Seine 
Augen fladerten. „Du gebit fehr weit, liebe Erika —“ 

Sie zudte verächtlich die Schultern. „Ich rechne 
nur ab.“ 

„Du biſt noch krant,“ fagte Hans milde, dann ging 
er zur Tür hinaus. 

Wengern ſaß mit geballten Zäuften, feine Augen 
hatten einen wilden Raubtierblick. Er ſah ftarr auf 
Erika. Seine Lippen bewegten fich lautlos. „Soll ich 
mic) auf fie ſtürzen und fie küſſen? Sie fiebt fo hinreißend 
Ihön aus in ihrem Zorn. — Soll ich ihr zeigen, Daß 
ih ihr Herr bin, daß fie mir gehorchen muß? Soll ich 
janft fein und zart?“ Er rang fhwer mit fid, und 
feine Augen ließen nicht ab von dem blafjen, kalten 
Geſicht. | 

Erita dachte: „Wenn er mich jeßt noch heiraten 
will, dann iſt er ein Elender!“ 

Da fühlte fie feine Hand auf ihrem Arm. Sie 
öffnete die Augen, Wengern lag auf den Rnieen vor 


D | Roman von Elfe Höffer. 9 





ihr, ſeine Blicke glühten zu ihr auf in einer verzehrenden 
Leidenſchaft. Er drückte ihre Hand an ſeine Bruſt. 
„Erika, du vergißt bei allem, daß ich dich liebe, wahn- 
finnig liebe —“ 

Sie erihrat vor feiner Leidenſchaft und ſagte: 
„Wenn du mid nicht liebteft, wäre es beſſer für uns 
beide. Dann wäre eine Verſtandesehe denkbar, wir 
fönnten nebeneinander leben als gute Rameraden, 
wir —“ 

Er preßte ihre Hand. „Eine Derftandesehe?“ Ein 
Lächeln verzog feinen Mund. „Zc liebe dich mit meiner 
ganzen Leidenfchaft und — und ich werde dich zwingen. 
— Rein, Erika, verzeih mir, ich will um deine Liebe 
‘werben, du folljt lernen, mic) zu lieben, Erita!“ 

Sie richtete fih auf. „Bitte, ſtehe auf!“ 

Er ftand gehorſam auf und feßte fich neben fie hin. 
Er nahm ihre Hand und ftreichelte fie. „Sieh, Erika, 
was weiß denn ſolch ein kleines, dummes Mädel von 
Liebe! Das träumt fih etwas zufammen, und ich 
weiß ja, daß ich kein Traumheld bin. Straumbelden 
find nicht did und haben fein rotes Geſicht, -Traum- 
beiden lieben Iyrifjh mit Verſen und Seufzern, und 
id — ich liebe anders.“ Seine Stimme wurde wieder 
belegt. „Aber du wirft lernen, diefe Art Liebe auch 
zu veritehen, es wird dir gehen, wie es vielen Heinen 
Mädchen geht: du wirft zuerft erfchreden, dann wirft 

du Ihon Feuer fangen, Du kennſt eben die Liebe 
nicht —“ 

„Nein, diefe Art nicht!“ fagte fie kalt. Was wollte 
Diejfer Menſch von ihr? Warum redete er fo finnlofes 
Zeug? Sie liebte keinen Traumbhelden, fondern einen 
tlaren, geraden, fejten Mann, in deſſen Hand fie gläubig 
ihr Schidfal gelegt hätte, und fie hätte gewußt, er führte 
es gut, — „Heinz,“ flüfterte fie leiſe. 


10 Die Siegerin. 0 


„Sagteit du etwas?“ fragte Wengern. 

„Nein!“ fagte fie jchroff, und ihr eiferner Wille 
zwang das wilde Herz nieder, 

Er beugte ſich wieder vertraulich über fie. „Siehſt 
du, Erika, die Männer täufchen das den Mädchen vor, 
weil fie wiffen, daß diefe Art Liebe ihnen gefällt. Aber 
fie lügen alle. Im letzten Grunde begehrt der Mann 
nur das Weib, alles andere ift Mittel zum YZwed. 
Glaube mir.“ | 

Erika rührte fih niht. Sie dachte nur: „Ich weiß 
jest, was auf mich wartet.“ 

„And daß ich Dich fo erobert. habe, Erika — ich gebe 
ja zu, ſchön ift es nicht gewefen, und es wäre mir auch 
lieber gewefen, du hätteſt damals gleich zugefagt, dann 
wäre alles anders gekommen — aber ich mußte dich 
haben, Erika, begreifit du das niht?“ Er bededte ihre 
Hand mit brennenden Küſſen. „Noch zwei Tage, dann 
bift du mein!“ flüfterte er dicht an ihrem Ohr. 

„Wäre ich nur tot!“ dachte Erika. „Dies Leben iſt 
ichlimmer als die Hölle.“ — | 

Erita wurde immer einfamer, Sie fühlte, daß die 
Mutter ihr fremd und verftändnislos gegenüberjtand, 
und doch konnte fie fich nicht mit ihr aussprechen, fie 
mußte über ihr Schidjal ſchweigen. Nur fo konnte 
fie das Opfer bringen, die anderen durften nichts 
ahnen. 

Zrmgard war ſcheu und gedrüdt, ein Sculd- 
bewußtfein lajtete auf ihr, fie kämpfte gegen ihre Liebe 
zu Hartwig, und doch konnte fie es der Schwefter nicht 
verzeihen, daß fie ihn aufgegeben um eines anderen 
willen. Er litt ja fo ſehr, fie hatte es gefehen, und fie 
hatte nur den einen Wunſch gehabt: wenn er nur 
glüdlih wäre, dann wollte fie entjagen lernen, Aber 
nur Erita konnte ihn glüdlih machen, und die wählte 


n Roman von Elfe Höffer, 11 





einen anderen, einen reichen! Erika, zu der fie jtets 
aufgejehen hatte, die verkaufte fich ! 

Erita ſah Irmgards kalten Blid, Sie veritand 
auch das höhnifche Lächeln um Ernfts Mund, wenn 
Wengern ih über fie beugte. Dies Lächeln hieß: 
„Weißt du noch, wie dich der Abſcheu gejchüttelt Hat? 
. Weißt du noch, wie du über ihn gelacht haft? Damals 
veritanden wir dich alle, und jetzt verjteht dich niemand, 
Zebt gehörft du gar nicht mehr zu uns.“ 

„Sie verachten mich alle!“ Erika fühlte es täglich 
tlarer, und die Bitterkeit ftieg oft noch über den Schmerz. 
„ah muß auch diefes tragen. Sie wiljen ja nicht, 
welches der Grund ift, fie fehen nur die Oberfläche. 
Ich bin ganz allein, So einfam, wie ein Menſch nur 
fein kann. Und ich habe folh einen Reichtum gehabt!“ 

Es war am Abend vor ihrer Hochzeit. Ein ftiller, 
feierliher Sommerabend. Die Natur atmete goldenen 
Frieden. Erika ging langfam dur den Park und nahm 
Abſchied. Sie hatte fich jede laute Feier verbeten. 
Die Trauung follte morgen früb in aller Stille ftatt- 
finden. Gleich nah Mittag wollten fie abreifen, 

Mengern war mit ihren Wünjchen einverjtanden, 
Die Trauer: verbot ja doch eine glanzpolle Feier, wie 
fie nad feinem Gefchmad gewejen wäre, Aber er 
hatte fih eine große Reife ausgebeten. Er wollte 
feiner jungen rau alle eleganten Städte, Sportpläße 
und Bäder zeigen, in denen er bisher fein Leben ver- 
bracht hatte, | 

Erika hatte gleichgültig genidt. Cs war ihr ganz 
einerlei, ob fie nach Cannes oder nah Rom reiſten. 
Sie vergaß die Reifepläne immer wieder, 

Zetzt ging fie ganz langjam durch den alten, dunklen 
Part, den fie feit ihrer Kindheit fo ſehr geliebt hatte, 


12 Die Siegerin. o 





Die Bäume über ihr raunten leife, und fie horchte 
hinauf, ihre Augen. brannten, „Sch werde täglich 
Sehnſucht haben,“ jagte fie leife. „Wohin ih auch 
komme, felbjt in den märchenhafteiten Gegenden wird 
fih mein Herz nah diefen Riefernwipfeln fehnen, 
nach dieſer weiten Fläche. — Meine Heimat! Pich 
kann ich liebhaben, wenn alle anderen mich auch ver- 
achten. Die andere Liebe meines Lebens muß ich ja 
aus meinem Herzen reißen. Dich aber kann ich liebhaben, 
ohne meinen Treueid zu brechen.“ 

And fie dachte an das weiße Papier, auf das fie 
heute morgen mit ruhiger Hand ihren Namen gefekt 
hatte. Sie war nun feine Frau vor dem Gefeb, fie 
mußte ihm die Treue halten, Aber die Heimat, die 
durfte fie lieben, der durfte fie ihr ftarkes Gefühl geben. 

Mit weicher Hand ftrich fie über den Riefernftamm 
und über die kühlen grünen Blätter der Büſche. Gie 
ſtand auf der hellen Birktenbrüde und ſah auf den 
blintenden Weiher, über deſſen Grund belle Fiſche 


ſchoſſen. „Jane! — — Auch ein Menfch, den ich ver- 
loren habe, Auch ein Stüd Leben — das weit zurüd- 
liegt!“ | 


Dann ging fie über den braunen rijjigen Feldweg 
und ihre Blick hufchte über den Boden, als fuche er des 
Rappen fchmalen Huf. Den Weg war fie oft geritten 
in banger, pochender Erwartung, in jubelnder Gewiß- 
heit und dann in tödlicher Verzweiflung. Drüben 
war der Waldfaum, da hatte er fie geküßt und leife 
in ihr Ohr gejagt: „Meine Heimat bift du!“ Sie fühlte, 
wie ihr das Blut zum Herzen ftrömte. Sie hob den 
Ropf, fie durfte ja nicht mehr an ihn denken. Und doch 
wollte fie es befennen bis zu ihrem Tode: dies war 
der jeligite Augenblid gewefen, den fie gelebt. 

Sie ging zurüd, Sie wollte auf den Kirchhof zum 


0 Roman von Elfe Höffer, 13 





Dater, Sie ging raſcher. Port konnte fie vielleicht 
weinen, dort löfte fich wohl der entfeglihe Drud. Port 
war fie ihm näber, und fie wußte dort vielleicht, wie er 
heute zu ihr geſprochen haben würde, 

Sie fchüttelte den Ropf. Wenn der Vater gelebt 
hätte, würde er fie Mar und ftreng angefehen haben, 
und vor diefen Augen wäre die Maske gefallen. Und 
fie wußte, er hätte den morjchen Aſt abgefchlagen, er 
hätte die Schande getragen, aber die Opferung feines 
Kindes hätte er niemals geduldet. 

Die eiferne Pforte Hang, Sie ging zwifchen den 
ſchlichten Gräbern hindurh zum Grab des Daters, 
das ſich einfach und anjpruchslos, wie er es gewollt, 
an die lange Reihe fchloß. 

Sie fette fi nieder und ſah auf die braune Erde, 
die unter der Hiße troden brödelte. Nur um die 
Blumenftauden waren dunkle, feuchte Ringe. 

Erika legte die Hand auf das Grab, fie fchloß die 
Augen, und fie fammelte ihre Gedanken, um mit aller 
Kraft und Glut ihres Herzens an den geliebten Vater 
zu denten. | 

„Dater, ich bin ganz verlaffen! Dater, ich weiß 
nicht, ob ich ſtark genug bin, mich zu halten! Aber 
ih will es verfuhen — troß allem! Zroß allem! Sch 
will gegen alles Häßliche, was an mich herantriechen 
wird, kämpfen, ich will anftändig und wahr bleiben, 
jo wie du es gewollt haft. Und wenn ich zufammen- 
breche unter der Laft, dann will ich aufftehen und mich 
weiterjchleppen, ich will nicht Hein und feige werden, 
Und wenn es jo ſchwer ift, will ich denken, daß es ſüß 
ift, Opfer zu bringen, und daß es ſtolz madt, wenn 
man fie fchweigend bringt,“ Sie beugte fich nieder 
und küßte die Blumen, „Sei bei mir, fei bei mit, 
Vater! Ich bin ja ganz allein!“ 


14 | Die Siegerin. " 





Das war wie ein Aufichrei, und die Tränen drangen 
empor und löften den fchweren Drud, 

Sie weinte lange, 

Der Abend verglühte am Horizont, und die Spmmer- 
naht dämmerte herauf. 

Da fühlte fie auf ihrer Schulter eine bebende Hand, 
„Erika!“ 

Sie ſprang auf, taumelte in ſeine Arme. 

„Heinz!“ Für einen Augenblid verſank alles Leid. 

Dann riß fie fich los. Als flüchte fie vor ihm, eilte 
fie auf die andere Seite des Grabes. Sie zitterte 
und fah ihn angſtvoll an. | 

„Heinz, geb, jprich nicht, ih fürchte mid vor Dir, 
vor deiner Stimme, vor deinen Augen! Geb, Heinz, 
lieber Heinz — ich bitte dich!“ 

Er fchüttelte den Ropf, feine Augen ſahen gramvoll 
aus dem bleihen Geſicht. „Nein, ich gehe nicht. Du 
vernichteft mich, und ich will wilfen warum, Ich 
wartete bier täglih auf Dich, denn ich wußte, eumal 
würdeft du fommen.“ 

Sränen traten in feine Augen und liefen langfaın 
über feine Wangen. 

Erika erſchrak bis ins Herz. „Being! a ſah ihn 
flehend an. 

„Erika, haſt du mich denn nicht mehr liebꝰ⸗ 

Ein dumpfes Achzen antwortete ihm. 

Da ſprang er über das Grab und faßte ihr Hand- 
gelent, „Du haft mich lieb, leugne es nicht! Und du 
heirateft einen anderen, Weißt du, was folch eine 
Frau ift?“ Dann wurde feine Stimme ganz weich 
und zart, „Erika, niht einen Augenblid habe ich den 
Glauben an dich verloren, Ich habe gewußt, daß dich 
nur ein zwingender Grund beitimmen fonnte, Ach, 
manchmal famen wilde, tüdifche Gedanken und wollten 


Do Roman von Elje Höffer. 15 





dich anklagen und anjchwärzen, aber ich habe nicht 
gewantt! Sch habe nur vor Sehnjuht nad) dir gezittert 
und mich gebäumt in Qual, Die Eiferfuht hat mich 
faft wahnfinnig gemacht, wenn ich date: Nun küßt 
fie der andere! Und warum dies alles — Erika, 
warum?“ 

Sie legte die Hand vor die Augen. „Ich darf dich 
nicht ſehen, ich darf dich nicht hören,“ murmelte fie. 

„Erita, gib mir nur einen Funken Hoffnung, und 
ich entreiße di ihm! Erlaube es mir, es foll mir nichts 
unmöglich fein.“ 

Da fah ihn Erika ſtarr an. „Das ift zu fpät, ich bin 
bereits feine Frau.“ 

Er wantte zurüd, fein Geficht verzerrte ſich. Dann 
fant er auf den frifhen Grabhügel und preßte die 
Stirn in die Hände. Seine Schultern zudten, wie ein 
Rrampf ging es durch feine Glieder. Er gab keinen 
Zaut von fih, es war, als hätte ein brutaler Schlag 
ihn niedergefchmettert. 

Erita ſah mit verzweifelten Augen auf ihn. Sie 
rang die Hände, jeder Blutstropfen trieb fie zu ihm, 
Aber fie durfte ja nicht! 

Und dann war es, als endete eine veine, fieghafte 
Gewalt den wirren Rampf in ihr. Sie ging leife auf 
ihn zu und glitt neben ihm auf den Grabhügel, und ihre 
Arme umtllammerten ihn, und ihre Wange lag an 
‚feinem Haar, 

Er zudte in ihrem Arm und ftöhnte ſchwer. „Warum 
— warum?“ | 

Da fing fie leife an zu fprechen, „Dir allein bin ich 
Rechenſchaft ſchuldig. Wenn du alles weißt, dann will 
ih von dir hören, ob ich recht getan.“ 

Und fie fagte ihm alles, Er hörte ihr zu, wie ge- 
lähmt von dem Bann der geliebten Stimme, 


16 Die Giegerin. 8 


Sie nahm ſeine beiden Hände. „Habe ich recht 
getan, Heinz?“ 

Er hörte fie nicht. Er ſah in die Ferne, und in 
feinen Augen fprübte kalter Haß. „Der Hund!“ mur- 
melte er, „Der elende Schuft!“ 

Erika fuhr ihm mit der Hand über die Stirn, „Er 
it ein Schwädling, ift deinen Zorn nicht wert. Laß 
ihn, aber fage mir, ob ich recht getan habe?“ 

Er ballte die Hand, „Erika, ih muß ihn haben — 
es gibt Mittel —“ 

Sie nahm feinen Ropf zwifchen ihre Hände und fah 
ernft in feine heißen Augen. „Nein, Heinz, das tuft 
du nicht!“ 

Da beugte er die Stirn und küßte ihre Hand, 

„Habe id recht getan?“ 

Er jchüttelte wild den Ropf. „Nein — nein, du 
opferft dich diefem Elenden — du nimmſt ein fchmad)- 
volles Leben auf dich — und du liebft doch mich!“ 

„Heinz, ich weiß, daß du mich veritehit. Was 
hätteft du in meiner Lage getan, wenn das Schidjal 
von geliebten Menfhen in deiner Hand gelegen 
hätte?“ 

Er fentte den Ropf. „Und an mich dentit du nicht?“ 

Sie Schloß die Augen, Dann fagte fie leife: „Un 
dich denke ih in Ewigkeit.“ 

Da nahm er fie in feine Arme und füßte fie, und 
nach einer langen Paufe löfte es fich mühſam von feinen 
Lippen: „Nein, du haft nicht recht getan, das durfte 
nicht fein, durfte niemals fein! Du weißt nicht, was 
du getan haft, du weißt noch nicht, was du auf dich 
nimmſt!“ 

Sie ſchüttelte den Kopf. 

Da ſah er ihr in die Augen, ganz nah, ganz heiß. 
„Solange ich lebe, laſſe ich die Hoffnung nicht. Mein 


0 Roman von Elſe Höffer, 17 





ift deine Seele, und du mußt den Weg zu mir zurüd- 
finden — du mußt! Denn du gehörft zu mir und kannſt 
dih nicht von mir löjen, felbft wenn du willſt. Ich 
glaube an dich, an deine fieghafte Kraft, die wird das 
Schidjal meiftern, und ich warte, Erika, ih warte!“ 

Er drüdte wieder feinen Mund auf ihre Lippen, 
und fie fühlte, daß fie dieſem Manne gehörte, daß er ihr 
Schidjal war. 

Dann made fie fih los. „Meide mid, Heinz, 
geb mir aus dem Wege, wo du fannft! Leb wohl! 
Geh, ich bitte dich, und fomm niemals wieder!“ 

Er ließ fie langfam aus feinen Armen. 

Sie ſah noch einmal den trüben, glanzlofen Blid, 
dann ſank fie auf das Grab des Vaters und drüdte 
das Gefiht in die Erde, und alle die fchweigenden 
ihlihten Holzkreuze ringsum fahen in Erbarmen auf 
dies Menſchenleid. 





Zweiundzwanzigſtes Rapitel, 


Der Zug donnerte durch die dunkle Naht. Ge- 
ipenjtifch glitten die Dämme und Bäume, die ragenden 
Selegrapbenjtangen vorüber wie ein rajendes Heer 
phantaftijcher Geftalten. Dunkle Gehöfte mit blintenden 
Zichtern, trauliche Dörfer um eine Heine Ricche gefchart, 
dämmernde Berge mit ragenden Burgen. Alles ver- 
ichwand, jagte dahin in rafender Haft, Zuweilen kam 
ein großer Bahnhof mit einer flutenden Lichtfülle, 
mit lautem Lärm, Erika hob dann die Augen und 
ſah auf Wengern, der ihr gegenüberjaß und mit halb- 
geſchloſſenen Lidern durchs Fenfter blidte, „Wenn wir 
nur noch nicht aussteigen!“ Dachte fie, „Wenn nur diefe 
Fahrt tagelang, wochenlang ſo weitergingel“ Bei 
jeder größeren Station klopfte ihr Herz, en lab 

1910. XI. 


13 | Die Giegerin. 0 


fie auf die jtillfiehlummernde Dame, die in der gegen- 
überliegenden Ede lehnte, „Wenn die uns nur nicht 
allein läßt! Wenn fie nur bleibt!“ 

Wengern fab aud vft zu der Dame hinüber, aber 
mit einem ärgerlidhen, gereisten Gefichtsausdrud, Cr 
beugte fih zu Erika herüber. „gu dumm,“ fagte er 
halblaut, „auf der Hochzeitsreife hat man doch das Recht, 
allein zu fein.“ 

Sie dachte nur immer: „Nun bin id ihm ausge- 
liefert!“ Und eine ſchüttelnde Angſt war in ihr, 

O Gott, wie furhtbar war Das Leben, das nun 
kommen wird! Allein mit ihm zu jeder Stunde — er 
der nächte Menich, der zu ihr gehörte, diefer Menfch, 
von dem fie nichts wußte, als daß er fie begehrte um 
jeden Preis! 

Der Zug fuhr in eine weite Halle. Die Dame 
griff haftig nach ihrem Schirm. Sie neigte den Ropf 
flüchtig grüßend und ftieg aus. 

Mengern lächelte, „Na, gottlob I“ fagte er. 

Erika faß ganz ſtarr. „Wenn nur ein anderer ein- 
fteigen wollte, möglichft viele laute, lachende, ſchwatzende 
Menſchen, damit ih Stimmen böre, damit ih nicht 
zu denken brauche!“ 

Angjtvoll ſah fie duch die offene Türe, aber die 
Menſchen fluteten rajch vorüber, Dann fiel die Türe 
dröhnend ins Schloß. Erika fühlte dunkle Schleier vor 
ihren Bliden, 

Wengern ftand auf und febte fih dicht an ihre 
Seite. Er legte den Arm um ihre Hüfte und zog fie 
dicht an ſich. „Erika, mein füßes Meines Mädel, nun 
hab’ ih did endlih! Wie habe ich mich nad) dir ge- 
ſehnt! Wie haft du es mir ſchwer gemadit, du ſtolzes 
Geſchöpf! Aber um fo herrlicher ijt der Sieg. — Weißt 
du noch, wie du mid) ins Geficht gejhlagen hajt? Hier 


0 Roman von Elſe Höffer. 19 





auf die linte Bade! Weißt du, wie ich dir fagte, du 
müßteft das bezahlen?“ Er flüfterte dicht an ihrem 
Ohr, daß ihre Haare unter feinem heißen Atem zitterten. 
„Ich will gnädig fein — ich kann dir ja gar nicht zürnen, 
du Einzige. Zur Strafe folljt du nur die Stelle küſſen!“ 
Er hielt ihr fein Gefiht hin und ſah fie mit glühenden, 
lahenden Augen an. „Weißt du auch, daß du mic) 
noch fein einziges Mal geküßt haft?“ 

Erifa ſah auf die glänzende Bade, die der fraufe 
graue Bart umrahmte. „Sch habe dir doch gejagt, 
daß ich dich nicht liebe —“ 

Er lachte leife auf, „Dummcden! Und ich habe dir 
gejagt, daß du es lernen wirft, Nun fängt der Unterricht 
an. Küſſe mid, Erika!“ 

„Nein!“ fagte fie entſetzt. 

Da ſah er fie mit tüdifchen, drohenden Bliden an. 
„Dentit du vielleicht noch) an den Unfinn mit der Ver— 
itandesheirat? Du bift meine Frau, und ich dente, 
du weißt, was das heißt!“ 

Er faßte ihre beiden Handgelente und beugte [ich 
über fie. Sie dachte in halber Ohnmadt: „Vielleicht 
erwürgt er mich! Dielleicht fährt jet unfer Zug in 
einen anderen hinein, und dann it alles aus!“ 

Sie horchte, ob nit ein furdhtbarer Stoß durch 
den gewaltigen Schlangenleib des Buges fuhr. Wie 
Ihön wäre das! | | 

„Rüffe mich!” fagte er gebieterifch über ihr. 

Da hob fie den Ropf und drüdte ihre kalten Lippen 
auf die heiße Wange. 

Als hätte diefer ſcheue, widerwillige Ruß alle Leiden- 
Ihaften in ihm ausgelöft, riß er fie in feine Arme und 
tüßte fie wild, verzehrend, immer wieder, immer 
wieder, 

Sie lag ftill und rührte fi) nicht, und mit heißer 


20 Die Siegerin. D 


Inbrunſt dachte fie: „Vielleicht fommt doch ein Zu- 
ſammenſtoß, denn dies kann ich nicht überleben, dies 
ift eine Schmach. An Heinz darf ich nie mehr denten, 
denn nun bin ich eine Ehrlofe. Nun bin ic im Sumpf.“ 

„Sieh mich an!“ gebot er, 

Sie öffnete die Augen und begegnete feinem: 
ihillernden Blid, 

Er fuhr zurüd, „Du haft Augen wie eine Tote,“ 
lagte er. „Du follft mich nicht fo kalt anſehen — 
leuchtend, lachend müjjen deine Augen fein!“ 

Sie ſchüttelte den Kopf. 

Da wurde er zornig. „Lache, dab ich deine weißen 
Zähnchen ehe!“ 

Da lachte Erika, 

„So iſt's recht! Immer follft du lachen und glüdlich 
fein. Und die Augen werden dir leuchten, und dein 
fleines, winziges Herzchen wird rajcher Hopfen. Ich 
will ein zärtlihes Frauchen!“ 

Erika faltete die Hände über der Bruft, und wie in 
ihren Rindertagen betete fie: „Lieber Gott, laß ein 
Unglück geſchehen!“ 

Er küßte die geſchloſſenen Augen. „Die Augen 
hat Heinz geküßt —“ dachte ſie müde. 

Da fuhr der Zug in eine Halle. Wengern ſetzte ſie 
vorſichtig aufrecht wie eine Puppe. 

„Wir ſteigen hier aus, Erika. Mach dich zurecht!“ 

Sie ſah gedankenlos aus dem Fenſter. Sie ſtieg 
aus und ging wie im Traume über den langen Bahn- 
ſteig. Erft als fie dem neugierigen Blid eines Herten 
begegnete, nahm fie ſich zuſammen und hob den Ropf. 
Sie lächelte verächtlich. 

Wengern ging dicht an ihrer Seite, Neben ihrer 
aufrechten, jtolzen Gejtalt ſah er Hein und plump aus, 
und er empfand den Kontraſt, er las ihn aus den Blicken 


D Roman von Elje Höffer, 21 





der Vorübergehenden, die über ihn hinweg auf Erika 
fahen, und ein ftiller Ärger bohrte in ihm. Aber doc 
glitt fein Auge bewundernd über die feinen Linien ihrer 
Geitalt, 

Zum eriten Male beachtete er ihre freie Ropfhaltung. 
„Sie läßt fih nicht Duden, fie hat Rafjel“ Und auf 
einmal fühlte er fih als Plebejer neben ihr. Gie hatte 
entihieden etwas Hochmütiges. Das kam ihr ihm gegen- 
über nicht zu, denn ihm verdantte fie das glänzende 
Leben, das auf fie wartete. Er war der Gebende, fie 
follte Hein und dankbar fein, Sie jollte einjehen lernen, 
daß das Geld eine Macht war, die alle Naden beugte. 
Und auch ihr ſtolzer Naden follte ſich beugen. 

Er drüdte dem Portier, der ihre Roffer zum Hotel- 
automobil trug, auffällig ein Goldſtück in die Hand, 
Aber Erika ſah über ihn hinweg, Er ärgerte ſich wieder. 
Er würde ihr ſchon noch imponieren, 

Als er ihr in dem weich rollenden Automobil gegen- 
überjaß und ihr fchönes, helles Geficht Jah mit den düjte- 


ren Augen und dem feitgefchlojfenen Mund, da fiegte  - 


wieder feine Derliebtheit, und er griff nach ihrer Hand, 

Erika ließ es geſchehen, fchlaff, leblos duldete ihre 
Hand den leidenfchaftlihen Drud, 

Dann ftand Erita im Hotelzimmer, vor ſich die 
geöffneten Koffer, aus denen die Kleider quollen. 
And wie fie die beiden eleganten Roffer anjah, die fp 
dicht und felbjtverjtändlich nebeneinanderitanden, da 
wurde ihr graufam das Intime ihres künftigen Lebens 
ar, Unzertrennlich follten fie fein, Tag und Nacht 
jollte fie ihn neben fich dulden, feinen Atem hören, 
vor feiner Leidenjchaft zittern, Sie preßte die Fäuſte 
an die Schläfen und ſah ſich verängitigt im Zimmer um. 
Noch war fie allein, Aber gleih würde .er fommen 
und fie in feine Arne nehmen, 


22 Die Siegerin. D 





Da lachte fie grell auf. „Ih, Erika Farnhorft — ich 
joll dies erleben?“ Sie redte fih auf. „Nein, ic) kann 
es nicht, ih tue es nicht — mag kommen, was will. 
Lieber geh’ ih in den Tod!“ 

Da hörte fie feine Stimme auf der Treppe. Gie 
zudte zufammen und ftürzte zur Tür, Beſinnungslos, 
pon einem tollen Entſetzen gefaßt, lief fie duch ein 
dunkles Zimmer, über einen breiten, menfchenleeren 
Korridor, die Treppe hinab. Gie begegnete niemand. 
In feiner Loge faß der Portier und fchlief. Dann war 
fie auf einer mattbeleucdhteten Straße, und wie ein 
Zubeln zog es durch ihr Herz: „Frei bin ih — frei!“ 
Sie ftürzte vorwärts, ziellos, nur mit dem brennenden 
Wunſche, diefem Manne zu entgehen, frei zu fein, 
immer mehr Raum zu legen zwiſchen fih und ihm, 
nicht mehr die gleihe Luft zu atmen, feine Nähe nicht 
mehr zu fühlen, 

Die ein Zreudentaumel fam es über fie. „gebt 
bin ich wieder ich felbit, alles war ein häßlicher Traum, 
ich laſſe mich nicht zerbrechen — ih will nicht!“ 

Sie breitete die Arme aus und atmete tief, Um fie 
war tiefe Stille, nur von fern hörte man zuweilen einen 
Magen rollen, zuweilen begegnete ihr ein einjamer 
Nahtihmwärmer, der fie erjtaunt oder unverihämt 
anſah, einmal erſcholl auch ein freches Wort. Aber es 
glitt an ihr ab, es drang nicht in ihr Bewußtfein, in 
ihrem Snnern war eine helle Freude, eine felige Be- 
freiung. Sie wußte nicht, wo fie war, fie kannte die 
Stadt nicht, die Straßen waren ihr fremd, die Häufer 
mit den gefchlofjenen Läden unheimlich, 

Dann kamen duntlle, verihwiegene Anlagen, „Ob 
ih’s wagen kann, bier auszuruhben? Er ift mir wohl 
nicht gefolgt, er kann mich nicht einholen.“ 

Da fühlte fie erft, daß ihre Rniee zitterten und daß 


D Roman von Elfe Höffer. 25 


ihre Bruft [hwer nad) Atem rang. Sie jant auf eine 
Bant, die feuht war vom Nachttau. Sie lehnte den 
Ropf gegen die kalte Lehne und bemühte ſich langſam 
und regelmäßig zu atmen. Dann famen die Gedanten, 
und wie fie fich in dem tiefen, ſchwarzen Duntel um- 
lab, fam auch das Entſetzen. 

„Sp verlajfen wie ic ift doch kein Menfch auf der 
Melt! — So einfam — fp wund —“ 

Und ihre Gedanken ſuchten nach einem Menſchen, 
an den fie ſich klammern konnten in dieſer dunklen 
Einſamkeit. 

Sie preßte die Hände ineinander. „Ich darf ja nicht 
an dich denken, Heinz, und ich will auch nicht! Das iſt 
ja ein Treubruch der Gedanken, und ich will doch an- 
ſtändig bleiben.“ 

Sie preßte den Ropf fefter gegen das kalte Eijen 
der Lehne. | 

„Dater, an dich darf ich denken! Wie froh bin ich, 
daß du nicht weißt, daß dein Rind hier in Todesangſt 
durch die Naht hebt, daß ich einfam in einer fremden 
Stadt duch die Straßen irre, jeder Gefahr preisgegeben !“ 
Sie jah hinter fih ins Dunkel. „Gefahr — was ift mir 
Gefahr? Dor nichts fürchte ih mich ſo wie vor ihm, 
was mir auch gejcheben mag.“ 

Sie lauſchte angftvoll auf jeden Tritt in der Ferne, 
Wenn er fie fuchte, wenn er die Polizei aufbot, wenn 
man Zagd auf fie machte — dann müßte fie ihm folgen, 
denn fie war feine Frau! Da durfte fie ſich nicht weigern, 
Sie war ja an ihn gefe fjelt fürs Leben. 

Ein Schaudern kroch über ihren Rüden, Uber einen 
Ausweg gab es, einen dunklen, ſchweren. Gie ftahl 
jich leife davon aus dem Leben, fie betrog ihn um den 
Raufpreis. Sie ladte leife. Wenn man fie dann aus 
dem Waſſer zog, wenn er mit blaffem, entſetztem 


2A Die Glegerin. [e| 


— 





Geſicht vor ihrem Leichnam ſtand, dann hatte fie ge- 
liegt, dann ftimmte feine jchlaue Rechnung nit. Sie 
fah das Bild deutlich vor Augen: fein rundes, ver- 
blüfftes Gefiht und ihre bleiben Züge unter dem 
triefenden Haar. Pas war dann ihr Triumph, ihr 
Triumph über die Gemeindeit, die fie hatte knechten 
wollen. 

Sie fuhr fih über die Stirn, „Sch biege, aber 
breche nicht!“ 

Dann war der Zwieipalt wieder da. „Doch — ich 
breche ja zuſammen unter der Lajt, die ih auf mid 
genommen, und die ich nicht weiter tragen kann. Ich 
babe meine Kraft überfchätt. Zch habe an des Vaters 
Grab gelobt, fie zu tragen mutig und ſtark, aber ih 
kann nicht, denn die Bürde ift nicht nur ſchwer, fie ift 
auch ſchmutzig. ZH will fterben, folange ich nody frei . 
und rein bin.“ 

Sie erhob ſich und ging duch die dunklen Anlagen. 
Zuweilen jtießen ihre Füße gegen einen Stein, zu- 
weilen blieb ihr Kleid an einem Zweig hängen, 

„Irgendwo muß ich an Waller kommen — irgendwo 
muß doch ein Fluß fein, eine Brüde. Dann febe ich 
mic) noch einmal in das Dunkel und denke an Heinz — 
dann wird mir der Entjchluß leicht.“ 

Ein raſcher Schritt kam ihr entgegen, Sie erichrat 
und drüdte fich gegen eine Mauer, „Wenn er mich 
fucht, wenn er mich findet! — Wo mag nur der Fluß 
fein? Wenn ih nur Wafjer fände!“ 

Sie lief kreuz und quer durch die Straßen, aber 
überali hemmten Häufer den Blick. „Bielleicht bin 
ih ganz in der Nähe und weiß es nicht.“ 

Ein Schutmann begegnete ihr, der fie jcharf und 
ſtreng mufterte. Sie fentte den Blick. Sie ſchämte ſich 
plötzlich. Aber dann war der Gedanke raſch über- 


[e| Roman: von Elfe Höffer. 25 





wunden — nur vorwärts, ehe er mich findet. Wie 
groß die Stadt war, wie fremd und wie kalt, die Straßen 
ihienen alle gleich. 

Aus einer Nebengafje ſcholl ein heiferes, trunkenes 
Sohlen. Sie lief rafcher. Da bogen dicht vor ihr zwei 
ihwantende Geftalten in die Straße und jperrten ihr 
den Weg. Sie wich) zur Seite, es ſchlug ihr ein wider- 
liher Schnapsdunft ins Geſicht. Der eine folgte 
Ihwantend ihren Bewegungen und breitete die Arme 
aus. „Schönes Fräulein —“ 

Der andere lachte und tappte auf fie zu. Da drehte 
fie um und lief den Weg zurüd — entfebt, angewidert, 
Hinter fih hörte fie die tappenden Schritte und da- 
zwiſchen den lachenden, truntenen Ruf: „Warten Sie 
doch, Ihönes Fräulein!“ 

Halb bejinnungslos lief fie vorwärts, das Blut 
taufchte vor ihren Obren, ihr Herz klopfte betäubend, 
die Rniee wankten und trugen fie kaum. Sie bog um 
eine Ede, dann links wieder in eine enge Gaſſe, dann 
geradeaus — immer vorwärts, 

Dann ftand fie auf einem Plate, und in fchlanter, 
unendliher Schönheit hob fich vor ihr ein Dom. Ein 
dunkles Portal zwifchen hellen Säulen, breite Stufen 
führten hinan. 

Zetzt wurde Erika aufeinmalruhig. Hier war Schuß, 
bier war Friede, Sn diefen Dom wagte fich keine 
truntene Begierde. Sie ftieg die Stufen hinan und 
Ichritt in die Vorhalle, die fih hoch über ihr wölbte. 
Da brachen ihre Kräfte. Sie ſank zu Boden, ihr Rörper 
lag auf dem kühlen Stein, ihr Geſicht ſchmiegte ich 
gegen den groben Stein, der den Boden deckte. Sie 
dachte nur noch matt: „Hier ift Schuß vor allem!“ 

Dann ſchwanden ihre Sinne, 


m — — — — — — — — — — — — 


26 Die Siegerin. 0 





Ein helles, ſcharfes Knattern und Krachen, das 
in einem dumpfen ODonnern verllang, wedte fie, 
Sie fuhr auf und ſah fih angitvoll um. Es war 
ſchwarze Finfternis um fie, eine drüdende Schwüle 
quoll duch das Portal und kämpfte mit der Kühle, 
die das Geftein ausatmete., Da zerriß ein bläulicher, 
audender Blitz die Dunkelheit, ein erneutes Krachen 
und fernes Rollen folgten, 

Erika richtete Jich auf und lehnte den Ropf an den 
Sockel einer Säule. Sie war wie zerichlagen, die 
Kälte der Steine drang durch ihre Kleider und machte 
lie fröfteln, während die ſchwüle Luft heiß um ihre 
Stirne ſtrich. 

Wieder ein züngelnder Blitz. Hell und ſcharf traten 
die Säulen aus dem Dunkel, für einen Augenblick 
gewannen die Blüten der Kapitelle atmendes Leben, 
die grotesken Fratzen der Waſſerſpeier verzerrten ſich, 
und die milden Züge der Heiligen neben dem Portal 
lächelten ſanft. Dann wieder tiefe Nacht, nur das Don- 
nern grollte über der Stadt. 

Erika jtübte die Stirn in die Hand und beobachtete 
das wechjelnde, reizpolle und doch jo unheimliche Spiel 
der Blitze. 

Dann fuhr ein ftarter Windftoß über den freien 
Platz. Er fing fih in dem klaren Bau des Turmes 
und fuchte faufend einen Ausweg, Es war Erika, als 
hörte fie die Gloden leije klingen, aber das betäubende 
Raten des Donners verjchlang jeden Ton, 

Und Bliß auf Blitz zudte hernieder und belebte 
das tote Geſtein des Domes. Die entfetlihe Schwüle 
wid, ein klatſchender Platzregen brach los, und Die 
Stopfen ſprühten nach allen Geiten, 

Erika zitterte, die Zähne ſchlugen ihr aufeinander, 
Sie dachte nicht an ihr Gejchid, fie fah nur mit großen 


Oo Roman von Elfe Höffer. 27 


Augen in den wilden Gewitterjturm da draußen. 
Es ſchien, als tanzte der Wind auf dem Platze vor dem 
Dome, als ftoße er mit gewaltiger, wütender Wucht 
immer wieder gegen die feiten Pfeiler, um fie zu ftürzen, 
und im Turme pfiff er fein wildes Lied, das der Donner 
mit braujendem Orchefter begleitete. Dann fchien es, 
als würden die Atemzüge des Sturmes langjamer, 
der Regen fiel weicher, und ſchließlich lag eine füße 
Stille über dem weiten Plate, in die nur Das leiſe 
Riefeln des Regens klang. 

Erika ftand auf, ihre Glieder waren fteif und fchwer, 
ihr Ropf ſchmerzte fie, mühſam zwang fie die Gedanken. 
„ah muß Har werden, ich muß einen Entjchluß faſſen. 
Hier kann ich doch nicht bleiben, bis die Rirchgänger 
tommen, bis der Tag hell wird.“ | 

Sie ſah drüben über einem verſchwommenen 
Dachfirſt einen lichten Streifen — das war der neue 
Morgen. 

- „3b muß einen Entihluß fallen, ih muß irgend 
etwas tun! — Aber was? Fliehen?“ Sie lachte, 
Sie war ja gebunden, man würde fie fuchen und finden. 
Und dann, fie hatte ja gar kein Geld, fie konnte nidyt 
einmal nad) Haufe fahren. Sie war in einer fremden 
Stadt, niemand kannte fie, niemand half ihr. Und 
wenn aud), was nüßte es? Wengern würde fie ja doch 
zwingen zur Rückkehr. Er hatte den Bruder in der Hand 
und damit die ganze Schande der Familie, Er ftürzte 
fie alle ins Elend. Und das hatte fie ja doch vermeiden 
wollen, dazu hatte fie ja das Opfer gebradht! Und 
nun — auf halben Wege verjagte fiel 

Das Grauen fchüttelte fie. Sie fchlang die Arme 
um den ſchlanken Schaft einer Säule, „O mein Gott,“ 
murmelte fie, „o Gott — dies war das lebte Auflehnen 
— nun bin ich gebrochen! — Ich muß gurüd zu ihm!“ 


28 Die Siegerin. 0 





— Sie ſchluchzte auf. „Nun foll endlich alles tot fein 
in mir!“ 

Zangjam ging fie die Stufen hinab, der feine Regen 
riefelte no) und durchnäßte fie. Sie fuchte das Hotel. 
Mit müden Schritten ging fie durch die Straßen, 
planlos, todmüde und erihöpft. „Wenn ih Waller 
ſehe, tue ih es doch noch, ih kann nicht anders!“ 

An den Gedanten klammerte fie ſich. 

Da Stand fie plöglich vor dem Hotel, Sie wartete, 
bis fih in dem gewaltigen Bau das Leben regte. 
Sie wartete in Demut wie eine Bettlerin. Und als 
der Portier gähnend aus feiner Loge trat, fchritt fie 
an ihm vorüber, die breite Treppe binan. 

Wengern empfing fie ſchon auf dem Rorridor. 
Er war angelleidet, fchien überhaupt nicht zur Ruhe 
gegangen zu fein. Helle Freude ftrahlte aus feinem 
geröteten Geficht, Er jagte ihr fein Wort des Vorwurfs. 


Dreiundzwanzigites Rapitel, 


„Ich will mich ſelbſt vergefjen, will alles auslöfchen, 
was war. Ich will ein ganz neues Leben anfangen, 
mit neuem Inhalt und neuen Dorausfegungen, will 
meine Gedanten hüten, damit fie nie mehr zurüd- 
Ichweifen ins Gewejene,“ 

Wengern war mit feiner jungen Frau jehr zufrieden, 
Überall, wohin fie famen, fiel fie auf durch ihre Schön- 
heit und ihr vornehmes Auftreten. Auf den Rennpläßen 
wat jie eine elegante, im Balljaal eine geradezu glänzende 
Erjheinung, Es wurde ihr viel gehuldigt, und manch 
ein Ravalier wagte, angefichts des ungleihen Paares, 
einen Vorſtoß. Doch nicht das leifeite Entgegentommen 
ermutigte ihn, Erita nahm die Bewunderung hin wie 
etwas Selbjiverjtändliches, ihr unendlich Gleichgültiges, 


Oo Roman von Elje Höffer. 29 





Sie lebten viel auf Reifen, in der großen Welt, 
in der die alten Namen klingen, und in der das Geld 
der breite goldene Boden iſt, auf dem das Leben fich 
aufbaut, Wengern wünjchte mit feiner Frau zu glänzen. 
Er überjchüttete fie mit Zoiletten und Schmud, und 
Erikas Lippen zudten hodhmütig , wenn ſie an feiner 
Seite in eine Loge trat und alle Operngläfer ſich auf 
lie richteten, Sie fah feinen befriedigten Blid, der 
duch das Theater glitt, und fie dachte bitter: „Zebt 
jtellt er mich aus!“ 

Und wenn fie feinen rajchen, gepreßten Atem neben 
lich hörte, wußte fie, daß die Bewunderung und der 
Neid in den Männeraugen feine Leidenschaft zu höheren 
Wellen aufpeitihte, Immer wieder kroch das eifige 
Grauen über fie hin, der Ekel, aber fie preßte die 
Hände zufammen und dachte: „Es muß alles tot fein 
in mir — es muß! Ich will tun für ihn, was ich kann, 
ih will fein Vermögen glänzend zur Schau tragen, 
ih will mich jchmüden, meine Schönheit pflegen, 
Seine Eitelkeit joll Triumphe feiern, Aber mehr kann 
ih nicht. Damit muß er fih begnügen! Hier ift die 
Grenze!“ 

Und fie jpannte ihren kraftvollen Willen an bis zum 
äußerten. Sie zwang alles perjönliche Leben in ihrer 
Brust nieder, Sch bin nicht mehr Erika Farnhorit, 
ih bin Erika Wengern. Das ift eine ganz andere, 
Das ijt eine elegante Frau, die für ihre Toiletten lebt, 
und die die Küſſe eines ungeliebten Mannes duldet, 

Oft dachte fie: „Wenn nur die nächſten Zahre 
vorüber wären, wenn ich nur ſchon alt wäre und grau! 
Dann ift auch er alt geworden, feine Leidenjchaft ift 
erkaltet, und ich kann mir den Frieden fuchen im Leben, 
da meiner Zugend das Glüd verjagt iſt. Frieden — 
Frieden!“ Sie berauſchte fihb an dem Worte, und 


30 Sie Siegerin. . 0 





ſchmerzlich lächelnd wiederholte fie leife: „Frieden! 
Dann werde ih in einem einfamen Haufe wohnen 
mitten in einem alten dichten Bart, und ic) werde nicht 
mehr an die Menichen denken, nur auf die Vögel will 
ih horchen, und Blumen will ich pflegen, tatenlos 
will ich mein Leben verdämmern bis zum Ende. Alles 
Leid will ih vergeijen, alle getäufhten Hoffnungen, 
und in jeder Stunde will ih den Frieden genießen.“ 

Und fie fah die Zahre, die vor ihr lagen: Unruhe, 
Glanz, Sejelligteit, werbende Leidenihaft, Menfchen — 
Menſchen, eine endlofe Kette gleichgültiger fremder 
Menſchen, die an ihr vorüberglitten, Menfchen, die ihr 
nichts zu geben hatten, Menſchen, denen fie nichts 
war als die ſchöne Frau, mit der man flüdhtige, an- 
genehme Stunden verplaudert, Menfchen, die niemals 
nah ihrem Snnern fragen würden, die niemals vor 
ihr ihr Herz Öffnen würden zu freudigem Geben und 
Nehmen, Menſchen, die man nur in der Gejellichafts- 
toilette jah, die auch ihre Gefühle nur in Gefellichafts- 
toilette vorführten. Niemals zeigte man ſich die 
Siefen der Seele, nur den flachen, lauen Strom der 
erlaubten, flachen, lauen Gefühle, unter denen fich fo 
vieles Elend birgt und fo vieler Schmutz. 

Sp blieb fie einfam im bewegteften Kreiſe, ihre 
Augen ſuchten fein verwandtes Geſicht, fie blidten 
in die Ferne und fuchten den Frieden. Nur zuweilen 
Ichüttelte es fie wie ein Wetterſturm: „Gibt es wirklich 
kein Slüd für mich? Ich will das Glüd, das Glüd will 
ih!“ Und dann ſah fie wieder die erniten blauen Augen 
in einem leidvollen Gefiht — Heinz! Und ihre heiße 
Liebe flutete empor, immer und immer wieder. Die 
fonnte nicht jterben. Und daneben glomm der Haß 
gegen den, der ihr Elend verfchuldet. 

Denn fie an Hans dachte, wurde ihr Geſicht bleid), 


D Roman von Elje Höffer. 31 





und ihre Augen wurden weit. Sie fühlte, wie der 
Haß fih immer tiefer fraß, und je tiefer ihre Ehe fie 
demütigte, um fp gewaltiger loderte der Haß. 

Erita faß in dem prunkvollen, düfteren Eßzimmer 
eines alten Gutshaufes, das zu Wengerns Beligungen 
gehörte, Auf ihre Bitten hatte er eingewilligt, für ein 
paar Wochen aufs Land zu ziehen, denn er ſah ein, 
daß Erifa abgejpannt und nervös war. Es wurde 
ihm fchwer, feinen gewohnten Kreis zu verlajjen, feine 
ſchöne, vielbewunderte Frau in der Einfamteit zu 
begraben. Aber anderfeits reizte ihn ein völliges Allein- 
fein mit ihr, und deshalb gab er nad), Er ließ das alte 
Herrenhaus neu einrichten, und als Erifa den uralten 
Part ſah, da lächelte fie glüdlich, und lebhaft wandte 
fie jih an ihren Mann: „Hier möchte ich wohl immer 
wohnen!“ 

Er jchüttelte den Ropf. „Liebes Rind, ſolch eine 
junge Stau gehört nicht in die Einfamteit,“ 

Da ließ fie den Ropf finten, und leife fagte fie: 
„Aber wenn wir alt find —“ 

Er late auf. „Dann vielleiht! Aber bis dahin 
will ih noch aus vielen neidifhen Augen lefen, weld 
eine fchöne, bezaubernde Frau ich habe! Ich weiß 
es ja, aber all die heißen Blide der anderen müſſen 
es mir bejtätigen, ih muß wilfen, daß ich beneidet 
werde, ib muß fehen, daß du gefällit, daß du Die 
Schönſte bift!“ 

Erika ſtrich fich über die Stirn. Was wollte diefer 
Mann von ihr? Ihre Seele erreichte er ja nie, Die 
blieb frei — auch in diefer Sklaverei, 

Erika ſah über das blintende Silber des Teetiſches 
und zog eine Daje mit Rojen näher zu fich heran, 
Wengern fette fich ihr gegenüber. Er gewöhnte fich 


52 Die Siegerin. 0 





allmählih an Eritas Kälte und Ruhe, Er hielt fie für 
herzlos und gleihmütig, er gab es auf, bei ihr die gleiche 
Leidenſchaft zu weden. 

„Rein ift fie ja Doch!“ dachte er triumphierend, 
Diefes Bewußtjein genügte ihm. „Sie hat eben kein 
Semperament, Aber das ijt auch gut, das bewahrt 
jie voor Oummheiten. Sie ift ſchön, ift mein — und 
das ift die Hauptjache,“ 

Er griff nah den Briefichaften, die neben feiner 
Taſſe lagen, Er öffnete und las rafh, Dann ergriff 
er lebhaft Erikas Hand. 

„Du, Erika, dente — Hans hat fich verlobt!“ 

Erita ſah ihn gleihmütig an. 

„Zoch dazu mit meiner Baſe, mit Erna Landhof! 
Großartige Partie, ſage ich dir! Das Mädel iſt ſchwer 
reich! Ich habe ſelbſt mal an ſie gedacht, bevor ich 
Dich kannte, dann aber hab’ ich ihn ſcharf darauf gemacht, 
und der Schlaumeier hat angebiſſen. Na, es war Seit, 
daß er fich rangierte, und es iſt vernünftig, daß er fich 
jo glänzend rangiert! Freuſt du dich nicht?“ 

Erita hob die Schultern. „Ich habe es gar nicht 
anders erwartet, Dies ijt doch das übliche Ziel diefer 
Sorte von Menjchen.“ 

Wengern wurde ärgerlih. „Na, ein armes Mädel 
hätte er doch nicht nehmen können, Du bilt unver- 
nünftig, du weißt doch, auf welchem Fuße dein edler 
Bruder lebt. Übrigens ift fie ganz nett.“ 

„Dann tut fie mir leid.“ 

Wengern late. „Ob, fie ift hölliich energiih. Sie 
wird ihn kurz halten.“ 

Erita erhob fih, Ihr war, als ſei von einem ganz 
Fremden die Rede, und nur fchattenhaft glitt durch 
ihre Seele der Gedanke: „Wie habe ich ihn einjt lieb» 
gehabt!" Sie trat an das Zeniter und lehnte fich weit 


8 Roman von Elſe Höffer. 33 





hinaus, Nun war alles folgerichtig gelommen: das 
flotte Leben, die reihe Frau. Und nun? Sie würde 
ihn kurz halten, hatte ihre Mann gefagt, Nun würde 
er vielleiht büßen für feine leichtfinnigen Sünden, 
Dielleicht würde er auch weiter ſündigen. Was ging 
es fie an. 

Mengern trat neben fie. Sein rundes Geficht 
itrahlte in gutmütiger Freude, „Ich finde die Sache 
famos. Er ift ja kein Zugendheld, und die Geſchichte 
mit den Wechſeln damals war ganz unglaublid. Uber 
fie Hat mir ja dich eingebracht, und darum iſt fie längjt 
vergeben und vergeſſen. Übrigens wird ihn Erna 
Ihon Mein kriegen. Pie Landhofs können das Geld 
zuſammenhalten, das ijt ein Familienzug von ihnen, 
Bei uns konnten fie es immer beſſer unter die Leute 
bringen, darum hat aud all der gute Wein meinen 
Dater in ein frühes Grab gebracht, und meine Mutter 
bat fich aufgerieben in dem flotten Leben,“ 

Er wartete auf Antwort, aber Erika ſchwieg. 

Schlieglih fuhr er fort: „Er kommt wenigjtens 
deiner Mutter von der Taſche. Und das ift die höchite 
Zeit, Sie hat ohnedies ihre Not, bis fie die Kleinen 
untergebracht haben wird. Sch habe ihr meine Hilfe 
angeboten und —“ 

Eritafuhrauf, „Nein, auf keinen Fall!“ ſagteſie erregt. 

Er ſah ſie ärgerlich an. „Herrgott, ein paar hundert 
Mark ſind doch nicht der Rede wert!“ 

„Nein, das dulde ich nicht!“ Erika zitterte. „Auf 
keinen Fall ſollſt du meine Familie unterſtützen! Du 
ſollſt mich nicht noch feſter binden!“ 

Er biß ſich auf die Lippe. „Ich wollte, ich hätte 
dir nichts geſagt. Was ſoll denn aus den beiden Zungen 
werden? Der Zufhuß ift doch minimal, den ihnen 
deine Mutter geben kann!“ 

1910. XI. | 8 


34 Die Siegerin. 0 





„Sie follen ſich einfchränten, aber nicht von dir 
abhängen. Sie follen arbeiten, follen —“ 

Wengern lachte ſpöttiſch. „Ich dächte, fie hätten 
ein ſchönes Beifpiel!“ 

Erika jah ihn entjeßt an. Der Gedanke war ihr noch 
niemals gelommen, Wenn die beiden jüngeren Brüder 
Dasjelbe leichtjinnige Blut hatten wie Hans, wenn fie 
denfelben Weg gingen! Obwohl fie den Shren durch 
ihre Heirat fremd geworden war, quoll eine heiße 
zärtlihe Angſt in ihr auf. Nein, die beiden frijchen, 
fröhlichen Zungen durften diefen Weg nit geben! 
Sie follten werden, wie der Dater gewejen war. 
Und fie ſah Ernft vor fich, fein ſchmales, energifches 
Geſicht. Za, der erreichte das Ziel wohl, der brach 
nicht zufammen vor einem Hindernis, Aber Mar, der 
war fo weich, jo ſchwach, für dert gab es Verfuchungen 
und Gefahren, denen er nicht gewachſen war, 

Ronnte fie ihn ſchützen? Ach, wie wenig konnte 
man doh einem Menſchen helfen! Man konnte ihn 
wohl eine Weile halten und vorwärtsfchleppen, ſchließlich 
aber ging er doch an feiner inneren Untraft zugrunde, 
wenn er nicht eritarkte im Lebenstampf. 

Wer Kraft hat, der fiegt, und das iſt gut fo, denn 
die Starten müfjen das Leben tragen. 

„Ich bin hart geworden,“ dachte Erika, und ihre 
Gedanken gingen weiter. Sie erſchrak in tiefiter 
Seele, „Dann war im lebten Grunde mein Opfer 
ein Unreht an meiner Kraft, eine Sünde gegen 
Das Leben, dem meine Kraft beſſer gedient hätte als 
der andere.“ Und auf einmal ftand ein Wort vor 
ihrer Seele: 

„Nur eine Sünde wird nie vergeben, 
Die die treibende Kraft zerbricht, 
Das iſt die Sünde gegen das Leben —“ 


D Roman von Elfe Höffer. 35 





Gie zitterte. „Aber ih tat es ja nicht für ihn! Ich 
mußte ja die anderen retten!“ 

Nein — nein, ihr Opfer durfte nicht umfonft ce- 
weſen fein, fonft verlor ihr Leben den einzigen moralijchen 
Halt, nur die rettende Tat konnte die Schmad der Ehe 
ohne Liebe löſchen, konnte fie adeln und von der Er- 
niedrigung reinigen. 

„3b habe mein junges Leben geopfert, ich habe 
mic) felbft in den Schmuß gezogen, um andere vor dem 
Schmuß zu bewahren, War es recht, war es unrecht?“ 

Zum eriten Male padten fie die Zweifel an dem 
Wert ihrer Sat, ein wilder Tumult wogte in ihr. Shr 
war, als fei ihr Lebensſchiff jteuerlos geworden. 

Endlih zwang ihr Wille die wogenden Empfin- 
dungen zur Ruhe. „Sch habe getan, was ich tun mußte. 
Und ich werde mein Leben lang tun, was ich muß, die 
Ketten tragen oder zerreißen — ich weiß es nicht,“ 

Fhr Mann lag auf dem Sofa und raudte Figa- 
retten. Am Boden lagen Sportzeitungen zerjtreut. 
Einen Augenblid padte fie ein jäher Zorn über dies 
nußlofe, tatenlofe Drohnenleben. Dann nahm fie ſich 
zuſammen. 

„Heinrich, ich möchte in den nächſten Tagen nach 
Hauſe reiſen, um mit der Mutter über die Zukunft 
der Zungen zu ſprechen. Ich hoffe, du haſt nichts 
dagegen.“ 

Er richtete ſich halb auf. „Aber das kann ich doch 
viel beſſer.“ 

Sie ſchüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, daß es 
Mutter recht iſt, wenn du dich in dieſe Angelegenheiten 
miſcheſt.“ 

Er wollte auffahren, aber ſeine Gedanken glitten 
raſch ab. „Meinetwegen,“ ſagte er. 

Erika wandte ſich zur Türe. 


36 Die Giegerin. Q 


Da ſprang er auf, umfaßte fie mit beiden Armen 
und 30g fie neben fi) auf das Sofa, Sie wehrte fich 
entjeßt, aber feine leidenfchaftlihe Rraft zwang ihren 
Widerſtand. 

„Mein biſt du — vergiß das nie!“ keuchte er heiſer. 

Sie erhob ſich taumelnd, ihr war, als tanzten alle 
Möbel vor ihren Augen. Sie floh in das fernſte Zimmer 
und verſchloß die Türe angſtvoll. Dann ſank fie auf 
den Teppich und vergrub das Geficht in die Arme, 
ein wildes Schluchzen überfiel fie, 

„Ich kann nicht, id kann nicht mehr, ich zerbreche!“ 
Und der Abſcheu wudhs in ihr gegen den Mann, der 
fie mit triumphierendem Beitgergefühl in feinem Arm 
hielt, der ihren Mund küßte, obwohl ihre Lippen in 
Ekel zuckten. „Er ift ein Elender! Wie kann ein Mann 
ein Weib küffen, das ihn verabſcheut!“ Sie preßte die 
Stirn in den Teppich. „Sch will aber niht! Ich will 
mich wehren und empören, folange meine Rraft noch 
in mir ift! Sch kann ja gar nicht unterliegen, ich muß 
fiegen, und ih will fiegen!“ 





Dierundzwanzigites Rapitel, 


Eine ſchwüle Sommernadbt lag über dem Part, 
in dem die dunklen Bäume ftarr und regungslos 
itanden, als warteten fie atemlos auf einen erlöfenden 
Sturm, der die laftende Glut linderte,. Es war ein 
Ihwüles, jchweres Schweigen in der Natur, ein 
bangendes Warten auf eine nabende Gefahr. 

Erika ſaß am Fenſter und ſah in den dunklen Bart 
hinab, Die heiße Luft im Zimmer ließ fie nicht fchlafen, 
der fchwere Duft der Rofen und des Zasmins, der zu 
ihr hereindrang, erregte fie. Ruhelos war fie dur) 
die weiten, pruntvollen Räume gewandert, in denen 


oO Roman von Elfe Höffer. 37 





fie eine Fremde war und bleiben würde, in denen nicht 
ein einziges Winkelchen von ihrem Weſen ſprach. Alles 
hatten fremde Hände aufgejtellt, fremder Geſchmack 
hatte gewählt und beftimmt, fie fam und ging wie ein 
Saft, die Räume und Gegenjtände traten nicht in Be- 
ziehung zu ihrer Perjönlichkeit. Heimatlos war jie, 
rechtlos in den reihen Beſitzungen des Gatten, ein 
Ichöner, feltener Gegenftand, den er erworben, und der 
fih anreihte an die lange Kette der Roftbarkeiten, die 
er beſaß. 

Sie ſaß am Fenfter und wartete, Sie wartete 
auf das ferne Summen des Automobils. Wengern 
war noch nicht heimgekehrt. DVielleiht war das Auto- 
mobil beihädigt, und er mußte auswärts übernachten. 

Sie beugte fih in die Naht hinaus und horchte. 
Aber die tiefe drüdende Stille herrſchte wie zuvor. 
Sicher war mit dem Automobil etwas paffiert, oder — 
oder —? Ihr Herzſchlag ſetzte aus, und dann begann 
das Herz rajend zu arbeiten. Oder —? 

Oder er war verunglüdt! Langfam fuhr fie fi 
mit der Hand über die Augen, Solche Unglüdsfälle 
waren ja an der Tagesordnung, und ihr Mann fuhr 
itets ein rafendes Tempo. Vielleicht konnte da in der 
Naht etwas gefchehen fein, vielleiht — 

Wieder horchte fie in die Nacht hinaus, Dielleicht 
lag er hilflos irgendwo, unfähig fih zu rühten, fern 
von jeder menfchlichen Unterſtützung. Sie erhob fich, 
Sie mußte die Diener weden, fie mußte Telegramme 
aufgeben, man mußte nach ihm fuchen, 

Sie legte die Hand auf die Klingel, aber fie ließ 
fie wieder finten. Wo war er denn? Gie wußte ja 
gar nicht, wohin er gefahren war, Sie konnte nicht 
aufs Geratewohl die Leute in die Nacht hinausjagen, 
fie mußte warten. 


38 Die Siegerin. o 





Und wieder faß fie am Fenſter, und wieder fhlich 
der Gedanke an fie heran: „Wenn er tot ift, bin ich 
frei —“ 

Es war, als krallten fih ihre Gedanken an diefen 
Worten feit. Sie glitt von ihrem Sitz. Auf den Knieen 
lag fie vor dem Feniter, rang die Hände wie in wilden 
Gebet. „Dann bin ih frei! Ich will frei fein!“ 
Entſetzt hielt fie inne. Was hatte fie Grauenvolles 
gejagt?! Der fündige Wunfh war ein Verbrechen! 
Und doc, gewaltiger fammelten ſich die Kräfte ihrer 
Seele zu einem heißen Fleben: „Laß mid) frei fein!“ 

Und die Stunden rannen langjam dahin, die Naht 
Ihlid träge vorwärts, Noch immer lag fie auf den 
Rnieen, die Glieder Shmerzten, der Ropf war ihr ſchwer 
und wült, die Augen brannten. 

Ein dumpfes, furrendes Geräuſch ließ fie plößlic) 
auffahren. Da kamen fie, da brachten fie ihn! Zitternd 
lehnte fie fih zum Fenſter hinaus. Wie langjam der 
Chauffeur fuhr! 

Das Automobil bog in den breiten Parkweg ein. 
Sm fahlen Morgengrau fchimmerten die Metall- 
beichläge. Erika preßte die Hand aufs Herz. Sie konnte 
ſich nicht rühren. Drunten hielt das Automobil, dicht 
vor der Treppe. Der Chauffeur ſprang ab und ftieg 
tajh die Treppe empor, Die elektriihe Klingel gellte 
Ihrill durch das Haus. 

Erika atmete kaum. Zhr Körper war eritarrt in 
atemlofem Laufen. Dann hörte fie unten flüfternde 
Männerftimmen. Der Diener trat mit dem Chauffeur 
an das Gefährt, Dann fah Erika, wie fie einen ſchweren 
Körper vorfichtig aus dem Wagen hoben und langfam 
die Stufen emportrugen, Nur undeutlih erkannte fie 
die Umriſſe. 

Ein dumpfer Drud legte fih ihr auf den Ropf. 


0 Roman von Elfe Höffer. 39 





Mehaniih ging. fie zur Türe und dffnete fie weit. 
Aus dem Treppenhauſe jcholl das keuchende Atmen 
der Männer, Mühſam hielt fie fih aufreht. Dann 
bejann fie ſich, es war ja dunkel, fie mußte leuchten. 
Sitternd zündete fie eine Rerze an und hob fie mit 
unfidherer Hand. Sie fah den Rüden des Chauffeurs, 
der fich unter der Laſt krümmte. Gie fah das glatte, 
ausdrudslofe Gefiht des Dieners. 

Dann öffnete fie die Lippen. „Ein Unglüd?“ fragte 
fie heiſer. 

Der Diener fchüttelte den Ropf, und ein verlegenes 
Lächeln kroch um feinen Mund, 

„Was denn? Was ijt?“ 

„Es iſt etwas anderes, gnädige Frau.“ 

Sie beugte fich vor, fie veritand nicht. Das zudende 
Licht huſchte unfiher über Wengerns Rörper, der Ropf 
pendelte baltlos hin und ber. 

Die Männer fchritten rafh an ihr vorüber und 
legten den Herren aufs Bett, dann ging der Chauffeur 
davon. Er griff nah feiner Mübe und ſah an der 
jungen Frau vorüber, mit dem Ärmel wifchte er ſich 
tafh den Schweiß vom Gefiht. Seine Schritte ver- 
hallten. 

Erika trat dicht an das Bett, der Diener wich zur 
Seite, Da hörte fie ein röchelndes Schnarchen, und 
ein widerliher Dunſt ſchlug ihr entgegen. 

Sie richtete fih ruhig auf. „Sie können gehen!“ 

Der Diener ging und drüdte die Türe leife ins 
Schloß, aud feine Augen hatten verlegen ihren Blid 
vermieden, 

Das war es alfo! Betrunten war er! Shre Gedanten 
ſtanden ftill und kamen über dies Wort nicht hinweg, 
Sie trat weit vom Bett zurüd, bis ihr Rüden die Wand 
berührte. Ihr war, als müſſe fie davonlaufen, bis dies 


Ian 


40 Die Siegerin. 0 


alles meilenweit hinter ihr lag, Doch ihre Augen 
bafteten auf der unförmigen Geftalt, die zufammen- 
gettümmt in den weißen Rijjen lag. 

Alſo jo finnlos betrunten war er, daß man ihn 
ihleppen mußte wie einen leblofen Gegenjtand, daß 
er fich zum Gefpött feiner Diener machte, Betrunten — 
daran hatte fie nicht gedacht, nie wäre ihr der Gedante 
getommen! Es war ihr bisher ganz jelbitverftändlich 
gewejen, daß Menſchen ihrer Geſellſchaftsklaſſe fich 
beherrichten in ihren Begierden und Snitinkten. Sie 
hatte noch niemals einen ſo betruntenen Menichen 
gejehen. Shren Vater hatte fie jtets nur nüchtern und 
beherricht in jeder Lebenslage gekannt. 

Aber der da drüben! Der war der Parvenü ge- 
blieben — troß feines Lurus, troß feiner Rennpferde 
und feudalen Güter; der fannte kein Maß, über den 
brach) eine Begierde herein und Inechtete ihn, und er 
wehrte ſich nicht! Er gab allen Gelüften nad) und erlag 
ihnen. Das war ein Menſch ohne Selbſtzucht und 
innere Rultur, ein Plebejer durch und durch. 

Und an diefen Mann war fie gefejfelt! Für ein 
langes Leben gefejjelt! Der zerbrach fie und zog fie 
zu fich herab, und fie war ihm wehrlos preisgegeben, 
und fie würde wohl viele Nächte auf den Rnieen liegen 
mit dem wirren, fündigen Gebet: „Laß mich frei fein!“ 
Und er würde wiedertehren — betrunten. Und am 
anderen Tage würde er fie in feine Arme nehmen 
und fie küſſen, und fie mußte es dulden. Ganz langjam, 
ganz ſchwer gingen ihre Herzichläge. 

Sie trat dicht an das Bett. Pas fpielende Licht- 
flämmchen warf tanzende Reflexe auf das rote, ge- 
dunfene Geſicht, um. das der wirre Bart ftand. Pie 
Lippen waren weit geöffnet und bläulih, mühjam, 
ichnarchend, raſſelnd rang fih der Atem aus der 


D Roman von Elfe Höffer. 41 





ichwer arbeitenden Bruft. Die Hände zudten auf dem 
weißen Leinen, Schweißtropfen perlten auf der dunklen 
Haut, die ſchlaffen Muskeln zitterten bei jedem Atem- 
zuge, Es war ein widerlides Bild, und der Ekel 
ichüttelte die Frau, daß fie ſchwankte. 

Dem war fie ausgeliefert — dem da! Und in ihrer 
Bruft hob fich ein eifiges Gefühl, das fie ganz erfüllte, 
etwas Unheimliches war es, wie die Ahnung eines 
Verbrechens. Sie wich zurüd, bis fie unter dem Rron- 
leucdhter ftand, und langjam hob fie die Hand, und ihre 
Finger legten ſich feit um den Gashahn. Ihre Augen 
waren ſtarr auf das gedunjene Geficht gerichtet. Ihre 
Lippen bewegten fih. Ein Oruck — und fie war frei! 

Sie überlegte. Sie mußte noch die Fenſter ſchließen. 

Mit feiter Hand drehte fie den Gashahn auf, Re- 
gungslos ſtand fie. Die Augen bohrten fich in das 
widerlihe Geſicht vor ihr. Da atmete fie den flauen, 
faden Gasgeruch, der Atem des Mannes ging ſchwer, 
die Frau rührte fich nicht. 

„Ich werde zur Mörderin!“ Ein Zittern lief über 
ihre Geftalt. „Dann bin ich Br Ein Leuchten brach 
aus ihren Augen. 

Stärter quoll der — Da hörte ſie die 
Stimme des Baters: „Bleib du ſelbſt, ſteig nie in 
die Niederungen der Menſchheit hinab!“ 

Sie zudte zufammen und erwachte wie aus einem 
Saumed. Was wollte fie tun? 

Sie preßte die Zähne in die Unterlippe und hob 
die Hand, Mit einem fchnappenden Geräufch fchloß 
ih der Hahn. 

Dann ging fie hinaus. 

Ourch alle Zimmer lief fie mit flüchtigen Schritten, 
als fei ihr die Verfuhung auf den Ferjen, und es 
hallte von den Wänden: „Frei wärejt du — freil“ 


42 Die Siegerin. 0 





Smmer rafcher ging fie, fie fühlte, wenn fie noch einmal 
zurüdfehrte und in dies wüſte Geficht fah, erlag fie der 
Berfuhung. 

Es war ihr, als zöge ein geheimer Bann fie zurüd, 
der Gasgeruh war noch in ihrer Zunge, und ein 
Raunen war um fie, ein Wifpern und Säufeln: „Es 
ist ja jo einfah!t Keiner weiß es! Reiner merkt es! 
Und du bift frei — frei!“ 

Mas find das für tolle Gewalten, die Ioden und 
reizen, bis die Tat getan? 

Sie rang mit ihnen in ſchwerem Rampfe. Und 
fie bezwang fie. Sie ging in ihr Ankleidezimmer und 
legte ſich angelleidet auf den Diwan nieder, Und die 
ungeheure Spannung der Nacht löfte fih langſam. 

Als Erita erwachte, lag die Sonne in zitternden 
Lichtfleden auf dem weißen Fell vor ihrem Lager. 
Sie erhob ſich mühſam und Elingelte. Das Mädchen 
erihien, und Erika ſah ein ſpöttiſches Blißen in ihren 
Augen. Da wußte fie, daß die Ereigniffe der Nacht 
Geſprächsthema in der Gefindeftube waren. Aber es 
berübrte fie nicht, 

„Anna, paden Sie das Notwendigfte für ein paar 
Sage in einen Roffer und beftellen Sie das Automobil. 
Ich will zum Frühzug am Bahnhof fein.“ 

Das Mädchen machte große Augen und verſchwand. 

Nah einer Heinen Weile kam fie wieder, „Soll 
ih gnädige Frau begleiten?“ 

„Nein.“ 

Erika zog fih ohne Haft an, wie jemand, der fein 
Ziel feit im Auge hat und fich nicht davon abbringen 
lafjen wird. Sie wollte nah Haufe. Sie fühlte, daß 
fie nicht fähig war, ihrem Manne zu begegnen, Allzu 
heiß brannte die Empörung in ihr. Sie wollte zur 

Mutter, um über das Schidjal der Brüder zu fprechen. 


"| Roman von Elfe Höffer. 43 


Das war der angebliche Grund. Aber tief in ihrer 
Bruſt war eine weiche, heiße Sehnſucht nach der 
Mutterhand, die über ihre müde Stirn ſtreicheln und 
die wilden Gedanken glätten würde. Sie ſehnte ſich 
nach der Mutter, nach Irmgard, nach dem ſtillen, 
dunklen Park und dem feſten Haus mit den zwei 
Türmen. 

Das war ihr Heimatboden, in dem alle ihre Gefühle 
wurzelten, der ſie genährt hatte in ihrem jungen 
Wachstum. Oort würde fie den Weg zu ſich ſelbſt 
zurückfinden. Hier blieb ſie ewig fremd. Ihre Wurzeln 
faßten nicht, ſie war wie ein Baum, der niemals mehr 
blühen, niemals Früchte tragen konnte, ſie mußte 
verdorren! Aus der Heimatluft wollte ſie neue Kraft 
ſchöpfen zum Ertragen oder — zum Rampf. — 

As fie die grünlich blinkende Mofel wiederjah, 
wurden ihre Augen feucht, Und als fich die klobigen 
Türme des alten Städtchens hoben, da fchlug ihr Herz 
bis zum Halſe. Eine zitternde Erwartung war in ihr, 
Ob fie ihn wiederjah? 

„Heinz — Heinz!“ Der Name lag auf ihren Lippen 
und löfte alle Sehnſucht und alle Liebe. Und die häß- 
lichen Szenen, die fie erlebt, verjanten. 

Auf dem Bahnhof fah fie kein bekanntes Geſicht. 
Sie zog den Schleier tiefer und fchritt raſch über den 
Bahniteig. Da drängte fich ein Gepädträger dicht an 
fie heran und nahm ihr die Taſche ab. 

Sie lächelte. „Eine Oroſchke, Mathieut“ 

Er nidte. 

Die Oroſchke fuhr in fchautelndem Trott über das 
holperige Pflaſter. Erika drüdte fih tief in die Ede, 
aber doch grüßten einige Bekannte überrafht. In dem 
Städtchen fiel jede fremde Erſcheinung fofort aufs 

And dann fuhr fie durch feine Straße, an feinem 


44 Die Siegerin, o 





Haufe mußte fie vorbei, und ihr Herz pochte ungeftüm, 
ihr Blut ftieg in einer heißen Woge in ihre Wangen, 
und fie fühlte, daß fie den Mann noch liebte mit jeder 
Fiber, daß jeder Nerv in ihr bebte in feliger Erwar- 
tung, 

Und fie vergaß, daß fie ihre Liebe unterdrüdt hatte, 
fie vergaß, daß fie an einen anderen Mann gebunden 
war. Ihr Herz drängte ihm entgegen wie in der 
glüdjeligiten Zeit ihres Lebens, Zhre Augen flogen 
über die graue Front des Haufes, fie fuchten feine 
Fenſter. Ob fie ihn ſah? Ob er wohl zufällig am 
Seniter ſtand? 

Da ſah fie vor dem Haufe zwei Pferde. Ein Burſche 
hielt fie und wartete wohl auf feinen Herren. Sie beugte 
fich weit vor, Nun mußte er fommen, Doc das war 
ja der Braune nicht, und auch den Fuchs kannte fie 
nicht! 

Da trat aus dem Haufe ein Offizier mit einem 
jungen, bildhübjchen Geficht, aus dem ein Baar fröhliche 
Augen die fremde elegante Dame neugierig anblikten. 

Erika lehnte fih zurüd, Eine beilemmende Angjt 
war in ihr, Er wohnte aljo nicht mehr in der alten 
Mohnung. Er war fortgezogen, 

Der Wagen donnerte durch) das Tor und fuhr auf 
die Landitraße hinaus, Aber Erika ſah die Heimat 
nicht. Das Land fchien ihr entfeelt und tot. Wo war 
Heinz Hartwig? Die Frage brannte in ihr, 

Und als fie daheim die Arme um Mutter und 
Schweiter jchlang, da konnte die Freude nicht mehr 
durchdringen, da war fie ftill und bellommen, denn 
die ungelöjte Frage quälte fie, fie ſchwebte ihr auf den 
Lippen, und fie wagte fie doch nicht auszuſprechen. 

Mutter und Schweiter fühlten bald das Fremde 
in Erikas Weſen. Sie empfanden das Unfreie ihrer 


0 Roman von Elfe Höffer. 45 





Sreude, und wie ein Wall ſchob fih das Gefühl des 
Fremdſeins zwifchen fie. 

Erika wollte in ihr Curmzimmer, fie hatte ſich darauf 
gefreut, in dem Heinen Gemach zu fchlafen und zu 
denen, daß alles nur ein wüſter Traum gewefen, fie 
immer noch die ftolze, frohe Erika Farnhorſt fei, die 
morgen über die taufrifche Waldichneife dem Geliebten 
entgegentitt, 

Irmgard legte den Arm um ihre Schulter. „Seh 
lieber nicht in dein altes Zimmer. Du logierſt befier 
im Fremdenzimmer, da bajt du das Badezimmer 
näher.“ 

Erita nidte. „Alſo ins Fremdenzimmer!" dachte 
fie müde, „Auch hier fremd!“ 

Und als fie den Roffer auspadte, kreiſten troftlofe 
Gedanten in ihrem Ropfe: „Wohin gehöre ich eigentlich 
in der weiten Welt?“ 

Da hörte fie eine tiefe, leidenihaftdurchbebte 
Stimme: „Meine Heimat bift du!“ 

Wie hatte fie nur fragen können, wie hatte fie nur 
juchen können! 

Semgard trat ein und ſah ihr bewundernd zu, wie 
fie all die blintenden Geräte auf dem Zoilettentifch 
aufbaute. 

„Irmgard, fage mir, wo iſt Hartwig?“ 

Die Schweiter zudte zufammen. „Er iſt für ein 
Sahr beurlaubt — auf Reifen,“ fagte fie leife. 

Erita wurde blaß bis in die Lippen, wandte ſich 
ab und ordnete die Rämme und Büriten. 

„Seit einem halben Zahr etwa,“ fagte Irmgard. 
„Ihr waret damals gerade in Norwegen, Er iſt gleich 
abgereift, nahdem —“ Sie ftodte, „Es war das beite 
für uns alle,“ fagte fie leife. „Sch babe es jebt auch 
verwunden. Du wohl auch?“ 


46 Die Siegerin. 0 





Erifa nidte gedantenlos. Sie hätte am liebiten 
laut aufgefhhrieen: „Nein — nein! Ich verwinde es 
niemals, ich will ja gar nicht!“ Aber fie blieb ganz 
jtill, nur ihre Hände zitterten leicht, dag das Kriſtall 
leiſe Hang. 

Irmgard ſprach weiter, und ihre weihe Stimme 
Hang zärtlich und ſcheu. „Es ift mir ſchwer geworden, 
aber an dir habe ih mich aufgerichtet, Erika. Ich ſah, 
daß du fo rajch und mutig überwunden haft. Ich ver- 
itand ja deine Gründe nicht, und ich kenne fie auch 
heute nicht, aber ich dente mir manchmal, du haft 
Wengern geheiratet, um den Konflikt zwiſchen uns zu 
bejeitigen. Und ſieh, das gab auch mir Kraft. Ich 
dachte, ih wollte es dir gleich tun, und ich habe ehrlich 
getämpft. Es war ja auch gar nicht fo ſchwer, denn er 
liebte mich ja nit. Nun bin ich Mar, nun denke ich 
2aum mehr an ihn. Er war eben eine Zugendliebe, 
und die überwinden die meiſten Menjchen.“ — Gie 
lachte, Dann legte fie Die Arme um Erikas Schultern. 
„Er war auch deine Zugendliebe, du bift auch darüber 
hinweggekommen!“ 

Erika machte ſich von den Armen frei, dann ſagte 
fie ſchwer, als ſei es ein qualvolles Bekenntnis: „Ich 
liebe ihn und werde ihn immer lieben!“ 

Irmgard ſah ſie entſetzt an. 

Da ſtrich Erika haſtig über ihr Haar. „Komm, laß 
uns hinuntergehen. Ich möchte mit Mutter allerhand 
beſprechen.“ 

Irmgard folgte ihr, in ihren Augen ſtanden drängende 
Fragen, aber Erika ſah fie nicht mehr an, 

Sremgard preßte die Lippen aufeinander. Wie 
fremd und kalt Erifa war, wie fühl und leblos war 
ihr Geſicht geworden! Sie kannte fie gar nicht wieder. 
Sie veritand fie nicht mehr. Ein heftiger Groll regte 


e) Roman von Elfe Höffer. 47 





fi) in ihr, und doch dämmerte ihr fern das Bewußtfein, 
daß die Schweiter ein graufames Schidjal hinter dem 
kalten Gelichte barg, „ 





Fünfundzwanzigftes Rapitel, 

Sie fagen in dem Heinen Wohnzimmer neben dem 
Gartenjaal um die rofa verjchleierte Lampe, und es 
war faſt wie in alten Zeiten, nur die tiefe, warme 
Stimme des Daters fehlte in dem Raum, und Erika 
war es, als fehlte die Seele, Sie kämpfte gegen die 
Sehnſucht nah dem Dater, und ihr einfames Herz 
ſuchte den Weg zu den Menſchen zurüd, die zu ihr 
gehörten. Aber es war, als verjtünden fie ihre Sprache 
nicht. 

Über der Mutter Augen lag es wie ein Schleier. 
Fhr Blick ftrahlte nicht mehr auf in warmer Liebe, 
wenn er die Tochter traf, Die Heirat mit Wengern 
hatte ihr das Rind entfremdet, fie begriff Erika nicht 
mehr. 

Ernft ſah forfchend auf die junge Frau, und wenn 
die Seide ihrer Röde leiſe knifterte, dann lächelte er 
Ipöttiih und dachte: „Dies gehört zum Raufpreis.“ 

Nur Mar war lieb und voller Bewunderung für 
alles, was aus der eleganten Welt, in der die Schweiter 
lebte, zu ibm drang. Seine weihe Natur vermied 
Konflitte und Erregungen, Erika hatte doch nichts 
Böfes getan! Er begriff die kühle Reſerve der anderen 
nicht, 

Und Erika fühlte, daß fie mißachtet wurde, Dies 
Bewußtfein lähmte und vergiftete fie. Sie verachten 
mid, weil ih mich vertauft habe, und fie wiſſen nicht 
einmal warum. Und ihr war, als müſſe fie aufitehen, 
wie eine Angeklagte vor ihren Richtern, und fich rein- 


48 Die Siegerin. — 





waſchen von dem häßlichen Argwohn, als müſſe ſie 
ihnen langſam Wort für Wort die Gründe entgegen- 
ichleudern, bis fie wieder aufrechten Hauptes unter 
ihnen leben konnte. 

Aber fie ſchwieg. Ach, fie hatte diefe Gedanken 
ſchon au oft gedaht. Sie hatte ein Grauen vor den 
nutzloſen Grübeleien. 

Marx legte die Hand auf ihren Arm, „Erika, erzähle 
uns Doch von euren Reifen, von eurem Leben, von 
dem Rennitall. Sn allen Beitungen lieft man davon, 
und ich bin dann immer ganz ftolz.“ 

Erika jchüttelte den Ropf. „Ih mag nicht gern 
erzählen, Max, ih bin ein bißchen matt, aber ich bin 
getommen, um mit Mutter über die Zukunft zu reden,“ 

Die Mutter hob die forgenvollen Augen und nidte, 
„za, wir müſſen Entihlüffe faſſen. Durch Hanjens 
DBerlobung ift mir eine große Sorge genommen, Er 
Ichreibt fo rührend, der gute Zunge, er hätte den Schritt 
getan, um uns zu entlaften. Hoffentlih wird er nun 
auch glücklich.“ 

Erika nickte flüchtig. 

Die Mutter wartete auf ein Wort der Anerkennung 
von Erifa, Dann fuhr fie haſtig fort: „Was Ernſt und 
Max anbetrifft, fo hat mir Wengern feine Unterſtützung 
angeboten, Ich habe ihn aber energifch zurüdgewiefen, 
Ich hoffe nicht, daß er’s auf deine Deranlafjfung 
getan bat,“ 

Erika errötete, „Nein, Mutter. Ich habe ihm das- 
jelbe gejagt, Ich wünſche felbjt nicht, ihn in irgend 
einer Weife in Anfpruch zu nehmen.“ 

Die Mutter ſah fie überrafht an. „Unfere Lage 
ist jehr fchwierig feit Vaters Tod — und durch Hanjens 
Zeichtjinn.“ Sie ftodte, „Und nun hat er, um feine 
Schuld wieder gutzumaden, feine Hilfe angeboten. 


0 Roman von Elfe Höffer. 49 





Es handelt fih aber um das Vermögen feiner Frau, 
und daher widerjtehbt es mir. Aber ich fehe keinen 
anderen Ausweg. Ernſt und Max, beide haben den 
Wunſch, Offiziere zu werden —“ 

Da ſprang Ernit heftig auf, fein Geſicht war ganz 
blaß. „Niemals nehme ich einen Heller von meines 
Bruders Frau! Was denkt der von mir! Wenn denn 
alles vor dem Gelde kriecht, ich krieche nicht!“ 

Erika ſtand auf, trat auf Ernſt zu und faßte feinen 
Ropf zwifchen beide Hände, „Ernit, Zunge, das ijt 
recht, wie freue ih mich —“ 

Er riß fih von ihr los, und feine Augen blibten, 
„Was willjt denn du?“ Er lachte höhnifch. „Yon dem 
anderen habe ich es nicht anders erwartet, das mußte 
ja fo fommen, aber du, Erifa — du! Daß du Das 
getan haft, daß du vor dem Geld kriehit — pfui!“ 

Erika taumelte zurüd, 

Er trat dicht an fie heran. „Nun habe ich dir meine 
Meinung gejagt, und das ift die Meinung von jedem 
anftändigen Menſchen. Du haft dich verkauft!” Tränen 
traten ihm in die Augen, Mühſam rang er nad) Worten. 
„Ich jage dir, ich will lieber zugrunde gehen, als deines- 
gleichen werden!“ 

Er ftürzte zur Zür hinaus. 

Erika ſetzte fich zitternd auf einen Stuhl, Sie 
tonnte nicht mehr denten, Ihr war zumute, als hätte 
lie einer geſchlagen. Im Bimmer war eine laftende 
Stille, | 

Da legte Mar feinen Arm um Erikas Hals, „Ich 
weiß gar nicht, was Ernjt hat, Ich finde es auch ſehr 
nett von Hans, daß er uns helfen will, Ich mödte 
doch jo gern Offizier werden,“ 

Erita machte fich frei. Sie ſah in das weidye, gut- 
mütige Geſicht und fagte hart: „Cs wäre beijer für dich, 

1910. XII. 4 


59 Die Siegerin, Q 








du verachteteſt mich aud fo wie Ernft.“ Dann ſtand 
fie auf und ging hinaus. 

Die Mutter brad in Tränen aus und lehnte den 
Ropf an Srmels Schulter. Sie weinte hilflos. 

„3b glaube, Erika ift krank, Mutter, Niemand 
fann fie verſtehen.“ 

Die Mutter nidte. „Ein Rind nah dem anderen 
löft fich los, bis man allein ift,“ fagte fie ſchmerzlich. 

Irmgard küßte den grauen Scheitel, „Sch bleibe 
bei dir, Mutter,“ — 

Erita ging durch die fintende Naht zum Grabe des 
Daters. Sie kam fih vor wie eine YAusgeftoßene. 
Alle verachteten fie, 

Nun, fie mußte es tragen, bis fie einen Weg ge- 
funden, der fie aus diefer Niederung wieder aufwärts 
führte, Sie erfehnte den Rampf. 

Sie lehnte ſich an den ſchlichten Granitblod, der zu 
Häupten des Grabes jtand, und fah auf die dunkle Erde 
nieder. Bitterer denn je fühlte fie ihre Verlaſſenheit. 

Wenn der Dater noch bei ihr wäre, dann hätte fie 
in diefer Stunde einen Menfchen, der ihre Kraft ftählte 
und Sie in den rechten Rampf wies. Aber fie war allein 
auf fih angewiejen, fie mußte felbftändig einen Weg 
finden, der bergauf führte, denn fie fonnte fo nicht 
weiterleben, jo gedemütigt und verachtet. Sie mußte 
ihr GSelbftbewußtfein wieder erringen. Und daran 
wollte fie arbeiten. Sie mußte wieder ftolz werden, 
fie mußte etwas leijten. 

Sie richtete fih auf. Za — Arbeit! Dielleiht gab 
ihr die Arbeit Befriedigung und Selbftahtung. Sie 
wollte fi) einen Kreis ſuchen, in dem fie wirken konnte. 
Dielleiht konnte fie dann fogar zu Wengern zurüd- 
fehren und das Leben mit ihm ertragen, wenn fie ein 
Ziel hatte, das fie befriedigte, Die Arbeit würde fie 


e) Roman von Elfe Höffer. 51 





über die öden Stunden des Alleinfeins tröften, Sie 
würde fie betäuben in den Augenbliden der Erregung. 
Sie würde die Gedanken eritiden an den Mann, der 
fern von ihr Vergefjenheit juchte, 

Die Arbeit follte ihr Leben füllen, die Arbeit für 
andere, 

Es fiel ihr ein, daß Wengern auch Fabriten bejaß. 
Eine große Zahl Arbeiter war dort beichäftigt, Er 
tümmerte fih gar nicht um den Betrieb. Dies war 
Boden für ihre Tatkraft, hier konnte fie wirken. Gie 
konnte fich felbit vergejjen über den anderen. 

Wengern mußte ihr dies Arbeitsgebiet überlafien. 
Sie wollte ihn bitten, und es Sollte ihre erfte Bitte fein. 
Sie wollte ihm fagen, daß für eine Natur wie die ihre 
Ruhe und Satenlofigkeit zur Qual werden mußte, 
daß fie freudiger und zufriedener werden würde durch 
die Arbeit, Er mußte das veritehen und achten. Gie 
wollte auch ihn bitten, felbit eine geregelte Beihäftigung 
zu übernehmen, vielleicht ließ fih ihr Leben doch noch 
würdig geftalten auf dem Boden der Arbeit, 

Sie ſah zum Grabe nieder, „Dater, bit du zu- 
frieden? Ich trage mein Los, fo gut ih kann. Noch 
einmal will ich verfuchen, es zum Guten zu wenden. 
Sch habe meine Freiheit verloren. Nun will ich mir 
eine Pfliht fchaffen und fie mit ganzer Kraft er- 
füllen,“ 

Leichten Schrittes ging fie zwifchen den Gräbern 
hindurch, dem Elternhaufe zu. Pas neue Lebensziel 
lodte fie mädtig. Zhre Muskeln ſpannten fich in froher 
Erwartung der Betätigung. 

Als fie das Haus düſter und ftill vor fich liegen ſah, 
Ihlih wieder ein heißes Weh duch ihre Bruft. Pie 
Heimat hatte fie verloren, wie die Menſchen, die ihr 
nahe ftanden, Aber vielleicht konnte fie auch ihre Achtung 


52 Die Siegerin. | 






wieder erwerben, vielleiht würden fie Doch noch ein- 
ſehen lernen, daß fie nicht niedrig war, 

Am anderen Morgen rüjtete fie zur Abreife. Beim 
Frühſtück fragte fie Ernit: „Nun, was haft du über 
deine Zukunft bejchlofjen?“ 

„Ich erſuche dich, meine Angelegenheiten nicht zu 
berühren,“ fagte er ſchroff. 

Da wurde fie blaß und jchwieg, und fie drängte 
zur Abreiſe. 

Als fie im Wagen faß, atmete fie auf, fie wandte 
ih nicht mehr zurüd, der Anblid der Heimat tat ihr 
weh, Nur vorwärts wollte fie ſehen. Nichts follte 
fie mehr beirren, Und als fie an Hartwigs Haus 
pvorüberfuhr, war nur ein dumpfer Schmerz in. ihrer 
Bruſt, und auch den follte ihr die Arbeit überwinden 
helfen. 

Wengern empfing fie mit ftürmifcher Zärtlichkeit. 
Er hatte wohl gefürchtet, fie würde länger fortbleiben, 
Er erwähnte mit keinem Worte jenen Abend, und au 
Erita fchwieg darüber, Es war ihr widerlich, Die 
häßliche Szene zu erwähnen. Dielleiht kam auch der- 
gleichen nicht wieder vor, Sie wollte mit dem beiten 
Willen und den ehrlihiten Vorſätzen das neue Leben 
beginnen. 

Wenige Stunden nad) ihrer Ankunft wurde Wengern 
telegraphifch abgerufen, und mit lebhaften Bedauern 
in der Stimme teilte er ihr mit, daß er auf zwei Tage 
verreijen müſſe. Sie konnte ihm aljo noch nicht von 
ihren Plänen fprechen, und es war ihr lieb, denn fie 
wollte noch alles in Ruhe überlegen und mit einem 
taten Vorſchlag an ihn berantreten. 

Als das Automobil abgefahren war, wechjelte fie 
raſch die Toilette, Sie vertaufchte das elegante Haus- 
leid mit einer einfachen Blufe und einem fchlichten, 


e) Roman von Elfe Höffer. 53 





fußfreien Rod, Als fie fich flüchtig im Spiegel fah, 
lächelte fie leicht, denn fie ſah jugendlih und friſch 
aus. Die frohe Erregung hatte ihre Wangen gerötet, 
und ihre Augen ftrahlten in heller Zatenluft. 

Sie ging durch den Park zum Dorf hinab, Die roten 
Fabritichlote qualmten ſchwere, zähe Wolken über die 
Landſchaft. Ein betäubender Lärm von arbeitenden, 
haſtenden Maſchinen fcholl ihr entgegen, und als fie 
vor dem breiten Tore ftehen blieb, ſah fie in ein leb- 
baftes Getriebe von hochbepackten Wagen, ftampfenden 
Pferden und haſtenden Menfchen. 

Niemand beachtete fie, nur zuweilen zudte ein 
neugieriger Blid zu ihr hinüber, Sie hätte ftundenlang 
fo ftehen mögen, um diefem tätigen Leben zuzufchauen. 
Aber fie ſchämte fich plößlich ihrer Untätigkeit angefichts 
diefer taftlofen, ſchwer arbeitenden Menfchen, deren 
Musteln ſich fpannten, und deren Gefichter heiß und 
erregt ausjahen. Dies war nicht das Feld ihrer Arbeit. 
Zu den Frauen und Rindern wollte fie gehen. 

Auf der Dorfitraße balgte fih eine Herde Rinder, 
Sie trat heran und legte die Hand auf einen runden 
Rraustopf. Da ftoben die Rinder entjebt auseinander. 
Sie lähhelte, Sie würden ſchon lernen, daß fie es gut 
mit ihnen meinte, Sie würden bald ihre Scheu über- 
winden. 

Aus dem nächſten Haufe trat eine große, ftark- 
knochige Frau, fie hatte eine ſchwere Holzbütte in den 
Händen, und die Sehnen der mageren Arme ftrafften 
fich bei der Anftrengung. Sie goß den trüben Inhalt 
der Bütte die Stufen hinab, und Erita mußte raſch 
zur Seite weihen. Doc fie grüßte freundlich zu der 
Frau hinauf, Die dankte mürrifh und trat zurüd, 
Erika erfchrat, aber fie nahm ihren Mut zufammen 
und trat auf die feuchten Stufen. 


54 Die Siegerin. u 





Die Frau drehte ſich argwöhniſch um. „Was beliebt?“ 

Erika trat unter die Türe, „Sch weiß nicht, ob Sie 
mich kennen. Sch bin Frau Wengern.“ 

Die Frau nidte verdrofjen. 

„ah möchte die Leute hier gern näher kennen 
lernen, möchte fie befuchen, und da Ihr Haus gerade 
das erite im Dorf —“ 

Die Frau mufterte fie argwöhniih, und es war 
Erita, als zude ein häßlicher Hohn um den harten 
Mund. „Ich kann Sie nicht hereinführen, denn ich 
habe nur die Rüche und eine Kammer für mid und 
meine drei Rinder. Das ift ja auch genug für eine 
arme Witwe,“ 

„Ah, Sie find Witwe? Iſt Ihr Mann fchon lange 
geitorben?“ 

„Seit zwei Zahren ſchon.“ 

Erika fragte in herzlicher Teilnahme weiter: „Wo- 
ran ift Ihr Mann geftorben?“ 

Die Frau ſchoß einen tüdifchen Blick über fie hin. 
„Wenn Sie fhon danadh fragen — Herr Wengern 
hat ihn mit dem Automobil überfahren.“ 

Erika ſtieß einen leifen Schredenstuf aus, fie mußte 
ih an die Wand lehnen, fo zitterte fie. 

Die Frau nidte mit ſchwerem Kopf. „ga, und 
nachher haben fie vor Gericht herausgefunden, daß er 
betrunten war, Es kann ja fchon fein, daß er etwas 
über den Durſt getrunten hatte. Unſereins hatte ja 
fein anderes Dergnügen, und es war ja auch gerade 
Zahltag. Wie fie ihn mir gebracht haben, lebte er ſchon 
nicht mehr,“ Sie ftrich fich energifch über die Schürze. 
„Na, tot ift tot! Aber dag ich Heren Wengern nicht 
gern fehen mag, werden Sie wohl verftehen!“ 

Erika jentte den Kopf wie unter einer Antlage, 
„Aber er hilft Ihnen doch?“ 


— Roman von Elfe Höffer. 55 


Die Frau zudte verähtlich die Achſeln. - „Cr hat 
es ja dazu.“ | 

Der Ton der Frau empörte Erika. Doc fie konnte 
mit dieſem verbitterten, einfamen Weibe nicht rechten. 
„Dielleiht kann ich Ihnen beilpringen?“ 

Die Frau rührte fich nicht und fah fie nur lauernd an, 

Erita griff in die Taſche, zaghaft und zögernd. 
Sie hatte das Gefühl einer Herzensroheit. Dann gab 
fie der Frau einige Goldftüde,. Zhr war jehr unbehaglich 
zumute. Sie dachte, die Frau würde ihr das Geld in 
heller Verachtung vor die Füße fchleudern, 

Aber die hagere, braune Hand zudte an der Schürze, 
dann griff fie haftig, gierig zu. 

Da wandte ſich Erika und ging. Sie wartete nicht 
mehr auf ein Wort des Dankes. 

Sie ging die heiße, fonnige Dorfſtraße hinab. In 
ihr war eine große Traurigkeit, Sie wagte gar nit, 
in das nädfte Haus zu treten, denn fie erwartete, 
wieder verjagt zu werden. Der peinlihe Eindrud 
Ichmerzte fie und lähmte ihre frohe Tatkraft. Sie nahm 
ihren ganzen Willen zufammen, um darüber hinweg- 
zulommen, aber es war wie ein düfterer Schatten 
über ihr. 

Erſt vor dem lebten Haufe blieb fie wieder jtehen, 
und als fie über die Schwelle trat, Elopfte ihr Herz 
ängftlih. Was wollte fie bei diefen Menſchen? Ronnten 
die ihr Wollen verjtehen, oder würden fie die reiche 
Frau verhöhnen, die plötzlich Samariterlaunen hegte? 
Eie fühlte, daß ihre Freudigkeit immer mehr ſchwand, 
aber dann jchämte fie fih. Wie konnte fie nur fo raſch 
den Mut verlieren! Enttäufchungen gab es bei jedem 
Werk. 

Sie Hopfte an die Türe, Eine tiefe Stille herrſchte. 
Sie Hopfte lauter. Da antwortete eine matte Stimmg 


56 Die Siegerin. m 





ein unveritändlihes Wort, und Erika trat ein in dem 
fiheren Bewußtfein: bier kannft du helfen! 

Eine trübe Dämmerung umfing fie. Heiße, Dumpfe 
Luft ſchlug ihr entgegen, gemijht mit dem fcharfen 
Geruch von angebrannter Mid. Erika konnte nichts 
unterfcheiden. Da ſcholl aus der ferniten Ede das helle, 
durchdringende Weinen eines Heinen Rindes, dazwiſchen 
ein dDumpfer Sammerlaut, 

Erika ſtieß den Laden auf und trat in die Stube 
zurüd, Da fah fie ein zerwühltes, fhmußiges Bett, 
auf deſſen buntem Kopfkiſſen der fieberheige Ropf 
eines Weibes lag. Wirre Haarjträhnen lagen um das 
Geſicht; von dem mageren Rörper waren die [hweren 
Kiffen zurüdgefhoben. Die Bruft atmete haftig. Die 
braunen, rifjigen Lippen ſchmachteten halb geöffnet. 
Die bläulihen Augenlider waren gejchlofien. 

Erika trat dicht an das Bett und ſah voll tiefen 
Mitleids in das heiße Geficht, und dann ging fie ſchnell 
in Die Meine Rüde und ſchöpfte aus einem Eimer 
Waſſer. Sie kniete vor dem Bett nieder, ſchob den Arm 
unter das heiße Riffen, und vorfichtig hielt fie das 
Glas an die lechzenden Lippen, Pie Kranke zudte 
aufammen, dann trank fie gierig, Die braunen Lippen 
bewegten fih, und die Lider zudten. Erika ließ fie 
zurüdjinten. Crleichtert atmete die Frau. 

Da fing das Rind wieder an zu weinen in matl- 
erihütternden Zönen, Erika hob es aus der plumpen 
Wiege. Es war ein ganz kleines, elendes Rind, es mochte 
erſt einige Tage alt fein. Erika ſah zärtlih auf Das 
Geihöpfchen herab, und eine warme Zärtlichkeit ftieg 
in ihr auf, 

Sie ſchlug das Rind in ein frifches Leinen, das 
fie aus einem Wäſchehaufen zog, der unordentlid in 
der Ede lag, dann wiegte fie es leije jummend im Arm, 


0 Roman von Elfe Höffer. 57 








Das Rind ſchwieg und bewegte das Mündchen, Erifa 
war fo glüdlich wie feit langer Seit nicht. 

Da ſchlug die Kranke die Augen auf, und ein plöß- 
liher Schreden ging über ihr Geſicht. 

Erika fahte ihre Hand. „Bitte, erichreden Gie 
nicht! Ich will ein wenig bei Ihnen bleiben, weil Sie 
io allein find. Rann ich Ihnen etwas helfen, kann ich 
Shnen etwas geben?“ 

Die Kranke jchüttelte den Kopf. „Sp eine feine 
Dame!“ murmelte fie. 

Erika lachte leiſe. „Ach, denken Sie doch nicht 
daran!“ Sie nahm ein Tuch und trodnete vorfichtig 
die Stirn der Rranten. „Sind Sie fchon lange krank?“ 

Die Frau wies mit den Augen nah dem Rinde. 
„Seit dem da —“ 

Erika ftreichelte das zarte Rinderktöpfchen. „Haben 
Sie keinen Arzt?“ 

Die Frau lächelte trübe. „Das ift doch nicht der 
Mühe wert — wegen ſo etwas.“ 

„Aber Sie haben doch Fieber, es muß doch jemand 
nad Zhnen jehen!“ 

Die Frau fchüttelte eigenfinnig den Ropf. 

„Sie können unmöglich allein bier liegen bleiben. 
Mo iſt Zhr Mann? Bflegt Sie keine Nachbarin?“ 

„Mein Mann ift in der Fabrik, und die Nahbarinnen 
haben jelber Arbeit genug, Es wird ſchon fo wieder gut.“ 

Da fing das Rind wieder an zu weinen, 

„Es hat Hunger,“ fagte die Frau befümmert. „Mein 
Mann kommt erjt in zwei Stunden heim, Dann madt 
er die Flaſche zurecht.“ 

„sh will es gern tun,“ fagte Erika raſch und 
freudig. 

Die Frau bewegte abwehrend den Ropf, und dann 
jtöhnte fie auf, ſchloß die Augen und lag apathifch da. 


58 Die Siegerin, a 





Nur die glühenden Hände bewegten fih auf der 
Dede. 

Erika ſah angjtvoll in das entitellte Geſicht. Uber 
dann kam eine ruhige Bejonnenheit über fie. Sie legte 
ein naſſes Tuch auf die brennende Stirn. Dann ging 
fie in die Rüche, und auf dem kleinen Herd machte fie 
Feuer an, ſchnell und gefhidt, und die keine Flamme 
fuhr in das dürre Holz und ledte über den Boden des 
Topfes. Sie goß die Mil hinein, dann fand fie die 
Flaſche und jäuberte fie. Und bald trank das Rind 
in behaglichen, durftigen Zügen und fchlief auf ihrem 
Schoße ein, 

Erika fühlte, wie die Tränen ihr in die Augen fliegen 
und auf das winzige, rührende Rindergefichtchen 
teopften. Und fie date: „Wie muß das füß fein, ein 
eigenes Rind in den Armen zu halten und geliebte 
Züge in dem winzigen Gefihtchen zu ſuchen! Das ijt 
Glück! Aber ich darf das nie erleben — es wäre ja 
entjeglih, Sünde am Leben —“ 

Die Frau wälzte fih jtöhnend, fie ſprach wirre, 
ſinnloſe Worte, 

„3b muß fofort zum Arzt ſchicken,“ dachte Erika. 
Sie legte das Kind in die Wiege und madte eine 
friihe Kompreſſe, dann lief fie in das Nachbarhaus. 

Mit großen, verwunderten Augen ſah ihr eine junge 
Stau entgegen. 

„Bitte, gehen Gie für ein Weildhen zu der kranken 
Frau nebenan, Ich will rafch einen Arzt holen lafjen.“ 

Die Frau folgte ihr, fie hatte jich von ihrem Erftaunen 
noch nicht erholt. 

Erita ging eilig die Dorfſtraße zurüd, fie ſah die 
erftaunten Blide nicht, fie war nur von einem einzigen 
Gedanken erfüllt. 

Als fie den Bart erreicht hatte, fing fie an zu laufen, 


o Roman von Elje Höffer, 59 


und wtemlos kam fie an. Sie jchidte jofort zum Arzte, 
dann befahl fie der Zungfer, Leinen und Lebensmittel 
einzupaden. „Aber raſch — rajch, Anna, Es ift jemand 
krank — wir müjjen helfen!“ 

„Wer denn, gnädige Frau?“ 

„Eine Frau im Dorfe.“ 

Da hob Anna hochmütig die Naſe, aber Erika trieb 
fie zur Eile, und bald folgte ihr Anna mit einem ge- 
füllten Rorbe die Dorfitraße hinab. 

Die Rrante lag noch immer mit gefchloffenen Lidern, 
Am Ropfende ſaß die Nachbarin, die Hände im Schoße 
gefaltet. 

Anna trat ans Fenſter. „Was iſt das für eine 
Luft!“ murmelte fie. 

Erika warf ihr einen zornigen Blid zu. „Sie 
tönnen gehen,“ fagte fie kurz. 

Die Nahbarin blieb neugierig an der Türe ftehen 
und ſah habſüchtig auf den gefüllten Rorb. Da fuhr 
ſchon das Automobil mit dem Arzt vor. Die Frau ging 
eilig davon, und Erika trat unter die Türe. 

Ein junger, fchlanter Menſch fprang aus dem 
Gefährt. Er fah Erika überrafcht an. „Gnädige Frau — 
Sie felbft?“ Dann ftellte er jich vor. „Doktor Friedrichs.“ 

Erika reichte ihm die Hand, „Here Doktor, ich 
glaube, Sie find fehr nötig hier, Durch einen Zufall 
kam ich hierher.“ 

Die Augen des jungen Arztes hingen in Bewunde- 
rung an dem fchönen, erregten Geficht. Dann folgte 
er ihr in die Stube. 

„Ich will Shnen helfen, Herr Doktor, wenn Gie 
mich brauchen.“ 

Einen Augenblid zögerte er und ſah auf die weiße 
Hand. Dann beugte er jih über das Bett und unter- 
juhte die Kranke. Mit ruhiger, fahlider Stimme 


60 Die Siegerin. D 





gab er Erika feine Anweiſungen, und ihre Augen ftrahl- 
ten vor Glück. | 

„Helfen darf ih — helfen!“ dachte fie. „Nun wird 
alles gut, nun wird das Leben doch noch ſchön!“ 

„Es war die höchſte Zeit, daß ich kam,“ fagte Doktor 
Friedrihs. „Wir müfjen jemand fuchen, der die Pflege 
übernimmt,“ 

„ah!“ ſagte Erika, 

„Snädige Frau, das geht nicht. Die Nachtwache 
muß jemand anders übernehmen,“ 

„Nein — nein, ich will es tun, Bitte, lafjen Sie mid) 
bier!“ 

Der Arzt fah fie mit erniten Augen an, „Wollen 
Sie wirtlih, gnädige Frau?“ 

„Ich babe ja fo viel Zeit,“ fagte Erika, „denken 
Sie nicht, daß es nur eine Laune ift!“ 

Er jchüttelte den Ropf und ging, 

Mit lautlofen Schritten glitt fie zwiſchen dem Bett 
und der Wiege hin und her, und die ftille Freudigkeit 
in ihrem Herzen wuchs, und fie dachte: „Vielleicht habe 
ih all das Schwere erleben müfjen, um das Leid der 
anderen Menſchen zu begreifen. Dielleiht mußte ich auf 
das eigene Glüd verzichten, um mit ungeteilter Kraft 
helfen zu fönnen. Dies foll mein Lebensinhatt werden!“ 

Als die Zabritglode eriholl, und der Mann feine 
breite Geftalt zur Türe bereinihob, war Erika in dem 
Stübchen Schon heimiſch. Eine freundliche Ordnung 
herrſchte. Das Rind fchlief, und die Rrante lag zwiſchen 
frifchen, fühlen Leinen, 

Erila reichte dem Manne die Hand, Er wijchte 
jeine klobige Fauft erjt an dem Arbeitstittel ab, bevor 
er ihre Rechte ergriff. „Ich will Ihnen helfen, folange 
es Zhrer Frau noch Schlecht geht. Bitte, lafjen Sie fich 
duch mid nicht ftören,“ 


s) Roman von Elje Höffer. 61 


Er. ſah ſcheu zu ihr auf, dann feste er fich auf die 
äußerſte Rante eines Stuhles, ungelent und unbeholfen, 
als jei er ein Fremder im eigenen Haufe, 

Erika ſah, daß ihre Gegenwart ihn beklemmte. Gie 
feste fich ftill ans Bett und wechjelte die Kompreſſen. 

Der Mann atmete betlommen, der Stuhl knarrte 
bei jeder Bewegung feines fchweren Körpers, Und 
dann wimmerte die Rrante leije, als täte der Ton 
ihren Nerven weh, 

Der Mann jeufzte und ftand vorjichtig auf. „Ic 
kann wohl nichts helfen?“ fragte er verlegen. 

Erika fchüttelte den Ropf. | 

Er ging, und fein fappender Schritt verklang im 
Flur. 

Vor dem Fenſter ſcholl das neugierige und aufgeregte 
Wiſpern und Tuſcheln von Frauenſtimmen. Zuweilen 
hob ſich eine der Frauen auf die Fußſpitzen und ſpähte 
in das Zimmer, um zu ſehen, wie die vornehme Dame 
am Bette der armen Arbeitersfrau ſaß. 

Erifa wandte fich jeufzend ab, Es war ihr unfäglich 
peinlich, fi beobachtet und belauert zu wiſſen. Aber 
allmählich vergaß fie die gaffenden Augen, denn die 
Kranke forderte ihre ganze Aufmerkſamkeit. 

Cs war eine [hwere Naht. Die Frau rafte in 
wilden Fieberphantafien, Erita brauchte oft ihreganze 
Körperkraft, um fie im Beite feitzubalten, und mancymal 
war es wie ein Ringen zwifchen den beiden. Unaufbörlich 
famen die wirren Reden über die heißen Lippen, und 
die Hände fpielten auf der Dede ein unbeimliches 
Spiel, Das Fieber rajte in dem Rörper mit fürdter- 
liher Gewalt, und oft meinte Erika die Nähe des 
fremden, fchweigenden Gajtes zu fühlen, der am Bette 
ſtand und wartete, bis feine Stunde fam. 

Dann padte fie eine tödlihe Angſt. Sie ſah ſich 


62 Sie Siegerin. a 





erihredt in dem fremden kahlen Simmer um und 
ſehnte fih nah einem Wort des Troftes und der Er- 
mutigung. 

Endlih hob der Mann feinen blonden Ropf durch 
die Zürjpalte und blidte mit verängjtigten Augen auf 
fein Weib. Erika nidte ihm zu, und er ging beruhigt 
wieder davon, 

Erit gegen Morgen wurde die Rrante ruhiger. 
Als der erite, fahle Dämmerſchein durchs Feniter kam, 
ſtand Doktor Friedrichs am Bette und befühlte den 
Buls der Frau, Erika ſah ihn mit angftoollen Augen an. 

„Bir können fie ſchon durchkriegen. Aber jebt 
müſſen Sie an fich denken, gnädige Frau.“ 

Erika [hüttelte den Kopf. „Bitte, laffen Sie mid) 
bier, ih bin volltommen friſch.“ 

Und fie blieb. Sie wufch das glühende Geficht der 
Frau. Sie badete das Rind und wiegte es in ihren 
Armen, Der Mann ging zur Arbeit, und auf der Straße 
wurde es lebendig. In kleinen Trupps gingen die 
Arbeiter mit hallenden Schritten zur Fabrif, und 
da war auch) nicht einer, der nicht den Ropf zur Seite 
wandte und auf das fleine Haus fah, in dem die Frau 
des Herren war, 

Erika fohoffen die Tränen in die Augen. „Ach, fie 
wiſſen es alle! Warum beobachten fie mich po?“ Sie 
trat tief in den Hintergrund des Bimmers. 

Mengern berichtete telegraphifh feine Nüdkunft, 
Erika hatte gerade noch Zeit gehabt, nah Haufe zu 
eilen und fih umzuziehen. Der Rranten ging es 
befjer. Doktor Friedrihs hatte eine Krankenſchweſter 
aus dem Städtchen für die zweite Nahtwahe gefchidt. 

Zum erſten Male freute fih Erika auf Wengerns 
Heimkehr. Zhr Herz war voller Bitten und Pläne, 


Oo Roman von Elfe Höffer. 63 


Und als das Auto vorfuhr, ftand fie erwartungspoll 
auf der Treppe und ſah ihm entgegen. 

Er trat eilig auf fie zu, war mit Blumen und Ge— 
ichenten beladen, und Die heiße Wiederjehensfreude 
brach ihm aus den Augen. \ 

Erita {hob alles beijeite, Mit fliegenden Worten 
erzählte fie ihm ihr Erlebnis, „Heinrich, ich habe eine 
große Bitte an dich. Du darfit fie mir nicht abfchlagen. 
Sch freue mich fo darauf. Ich möchte gern ein Heim 
gründen für Wöchnerinnen und ein Heim für Rinder, 
damit die armen Heinen Geſchöpfe gepflegt und gebütet 
werden, wenn die Eltern arbeiten gehen. Und ein 
Krankenhaus für deine Arbeiter,“ Als fie fein amüfiertes 
Lächeln ſah, erichrat fie. „Ich bitte dich, fchlage mir’s 
nicht ab, Sc brauche das zu meinem Glüd, Ich kann 
fo nicht weiterleben.“ 

Er zog fie dicht an fich heran. Seine Augen glänzten, 
„Welch eine niedlihe Samariterin du bit, Kleine! 
Ich glaub’s beinahe, daß die Rolle dir reizend fteht!“ 

Sie erblaßte. „Nein, ſo nicht!“ 

Er lächelte überlegen. „Ich kenne ſolche Ideen. 
Nein, Rindchen, zur Krankenſchweſter bift du nicht 
geboren, Du gebörft nicht in die Armeleuteituben mit 
deinem ftolzgen Geſicht. And wenn aud — du bift 
nur für mich da, nur für mich) ſollſt du da fein. Ich 
will dih mit niemand teilen, am wenigjten mit der 
Bande da unten im Dorfe.“ 

Erita wand ſich aus feinen Armen, „Sch bitte dich,“ 
fagte fie noch einmal, „erfülle mie den Wunſch. Du 
weißt nicht, was für mich davon abhängt.“ 

Da wurde er ärgerlih, „Erika, laß den Anfinn! 
Derartige Launen unterdrüde in Zukunft. Ich habe 
feine Luft, mich und meine Frau lächerlich zu macden, 
weil du dir in diefer Rolle gefällt. Wenn du abjolut 


64 Die Siegerin. a 





deinem Wobhltätigkeitsgefühl frönen willit, dann laſſe 
dich in der Stadt in ein Romitee wählen, da kannſt du 
genug Gutes tun. Und. nun ijt die dumme Sache 
erledigt, nun fomm und fei lieb zu deinem Manne.“ 

Er wollte fie umarmen und küſſen. Sie merfte, 
daB er wieder getrunken hatte, Da ftieß fie ihn vor 
die Bruſt, daß er taumelte, und flürzte davon, Ein 
erjtidter Fluch jcholl hinter ihr ber. 

Erika ſchloß ih in ihr Ankleidezimmer ein, und als 
feine Hand an dem Schloß rüttelte, blieb fie ganz ſtill. 

„Dffne!“ gebot er herriſch. 

Sie hörte feinen ſchweren Atem. „Nein,“ fagte fie 
ruhig. | Ä 

„Denn nicht die Dienftboten wären, ich jchlüge die 
Türe ein!“ fagte er keuchend. 

„Zu, was du willft, du kannſt mich töten, aber 
küſſen wirft du mich nie mehr!“ 

Er lachte hohnvoll und ging. — 

Am nädften Morgen, als Erita die Treppe herab- 
tam, ftand Wengern mit finjterem Geſicht vor den 
gepadten Roffern. Anna und der Diener liefen eil- 
fertig durch die Räume. 

„Was iſt?“ fragte Erila, 

„Wir reifen mit dem Mittagszug. Die Landluft 
betommt, wie es fcheint, deinen Nerven ſchlecht.“ 

Erika erſchrak. 

„Es tut dir wohl leid?“ fragte Wengern höhniſch. 

„Nein,“ jagte Erika, „es ift mir gleidhgültig.“ 





Sehsundzswanzigites Rapitel. 
Wieder begann ein wechjelvolles Leben. Sie 
teilten nad Oſtende, und Erika führte wieder ihre 
Soiletten zur Schau, Aber fie war nicht mehr müde 


D Roman von Elfe Höffer. 65 





und apathifch wie in: der erjten Zeit ihrer Ehe, Sie 
war aus der ftillen NRefignation erwacht, von Tag zu 
Sag wuchs ein neuer fieghafter Wille in ihrer Bruft. 

Das Bewußtfein ihrer ungebrochenen Kraft rang 
ih ans Licht. Gie wollte ihr Leben retten aus dem 
Sumpf, in dem es zu erjtiden drohte. Den lebten Weg, 
die Arbeit, hatte er ihr verfagt. Nun wollte fie die 
Freiheit! Mit aller Kraft drängte fie aus der Sklaverei. 
Mochte gejhehen, was wollte, fie ertrug die Schmach 
nicht mehr. 

Das Opfer ihrer Perjönlichkeit war eine Sünde 
gewefen am Leben, an ihr felbjt. Täglich fah fie Harer, 
täglihb erwachte ein Stüd ihres früheren Jh und 
verlangte fein Recht. Und mit wachen, Haren Augen 
fah fie das Leben an, und was fie während der le&ten 
Monate duntel geahnt, wurde ihr zur Gewißheit. Ihr 
Opfer lag hinter ihr, und wenn jett noch die Schmad, 
über ihre Familie hereinbrach, mußten fie es tragen. 
Sie mußten alle daran arbeiten, ihre Ehre wieder zu 
retten. . 

Hans hatte Wengerns Baſe geheiratet. Nun war 
er felbjt reich und unabhängig. Nun mochte er fich mit 
ihrem Manne auseinanderfegen — Mann gegen Mann 
— für fie war fein Raum zwifchen den beiden. Er 
modte nun die Folgen feiner Schuld tragen, und 
Mengern mochte tun, was ihm beliebte. Sie aber 
befreite fih und wurde wieder fie ſelbſt. Sie fühlte, 
wie ihre Kraft wuchs, wie fie dem neuen Leben ent- 
gegendrängte. 

Zhr Widerwille gegen Wengern verftärtte fich 
immer mehr, nur mit Aufbietung aller Selbftüber- 
windung ertrug fie feine Nähe, und je mehr fie fich 
pon ihm zurückzog, um fo häufiger brachten Diener 
und Chauffeur ihn betrunken nah Haufe. 

1910. XII. 5 


66 Die Siegerin. a 





‚Dies drängte, zwang fie zum raſchen Entſchluß. 

Und fie trat vor ihren Mann, Wie ein fremder, 
gleihgültiger Menſch erſchien er ihr, der nichts mit ihr 
gemein hatte, keinen Gedanken, feine Empfindung, 
feine Lebensanjhauung. Sie fühlte klar die ge- 
waltige Kluft, die fih niemals geſchloſſen Hatte, ſich 
niemals fchliegen würde, 

„Heinrich, ih möchte dir fagen, daß ich von dir 
gehen will für immer, Ich ertrage dies Leben nicht 
mehr, ich gehe daran zugrunde. Ich kann dich nicht 
lieben, ich kann mit dir nicht leben, Erſpare mir Worte 
und Erklärungen, Ich babe nur die eine Bitte: Gib 
mid) frei!“ 

Don unten herauf ſah er ihr ins Geſicht, tüdifch, 
boshaft. „Was fagit du da?“ fragte er leife. 

„Ich will geben.“ 

„Ah, jebt, wo ich den Hans, den fauberen Bengel, 
gerettet habe, jebt, da er meine Baſe geheiratet hat, 
jest, da mir die Hände gebunden find, da ich wehrlos 
bin ihnen gegenüber, da ich mich ſelbſt mit einer Anzeige 
bloßſtellen würde — jebt willft du gehen! Sagteft du 
nicht jo?“ 

„aa, das iſt mein feiter Entſchluß.“ | 

Er faßte ihr Handgelenk mit brutalem Griff. „Nein, 
mein Liebehen, jo haben wir nicht gewettet. Du 
bleibſt!“ 

„Nein,“ ſagte Erika, „ich gehe.“ 

„Sage mir, daß du bleibſt,“ wiederholte er mit 
verſagender Stimme. 

„Nein!“ 

Da ſtieg ein ſchnaufendes Stöhnen aus feiner Bruſt. 
Seine Augen quollen vor, fein Mund verzerrte fich, 
er griff hinter fih, wo auf dem Raudtifche eine Reit- 
peitihe lag, Er hielt fie in zudender Hand, 


0 Roman von Ele Höffer. 67 





Erika fah ihm ruhig in die Augen. „Ich gehe von 
dir, Du wirft mich nit halten,“ 

"Da ziſchte die Beitihe über ihr Geficht, unter dem 
Hieb brach fie zufammen, 
Als fie zu fih kam, war ihr erjter Gedanke: „Seht 
erit habe ich alle Schmach ausgekoſtet!“ 

Ein brennender Schmerz war auf ihrem: Geicht 
und trieb ihr die Tränen in die Augen. Anna beugte 
fih über fie und erneuerte die falte Romprefje. Sie 
lag regungslos, alles war tot in ihr, fie fhämte fi 
nicht einmal vor dem Mädchen, das den ſchmachvollen 
Beitfchenftriemen ſah. Leife fagte fie: „Anna, paden 
Sie dasAllernötigjte.“ 

Das Mädchen gehorchte geräufchlos. 

Erika erhob fih. Sie wählte ihr einfachtes Kleid, 
Als fie fih im Spiegel ſah, fentte fie den Kopf. Auch 
der dichteſte Schleier vermochte dies Schandmal nicht 
zu decken. 

Reine Stunde blieb fie länger, Die Freiheit ftand 
dicht vor ihr, Und vor ihrer Seele ftand das Wort: 
„Nur eine Sünde wird nie vergeben, das iſt die Sünde 
gegen das Leben —“ Sie atmete tief auf und dehnte 
ihre Glieder, 

Da trat Wengern bei ihr ein. Er zitterte am ganzen 
Leibe. Er fniete vor Erika nieder. Sie wich voll Abjcheu 
zurüd, 

„Berzeih mir,“ ftöhnte er, „ich bitte dich! Bleib 
bei mir! Ich will dir geitatten, was du willft, nur bleib 
bei mir!“ 

Erika [hüttelte den Ropf. „Es war ein Unredt, da 
ich deine Frau geworden bin. Ich will es gutmachen.“ 

Sie ſchritt an ihm vorüber, und als die Türe 
hinter ihr ins Schloß fiel, hob fie den Ropf und atmcte 
tief auf. 


68 Die Siegerin. 0 





Sie kehrte heim, niht demütig mit gefenttem Zlid, 
jondern mit frei erhobener Stirn. Und als fie durch 
Das Städtchen fuhr, fah fie eine ſchlanke, hohe Geſtalt 
über den Warktplatz fchreiten. Der Mann wandte 
den Ropf und ſah fie an, und ihre Augen tauchten 
ineinander und grüßten fih in fchwerem Ernit. 

Erika hob die Hand und winkte. Aus des Mannes 
Augen brad ein fieghaftes Leuchten, freier hob er die 
Stirn, Erika errötete und lächelte ihm zu. 

Dann war fie vorüber. 

Und abends, als fie um die Lampe faßen, da ſprach 
fie ihre Beichte mit Harer, heller Stimme, und in ihrem 
Weſen war nichts von Reue, nur junge Kraft leuchtete 
aus ihren Augen. 

„sh habe ein großes Unrecht getan, indem ich den 
tiefen Sinn des Lebens mißveritand. Sch glaubte 
das Rechte zu tun, ich glaubte ‚mein Sch verleugnen 
zu dürfen, um euch ſchwere Tage zu erſparen. Ich 
habe es gebüßt, und ich habe erkannt, daß es beſſer ift, 
ein großes Leid zu tragen, als fich felbit zu verraten 
und zu verlaufen in eine Knechtſchaft, die den feelifchen 
Tod bedeutet. Zebt aber habe ih mich durchgerungen, 
weil ich die Rraft zum Gieg gewaltig in mir branden 
fühlte, Sch habe lange nah Auswegen und anderen 
Löſungen geſucht, aber nun weiß ich, daß dies der einzig 
rechte Rampf gewejen iſt, der mich freimacht. Und nun 
bin ich wieder bei euch.“ 

Cs war, als fei das Schidjal mit ſchweren Schritten 
Durch das Zimmer gegangen. Die Mutter beugte fich 
und küßte Erikas fchimmerndes Haar, „Am Sarge 
des Vaters habe ich gebetet, daß ihr werden möchtet 
wie er. Erika, du bift von feiner Urt,“ 

Ernjt drüdte fein Gefiht an Eritas Wange, „Der- 
zei mir!“ 


oO Roman von Elje Höffer. 69 





Dann war es wieder ftill, man — nur den tiefen 
Atem der Menſchen. 

Nur die Augen der Mutter waren matt und glanz- 
los, und unter unfäglihen Schmerzen begrub fie den 
Glauben an den Sohn. 

Die Naht ſchlief Erita in ihrem Turmſtübchen 
unter feligen Träumen ein, und die Bäume des alten 
Parkes raunten ihr das tiefe, ftille Heimatlied zu. 


— — — — — — — — — — 





Erika blieb in der Heimat. Sie nahm mit freudiger 
Selbſtverſtändlichkeit ihre Mädchenpflichten wieder auf. 
Sie arbeitete mit Eifer und Befriedigung, und abends 
war ſie ſtill und müde. Das war ſolch eine köſtliche 
Müdigkeit, wie ſie ſie nie gekannt hatte in ihrem 
haſtigen, wilden Genußleben. 

Sie wollte ihre endgültige Scheidung abwarten, 
und dann wollte ſie ſich einen Wirkungskreis ſuchen. 
Bis dahin half ſie der Mutter und Schweſter an der 
Ausſtattung für die Brüder. 

Mar hatte ſich entſchloſſen, die Zulage von Hans 
anzunehmen. Schweigend nahmen alle feine Erklärung 
entgegen, 

Ernft war feſt geblieben. „Ich komme durch aud 
mit weniger, und wir wollen feben, wer es weiter 
bringt.“ 

Dabei blieb er, und er fah feiner Zukunft freudig 
entgegen. 

Sn dem alten Haufe jcholl wieder helles Lachen 
und leifes Singen. Pas kraftvolle, treibende Leben 
war wiedergekehrt. 

Erita lebte auf und genoß die Heimat zu jeder 
Stunde, ihre Ehe lag hinter ihr wie ein wülter Fieber- 
traum. Und das Auge der Mutter rubte wieder warm 
auf ihr, und Irmgard fchmiegte fich hingebend an die 


179 - Die Giegerin. D 


Schweſter. Die Tage waren erfüllt von Arbeit und 
Freude, 

Und je mehr alle Qual und Schmerz aus ihrem 
Leben ſchwand, um fo ftärker hob fich die Liebe. Die 
alte, traute Umgebung wedte fie, fie löfte fih wie aus 
ſchwerer Feſſel. 

Erika ging täglich die grüne Waldſchneiſe hinab 
und wartete auf das Glück. 

Und eine lange, bange Wartezeit verſtrich. Eine 
Zeit, in der ihr reiner Glaube wieder erſtarkte und ihr 
Mille zum Glüd fih mädtig hob. Sie wußte ja, daß 
Hartwig wieder in der Garnijon weilte, fie wußte, da 
er auf den Tag ihrer Freiheit wartete und auf ihr 
Wort, das ihn rief. 

Und das Glüd kam. Ihre Scheidung war ausge- 
jprochen worden. 

Da Ichrieb fie ihm ein einziges Wort: „Komm!“ — 
Es war ein milder, farbenfroher Herbſttag. Da 
erhielt Erika ein Telegramm: „Heute bin ich bei 
Dir!“ 

Da erhob fc in ihrer Bruft ein Singen und Rlingen, 
und gewaltige Akkorde bebten hinein, wie eine Ewigteits- 
melodie durchbraufte es fie. Sie dachte keinen klaren 
Gedanken. Es wurde ganz till in ihr — Feiertag 
nad heigem Rampf. 

Sie wußte, er würde den alten, lieben Weg wählen, 
ihr Finden follte keine Seugen haben. 

Sie ging die grüne Waldfchneife hinab. Da fah 
fie ihn fommen, Sie blieb ſtehen — bebend, mean 
vom Glüd, 

Die erniten Augen leuchteten ihr entgegen aus 

einem Geficht, das ſchweres Leid gezeichnet hatte. 
| Und dann hielt er fie in feinen Armen, fie fühlte 
die Allgewalt der Liebe, die um fie gebangt hatte in 


D - Roman von Elje Höffer. a 


langen, qualvollen Zahren, fie fühlte, Daß jie den 
rechten Weg gegangen war. . 

„Erita, ih wußte, daß du noch Be Meg zu mir 
finden würdeft, ih wußte, daß du Dich retten würdeft, 
ich habe an dich geglaubt zu jeder Stunde, und ich habe 
gewartet, daß du mid rufen würdeit, wenn du den 
Rampf ausgetämpft hättejt!“ 

Und als er fie gefüßt, legte fie ihre beiden Hände 
um feinen Ropf und fagte: „Meine Heimat bift du!“ 


Ende. 








Die Dame in Schwarz. 


Ein Eifenbahnabenteuer von B. Birkenau. 


Mit Bildern von oo 

J. Mufarovsfy. Machdruck verboten.) 
er mit dem D-Zug fahren will, tut gut daran, 
lieber eine DViertelftunde vor Abgangszeit 
auf dem Bahniteig zu fein als eine halbe 
Minute zu jpät. Es follen ja auch D-Züge 
manchmal Berſpätungen haben, aber ein guter Fenſter— 
ji it ganz gewiß nur im erfteren Falle zu erreichen. 

Das ijt mein Glaubensjaß. Deshalb traf ich als 
einer unter den erſten Reifenden auf dem Bahnhof ein, 

Ich bin ſonſt nicht jo. Ich will das ausdrüdlich 
feititellen, um nicht in einen jchlimmen Verdacht zu 
fommen, als ob — 

Nun, man wird ja bören. 

Alſo ich fchlenderte vor der Bahnjteigjperre auf 
und ab. Da traf mich zum erjten Male ein Blid aus 
ihren dunklen, feuchtfchimmernden Augen. Schlief- 
lich bin ich erjt fünfunddreißig. Der Blid hatte mich 
gepadt, 

Nun ging ich noch langjfamer auf und ab. Einmal — 
zweimal, Sch ſah mir die elegante, äußerſt zierliche 
Gejtalt mit den Augen eines Renners an. Da ich nicht 
die geringite Veranlagung zu lyriſchen Ergüffen be- 
fie, jo kann ich leider feine richtigen Vergleiche machen, 
Dielleicht genügt es aber doch, wenn ich verfichere, 
Daß die Erjcheinung einen äußerſt pitanten Neiz hatte, 





D Bon 3. Birkenau. 73 


einen Shit und eine Grazie, die angeboren fein 
mußten. 

Das klingt wahrſcheinlich ziemlih profaifch, aber 
jeder macht eben feine Sache, jo gut er es verjteht. 

Shre Blide hatten mich wiederum geftreift, und 
ich hatte mich nicht geirrt, als ich das leichte, dDurhaus 
nicht zürnende Lächeln mit meiner Perſon in Über- 
einftimmung zu bringen verjuchte. 

Ein Abenteuer! 

. Sclieglib bin ih noch ledig, und die Dame war 
es gewiß auch, oder fie war vielleicht auch Witwe, denn 
fie trug Srauerlleidung: Das Schwarz ließ aber ihr 
goldblondes Haar noch verführerifcher erfcheinen. Ihre 
Lippen hatten ein feuchtes Rot gleich dem von reifen 
Erdbeeren und düntten mich küſſedurſtig. 

In diefem Augenblide hätte ich auf die Liebe beim 
eriten Bli die fürchterlichiten Eide geſchworen, troß- 
dem im Gtrafgefegbuh für Meineid mindeitens ein 
Zahr Zuchthaus vorgejehen ift. 

Die Schranke wurde geöffnet. _ 

Ich ging dicht hinter der Dame in Schwarz, die fih 
einen kurzen Augenblid nah mir ummendete, 

„Halle?“ fragte fie den Schaffner. 

„Der erite Wagen.“ | 

Halle war auch mein Reifeziel, und da der Zug 
von Berlin bis Halle ohne Anhalten fuhr, fo hatten 
fih in meinen Gedanten fchon die fühnften Pläne und 
Hoffnungen entwidelt, Ich hatte mit hundert über- 
baftenden Möglichkeiten die Chancen einer unge- 
zwungenen, zufällig erſcheinenden Anknupfung et- 
wogen. 

Natürlich folgte ich der Dame in Schwarz auf 

Schritt und Zritt, die mich jebt aber gar nicht mehr . 
zu bemerken ſchien. | 


74 Die Dame in Schwarz. | je] 





Sie trug eine Heine Handtaſche. Bei dem Erflettern 
der hohen Stufen, die mir noch niemals jo lebens- 





gefährlich hoch erfchienen waren als jetzt, glıtt fie aus, 
Glüdliherweife konnte ich fie fofort unterftüßen, 

Das war der Moment! Ich glaube, Bush bat 
diefe Worte einmal gebraucht, 


og Don 3. Birkenau. 75 





Die Dame in Trauer dankte mir mit einem Niden 
des königlich ſtolzen Hauptes für meine Hilfeleistung. 
Ich aber gebrauchte ſehr ſcharfe, kritifhe Äußerungen 
über die Rüdjichtslofigkeit der Eifenbahnverwaltung, 
die an ihre Paſſagiere die Zumutung ftellen möchte, 
mit einem Schritt Montblanchöhen zu erklettern. 

Da ſahen mich ihre Augen an. Sch werde den 
Blid nie vergefjen. 

„Od, es war nicht fo ſchlimm!“ Flüfterte fie. 

Und dann begann das Dorpoitengepläntel. 

Zuerſt geſchieht die Aufklärung des Gefechtsfeldes 
duch Reiterpatrouillen. Sch habe ein Manöver mit- 
gemacht und muß es wiljen. 

Sn meinem Falle waren es die Fragen nad) dem 
Woher und Wohin. 

Sie fuhr nah Halle. Ich auch. Sch heuchelte eine 
befondere Freude Darüber und ein noch größeres Er- 
itaunen, daß wir uns in die gleihe Wagenabteilung 
verirrt hatten. | 

Die Fortiegung gab ſich dann von felbft. Die 
Dame in Schwarz hatte in Berlin eine Tante be- 
graben. Ich erfuhr nun in aller Ausführlichkeit und 
mit den wichtigften Einzelheiten, die zu ſchildern nur 
ein Weib vermag, wie jene Tante geftorben war, Mir 
war die ganze Sache ziemlich gleichgültig, ich äußerte 
aber doch bald Eritaunen, bald Teilnahme, bald Be— 
wunderung, was eben in der jeweiligen Lage ſchicklich 
war. 

Mit etwas mehr Intereſſe vernahm ich lediglich 
die Nachricht, daß die Dam: in Schwarz von jener 
Tante fünfzigtaufend Markt geerbt hatte. Mir war 
fie dadurch plößlich noch viel ſympathiſcher geworden, 
und ihr volles, wie aus fchimmernden Sonnenfäden 
gefponnenes Haar erfhien mir noch weit reizvoller., 


76 Die Dame in Schwarz ) 





Eine mit fünfzigtaufend Mark beerbte Tante erzielt 
ungeahnte Wirkungen. 

„Dar die Tante fo reich gewefen?“ forjchte ich mit 
gefteigerter Teilnahme. 

„Reich war fie eigentlih nicht,“ entgegnete mein 
Gegenüber, „aber fie war in einer Lebensverjicherung. 
ZIch weiß es noch, daß ich zu Agathe — jo bie die 
Tante — Öfters gejagt hatte, fie möchte ihr Geld doch 
praftijcher verwenden. Zebt urteile ich natürlic) anders. 
Schließlich kann mir das doch kein Menſch verdenten, 
wenn ich mich über die fünfzigtaufend Mark freue. 
Niht wahr?“ 

„Nein — durchaus niht! Im Gegenteil. Ich 
freue mid aud. Für Sie natürlich!“ 

‚Sie labte, Dabei fchimmerten Perlzähnchen zwi- 
ihen dem Rot der Lippen, und das Lachen klang wie 
Silberglödchen. 

„Das it fo komiſch! Sch hatte ihr immer ab- 
geraten, fib in eine Lebensverjiherung aufnehmen 
zu laſſen. Wenn fie meinem Rate gefolgt wäre, 
fo hätte ich wahrjcheinlich gar nichts geerbt.“ 

Um ganz tiefjinnig zu erſcheinen, tat ich den Aus- 
ſpruch: „Sa, jo eine Lebensverficherung ift eine fehr 
wichtige Sache!“ 

Sie zudte mit den Schultern, fpitte wie ſchmollend 
die Lippen und meinte dann: „Das fagt man fo! 
Ich bin überzeugt, Sie felbit find in keiner Verſiche— 
rung.“ 

„Diesmal haben Sie recht geraten.“ 

„Sehen Sie! Dabei fprehen Sie fo begeiftert 
davon, als wären Sie ganz feſt davon überzeugt.“ 

„Das bin ich auch.“ 

In dieſer Weife entwidelte fich das Geſpräch weiter. 

Der Ton nahm eine immer vertraulidere Wen- 


a Don B. Birkenau, 77 





dung an, wie es bei zweien der Fall ift, die fich ſchon 
lange kennen. 
Sp waren wir fchließlih auf einem Zickzackkurs 





pon der toten Sante zur Lebensverjicherung, vom 
Gelde auf Berlin, von den hohen Breifen auf die 
Wohnungen und fchlieglich zu uns felbjt gefommen, 


78 Die Dame in Schwarz. 0 





Das gab mir die Möglichkeit, darüber etwas Be— 
ftimmtes zu erfahren, wer fie war. 

„Wir plaudern nun fon fo vergnügt, wir haben 
bereits die halbe Fahrt bis Halle hinter uns, wir 
fennen uns — id) darf dies doch fagen — ſchon fehr 
gut und en uns bisher ausgezeichnet veritanden, 

gm Grunde genommen wiſſen wir aber beide nichts,“ 

Sch nannte zugleich meinen Namen und überreichte, 
um ja ein volles Dertrauen zu gewinnen, meine 
Viſitenkarte. 

„Meta Schöpp!“ erwiderte ſie. 

Sonſt nichts. Sie hatte dieſen Namen mit einem 
leichten Erröten genannt, das ſelbſt ein Herz aus 
Nordpoleis zum Schmelzen gebracht hätte. 

Meta! 

Ich hatte diefen Namen bisher nicht ausftehen 
können. Aber in jener Wagenabteilung des D-Zuges 
Berlin— Halle fand ih den Namen allerliebit. 

Aus dem Gepläntel war bald ein regelrechtes Ge- 
fecht geworden, | 

Der Feind ſchien allmählich dem erdrüdenden An- 
ſturm zu weichen und nur noch mit den le&ten Referven 
einen fcheinbaren Widerftand zu verjuhen, um den 
Rüdzug zu deden. 

Mit immer größerer Sicherheit hatte ih das Ge- 
ſpräch auf die Liebe gebracht, und ich geftebe, daß ich 
jelbjt über meine Beredfamteit erjtaunt war. 

Natürlich fprach ih in eigener Sache. Nur damit 
läßt fih die flammende Begeifterung erklären. 

Das Abenteuer war da! 

Als wir in Halle einfuhren, als id ihr dabei be— 
bilflih war, das Zakett anzuziehen, da hatten meine 
Lippen ganz leicht das goldene Haar im Naden geftreift. 

Cie hatte es gefühlt, denn fie wandte mir ihr Ge- 


a Don 3, Birkenau. 179 





ficht zu und ließ mich den trunkenen, bezaubernden 
Blick empfinden, 

„Was haben Sie getan, Sie Böſer!“ flüfterte fie. 

„Ob, nichts!“ ftammelte ich, ganz.in dem Banne 
ihres Wefens. „Aber Sie haben mid toll gemadt. 
Was ih von Liebe fo begeiftert gepriejen,. das hat ja 
nur Ihnen gegolten. Haben Sie das nicht empfunden?“ 

Das Gefpräh war fo leife geführt worden, daß 
die zwei weiteren Wageninfafjen faum ein Wort ver- 
itanden haben fonnten. 

Sie zürnte mir nicht über meine Kühnheit. . Mit 
einer weichen Stimme — mir war es Damals, als 
läge ein Zittern darin — antwortete fie ganz leife: 
„Sie dürfen das nit. Ich glaube, ich könnte Zhnen 
nicht fo böje fein, wie ich es ne ſollte.“ 

„Meta!“ 

„Still!“ 

„Halle! Zehn Minuten Aufenthalt!“ ſchrie der 
Schaffner und eilte den Zug entlang. 

Um uns war das übliche Tohuwabohu, wie es in 
jeder Bahnhofhalle bei Ankunft eines Zuges iſt. 

Aber ich hatte auf nichts geachtet. Sch hatte ihre 
Handtafhe genommen, war ihr porausgegangen und 
"reichte ihr meine Hand hin, damit. fie beim Ausffeigen 
nicht wieder ſtraucheln follte, 

Meine Hand mochte dabei die ihre zärtliher und 
inniger gedrüdt haben, als.es notwendig gewefen wäre, 

„Ha — endlih! Oh! Sch hatte es ja längjt geahnt! 
Deshalb hatteft du von deiner Ankunft nichts gefchrieben ! 
Sp betrügit du mich!“ 

Sp fauchte plößlih eine Stimme hinter mir*), 

Eigentlich intereffelos, nur duch den Lärm fo un- 


*) Siehe das Titelbild, 


80 Die Dame in Schwarz. O0 





anittelbar hinter mir aufmerkſam gemadt, hatte ich 
umgefchaut und in ein dunkelrotes, wütendes Geficht 
gejehen. 

Nun fauchte diejes fremde Geficht mit den funteln- 
den Augen und dem fchwarzen Knebelbarte mid) 
felbft an: „Mein Herr, ich fordere Genugtuung! Gie 
find —“ 

Was ih nah feiner Anficht fein follte, hatte er 
nicht verraten. Ich hörte jeßt nur die ſehr erfchredte 
Stimme meiner Dame in Schwarz. 

„Aber Alfred! Du bijt hier auf dem Bahnhofe! 
Mie konnteft du nur von meiner Ankunft wifjen?“ 

„Das fragjt du mich? Das glaube ich dir, daß du 
mic bier nicht fehen wollteft — in Begleitung diefes — 
dDiefes Herrn da!“ 

Die ganze Tage war mir immer noch etwas rätjel- 
haft. Sch konnte deshalb nicht gerade das klügſte 
Gefiht machen, wenn er fih nur um ſo wütender 
wieder an mich wendete. 

„Ein Schuldgeftändnis kann nicht deutlicher zum 
Ausdrud kommen!“ zifhte er. „Ob — ih muß mich 
beherrſchen, ſonſt — ſonſt — —“ 

Ich hatte noch kein Wort geſagt; aber es ſtiegen in 
mir bereits die ſchlimmſten Ahnungen auf. 

Und meine Dame in Schwarz konnte lächeln! 
Aber es war ein ſo ſeltſames, eigenes Lächeln, das 
nur mir allein zu gelten ſchien. Mir war es trotzdem 
unverſtändlich. 

Zu dem Manne mit dem ſchwarzen Knebelbarte 
ſagte ſie mit ruhiger Beherrſchung, um die ich ſie be— 
wundert:: „Aber Alfred, was ſoll dieſer Herr nur von 
dir denken?“ 

„Das ift mir ganz gleichgültig!“ 

Da traf mich ein Blid aus ihren Augen, ein jo 


— 


Oo Bon 3. Birkenau. 81 





zärtlicher und flehender zugleich, dag ihm niemand 
widerftehen konnte. Dieſer Blick jchien zu jagen: Es 
gefhieht nur um deinetwillen! I 

Zaut aber erklärte fie: „Verzeihen Sie, Herr 
Birkenau! Das ift mein Gatte, wie Sie fich wohl 
ſchon haben überzeugen können, ein ſehr eiferjüchtiger 
und mißtrauifcher Herr!“ 

„Sp!“ puftete Herr Schöpp. „Wer würde auch 
dazu Schweigen? Diefer Herr ift mit dir gereift. Er 
bat dir die Hand gedrüdt, wie es nur ein Liebhaber 
tut und —“ 

„Sp Ihweig doch! Alle Leute feben bereits auf 
uns.“ | 

„sh will aber nicht fchweigen! Durchaus nicht! 
Sch will willen, was diefer Herr von dir gewollt hat!“ 

Ih ftand dabei und hielt immer noch die gelbe 
Handtaſche. Ich wußte jelbit nicht, was ich hätte ant- 
worten follen. 3a, was hatte ich gewollt? Dicfe 
Stage konnte ich doch dieſem eiferfüchtigen Otbello, 
der por Zorn ein brennendrotes Geſicht hatte, nicht 
beantworten. 

Meine Dame in Schwarz lächelte wieder. Mıt 
einer Geiftesgegenwart, die mir damals wunderjam 
erichien, antwortete fie: „Ob, ih — ich habe ihn nur 
zur Aufnahme in unfere Lebensperjicherungsgefellichaft 
bejtimmt.“ 

„Das ift niht wahr! Er ift dein Liebhaber! Ich 
ruhe nicht, bis ihr beide por Gericht ſeid.“ 

„Aber ich verfichere dir —“ | 

Und dabei traf mich abermals der fchmelzende, 
feuchte, bittende Blick. 

Herr Schöpp wütete: „Ihr wollt mich beide be- 


trügen! Mein Herr — mein Herr, fagen Gie die 
Mabrheit !“ | 


1910, XI. 6 


82 Die Dame in Schwarz. D 


Ich verſpürte einen leifen Drud ihrer Hand. 
„Aber natürlih! Sch hatte mich immer ſchon in 
eine - Verfiherung aufnehmen laſſen wollen. Sie 
gnädige Frau hat mich erſt vollends davon überzeugt, 
dag — dag —“ 

Geine buſchigen Augenbrauen zudten, feine Stimme 
lang. etwas berudigter, aber es grollte darin immer 
noh das Miktrauen des gereizten Löwen. „Wie 
wollen Sie das beweifen?“ 

„Aber Alfred! Mäßige dich doch bier! Wir 
fönnen ja die Verſicherung in der Bahnhofreſtauration 
vollends abſchließen.“ 

„Zat Aber fofort!“ haftete er. „Sch glaube es 
noch immer nicht! Ich laffe mich aber nicht Betrügen!“ 

An der Bahnbhofreftauration in Halle wurde dann 
mein Leben auf die Summe von vierzigtaufend Marf 
verlichert. - 

Erſt als ich alle Anträge unterzeichnet batte, ge- 
ſtand mir diefer Herr Schöpp zu, daß ich ein ehrlicher 
Mann ſei, den er wirklich grundlos in Verdacht gehabt 
habe. Zum Zeichen feines Dertrauens drüdte er mit 
recht kräftig die Hand. 

Niemals aber habe ich rergeffen, wie mir meine 
Dame in Schwarz beim Abfchied zuraunte: „Nicht 
böje fein! Auf MWiederjehen!“ 

Ich bin alſo jebt auf Todesfall verjicher!, habe die 
erite Brämie pünktlich bezahlt und hoffe nun auf ein 
Miederjehen mit der Dame in Schwarz. 

Sch follte meine Hoffnung bald erfüllt ſehen. 

Ich wartete auf den Zug in Dresden, 

Mit einem fohrillen Pfeifen war die Lokomotive 
eingefahren, 

Aus einem Abteil erjter Klaſſe fam meine Dame 


=) Yon 3. Birkenau. 83 





in Schwarz. Sie wurde fehr galant von einem jungen 
Herrn unterjtüßt, 
Da entipann fi abermals eine Eiferfuchtsizene, 





die mir in den Einzelbeiten außerordentlich bekannt 
erſchien. Ich ſchätze, daß der Pafjagier erſter Klaſſe 
ſein Leben mindeſtens auf achtzigtauſend Mark ver— 
ſichern mußte. 


84 Die Dame in Schwarz. 0 


Das eine aber beobachtete ich mit aller Gewißbeit, 
daß dieſer Ichredlihe Herr Schöpp jet einen braunen 
Vollbart trug und mit dem aus Halle nicht die gc- 
ringſte Ähnlichkeit hatte. 

Daraufbin hat es mich dann nicht mehr gewundert, 
daß meine Dame in Schwarz an mir porüberging und 
mic gar nicht mebr wiedererfannte. Aber den feudten, 
bezaubernden Blid babe ich. wiedergejehen, nur bat 
er dem jungen Herin aus der Wagenabteilung eriter 
Klaſſe gegolten. 

Wenn meine Erben einmal meine Lebensverfiche- 
rung einkafjieren werden, dann follen fie durch dieſe 
Geſchichte erfahren, wen fie das ſchöne Erbe eigentlich 
verdanten, | 

Zener Dame in Schwarz mit dem bezaubernden 
Blid und den vielen als Ehegatten amtierenden Der- 
jicherungsagenten. 








Das Erwachen Aliens. 


Von Th, Seelmann. 


— | 
Mit 7 Bilder. Nachdruck verboten.) 
lien, die Wiege der Rultur, ift im Begriff, aus 
dem tiefen Schlaf, der feine Völker Zahrtaufende 
umfangen bielt, zu erwachen. Zapan bat fich bereits 
die Stellung einer Großmacht errungen, China gebt 
langfam, aber doch vffenfichtlich daran, fich durch den 
Ausbau von Eifenbahnlinien und die Modernifierung 
feiner Armee wirtjchaftlih und militärisch zu reorga- 
nifieren, die innerafiatiichen Gebiete und Sibirien 
werden durch Rußland mehr und mehr aufgejchloffen 
und ihre Bodenfchäße der Ausbeutung zugänglich ge- 
madt, und in Indien wächſt ftetig unter den Ein- 
geborenen eine Bewegung, durch die das engliſche Zoch 
abgefjchüttelt und der engliihe Rolonialbefiß der an- 
geitammten Bevölkerung zurüdgegeben werden foll. 
Mie ſehr alle Verhältniſſe gegenwärtig im Fluß 
find, und mit welch erjtaunliher Schnelligkeit fich die 
MWandlungen zur Erwedung der vorhandenen Kräfte 
vollziehen, zeigt am beiten die Einwirkung der Japaner 
auf Korea. NRorea, das „Land der Morgenfriiche“, 
wie es die Eingeborenen ſchönredneriſch nennen, wird 
dank des japanischen Eingreifens jett wirklich von 
einem frifhen Morgenhauch durchweht. Die Zapaner 
find in Rorea allmächtig, aber die ‚Vorteile, die die 
Aufrüttelung für das koreaniſche Volk mit ich bringt, 
berechtigen fie auch zu diefem Übergewicht, 


86 Das Erwahen Aſiens. 0 


Schon wenn man im füdlichjten Hafen Roreas, in 
Fuſan, landet, erfennt man das wohltätige Walten 
Japans. Neu-Fufan, die japanifche Niederlaffung, 
wurde zwar jchon vor dreißig Zahren den Zapanern 
duch Vertrag geöffnet, aber die maſſenhafte Feit- 
fegung japanijcher AUnfiedler erfolgte doch erſt feit 
dem Sahre 1905, als Rorea die Reglung der inneren 
Angelegenheiten einem japanifchen Generalgouverneut 
überließ. Neu-Fufan fticht heute durch feine Reinlich- 
keit, feine fchmuden Gebäude und geichäftlihe Be— 
triebfamteit in angenehmfter Weife von den dürftigen 
und verfallenen Lehmhütten Alt-Fufans ab, wo die 
Koreaner anfällig find. Zapanifch ift der Heine Dampfer, 
der den Reifenden vom Anlegeplatz für die Seedampfer 
in einer halben Stunde nah dem Bahnhof trägt, 
Sapaner find aud die Straßenbändler bei der Bahn- 
ftation, die Bier, Zigaretten und Früchte anbieten, 
und aus Sapanern beiteht das Bugperfonal der Bahn, 
die durch eine Landſchaft mit fteilen, faſt fahlen Bergen, 
dann durch eine gut angebaute Ebene in elfitündiger 
Fahrt nad der Hauptitadt Söul führt. 

Söul, das mitten in einem Kranze von Hügeln 
liegt, ift von einer turmgefrönten, 22 Rilometer langen 
Stadtmauer umgürtet, die über das bergige Gelände 
hinwegläuft und große Felderflächen in fih jchließt. 
Fan Söul wohnen gegen 30,000 Zapaner. Gie haben 
ih in allen Zeilen der Stadt eingenijtet, ihre Haupt- 
maſſe fißt aber am Fuß des etwa 300 Meter hohen 
Namfanberges, der unmittelbar aus der Stadt auf- 
ſteigt. In diefem Stadtviertel befinden fihb auch 
der Palaſt des Generalrefidenten, die Poſt, die Der- 
waltungsgebäude, die Schulen und Hofpitäler, die von. 
den Sapanern gefchaffen worden find. 

Sofort nah der Befitergreifung begannen die 


0 Don Th. Seelmann. 87. 





Zapaner mit dem Bau von Eifenbahnlinien, wie fie 
auch auf die Verbefferung der früher wahrhaft elenden 
Zanditragen bedaht waren. Dann führten fie eine 
neue Währung ein, die den Umlauf von Millionen 





minderwertiger Münzen unterdrüdte, Mit der Grün- 
dung der Bank Dai Ichi Ginkoh wurde für die Re- 
gierung ein Sentralorgan auf dem Gebiete des Finanz- 
wejens ins Leben gerufen, an das ſich zur Stärkung 
des Kredits KRreditverbände und ähnliche gemein- 
nüßige Unternehmungen ſchloſſen. Dazu wurden 
landwirtjchaftlihe Verſuchsſtationen errichtet, zur He- 








fchen Überlandbahn. 





co Das Erwachen Ajiens. Oo 


bung des Handels zollfreie Tranfitläger angelegt und 
die verlotterte Landpolizei in fortfchrittlihem Sinne 
umgeſtaltet. 

Hand in Hand damit ging die militäriſche Feſtigung 


A 


‘ 











— 


Koreaniſche Bauernfrauen kehren vom Markt 
zuruͤck. 


der errungenen Stellung. An Stelle der operetten- 
haften koreaniſchen Goldatesta trat wohlgefchultes 
japanijches Militär, das in Soul und anderen Gar- 
nijonsorter untergebradt ift. Zwei überaus ftarte 
Seefeftungen an der koreanifchen Rüfte feben der Voll— 
endung entgegen, Die eine wird in Port Lazareff, 


D Don Th. Seelmann. | 91 








die andere in Chin-hai erbaut. Port Lazareff an der 
Ofttüfte und an der Bucht von Genjan bat eine ſehr 
günftige ftrategiihe Lage, Wiederholt wurde es 
während des rufjiich-japanifchen Krieges, als man 





Eine Schule in Koren. 


eine Verbindung zwiſchen Port Arthur und Wladi- 
woſtok berjtellen wollte, von den ruſſiſchen Schiffen 
als Zufluchtshafen benüßt. Beinahe noch wichtiger 
wird aber als Stützpunkt Chin-hai fein, das an der 
Südſpitze Roreas in der Nähe von Mafampho liegt 
und nur 20 Seemeilen von Zjujhima entfernt iſt. 
Hier verjuchte im Jahr 1899 Rußland Fuß zu fallen. 


02 | Das Erwahen Aliens. D 





Indem Japan jest Ehin-hai befeitigt, macht es mit 
den ſchon beſtehenden Befeftigungen in Tſuſhima, 
Sajebo und in der Straße von Shimonofeli das 
japanijhe Binnenmeer faft unangreifbar. 

Wenn aud nur widerwillig und zum Zeil noch 
einen fanatiihen Haß gegen die Zapaner befundend, 
Shit fih doch die einheimiihe Bevölkerung an, die 
Bahnen, die ihr die Eindringlinge weifen, allmählich 
zu befchreiten. Der Roreaner ift von Charakter äußerſt 
pblegmatiih. Man hat gejagt, dag wenn die Erde 
einen fertigen Reistuchen hervorbrädbte und fertige 
Nleider an den Bäumen wüchſen, der Roreaner doc 
nur dann glüdlich fein würde, wenn ihm ein Diener 
den Ruchen aufhöbe und ihm ein anderer Diener die 
Kleider von den Bäumen Schnitte. Auch ift es zuweilen 
der Fall, daß man auf dem Felde fünf Männer mit 
einem einzigen Spaten arbeiten fieht, aber diefer 
Trägheit, fo weit fie auch verbreitet ift, ftehen doc 
in den nördlihen Landftrihen unter den Bauern 
Arbeitfamleit und Strebfamteit gegenüber. Zt die 
Feldarbeit beendet, dann liebt es allerdings auch bier 
der Bauer in dem langen weißen Rod und mit dem 
winzigen Hut aus Gaze auf dem Ropf aus der zwei 
und drei Fuß langen Pfeife ftundenlang zu ſchmauchen, 
ohne ein Wort zu ſprechen. 

Dagegen iſt den Frauen faft überall Fleiß und Un- 
verdroffenheit eigen. Sie verrichten die ganze Haus- 
arbeit, helfen auf dem Felde mit, wandern nad den 
Städten, um auf den Märkten die Landeserträgnifie 
zu verkaufen, und treten dann beiter plaudernd den 
KRüdweg an, um auf dem Ropf das in der Stadt er- 
ftandene Hausgerät nah Haus zu tragen. Obwohl 
die Rinderpflege noch jehr viel zu wünſchen übrig läßt, 
ſchlafen doch beifpielsweife die Säuglinge auf dem 


e Don Th. Seelmann. 93 





nadten Erdboden, find die Roreanerinnen in ibrer 
Art liebevolle Mütter. Dabei find fie den Neuerungen 
weitaus geneigter als die Männer, Die von den 


Moderne hinefifhe Infanterie, 


94 Das Erwachen Afiens. D 





Zapanern eingerihteten Schulen werden daher auch 
viel zahlreiher von den Mädchen als von dem männ- 
liben Geſchlecht beſucht. — | 

Das Aufleben Chinas bezieht ſich in erjter Linie 
auf die moderne Ausbildung feiner Streitkräfte. Durch 
das Edit vom 15. Zuli 1909 übernahm der Kaifer den 
Oberbefehl über die Armee und Merine, betraute 
den Regenten mit feiner Vertretung und fchuf eine 
beratende Behörde, den EChün-Be-Hu, woraus ſich der 
Gencralftab entwideln fol. Dem Rriegsminifterium 
unterfteht ein Generalftabsdepartement, Tfan-mon-hu, 
und ein Marinedepartement, Hai-hün-hu. Die Auf- 
jtellung, Ausbildung und Befoldung der in den Pro- 
vinzen garnijonierenden Truppen erfolgt nad den 
NWeifungen des Rriegsminifteriums durch die Gou- 
verneure, Nach dem über die Wehrordnung erlaffenen 
faiferlihen Edikt follen die in einer Provinz liegenden 
Truppen in diefer felbjt angeworben werden. Die 
Truppen dienen als Zjehang-ge-ging drei Zahre bei 
der Fahne, drei Zahre in der Referve, Hfü-ge-ging, und 
vier Sabre bei der Landwehr, Hou-ge-ging. 

Bis zum Fahre 1912 follen 36 Pivifionen errichtet 
werden, Davon find bis jet 8 vollftändig gebildet. 
Die 1., 5. und 6, Diviſion fteht unter einem General- 
injpefteur in Peking. gede Pivifion beitehbt aus 
2 Infanteriebrigaden mit je 2 NRegimentern. Außer- 
dem gehört zu einer Divifion 1 Regiment Ravallerie, 
1 Regiment Artillerie, 1 Bionier- und 1 Trainbataillon, . 
Die Friedensftärte beträgt rund 11,000 Offiziere und 
Mannfchaften, 2000 Pferde und Maultiere und 54 Ge— 
ſchütze. Die Bewaffnung bejtebt vorwiegend in 
Maufergewehren und Mauferkarabinern, Die Artillerie 
bat meift deutſche und japanijche, vereinzelt auch fran- 


zöſiſche Geſchütze. 


D Bon Th. Seelmann. 95 





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Irregulaͤre chinefifche Kavalleriften. 





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Die Offiziere der Truppen geben aus Milikär- 
ichulen hervor, deren unterjte Form, die Radetten- 
ſchule, faſt jhon in allen Provinzen beftebt. Schulen 


96 Das Erwadhen Afiens. e 





der Mittelftufe find im Herbit 1909 in Beling, Nanting, 
Wutſchang und Hfinganfu eröffnet worden. Außerdem 
fenden alle Brovinzen Militärfchüler zur fünfjährigen 
Ausbildung nah Japan. 

In der urfprünglihen Verfafjung find noch die 
im ganzen Reich zerjtreuten mandfchurifchen Banner- 
prganifationen geblieben. Jedes Lager dieſer irre- 
gulären Truppen zählt 501 Infanterijten und 181 Raval- 
leriften. Die Bewaffnung befteht aus Speeren, Bogen 
und Pfeil. 

Auch. auf dem Gebiete des Eijenbahnwefens be- 
ſtrebt fih China nad) langem Zaudern fortzufchreiten. 
Sn der vielumftrittenen Mandichurei begegnet es fich 
bei feinen Blänen mit den Ruſſen und Zapanern. Die 
Hauptlinie, die hier in Betracht fommt, ift die große 
fibirifche Überlandbahn, die von den Ruffen über 
Tſitſikar und Charbin bis nah Wladiwoftot geführt 
worden ift. Der mandfchurifhe Teil von Mandichuria 
bis zur Oftgrenze der Mandjchurei wird von der „Ruffi- 
ſchen Gefellihaft der Ehinefifhen Oftbahn“ verwaltet. 
Don ECharbin zweigt ſich nah Süden in der Richtung 
auf Mutden und Peling eine Geitenlinie ab, deren 
nördliher Zeil im Befiß der Ruffen ift, während der 
füdlihe Seil bis nah Port Arthur den Japanern ge- 
hört. Die Zapaner befigen ferner die Bahnlinie, 
weldhe von Mukden über Antung durch ganz Rorea 
bis Söul läuft. Dagegen ift die Bahn von Mukden 
nah Tientſin und Peking chinefiih. Ebenſo wird fich 
die Bahn in chinefiihen Händen befinden, die von 
Peking nordweitlih duch die Mongolei nah Sibirien 
geplant und wovon die Zeiljtrede von Beling bis 
Ralgan an der großen Mauer kürzlich eröffnet worden ift. 

Don Beling nah Süden follen zwei Linien geführt 
werden, von denen die eine über Tientfin nach Shanghai 


97 


Don Th. Seelmann. 


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und Die andere über Kaifong nach Hankau am Jang— 


tjefiang verlaufen foll. 


Hiermit find aber die oftafiatifhen Eifenbahn- 


1910. 


XII, 


98 Das Erwahen Afiens. ; 0 
projekte noch nicht erſchöpft. Nußland ift mit der 
Legung einer Linie bejchäftigt, die von der großen 
fibirifehen Überlandbahn öſtlich von Tſchita abzweigt, 
zuerft den Scilta, dann bis Chabarowsk den Amur 
entlang gebt, um Jih darauf nah Süden zu wenden 
und in Wladiwoftot einzumünden. Der weftliche 
Tell. diefer Bahn, der den Namen Amurbahn führt, ift 
bereits fertiggeftellt. Endlich beabjichtigt eine ameri- 
kaniſche Gejellihaft, eine Bahn von Aigun am Amur 
über Tſitſikar nach Niutihwang zu bauen. 

Alle dieſe Bahnen werden zum wirtichaftlichen 
Aufſchwung der durchichnittenen Gebiete, zur Aus- 
beutung der vorhandenen Naturfchäße und damit zur 
Hebung der Bevölkerung beitragen. Welche Aus- 
fihten nach der wirtfchaftlichen Seite hin hier beftehen, 
läßt die große fibirifhe Überlandbahn ahnen. So 
find Rohlen in großen Lagern faft in dem ganzen Ge- 
biet von den Rirgifenjteppen bis zum Affuri vorhanden. 
Bei Ekibaztouz in den Kirgiſenſteppen find zwei un- 
gebeure Roblenflöze von 27 und 40 Meter Mächtigkeit 
nahgewiejen worden. Zn den Gouvernements Zenij- 
feist und Irkutsk liegen 19 Flöze von 52 Meter Mächtig- 
keit. " Die drei im Betriebe befindlihen Gruben haben 
eine monatliche Förderung von 5000 Tonnen. Ebenfo 
birgt das Amurgebiet bedeutende Roblenflöze. Ferner 
find reihe Lager von Eifenerzen häufig. Allein das 
Lager von Irba im Gouvernement Irkutsk wird auf 
8 Millionen Tonnen gefhbäßt. Bei Balega und 
Nertichinst in Sransbaitalien hat man Erzlager von 
54 und 60 Meter Mächtigkeit entdedt. Auch Rupfer, 
Silber und Gold find in anfehnlider Menge vor- 
handen. Gold findet fih namentlich bei Oletminst 
und Witimst an der oberen Lena und bei Minufinst 
und Ranst in Transbailalien vor, Einige diefer Gold- 


Do Don Th. Seelmann. 099 


lagerjtätten werden bereits von amerikaniſchen Gejell- 
ſchaften abgebaut. 

Tiefgehende Umwälzungen find ohne Zweifel in 
Dorderindien im Anzug. Die Engländer haben bier 
unbejtreitbar Großes gejchaffen, aber jett verlangt 
der führende Zeil der Bevölkerung, die fich auf 500 Mil- 
lionen Röpfe beläuft, Mitwirkung an der Verwaltung 
und überhaupt vollftändige Gleichberechtigung mit den 
Engländern, Der Bund der „Swadeihi“ (Heimat- 
hub) tagt alljährlich in einer der großen Städte, und 
feine Wortführer fordern offen und veritedt zum 
Sturz der engliihen Herrichaft auf. 

Noch vor wenigen Zahrzehnten liegen auch be- 
deutfame Dorgänge auf aſiatiſchem Boden Europa 
jo gut wie unberührt. Heute aber bringen es der 
gefjteigerte Weltverkehr und die vielfachen Wechtel- 
beziebungen der Völker mit fich, daß die Bewegungen 
im fernen Alien fofort auch in der einen oder anderen 
Meife auf Europa einen fühlbaren Rüdfchlag ausüben, 








Ein tapferes Mädel. 


Novelle von W. Harb. 


—— 
(Nachdruck verboten.) 


Köln, 30. April. 
as — gleich vom Abend des erſten Reiſetages 
eine lange Epiſtel? Ich höre Dich erſtaunt 
die Hände zuſammenſchlagen. In der Tat, 
u ich wundere mich über mich ſelbſt, beſte Lotte, 
Daß der Menſch nach jo langen Reifeftrapazen, un- 
vergeßlihen Eindrüden und here Erlebniſſen 
noch abends zehn Ahr im Hotel friſch und fpring- 
lebendig wie 'ne Forelle Reifeberichte fchreiben kann — 
den erſten pflichtihuldigft an die Eltern, aber den 
zweiten an Dich, liebftes Herzblatt — hätte ich wirklich 
jelbft nicht für möglich gehalten. Oder hat man nur 
jolhe Spanntraft, wenn man mit neunzehn Lenzen 
mutterfeelenallein den ſchönen Tag genießt, den ein- 
zigen, der mir befchert ift, bevor fih mir die Tore 
meines Gefängnijjes öffnen? Oder —? Za, ich will’s 
Dir nur gleich beichten, liebſte Lotte: in mir zittert 
noch die Erregung eines großen Erlebnijjes nad! 
Eines ganz großen! Du hattet recht, als Du, Heine 
Hellfeherin, mir beim Abfchied fagteft: „Paß auf, 
Ilſe, du erlebjt was! Du bijt ſo eine!“ 

Doch hübſch nach der Reihe. Alfo ich fie hier im 
eleganten Großftadthotel — viel zu elegant für mic, 
und ich zittere für meinen armen Geldbeutel, der 






0 Novelle von W, Harb. 101 


morgen früh für den Leichtfinn feiner Befigerin bluten 
und büßen muß — und der ſehr patente und fehr zuvor- 
fommende Herr Ober hat mir das feinfte Hotelfchreib- 
papier zur Derfügung geftellt. Er fcheint mich für 
was befonders Nobles und Feines zu halten, keinenfalls 
aber wohl für ein armes und — o Jronie des Schid- 
fals! — adeliges Fräulein, das allen Stolz und alles 
Pochen auf fein blaues Blut und eine glängendere 
Dergangenbeit längft unter die Füße gezwungen hat 
und im Begriff ift, der Not gehorchend, eine fimple 
Stüße zu werden, eines jener höchſt nüklichen, viel- 
feitig verwendbaren, aber alljeitig bedauerten Wefen, 
ein Achenputtel der modernen Gefellihaft! Ach, 
beite Lotte, da bin ich ſchon wieder bei dem Thema, 
das wir beiden fohiffbrüchigen Eriftenzen bis ins End- 
lofe miteinander durchgehechelt haben, wenn wir in 
Deinem Stübchen Tagen auf dem fteifbeinigen und 
fteiflehnigen Pruntfofa, dem einzigen Überbleibſel 
aus beiferen Zeiten! Er ift mir immer vorgelommen 
wie eine Planke vom zerborjtenen Schiff, auf die wir 
uns gerettet hätten, und um uns braufte das wilde 
Weltmeer. Wenn ih Dich nicht gehabt hätte in der 
ichlimmen Seit, Deinen Troſt, Deinen lieben Rat, 
Deine Liebe! 

Ich will aber nicht fentimental werden, gerade 
heute nicht, denn heute ift ein goldener Tag gewefen. 
Und ih will luftig fein und will den Ropf oben be- 
halten und beberzigen, was mein guter Papa — wie 
er mir vor der Seele jteht mit feinen abgehärmten 
Sügen und feinen forgenvollen Augen! — fagte, als 
er mich aus feinen Armen ließ: „Nun Gott befohlen, 
Slschen, mein Augentroft, meine verftändige Älteſte, 
und Ropf hoch! Es werden fchon wieder beſſere 
Zeiten fommen!“ Wenn er’s nur felber glaubte, der 


102 Ein tapferes Mädel. D 


Gute! Es fehnitt mir tief ins Herz, als ich ihm bei 
diefen Worten in die treuen Augen fab. Und dann 
erſt meine teure, füge Mama! Was die gelitten bat 
und beftändig leidet, daran darf ich gar nicht denken, 
ſonſt heute ich fofort ein paar Zafchentücher naß und 
höre gar nicht wieder auf, — Auch eben tat ich’s im 
geheimen ein paar Minuten, als der. Herr Ober gerade 
nicht in meiner Nähe war. Du mußt recht, recht lieb 
und nett gegen meine Mama fein, liebjte Lotte, jo- 
lange ich draußen in der Welt bin bei den fremden 
Zeuten! Wie alt fie geworden iſt in den le&ten fchred- 
lihen Monaten — ihr ſchönes dunkles Haar hat lauter 
weiße Fäden. 

Weißt Du, was mich eben aufgerichtet und er- 
‚quidt hat, als ich mit dem Safchentuch vor den Augen 
daſaß und achtgab, daß mir die Tropfen nicht von oben 
in meine faubere Handfchrift fielen, auf die ich noch 
immer fo kindiſch ftolz bin? Mein Blid fiel von un- 
gefähr auf die Wand mir gegenüber, und da hing ein 
großes buntes Bild, durchaus fein Runftwerf, aber gut 
gemeint und für mich und meinen Rummer ausgefucht 
pajjend. Eine abgehbärmte Frau fißt da mit einem 
unvernünftigen Haufen Rinder in einem ärmlichen 
Zimmer und empfängt durch den eintretenden Poſt- 
boten eine Freudenbotichaft. „Sit Die Not am größten, 
iit Gottes Hilfe am nächiten,“ Steht in großen Buch— 
itaben darunter. Wie dies unfcheinbare Bild in das 
vornehme Hotel und gerade an dieſen Pla& dicht vor 
meiner Naje getommen ijt, weiß ich nicht, ich bilde 
mir aber ein, der liebe Gott habe es extra für mich 
da hinhängen lajjen. Ach ja! Wenn doch eine ſolche 
Freudenbotſchaft auch bei uns eintehrte, Wiejenftraße 11, 
zwei Treppen! Wenn ich doch ſolche Freude auf die 
Gefichter meiner lieben Eltern zaubern könnte — das 


0: Novelle von W. Harb. 1035 








wäre doch mein höchſter Wunſch, liebe Lotte, und ich 
bitte Gott täglich darum, Zedenfalls — das Bild hat 
mich nicht wenig getröftet. Iſt die Not am größten, 
it Gottes Hilfe am nächſten! | | 

Ich habe den Obertellner denn auch, als er fich in 
meiner Nähe zu tun machte und nach’ meinen Be- 
fehlen fragte, wieder mit ganz blanten Augen an- 
geguckt. Zn meinem Taſchenſpiegelchen ſah ich, dag 
fie noch blißen und mutig in die böſe Welt hineinfchauen 
fonnten. Ga, das Spiegelhen fagte mir noch mehr, 
wenn ich’s auch nicht jo unverfchämt und eingebildet be- 
fragte wie die böje Rönigin-Mutter in Schneewittchen: 
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ift die 
Schönfte im ganzen Land?“ — Lotte, ich habe viele 
Sebler, das weiß ich, aber übermäßig eitel bin ich nicht, 
und auf die Schönheit des Fräbchens bau’ ich nicht 
allzuviel. Jedoch — auch der Spiegel machte mir 
neuen Mut. Er fagte ganz leife, fo leife, daß es der 
Oberkellner nicht hören konnte: „Schäme did, Sie! 
Du bift jung, du bift hübſch, du haft noch eine Zukunft 
vor dir! Wer weiß, was das Leben für dich noch 
aufbewahrt hat — vielleiht was Wunderſchönes. 
Dertraue nur!“ 

Sieh, Lotte, da wurde ih wieder die alte Zlie, 
die nicht unterzuftiegen ift. Wie Schön iſt es doch, daß 
ich Dich habe, mein Herz, und Dir alle meine Gedanken 
und Gefühle übermitteln darf! Wie einfam wäre ich 
ſonſt! Den Eltern darf ich fo was ja gar nicht fchreiben. 
Denen zwitſchere ich eine ganz andere Mufik vor. Die 
halten mid gewiß für ein leichtfinniges Ding, dem 
nichts tief geht. Mögen fie — wenn mein Gezwitſcher 
ihnen nur ein wenig Sonnenſchein ins Dunkel bringt. 
Sit nicht unjere Freundſchaft ſchon ein großes, großes 
Gnadengeſchenk, liebe Lotte? | 


104 Ein tapferes Mädel. 5 


Der Herr Ober legte mir das Fremdenbuch vor, 
und ich mußte aus dem Inkognito heraus und mich 
darin verewigen. Ich mag dieſe Hotelbücher nicht, 
denn ſie ſind ſo neugierig und zudringlich. Ich ſchwankte 
erſt, was ich eintragen ſollte: mein ſchlichtes Pſeudo— 
nym, unter welchem verborgen ich mich von jetzt ab 
verkriechen will, oder meinen alten guten Namen, 
der zu meiner glanzloſen Exiſtenz nicht mehr paßt. 
Ach was, ſagte ich mir, während ſich der Herr Ober 
eine Weile diskret zurückzog, heute biſt du noch, was du 
einſtmals warſt, und ſchrieb mit kecken großen Buch— 
ſtaben unter das Gewimmel der fremden Namen: 
Z3lſe v. Arnſtein-Leßlingen. Das Fräulein Ilſe Hart- 
mann, das morgen früh ſeinen Weg fortſetzt, kommt 
immer noch früh genug zum Vorſchein. Heute — wie 
ſchwach wir Menſchen doch find, Lotte! — heute wollte 
ih noch oben fchwimmen, denn heute war ein gol- 
dener Tag gewejen. Der Herr Ober nahm mir das 
Buch wieder fort, ſah verjtohlen hinein und madte 
mir dann eine ganz befonders reſpektvolle Verbeu- 
gung. 

Sp, nun zappelft Du natürlich ſchon vor Neugier, 
zu erfahren, was ich denn eigentlich Großes und Feen- 
haftes erlebt habe und warum heute ein goldener Tag 
gewejen iſt. Du kannſt nämlich ganz fabelhaft neu- 
gierig ausjehen, Liebite, obgleih Du dagegen immer 
ftreiteft. Wenn ich auch viele Meilen von Dir entfernt 
fie und der Fernfeher für den praftifhen Gebrauch 
leider immer noch nicht erfunden ft, ſehe ich Dein ge- 
ſpanntes Gefihthen doch deutlich por mir: die Augen 
groß aufgemadt, als könnten fie nicht mehr länger 
warten, der Mund halb geöffnet, als müffe die Neuig- 
feit da hineinfpazieren, das Näschen witternd in der 
Luft, vor allem die Obren gejpigt wie der feligen Groß- 


oO Novelle von W. Harb, 105 


mama Schoßhund — kurz, das ganze Geſicht ein ein- 
ziges Fragezeichen, | 
Za — es war ein Mann! Und was für einer! 
Aha! fagit Du. Dacht' ich’s doch! 
Nun böre zu. 

Als ih zum leßten Male heute früh Dein treues 
Herz an dem meinigen Hopfen gefühlt hatte und nah 
all den aufregenden Abjchiedsizenen in den Zug ge- 
jtiegen war, heulte ich die erjten Stunden, die ‘ja mit 
Eifenbahnfahrt ausgefüllt waren, leije vor mir hin, 
was ich ungeniert und ausgiebig tun fonnte, weil 
feines Fremden Gegenwart mir Zwang auferlegte., 
Ich dachte weder an die Zukunft, die düfter genug vor 
mir liegt, noch ſah ich auf die Schönheit der Welt, die 
wir durchfuhren. Sch mußte nur immer an das Daheim 
bei Vater und Mutter und bei den Keinen Geſchwiſtern 
zurüddenten, und wie doch alles fo fchredlih war. 
Alles, was unfere Familie gelitten bat, alle Demüti- 
gungen und Zurückſetzungen, alles Einfchränten und 
Einleben in die neuen engen Verhältniſſe machte mein 
Geift noch einmal durch. Ach Lotte, jo viel Herzeleid ' 
und Not habe ich den ftummen Wänden meines Ab— 
teils anvertraut, daß ich glaube, es iſt ein Zeil daran 
hängen geblieben. Wenigſtens wurde mit leichter zu- 
mut, als ich durch das Fenjter die Türme der alten . 
Stadt Mainz auftauchen ſah und der Rheinjtrom ficht- 
bar wurde. Hier wollte ich ja ausfteigen und — ein 
gewiß auch in meiner Lage nicht ganz verdammens- 
werter Luruswunfhb — langfam an den rebenum- 
kränzten Ufern des alten deutihen Stromes hinunter- 
Ihwimmen. Das jollte mein le&tes Vergnügen fein, 
dann mollte ich in meinen Pflichten untertauchen. 
Möglichft forglos, möglichft froh und empfänglich wollte 
“ich diefe fchöne Welt, die ich noch nicht kannte, auf 





106. Ein tapferes Mädel. Oo 





mich wirken lajjen. Ich hatte den Himmel für diefe 
Fahrt um einen ganz ftrahlenden, warmen Frühlings- 
tag angeflebt, und ſiehe da, es ward ſo, es fam ein 
wunderbarer, ein goldener. 

Dieſer Wunſch wird dir alfo erfüllt, fagte ich auf- 
munternd zu mir felber. Nun fei dafür dankbar, Zlfe. 
Nun mad ein Geficht, das zu der ſchönen Welt paßt, 
und nimm fo viel davon mit, wie du kriegen kannſt. 
Dielleiht mußt du ſpäter davon zehren. 

Und richtig, Lotte, es ging. Man kann doch viel, 
wenn man aufrichtig will, 

Bevor wir im Bahnhof einfuhren, hatte ich mein 
Haar geprdnet, meine Auglein blank gepukt und mir 
den Schleier für die Dampferfahrt über dem Hut be- 
feſtigt. Sn meinem Reiſekoſtüm, das auch noch aus 
den fetten Zahren ftammt, ſah ich gewiß viel mehr 
nach einer großen Dame aus als nad) einer angehenden 
Stüße, Du wenigitens bebaupteft ja, liebe Lotte, es 
ſtände mir keck — totichid, fagteft Du, glaub’ ich. 

Ah, Du Liebite, wie gern hätte ih Dich nun bei 
mir gebabt, als ich auf dem weißen ftolzen Schiff, das 
wie ein Schwan fo ficher und ruhig den breiten ſchim— 
mernden Strom hinabglitt, in der warmen Sonne auf 
einem Rorbftuhl hingelagert, langfam dahinfuhr. Zn 
. fatten Zügen nahm ich die Schönheit der wechfelnden 
Bilder in mich auf, nicht fragend, wie das alles heißt, 
was mein Auge traf, fondern nur genießend, in Form 
und Farbe ſchwelgend. 

Dabei habe ich aber doch zuweilen aub an Dich 
gedadht. Da fißt fie nun, ſprach ich bei mir, die Itebe 
GSeelentröfterin und Genoffin, vor ihrem ungezogenen 
Haufen in dem alten Schulgebäude und fingt mit 
ihnen: „A aa, der Sommer, ber ift da,“ und hat doch 
nichts von all der Sommerjchönbeit, die hier von jedem 


0 Novelle von W. Harb. 107 





burggefrönten Felſen glänzt. Ilſe, wie haft du’s doch 
gut, Daß du das genießen darfit! Du tateft mir berz- 
lich leid, meine liebe Lotte, Du bift auch zu was Beſſerem 
geboren. Dir hat man’s wahrlich nicht an der Wiege 
gejungen, Daß Deine lieben Eltern fo früh dahingingen 
und Dir die Aufgabe zurüdliegen, Dich felbft, jo gut 
es gebt, durchs Leben zu fchlagen. Aber da made 
ich Dich ſchon wieder traurig und wollte doch von dem 
goldenen Tage reden. Es foll au für heute die lebte 
Anwandlung gewejen fein, liebe Lotte. Feierlich ver- 
banne ich alle Trauergeifter und verwünſche fie in den 
tiefiten Grund unferer ftampfenden und fauchenden 
Schiffsmaſchine, daß fie mit dem Schwarzen Rauch in 
alle Winde davonziehen. Paß auf, Lotte, wir beide, 
wir zwingen’s! Für uns ſteht noch was aus! Du bleibft 
nicht auf Deinem Ratheder fiten, und ich werde feine 
ewige Stüße fein. Wir verpuppen uns nad diefem 
Raupenzuftnd und fteigen als zwei fchillernde Schmet- 
terlinge, Du, Lotte Horft, Elementarlebrerin der dritten 
Vorſchulklaſſe, und ib, Ilſe Hartmann, Stütze der 
Schloßfrau auf Schloß Gröne im Weitfalenland, einſt 
empor. Wir find überhaupt nur zwei verwunfchene 
PBrinzefjinnen. 

Wenigſtens heute bin ih’s. Goldig flutet der Tag, 
kein Wölkchen am blauen Himmel, mit hellgrünem 
Schimmer die ernſten Felſen leiſe überwoben. 

Jetzt kommt's, Lotte, das Große, das Schöne, 
mit dem das Leben fo karg iſt. Eigentlich ſollte ich’s 
nicht fchreiben, denn es läßt fi nur empfinden und 
ihleht in Worte kleiden. Eigentlich follte ich’s tief 
im Herzen verbergen, denn es gehört zu den Pingen, 
die man nicht hervorzerrt ans belle Licht, die am beiten 
verborgen bleiben im Schaf der Erinnerung. Eigent- 
lich follte ich mich auch nicht darüber freuen und darüber 


108 Ein tapferes Mädel, D 


jubeln, ſondern traurig fein. Ih weiß auch wirklich 
nicht, ob ich luftig oder traurig bin. Es ijt ein Web in 
mit, das jubeln möchte, und eine Seligkeit, die ſich in 
Sränen bervordrängt. Denn, liebite Lotte, nur einen 
Tag lang, einen einzigen wonnigen, ijt das Glüd bei 
mir gewefen und hat feine ganze Fülle über mich aus- 
gegoffen, fo jtrahlend, daß ich glaube, diefer eine Tag 
reiht bin, um mein übriges Leben zu vergolden. 
Zebt ift er aus, der goldige Tag, und aus muß fein, 
was er gebracht hat — ja, Lotte, es muß! 

3b babe diefen Tag mit einem Manne verlebt, 
deſſen Bild nie aus meiner Seele weichen wird. Liebfte 
Lotte, ich weiß, was ih Pir jeßt fchreibe, das iſt bei 
Dir gut verwahrt. Nicht Dater, niht Mutter, du 
allein darfit es willen. Wie er ausſah? Ernſt, groß, 
männlich und feit. Etwas ſo Gewinnendes, Gutes und 
Liebes wie.in feinem Antli habe id nie auf Menichen- 
ſtirnen leuchten fehen. Ob Du ihn hübfch finden würdeft, 
weiß ich nicht. Wie alt? Zwiſchen fünfunddreißig und 
vierzig ſicher. Treue blaue Augen, Bart und Haare 
blond, ein Germanentypus, aber doch nicht von der . 
gewöhnlichen Art. Da haft Du ihn, Lotte, beijer kann 
ih ihn Dir nicht befchreiben. 

„alle,“ hör’ ih Dich ganz aus der Ferne, „dir ift 
nichts weiter begegnet, als was jungen heißen Seelen 
eben juft zu paflieren pflegt: du haft dich Hals über 
Ropf, ja bis über beide Ohren, unbeilbar — oder was 
man ſonſt zu fagen pflegt — verliebt!“ Ich höre Dich 
jchulmeiftern: „Das weht einen an, man weiß nicht 
woher. Das kommt davon, wenn junge unbedadt- 
jame Mädchen allein“ und fo weiter und fo weiter, 
Nein, Lotte, es war doch viel mehr. Ich fühle es, in 
dieſer Begegnung gipfelt mein Leben. Ganz verftehen 
wirft Du mich nicht, fo ſehr Du Pir auch Mühe gibft. 


a Novelle von W. Harb. 109 


Dielleiht wird es Dir fo am klarſten: ich habe einmal 
gelejen, daß jedes Menfchen Ergänzung, die für ihn 
beftimmte und genau pafjende Seele, irgendwo auf 
der Erde für ihn eriftiert. Daß diefe beiden fich finden, 
it unwahrſcheinlich und äußert felten. Lotte, diejes 
zweite Sch, das fühle ich, das habe ich gefunden. 

Ich fomme Dir überjpannt, pbantaftiih vor. Du 
meinst, in ähnlichen Übertreibungen ergeben fich alle 
Derliebten, wenn fie von dem Gegenftand ihrer 
Neigung erzählen. Ah, Du Hühnchen, Du abnungs- 
lofes, in Herzensiahen gänzlich unbewandertes Men- 
ſchenkind! Pu kannſt ja gar nicht urteilen! Aber ich 
verzichte auf alle weiteren Verſuche, Dir den Zuſtand 
ıneines Herzens deutlih zu machen. Ich laſſe Dich 
bei Deinem Glauben. 

Mas wir redeten? Derlange nicht zuviel. Unſere 
Geſpräche wiedergeben, bieße dasfelbe fordern, wie 
etwa eine ſchöne Sinfonie, nahdem der lebte Ton 
verlungen ift, aus dem Gedächtnis wiederholen, 
Mufit, Traum, Raufch war alles. 

Ein ganz unbedeutender Anlaß machte uns befannt. 
Nichts fpielt ja im Leben eine größere Rolle und hat 
wichtigere Folgen als der Gajt, der unangemeldet 
duch alle Türen tritt, der Herr Zufall. Diesmal 
ſuchte fich der Herr für feine Streiche den Hut meines 
Reiſebegleiters aus, riß ihn duch einen feiner allzeit 
gehorfamen Diener, einen beimtüdifhen Windſtoß, von 
feinem Ropfe und wehte ihn direkt in meinen Schoß, 
Kein Zirkusjongleur kann fein Ziel beffer treffen. Cs 
war Der einzige beftige Windftoß, den ich während 
der ganzen Reife verfpürt habe, fo rubig war es ſonſt. 
Alſo doch wohl cin Stoß des Schidfals. 

Der Hut vermittelte unjere Bekanntſchaft. Erſt 
ſtanden wir nebeneinander an der Schiffsbrüftung und 


110 Ein tapferes Mädel. D 


Ihauten gemeinjam die Wellen und die Vögel und die 
Berge an. Dann zog er wie felbjtveritändlich feinen 
Rlappftubl neben meinen Korbſeſſel, und da blieb er 
jigen, Stunde um Stunde, ohne anders einmal aufzu- 
ſtehen, als um mir und fich eine Erfrifchung zu beforgen. 

Er wußte wunderbar zu erzählen, und die Augen 
glänzten ihm dabei. Er batte viel gefehen und viel 
erlebt. Auch jeßt befand er fich auf einer größeren 
Reife und wollte erſt nah Wochen zurüdfehren in 
feine Heimat. Ich hörte zu — gebannt und verzaubert. 
Am ſchönſten war es, wenn er von inneren Erlebniffen, 
von feinen Anfihten und Anſchauungen ſprach. Er 
hatte eine feine, zarte und Doch fo Hare Art, Sch habe 
nicht halb fo viel geredet wie er und ficher nicht ein 
Diertel fo geiftreih. Oft glaubte ich in feinen Aus- 
führungen meine eigenjten, allerinnerften Gedanten 
wiederzuerfennen. Dies oder das haft du ja geradeſo 
auch ſchon einmal gedadt, fagte ich mir. Nur haft du 
es nie ſo anmutig und deutlich zutage gefördert. 

Zweierlei kann ich Dir genauer berichten, liebe Lotte. 

Nachdem wir eine Weile miteinander geredet hatten, 
wollte ei, wie es ja üblich ift, ſich vorſtellen. Uber als 
er dazu Anftalten machte, wehrte ich ab. 

Ich hatte nämlich im geheimen fchon Angit davor 
gehabt, Lotte, Betrügen und ihm einen falfchen 
Namen nennen, unter dem ich von nun ab in der Welt 
herumreife, um ein trodenes Bläschen für mid zu 
haben und mein Brot zu verdienen, das wollte und 
fonnte ich nicht. Und meinen wahren Namen fagen 
— um alles in der Welt nicht. Wenn er das war, für 
das ich ihn feinem Benehmen nad) bielt, für einen 
Mann, der in iener Welt Befcheid weiß, zu der wir 
auch einjt gehörten — vielleicht hätte er geitußt, vicl- 
leiht unliebfam gefragt, vielleiht ſich abgewandt, 


0 Novelle von W. Harb. 111 


Der kurze Glüdstraum wäre allzu fehnell zu Ente 
gewefen. Der Name Arnftein-Leglingen hat einen 
üblen Rlang in der Welt. Man hat ihn mit Schmuß 
beworfen und in den Staub gezogen. Und der Staub 
und Schmuß ift weithin geflogen, und die ſchmutzigſten 
Beitungen haben ihn in ihren Spalten mit Behagen 
ihren fenjationslüfternen Lefern aufgetifcht. Ach, Lotte, 
es ift unſagbar jchwer, das Haupt fenten zu müfjen, 
wenn der eigene Name genannt wird. 

„Bitte,“ fagte. ih zu meinem Begleiter, „laffen 
wir einmal die vorgejchriebenen Förmlichkeiten bei- 
feite. Geben wir uns ohne den gefellfchaftliden Firle- 
fang — er ftört mich heute.“ 

Er ſah mich finnend an. „Wenn Gie es denn jo 
wollen -- vielleicht haben Sie recht. Man kommt fic) 
näher ohne das.“ 

Mie er das fagte, Lotte, und wie er mich dabei an- 
ſah — ich mußte erröten. 

Die Vorftellung unterblieb aljo. Und wir kamen 
uns näher. Wie ein Strom floß es berüber von ihm 
zu mir und von mir zu ihm. Es war, als feien wir 
elektriichb verbunden. Die Welt, die fchönen Berge 
mit ihren Sinnen und Weingärten verjanten um uns 
ber, oder vielmehr, fie gaben nur den ſchweigenden 
Rahmen ab. Ebenfogut hätte ich mit ihm im gelben 
Wüſtenſande figen können oder irgendwo font — wir 
wären die gleihen gewefen. 

Ach Lotte, die [höne Zeit ging rafh dahin. Per 
goldene Tag neigte fih dem Ende zu. Schon fhidte 
ih die Sonne, die mir heute fo hell geleuchtet hatte, 
an, hinter den Eifelbergen zur Ruhe zu geben. 

Und da kam das zweite, das Du hören ſollſt. Ich 
habe es am beiten behalten. 

„Ich fürchte, ih kann Sie nicht wieder vergeffen,“ 


112 Ein tapferes Mädel. 0 


fagte er. Er nahm meine Hand, und ich ließ fie ihm, 
als verjtünde fih das ganz von ſelbſt. 

Ich jab ihm freimütig und ohne dumme Siererei 
in die Augen. „Sie baben mich reich gemadt,“ ant- 
wortete ich. 

„Sagen Sie mir wenigitens ae Vornamen,“ 
bat er. 

„Ich beige Ilſe.“ 

„Nun denn, nn — Ilſe, es fehlt nicht viel, 
dann ſtellte ich ſchon heute an Sie die Frage, die ein 
Mann fonft nur an ein Mädchen richtet, wenn er cs 
länger fennt. Darf ih? Soll ich das Glück feſthalten?“ 

Ich jchüttelte ftumm den Kopf. Zetzt ward mir 
unfäglihd web, „Nein,“ fprach ich faft bart. 

„ah muß Sie aber wiederfehen, Ilſe. Wann und 
wo fann das fein?“ | 

„Niemals und nirgends.“ . 

Er ſah mich betroffen an. „Wie foll ich das ver- 
fteben? Habe id) mich fo getäufcht?“ 

„Sie haben fich nicht getäufcht, aber es kann troß- 
dem nicht fein,“ Ich nahm alle meine Kraft zufainmen 
und atmete tief auf. „Zwiſchen uns fteht das, was 
man das eiferne Schidjal nennt. Pringen Sie nicht 
in mich, ich fönnte es Ihnen doch nicht fagen.“ Ach 
fühlte, wie fich meine Augen mit Tränen füllten, 

Konnte ich anders, Lotte? Ronnte ih ihm fagen: 
„Mein Dater ift der in den Augen der Welt geächtete 
und verfemte Major v, Arnftein-Leßlingen, dein man 
Unredlichkeiten in feiner PDienjtführung nachgeſagt 
bat, der als ſchwer Angefihuldigter vor dem Gericht 
gejtanden hat und nur freigejprochen wurde, weil 
man ihm nichts direkt nachweifen konnte? Der einen 
wonig ebrenvollen Abjchied aus der Armee nehmen 
mußte und nun in einer ſolchen Notlage lebt, daß feine 


0 Novelle von W. Hard, 13 





Tochter hingehen muß und bei anderen Leuten in 
untergeordneter Stellung fih ihr Brot verdienen, 
damit fie den Heinen Gefchwiftern die ſchmalen Bifjen 
niht noch ſchmäler maht? Hier fit diefe Tochter 
vor Ihnen. Was hilft es, wenn dieſe gute Tochter 
Shnen fagt, daß fie felbit ihren Vater für unfhuldig, 
für verleumbdet, für ein Opfer verhängnisvoller Mißver- 
ſtändniſſe und Verkettungen hält? Wenden Sie ſich nur 
ab von ihr, mein Herr, wie von ihrer befiedten Familie!“ 

Hätteft Du das fertig gebracht, Lotte? 

Er würde gegangen fein — blutenden Herzens, das 
weiß ich, aber er würde gegangen fein. 

Sp follte der Traum nicht enden. Per goldene 
Sag mußte ein freundliches Abendrot haben. 

Er bettelte, er flehte — ich blieb aber feit, Lotte, 
Es könne, es dürfe nicht fo fchlimm fein, wie ih mir 
einbilde. Er fühle fich ftart genug, alle Feſſeln zu 
ſprengen. 

Ich ſchwieg. Über dieſen Punkt tommt ficherlich 
fein Mann hinweg. 

Der Rölner Dom ftand wie eine ſcharfe Silhouette 
am dunklen Abendhimmel. Man traf Vorbereitungen, 
das Schiff mit Seilen an der Landungsbrücke zu be— 
feſtigen. Die Menſchenmenge drängte vorwärts. Wir 
allein blieben noch zurück. 

„Es darf nicht aus fein, Ilſe! — Ich werde nicht 
ruhen, bis ih Shre Spur habe,“ 

„Sie werden wie ein Ehrenmann handeln und 
mich meine Wege gehen lajjen. Hinter der Landungs- 
brüde trennen wir uns. Slauben Sie mir, es wird 
mir ebenjo ſchwer wie ghnen. 

Er hielt meine Hand feſt in der ſeinigen. 

„And nicht die leiſeſte Hoffnung, Slje? nn Seit 
ändert jo mandes!“ ’ 

1919. XI. 8 


114 Ein tapferes Mäbdel. e 





„Zah werde Sie nie vergeijen.“ 

Denn die Menſchen nicht gewejen wären, er hätte 
mich jeßt ficher ftürmifch in feine Arme gezogen. Ich 
ſah es ihm an den Augen an, die heiß und verfengend 
auf mich niederbrannten. 

„Meinen Sie denn, daß ich Sie je vergefien kann? 
Das Leben wird mir wertlos fein, bis ih Sie wieder- 
gefunden habe. Ilſe, eine leife Hoffnung nur — jo 
zart und dämmernd wie das lichtſchwache Fünkchen dort 
am Abendhimmel, das verheißungsvoll herübergrüßt.“ 

„Nun denn,“ hab’ ih da gefagt, „Ichreiben Gie 
mir nah zwei Fahren unter ‚Slje‘ pojtlagernd nad) 
Mainz. Sch werde mir den Brief holen, wenn id) 
nicht fchon tot bin. Und ich werde Zhnen antworten — 
entweder, daß ein furchtbares Geſchick uns nah wie 
por irennt, oder —“ 

„Dder?“ jauchzte er. „Zlie — daß du dann mein 
jein willft?“ 

„Wenn ghre Liebe dann noch vorhanden fein 
wird —“ 

„Sie wird es!“ 

Wir überfchritten die Landungsbrüde zulekt. 

Auf dem Kölner Straßenpflafter reichten wir uns 
noch einmal die Hände. Cs war uns, als könnten wir 
nicht voneinander. 

„Ich hoffe,“ war fein fettes Wort. | 

Er ift mir nit gefolgt. Er ift ein Ehrenmann 
durch und durch. — 

Der Obertellner reicht mir fpeben auf meinen Be- 
fehl ein paar Marten. Er iſt gewiß erftaunt, daß man 
jo hartnädig und bis tief hinein in die Naht fchreiben 
kann. Es find nicht mehr viele Gäfte im Zimmer, Der 
Zeiger der Uhr über dem Büfett zeigt bald auf Mitter- 
nacht. 


D Novelle von W. Harb. 115 





Leb wohl denn, meine füße Lotti, und dent zuweilen 
an mich, Sch hab’ es nötig, dag Du mich mit Deiner 
Liebe aub in die grauen Tage begleitet, die nun 
tommen werden, Grüß mir den Vater und die Mutter, 
meinen Bruder Alfred und meine Heine Schweiter 
Hildegard. Sag ihnen, Du habeft von mir einen langen 
luftigen Brief erhalten. Cs war ja doch auch manches 
luftig darin — gelt? Deine Ilſe. 

P.S. Glaubſt Du, daß ih nah zwei Jahren einen 
Brief haben werde in Mainz? Sch glaub’s nicht, ob- 
gleich ich fühle, daß ich einen tiefen Eindrud auf ihn 
gemadt habe, Aber die Zeit ändert mandyes, hat er 
richtig bemerkt. Ad, Lotte, wenn fie doch nur das 

Gejhid meines armen Papas ändern möchte! 


* * 
* 


Schloß Gröne, 12. Mai. 

Du liebe, gute Lotte! Wie danke ich Dir, daß Du 
meine Eltern ſo fleißig beſucht haſt! Mutter ſchrieb 
mit, es ſei ihr bei Deinem Kommen geweſen, als habe 
die Sonne verjudt, einmal wieder bei ihr hinein- 
zufcheinen, Wie fandeft Du fie? Waren fie fehr, fehr 
niedergebeugt? Ach, die Armen! Dent Dir, Papas 
heißes Bemühen um eine Wiederaufnahme der Unter- 
ſuchung jcheint vergebens geweſen zu fein. Nun wird 
es bei ihnen noch dunkler werden. 

Weist Du, was damals, als die Sache bekannt 
wurde, ein paar Leutnants unferer alten Garniſon ge- 
fagt haben follen? An Stelle des Majors ſchöſſe ich 
mir einfach eine Rugel vor den Kopf!! Sc verftehe 
Das, Lotte, vielleicht von Leuten, die keine Religion 
und keinen Halt haben — oder aud) bei folchen, die in 
ihrem Schuldgefühl erjtiden. Aber ein Mann wie 
mein Papa, der nicht nur den Mut bat, mit dem 


116 Ein tapferes Mädel, Q 





Säbel auf die Feinde loszugehen, fondern auch Stärke 
und Gottvertrauen genug, um dem Unglüd die Stirn 
zu bieten, der wird das nie tun. Schon um der Seinen 
willen nicht, denen er jett doppelt nötig it. Gerade 
jeine Gelafienheit und. Geduld im Leiden ift mir ein 
Beugnis für feine Unfhuld, werin ich noch eines nötig 
hätte, Räme fie nur an den Tag! Es wär’ der froheite 
Sag meines Lebens. 

Ob ih noch an die goldige Zeit auf dem Rhein- 
dampfer denke, fragſt Du in Deinem lieben Briefe, 
Du bift naiv, Lotte, Sch werde daran noch denken, 
wenn ich mit vier Kiſſen hinterm Rüden als alt- 
jüngferlihe Stridtante hinterm Ofen fite, die Wärme- 
flafjhe unter den Füßen und den Mops auf dem 
Schoß. Dann werden mir feine Worte noch in den 
Ohren klingen, und ich werde beglüdt por mich hin 
lächeln, wenn die Zugend fich liebt, und leife für mich . 
jagen: „Macht ihr’s nur, fo gut ihr’s könnt. So wie 
ich es hatte, bekommt ihr’s doch nicht. Es war einmal, 
es war einmal!“ 

Nun foll ih Dir felbitredend von Schloß Gröne 
erzählen und von dem, was ih darin zu tun babe, 
Liebe Lotte, Du wirft natürlid Papa und Mama 
mein Sammerlied nicht vorfingen. Es gebt nach der 
Melodie: „Ah du lieber Auguftin, alles ijt hin, hin, 
hin!“ Die Eltern glauben, ich hab's hier ganz gut, 
Der liebe Bapa hat mich fürforglid für mindejtens 
ein Dierteljahr an die Rette gelegt — könnte ich früher 
tündigen, ich tät’s ſofort. Und wenn ih auskneifen 
tönnte und wüßte nur wohin mit mit, dann hätte ich 
Schloß Gröne und feine Bewohner längſt im Rüden. 

Wenn Du mit Deinen hoffnungspollen Spröß- 
lingen, die Deiner mütterlihen Zuchtrute anvertraut 
find, das ſchöne Lied einübft: „Hopp, hopp, hopp, 


D Novelle von W. Hard, 117 





Pferdchen, lauf Galopp!“ dann, liebe Lotte, dent 
an mid. Solch ein Pferöchen bin ich hier. Zreppauf, 
treppab, zu jeder Arbeit gut — fehlt nur noch die 
Peitſche. 

Na, ih bin eben 'ne Stütze und kann's vielleicht 
nicht beffer verlangen. Ich hätte nur nie geglaubt, 
daß es für einen einzelnen Menſchen in einem einzelnen 
Sauepalt fo viel zu jtüßen gibt. Lotte, ein paarmal, 
wenn’s mit meiner Rraft zu Ende geben wollte, hab’ 
ih gedaht: Bald hab’ ich telber ne Stüße nötig, ſonſt 
fall’ ih um. 

Wir hielten früher zwei Mädchen und eine Köchin. 
Die haben's gut gehabt bei meiner Mutter, Aßen ſich 
dide Baden an und platten in den Zaillennähten, 
Wir haben fie auch nie als Weſen niederer Ordnung 
angejehen, gegen die wir. uns etwas herausnehmen 
durften. Wehe uns Rangen, wenn wir das gewagt 
hätten! Ach, unfer fhöner Haushalt in Vaters alter 
Garnijon! Wie friedlih und harmoniſch ging alles 
darin zu! Auch jebt iſt es ja fiher unter Mutters 
fanftem Zepter nicht anders, nur daß wir keine zwei 
Mädchen und keine Röchin mehr haben. Dafür hat 
fich ein ungebetener griesgrämiger Gaſt eingefunden, 
der Rummer, Der fitt im Wohnzimmer breit auf dem 
Sofa, nimmt frech mit Pla am Mittagstifh und 
ftreut ein bitteres Salz auf jeden Biſſen, legt fich mit 
ins Bett, macht in der Nacht den greulichften Rumor 
und verfcheucht den erquidenden Schlaf, und morgens, 
wenn man aufiteben will, begrüßt er jeden HYaus- 
genoffen zuerft mit feinem bleichen Faltengeficht. Brr! 

Ich kann keinen vernünftigen Brief fchreiben, Lotte, 
DBernünftige und geſetzte Leute fangen beim A an und 
endigen beim 3. Mir läuft die Feder immer davon 
und macht ‚Seitenfprünge nach rechts und links. Aber 


113 Ein tapferes Mäbdel, o 


jegt nehme ich fie feit zwijchen die Finger und bringe 
ihr Ordnung und Ruhe bei, 

3b habe nämlih wirklih einen Augenblid Ruhe 
zum Schreiben. Pie Heinften Rinder find zu Bett, 
die großen find mit meiner „Herrfchaft“ ausgefahren 
und fommen erjt fpät zurüd, und die mittlere Sorte 
it Draußen im Garten. Was fie da treiben, mögen 
die Götter wiſſen. Sie haben mir heilig verfprochen, 
feinen Unfug zu machen, auch wenn ich fie eine halbe 
Stunde nicht beauflihtige. Diefe drei Sorten Rinder 
gibt’s nämlich hier. Ich wüßte nicht zu jagen, welche 
mir das Leben am wenigjten fauer machen. Zedesmal 
drei gehören zuſammen und bilden eine Gruppe für 
ſich. Erſte Gruppe: Ada, Renate, Ernefried — Rinder 
der eriten Frau des Barons Mönk. Er hat jebt die 
dritte, meine gnädige Ungnädige. Das Bild der erften 
hängt unten im Prunkſalon in Lebensgröße. Sie ijt 
im Balltleid gemalt, eine ftolge Schönheit mit einem 
abſtoßend hochmütigen Zug um den Mund, Ihre 
drei Rinder, im Alter von einundzwanzig bis achtzehn, 
haben alle diejen gleihen Zug, aber nicht nur um den 
Mund, jondern auch im Herzen. 

Die zweite Sorte — ich hab’ fie ſchon taufendmal 
ins Pfefferland gewünjcht, aber es hat nichts geholfen — 
bejteht aus drei Rangen, für die eigentlich ein kräftiger 
Prügelmeifter extra angejftellt werden müßte, Mit 
denen fchlage ich mich täglih herum, ähnlich wie mit 
den blutfaugerifchen Müden und Stechfliegen, die es 
hier in unglaublicher Menge gibt. Natürlid ein Rampf, 
bei dem es Wunden und Denkzettel ſetzt. Kurt, ein 
Bengel von fünfzehn Zahren, gehört nach meiner 
Meinung in ein Rorreltionshaus, Bodo braucht bei 
einem auf dem Rriegspfad befindlichen Indianer nicht 
mehr in die Lehre zu gehen, und die zwälfjährige Wald- 


0 Novelle von W. Harb, 119 





traut hat nur aus Verſehen Mädchenlleider angelriegt. 
Lotte, was die drei zufammen anitellen, Du glaubft 
es niht! Eine Räuberbande in den böhmischen Wäl- 
dern iſt gegen fie eine patriarhaliihe Hirtenfamilie. 

Folgt Sorte Nummer drei, Helmut, Eleonora und 
das Nejthäthen Eberhard. Zahre: vier, drei und eins. 
Ah, wie reizend! höre ih Dich ausrufen, denn id 
weiß, wie gern Du kleine Rinder haft. Hätteſt Du 
doch Dein Wort zurüd, Lotte! Hier liegen die ge- 
fährlihiten Fußangeln meiner Stüßentätigteit, Hier 
bin ih ſchon bundertmal geitrauchelt, gefallen und 
tapfer wieder aufgeftanden, denn ich mach’s meiner 
Gnädigen, die an den drei Buppen einen wahren 
Narren gefrefien hat, nie recht. Man kriegt hier ein 
Dides Zell, Lotte, und das mag für den mir bevor- 
ſtehenden Lebenstampf ja gut fein, aber manchmal 
tönnt’ ich aus der Haut fahren, Die Gnädige probiert 
an dieſen dreien ihre Verziehungskünſte. Ich hab’ 
feinen prophetiichen Blid, Lotte, aber was aus diefen 
dreien wird, weiß ich troßdem — Lümmel werden’s. 
Lümmel ift der Lieblingsausdrud meines alten Barons. 
Gegen mich hat er freilich dies Wort noch nie ge- 
brauht — vielleiht mahft Du Dich nach meiner 
Beichreibung auch ſchon auf jo was gefaßt, Lotte — 
im Gegenteil, gegen das weiblihe Geſchlecht iſt Herr 
v. Mönt zeitlebens — fagen wir allzu liebenswürdig 
gewejen. Fürchte aber nichts für mich, Liebite, er ift 
jetzt ungefährlich. Er wird im Rollituhl gefahren und 
geht nur täglich eine halbe Stunde auf Rrüden. Ich 
beneide ven Diener nicht, der ihn begleitet. So gern 
ich ihm feine gefunden Glieder gönnen würde, eines 
Dabei ift mir doch recht: ich brauche ihm feine Soden 
nicht zu ftopfen, denn er reißt keine faput. Die übrigen 
Beinhüllen der Familie, turze und lange, derbe und 


120 Ein tapferes Mädel. oO 





feine, ſchwarze und farbige, liegen auf meinem Arbeits- 
tifih. Sp, nun weißt Du, warum diefer Brief abfolut 
nicht länger werden kann. Außerdem ertönt aus dem 
Garten ein fchredliches Gebrüll, Der Stimme nah 
ift es Bodo. Ich muß hinab und Frieden ftiften. 

- Deine auf Dornen gebettete Ilſe. 


* * 
> 


Schloß Grüne, 22. Mai. 
Meine fühe Lotte, Du haft morgen Geburtstag. 
Die gern ſchriebe ih Dir den allerlängjten und aller- 
herzlichiten Brief. Es geht aber nicht. Diefer kurze 
Gruß, in den ich alle meine Liebe und alle. meine 
Wünſche für Dich lege, muß Pir genügen. Wenn ic 
Dir mehr [chreiben fünnte und dürfte, es würde Dich 
in feine Feſttagsſtimmung verfegen. Grüße mir die 

Eltern und Geſchwiſter. Deine abgehetzte Ilſe. 


*x 
* 


Schloß Gröne, 26. Mai, 

Du bedauerſt mich, Lotte, Du möchteſt mir meine 
Laſt gern einmal abnehmen oder ſie mit mir teilen — 
Du biſt gut. Aber bange zu fein für meine Gefund- 
beit, das braudft Pu nicht. Unkraut vergeht nicht. 
3b bin mandmal todmüde, todunglüdlich, ich habe 
fünf Pfund abgenommen, aber ich bin kerngejund, 
Nur meine armen Hände, auf deren Schlantheit und 
Weiße ih einjtmals fo ſtolz war, die dauern mid). 
Krebsrot, fteinhart, zerjtihelt und verbrannt, mit 
Pflaftern bededt — nächitens laſſ' ich fie photographieren 
von Kurt, der eine Ramera hat und wahllos jedes 
Objekt aufnimmt, und {hie fie Dir, 

Du willft aljo vor allem gern wiffen, wie meine 
Antunft und Aufnahme bier geweſen iſt, und was ich 


8 Novelle von W. Harb. 121 





mit meinen Quälgeiftern fonft erlebt habe, Ou follft 
einen fehr ausführlichen Brief haben, mein Herz, denn 
— ftaune, aber mach den Mund hübfch wieder zu — 
ich habe einen freien — dreimal unterftrihen — Nach- 
mittag. Ein Sonntagnahmittag, den id anwenden 
kann, wie ich will, und den ich zunächſt zum Schreiben 
benütze. Dielleicht gehe ich nachher in den Wald, fuche 
mir ein einfames Plätzchen, wo das Rraut Vergejjen- 
heit wächft, mache die Augen zu und fchlafe und träume. 
Mas follte ih auch fonft hier mit meinem „freien“ 
Nachmittag anfangen? Verkehr und Freunde hab’ ich 
nicht, fuche ich nicht — mit wen, Lotte? Zn der Um- 
gegend liegen nur Güter und Dörfer, und die habe 
ich bisher nur von weiten gejehen. Auf den Gütern 
fiten meine ehemaligen Standesgenoijen, für die ich 
Zuft bin, und in den Dörfern Bauern, - Und doch 
ichreie ich förmlich nach einem Menfchen, dem ich alles 
in den Schoß fchütten, an deifen Bruft ih mich aus- 
weinen könnte. Lotte, wäreft Du doch auf eine Stunde 
bier! Ich bin todunglüdlid, Lotte, viel, viel unglüd- 
liher, als Du denkſt. — 

Sp, meine liebe Maus, jebt ift mir wieder beffer. 
Sch danke Dir vieltaufendmal, daß Du mir Dein liebes 
Bild mitgefhidt haft. Wenn ich das vor mic) hinftelle 
und die Bilder meiner Eltern und Geſchwiſter daneben, 
dann fauge ich aus all den freundlichen Gefichtern neue 
Lebenskraft. Du fchreibit, mein Vater hätte es doch 
nicht zugeben follen, daß ich eine ſolche Stelle über- 
nehme. Meine Beite, Du bift wohl momentan ver- 
dreht, wie unfer alter Mathematiklehrer zu jagen 
pflegte, Was hätte ich denn tun follen? Untätig den 
Zammer im Haufe mit anfehen? Pie Prinzeß fpielen 
und möglichſt hochnafig die allgemeine Nichtachtung 
der edlen Mitmenfchen ignorieren? Mein Bater bat 


122 Ein tapferes Mädel, g 





lich lange genug gefträubt, bis er Ja und Amen jagte 
zu den demofkratifchen Neigungen feiner aus der Art 
gefchlagenen Tochter. Ich follte was anderes ergreifen. 
„Das?“ fragte ih. „Sch bin zu allem zu dumm. Ich 
tann ein bißchen nähen, ein bißchen ftiden, ein bißchen 
Rlavier fpielen, ein bißchen fingen, ein bißchen malen 
— ih kann von allen ſchönen Dingen, mit denen 
andere Leute fih Geld erwerben, ein bißchen, Nur 
tanzen und flirten mit den Leutnanten und anderen 
Löwen der Gefellihaft, mich in der neueiten Mode 
präfentieren und mich bis zum Hahnenſchrei amüfieren 
— das kann ih. Nicht böſe fein, VBäterchen,“ fagte ich, 
als ich ſah, daß er traurig wurde, „ich bin felber ſchuld. 
Einen höheren Bildungsdrang habe ich leider nie in 
mir verjpürt, Zu etwas wird es aber reichen — zur 
Stüße. Stüße kann jede werden, dazu braucht’s nichts 
weiter als eine tüchtige Portion ‚Dud dich‘, einen 
langen, langen, langen Geduldfaden, der nie abreißt, 
und ein zolldides Fell. Was ich davon noch nicht habe, 
werde id mie nad und nah anfchaffen.“ Nein, Lotte, 
ih habe es ganz recht gemacht, meinen Fähigkeiten 
nach ſtehe ich auf dem richtigen Platz. 

Liebe Lotte, der Menſch muß zufrieden fein. Ich 
lerne hier wirklich eine Mafje. Dinge, um die ich mich 
früher nie gekümmert habe, gehen mir fo fir von der 
Hand, als ob ich mein Lebtag nichts anderes getrieben 
hätte. Sch bilde mich hier zur perfelten Hausfrau 
aus, und wer mich mal kriegt, der wird nicht betrogen. 
Willſt du, dummes Herz, wohl ruhig fein? Wirklich, 
Lotte, das klopfende fehnjühtige Ping unter meiner 
Bluſe läßt fich jchon wieder einmal von dem Heimweh 
nach einem gewijjen goldigen Tage ertappen. 

Lotte, zuweilen male ich mir aus, wie es fein wird, 
wenn wir beide — Du mußt natürlih mit — in zwei 


ao Novelle von W. Harb. 125 





Sahren zum Schalter des Hauptpoftamts Mainz ziehen 
werden. „sit etwas da unter Slje?“ frage ih dann 
den Beamten, Er kramt in feinem Briefhaufen, zudt 
die Adhfeln und fagt: „Bedaure, nein, Zräulein!“ 
Und dann gehen wir beide wieder nah Haufe, Du 
mid) tröftend und ftreichelnd, und ich wieder um eine 
Portion Lebensweisheit weifer, „Aber,“ werde ic 
dann auftrumpfen, „den goldenen Tag habe id doc 
gehabt. Der bleibt mein unveräußerlihes Eigentum.“ 
Nicht wahr, Lotte? 

Alfo ih habe heute meinen freien Nachmittag wie 
ein Dienftmädchen, das mit feinem Schaß ausgehen 
fann. 

„Heute nachmittag haben Sie frei, Fräulein,“ fagte 
Frau Eupbemia v. Mönt zu mit, 

Ich verbeugte mich kurz und ſchob ab. Sch ver- 
ſchwand fchnell irgendwohin, nur von der Bildfläche, 
denn es konnte doch fein, daß es der Freifrau wieder 
leid wurde. Wozu hat eine Stüße einen freien Tag 
nötig? Die Dienjtboten, ja, das ift etwas anderes. 

Eine Stüße braucht man nicht zu verwöhnen. 
Denn fie aufmudt, fliegt fie einfah. Man betommt 
ſofort hundert für die eine wieder. Aber ein Dienft- 
mädchen! Die wollen heutzutage angefaßt fein wie 
rohe Eier. Geht man nicht auf ihre Forderungen ein 
— bums! kündigen fie, und man kann lange ſuchen, 
bis man eine neue kriegt. 

Ich werde wohl bitter, Lotte? Man kann's bier 
leiht werden, wenn man derartigen Gedanten zu 
lange nachhängt. Das Elend mander armen Mädchen 
aus den bejjeren Gefellichaftsklafien ift doch groß, 
Liebſte. 

Nein, dieſe Ilſe! ſagſt Ou. Nun kauderwelſcht ſie 
wieder alles mögliche durcheinander, aber was ich ſo 


124 Ein tapferes Mädel. =) 





gerne hören will, davon fchweigt fie. Entfchuldigen 
Sie, weile Pädagogin, ich Habe nicht Methodik gelernt. 
Aber ih werde gehorſam fein und hübſch dert an- 
fangen, wo es anfängt. 

Am 1, Mai diefes mit fchönen Frühlingstagen 
jo. reichgefegneten Jahres fuhr ih armes Offiziers- 
töchterlein, nachdem ich meine unter den Erwartungen 
gebliebene Rechnung bezahlt und dem Herrn Ober- 
tellner ein meinem Range entiprechendes Geldjtüd 
eingehändigt hatte, mit der Eifenbahn in das Land 
der roten Erde, Der Herr Oberkellner quittierte mit 
einem liebenswürdigen Lächeln, warf einen. betvundern- 
den Blick auf meine Geftalt in der Heidfamen Reije- 
toilette und entließ mich mit einem devoten: „Adieu, 
gnädiges Fräulein.“ Das ijt das lebte „gnädige Fräu- 
lein“ gewejen, das ich eingeheimjt habe, Lotte, Pie 
Dame, die auf der Heinen Station in der tellerflachen 
Ebene zwifchen den grünen wogenden Ährenfeldern 
ausitieg und ſich fuchend umjah, ob ein Wagen für 
fie bereitftünde, war ein Fräulein Ilſe Hartmann, 
Ichlehtweg Fräulein und Stüße, . 

Nun, ein Wagen mit Wappen und betreßtem 
Ruticher war da nicht. Sch war ratlos, denn natürlich 
hatte ich keine blaſſe Ahnung, wo Schloß Gröne lag 
und wie weit ich bis dahin laufen mußte, Wan Ichien 
nicht viele Umftände mit der neuen Stüße zu machen. 
Mein Ungetüm von Koffer ftand einfam auf dem 
Bahniteig. 

Da trat ein alter Bauer an mich heran und fragte 
mich auf Platt, ob ich das neue „Frölen“ wäre für 
Schloß Gröne. Ich bejahte erfreut, und er erlaubte 
mir gnädigjt, neben ihm auf dem Brett Plat zu nehmen, 
das quer über die Leitern des Wagens gelegt war, 
Dem Wagen baftete ein Geruch an, als ob darin 


di Novelle von W. Harb. 125 





Schweine zum Verkauf gefahren worden wären. Es 
verhielt fich auch wirklich jo, befte Lotte, An ſolchen 
Kleinigkeiten muß man fich nicht ftoßen, wir find bier 
auf dem Lande, Wein Koffer fam yuuen u und 
heidit ging’s los. 

Unjere lieben jchönen Berge, wo waren lie? Bis 
zum Horizont nirgends eine nennenswerte Erhebung, 
dafür weite, weite Rornfelder, Dazwiſchen die roten 
"Dächer einzelnjtehender Gehöfte, hier und dort ein- 
geftreut ein. Wäldchen, Sch fürchte, auch an die ein- 
förmige Landihaft werde ich mich ſchwer gewöhnen, 

Du kennſt mich, Lotte. Unſere Fahrt dauerte 

anderthalb Stunden im gemädlidhiten Zuckeltempo, 
und fo lange neben einem Menſchen zu fiten, ohne 
auch nur pieps zu fagen, das halte ich einfach nicht 
aus, Mein Wagenlenter ſchwieg fich polllommen aus 
und rauchte dabei fürchterlih, Zuweilen kam aus 
feinem mit weißen Stoppeln umrahmten Munde ein 
eigentümlicher Grunzton, den feine Braunen zu tennen 
ichienen, denn fie zogen jedesmal, wenn fie ihn hörten, 
itraffer an, um nad zehn Sekunden in den alten 
Schlendrian zurüdzufinten. 
Ich ertundigte mich nah allem möglidhen, das 
mid brennend interefjierte. Wie das Schloß beichaffen 
ſei. Ob man mit der Gnädigen leicht fertig werde, 
Wieviel Rinder im Haufe feien, ob häufig Gefell- 
ſchaften jtattfänden und dergleichen mehr. Er öffnete 
jedesmal den Mund, nahm die Pfeife heraus und 
fagte immer denjelben Schnad: „Dat kann id Sei 
nich jeggen, Frölen. Dat warden Sei nu bald ſülwſt 
gewohr,“ Mehr war aus ihm abfolut nicht herauszu- 
bringen. 

Toffel! dachte ich im ſtillen und verſank nun auch 
meinerſeits in Schweigen. 


126 Ein tapferes Mädel. 0 








Noch immer fah ih kein Schloß, und das fchmale 
Brett fing fehon an, mir recht fatal zu werden — da 
auf einmal lag es dicht vor uns, hinter einer Waldede. 

Mein Ruticher wies mit feinem Peitjchenitiel dar- 
auf hin und fagte: „Nu fünd Sei dor, Frölen. Stigen 
Sei man ut, et fünd man noch en poor Schritt. Den 
Kuffert jett wi up de Landftrat, den könnt Ge nahſten 
afhalen.“ 

Ich tat, wie mir geheißen, und ſprang leihtfüßig 
mit beiden Beinen vom hohen Sitz auf die Erde. 
Dann bedantte ich mid. 

„Dunner no mol,“ hörte ich meinen Kutſcher aus- 
rufen, „Sei fünd aber fir up de Bein, Frölen. Na, 
dat is god, denn fo wat könnt Sei dor brufen.“ 

ZIch wollte mich zum Geben wenden, da fing er 
noch einmal an. | 

„Sei hewwt fit woll wunnert, Frölen, dat id Sei 
nix vertellt hew. Ick will Sei man feggen, dat kümmt 
von uf’ gnedge Fru. De bett mi giftern feggt: ‚Rrifchan,‘ 
ſeggt fe, ‚wenn du den annern Dag na de Bahn föhrit, 
bringjt mi mine nige Stüß mit. Un wenn fe en loſes 
Mul hett, un will di utfragen, denn böllft din’ Snut.“ 
Sp bett fe feggt, Frölen. Na, un nu will id Sei ot 
an goden Rat gewen, denn Sei duren mi, Sei warden 
dat dor nich licht hewwen. Reen Minſch höllt dat dor 
lange ut. De Olli, id meen, de gnedge Fru, is grantig 
un böllt den Ropp bannig hoch. Do'n Sei Ehr Ding, 
Frölen, aber fonjt hellen Sei dat Mul, denn geiht dat 
noch am beiten, Adjüs of,“ 

Nah Diefer langen Rede ließ Kriſchan feinen 
Grunzton hören, und die Pferde zogen an, Sc rief 
ihm für den guten Rat einen Dank nad). 

Sp, Lotte, da ftand ich mit meinem Roffer auf der 
Landſtraße. SH hatte mir ja nicht eingebildet, daß 


0 MAoovelle von W. Harb. 127 





man mid mit Ehrenpforten und Bölierfchüjfen emp- 
fangen würde, aber ein wenig mehr — oder bin ich 
zu anſpruchsvoll, Lotte? 

Ich überſchritt meinen Rubikon und ging durch 
wenig gepflegte Parkanlagen gerade auf die Einfahrt 
des alten Herrenhauſes zu, das in Hufeiſenform ge— 
baut war. In der Mitte des Ganzen ſtand ein alter- 
tümlidher Brunnen. 

Wie oft habe ih mir gewünſcht, in ſolch einem 
ländlihen Schloffe zu wohnen. Uralte Linden, efeu- 
umſponnene Mauern, ein Graben mit Zugbrüde und 
ein alter Turm, ich natürlich, meine liebe Lotte, als 
Schloßfräulein in diefer mittelalterlihen Burgherrlich- 
keit. Daß der Wunſch jo in Erfüllung gehen würde, 
ahnte ich nicht. 

Ein Laufmädchen gudte aus der Tür, und ich nannte 
meinen Namen, natürlihb mein Stüßenpjeudonym. 
„Herrje!“ fagte das Mädchen erjtaunt und mufterte 
mich neugierig. Dann half fie mir, führte mih auf 
die für mich bereitgehaltene Remenate und ließ auch 
meinen Koffer dorthin bringen. 

„Haben Sie lauter fo feine Rleider, Fräulein Hart- 
mann?“ fragte fie, während ich mich vor dem Heinen 
Spiegel in Ordnung bradte. 

„Wieſo? Nein, ih habe auch einfachere.“ 

„Na, dann tun Gie fih was Einfaches um, wenn 
Sie’s nicht gleich mit der Gnädigen verderben wollen. 
Und die großartigen Sachen jtoppen Sie weg, Daß 
fie feiner zu fehen kriegt. Pas gnädige Fräulein Ada 
pla&t ja fonft vor Neid.“ 

„Sewiß,“ antwortete ich, über den vertraulichen 
Son empört, „Das war auch meine Abfiht. Die 
eleganteren Roftüme habe ih nur für die Reife und zu 
etwaigen Gejellihaften.“ 


128 Ein tapferes Mädel, DO 





Ah, Lotte, die Reihe der Demütigungen jollte 
ihon angehen, Die Perſon machte mir’s fofort Har, 
welche Stellung mir zukam. 

Sie ftemmte die Arme in die Seiten und lachte 
frech: „Nee, fo grün!“ 

Dente Dir, das unterftand fih die Perjon. Ich 
traute meinen Obren nicht, die doch ganz normal ge- 
baut find. Ich fühlte, wie’s mir heiß aufitieg, und 
wollte etwas Heftiges erwidern. Hatte meine Dor- 
gängerin ſich derartiges gefallen laffen oder fogar fich 
mit den Dienftboten auf eine Stufe geftellt — ich wollte 
meine Stellung fofort kennzeichnen. 

Ich kam aber nicht dazu. 

„GSefellihaften?“ fuhr das Mädchen fort und ließ 
fi mir nichts dir nichts auf einen meiner drei Stühle 
fallen. „Daß ih nicht lahel Das könnte Shnen 
wohl pafien, ja, das glaube ih. Na, Fräulein, gehn 
Se man ’runter nad) der Gnädigen, die wohl ſchon 
auf Sie wartet, die wird Ihnen die Flötentöne ſchon 
beibringen.“ 

Ich hatte wirklich zuerſt keine Worte, Dann fagte 
ih jo kühl und vornehm wie möglid, indem ich ein 
paſſendes Hauskleid hervorſuchte: „Laſſen Sie die 
überflüffigen Bemerkungen. Wie heißen Sie übrigens? 
Beim Umziehen brauche ich Ihre Hilfe nicht. Wenn ich 
beruntertomme, melden Sie mich bei Frau v. Mönt,“ 

Mas glaubft Du? Die Perfon rührte fih nicht. 
Sie gudte mich nur höhnifch von der Seite an und 
brach wieder in ihr albernes Lachen aus. 

„Qu wird’s Tag! Sie glauben woll, id wäre 
Shre Rammerjungfer und zu Zhrem PBrivatdienit hier? 
Gott, was man nicht alles erlebt! Wenn ich das unten 
erzähle, das glaubt ja keiner!“ 

Ich würdigte fie keines Blides und Wortes mehr 


a Novelle von W. Harb. 129 


und ftreifte mein Kleid ab. Sie jah zu, wie ich mich 
fertig anzog, und fuhr fort, mich zu ärgern, Ach, 
Lotte, ich kriegte da einen Vorgeſchmack von dem, 
was mir bevorſtand. 

Ich wußte, mit der hatte ich’s verdorben, vielleicht 
aud mit dem ganzen übrigen PDienftperjonal. 

Fünf Minuten fpäter ftand ich vor Euphemia Frei— 
frau v. Mönk. Sie war nicht allein, fondern Ada und 
Renate rekelten fich neben ihr in Schaufelftühlen. Das 
Herz Eopfte mir bis in den Hals hinauf, und ich merfte, 
das Majorstöchterlein in mir fträubte fich mit Händen 
und Füßen gegen die niedrige Rolle, die es fpielen 
follte. Sechs neugierige Augen mujterten mid, Meine 
Snädige hatte das Lorgnon zu Hilfe genommen. 
Mir war’s, Lotte, als fei ich auf dem Sklavenmarkt 
ausgejtellt, und die Räufer prüften und betafteten mic), 
ob ich auch ftark genug fei zur Arbeit, 

Dielleiht war dies der jchlimmite Augenblick. Jetzt 
bin ih abgebrüht und unempfindlich geworden, Lotte, 
wie ein alter Ziehgaul, der geduldig feine Laſt weiter- 
Ichleppt. Aber damals verwünfchte ich meinen Ent- 
ſchluß, meine Arbeitskraft als Stüße zu verkaufen, 

Komteß Ada ſchlug ein Knie über das andere, 
beugte fih zu ihrer Schwefter und tufchelte ihr etwas 
zu. Beide lachten impertinent. 

„Sie find Fräulein Hartmann?“ 

„Jawohl, gnädige Frau.“ 

„Sie kennen die Bedingungen, unter welchen ich 
Sie in meine Dienſte nehme?“ 

„Das Nötigfte ift ja ſchriftlich abgemacht worden.“ 

„Allerdings. Sie können glei) in Ihren Pflichten- 
kreis eintreten. Oder find Gie etwa noch müde von 
der Reife?“ 

„Gott, Mama, wie rüdfichtsvoll I" ſagte Ada je Mönt. 

1910. XIII. 


130 Ein tapferes Mädel. D 


— 





„Haben Sie ſonſt noch einen Wunſch?“ fragte die 
Freifrau unbeirrt weiter. 

„Nein,“ erwiderte ich. 

„Gut, dann kommen Sie. Ich hoffe, daß Sie 
anſtellig und willig ſind. Meine vorige ließ in dem 
Punkte zu wünſchen übrig. Sie find doch ganz ge- 
fund?“ 

3h bejahte kurz. Der Sklavenmarkt in Timbuktu 
ſtand wieder vor meinem Auge. 

„Dann wird Zhnen die Arbeit nicht zu viel werden. 
Es gibt ja allerlei zu tun im großen Haushalt.“ 

Weiß Gott, Lotte, da jprad fie ein wahres Wort! 

„Ich verlange ein freundliches, manierliches Wefen, 
itritten Gehorfam gegen meine Anordnungen und keine 
Empfindlichkeit,“ fuhr fie fort, als wir draußen waren. 
„Und dann no eins: Liebichaften dulde ich nicht.“ 

„Frau Baronin!“ fuhr ih auf, wie von einem 
Hieb getroffen, 

„Sie fheinen doch empfindlih. Pas müſſen Sie 
ih unbedingt abgewöhnen. Meine vorige hatte ein 
Derbältnis mit dem Kutſcher. ZH warne Sie alfo.“ 

Lotte — ftell Dir’s bloß vor, Es war zum Heulen 
und doch wieder grotest komiſch. Sch fühlte, wie mir 
ein Zeil Humor zurüdtam. Schlimmer konnte es nun 
wohl nicht mehr fommen. 

„Es iſt Ihre Sache, ſich Zhre Stellung im Haufe 
zurechtzulegen,“ ward ich weiter belehrt. „Sch wünfche, 
- Daß Sie in gewiſſer Weife zur Familie gerechnet werden, 
wie ich in der Anzeige durchbliden ließ. Pas heißt, 
Sie nehmen an den gemeinfamen Mahlzeiten teil, 
mehr werden Sie felbft niht wünſchen. Es bat im- 
mer noch zu Unzuträglichkeiten geführt, wenn gemilje 
Standesunterjchiede verwifht wurden.“ 

Sh durfte nicht muden, Lotte. „Hollen Sei dat 


I" Novelle von W. Harb. 131 





Mul,“ hatte Kriſchan gejagt, Und mein guter Vater 
pflegte wohl zu ſcherzen: „Wer fih für einen Pfann- 
tuchen ausgibt, der wird auch dafür aufgegeſſen.“ Die 
Grenzen waren mir gezogen. Ich wußte, wie ich 
dran war, 

Dann kam das Geihäftlide. Intereſſiert Dich 
das auch, mein Liebling? Ich bin Mädchen für alles. 
Ich ftehe des Morgens mit den Hühnern auf und gehe 
als le&te ins Bett. Pie Gnädige padt mir auf, was 
ſonſt keiner tun kann, Ada und Renate fordern meine 
Dienfte ſtrupellos zu jeder Gelegenheit, das miß- 
ratene Rleeblatt in den Flegeljahren macht mir das 
Leben jauer, wo es kann, und wenn’s gerade paßt, bin 
ih auch als Rindermädchen und Wartefrau bei den 
Kleinen gut, 

Mein freier Nachmittag ift leider auch fchon wieder 
aus, denn es fängt an zu regnen, und die gnädige 
Frau meint, ich könne draußen doch keine Luft ſchnappen 
und mich lieber im Haufe nüßlih machen. So muß 
denn diejer Brief zu Ende fein, Liebite, Schreib etwas 


recht Sröhliches wieder Deiner Ilſe. 
%* 
* 
| Schloß Gröne, 8. Zuni. 
Nein, it es denn wirklich wahr, Lotte? — — Char- 


lotte! Sch wollte es zuerft nicht glauben und mußte 
es zwei-, dreimal durchlefen, bis ich es begriff. Dann 
aber flog’s mir wie Elektrizität in die müden Beine, 
und ich tanzte einen wilden Freudengalopp durch mein 
Simmerlein, in das ich mich zurüdgezogen hatte, um 
Deinen lieben Brief zu lejen. 

Lotte! Herzenstindt Einzige beite Freundin, wie 
freue ih mid) mit Dirt Pu bift aljo verlobt, Du bift 
Braut! Und Du willft troß der Tatſache, daß nun 


132 Ein tapferes Mädel, on 


ein anderer, fo ein jelbitfüchtiger, nichtsnußiger Mann 
getommen ift und mir, ohne mich zu fragen, meine 
liedfte Freundin entführt, immer und für alle Zeit 
meine getreue Lotte bleiben! Wie himmliſch ift das 
ollest Sch könnte Burzelbäume fchlagen und Freuden- 
hymnen anftimmen! 

Pfui, aber eine böfe, garjtige Lotte bift Du doch! 
Sich) zu verloben in meiner Abwejenheit und mid) mit 
der plößlichen Tatſache heimtückiſch zu überfallen! 
Ohne vorhergehenden verjchämten, zarten Hinweis, 
ohne fchonende Einleitung und Vorbereitung, ganz 
wie Bieten aus dem Buſch! Es fei Pir ſelbſt ganz 
überrafchend gelommen, ſagſt Du? Ad, Du kleine 
Heudlerin! Ein Hein wenig merkt das doch eine jede, 
wenn den Männern das Herz zu puppern anfängt. 
Herzenslotte, nun wirft Du eine Frau Oberlehrerin 
und bald vielleiht Frau Profeſſor! Meine Lotte 
eine würdige Frau Profefjor! Ach, Du närrifches Ding, 
ift Dir da nicht gräßlich feierlihd zumut? Haft Du 
nicht einen grenzenlofen Reſpekt vor Deinem Herrn 
Bräutigam? Sag ihm, er wäre ein ganz reizender 
Menſch, daß er fich gerade meine Lotte ausgefucht hätte. 
Nun braudft Du nicht mehr das Stödchen zu ſchwingen 
und Hefte zu korrigieren, das bejorgt alles Dein zu- 
tünftiger Mann für Dich mit. Säße ich doch jet bei 
Dir auf dem alten Sorgenfofa, das alle unfere Seufzer 
gehört und unjere Rlagelieder geduldig ertragen hat — 
wie wollten wir den Burſchen auf den Schwung 
bringen, daß feine Sprungfedern fnadten und ihm 
Das blaue Fell platte! Schadete nichts, die Frau 
Profeſſor kriegt ja einen neuen! 

Lotte, es gibt doch noch brave, gute und liebe Männer. 
Dein Hans — Gott, ich verliebe mich gewiß auch noch 
in ihn — bat’s geradeſo gemacht wie mein Bapa und 


D Novelle von W. Harb. 133 





hat ſich juft die ärmfte Rirchenmaus ausgefuht. Hu, 
was muß das für eine Liebe fein! Frißt er Dich nicht 
auf mit feiner Zärtlihleit? Gag ihm, einen Zeil 
müßte er für mich übrig laſſen. Du fchreibft, fein An- 
trag habe Dich völlig überrafcht, Du habeft nie daran 
gedacht, daß feine Wahl auf Dich fallen könnte, Aber 
er fei ein fehr edler und tüchtiger Menſch, und da habeft 
Du ohne Bedenken zugefagt. Du bijt köſtlich, Lotte, 
Wenn man eine arme Gänfjemagd iſt wie meine Lotte, 
mit einem ſo unfchuldigen, unberührten Zungfrauen- 
herzen, das keine Liebeszudungen kennt, und es fommt 
ein ſchöner, prächtiger Märchenprinz und jagt: Willſt 
Du meine Rönigin fein? — dann wäre die arme 
Gänfemagd eine von ihren Gänſen, wenn fie nicht ja 
fagte. Bei mir — ja, bei mir wäre das etwas anderes. 
Zu mir könnte euer ganzes Profeſſorenkollegium 
fommen famt dem ®Pireftor und könnte mich von 
meinem armjeligen Stüßendafein erlöfen wollen — 
ih fagte nein, Lotte, Ich trage aber auch) die Photo- 
graphie eines Mannes in meinem Herzen. In zwei 
Zahren, Lotte! Wie endlos lang ift doch die Zeit noch 
bis dahin! Glaubſt Du, daß ih dann einen Brief 
betommen werde? Ah, Lotte, ich glaub’s nicht. So 
ein zweiter goldiger Tag kommt wohl nicht wieder, 

Du Liebe! Daß Du mir, wenn in meinem Leben 
alle Stride reißen follten, eine Freijtatt und ein Rube- 
pläschen anbieteft unter Deinem zukünftigen Pro- 
feſſorendach, das ift zu nett von Dir! ga, Lotte, wenn 
ic) mal ganz verzweifelt bin und nicht mehr aus noch 
ein weiß, dann komme id. DBorläufig fämpfe ich aber 
lieber doch noch tapfer um mein Schidjal, Schaden 
kann's aber nicht, wenn Du Deinen Hans porjichtig 
und gründlich darauf vorbereitejt, was für einen un- 
ruhigen, quedjilbrigen Gaſt Du Pir eingeladen haft. 


134 | Ein tapferes Mädel, a) 





Ah, Lotte, ein bißchen Glüd, einen leiſen glißernden 
Schimmer von Glüd — wie dankbar ift Doch der Menſch 
dafür! Das habe ich heute erlebt. Denke Dir, ich habe 
noch einen zweiten Brief erhalten zugleich mit dem 
Deinen, der mid auch fröhlih gemacht hat. Der war 
von meiner Mutter, Traurig genug war er ja noch, 
aber ich hörte doch mit meinen durch die töchterliche 
Liebe geihärften Luchsphren einen leifen Unterton 
heraus, und es blieb mir nicht verborgen, daß in das 
Herz meines Mütterchens von irgendwoher ein [hüch- 
terner Hoffnungsjtrahl gefallen fein muß. Du wirft 
mir den Gefallen tun und zu ihr hingehen, Lotte. 
Bielleicht, wenn Du ſachte auf den Buſch klopfſt, er- 
fährſt Du es, was fie mir offenbar noch vorenthalten 
will. Gelt, jo viel Zeit läßt Dir Dein Hans doch? 

Sa, ich bin heute fo recht, recht fröhlich. Wie ein 
gefangener Piepmatz, dem zwei Stückchen Zucker 
zwifchen die Stäbe feines Bauers geftedt find, und 
der doch gerne hinausflöge in den grünen Wald, der 
von fern herübergrüßt. So nachhaltig und kräftig 
haben die ſchönen Nachrichten gewirkt, daß aller 
Hagel und alle Donnerfeile, die heute auf mein Haupt 
herniedergeprafjelt find, wirkungslos abprallten. Du 
glaubft gar nicht, wie did mir das Fell bereits geworden 
ift — nicht nur an den Händen! 

Es gibt Tage, Lotte, da geht einem alles verquer, 
an denen fih das Schidjal wider einen verfchworen 
hat, So einer ijt heute, und ich will froh fein, wenn 
ich fchließlich heil und zufrieden im Bett liege. 

Der junge Herr Ernefried — unter uns gejagt, 
ein unausftehliher Bengel von achtzehn Jahren — 
hat entichieden die Don Juans-Natur von feinem 
Alten geerbt. Über die Beitimmung des weiblichen 
Geſchlechts ſcheint er ganz fonderbare Anfichten zu 


Oo Novelle von W. Harb, 135 





haben. Wer weiß, wo er das gelernt hat, Zedes 
hübſche Geſicht beläftigt der unreife Frechmops mit 
feinen Liebenswürdigteiten, und mich hatte er fofort 
nad) feiner Ankunft — er erjchien vor aht Tagen — 
bejonders als Objekt feiner Eroberungspläne aus- 
geſucht. Die gnädige Frau ſollte ihre Ruticherpredigt, 
die fie mir gehalten bat, lieber für den Herrn Sohn 
zurüdbehalten haben. 

„Heute wurde er unverfhämt, als ich ihm unglüd- 
liherweije mit einem Zrühftüdsbrett im Rorridor be- 
gegnete, | 

Er legte einfah feinen Arm um meine Schultern 
und nannte mid einen reizenden Käfer. Er wollte 
mir wohl auf diefe Weile pordemonftrieren, daß er 
‚den teilweifen Zamilienanfchluß, der mir gnädigft zu- 
gebilligt ift, weitherziger auffaßt als feine Frau Mama. 

Natürlich habe ich ihn eklig ablaufen. lafien, Lotte. 
Am liebften hätte ih ihn nicht nur moraliſch, fondern 
tatfächlich geohrfeigt. ZH glaube aber nicht, dag ihn 
Das ſonderlich gerührt hat. Ich werde wohl noch mehr 
Sträuße mit dem jungen Herrn auszufehten haben. 
Eine Stüße, denkt der ficher, was hat die für Rechte! 
Die kann doch froh fein, daß fie überhaupt erijtiert. 
Stüßen find da für junge Gelbichnäbel, die nad 
Laune und Gefallen ihren Spaß damit haben dürfen. 
Sch weiß, mein Bruder Alfred, der ja nun auch bald 
in die Jahre kommt, da er die Mädels mit anderen 
Augen angudt, könnte das nie tun. Zedes Mädchen 
zu achten, das ift einer der erſten Rardinalpuntte vor- 
nehmer Erziehung — 0 hat’s ihm mein Dater hundert- 
mal eingepautt. — 

Das Unglüd fchreitet fchnell, Lotte. Das erfuhr 
ich eine Minute jpäter, als ich mit demfelben Frühftüds- 
brett — unglüdlicherweife befanden fich darauf Stüde 


156 Ein tapferes Mädel. 0 





eines mit abergläubifcher Ehrfurcht gehüteten Familien- 
porzellans — die Treppe hinauffiel. Ratſch! natürlich 
noch ein großes Loch im Kleid dazu. Es krachte durchs 
ganze Haus, als ob Polterabend wäre. Sofort waren 
Kurt, Bodo und Waldtraut wie durch Hererei zur 
Stelle, und anftatt zuzugreifen und mir auffammeln 
zu helfen, führten fie einen ſchadenfrohen Zndianer- 
tanz mit angemefjenem Geheul aus. Zn ihrer Gegen- 
wart bekam ich von meiner Gnädigen die böfeften 
Worte zu hören. Meine Entfchuldigung verhallte 
wirkungslos, 

Liebe Lotte! Ich babe das Benehmen eines 
Menſchen im Horn und in der Aufgebrachtheit immer 
als Gradmefjer feiner wahren Herzensbildung an- 
gejehen. Frau v. Mönt hat mich einen tiefen Blid 
tun laffen in ihren Charakter und bekommt von mir 
eine ſehr fhlehte Note, Sie keifte im Zargen der 
Waſch- und Marktweiber und fluchte, na — wie ein 
Ruticher. 

Wer adlig von Geburt ift, hat die Pflicht, auch adlig 
zu fein in feinem Wefen. Mein Papa träntte mir das - 
ſchon ein, als ih noch im Flügellleide in die Mädchen- 
Thule ging. Meine Gebieterin ſcheint Rüdfichtslofig- 
keit mit Vornehmheit zu verwechjeln, und Ada, mit 
Der ich feit einiger Zeit nun ſchon gar nicht mehr fertig 
werden kann, glaubt ohne Zweifel, je höher fie die 
Nafe trüge, deſto mehr ſehe man ihr die hohe Geburt an, 

Diefe Ada! Gewöhnlich bin ih ja für fie Luft, 
und nur, wenn fie der Schub irgendwo drüdt, er- 
innert fie fich herablajjend, daß ich überhaupt noch da 
bin, Lotte, ich kann mir nicht helfen, und es iſt vielleicht 
Ihleht von mir — aber auf diefen eingebildeten Frag 
bin ich regelrecht wütend und wünfche ihm eine recht 
nachhaltige und fchmerzhafte Demütigung. Womit 


— Novelle von W. Harb. 137 


kommt ſie mir heute an? Staune! Sie hat da einen 
Verehrer in der Nachbarſchaft, einen Baron v. Riehl- 
horſt — der Name hat fich mir eingeprägt, denn er 
wird hier oft im Haufe genannt, und Krifchan hat mir 
ja nicht geraten, die Ohren auzuftopfen, fondern nur 
„dat Mul to hollen“ — ich habe diefen Herrn Baron 
noch nicht zu Geficht gekriegt, er foll auch auf Reifen 
fein augenblidlih. Ich bin auch gar nicht begierig, 
feine Bekanntſchaft zu machen, denn wer eine Ada 
v. Mönk leiden kann, der muß felber fo ähnlich fein 
wie fie. Zedenfalls fcheinen fie bier alle im Haufe 
jehr zu wünfchen, daß Ada den Baron heiratet, denn 
er foll jehr reich fein, alfo eine gute Partie. 

Nun dent Dir — kommt heute Ada zu mir und 
fordert mich auf, ich folle ihr auf eine ſehr elegante 
Sigarrentafhe, die fie augenjcheinlib dem Herrn 
Baron zur Aufmunterung der Gefühle bei irgend 
einer Gelegenheit verehren will, die Znitialen feines 
Namens ftiden. Ich könne das doc beffer als fie, und 
fie habe überhaupt keine Luft. 

„Das iſt aber doch unrecht,“ wagte ich einzuwenden, 
„Der Herr Baron muß doch glauben —“ 

Da kam ich ſchön an. Was recht oder unredht fei, 
Darüber habe ic) nicht zu befinden, fauchte fie mich) an. 
Ich habe mich aller nafeweifen Bemerkungen zu ent- 
halten und zu tun, was mir befohlen werde, 

Ich hätte ihr gern das Ding vor die Füße geworfen, 
aber ich dachte an meine Eltern, Lotte, und da habe 
ich ftillgefchwiegen nad) Kriſchans Rezept. 

Die ein grollendes Gewitter zog fie ab, und Deine 
Zlje wird aljo ein Monogramm für einen ihr gänzlich 
unbelannten Herrn auf die Zigarrentaſche ſticken. 

Meine Leiden waren aber noch nicht alle. Rlein- 
Eberhard, dem ich kurz darauf die Milchflafhe prä- 


138 Ein tapferes Mädel. 8) 
jentieren mußte, verfchludte fich derart, daß die Gnädige 
beinahe Nerventrämpfe kriegte und zum Arzt fchiden 
wollte. Waldtraut hatte irgend was Unreifes ge- 
gefjen und ſah aus wie der Kalt an der Wand — ad), 
noch vieles andere, Lotte, und für alles wurde ich ver- 
antwortlid gemacht. Ich dankte meinem Schöpfer, 
Daß dieſer Tag nun glüdlih zu Ende ift. Zetzt iſt es 
jpät am Abend und Ruhe im Schloß. Sp müde ich 
bin, diefen Brief mußteft Du doch haben als Antwort 
auf Deine himmliſche Anzeige. 

Merde recht glüdlih mit Deinem Hans, meine 
Lotte! Du verdient es. Hoffentlich fieht er das ein, 
Daß er das brapite, Hügjte und liebjte Mädchen in ganz 
Mitteleuropa errungen bat. ZFieh ihn Dir nur gleich 
richtig ſchon vor der Hochzeit — jet iſt die befte Zeit 
Dazu. Us Ehemänner werden die Herren der Schöp- 
fung oft bodbeinig. Einen innigen Ruß von 

Deiner Slie. 





* %« 


* 
Schloß Gröne, 17. Zuni. 
Meine Lotte, ich hatte mich ſchon Hoffnungen hin- 
gegeben, daß Papas traurige Sahe doch noch eine 
beffere Wendung nehmen könne — jebt ſehe ich, daß 
ih mal wieder zu rofenrot gefeben habe. Mutters 
Brief war wieder jo ſchlimm, und auch Pu fchriebft 
ja, man merte bei uns zu Haufe keine Veränderung, 
jo daß ich mein Hoffen zu Grabe tragen muß. Lotte, 
ih fürchte, ich bin bald am Ende meiner Rräfte. Ich 
balt’s nicht mehr aus — nicht mal bis zum 1. Au- 
guſt. Sch fange an, die Flügel hängen zu lajjen — 
kann auch fein, daß ich krank werde, Mir ift auch das 
einerlei. Als ich kürzlich in meinem Bett lag und nicht 
Ichlafen konnte, weil ih Herzweh und Heimweh hatte 
und immer weinen mußte, rief ich plößlich ganz laut, 


| Novelle von W. Harb. 139 





ſo daß ich ſelbſt darüber erſchrak: „Zch wollte, ich wäre 
tot!“ Iſt das nicht fchredlich? 

Mir tut es fo leid, Herzenslotte, daß ich mit meinem 
Leid Dir zwifhen Dein junges Glüd fahre und es 
vielleicht trübe, ZH möchte Dir ja fo gern einen recht 
fröhlichen Brief ſchreiben — jup heidi, jup heida — 
aber es gebt mit dem beiten Willen nicht, Mein Humor 
liegt in den legten Zügen. Du nennſt mich ein tapferes 
Mädel und bewunderft mich, daß ich bei allem, was 
mich und unfere Familie betroffen hat, noch immer 
den Ropf oben habe. Wenn Du mich fehen könnteft, 
würdeft Du wahrfcheinlich anders denken. 

Zu Papas Geburtstag fohrieb ich geftern. ODieſer 
Brief hat mir fürdterlides Ropfzerbrehen gemacht 
und viel Selbſtbeherrſchung gefordert, Die wider- 
Ipenitige Feder wollte fich nicht zu dem geringften 
Späßchen verſtehen, und Papas Geburtstagsbrief 
darf doch nicht ausfehen wie das Jammergeſchrei eines 
notleidenden Agrariers, wenn die Roggenpreife ge- 
unten find, So geht’s, wenn man einen Hopjer 
tanzen foll und die Hühneraugen fneifen in dem 
engen Tanzſchuh. Ab Tanzen! Wie gern tät’ ich das 
wieder einmal! Deine Zlie. 

* %* 
% 
Schloß Gröne, 28, Zuni. 

Liebfte Lottel Erfchrid niht — ich habe fünf Tage 
im Bett gelegen, Mertwürdig, wie gut die mir getan 
haben! Cs ift doch ein wahres Wort: Arbeit macht 
Das Leben füß, Faulheit ftärkt die Glieder, Zuerſt, 
als ich fo dalag, meinte ich, die Einſamkeit würde mich 
noch verrüdter machen, weil alle ſchlimmen Gedanten 
ungehindert in meinem Hirn auf und ab fpazieren 
fonnten; aber nachher gab fih das. Da hielt ich mir 
nämlich felber eine kleine Predigt. 


140 Ein tapferes Mädel. | Q 





Sei vernünftig, Zlfe, und nimm’s, wie’s ijt, Per 
liebe Gott hat dir jet was zu tragen gegeben, einen 
ichweren Sad voll Sorgen — er wird wohl wiffen, 
wann’s genug iſt oder wann er dir’s leichter machen 
kann. Natürlid möchteſt du gern lauter gute Tage 
fehen, und wenn’s nur anginge, ftellteft du den Sorgen- 
lad in die Ede und ſprängeſt leichtfinnig jubelnd davon, 
Du haft es ja Schlecht getroffen, Sie, bijt in ein Haus 
geraten, wo ’ne Stüße nicht viel mehr ift wie ein 
Stiefelpuger oder ’ne moderne weiße Sklavin, Dies 
Haus — zum Ruhme des deutjchen Adels nehmen wir 
an, daß es doch nicht viele Häufer mit ſolchen Anfichten 
gibt — hat dir der liebe Gott ertra ausgejucht, liebe 
Zlſe. Da follit du eine Schule durchmachen. Glaub 
nur ja nicht, daß du zu gut dafür bift, oder daß du 
eine ſo tiefe Erniedrigung nicht verdient haft, Nicht 
aufgemudt, Ilſe — es ift fo. Denkt mal an die Seit, 
wo deine Eltern noch in glänzenden Verhältniſſen 
waren! Da bift du vergnügungsfühtig und leichtfertig 
gewefen — jebt lernit du, was Pflichten find, damals 
Ihien dir das Leben ein einziger langer Walzer, jetzt 
zeigt es Dir feine grimmig ernite Seite, Heilfam, 
Brinzeß Ilſe, ſehr heilfam! 

Siehſt Du, Lotte, fo redete irgend etwas in mir, 
und mein alter Adam, beffer gejagt, meine alte Eva 
mußte aubören, ob fie wollte oder nicht. 

Aber das gewilje Etwas konnte auch ſchön tröften, 
und dann hörte ich noch viel lieber zu. Sieb, lie, 
wurde mit Hargemadt, alle Dinge in der Welt haben 
ein Ende — nur die Wurft hat zwei. Deine Sklaverei 
wird auch einmal ein Ende haben. Dielleicht ehe du’s 
dentit. Wenn der Himmel es befchließt, fommt der 
Retter, küßt die verzauberte Kröte dreimal auf den 
Mund, und fie wird wieder, was fie vorher gewefen ift, 


0 Novelle von W. Harb. 141 


Du mußt nur alles hübfch dem lieben Gott überlafjen. 
Denn es für dich gut ift, dann bekommſt du fogar das 
Zuderwert, das du fo gern haben mödhteft, dann kehrt 
noch einmal der goldene Tag wieder, Hübſch geduldig, 
Ilschen — es hat alles feine Zeit. Weißt du noch: Zit 
die Not am größten, ift Gottes Hilfe am nächſten. 
Auch deine lieben Eltern kann er erretten aus aller 
Srübfal, Er ift der rechte Wundermann, der bald er- 
höhn, bald ftürzen kann, 

Glaubſt Du wohl, Lotte, daß mich meine felbit- 
gehaltene Rrantenpredigt wunderbar gejtärtt hat? Bald 
£onnte ich wieder aufitehen und zu Stau v. Mönts 
Genugtuung wieder an die Arbeit geben. Ich bin 
behender und frischer als je zuvor und ſpringe durchs 
Haus wie eine vom Corps de ballet. Dent Dir, Lotte, 
türzlih babe ich mich ſogar Dabei ertappt, daß ich 
leije ein Liedchen vor mir hin trällerte. Was ift der 
Menſch für ein kuriofes Geſchöpf! Und Zlſe Hartmann 
insbefondere! Den einen Tag will fie jterben, und 
den anderen ift fie puppenluftig. Ach, Lotte, das lebte 
Wort paßt doch nicht fo ganz — na, Du veritehft mich. 

Die Beichreibung von Deinem Hans hat mich fehr 
ergößt, Er ift alfo, wie ih mir gedacht habe, fo ein 
zahmes gelehrtes Tierchen, das von Büchern lebt und 
die wirkliche Welt mit zwei blöden Rinderaugen an- 
liebt. Wenn Du’s gefhidt anfängt, Lotte, haft Du 
ihn am Bändel, Du mußt Dich nur hüten, ihm in 
gelehrten Dingen zu widerfprechen, denn dann wird 
Dieje Sorte wild, Wenn Zhr beide Arm in Arm photo- 
graphiert feid, krieg’ ih doch ein Bild? 

Geitern hatte ich ’ne Heine Affäre mit dem alten 
Baron, Der flügellahme Schwerenöter faß „grantig“, 
wie Rrijchan ſich ausdrüdt, in feinem einſitzigen Wägel- 
hen und war fuchtig, weil der Diener, den er weg- 





142 Ein tapferes Mäbel. [e) 





gefhidt hatte zu einer Beſorgung, nicht wiederkam. 
Da er nit allein aufitehen und herumgeben kann, 
bot ich meine Dienſte an, 

Er ſchmunzelte, rappelte ſich mit meiner Hilfe in 
die Höhe, und.wir promenierten zwifchen den Bäumen 
auf und ab. Es muß ein fonderbares Bild gewefen 
fein. Er hatte feinen Arm um meine Schulter gelegt 
und ftüßte ſich fo feſt mit feiner jchweren Laſt auf 
mich, daß meine Relonvalejzententräfte zu verfagen 
drohten. Aber ich hielt tapfer aus. 

Natürlich konnte er feine Wischen nicht unterwegs 
lafien. Er fagte mir allerlei Schönes, das er mir in 
Gegenwart der Gnädigen wohl nicht gejagt hätte, 
aber benahm fich fonft manierlih. Du mußt wiſſen, 
2otte, feine Redensarten find fonjt oft fo, daß felbit 
ein junges Mädchen, das ſo wenig prüde iſt wie ich, 
doch in Derlegenbeit tommt. Schließlich war ich frob, 
als der Diener zurückkam. 

Am erften Tag meiner Rrantheit war ich jo bös 
dran, daB fie doch den Doktor geholt haben. Ein lieber 
alter Herr, der mir eigentlihb nur Ruhe verordnete, 
Es feien die Nerven, 

„Nerven?“ hörte ih Frau v. Mönk draußen reden. 
„Eine Stüße mit Nerven kann ich nicht gebrauchen.“ 
Mas fie font noch fagte, konnte ich nicht verjtehen, 
Sch hoffe, der alte Herr hat ihr den Text gelefen — 
beinahe glaub’ ich’s, denn mich dünkt, ich hab’s feit- 
dem etwas leichter, Nerven! Es iſt doch zu unver- 
ſchämt, Lotte, daß eine Stüße Nerven haben will, 

Die Gnädige bat auch fonjt einmal in meiner 
Krankheit nah mir geſehen. Zm übrigen war id auf 
die Pflege Bertas, des Laufmädchens, angewiejen, 
Du erinnerjt Dich noch, daß wir beide von Anfang an 
nicht gut Freund waren, und fo freute ich mich denn 


Oo Novelle von W. Harb. 143 





immer, wenn fie wieder hinaus war, Ich habe fie in 
dem begründeten Verdacht, daß fie die Nachfolgerin 
meiner DBorgängerin in der Kutſcherliebſchaft ge- 
worden ift, 

Gemwundert und gefreut zugleih habe ich mich, daß 
Waldtraut mich öfter beſuchte. Das Mädel hat doch 
einen guten Rern, aus dem was werden könnte, wenn 
fie in die richtigen Hände käme. Gie brachte mir 
Blumen mit und war zuerjt jehr verlegen. Ada und 
Renate ließen nichts von fich hören. 

Als ich mich unten wieder fehen ließ, fragte mich Ada, 
ob das Monogramm nod nicht fertig ſei. Es fcheint fo, 
als ob der reiche Freier, auf den fie Jagd madt, von 
feinen Reifen zurüd if. Sch hörte, daß man ihm 
auf feinem Gute einen Familienbeſuch abjtatten will. 

Ich bedauerte, daß die Arbeit noch nicht weiter 
vorgeſchritten fei. 

Sie war gereizt und unzufrieden, „Sie hätten 
Doch im Bette wahrhaftig Zeit genug gehabt,“ meinte 
lie dann. 

Morgen wollen fie fahren — Ada, Renate, Erne- 
fried und die Mutter, Es foll eine lange Fahrt fein, 
die einen ganzen Tag in Anſpruch nimmt. Gott fei 
Dant, der Tag wird eine Oaſe in der Wüfte meines 
Dafeins fein. Aber die SZigarrentafhe bekomme ich 
bis dahin nicht fertig. 

Sei unbeforgt, mein Herz, um Deine lie. Pie 
feigt fih Schon duch allen Rummer hindurch. Sie 
hat auch wieder einen gejegneten Appetit und bekommt 
wieder rote Baden. 

%”* & * 
Schloß Gröne, 5, Zuli. 

Meine liebe, berzige Lottel Es gebt doch nichts 
in der Welt über eine treue Freundin! Ich brauche 


144 Ein tapferes Mädel. oO 





nur einen Wunfh auszufprehen — ſchwabb! iſt er 
ſchon erfüllt, gerade wie im belannten Grimmſchen 
Märchen. 

Ich bat Dich, mit Deinem Hans bei meinen Eltern 
Beſuch zu machen, damit die Ärmiten, zu denen faft 
kaum ein Menſch kommt, einmal eine Freude hätten, 
Welch herrliche Saat iſt daraus entiproffen! Dein 
Hans und mein Dater haben Gefallen aneinander 
gefunden, und der le&tere ift Durch die Begegnung fo 
aufgekratzt und günftig beeinflußt, daß er mir wie 
verwandelt erjcheint. Sn feinem lebten Schreiben 
pricht er in den Ausdrüden der größten Hochachtung 
von Deinem Profejjor. Bein Hans muß ein famofer 
Kerl fein, Lotte. Dorurteilslos, gerade, bieder und 
offen — fein Schablonenmenfch, der dem Urteil der 
anderen blind nachfolgt. Da gratuliere ich, Kleine 
Braut, 

Mo war ich Doch in meiner Schilderung der denf- 
würdigen Begebenheiten auf Schloß Gröne gleich 
ftehen geblieben? Richtig, bei Komteß Adas Zagd- 
und Raperzug, fih einen Mann zu ergattern, Ich 
bin doch ein molantes Ding, Lotte, habe ein „loſes 
Mul“, wie Kriſchan fagt. Mich dünkt oft, ich fehreibe 
die reine Standaldronit, Nichts als boshafte Rand- 
gloffen — na, ſchadet nichts, es lieft’s ja keiner außer 
Dir und allerhöchſtens Dein Hans, dem ich gnädigit 
den Einblid in die zahmen Stellen geſtatte. Meine 
Natur muß fih irgendwie Luft mahen — man quält 
mich auch genug. 

Ada ſcheint es nicht nah Wunfch gegangen zu fein. 
Sie fam in fürchterlider Laune zurüd und ift ſeitdem 
wie ein überhigter Dampfteffel, der jeden Augenblid 
zu explodieren droht, Einfach unausitehlid, bejonders 
gegen mich unjhuldiges Lamm. Aber nicht wegen 


a Novelle von W. Harb, 145 
der noch immer nicht fertigen Brieftafche, von der ift 
fogar vorläufig nicht mehr die Rede. Die Verlobung 
muß alſo wohl noch gute Wege haben. Ich gebe ihr 
aus dem Wege, wo ich kann. Hu, die als Frau zu 
haben! ; 

Ein töftliher Tag war’s, als Die vier fortgefabren 
waren. Da auch das unnütze Rleeblatt die Erlaubnis 
erhalten hatte, einen Ausflug zur Oberförfterei zu 
maden, herrſchte auf Schloß Gröne idpllifcher Friede. 
Am Nachmittag hatte ich ftundenlang Freiheit, im 
naben Walde herumzuftreifen, und fand dort ein ent- 
züdendes Plätzchen, wo ich Öfter fien mödte. Da 
habe ich wundervoll geträumt, Lotte, und alle meine 
Lieben aus der Ferne waren bei mir. Auch ein ge- 
wiffer Zemand tauchte wieder recht lebhaft auf. 

Du meinjt, feine Geftalt müffe mir notwendig 
immer mebr verblaffen. Keinen Schimmer, kleine 
Weisheit! Aber es wird mir immer unbegreiflicher, 
daß ich es bin, die einmal fo etwas unbefchreiblich 
Schönes erlebt hat. 

Grüß Deinen Hans, Liebe, Du baft es gut! 

Deine Zlie. 


* * 
* 


Schloß Gröne, 16. Zuli, 

Lotte! Sch weiß gar nicht, wo ich anfangen foll, 
zu erzählen. Das Glüd ift da, Lotte! Plötzlich ift es 
getommen, rieſengroß — unfaßbar, blendend in feiner 
Fülle — aber es ift da, gewiß und wahrhaftig! 

Bald bin ich närrifch vor Freude und fann die 
Feder faum in den zitternden Händen halten, bald iſt 
in mir eine heilige, ftille, ftaunende Dankbarkeit. Die 
Zeit der Brüfung ift vorbei — für mid), für meine 
Eltern. Ach, Lotte, fait ift es zu viel des Glüds auf 

1910. XIII. 10 


146 Ein tapferes Mätel. Oo 





einmal. Nur kurze Zeit — und wir werden uns wieder- 
eben! 

Aun ift fie natürlich völlig J die Siie, 
denkſt Du. Die kriegt überhaupt keine vernünftige 
Zeile mehr zuftande. Sacdte, Lotte, ich bin gerade in 
der Stimmung, eine mufterhafte Parftellung des 
Wunders zu geben, das fich bier ereignet hat. Nicht 
nur Profeſſorenbräute fchreiben einen vorbildliden Stil 
— ib hatte im deutſchen Aufſatz auch oft genug 
Nummer eins! 

Gibt es noch Zeihen und Wunder? Ja, Lotte, 
es gibt noch welche. „Er ift der große Wundermann, 
der bald erhöhn, bald jtürzen kann!“ Das Lied will 
mir nimmer aus dem Sinn. Ilſe Hartmann, die arm- 
jelige Stüße, das Ajchenputtel, ift begraben und ftebt 
nie wieder auf. Und Ilſe v. Arnſtein-Leßlingen 
darf wieder getroft und frei ihr Haupt erheben. Du 
glaubſt gar nicht, Lotte, was für ein Gefühl das ift, 
wenn man feinen ebrlihen Namen, den die Leute 
mit Schmuß beworfen hatten, den man aus Furcht 
vor Schmach und Schande ängjtlih verbarg, wieder 
hervorholen darf, blank gepußt und rein, ohne Fleden 
und Matel. 

Wunderbar befreiend ift das, Lotte! 

Und zweitens — ja, denke Dir, es fommt nod 
mehr: Der Brinz ift da, der Erlöfer und Erretter und 
hat die verzauberte Rröte nicht dreimal, fondern wohl 
ſchon hundertmal mitten auf den Mund geküßt — und 
da hat fie fich in feinen Armen verwandelt in eine glüd- 
jelige Braut, Wir brauchen niht mehr nah Mainz, 
mein Herz, er — mein unbelannter Belannter vom 
Rheindampfer 9“ mic) hier gefunden, hier in Schloß 
Gröne! 

Du glaubft es nicht? 


a Novelle von W. Harb. 147 


Wenn Dein Brofeffor mit feinen kritiſchen Augen 
diefen Brief lejen follte, wird er gewiß den Ropf 
Schütteln und meine Einleitung mißbilligen. Man 
muß die Leſer nicht auf die Folter jpannen, wird er 
lagen, ſondern logifch und der Reihe nach die hijtorifchen 
Tatſachen berichten. 

Geftern nachmittag, es mochte gegen vier Uhr fein, 
befand ich mich vor dem Schloffe beim alten Brunnen 
und fuhr Nlein-Eberhard in der warmen Sonne 
Ipazieren. Da donnerten ein Paar mutige Pferde 
über das Pflafter, und ein eleganter Zweifpänner fuhr 
in gefhiedtem Bogen vor dem Portal vor. Ich ahnte 
fo halb, wer darin figen mußte, denn Baron Herbert 
v. Riehlhorit, Adas Hoffnung, hatte feinen Beſuch an- 
gemeldet. Neugierig, wie der wohl ausſah, der es mit 
Ada vielleicht doch noch wagte, mufterte ich die hohe 
Geſtalt — und fuhr mit der Hand zugleich nad) dem 
Herzen, deifen Schlag fait ftoden wollte. Und der alte 
Brunnen mit feinen wunderlihen Figuren fing an 
lich zu drehen, und das Schloß ſelbſt mitfamt dem Part 
und den alten Bäumen darin führten einen Tanz um 
mih auf, und ich Hammerte mich mit aller Gewalt 
an Nlein-Eberhbards Wagen, um nicht umzuſinken. 
Baron Herbert v. Riehlhorft und mein Held — fie 
waren ein und dieſelbe Perſon! 

Auch er hatte mich fofort wiederertannt und ſtand 
bei mir, ebe ib mich noch hatte fallen können, Was 
er fagte, verftand ich nicht, ihm in die Augen zu feben, 
wagte ich nicht. Zn meinen Ohren braufte und raufchte 
es — und in meinem Herzen war nichts als der dumpfe 
Schreck: Nun ift alles vorbei. Nun erfährt er, wer du 
bift, nun fieht er dich in deiner ganzen Niedrigkeit. 

Und da, Lotte, tat ich etwas, das ihn fehr in Er- 
taunen feßgen mußte. Pie Hände vor das Geficht 


148 Ein tapferes Mädel, - nn 


Ichlagend, rannte ich ins Haus, ratlos, was nun werden 
ſollte. Nur fort von ihm! Ich ließ ihn bei Rlein-Eber- 
hard fteben, lief an. den verwunderten Pienern, die 
jeßt berbeieilten, vorüber, die Treppen binauf, auf 
mein Zimmer und riegelte mich ein. Die zu tlopften 
mir, die Hände zitterten, 

Nur zwei Gedanken führten in mir einen wilden 
Tanz auf. „Er!“ hieß der eine — „Verloren!“ hieß 
Der andere, 

Meine Augen fielen auf einen Brief, der auf dem 
Tiſche lag. Mechaniſch griff ich danach. Es war meines 
Daters Handſchrift. Mechanifh riffen meine Finger 
die Hülle auseinander, und meine Blide flogen über 
die Buchitaben, ohne ihren Sinn zu verfteben. 

Dann wurde ‘ih aufmerffamer, und auf einmal 
kam wieder Leben und Begreifen in mid. Ich las 

den Brief, der die Himmelsbotfchaft enthielt, zu Ende 
— mit tiefer Rührung, mit unbefchreiblicher Ergriffen- 
heit, und dann ſank ich vor dem Stuhl auf meine Rniee 
und babe geftammelt und geweint, gejubelt und ge- 
dankt und laut aufgeichrieen in meiner Wonne — alles 
Durcheinander. 

Was in dem Briefe ftand — Lotte, Du haft es viel- 
leiht ſchon felbit erfahren. Meines guten DBaters 
Schuldloſigkeit ift glänzend an den Tag gekommen. 
Nichts ift ihm vorzuwerfen als vielleicht eine zu große 
Sutmütigteit, eine zu weitgehende DVertrauensjelig- 
keit. Sa, jo ift Vater immer gewefen, er bielt die 
Menfchen für zu gut. 

Mein Zimmer war mir jebt zu eng, Lotte, Ich 
hätte meine Seligkeit hinausſchreien mögen in alle 
Welt. Wie ich in den Park gekommen bin — ich weiß 
es nicht. Wie lange ich dort zwiſchen den Bäumen 
und blühenden Sträuchern herumgelaufen bin, kann 


Is Novelle von W. Harb, 149 





ich nicht fagen. Ich weiß nur, daß mid auf einmal 
jemand in den Armen bielt. Glaubſt Du wohl, Lotte, 
Daß ich ohne Scham und Scheu, ſo wenig mädchen- 
haft verfhämt wie nur möglich, in diefen umjchlingen- 
den Armen liegen blieb und es ruhig duldete, wie mich 
der große Mann liebkofte und mit taufend Schmeicyel- 
namen nannte? | 

„ale,“ flüſterte er, „Ilſe, ich laffe Dich nicht wieder, 
wer du auch feilt!“ 

Na, Lotte, wir find auch wieder vernünftig ge- 
worden. "Uber es bat ein wenig lange gedauert. Als 
wir in der rofenumblühten Laube uns alles von der 
Seele heruntergeredet hatten, und mein Herbert — 
wie das klingt, Lotte! — meine ganze Geſchichte kannte, 
gingen wir zufammen ins Schloß zurüd. 

Frau Euphemia v. Mönk empfing uns eilig. Pie 
nötigen Auftlärungen wurden ihr jchnell, und ich 
feierte einen unerhörten Triumph. Mein Glüd war aber 
zu groß, als daß ich mich daran hätte weiden oder falfche 
Freude empfinden können. Ich weiß auch nicht mehr, 
was geredet wurde. Zedenfalls war es jehr formell 
und nicht gerade freundlih. Ada blieb unfichtbar. 

Zum Schluß fagte Frau v. Mönk: „Sie haben mit 
uns Komödie gefpielt, Fräulein v. Arnſtein. Sie 
Dürfen fich nicht beilagen, wenn Sie danach behandelt 
wurden, wofür Sie fih ausgaben.“ — 

Ich kann nicht mehr, Lotte, ih muß paden. Wenn 
Du diefen Brief betommit, bin ich längft auf Riehlhorſt. 
Mein Herbert will mich zu feiner Mutter bringen. 

Für mein Glüd habe ich keine Worte, In mir ift 
felige, heilige Weihnachtsſtimmung. Ganz ernit it 
mir zumute — alle Roboldlein find verſchwunden. 
Aber die werden ſchon wiedertommen. 

Deine Ilſe. 


15) Ein tapferes Mädel, Oo 





Riehlhorſt, 18. Zuli. 

Morgen haben wir uns wieder, Lotte. Herbert 
begleitet mich auf der Heimfahrt. Alles, was ich bier 
erlebe, ift jo märchenhaft ſchön, daß ich oft fürchte, 
ih erwache aus einem berrliden Traum wieder zur 
häßlichen Wirklichkeit. 

Weißt Du, mit wen mein Abfhied von Gröne am 
herzlichiten war? 

Mit dem alten Rrifchan. 

Der fragte fich hinter den Ohren und fagte, als ob 
er's nicht begreifen könnte: „Ne, ne, wat de Minfch 
nich alles belewt. Up minen Swinswagen bett ’ne 
richtige Baronin feten, Hett id dat wüßt, dat Sei 
wat anners wören as ne gewöhnliche Stüß, id hätt’ 
Sei doch ’n Küſſen unnerlegt.“ 

Der Mann hat recht, Lotte. Wenn ich erit Herrin 
bin auf Schloß Riehlhorit und habe jpäter einmal eine 
Stütze nötig, die foll’s beffer haben als ich. Der werde 
ich ein Riffen unterlegen. Deine Ilſe. 








Moderne Brunnenanlagen. 
Don P. Richter, 


— 
Mit 7 Bildern. (Nachdruck verboten.) 


De Beſucher älterer Städte wird nicht zuletzt 
ſeine Freude an den ſchönen Straßen- und 
Marktbrunnen haben, deren jede mittelalterliche Stadt 
meift mehrere aufzumweifen bat, | 

Mährend das fechzehnte, fiebzehnte und achtzehnte 
Sahrhundert Werke entitehen ließen, die auf Meifter im 
wahrften Sinne des Wortes fchließen lajjen, ſo muß 
es auffallen, daß derartige Denkmäler aus der größeren 
Hälfte des vergangenen Zahrhunderts faft ganz feblen. 
Man ging Damals fo weit, daß man dieje ardhitelto- 
niſchen Brunnen als überlebt anfab, fie ſchienen zu 
viel Blat in Anſpruch zu nehmen und wurden durch 
die derzeit eingerichteten Wafferleitungen als über- 
flüffig betrachtet. Sa, man glaubte fie durch guß- 
eiferne Kaſten erjegen zu fünnen, die ebenfo unſchön 
wie unpraftijch waren und find. 

Welch eine Wendung zum Beſſeren ift in den 
legten Dezennien in Ddiefer Hinficht zu verzeichnen, 
mit welch gutem Beifpiel geben bier gerade die 
deutichen Reſidenzſtädte voran! 

Diefes Wiederbeleben bejchräntt ſich nicht nur auf 
die Straßenbrunnen, fondern man dachte auch an den 
Brunnen im Hofe oder in der Zorhalle des mittel- 
alterlihen Patrizierhauſes. a, es darf wohl gefagt 
werden, daß der fünftleriihe Wandbrunnen in den 





DO Bon B. Richter. | 158 





legten Jahren eine Verbreitung gefunden bat, wie er 
fie noch nie erlebt hat. 
Rein Innenarditekt wird in der Diele oder in der 





Fig. 2. 


Gartenveranda, oft auch im Speijezimmer den Wand- 
brunnen übergeben. 
Es gibt wenige Gegenftände, die eine reichere Aus- 


Moderne Brunnenanlagen. D 


154 


wahl des Materials gejtatten, Anerkannt ift aber, 
daß der glajierte Ton wegen feiner Bewegungsfreibeit 
in Farbe und Form das bevorzugte Material für den 








Fig. 3. 
In feinem anderen lafjen fich 


Wirkungen wie unfere hier wiedergegebenen Brunnen- 
anlagen erreichen oder gar übertreffen, und wer zum 


Wandbrunnen iſt. 


J— Von P. Richter. 155 








Beiſpiel die Reichshauptſtadt beſucht, kann ſich in dem 
Warinehauſe von der Wirkung eines ſolchen Brunnens 


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überzeugen und das melodiſche Plätjchern des Waſſer— 
itrabls auf feine Sinne einwirken lajjen; er wird davon 


begeijtert fein, 


156 Moderne Brunnenanlagen. s) 





Unjere Abbildungen geben wohl jämtlich einen be- 
jheidenen Beweis von den gefhmadvollen Neuerungen 
auf diefem Gebiete, und es muß bier namentlich die 


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Fig. 5. 


Heidelberger Ofenfabrif 3. Heinftein erwähnt werden, 
welche ernite Bejtrebungen nach dieſer Nichtung bin 
unternommen bat. Welch günjtige Aufnahme und 
Beurteilung ihre Schöpfungen finden, läßt die Kritik 


158 Moderne Brunnenanlagen. 0 





pflanzen erhalten ihren legten höchſten Reiz durch das 
Raufchen der ftimmungspollen Brunnenanlage. 
Betrachtet man unfere beiden Abbildungen der 





Freilandbrunnen (Fig. 2 und 3), ſo wird man die 
Leiſtungsfähigkeit der Herjteller beurteilen können. 

Obwohl von [chlichtejter Art, empfindet man doch 
auch bei diefen Brunnen fo wohltuend die Überein- 
ſtimmung der Architeftur mit der Umgebung, und 
mancher wird empfinden, was ihm in feinem Garten 
und in feinem Haufe feblt. 


XEXEX 





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PDatenjchaft. 


Humoreske von C. Camill, 


oo 
Nachdruck verboten.) 


bonmüllerin, geb — auf a Wörtl!“ 
x , Kummſcht vom Dienft, Huberin?“ 

„Voll, woll! Die Zohannfer-Mirzl in Hechendorf 
drauß bat ’s Erſchte g’habt, und jett foll i d’ Göd ein- 
laden gehn.“ 

„And da kummſcht ebber gar zu mir?“ 

„3 tät’ ſcho bitt'n. Die Johannſerin wollt’ am 
Mittwoch taufen lafien.“ 

„35 a Madl — a jchön’s Rindl?“ 

„An Engerl ſag' i dir. Und weil du’s der Mirzl 
antrag’n haft —“ 

„Da gibt’s gar koa Ned’n nimmer. 3 nimm dös 
Göd gern. 3 han ja allaweil fcho paßt, ob denn gar 
neamd af mi herdenkt. Sp a Sat Godln*) bringt ja 
Slüd, und i mag doch die Evan Schnederin gar fo 
gern.“ 

„No jat Na hoaßt ’s Kindl alfo Anna Zakobine 
Simplizia Maria —“ 

„Jeſſas, die Nam’ all! 3’ wos denn?“ 

„No woaßt, wenn’s amal aufbot’n wird und der 


*) Zn gewiifen Gegenden Oderbayerns ift es Sitte, daß, 
wenn man beim eriten Rinde Pate fteht, man bei allen 
nachfolgenden Dies auch tut, O. Terf. 


160 | Patenfchaft. n 


Herr Pfarrer wirft’s von der Ranzel ’runter, dös bat 
dann an Rlang, meint die Fobannferin, und i moan’s a.“ 

„Ja, freili, dann — -—!" jeufzte die Thonmüillerin 
ein wenig betreten. „J ban aber nur Maria Anna 
g’ heißen.“ 

„No ja. Mir fan balt doch ſcho ftädtifcher wor’n. 
Und haſcht's net g’lefen: der kloane Prinz, der erſcht 
tauft wor’n is, der hat a halbete Seiten Näm’ g’habt. 
Die fan halt do net dumm, die Prinzen, die!“ 

„Barum?“ 

„No geb, frag herum, hinum! Es tragt doch was, 
wenn mer ordentlihe Godln hat.“ 

Die junge Frau ftüßte refolut die Arme ın die 
Seiten. Sie ftand da, fhmud und rofig wie das 
labende Leben und ein Hein bifjel hberausfordernd, 
als ob fie fagen wollte: „Wir zahln's ho!“ 

Gewichtig ließ fie dann jet auch die Worte fallen: 
„Ufo, Huberin, da fehlt fi bei der TShonmüllerin nir. 
3 ſteck fuchz'g Markl ins Kiffen, die Wöchnerin kriagt 
a Gansl und ſechs Flafhen Wein, und du — du wirfcht 
a z’frieden fein.“ 

„Dös gilt! Dös hoaß ı nobligt, Thonmüllerin. Aber 
woaßt, nir für ungut, die Dirn' derfft net vergefj’n, 
und der Knecht hält a die Hand’ auf, wenn’s was zum 
Nehma gibt.“ 

„Kummt a nimma drauf an!“ lachte die reihe Frau 
vergnügt. „Ihr werdt’s ſcho fehn, daß i woaß, was 
der Brauch is. 3 hab’ ja a folhene Freud’, daß i endli 
a Godl kriag.“ 

„3 bin aber grad a nur ’raufg’jprunga. Grad naß 
bin i vor lauter Schwiß’n. Geb, laß mi a biſſ'l hin- 
ſitz'n — gell?“ 

Errötend padte die Thonmüllerin die alte Frau 
beim Arme und 303 fie ins Haus herein, 


o Humoreste von €. Camill. 161 


m TG 


„Wie i in meiner Freud’ all’s vergiß! Geb, 
kumm nur grad eini, Huberin. Was magjt trin®’n? 
An Kaffee, a Bier, an Wein, a Limonad’?“ 

„Limonad’? Na!“ Die Hebamme jehüttelte ſich 
kräftig. „Waßt, mir ham a ſchware Nacht hinter uns. 
Mir ifcht ſcho ſo lau im Mag’n, und wenn d’ grad koa 
PBlag’ net damit haſcht — a Wein! war mir’s liabſcht.“ 

„Was d' magſcht! Red mer net lang.“ 

&s war Heuernte. Rneht und Magd waren mit 
dem Hausheren auf dem Feld. Die Shonmüllerin hieß 
die „weife Frau“ fih in die Stube ſetzen und lief jelbit 
nah Rüde und Keller, 

Flint wie ein Wiefel, appetitlih wie ein Bors- 
dorfer Äpfelchen, ſtolz wie eine junge, glüdlihe und 
reihe Grau fein darf, hantierte fie herum. Was fie 
anpadte, hatte Hand und Fuß und gefhah mit einer 
ungezierten Anmut, 

Man fah ihr gerne zu. 

Die Huberin faß breit im Herrgottswinfel unter 
dem Gerante eines durchs Fenfter hereingewachjenen 
Efeus, roch an den Rofen und bewunderte die Blumen- 
zucht der jungen Shonmüllerin. 

Dabei ledte fie fih heimlich die Lippen, denn das 
Waſſer lief ihr im Mund zujammen, als Frau Anna 
jegt ein Stück weißroten Spedes, einen Diertels- 
weden goldgelber Butter, zwei jchneeige Nettiche mit 
grünen Schöpfen und eine rotverjiegelte Flaſche 
berantrug. 

Natürlich — fo iſt's Sitte auf dem Lande — ließ 
fich die Huberin, troßdem fie am liebiten gleich ordent- 
lich abgefäbelt hätte, erjt tüchtig nötigen, bis fie unter 
Abwehren und Lobpreifen ein Schnittchen Sped 
herausholte und mit bewundernswerter Enthaltſam⸗ 
feit von dem Rotwein nippte, 

1910. XII. 11 





162 Patenſchaft. | u 





Die Shonmüllerin war noch ganz in entzüdten 
Träumen und ſah erjt von ihrem Zeller auf, als die 
Huberin eine Hymne auf den Wein anhob, den fie 
immer und immer wieder, faum hatte fie das Glas 
abgejet, benippen mußte. 

„a, jo a Weindl! Shonmüllerin, den kriagt ma 
halt nur bei Euch. Dös is a echter Tropfen — i ver- 
iteh’ jo was.“ 

Geſchmeichelt griff die junge Bäuerin nach der 
Flaihe, um aufzugießen, und nötigte, wie es fich 
gehörte, immer wieder zum Trinken. 

Die Huberin war ftandhaft darin, denn ihr oftmals 
anftrengender Dienft hatte „geiftige Anregung“ nötig, 
und wenn fie zeitweilig auh — je nah dem Der- 
mögensftand der Zamilie, in der fie gerade tätig war, 
— mit gewöhnlichitem Rümmel fürlieb nehmen mußte, 
io zog fie doc eine ftrenge Linie für die, die’s hatten. 

Mit der Shonmüllerin war fie zufrieden. Sie aß, 
trant und wurde gejprädig. 

Die junge Frau hörte mit heimlihem Graufen 
und doch einem Gefühl hoffenden Bangens den 
zu gefahrvoller Tragik ausgefponnenen Verlauf des 
Storchenbeſuches bei der Sohannferin, der eigentlich 
ganz in herkömmlichen Grenzen fih gehalten hatte, 
an, und die Huberin, ihre Wichtigkeit immer noch 
Ihärfer fühlend, ſchenkte fich jest felbit ein, 

Als fie den letten Tropfen im Glas hatte, erhob 
fie ſich. Es gehört fih nicht, feine Gelüjte zwanglos 
zu befriedigen; der Anftandsbiffen auf dem Zeller 
und der Anſtandsſchluck im Glafe, darauf hält der 
Bauer. 

„Alſo übermorg’n um zwei! Und daß d’ dein Mann 
a mitbringt!“ 

„And du ſagſcht der Sohannjerin, daß i's fei ernfcht 


D Humoreste von €, Camill. 163 








mein’, Wer ’s Erſchte aus der Tauf hebt, dem g’hör’n 
die andern nachanand a als Godln.“ 

„Zreili, freilit Ihr habt jetzt ’s Recht beim $o- 
bannfer.“ 

Raum war die Huberin um die Gtraßenede ver- 
ſchwunden, als die Thonmüllerin nah ihrem Wäſche— 
fpind lief. 

Ganz binten lag ein grobleinenes, fauberes Säd- 
lein, das zog fie hervor. Sie hodte fih auf die blit- 
blanke Diele, jchüttelte den Inhalt in ihren Schoß 
und lachte hell auf. 

„Fuchzig — ſechzig — achtzig — hundert! Und 
Dazu ein Hunderter — find zweihundert — und Sieben, 
zehn, ahtzehn Markln. Die Milchwirtſchaft tragt ſcho 
was, wenn man’s verſteht. Die fuchzig Mark fürs 
kloane Godl hat's in vierzehn Täg' wieder herein, 
Und der Hans braudht nur dös ander’ zahl'n. Für ’n 
Knecht, die Dirn’, die Huberin. So a vierzig Markln 
vielleiht! Die laßt er [ho ſpringa.“ 

Shren Schatz zujfammenraffend, das Beuteldhen 
zehnmal um fich felbft drehend, damit es beſſer ſchloß, 
band fie es forgfam zu und veritedte es wieder. Bald 
darauf ftand fie am Herd und briet und badte, als 
gälte es Rindstaufe bei fich felbft zu halten, 

Als der Shonmüller vom Felde heimkam, ſchnupperte 
er ſchon beim Hoftor in die Luft hinein, Der Rnedt 
ftieß die Dirne in die Seite und rieb fi) den Magen. 

Die Anna Thonmüller hörte das ſchwere Auf- 
ftapfen der drei Stiefelpaare, lief mit dem Rochlöffel 
unter die Küchentüre, die in den Hof binausführte, 
und rief zur Senne hinauf: „Hansl, kummſcht net abi? 
3 hab’ dir was 3’ fag’n.“ 

„Muß glei fei oder noch eher?“ lachte der Manıı 
mit verliebten Augen hinab. | 


164 Patenſchaft. o 





Aber ohne auffällige Eile — der Bauer beherrſcht 
jedes Gefühl außer dem des Zornes gern — ftieg er 
die paar Stufen berab. 

„Haſcht did im Tag geirrt?“ fragte er. „Cs riecht 
ja nah Sonntagsbrat’n.“ 

Die Bäuerin padte des Mannes Arm mit beiden 
Händen, wobei der Rochlöffel dem Hans einen tüchtigen 
Nafenjtüber gab, und zog ihn über die Schwelle. „Na! 
Aber an Freudentag müſſ'n mir fcho feiern! Dent, 
Hansl, grad war die Huberin dat“ 

„Die Huberin bei uns? Annamirl — du — —?“ 

Seine Stimme erjtarb, denn die junge Frau 
drüdte ihm raſch und voll Verlegenheit den Rochlöffel 
auf den Mund. 

„Red nit fo daher! HB’weg’n der SZohannferin 
ücht  dag’wein. Mir foll’n Baten wer’n beim 
Erſchten.“ 

„O mei! Dös is all's? Und i hab’ ſcho denkt — —“ 

„Stad biſcht und freuen tuſcht di! Mir ham doch 
no Zeit. No ka halb's Zahr verheiratet! Aber Godln, 
wennſcht haſcht, dös bedeut” Glück — je mehr Godln, 
deſto mehr Glüd!“ 2 

„Halt auf! ODös ſagſcht 'm Zohannſer fei net. 
Zwoa, drei, aber auf mehr gang i fei nöt eil Es kojcht 
a Geld die Sach’. Hafcht [ho g’fragt? No wart bis 
nad ’m Ejjen.“ 

Stillihweigend, aber mit viel Verftändnis wurde 
dies ernfte Gefchäft bejorgt. Dann fchob der Bauer 
den Seller zurüd, der Knecht fuhr fih ſchmunzelnd 
mit dem Rüden der braunroten Hand über die fettigen 
Zippen, und die Frauen hantierten am Spülftein 
und Herd, 

Nah ein paar Minuten war die Thonmüllerin beim 
Mann in der Wohnftube, 


' Humoreste von €, Camill. 165 





Zett, wo Knecht und Magd ferne waren, padte 
er fie zärtlih um die Schultern. Sie feßten fich dem 
Herrgottswintel gegenüber auf das jteifbeinige Sofa, 
und Frau Anna begann mit dem, was ihr heute das 
Michtigite war. 

Einig waren fie dann bald, denn die Wangen ber 
jungen Bäuerin glühten, und ihre Augen leuchteten noch 
einmal fo tief wie fonft, und der Hans hätte fich in feiner 
Derliebtheit den Teufel ftatt einer kleinen, niedlichen 
Göd aufihwäßen lafjen und hätt’s noch mehr gekoſtet. — 

Am Tauftag brannte die Sonne in äquatorialer 
Glut bernieder. 

Der TShonmüller hatte Heu auf dem Felde liegen, 
das eigentlih eingebraht werden follte, aber feine 
Frau tat vollitändig „narret“, als er feine Abſicht, 
der Kindstaufe fernzubleiben, ausſprach. 

Frau Anna lief ſeit dem früheſten treppauf, trepp- 
ab, Zwei Riefentörbe ftanden vollgepadt, mit Wadhs- 
leinen zugededt, auf dem Tiſche, gerade unter dem 
Muttergottesbilde, 

Und die in immer gleider Güte und Milde breitete 
die Hände jegnend über die Zaufgefchente. 

Die eigenen Braunen eingefchirrt, fuhren die Tauf- 
paten endlich ſtolz davon. 

Das Johannſerhäuſerl war ein Vogelneſt im Ver— 
gleich zu dem Thonmüllerhof. Aber ſauber und nett 
lag Garten und Haus da, und liebevoll gepflegt ſchaute 
der Dunghaufen um die Ecke. 

Die Huberin ſchoß wie eine Rakete aus der Tür, 
als fie den Wagen anfahren ſah. Hinter ihr kam 
langfam der Zohannfer herbei, 

Die Paten wurden freundlich, aber durchaus nicht 
etwa dankerfüllt begrüßt. Die Ehre war ja auf feiten 
der Thonmüllerſchen. 


106 Batenfhaft. | 0 





Sp ähnlich rieb der Zohannfer dem allerdings doch 
ein wenig felbjtbewußt auftretenden Shonmüller die 
Sade unter die Nafe, und in jeder Gebärde hieß es: 
„ga, feid Zhr nur erſt einmal fo weit, Ihr Stümper!“ 

Der Thonmüller ärgerte fih ein wenig, und um 
es ſich nicht merken zu lafjen, half er feiner Frau 
auspaden. Bevor man zur Wöchnerin ging, mußten 
die Geſchenke aufgebaut werden. 

Die Huberin fam von einem Entzüden ins andere, 
Auch dem Zaufvater lief allmählich ein breites Grinfen 
übers Geſicht. 

Zwölf Weinflaihen reihten fich da aneinander und 
itredten rotgetapfelte Hälſe ſtolz hinaus in die Luft, 
ein von Fett fchneeweiß fehimmernder Gänjebauch lag 
daneben, zwei braungelb gebadene Rringel, je in der 
Größe eines Wagentades, wurden ausgepadt, und dazu 
bligte und blintte auch noch Silber dazwiſchen. 

„Viel z’viel, allz'viel!“ wehrte gnädig vergnügt der 
Sobannjer ab und eilte nah einem NRiefenteller, der 
ertra für diefen Aufbau gekauft worden war, „Za, 
was fallt Euch denn ein, Shonmüllerin! Na, wenn halt 
Euer Erjchts da iſch, dann kommt die Rewanſch!“ 

Es war natürlihb unmöglid, die zwölf Flafchen 
Wein und alles andere auf den einen Zeller zu bringen. 
Sp trug man nur die leicht transportierbaren Gegen- 
itände hinein an das Bett der jungen Mutter, 

Sie lag in einer belltofa Nachtjade zwiſchen 
bauſchigen Kiffen und hatte den Zäufling ſchon im 
Staat feiner fpigen- und bänderbejehten Kiſſen neben 
fih liegen. Als die Gejchente bergebraht wurden 
und der Zohannfer das Fehlende durch die Türe zeigte, 
itrahlte das Geliht der Frau befriedigt auf. Diele 
Worte machte aber auch fie nicht darum. 

Die Shonmüllerin ging mit einem Gefühl hebriter 


0 Humoreste von €, Camill. 167 





Nichtigkeit an das Bett heran, Ihre Augen fahen faum 
nach der Mutter. Mit zärtlicher Andacht hefteten fie ſich 
auf das rotrungelige Gefichtchen, das fich gar nicht recht 
zufrieden in feinem Steckkiſſen hin und ber ſchob. 

Das alio war die Göd! Das erjte Batentindl! 
Gott, was für ein Keines Wunder! 

Die Huberin padte das Bündel an den Trag- 
bändern, und ungefähr in der Urt eines jungen Hundes, 
den man am Fell faßt, 305 fie es zur Shonmüllerin 
berüber und legte es ihr auf den Arm. Ä 

„O mei, ſo a fhön’s Kindl! Geb, tu ihm net 
weh!“ wehrte die Shonmüllerin ganz erjchroden. 

Die Männer lachten und die Rindsmutter und die 
„weile Stau“ desgleichen. Uber fo behutfam und 
furchtſam ift jede in den erjten Minuten mit einem 
winzigen, zerbrechlich ausichauenden Menjchentinde. 

Dem Thonmüller ftah’s in die Augen, wie hübſch 
fein Annerl fih als Rindswärterin machte. 

Er ging ganz nahe heran und ftrih mit feiner 
plumpen Hand fachte über die Rrausftirne der Neu- 
geborenen, was dieſe als Beleidigung auffaßte, denn 
fie verzog höchſt fonderbar das Geſichtchen. 

Während er feiner Frau zuraunte: „Seh, Annerl, 
fo g’fallft mir noch) amal ſo gut!“ fam plößlich aus den 
Kiſſen ein ſchriller Ton höchſten Rummers. Die Shon- 
müllerin verblaßte förmlich und hätte im tiefiten Ent- 
jegen das Bündel wohl fallen lafjen, wenn der Hansl 
nicht felbit zugegriffen hätte, 

„Jeſſas, was hat’s?“ regte fih die Wöchnerin 
gleih auf und ftredte die Arme aus, und der Dater, 
der draußen ſchon wieder bei den Weinflajchen ftand, 
kam fogleich mit einer ſchon entkorkten in der Hand 
wichtig heran. Die Huberin trug fehüttelnd und 
wiegend den Heinen Schreihbals auf und ab, 


163 Patenſchaft. s) 





„Wer wird glei jo grob zulang’n, Hansl! Deine 
Braten kunnten dös Dingl ſchier verdrud’n!“ fchalt 
die Thonmüllerin ihren Mann. 

„Was hätt’ denn i dem Fratz'n tan?“ fragte der, 
beleidigt vom Zone feiner Frau. 

„Fratz!“ Hagte die Wöchnerin weinerlich. „Na, 
woaßt, G’vatter Thonmüller, a Zrab is freili dös 
Deandl net. Sp brav wie’s g’wei’n is bis jett,“ 

Der Shonmüller bekam rote Ohren, Das merfte 
die Huberin und drängte fich heran. 

„Ah was! Freili is’s a Frak, aber was für a ber- 
siger! gebt fchau grad her, Thonmüller, jet lacht’s 
Dich Doch akkrat an, — Aber macht's euch fertig, Manner- 
leut, Zeit is zum Rirchgang !“ 

Der Thonmüller ließ fih duch die Türe fchieben. 

Draußen ſchwenkte er das Glas Wein, das ihm 
der Zohannfer reichte, mit einem „Brojit, G’vatter!“ 

hinter die Binde, 
„A fein’s Weinl!“ lobte er ſchmatzend. „Wo haft ’n 
her, Michel?“ 

Der ſchaute erjt verblüfft und lachte dann hellauf. 
„Don Dir, Hans! Ga, fiegit’s denn net?“ Und weil . 
er Schon einige Male genippt hatte und feine Zurüd- 
haltung vergaß, faßte er den Thonmüller an den Schul- 
teen und gab ihm derbkräftig einen Schlag. „Woaßt, 
all’s, was recht is, Hansl, a nobligter Kerl bifcht ſcho. 
Dös kann Dir faner leugna. Aber du follicht a fehng, 
daß mir euch net ausnutzen. A Rindl, höchftens zwoa. 
Für unfervan is dös gnua. Moanſt net a?“ 

Die Thonmüllerin hatte die lebten Sätze gebött. 
Sn ihrer Patenfeligkeit fiel jie dem Michel naiv ins 
Mort: „Uber geh, Zohannfer, auf drei, vier Godln 
rechnet der Hans fei noh und i erjht recht. Wenn’s 
auf mi antummet —“ 


[a Humoreste von €, Camill. 169 





Der Hans rempelte fie energiſch an, daß fie raſch 
ſchwieg. 

„Gehn mer!“ ſagte er in ſeiner gelaſſenen Art. 

Die Taufe verlief nach geziemendem Brauch. Der 
Erſtling der Familie wird allerwegen am meiſten ge— 
feiert, und Johannſers, die ſich zu den Hauptpaten 
auch noch ein paar Verwandte als Vizepaten bei- 
gezogen hatten ſchmunzelten trotz des Verbrauches an 
Kaffee, Kuchen, Wurſt und Wein. Die Speiſekammer 
der Zohannſerin zeigte einen erfreulichen Reichtum an 
Schinken, Gans, Spedjeiten und fo weiter, und im 
Patenſäckel der kleinen Anna Jakobine Simplizia Maria 
tlingelte es von Oold- und GSilberjtüden, und im Rijjen 
lag „eingebunden“ das filberne Patenbüchsl und der 
ichwerfilberne Patenlöfſel, was beides Frau Anna 
Maria Thonmüller in der Freude ihres jungen Herzens 
über das erfte Patenkind noch über ihr Verſprechen 
hinaus gefchentt hatte. 

Als der Sohannfer mit dem Thonmüller die Braunen 
einfchirrte, war es Nacht geworden. Am Horizont 
flammte ein lihter Schein auf und erloſch, erfchien 
und verſank wieder. 

„et wetterleucht’s! Mei Heu, wann's naß wird, 
gohannjer, kunnſcht du mir’s zahlen. Da is dei Sauf? 
ſchuld dran.“ 

„Voll, woll! ’s fimmt ſcho nix!“ lachte der Michel, 
der etwas unjicher auf den Beinen ſtand. 

Nachts um zwei Uhr, als der Shonmüller eben 
träumte, er habe feinen erjten Sohn taufen laffen 
und feiere das Feft mit Böllerfhüffen und Feuer— 
wert, wedte ihn feine Frau. 

Die Böllerfchüffe hörte er noch mit wachen Ohren, 
und die Freudenfeuer fah er auch. Der Himmel hatte 
beides, freilih nicht zur Ergötzung der Shonmüllers, 


— 


170 Patenſchaft. o 





injzeniert., Ein Wetter, wie es im ganzen Sommer 
noch nicht dagewefen war, brach los, 

Der Wind heulte in aufbrüllender Wut um das 
Haus, die Bäume im Garten fradhten unter feiner 
Unbarmberzigkeit und bogen fich faft aus den Wurzeln. 
Wie knatterndes Gewehrfeuer raufhte es durch die 
Zuft beran, und plößlich fchlug es prafjelnd an die 
Seniterfcheiben. 

„Keuzitürten — a noch Hagel!“ Der Thonmüller 
jprang aus den Federn, 

Sein Weib hielt fich die Ohren zu. „Hansl, mad 
drei Kreuz’! An fo an Fluch bei ſolch an Wetter! 
’5 ichlagt ganz g’wiß ’eb ein bei uns.“ 

„Hat ſcho eing’ihlag’n! ’5 Heu is zum Teufel! 
’5 größte Zeld war’s, drei Fuder langa net. Woaßt, 
was dös koſcht, bal mir’s kaafa müaſſ'n? Alſo, na 
kannſcht dir ausrechno, was uns die feine Baten- 
ſchaft koſcht. Der Teu—“ 

Ein mädtiger Donnerſchlag verſchlang die fchlechte 
Rede, | 

Der Thonmüller hatte den Ropf gedudt, als hätte 
er eine Obrfeige gekriegt, und Anna barg das Geſicht 
in den Riffen und heulte laut auf. | 

Als der Donner verballte, fing jie aber an. 

„Nix is dir heilig! Net amal a ſo a Elvan’s Göd, 
jo a unfhuldig’s. Aber fluah nur zual 3 geh’ morgen 
zur heiligen Maria im Eich und opfer’ ihr zwoa Rerzen, 
damit f’ ein Erbarmen, bat und dem Zohannſer dös 
Kindl erhält trotz dei'm Fluach, und bitt’ für fie und 
für mi, daß net dös vanzig bleib’n tat, grad, weil i’s 
unter ſechs Godln net tua. 3 net!“ 

Mit einem höhniſchen Lachen riß der Thonmüller 
die Schlafitubentür auf. „Meinsweg’n zwanzig [haff 
dir an! Aber mi la im Frieden. 3 tua bei koan 


0 Humoreste von €, Camill. 171 





mehr mit, dös van is mir teuer g’nua, daß du’s 
woaßt.“ 

Und in dem Sturm draußen ſchlug krachend die 
Türe zu, und wütend ftapfte er nach dem Stall, um 
zu fehen, ob der Rnecht am Plab war für alle Fälle, — 

Dierzehn Sage regnete es ohne Unterlaß, und 
vierzehn Tage gab es im Haufe Thonmüller faure Ge- 
fihter und nichts von Leibgerichten. 

Endlich gab doch der Hansl nad, drehte die Sache 
ins Scherzbafte und ftellte eine „Patenrehnung“ zu⸗ 
ſammen, die er ſeiner Frau zuſchob. 

Sie las mit noch immer verkniffenen Mundwinkeln 
die Endſumme und lachte verächtlich. 

„Hättſcht doch gleich tauſend Mark herg'ſchrieb'n. 
Und wenn's dös a noch koſcht! Mir is nix z’viel für 
die Batenfreud’, die i hab’,“ 

„Alſo!“ 

* = * 

Die Zeit läuft ſchnell. Zwanzig Zahre find viel, 
rechnet man fie vorwärts, wenig, rechnet man zurüd, 

Die Shonmüllerin war in den zwanzig Zahren fehr 
völlig geworden, troßdem fie fleißigſt all ihre Pflichten 
erfüllte. Auch die des Mutterwerdens hatte fie nicht 
vernachläffigt, zwei Züchter und ein Sohn wuchſen 
dem Ehepaar zu Stolz; und Freude heran. 

Der Shonmüllerhof war noch immer einer Der 
Ihmuditen im Ort, dem Shonmüller ſah man an, daß 
er das wußte. Durd) feinen blonden Vollbart fchoffen 
ein paar graue Fäden, die Loden auf dem Haupte 
lihteten fi, aber feine hübſche, ſchlanke Figur hatte 
er im Gegenfaße zu feinem Weibe beibehalten. Auch 
in feiner Art war er fih ziemlich gleih geblieben. 
Er hielt die Hand feiter auf dem Geldbeutel als fein 
weichherziges Annerl. 


172 Patenſchaft. e| 





Der Dezember kehrte kalt ein. Schnee lag ſchon 
in den erſten Sagen faſt meterhoch, und als er zu 
fallen aufhörte, kam eine forfche Kälte, daß taufend- 
fältige Diamantfterne in der Sonne aufbligten und 
knirſchend die Zritte auf dem Schnee klangen. 

Die TShonmüllerin war eine gute Rundin in großen 
und Heinen Läden. Gie trug Berge von NRödchen, 
Höschen und Hauben, von Pferdchen und Püppchen 
heim und fperrte alles in eine Rammer, die ertra für 
die Weihnachtsüberrafhungen freigehalten wurde, ein. 

Ein bißchen heimlich tat fie dabei und wich dem 
Manne gerne aus, wenn fie konnte. 

Drei Tage vor dem Heiligen Abend ftand fie in 
der Rammer und verteilte, Leni, ihre blonde, hübſche 
Sechzehnjährige, half zum erjten Male mit. Uber 
nicht gerade mit freudiger Haft war’s, daß fie die 
Sachen und Sächelchen, die ihr die Mutter reichte, 
hinnahm, fondern eher in einer Heinen, unzufriedenen 
Verbiſſenheit. 

„Dös Kaſperl tuaft für ’n Franzl eini, die Poppen, 
die kloani, für d' Sophie. Die Groß’ kriagt die Hauben- 
ſchmid'n⸗Mari und dös Stedenpferdl der Nazi. Pie 
Hofn da fan für 'n Zohannfer-Hansl, dös Röckl fürs 
Mariandl, 8’ Haub’n g’hört der Anni, die Schürz’n 
’m Lenei, der Zanker für n Schorfhl — — geb, 
Zenerl, zähl amal. Wieviel Zohannfer ham mer 'etz?“ 

Das Lenerl war firihbraun im Gefiht. Es warf 
dem Schorſchl feinen Zanker in eine Ede, langte nad) 
dem Schürzenzipfel und heulte fo plößli und über- 
wältigend hinaus, daß die Mutter zu Tode erfchroden 
von der Rommode, vor der fie fniete, auffuhr. 

„ga, Madl, was is denn? Lenerl, fehlt dir was? 
Red nur grad, Madl, was hafcht denn?“ 

Das Mädchen fchüttelte die zärtlihen Mutterhände 


0 Humoreste von €. Camill. 173 
ab. Zwiſchen ftopendem Schluchzen fchrie fie: „Nix 
hab’ i, und weil i nix hab’, drum grein’ i. Zehn Zo— 
bannfer Rinder, zwoa Haub’nfhmids, vier Zapf- 
maiers Deandl und drei vom Ejchenwirt — dös fan 
neunzehn. Neunzehn Godln habt’s, und neungehnmal 
verjchentit, was ſunſcht mir kriagt hätten. Und all’s 
wird uns abzwadt, und für all’s müalj’n mir fpar’n 
helfen. Aber i, gell i han foan PBat’n friagt. 3 net 
und der Hansl van, der wo ’s5 Jahr drauf g’itorb’n 
is, und ’s Annmirl hat vane, die nix hergibt, Und neun- 
zehn Godln hat koa Menſch, an neunzehnmal fchentt 
tva Menih und — — — —‘ 

„est hältit 3 Maul!“ fagte, fih langfam duntel- 
rot färbend, die Thonmüllerin und hob mit unvertenn- 
barer Gebärde die Hand. 

Ehe Leni den Kopf gedudt hatte, klatſchte eine 
kräftige Ohrfeige, und im felben Augenblid öffnete ſich 
die Türe, und auf der Schwelle ftand alt, verhußelt 
und ein wenig vornübergebeugt die Huberin mit 
ihrem gewinnenden Lächeln von einft, 

„Ah!“ rief fie halb fpottend, halb begütigend, 
„Sibt’s a Dezemberg’witter und fchlagt’s ei? Geh, 
b’halt ’n Hamur beinand, Shonmüllerin, i bring’ dir a 
Freudenbotichaft.“ 

„Hut huhuhu! — No vans!“ heulte vorahnungs- 
voll die Leni, „’eb fan’s zwa— — zwan — — 
zwanzig.“ 

Die Thonmüllerin machte einen Schritt auf die 
Huberin zu, padte die beim Arm und ſah ihr ängjt- 
lih in die Augen. „Na, Huberin, gell na?“ 

Phlegmatiſch zudte die „weile Frau“ die Achfeln. 
„Na, Shonmüllerin, zwanzig far’s net, aber zwoan- 
zwanz’g. Die Zohannjerin hat Drilling g’habt. Und 
weil d’ halt ſcho g’jagt haſcht, amal machſt noch die 





174 Patenſchaft. 0 
God, fo laßt ſ' di freundli einlad’n für ’n erjchten Feier- 
tag zur Sauf’,“ 

- Frau Anna Shonmüller wurde es ſchwarz vor den 
Augen; der Atem verfagte ihr. Sie ſank, nah Luft 
jhnappend, auf den einzigen Stuhl der Rammer hin, 

Das Lenerl hatte den Schürzenzipfel fallen lafien, 
Ihaute einen Moment mit offenem Mund drein und 
lachte dann fchrill und höhniſch auf, 

„Leni, du machſcht, daß d' naus kimmſt, aber glei!“ 
erholte fich fofort die Mutter, 

Als die Türe fih zögernd hinter dem Mädchen ge- 
ſchloſſen hatte, ſtand die Shonmüllerin ſchon wieder 
vom Stuhle auf. 

„Sit nieder, Huberin! Wirt müd fein, und i, 
i kann mi ſo a erfreu’n,“ fagte fie ſpöttiſch. „Alſo, 
was bringft für a Freud’? Orilling bat d’ Zohannferin. 
Ich gratulier! Dös hab’n die zwoa doch g’wiß und 
wahrhaftig mir zum ort antan! Weil i g’fagt hab’, 
noch amal, aber dann is Schluß. Der Schluß is fein, 
der g’freut mi — ’eh vor Weihnachten, Da {hau 
her! Dö G’wandl, dö Spielſach'n, dö Äpfel, Nuß 
und Zuckerwar'. Dös alles bat fo beiläufig hundert- 
fünfzig Marlin koſcht, und da fan d' Patentaler no net 
Dabei. ’n Thonmüller fei Anficht, die kennſcht. Seit- 
dem uns die erihte Tauf' ſcho's Heu von unferm 
Ihönjten Feld kofcht hat, hat er ’s Schenta verſchwor'n. 
Pat'n hat er ſcho g’jtanden, aber zahlt hab’s fei i — 
i allvan, Und grad, weil er mi alleweil tragt hat mit 
meine Hauf’n Godln, hab’ i net na g’jagt, und fo 
jan’s ’et glüdlich neunzehn g’wef’n. Die zwanzig hat 
hat mir mei Mo in felbiger Wetternacht vor zwanzig 
Zahr’n ang'wunſch'n, und bis auf die zwanzig hab’ i 
mi g’faßt g’madt. Aber zwoanzwanzig? Na, na, 
Huberin, zwoa jan 'etz z’viel, Hör, was i Dir ſag'. 


D Humoreste von €, Camill. 175 





Bal’it zur Zohannferin kimmſcht, fagft ihr: Dan Göd 
hätt’ i verfproch’n, und van Göd halt i aa no aus. Für 
die annern zwoa foll ’ dös nehma, was fie und der 
Zohannſer bei unfere Rinner ſich als G’vattern g’ipart 
hab'n. Es is a ganz ſchön's Bröderl, wennft auf adht- 
zehn Jahr z’rudrechneft, Sie fan der G’vatternfchaft 
fauber ausg’wich’n, troßdem ’s nur af drei Godln 
tumma wär’n. Mir ham zug'ſchaut, wia die Johannſers 
die reine Rinihafen imetiert ham, und i hab’ alleweil 
den Geldbeutel hübſch aufg’maht, guate Miene zum 
böſ'n Spiel g'macht und mir nix mirk'n laſſ'n. Aber 
die Watich’n, die i vorhin meiner Leni geb’n hab’, 
die hätt’ eigentlich mir g'hört. Denn ſiegſcht, Huberin, 
s Madl hat recht g’habt. G'ſpar'n tua i an meine 
Leut', damit i den Godln tüchlig ſchenka koa, und 
wenn i z'ſamm'zähl', was i in dene zwanzig Zahrln 
damit ’nausgeb’n hab’, ſo macht dös — da haſcht's 
ſchwarz auf weiß, i hab’s wohl aufg’schrieb’n — zwoa⸗- 
taufenddreihbundertundfehsundfuchzig Mart — hafcht’s 
glefn? Derfiht nahrehna al Die zwoataujend- 
Dreibundertundfechsundfuchzig Markt hab’ i — zum 
Fenihter ’nausg’worfa für a Marott'! An Dank hab’ 
i nia net g’habt, dös ſöll Ham m’r g’fehn, wia unſre 
Kinner Paten braucht hab’n, und Glüd hätt’ i im 
Leb’n wohl fo a g’habt, weil mir, der Thonmüller 
und ich, feit g’jchafft hHab’n und unjer Zeug verjtand’n 
hab’n, Aber a jeder muaß fei Lehrgeld zahl’n im 
Leb'n, wenn er fih von was Dummen net abhalt’n 
laßt, und i hab’s a bifjl teuer g’madt. Don heut an 
is Schluß. Der Zohannferin ſagſcht, ausnügen derfet 
mer die Gutmütigkeit der Leut’ a net, und dreizehn 
Rinner, dös ging mir übern G’fpaß. Zu der Sauf 
tumminet, Die fuhzig Marti Batengeld fannicht du | 
a glei mitnehma und dei Sad a, dann fan m’r ferti!“ 


176 Patenſchaft. Q 





Die Luft ging der Thonmüllerin aus, und fie trodnete 
fih den Schweiß von der Stirn. 

Trübſelig Jah die Huberin drein. Shr lief da eine 
bübihe Spule leer, 

Aber nichts half, Frau Anna aus der Empörung 
über die Drillinge zu bringen, 

Als die beiden Frauen im Hausflur noch ein wenig 
debattierten, fam vom Stall ber der Shonmüller ge- 
gangen, 

„Hansl,“ hielt ihn feine Frau auf, „kumm, laß dir 
was ſag'n. Die Zohannferin hat — Prilling kriagt 
3 mog aber nimmer — laſſ' mi net frozzeln. Zwanzig 
fan’s ’eb, du haſcht recht b’halt’n, Und 'etz is Schluß, 
Schluß, Schluß!“ 

Hellauf lachte der Hausherr. „Hat’s endli den 
Schnapper ’tan? 3 wart’ fcho lang drauf! — Huberin, 
geh eini, dös is a Flaſch'n Wein wert. Leni — hol ’n 
Wein ’rauf, den mit ’m roten Ropf. Zwoa Butell’n 
und an Sped bringſcht und an Ras. Dös is a Freud’ 
heut!“ 

Der Huberin wurde ganz weihmütig zu Sinn, 
Aber an Eſſen und Trinken ließ fie’s nicht fehlen und 
am Loben und Preifen der Thonmüllerſchen Güte und 
Gutherzigkeit auch nicht. 

Als fie ein wenig fteif und ein wenig unficher fich 
sun Gehen erhob, fielen ihr mit Schred die fehlenden 
zwei Paten ein, „Zejjas, zwoa Pat'n fehl'n m’r no!“ 

Da ſchlug fie der Shonmüller auf die Schulter, 
„Gräm di net lang, Huberin! Mei Weib is g’fcheit 
wor’n, dös derf mi was koſcht'n. Und an armer Teufel 
is der Sohannfer mit fein’ Hauf’n Rinner a. 3 nehm’ 
die zwoa andern auf mi, i allvan, Und zur Sauf 
kemma m’t, grad wie ’s erſchte Mal zu zweit und jcho 
rihtig a. — Annamirl, du wirft net na jag’n?“ 


Humoreste von €, Eamill. 177 


D 


— 
— 


Die Thonmüllerin ſchnappte nah Luft. „ga, 
Hansi! 'etz werſcht na wohl du der Sepp? Willſcht 
du a no zwanzig GodIn han?“ fchrie fie entſetzt. 

„Ah nat Go viel wer’n’s {ho nimma. Aber in 
Stich laſſ'n derf’n mir die arme Leut’, die fich ſcho 
af uns verlaff’n hab’n, a net. Moanjt net, Huberin? 
Und mir könna's ja macha.“ 

Er Eopfte auf die Taſche. Frau Anna fiel auf 
einen Stuhl. Zwei dide Tränen, halb Rührung, halb 
Sorn, entrollten ihren Augen. 

„eb fan’s fei zwvanzwanzig!“ meinte fie. „Geb, 
Hansl, warn du ’eh fei grad ſo dumm fein willfcht, 
wie i's g'weſ'n bin, vergiß halt net, daß mir ’ch af 
was anners denka müaſſ'n als af unfere GodIn. 
Moapt net af was? Af unfere Rinner und: Entel- 
finner,“ a 

Der Thonmüller lachte, daß das Haus dröhnte, die 
Huberin ficherte und hüftelte, und hinter der Tür am 
Sclüfjelloch grinſte vergnügt triumphierend die Leni 
mit, 

Aber doch behielt das Annamirl recht. Bei dem 
zweiundzwanzigiten Paten wurde Schluß gemadt. 
And wenn das Leni jet mit ins Einkaufen ging 
bei Weihnahts- und DOftergefchenten, rümpfte es 
nur immer ein wenig die Nafe — die Obrfeige hatte 
gut gefejfen damals — und fagte: „Muatter, zwoa 
von deine zwoanzwanzig haſcht wieda an’bracht; der 
Sepp und d’ Mari jan g’firmt. Drüber gibt’s nir’n 
mehr!“ 


BAB 
xx 
x 


1910, XII. 12 


Auf Wache. 
Don Loth. Brentendorff. 


Mit 15 Bildern. — Nachdruck verboten.) 


Star feiner unjerer jungen Vaterlandsverteidiger 
pürste die auf Wache und Poſten zugebrachten 
Stunden unter die vergnüglichiten feines GSoldaten- 
lebens zählen, und doch ift für die Erziehung zur Rriegs- 
tüchtigkeit der langweilige Garnifonwachtdienft ebenfo 
unentbehrlich wie jeder andere Teil der militärischen 
Ausbildung. Der erniten und verantwortungspollen 
Aufgabe, die dem Wachtpoften im Felde zufällt, würde 
der Durchichnittsjoldat Schwerlich gewachfen fein, wenn 
er nicht Durch häufige Friedensübung gelernt hätte, 
vor dem Schilderhaus Auge und Obr in ftändiger 
Machjamtleit zu erbalten und jede Anwandlung von 
Schlaffbeit und Müpdigfeit mit energiſcher Willens- 
anjpannung zu meijtern, 

Die Ordnung des Garnifonwachtdienjtes ift mit 
geringfügigen Abweichungen bei allen größeren Ar— 
meen fo ziemlich dieſelbe. Ebenſo wie in Deutjchland 
pflegt man die Wache fo zu bejegen, daß fie je Drei 
Ablöfungen für jeden auszuftellenden Poſten enthält, 
Größere Garnijonen haben in der Regel eine Haupt- 
wache, bisweilen unter dem Rommando eines Offi- 
ziers, von der aus der gejamte Wachtdienft geregelt 
wird und wo die Meldungen von allen Wachen ge- 
fammelt werden, Der Offizier vom Ortsdienjt und der 


> Yon Loth, Brenkendorff. 179 





Rondeoffizier — in größeren Sarnifonen find es deren 
wohl auch mehrere — haben die Aufmerkſamkeit der 
Machen und Poſten zu prüfen und die Ausübung 


Preußiſche Gardeſchuͤtzen bei der Abloͤſung. 





180 Auf Wache. D 





des Wachtdienites zu kontrollieren, Wachhabende, das 
beißt Befehlshaber der Wache, find je nach der Größe 
der Wache Gefreite, Unteroffiziere oder Offiziere. 






Poſten vor der Wiener Hofburg. 


Mährend der Ausübung feines Dienjtes gilt jeder 
Poſten als Vorgeſetzter der Unteroffiziere und Mann- 
ichaften, und es iſt ihm außerdem innerhalb gewifjer 
Grenzen eine PBolizeigewalt über Sivilperjonen ein- 
geräumt, Er darf im Notfall Verhaftungen vor- 


0 Von Loth. Brentendorff. 181 





nehmen und die Arretierten ins Schilderhaus jteden, 
bis er abgelöft wird oder bis fie ihm von einer Pa- 





Nuffiiher Sardefoldat auf Poften. 


trouille abgenommen werden, Bei Widerftand oder 
FZluchtverjuch darf er ſogar von feiner Waffe Gebrauch 
machen, und zwar mit viel weitergebender Freiheit 


182 Auf Wade. j a 


als fie wirklihen Bolizeiorganen eingeräumt iſt. Alle 
dieſe Befugnijje find natürlih mit einem entjpredhen- 
den Maß von Verantivortlichkeit verknüpft, deſſen er- 
zieheriihe Wirkung auf den jungen Soldaten nicht 
zu unterfchägen ift. | 

Eine bejondere Art des Wachtdienftes üben Die 
Wirtshauspatrouillen, denen die Aufgabe zufällt, das 
Derbalten der Mannfhaften in Wirtichaften und fo 
weiter zu überwachen, und deren Anordnungen von 
Unteroffizieren und Mannſchaften unbedingt Folge zu 
leiten ift, da fie während ihres Dienftes ebenfalls den 
Charakter von Vorgeſetzten erhalten. 

Am wenigiten beliebt bei den davon Betroffenen 
find die Stallwacden, die die berittenen Truppen zur 
Beauflihtigung der Pferde ftellen und die ihren Dienft 
meijt ohne Waffe tun. 

Unzertrennlihb von dem Wachtpoſten ift in der 
Dorftellung des Publitums das Schilderhaus, jenes 
winzige, zumeift aus Hola gezimmerte, leicht trans- 
portable Bauwerk, das gewöhnlich einer in die Höhe 
gefchoffenen Hundehütte gleicht und an Romfort der 
inneren QUusjtattung noch um einiges binter einer 
ſolchen zurüditebt. Es iſt beftimmt, dem Poſten Schuß 
gegen allzu harte Unbilden der Witterung zu gewähren, 
und feiner gelegentliden Verwendung als AUrreftlofal 
wurde bereits Erwähnung getan. Form und Farbe 
der Schilderhäufer find natürlich nicht bei allen QAlrmeen 
diefelben; Daher ift die durch unſer: Abbildungen er- 
möslichte Vergleihung gewiß mint ehne Intereſſe. 

Noch intereſſanter aber iſt jebenſalls eine Ver— 
gleichung der zu den Schilderhäuſern gehörigen Poſten 
nach ihrer Uniformierung und ihrer ſoldatiſchen Hal— 
tung. Namentlich in der letzteren ſpiegelt ſich vielfach 
etwas von dem Geiſte wider, der die betreffende Armee 


0 Don Loth. Brentendorff. 135 





Berittene Wachtpoften vor einer englifchen SKavalleriefaferne, 





erfüllt, und der deutjche Lejer wird nicht ohne ein 
leijes Gefühl der Genugtuung fonjtatieren, daß nur 
wenige der bier nach dem Leben photograpbierten 


184 Auf Wache, 0 





„Schildwachen“ fich in bezug auf foldatiihe Straffbeit 
mit dem im QAUugenblid der Ablöfung dargeitellten 
deutſchen Poſten mefjen können, 

Der Raijerjäger vor feinem runden Schilder- 


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Fran zoͤſiſche Schildwache. 


häuschen an einem Tore der Wiener Hofburg kann 
freilich mit Ehren neben ihm beſtehen, und auch der 
ruſſiſche Gardeſoldat vor dem Zarenpalaſt in St. Pe— 
tersburg nimmt ſich impoſant und martialiſch genug 


D | Don Loth. Brentendorff. 135 





aus, wie denn überhaupt das Mannjchaftsmaterial 
ſowohl im öfterreichifchen wie im ruffifhen Heere ein 





Tuneſiſcher Wachtpoften. 





ganz vortreffliches ift., Erzählt man doch von einem 
Wachtpoſten, der unter Alexander II, bei dem be- 
fannten Uttentat im Winterpalais ſchwer verwundet 


136 Auf Wache, D 


worden war, daß er fich troß furchtbarjter Schmerzen 
feiner Wegſchaffung mit allen ihm noch verbliebenen 
Kräften widerjeßte, weil er vor prönungsmäßig er- 
folgter Ablöfung feinen Poſten nicht verlaffen wollte. 

Start auf rein theatraliiche Wirkung berechnet er- 
icheinen dagegen die beiden berittenen Wachtpoften 
vor einer englifchen Kavalleriekaſerne. Die Miliz- 
truppe der Imperial Veomanry, denen fie angehören, 
präjentiert ich ja äußerlich recht ſchmuck und gefällig; 
aber es it faum anzunehmen, daß fie im Ernitfall 
einem Feinde allzu gefährlich werden würde. Es iſt 
eben mit dem gejamten englijhen Landheere nicht 
gerade zum beiten beitellt. Eine allgemeine Wehr- 
pflidt exiftiert nicht, und die aktive Armee ergänzt 
lich lediglich durch Werbung, Die Rekruten verpflichten 
ſich zu zwölfjähriger Dienftzeit gegen einen Tagesfold 
von ein Schilling vier Bence. Yenmanıy und Volun— 
teers, die fich beide aus Freiwilligen refrutieren, bilden 
eine Urt von Hilfstruppe neben diefem ftehenden 
Heere; ihre militärische Ausbildung aber läßt ſehr viel 
zu wünfchen übrig. WUllerdings befindet ſich Groß- 
britannien augenblidlich mitten in einer umfangreichen 
Heeresteform, die ohne Zweifel erheblihe Beſſerungen 
Ichaffen wird. Der Gedanke der allgemeinen Wehr- 
pfliht aber, deſſen Durchführung allein imftande wäre, 
den namentlid während des Burentrieges hervor- 
getretenen Mängeln abzubelfen, findet bei der eng- 
liihen Nation noch immer zu wenig Anklang, als daß 
er in abfehbarer Zeit zur Wirklichkeit werden dürfte. 
Man bat bei unferen Nachbarn jenjeits des Ranals 
pon der Bedeutung eines wirklichen Voltsheeres wohl 
bauptjächlich deshalb nicht die rechte DVoritellung, weil 
man fich für den RKriegsfoll feljenfeft auf die Unüber- 
windlichkeit der gewaltigen Flotte verläßt und die 


0 Bon Loth. Brentendorff. 187 





Möglichkeit, im eigenen Lande gegen einen eingedrun- 
genen Feind kämpfen zu müſſen, troß aller von wohl- 


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Fin Wachtpoften in Neapel. 


meinenden Generalen und pbantajievollen Schrift- | 

jtellern ausgemalten Schredbilder nicht ernitlich in | 

Betracht zieht. | 
Weſentlich impojanter iſt das Bild, das die Heeres- 


188 Auf Wade. Q 





Organijation Frankreichs nah ihrer lebten Neu- 
geftaltung darbietet, Mit einer Friedensjtärte von 


WR, 
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Berittener Poſten in Spanien. 


30,565 Offizieren und 565,261 Mann, zu denen noch 
711 Offiziere und 23,996 Mann Gendarmerie und 
republifanifcher Garde fommen, ſowie 142,595 Pfer- 
den ijt die franzöfiiche Armee gegenwärtig eine der 


q Don Loth. Srentendorff. 189 





größten, und wenn auch die Kriegſtärke nicht genauer 
befannt iſt, jo läßt fie ſich nach der üblihen Berech- 





MWachtpoften auf Korfu (Griechenland), 


nung (25 Sahrgänge mit 25 Prozent Ausfall) auf 
mehr als vier Millionen Mann abfchägen, eine Niefen- 
zahl, die natürlih auch die legten Aufgebote in fich 


190 Auf Wade, u 


einfchlöffe, und die jich, foweit eine Verwendung auf 
dem Kriegſchauplatze in Betracht fäme, ganz erheb- 
- lich vermindern würde. Don der geplanten Rriegs- 
gliederung weiß man außerhalb des franzöfiichen 
Generalitabes nur fo viel, daß fünf Armeen vorgefeben 
find, davon vier im Often und eine im WUlpengebict. 
Jedes Armeekorps wird vorausſichtlich 36,000 bis 
38,000 Mann in zwei Infanteriedivifionen enthalten. 

Der franzöſiſche Schußftaat Tunis, dejjen Militär- 
madt der dunkelhäutige MWachtpoften auf unferem 
nächiten Bilde angehört, nimmt von der Armee der 
Republik in FZriedenszeiten rund 14,000 Mann und 
700 Offiziere für fih in Anfprudb, und zwar 15 In— 
fanteriebataillone, 10 Ravalleriefhwadronen, 3 Bat- 
terien reitender und 4 Batterien FZußartillerie, 2 Genie- 
und 3 Traintompanien, Selbitverftändlich ergänzt ich 
ein großer Zeil der tunefiihen Militärmacht aus ein- 
geborenen Rekruten. 

Die Uniform des Wachtpoitens auf Seite 187 
it an dem federngefchmüdien Hute vermutlich für 
jeden unferer Leſer auf den erſten Blick kenntlich. 
Denn die Berfaglieri, die beliebtefte und popu- 
lärſte Truppe der italienifchen Armee, find auch im 
Auslande ungefähr ebenfo befannt wie die deutſchen 
Sotenkopfbufaren oder die öſterreichiſchen Deutſch- 
meijter, Ihre Anfänge reihen bis in das Fahr 1826 
zurüd, wo fie von dem Gencral della Marınora im 
jardinifchen Heere nah dem Muſter der franzöfifchen 
gäger zu Fuß in zwei Rompanien organifiert wurden, 
Da fie befonders auserwählten Erſatz erhielten, zeich— 
neten Sie jich bald ducch ihre hervorragenden Leiftungen 
aus und wurden nad Errichtung des Königreiches 
Stalien als en wichtiger Beftandteil in die Armee 
desjelben aufgenommen, Gegenwärtig hat jedes der 


zwölf italienifchen Alrmeeforps ein Berfaglieriregiment 
zu drei DBataillonen mit je vier Rompanien, unter 
denen fich auch mehrere Radfahrertompanien befinden, 





Gin Doppelpoften in Konjantinopel, 





192 Auf Wade. 0 


Bemerfenswert und von dem üblichen Schema ab- 
weichend ift das — natürlich nicht transportable — 
geräumige Steinerne Schilderhaus, deſſen unſer neapo- 
litanifher Wachtpoften ſich zu erfreuen hat. 

Noch vieleigenartiger allerdings wirkt der hohe, ſ hup- 
penartige Holzbau, der dem ſpaniſchen Pojten (S. 188) 
und feinem Roſſe Schuß gegen die fengenden Strahlen 
der Sonne gewährt. Der ftattlihe Küraſſier gehört 
zu den Mannschaften der Königlichen Estorte, die 
ungefähr die Stelle der preußifchen Garde einnimmt, 
während die übrige Heeresmaht aus 58 Linienregi- 
mentern beſteht. Dem Namen nach beiteht auch in 
Spanien beute die allgemeine Wehrpfliht. Aber es 
gibt nicht nur eine Unmenge von Ausnahmen, fondern 
es find auch Loskauf und Stellvertretung im weiteften 
Umfange geftattet. Das Inftitut der Einjährig-Frei- 
willigen, das eine Seitlang beftand, ift ſehr bald wieder 
abgefhafft worden, Pie Pienftpfliht beginnt mit 
dem einundziwanzigiten Sabre und dauert zwölf Zahre, 
von denen nach der Heeresverfaffung die erjten drei 
bei der Fahne abgedient werden follen. Aus Spar- 
jamteitsrüdjichten aber werden es deren felten mehr 
als zwei, 

Die Haltung des Poſtens auf unferem nächſten 
Bilde würde jeden preußifchen Unteroffizier mit beller 
Entrüftung erfüllen; aber in der griechifchen Armee 
nimmt man’s mit ſolchen Äußerlichkeiten offenbar nicht 
fo genau, wie denn überhaupt die jüngfte Bewegung 
im griebifhen Offizierkorps ein recht eigentümliches 
Licht auf den Geiſt und die Pilziplin diefes Heeres- 
förpers geworfen hat. Von der Größe der griechifchen 
Armee darf man ſich übrigens keine allzu ausfhweifende 
Doritellung machen, Sie hat einen Friedensetat von 
22,427 Offizieren und Mannfchaften, und wenn au 


D Bon Loth, Brentendorff. i 193 








ihre Kriegjtärte auf 82,125 Mann mit 174 Geſchützen 
und 14,441 PBferden angegeben wird, denen fich zu— 





Schildwache vor dem koͤniglichen Palaft in Sofia, 


dem noch 76,800 Mann Nationalgarde und 58,000 Mann 

Referven zugejellen jollen, fo darf man doch getroft 

annehmen, daß ein erheblicher Zeil dieſer anfehn- 
1910. XII. 13 


194 Auf Wade. : do. 





liben Streitmacht Immer nur auf dem Pape itehen 
wird, 

Ganz fremdartig berühren uns die Organifations- 
verhältniffe der türkifchen Armee, deren Repräfen- 
tanten wir auf Seite 191 neben einem der beiden 
Schilderbäufer erbliden. Die allgemeine .Webhr- 
pfliht gilt für Mohammedaner vom einundzwan- 
zigiten bis zum vierzigften Lebensjahre, bei dem 
Ausbruhb von Glaubensfriegen aber erfährt fie ohne 
weiteres eine Derlängerung bis zum — ſiebzigſten 
Zahre. Jeder Eingereihte kann ſich nah drei Monaten 
aktiven Dienjtes duch Zahlung von fünfzig türkischen 
Pfund von der weiteren Präfenzpflicht lostaufen. Die 
Friedenjtärte der Armee beträgt 20,000 Offiziere, 
250,000 Mann, 22,000 Pferde und Tragtiere, 1300 be- 
jpannte Gejhüte, ohne Gendarmerie und Rader 
(10,000 Mann) der Redif. Eine Sanitätstruppe eri- 
ftiert nicht, abgejehen von dem geringfügigen Rranten- 
mwärterperjonal in Ronftantinopel. — Die Rriegitärke 
der Nigam- und Nedifarmee, einfchließlich der irregu- 
lären Ravallerie aus Rurden- und WUraberitämmen 
(Hamidie), wird berechnet auf 1 Million Gewehre, 
75,000 Säbel, 1600 Feld- und Gebirgsgeſchütze. Da- 
von ſollen mindeitens 500,000 Gewehre, 20,000 Säbel 
und 1000 Gefhüße für einen europäifchen Krieg ver- 
fügbar fein. 

Neben folhen Zahlen nimmt fich die Rriegsmadt 
des neugebadenen Königreichs Bulgarien recht be- 
\cheiden aus, zumal wenn man bedentt, daß bei der 
Berehnung der vorausfichtlihen Kriegſtärke auch 
bier das Papier jehr geduldig ift. Eingeführt ift die 
allgemeine Wehrpfliht mit einem Rekrutentontingent 
von rund 20,000 Mann. Mohammedaner können fich 
dutch. Sahlung, von 500 Lewa lostaufen. Die ren 


0 Don Loth. Brentendorff. 195 





ftärte der Armee beträgt 2451 Offiziere und 40,000 
Mann, die Rriegftärte — mit dem oben angedeuteten 





” EN * 


Abloͤſung eines Wachtpoſtens in Kairo. 


Vorbehalt — 174,000 Mann, ausſchließlich der Volks— 
wehr, deren zwei Aufgebote fihb aus den Dienſt— 
pflichtigen zwifchen dem 38. und dem 45, Lebensjahre 


196 Auf Wache. 0 


zuſammenſetzen. — Das Gebäude, vor deſſen Garten- 
eingang wir unferen bulgariishen Wachtpojten erbliden, 
it der neue königliche Palaft in Sofia, eines jener 
modernen Gebäude, deren erhebliche Anzahl der bul- 





Sapanifcher Poften in Korea. 


garischen Hauptjtadt in den leßten Fahren mehr und 
mehr ein modern europäifches Gepräge aufgedrüdt 
hat, während fie bis zu ihrer Befreiung von der Türken— 
berrichaft und noch eine gute Weile nachher eines der 
greulichiten Schmußnefter war, die man fich nur vor- 
itellen konnte, | 


D Bon Loth, Brentendorff. 197 





Die ſchmucken Krieger in den gutfißenden Uni— 
formen und Den blißjauberen weißen Gamajchen 
(Abbildung Seite 195) zeigen uns einen Wachtpoſten 





Luxemburgiſcher Soldat auf Poften. 


por dem pizeköniglihen Palaſt in Rairo im Augen- 
blid der Ablöfung,. Außer einer engliichen Befatungs- 
truppe von ungefähr 3000 Mann verfügt Agypten 
über eine Militärmacht von rund 12,500 Köpfen, die 
jelbftverjtändlih von einem englijhen General be- 


198 Auf Wade. je) 


fehligt wird. Sie jeßt fih zufammen aus neun ägyp- 
tifihen und fünf fudanefiishen Bataillonen, einem 
Ravallerieregiment, jehs Batterien und zwei Ramel- 
forps. Die aktive Dienftzeit beträgt jehs Zahre und 
fünf Jahre bei der Polizei, die die erfte Reſerveklaſſe 
der Armee bildet. Don den vier Diviſionen diefer 
PBolizeitruppe find 25 Offiziere und 1227 Mann in 
Kairo ftationiert. 

Das vizetöniglide Palais, das übrigens dieſem 
Mürdenträger nur felten wirklih als Wohnung dient, 
liegt in der Sitadelle, jener uralten Befejtigung, die 
ichon 1166 von Zuſſuf Saladin erbaut und fpäter durch 
Mebemed Ali verjtärtt wurde, Ihre weltberühmte 
Merktwürdigteit ift der vermutlih noch aus der Pha- 
rapnenzeit ftammende fogenannte Zojephsbrunnen, der 
neunzig Meter tief in den Feljen gejprengt iſt. Un- 
mittelbar neben ihm erhebt fih die Alabaftermofchee 
mit dem Grabmal Mehemed Alis, die fein Fremder 
zu befuchen verfäumt, weil man von ihrer Terraſſe 
aus die berrlichite Ausficht auf das gleich einer Oaſe 
mitten in der Wülte daliegende Rairo genießt. 

Den Beſchluß unjerer Bilderreihe machen neben 
einem japanifhen Poſten in Rorea, wo fich feit dem 
ruffiihen Kriege die Japaner häuslich niedergelafien 
haben, zwei Wachtpojten, die gleich der Truppe, der 
fie angebören, eigentlih nur rein dekorativen Sweden 
dienen. Das Großherzogtum Luremburg bedarf keines 
jtreitbaren Heeres mehr, feitdem es völkerrechtlich für 
neutral erklärt worden ift. Seit der Auflöfung des 
Deutfhen Bundes, dem es von 1815 bis 1866 an- 
gehört hatte, feßt fich darum feine „Armee“ zufammen 
aus einer Rompanie Freiwilliger von 6 Offizieren und 
140 bis 170 Mann, deren Stärke übrigens „im Not- 
fall“ auf 250 gebracht werden kann, und aus einer 


oO Bon Loth. Brentendorff. 199 


Gendarmerie von 2 Offizieren und 125 Mann, die in 
32 Brigaden über das Land verteilt find. Das Ober- 
£ommando über die gefamte Heeresmaht führt ein 
Major, Die Wehrpflicht ift feit 1881 aufgehoben. 





Poften vor dem Palaft in Monaco. 


Beträhtlich geringer noch ift die bewaffnete Macht 
des troß feiner paradiefiihen Lage an der ligurifchen 
Küſte des Mittelmeeres fo übel berufenen Fürſtentums 
Monaco. Seinem Flächeninhalt von 21,6 Quadrat- 
tilometer (nach den neuejten Meſſungen follen es fogar 
nur 21,5 Quadrattilometer fein) und feiner Ein- 
wohnerſchaft von 15,000 Seelen entjprechend, leiftete 
jih das Ländchen bis vor etlichen Jahren ein „Heer“ 


200 Auf Wade. D 


von 130 Mann, beitehbend aus einer Ehrengarde, einer 
Rompanie Infanterie und 44 Gendarmen, Den fon- 
jtitutionellen Anſchauungen des aufgellärten, durch 
feine wifjenfchaftlihen Arbeiten mehr als durch feine 
Regierungstätigkeit bekannten Fürften aber erjchien 
auch dieſe militärische Machtentfaltung noch als zu 
weitgehend, und heute verfügt Monaco nur noch über 
eine Gendarmerieabteilung von 86 Mann, 

Daß der Dienſt diefer tapferen Verteidiger des 
Daterlandes kein allzu ſchwerer ift, läßt ſchon die ver- 
gnügte Miene unferes vor dem fürſtlichen Palajte auf- 
geftellten Wachtpoftens erraten. 





DEE EEDZAÄ 


Das Blut als Zeuge. 
Don E. E, Weber. 


2 2 [um une ] 
Mit 6 Bildern. Machdruck verboten.) 


Zi der Unterjfuchung zahlreicher Verbrechen kommt 
es Darauf an, nachzumweijen, ob Blutflede, die ſich 
an der Rleidung des vermutlihen Täters, an Meffern, 
Hämmern und anderen Gegenftänden vorfinden, von 
Menſchen oder von Tieren herrühren. Die Angeklagten 
reden fich ja vielfach damit aus, daß die feftgeitellten 
Blutflede einem geſchlachteten Tier entitammen, Zn 
ſolchen Fällen hat dann der Gerichtsarzt oder der 
Gerihtschemiter einzugreifen, un durch die mikro— 
ftopiihe und fonftige Unterfuhung die Natur der 
Flede aufzuklären, damit, wenn fie fih als Menfchen- 
blut ergeben, dieſes als ftummer Zeuge verwertet 
werden fann. 

Das Blut ift keine gleihmäßige Flüffigkeit, wie es 
fih dem bloßen Auge darftellt, fondern es zeigt ſich 
unter dem Mitroftop als eine klare, fait farbloſe Flüffig- 
keit, in der viele rundlide Rörperchen, die Blutkörper— 
hen, ſchwimmen. Dieſe zerfallen in zwei Arten, die 
roten Blutkörperchen und die weißen Blutkörperchen, 

Die roten Blutkörperchen verleihen duch einen 
ihnen eigenen $arbitoff, das Hämoglobin, dem Blut 
feine rote Farbe, Sie gleihen beim Menfchen flachen, 
runden Scheiben mit abgerundetem Rande und find 
auf den Breitjeiten tellerförmig eingedrüdt. Die 
Breite der menſchlichen Blutkörperchen beläuft ich 


202 


_ Das Blut als Zeuge. 


0 








Ein vergrößerter Blutfle mit erfennbaren 
Blutkörperchen. 


auf 0,0077 Mil- 
limeter, ibre 
Dide auf 
O,ots Milli- 
meter, Die 
roten Blut- 
förperchen der 
Säugetiere 
ind nun meift 
tleiner als die 
des Menſchen, 
ſo daß ſich 
ſchon aus die— 
ſem Unter— 
ſchied ein An— 


halt über den 


Urſprung einer Blutſpur gewinnen läßt. Nur der 
Elefant hat größere rote FEN als der 


Menſch. Au— 
ßerdem wech— 
ſelt aber auch 
noch die Form 
der Blutkör— 
perchen bei 
dem Menſchen 
und den Tie— 
ren. So ſind 
ſie bei den Vö— 
geln, Roepti— 
lien und Fi— 
ſchen, ſowie 
den Lamas 
und Ramelen 
mehr eiförmig. 





Derſelbe Blutfleck, noch ſtaͤrker vergroͤßert, 
mit roten und weißen Blutkoͤrperchen. 


D Bon €. E. Weber. 203 





Bei einer 
Taube beträgt 
ihr Längen- 
durchmeſſer 
0,0174, ihr 
Breitendurch- 
mejjet 0,0145 | 
Millimeter, 
bei einem 
Froſch find fie 
O,n2 Millime- 
ter lang und 
O,1 Millime- 
ter breit. Dar- —* 
aus laſſen ſich Querſchnitt durch einen Blutfleck. 
wiederum 
Schlüſſe über die Zugehörigkeit des Blutes ziehen. 
Aber auch die Zahl der roten Blutkörperchen ſpricht 
mit. In einem 
Kubikmillime⸗ 
ter Blut eines 
geſunden 
Mannes fin- 
den fich rund 
fünf Millio- 
nenrote Blut- 
förperchen vor 
und, wie bier 
gleich bemerft 
jei, gegenvier- 
zebntaufend 
weiße Blut- 
förperchen. 
Mafchenwerf der Blutfafern. Das Frauen- 








204 Das Blut als Zeuge, 0 





blut enthält auf einen Rubitmillimeter eine halbe Million 
rote Blutlörperhen weniger. Da ein erwadjfener 
Mann etwa zehn Pfund Blut befißt, fo entfallen 
darauf gegen fünfundzwanzig Milliarden rote Blut— 
förperhen. Den Raumindalt eines Bluttörperchens 
bat man auf O,oooooor221ı7 Rubitmillimeter und feine 
Flähenausdehbnung auf O,ooızs Buadratmillimeter 
berechnet. Die gejamten roten Blutkörperchen eines 
Mannes würden Daher, nebeneinander gelegt, 2816 
Quadratmeter bededen, eine Fläche, deren Durch— 
Ichreitung achtzig Schritte verlangt. Es zeigt fih nun, 
daß ie größer die roten Blutkörperchen einer Tierart 
find, die gleihe Menge Blut auch deito weniger von 
ihnen enthält, fo daß auch diefer Umitand bei der 
Beurteilung verwertet werden ann. 

Die weißen Blutkörperchen find fugelförmig. Gie 
befigen einen Durchmeſſer von O,osı bis O,ı2 Milli- 
meter. Bemerfenswert ijt ihre Eigenbewegung, Er- 
wärmt man einen Tropfen Menfchenblut auf die 
Normaltemperatur von 37 Grad Celfius, jo fieht man, 
wie die weißen Blutkörperchen Fortjäße ausjenden, - 
mit denen fie fich bewegen und feitheften oder auch 
irgendwelche Fremdkörper umfafjen, um fie dann in 
ihren Rörper bereinzuzieben. 

Wie befannt, gerinnt das Blut an der freien Luft. 
Das des Menfchen gerinnt in drei bis zehn Minuten, 
Ranindhenblut beifpielsweife viel fchneller, Pferdeblut 
langjamer, Während der Gerinnung fchrumpfen die 
roten Blutkörperchen zu zadig-jternföürmigen Gebilden 
ein, und fpäter treten dann farblofe Faſern auf, die den 
geronnenen Blutfuchen wie ein Netzwerk durchziehen 
und Blutkörperchen in fich fchliegen. Die Fäden be- 
iteben aus Fibrin oder Blutfaferftoff, Der Blutkuchen 
bildet zuleßt eine rote Gallerte, aus der eine gelbliche 


O0 





Flüjligkeit ber- 
ausgepreßt 
wird, die das 
Blutjerum oder 
Blutwafjerdar- 
itellt. Das Blut⸗ 
ſerum iſt alſo 
das Blutplas— 
ma ohne den 

Faſerſtoff. 
Behandelt 
mannungeron- 
nenes und ein- 
getrodnetes 
Blut mit Roch- 
ſalz und Eis- 





Hamatinfriftalle, 


eſſig und erhitzt es, jo ſieht man unter dem Mikro— 
jtop winzige plättchenförmige Kriftalle, die Hämatin- 





Hamatinkriftalle im Größenverhaltnis zu 
den Blutförpercen. 


friitalle, die in 


ihrer Form 


bei den einzel⸗ 
nen Tierarten 
etwas ppnein- 


‚ ander abwei- 
den und da— 


Durch Die Ab— 
jtammung des 


' Blutes verra- 


ten. 

Hierzu tre- 
ten nun noch 
andere Unter- 
juchungsme- 
thoden, Bei 


206 Das Blut als Zeuge. Oo 


der ſpektroſkopiſchen Unterſuchung zeigt das Spektrum 
verdünnten Blutes zwei dunkle Abforptionsbänder im 
gelben und grünen Zeil. Man erkennt das VBorban- 
denjein von Blut auch dann noch, wenn die Flüfjigkeit 
nur 0,2 Prozent Blut bejikt. 

Endlih wird auch das Blutjerum zur Beitimmung 
des Bluturjprungs benüßt, Spritt man einem Ranin- 
chen fünf- bis fechsmal in zweitägigen Zwifchenpaufen 
von den Blutkörperchen befreites Blutferum unter die 
Haut, jo ruft das fehs Tage nah der lebten Ein- 
ſpritzung aus dem Kaninchen gewonnene Blutferum 
im menfclichen Blutferum, das mit einer Rochjalz- 
löjung verdünnt ift, bei einer Temperatur von 37 Grad 
Celſius einen jtarten wolkigen Niederfchlag hervor, 
Diejer Niederichlag entiteht in feiner anderen Blutart 
und ermöglicht daher, Menfchenblut von Zierblut genau, 
zu unterjcheiden. Auch. alte, eingetrodnete Blutflede 
zeigen diefe Erfcheinung, wenn fie mit einer mon 
löfung aufgeweicht werden, 

Die Mitrophotographie geftattet es dann, die ge- 
wonnenen Ergebnijje photographifch aufzunehmen und 
nach Herftellung von Vergrößerungen den Satbeitand 
den Richtern und Gefchworenen vor Augen zu führen. 


EXEEXEE% 
—A 





Mannigfaltiges. 


(Nachdruck verkoten.) 

Prozeß und Hinrichtung im Jahre 1765. — Maria Flint, 
die junge Frau eines Bürgers von Stralfund, hatte, wie fie 
behauptete, nur verfehentlich ihr Rind getötet. Der drohenden 
Derhaftung entzog fie fih durch die Fluht und lebte in der 
Nähe von Leipzig längere Zeit in Berborgenheit. Aber im 
Gewiſſen gequält, machte fie fih heimlih zu Fuß auf und 
fehrte in die Heimat zurüd. 

Am 1. Dezember 1765 gegen Abend ſchlich fie durch die 
in Dämmerung liegenden Straßen Stralfunds dem Gerichts- 
gebäude zu und trat mit den faum verftändlihen Worten zu 
dem Gefängniswärter: „Ick bin wieder hier.“ 

Diefer erkannte fie zuerff nicht und fragte: „Mat för'n 
34?“ 

„Maria Zlinten, die Armefünderin,“ fagte das unglüdliche 
Meib demütig. 

„Dat is was anners,“ erwiderte der Wärter, ſchloß eine 
Zelle auf und ließ fie hinein. Dann eilte er fogleich zum Bürger- 
meijter und meldete das außerordentliche Ereignis. 

Die Herren wollten es zuerft gar nicht glauben. Dann be- 
fahlen fie dem Wächter, die Gefangene milde zu behandeln und 
ihr keine Feſſeln anzulegen. Die Selle follte geheizt und ihr 
eine erwärmende Suppe gelocht werden. Don der Suppe 
aß fie nur jehr wenig. Sie bat nur um die Begünftigung, 
daß niemand zu ihr gelaffen werde, auch ihre Mutter nicht. 
Am anderen Tage fammelte fib unter dem Rathaufe eine 
große Menge Volts, da es feititand, daß die Gefangene zum 
gerichtlihen DVerhöre geführt werden folle. Um zehn Ahr 
erfchien fie in Begleitung zweier Ratsdiener, gefolgt von dem 
neugierigen Menfchenfhwarm, da jeder fie fehen wollte. Cie 
ſchritt langſam mit niedergefchlagenen Augen einher und ſah 


208 Mannigfaltiges. o 


jehr blaß und angegriffen aus. Ihre Kleidung war ärmlich 
und ihre FZußbelleidung von der weiten Zußreife halb zerriſſen. 

Das Geriht war fchon verfammelt. Aud die beiden Geift- 
lihen, Paſtor Stannide und Magijter Colberg, waren vor- 
geladen, um der Delinquentin ins Gewiffen zu reden, damit 
ihre Ausfage der Wahrheit gemäß laute. Bei deren Anblid 
brach fie in Tränen aus. Nun begann ein fehr jtrenges Ver— 
bör mit ihr. Sie gab zu, daß das Rind in ihrem Bett erjtictt 
jei, behauptete aber, fie hätte das nicht gewollt. Auch be- 
dauerte fie es, daß fie fich der Unterfuchung duch die Flucht 
entzogen habe. Das Gericht tagte bis gegen den Abend, nach- 
dem die Gefangene bereits wieder abgeführt war. Auf ihren 
ausdrüdlihen Wunſch lieg man niemand zu ihr. Zwei Wochen 
vergingen. Dann wurde das Todesurteil gefällt. Am dritten 
Adventfonrtage wurde von der Ranzel eine FZürbitte für fie 
getan. 

Rubig ſah fie ihrem lebten Sage entgegen. Der 
20. Dezember war zu ihrer Hinrihtung feitgejeßt, die fich, 
wie ein noch vorhandener Bericht meldet, in folgender Weife 
vollzog. Auf dem Scharflirhhofe war gelber Sand gefahren 
und auf dem Plage, wo die Enthauptung gefchehen follte, 
ausgeftreut worden. Der Pla& war mit Planten abgezäunt. 
Die Sterbetifte ward hinausgebradht und das Grab gegraben. 
Nicht, wie fonft üblih, auf einem Stuhle fitend, fondern 
jtehend follte die Hinrichtung ftattfinden. Weil fih das Gerücht 
verbreitet hatte, es würden Derfuhe gemaht werden, die 
Delinquentin mit Gewalt zu befreien, waren viele Arbeiter 
von den Furierſchützen aufgeboten und mit Waffen verfehen 
worden, die aus dem Zeughaufe mit Erlaubnis des ſchwediſchen 
Stadttommandanten gegen ein Geldgefchent geliehen wurden. 
Diefe Leute bildeten einen doppelten Kreis um den Richt— 
plat. Die ganze Stadt war ſchon vor Tag auf den Beinen. 
Weil es Winter war, ward befohlen, die Straßen zu fegen. 
Der Pla vor dem Rathaufe war fchon tags zuvor mit Schar- 
lab ausgefchlagen worden. Um neun Uhr verſammelte ſich 
Das Gericht, und ein Diener gab das Zeichen, daß die Delin- 
quentin vorgeführt werden follte. Der Henker ftand fchon an 


) Mannigfaltiges. 2099 








feinem Plab, der fihb an dem äußerften Ende der Gerichts- 
ſchranken befand. 

Der Henker war in blauem Mantel und blogem Haupt. 
Sein langes weißes Haar fiel in Loden auf die Schultern, 
Unter dem Mantel hielt er das blanke Richtfehwert verborgen. 
Auf einen Wink des oberſten Gerichtsheren trat er aus den 
Schranken auf die Mitte des alten Marktes, ſchwang das bloße 
Schwert dreimal in Pauſen um fein Haupt und rief dabei 
mit lauter Stimme: „Wer Hagen will, der Hage feft!“ Dann 
trat er wieder an feinen Plab. Auf dem Alten Markt, mit dem 
Angefiht gegen das Rathaus gewendet, hielten alle Rats- 
diener, blau gekleidet, mit entblößtem Degen hoch zu Roß 
unter Anführung des älteften Ratsdieners Niemer in feinem 
mit Silber geftidten ledernen Roller. Die Hauptwache war 
angetreten und hatte das Gewehr bei Fuß. 

Die Armefünderin ftand unten an der Ruftodie zum Ab- 
gange fertig. Vier Gerichtsdiener begleiteten fie. Auch die 
ganze Nachtwache ftand bereit, fie zu umgeben und mitzu- 
geben. An den Füßen trug fie Schuhe mit gerafpelten Sohlen, 
um auf dem Richtplage nicht etwa auszugleiten. Auf dem 
Ropfe trug fie, da ihr ſchönes Haar abgefchnitten war, eine 
Heine, enganliegende weiße Müte und eine Heine weiße Haube 
daran. Um den Hals hatte fie ein feines, weißes Tuch ge- 
ichlungen, das ein Knoten hielt. In der einen Hand hielt fie 
ein Gefangbud, in der anderen ein weißes Schnupftuch. Eine 
leichte Nöte bededte ihre Wangen. Gie galt als die fchönfte 
Frau in der ganzen Stadt. Darum machte fie auch einen 
rührenden Eindrud, Noch lange nachher weinte man um fie, 
da die meiften Leute die feite Meinung hatten, daß fie un- 
ſchuldig fei. 

Als fie aus der Ruftodie trat und die große Menfchenmenge 
erblidte, wandte fie fih feufzend an den Paſtor Müller mit 
den leifen Worten: „Ach, Herr Baftor, wat för veele Minfchen !“ 

Diefer erwiderte: „Sei getroft, mein Rind, du brauchſt fie 
nicht mehr zu fürchten!“ 

Mit fiherem Fuße fchritt fie vor. Der Nichtzug febte fich 
in Bewegung. Sie ging zwifchen den beiden Geijtlichen. 

1910. XI. 14 


219 Mannigfaltiges. o 





Unter dem Rathaufe ftanden ihre Freundinnen, deren fie viele 
hatte. Sie ſchlug aber die Augen nicht zu ihnen auf. 

Die Gerihtsherren Kühl, Herkules und Brandenburg faßen 
auf einer drei Stufen hohen Bant, mit rotem Tuch belegt, 
gegen den Eingang. Zwei Stufen hoch zur Rechten ſaß der 
Stadtvogt und die Geſchworenen, ſchwarz gekleidet. Zur 
Zinten ftand eine Stufe höher ein Tiſch mit einer roten Dede, 
hinter welchem der Gelretär faß. Dor dem Tiſche festen fich 
die beiden Geiftlihen nieder. Der Scharfrichter jtand hinter 
ihnen. Der Stadtvogt erhob fih dann und klagte die Flint 
an. Die ftand vor dem Tiſch, und der Sekretär richtete folgende 
Fragen an fie: „Nicht wahr, Ihr habt ein Rind umgebraht?“ 

„Mit Willen nicht.“ 

„Nicht wahr, das Rind ift in Eurem Bette erftidt?“ 

„30.“ 

Dann las er ihr das Urteil vor, daß fie enthauptet und auf 
der Richtjtätte follte begraben werden, 

Eine feierlihe Stille herrſchte während diefes Vorgangs; 
man börte viel Weinen und Schluchzen. 

Die Flint fhlug nun die Augen auf und blidte rubig umber. 
Ein tiefer Seufzer entwand ſich ihrer Bruſt. 

Paſtor Müller rief ihr den Troſtſpruch zu: „Fürchtet euch 
nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht 
mögen töten.“ 

Der ältejte Serichteherr, Ratsherr Kühl, mahnte den 
Scharfrichter, ſeine Sache gut zu machen. 

Dieſer hatte den Lübecker Scharfrichter zu ſeinem Bei— 
ſtande berufen, welcher ſchon auf dem Scharfkirchhofe wartete. 
Doprthin begab fih nun auch durch Geitengafjen der Stral- 
finder. Dann begann der Hinrihtungszug: voraus die Nats- 
diener paarweife, dann vier Gerichtsdiener, dann die Arme— 
fünderin mit den beiden Geiftlihen. Hinterher folgte die 
Wache. Überall fab man aus den Fenftern; es wurde viel 
geweint. Am Zribfeer Tor hielt die Armeſünderkutſche. Die 
Geiftlihen feßten fih mit der Zlint hinein. An beiden Seiten 
gingen zwei Küfter, welche den von der Delinquentin felbft 
gewählten Geſang fangen, bis man den NRichtplaß erreichte. 


0 Mannigfaltiges. 211 
ee a ne 
Hier war eine ungeheure Menjchenmenge verfammelt, zum 
Seil aus weiter Ferne. 

Zn einem Bericht des Paftors Müller heißt es jetzt wört- 
lih: „Wir gelangten mit großer Mühe zu dem angewiejenen 
Ort und gingen an ihrem Sarge und Grabe vorüber. Hier 
ſtand die Delinquentin einen Augenblid till und betrachtete 
beides mit Wehmut; auch breitete fie ihr weißes Schnupftuch 
im Garge aus, um damit das fehlende Laken zu erfegen. Der 
Scarfrichter trat uns entgegen, hieß die Delinquentin ftill- 
itehen und die Schuhe ausziehen. Dies tat fie fehr ruhig und 
gelaffen, Hierauf legte er ihr die Binde um die Augen. Schnell 
warf er dann den Mantel ab und nahm das Schwert, das ihm 
der Lübeder Scharfrichter reihte. Er richtete hierauf der 
Armefünderin das Rinn etwas in die Höhe und fagte ihr, 
es habe ſchon noch etwas Zeit. Aber da war auch ſchon der 
Kopf herunter; faum daß wir hatten zur Seite fpringen können. 
Der Hieb war jehr glüdlih; die Rraft war fo ftark, daß der 
Kopf aufgerichtet in gerader Linie über eine Elle entfernt 
ichwebte, ehe er mit dem Körper zugleich niederfiel. An dem 
Geſicht fah ich ein fchnelles Zuden. Das Gefiht behielt eine 
rötlihe Farbe. Der Scharfrichter löfte die Binde von den Augen, 
nahm den Ropf und ftellte ihn aufgerichtet vorn zwifchen 
ihren Füßen nieder, Man fah ein ftartes Zuden, der Mund 
öffnete fich und ſchloß fich als wie beim natürlihen Atemholen. 
Die Augen waren völlig gefchloffen, und endlih wurde das 
Gefiht ganz blaß und hörte zugleich die Bewegung auf,“ 

Der Leichnam ward in der GSterbelifte auf dem Richtplabe 
verſcharrt. Nach Ausfage einiger Vorftädter ſah man aber 
um Mitternacht eine Laterne auf der Grabjtätte und Menfchen 
beichäftigt, woraus zu ſchließen ift, daß der Sarg ausgegraben 
und die Hingerichtete an einem anderen Orte wieder begraben 
worden ift. C. T. 

Neue Erfindungen: J. Reiſehängematte. — Rei— 
ſen iſt eine Kunſt, und wer billig, bequem und ohne Ermüdung 
fein Siel erreichen will, der finnt darauf, wie er die Bejchwerden 
und Unannehmlidhkeiten des Neifens am beiten überwinden 
kann. 


212 Mannigfaltiges. ® 








Für eine bequeme Gibgelegenheit hat nun die Firma 
Theodor Sachſe & Cie, in Kattowit geforgt, duch die Her- 
itellung einer Reifehänge- 
matte, die einem alltäglich 
von vielen Taufenden emp- 
fundenen Bedürfnis nad 
Ruhe, Bequemlichkeit und 
Sauberfeit in zwedmäßigfter 
Weiſe vorzüglid entfpricht. 

Aus unferen Abbildungen 
Fig. 1 bis 3 ift die Anwen- 
dung dieſer Reifefißgelegen- 
heit ohne weiteres erfichtlich. 
Die Matte beſteht aus einem 
ſehr kräftigen Stoffitreifen, 
der vermittels zweier Spiral- 
federn an der unteren Stange 
des in jedem Eifenbahn- 
abteil befindlihen Schirmnetzes aufgehängt und in dritter 
Wagenklaſſe mit zwei unter- 
balb des Sites angebrachten 
Klemmplatten in einer Rite 
der Bant befejtigt wird, wäh- 
rend die Matten für Die 
erite und zweite Klaſſe lofe 
über die Nüden- und Sitz- 
polſter hängen, 

Die Armjtügen find ver- 
itellbar, nach allen Seiten be- 
weglih und gejtatten wäh— 
rend der Eifenbabnfahrt be- 
quem zu fehreiben, die Matte 
bietet dem Rüden einen J 
feſten Halt, ſo daß der Kör— 
per in eine bequeme ruhende Fig. 2. 
Lage verſetzt wird und die Bewegungen, das Schleudern 
und Stoßen der Wagen wirkungslos gemacht werden kann. 








a Mannigfaltiges. 213: 


— — — — 


Das Anbringen der Matte im Abteil macht nicht die ge— 
ringſten Schwierigkeiten, es iſt vielmehr im Handumdrehen 
geſchehen, und der Reiſende hat dadurch ſeinen Platz belegt. 
Im zuſammengefalteten Zuſtande nimmt die Matte, die knapp 
800 Gramm wiegt, einen ſehr 
beſcheidenen Raum ein, ſo 
daß fie bequem in der Hand— 
taſche, im Ruckſack uſw. mit- 
geführt werden kann. 

II. Moderner Brat— 
appatat für Gasbhei- 
zung. — Der „Lucullus“ 
ist ein felbjtändiger, mit Gas 
zu beizender Bratapparat, 
der an jede Gasleitung an- 
geijchloffen werden kann und 
infolge feiner eigenartigen 
Konſtruktion ermöglicht, jede 
Art Fleiſch ohne Zutat von 
Butter oder Fett unter Er- | 
haltung des jo wertvollen Fleifchjaftes zu braten. Er beſteht 
aus einem auf vier Füßen rubenden Unterteil, in welchem 
ih eine Wafjerwanne befindet, die im Znnern des Appa- 
rates gefchloffen ift und nur von außen vermittels des 
Trichters gefüllt beziehungsweife entleert werden kann. Die 
Wanne ift in ihrem Oberteil nah der Mitte zu geneigt 
und an der tiefiten Stelle mit einem nah unten hindurch- 
führenden Rohr verfehen. Das jchmelzende Fett und der 
Saft, der aus dem Fleifchitüde tritt, fällt auf diefe Wanne, 
läuft nach der Mitte und durch das Abflugrohr in ein darunter- 
zujtellendes Gefäß. 

Längs der Wanne befinden fich zu beiden Geiten die Gas- 
brenner, die von innen angezündet werden müſſen. Die 
Regulierung erfolgt durch außen angebrachte Hähne, 

Das Gas verbrennt ohne Rüditände, fo dag die Speifen 
in feiner Weife beeinträchtigt werden. Snfolge der eigen- 
artigen Ronftruttion wird eine permanente Trockenhitze erzielt, 





Fig. 3. 


214 Mannigfaltiges. s| 


wodurch die äußere Eiweißſchicht des Fleifches fofort gerinnt 
und die Poren gejchlojjen werden. Diejes ermöglicht, daß 
das Bratjtüd im eigenen Saft gar werden kann. Es treten 
aus dem Fleifh nur etwa 10 Prozent Saft aus, gegenüber 
30 Brozent bei anderen Bratvorrichtungen. So ergeben zum 






























































LÄULURALLLLLLLL UNNA 


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—— — —7s ß— = = — — 
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——— — 














Moderner Bratapparat fuͤr Gasheizung. 


Beiſpiel 10 Pfund Kalbsbraten 9 Pfund fertigen Braten, 
in der Pfanne gebraten aber nur höchſtens 61, bis 7 Pfund, 
Der ausgetretene Fleifchjaft läuft in ein befonderes Gefäß. 
Diefer Saft gebt aljo nicht verloren, verfocht und verdampft 
nicht, jondern bildet eine ſehr brauchbare Flüffigkeit zur Be— 
reitung der Soße. Das auf dem Lucullusapparat hergeftellte 
Fleifchgericht ift infolge feines hoben Saftgehaltes und des 
Wegfalls jeder bejonderen Fettzutat ungemein verdaulich und 


0 Mannigfaltiges, 215 





von fehr hohem Nährwert. Es wird duch diefe Eigenfchaften 
zu einem für jedermann, insbejondere aber auch für Magen- 
leidende und Relonvalefzenten, befonders zu empfehlenden 
Beitandteil der KRrantentoft, da es alle diätetiihen Anforde- 
rungen erfüllt. Eine ausführlihe Beſchreibung diejes vor- 
trefflihen Apparates verfendet koftenfrei die Firma A. €. Baub, 
Berlin SW 19, Leipzigerjtraße 66. 

Die bezahlte Schuld. — Der beliebte Romponift Lortzing 
war bekanntlich fajt immer in Geldforgen. Oft langte es 
kaum zum täglihen Leben. Überall mußten Anleihen gemadt 
werden, und gar ſchwer fiel Meiſter Lorking das Wiedergeben. 

In feiner Rapelle hatte Lorking auch einen Pauler, der fehr 
vermögend, aber ein richtiger Geizkragen war. Don diefem 
Mann hatte fich der arme Rapellmeijter einige Taler borgen 
müſſen, und es war ihm leider nicht möglich, das Geld zu dem 
verabredeten Termin zurüdzugeben. Der geizige Pauler 
drängte bei jeder Probe, Lorking aber mußte immer wieder 
um Nachſicht bitten. | 

Schlieglich hatte er von feinem Mißgeſchick einigen Orcheiter- 
mitgliedern erzählt, und diefe befchloffen, die paar Taler zu 
ſammeln und den bartherzigen Pauker zu befriedigen. 

Diefer hatte die Gewohnheit, wenn er bei einem Orcheiter- 
ſtück einige Minuten zu paufieren hatte, was öfters vortam, 
nad dem Theaterbüfett zu eilen und dort ein Glas Bier zu 
trinten. Kurz vor feinem Einſatz war er dann pünktlich wieder 
zur Stelle, um feine Pauken zu bedienen. Hierauf bauten die 
Ordeitermitglieder einen feinen Plan. 

Lortzing hatte eines Tages die Probe zu einer Oper angefeßt, 
bei der die Pauke im Beginn des zweiten Altes eine lange 
Pauſe hatte. Richtig war der Pauker auch fofort verſchwunden. 
Da zählte ein ebenfalls vorübergehend unbejchäftigtes Orcheiter- 
mitglied die Schuld Lorgings in lauter Grojchenftüden forg- 
fältig geordnet auf beide Pauken auf und ging dann wieder 
an feinen Platz. Auch der Pauker erfcheint pünttlich vor feinem 
Einſatz an feinem Inſtrument, ergreift die Schlegel und wirbelt 
mit volliter Rraft feinen Einſatz ab. Doch wer befchreibt fein 
Entjegen, als mit lautem Gepraffel ein Hagel von Geldftüden 


210 Mannigfaltiges. 0 





im Orcheſter herumfliegt. Lortzing Hopft fofort ab, die Orcheiter- 
mitglieder lachen aus vollem Halje, und der habgierige Pauter 
muß ſich nun feine Groſchen aus allen Eden und Dielenrigen 
zuſammenſuchen. 

Als Lortzing verwundert fragt, was das alles zu bedeuten 
habe, ſagte man ihm lachend: „Herr Kapellmeiſter, wir haben 
uns erlaubt, ZIhre Schuld bei unſerem Kollegen zu begleichen. 
Er zählt bereits nad, ob es auch ftimmt!“ AM, 

Was man alles verſichern kann. — „Heutzutage,“ fo 
äußerte fich der Direktor einer großen engliihen Verficherungs- 
anftalt, „darf man ohne Übertreibung behaupten, daß man 
fih gegen jede erdentlihe Möglichkeit des Lebens verfichern 
fann. ga, der Mann müßte fehr klug fein, der eine Gefahr 
erfinnen wollte, gegen die man fich durch Verſicherung nicht 
hüten könnte, wenn man nur die nötige Prämie zahlen 
will, Ziemlich bekannt ift es ja, daß große Virtuofen ihre Hände 
gegen allerlei Zufälle, die fie beſchädigen könnten, verfichert 
haben, Sänger haben ihre Stimme, Athleten ihre Glieder 
verjichert, und wohl keinen KRörperteil, der zum Erwerbe dient, 
gibt es, der nicht verfichert werden kann. Der Teekoſter braucht 
nicht mehr zu fürdten, die Empfindlichkeit feiner Zunge zu 
verlieren, und auch der Parfümkenner kann gegen die Folgen 
des Derluftes feines Geruchſinnes Vorkehrung treffen. Be— 
fonders ſchönes Frauenhaar wird verjichert, ebenfo die Zierde 
des Mannes, der Bart. 

Es gibt Gefellihaften, die die DVerfiherung gegen den 
Derlujt der Sehkraft als Spezialität betreiben, ſo daß der 
Derficherte der Gefahr, zu erblinden, mit verhältnismäßiger 
Ruhe entgegenfehen kann. Läßt die Sehkraft des Derficherten 
nach, fo gewährt ihm die Gefellfchaft auch zeit feines Lebens 
freie Behandlung feiner kranten Augen, Sn gleiher Weife 
fann man auch gegen Rablheit und Verluſt der Zähne Für- 
jorge treffen. In Grimsby werden Fifchernege gegen Verluſt 
oder Beihädigung verjihert. Eine Gefellfchaft gibt es, Die 
ihre Zätigkeit auf die Verfiherung geſchliffener Gläfer und 
Porzellan bejchräntt, ja es erijtiert fogar eine Gefellfchaft, 
die den Wirten ihre Ronzefjionen garantiert. 


0 Mannigfaltiges. 217 





Aber nicht nur gegen die Gefahren, die der natürliche Lauf 
der Dinge mit fich bringt, gegen Derluft der Stellung, gegen 
VBerluſt eines Gliedes kann man fich verfichern, fondern bei 
Lloyds. in London kann man ſich gegen alle nur erdenklichen 
Möglichkeiten verjihern. Wenn jemand irrfinnig geworden 
ift, nachdem er fein Zejtament zu Ihren Gunften gemadt 
oder Ihnen ein großes Legat ausgefegt hat, jo können Gie 
fih dagegen verjichern, daß er wieder zu Vernunft kommt 
und feinen legten Willen zu Ihren Ungunften ändert. Haben 
Sie eine Erbſchaft unter der Bedingung gemadt, daß Gie 
eine gewiſſe Dame heiraten oder Ihre Religion wechfeln 
follen, fo fönnen Sie fih durch Zahlung einer vereinbarten 
Prämie verfihern, falls die Dame Sie nicht haben will oder. 
Sie ledig bleiben oder an Zhrer Religion fejthalten wollen. 

Wollen Sie Zhr Srundftüd verlaufen, und die Beſitzurkunde 
it Ihnen abhanden gekommen, fo können Gie als Erſatz für 
diefe Urkunde eine Police nehmen, jo daß Sie von aller weiteren 
Verantwortlichkeit befreit find. Haben Sie als Wirt eines 
großen Gartenlofals Vorkehrungen für Ronzert und Feuer- 
werk getroffen, und fürchten Sie, daß ein Regen Shre fcehönen 
Ausfihten auf hohe Einnahmen zu Waffer machen wird, fo 
tönnen Sie auch diefe verfichern, fo daß Sie, foweit Ihr Geld- 
beutel in Betraht kommt, den fallenden Barometer mit 
lahendem Munde verfolgen können. 

Sind Sie der Erbe eines unverheirateten Ontels, und haben 
Sie Angſt, daß er heiraten und Sie dadurch um Ihr Erbteil 
bringen könnte, dann können Gie fi gegen diefen unwill- 
tommenen Fall verfichern, fo daß Sie, Zhr Ontel mag heiraten 
oder nicht, um keinen Pfennig gefchädigt werden. Sind Gie 
mit einer jungen Dame verlobt, die eine große Mitgift hat, 
fo können Sie fih auch dagegen verfichern, daß fie Ihnen nicht 
noch in zwölfter Stunde einen Rorb gibt. Sind Sie der nächſte 
Derwandte jemandes, der noch nicht fein Teftament gemadt 
bat, jo mag es vielleicht für Sie ratfam fein, fich dagegen zu 
verfihern, daß er diejes Teſtament nicht zu Zhrem Nachteile 
mache. 

Ein Apotheker kann ſich duch Derfiherung gegen die 


215 Mannigfaltiges. o 





Folgen der Haftpflicht ſchützen, falls er ein falfches Medika— 
ment verabfolgt hat; ein Zahnarzt braucht feine Nächte nicht 
deswegen mehr fchlaflos zu verbringen, weil er vielleicht 
einen faljhen Zahn ftatt eines gefunden gezogen hat, und auch 
der Arzt braucht die Folgen einer falſchen Diagnofe nicht mehr 
zu fürchten, Mit der verhältnismäßig niederen Prämie kann 
man der Gefahr, Vater von Zwillingen zu werden, ruhig ins 
Auge fehen. Der Rapitalift, der zu feiner Bank kein Zu— 
trauen mehr bat, kann diefelbe gegen Zufammenbrud ver- 
ſichern.“ 3. C. 

Kameradſchaftlich. — Fürſt Bismarck trat im Zahre 1838 
als Einjährig-Freiwilliger in das Potsdamer Gardejäger- 
bataillon ein und ließ fih nach einem halben Zahre zu den 
„zweiten Zägern“ nach Greifswalde verjegen, um dort nebenher 
Dorlefungen an der Landwirtfchaftlihen Schule in Eldena zu 
hören. Er war ein guter Ramerad. Pas bewies er einmal 
einem Manne, der fpäter als Gutsbefißer in Pommern lebte 
und der damals mit Bismard zufammen bei den Greifswalder 
Zägern diente. 

Bismard ftand eines Tages beim Sektionsmarſchieren 
gerade im Gliede vor dem betreffenden Rameraden. Nun 
war es bei den Zägern Mode geworden, auch einmal von den 
damals zahllofen Störchen gelegentlih einen herunterzubolen. 
Dagegen erlaffene Verbote fruchteten wenig. So fchwebten, 
als die Zäger an jenem Tage nah Haufe marſchierten, über 
der Truppe wieder einige Störche, von denen urplötzlich der 
Hintermann Bismards einen mit der Rugel herunterholte. 
Die Offiziere gingen in ziemlih weiter Entfernung vor den 
Mannfchaften, hatten aber den Knall gehört, au) den Storch 
niederfallen fehen. Cs wird fofort „Halt!“ kommandiert, und 
der Hauptmann ftellt felbft Gewehrrevifion an. Zunächſt beim 
eriten Gliede, dann beim zweiten. Beim erjten wird nichts 
gefunden. Schon ſchwantt der Attentäter, ob er nicht frei- 
willig hervortreten und die Strafe auf fi nehmen folle, da 
raunt ihm aus dem erften Gliede fein Dordermann Bismard 
zu: „Aufgepaßt! Gewehr in den linten Arm — wir taufchen 
die Bühfen!“ Und in demfelben Moment fliegt gefhidt die 


Oo Mannigfaltiges. 219 





Büchfe Bismards feinem Hintermann zu und deſſen Büchje 
nah vorn. Keiner der revidierenden Offiziere hatte den 
geſchickt und bligfchnell ausgeführten Tauſch bemerkt, und der 
Fall mit dem Storhenfhuß blieb unaufgellärt. C. T. 
Moderne Küſtenbefeſtigungen. — Um einer feindlichen 
Flotte die Benützung von Häfen und Reeden zu verwehren, 





Panzerdrehturm fuͤr ſchwere Geſchuͤtze. 


werden jetzt offene Strand- und Küſtenbatterien angelegt, 
die grundfägßlich mit ſchweren Gefchüßen, deren Heinjtes Raliber 
die 15-Zentimeter-Ranonen find, ausgerüftet werden. Port 
aber, wo ein enges Fahrwafjer mit geringfter Geſchützzahl 
und Beſatzung beberrfcht werden foll, fommen PBanzerwerte 
zur Verwendung. 

Die auf Mauerbauten ruhenden Banzerungen find entweder 
Batteriepanzer oder Panzerdrehtürme. Die bombenficheren 
Hohlräume unterhalb der Drehtürme werden heute aus Beton 
bergeftellt, und die ganze Anlage wird fo tief im Erdboden 
angelegt, dag nur die Panzerturmfpige über demfelben ber- 
vorragt. 


220 Mannigfaltiges. a 





Um auftreffende Geſchoſſe abgleiten zu lafjen, ijt für die 
obere Panzerbedahung die gewölbte Form gewählt. Der 
innere PBanzerturm läßt fih durch mafchinelle Vorrihtungen 
nach allen Richtungen hin leicht drehen, jo daß ein allfeitiges 
Schußfeld gegeben it. Außer für fhwere Gefhüge werden 
neuerdings auch Panzerdrehtürme für Schnellladefanonen 





Gepanzerter Unterfunftsraum. 


angelegt, damit eine landende feindliche Abteilung mit Rlein- 
feuer überjchüttet werden kann. Um jederzeit eine größere 
Truppenzahl zur Derfügung zu haben, die aber gegen eine 
feindlihe Beſchießung gut geſchützt ift und nur gebraucht 
wird, wenn man zum offenen Angriff übergeht, werden fer- 
ner bisweilen unterirdijche gepanzerte Unterkunftsräume ge- 
Ihaffen, die etwas weiter im Gelände zurüdliegen. 

Unjere Bilder zeigen einen Banzerdrebturm mit fchweren 
Gejhügen und einen gepanzerten Unterkunftsraum, wie fie 
von Belgien an der Mündung der Schelde angelegt worden 
find, Th. S. 

Ein Luftreiter. — Am 7. Zuli 1850 ritt der Ingenieur 
Pritevin vom Marsfelde von Paris aus in Gegenwart von 


0 Mannigfaltiges. 22] 





über zweihunderttaufend Zufchauern im wahrjten Sinne des 
Mortes duch die Luft. Der Ballon, den er benüßte, war 
vierzig Meter hoch und ganz von Seide. 

Als der Präfident der Republit um halb fechs Uhr mit 
feinem Gefolge auf dem Marsfelde erfhien, traf Pritevin 
eben feine le&ten DBorbereitungen. Pas Pferd, ein ftarter 
Pony, auf welhem Herr Pritevin wie auf einem zweiten 
Pegaſus den abenteuerlihen Luftritt machen wollte, wurde 
gefattelt und aufgezäumt herbeigeführt. Es mußte einen Rund- 
gang machen, um fi dem Publitum zu zeigen. Darauf wurde 
es vermittels eines Gurts aus dem ſtärkſten Segeltuchleinen, 
welches unter feinem Leibe in deffen ganzer Breite durd- 
gezogen war und nah oben in vier Striden auslief, unter 
dem Ballon befeitigt. 

Herr Pritevin beftieg fodann mit Sporen und Reitgerte 
im eleganten Sodeiloftüm feinen Saul. Die Leute, die den 
Ballon an Striden hielten, ließen diefen auf ein gegebenes 
Zeichen los, und fofort erhoben ſich Roß und- Reiter unter 
einem nicht zu befchreibenden tojenden Beifall der Zuichauer- 
menge zu den Wolten empor. Im erjten Moment des Auf- 
fteigens fhlug das Pferd wildfhnaubend hinten und vorn aus, 
dann aber wurde es ganz ruhig und ließ die Beine wie gelähmt 
herabhängen. Fünf Minuten nad) der Abfahrt hatte der Ballon 
mit Roß und Reiter bereits die Region der Wolken erreicht, 
in welchen er vier- bis fünfmal den Augen der Zuſchauer ab- 
wechfelnd entfchwand und wieder fihtbar wurde. Dom ſtarken 
Weftwind getrieben, zog der Ballon auf Fontainebleau zu. 
Pferd und Reiter hatten empfindlid von der Kälte zu 
leiden, 

Gegen fieben Ahr fhidte Pritevin fih an, feine Nieder- 
fahrt zu bewerfftelligen. Nach einer Stunde befand er ſich 
bereits der Erdoberflähe nahe genug, um die Anter auszu- 
werfen. Bei dem heftigen Winde wurde der Ballon aber 
immer wieder fortgetrieben, und das Pferd wurde fehr un- 
ruhig. Endlid gelang es Pritevin in der Nähe von Dillemain, 
den Zweig eines einzeljtehenden Baumes zu faffen. Dorf- 
bewohner, die ſchon mehrere Minuten dem Laufe des Balloııs 


222 Mannigfaltiges. =) 





gefolgt waren, fonnten die herabhängenden Stride ergreifen 
und daran den Ballon vollends herabziehen. 

Gleih darauf ſetzten Roß und Reiter wohlbehalten ihre 
Reife auf feftem Boden fort, und um e Uhr famen fie wieder 
in Paris an. eg, 

Ein Trunkenbold auf dem Hühnerhofe. — Die folgende 
intereffante Beobachtung ift im vergangenen Sommer auf 
einem großen Hühnerhofe in Holjtein gemaht worden. 

Eine Eleine braune Henne, die fih ſchon immer duch einen 
itart entwidelten mütterlihen Znftintt ausgezeichnet hatte, 
brütete unter einer Anzahl Enteneier auch ein Gänfeei aus. 
Das Ergebnis war ein Gänferih von ganz ungewöhnlicher 
Größe, Die Heine Henne war außerordentlich ſtolz auf ihn, 
und wenn fie ihre junge Brut jpazieren führte, jo ging fie faft 
nie mit den. Heinen, zarten Entlein, fondern immer neben 
ihrem Riefenfohne, zu dem fie mit förmlich verliebten Bliden 
emporſchaute. Dabei fah fie die übrigen Hennen mit ihren 
alltäglihen KRüchlein ganz geringfchägig an, jo daß ihr jeder 
anmerkte, fie tat fih wer weiß wie viel auf ihre eigenartige 
Brut mit dem Wunderfnaben darunter zugute, 

Wie fehr fie le&teren bevorzugte, das konnte man Abend 
für Abend verfolgen, wenn fie ihre Rinder „zu Bett“ brachte. 
Sie war bei den kleinen Enten ſchnell genug beruhigt, daß fie 
ihre Ordnung hätten. Den Gänferid) aber nahm fie unter 
ihren befonders zärtlihen Schuß, indem fie ihm auf den Rüden 
hüpfte und ihre Flügel über ihn breitete, obgleich fie von feiner 
mächtigen Statur nur ein kleines Stüdchen bededten, 

Da kam eines Tages ein Bejucher auf den übermütigen 
Einfall, dem Gänſerich Kuchenbröckchen zu reichen, die mit 
Wein geträntt waren. Er nahm fie begierig und wurde davon 
total betrunten. Als nicht lange nachher die Henne fam, um 
ihren Liebling zur Nuhe zu bringen, fah fie ihn fehr miß- 
billigend an, denn er bot in der Tat einen Häglichen Anblick 
dar. Schwantend trottete er neben ihr her, feine Flügel hingen 
fchlaff herab, er ftieß alberne Töne aus, die fih wie ein un- 
artituliertes Gadern anbörten, Ganz unverkennbar fchämte 
fie fich feiner. Sie brachte ihn nad) dem Scheunenwintel, wo 


e) Mannigfaltiges. 


223 












ide Neft geftanden und wo fie bis dahin mit ihrer Brut die 


Nächte zugebraht hatte. Dann aber führte fie die Entchen. 


nach dem allgemeinen Sühnerhaufe und ſchlief dort mit ihnen, 
wie wenn fie ihnen den AUnblid ihres mißratenen Bruders 
erfparen wollte, Don da ab widmete fie jih ausfchlieglich 
den Enten. Don dem Gänferihb nahm fie keine Notiz 
mehr. C. D. 

Seltſame Geräuſche und Erſcheinungen. — Es gibt Leute, 
die beſtändig erſchrecken, die ſofort die Geiſtesgegenwart ver- 
lieren, wenn etwas Neues oder Abſonderliches ihren Sinnen 
zu nahe tritt. Schuld daran iſt unſer nervenanſpannendes 
Zeben, fhuld ift auch der heute duch die Menjchheit gehende 
okkultiſtiſche, fpiritiftiihe Zug, der in jedem fremden Ton, 
jeder ungewöhnlichen Erfcheinung Äußerungen einer unfaß- 
baren, verborgenen und daher feindfeligen Kraft wittert. 
Gibt aber nicht die Entdedung des Radiums und des Heliums 
mit ihren rätfelhaften Eigenfchaften denen recht, die von jeher 
behaupteten, daß alle übernatürlihen Vorgänge fih eines 
Tages auf dem Wege des Erperimentes als ganz natürlich 
werden erklären lafjen? 

Trotzdem ftedt nichts mehr an als Geifter- und Gefpenfter- 
furht. Sonſt herzhafte Leute, die ſich abends über Geifter- 
geſchichten unterhalten haben, find nicht zu bewegen, in finfterer 
Nacht, wenn der Sturm heult, auf den Dachboden zu fteigen, 
um dort ein Zenfter zu ſchließen. Und tun fie’s, dann jagt 
ihnen das Raffeln der Dachziegeln, das Ächzen einer vom Wind 
bewegten Bodentür heillofe Angjt ein. Richtig ift ja: Die 
Naht hat etwas Unheimliches, dem fih auch der Aufgellärte, 
Mutige nicht ganz entziehen kann, und Shalejpeares Wort, 
Daß es mehr Dinge zwifchen Himmel und Erde gebe, als unfere 
Schulweisheit fich träumen laffe, wird weiter Geltung behalten. 
Aber wer mit ein wenig Willenskraft und Raltblütigteit aus- 
gejtattet ijt, follte fih es nicht entgehen laffen, allem nachzu— 
jpüren, was „geſpenſtiſch“ ausfiebt, ſchon weil dabei ein ander 
Ding, das mit Geiftern fonft nichts zu tun bat, auf die Koſten 
tommt: der Humor! 

Einige Beifpiele werden das bezeugen. 


224 Mannigfaltiges, e) 
Der Reller eines Yaufes, in dem ich vor Jahren wohnte, 
itand in dem Gerud, es „gebe in ihm um“. Dienſtmädchen 
und Rinder waren abends nur fehwer hinunterzubringen. 
Brachte man fie dazu, dann fangen und pfiffen fie fih laut 
die Furcht von der Seele. Solche Angftlonzerte waren täglich 
abends zu hören. Hinten in dem Kellergange jtand ein auf 
zwei Böden rubender Holztifh, der zum Abſetzen diente, 

An einem fhwülen Abend mußte Frau U. noch hinunter, 
um etwas zu holen. Nah fünf Minuten kam fie totenblaß 
und erjchöpft oben wieder an. Ihr war das Licht verlöfcht, 
und fo mußte fie im Finftern bis zu der ihr wohlbelannten 
Tür gehen. Plötzlich hatte fie im Keller einen bläulich fchim- 
mernden Ropf liegen fehen. Bewegt hatte er ſich aud. 

Zhr Mann lachte fie aus. Aber das Verhalten feiner fonft 
refoluten Zrau gab ihm doch zu denken. Er nahm für alle 
Fälle eine Waffe zur Hand und ging hinab, um der Sache auf 
den Grund zu kommen, gleichfalls im Finjtern. Spwie er in 
den hinteren Gang fommt, erjhridt er. Tatſächlich — dort 
leuchtete etwas! And wie er genau binfieht, entdedt er auch 
die Umriſſe eines Menfchentopfes, der ſich fcheinbar bewegt, 
denn bald iſt die eine, bald die andere Seite heller erleuchtet. 
Er fühlt, wie ihm ein unbehagliches Gefühl über die Rüdenhaut 
läuft, aber er faßt fih ein Herz, macht mit vorgeftredtem Arm 
einen Sprung nad der Erfcheinung bin, greift zu, als wolle 
er einen Löwen bei der Kehle faifen, und greift in — etwas 
Kaltes, Naffes. Nun madt er Licht. Was war’s? Vier Pfund 
Kalbfleiſch! 

Die Frau Nachbarin hatte den für ſich und ihre Kinder be— 
ſtimmten Sonntagsbraten dort einſtweilen abgeſetzt, weil ſie 
den Schlüſſel zum eigenen Keller, in dem ſie das Fleiſch über 
Nacht aufbewahren wollte, einzuſtecken vergaß. Die Leute 
liebten „Altſchlachtenes“, und das hatte in der Finſternis 
phosphoreſziert. Die aufeinanderliegenden Fleiſchſtücke gaben 
mit Hilfe der Phantaſie ein kopfähnliches Profil. 

Ein anderer Fall. Herr B. ging ſtets gegen zwölf Uhr 
nachts zu Bett. Eines Nachts wird er durch ein dröhnendes 
Geräufb, das aus der Bettjtelle zu kommen fchien, aus dem 


D Mannigfaltiges. 225 





Halbihlummer gewedt. Er zündet das Licht an, kriecht unter 
das Bett, unterfucht alles, findet aber nichts. Es wird vom 
Nahbarhaufe herübergefommen fein, dentt er und fchläaft 
wieder ein, Den näcjten Abend um diefelbe Zeit lag er noch 
munter. Plößlich wieder diefer dröhnende, klingende Ton aus 
dem Bett heraus. Diesmal hatte er fih nicht getäuscht, es 
war im Zimmer und beftimmt im Bett. Er hebt die Matrabe 
mit Anſtrengung auf, wendet jedes Stüd um, denn wer 
tann’s wiſſen, es konnte eine Ratte zwifchen den Spiral- 
federn haufen. Aber alles vergeblid. Sp ging’s mehrere 
Tage, und zuleßt ftieg Herr B. gar nicht mehr aus dem 
Bett, wenn diefes in der Geifterftunde lebendig wurde, 
Ah was, dachte er, es werden die Sprungfedern fein, die 
anfangen zu brummen. | 

Einmal ging er etwas fpäter fchlafen. Und wie er im 
Begriff fteht, das Licht auszulöfchen, fieht er plößlich das Ge- 
wicht der am Fußende des Bettes hängenden kleinen Schwarz- 
wälderuhr einige kurze Pendelbewegungen machen, und gleich- 
zeitig hört er das ihm inzwifchen wohlbefannt gewordene 
melodiſche Geräufh. Endlich erwifcht! triumphiert er. Dann 
unterfucht er die Sache genau, und des Rätjels Löfung war 
ganz einfah. Beim Reinemachen war das Bett mehr nad) 
der Wand geſchoben worden, fo daß das niebergehende Ahr- 
gewicht auf die runde Rugel des Bettpfoftens fam. Port 
balancierte es ein Meines Weilchen, bis es abglitt. Ehe es zur 
Ruhe kam, fchlug es feine anderthalb Pfund Blei einige Male 
gehörig an den Bettpfoften, und die gejpannten Matragen- 
federn forgten ‚für eine entfprechende Verftärtung des Tones. 
Und auf einmal erinnerte fih Herr B. auch, daß die Uhr ftets 
vor Eintritt des Geräufches auffällig leife gegangen war. 
Auch die Erklärung dafür, daß der Spuk ftets zur beftimmten 
Zeit losging, fand er. Die Uhr wurde eben ftets zu derfelben 
Zeit aufgezogen. Mit dem Abrüden des Bettes von der Wand 
trat wieder Ruhe ein. 

Ein weiteres Beifpiel. Nach einer anftrengenden Tour im 
Riefengebirge übernachtete ih mit meinem Wandergenojfen in 
einer Baude. Beſſer ein ſchlechtes Quartier als gar keins, 

1910. XII. 15 


226 Mannigfaltiges. oO 





fagten wir uns, als man uns wegen Überfüllung des Haufes 
unter dem Dache verjtaute. 

Wir lagen noch nicht lange, als mein Neifegefährte leife 
tief: „Hören Sie was?“ 

„Nein.“ 

„Aber pafjen Sie doch auf! Hier ftöhnt und fehreit doch 
jemand! — Sekt, hören Sie! Grade als wenn jemand fterben 
müßte! Schon eine ganze Weile höre ich zu!“ 

„Ah was!“ fagte ih. „Horchen Sie nicht hin, machen Sie 
die Augen zu und Schlafen Sie!“ 

Eine Weile war Ruhe. Dann hörte icy’s ſelbſt ganz deutlich. 
Es war ein ganz furiofer Ton, Einmal Hang’s wie der tiefe 
Ton einer Maultrommel, dann Hang es wieder wie ein fehmerz- 
lihes Geftöhn, Wohlweislih fagte ih nichts. Aber mein 
Genoſſe ward unruhig. 

„Hören GSie’s jetzt?“ 

„Zum Teufel — ja! - Aber fchlafen Sie doch lieber! Es 
wird ein Kranker im Haufe fein. — Was geht’s uns an! Sind 
Doch noch mehr Leute im Haufe, die fih drum kümmern können.“ 

„Herzlofer Menſch!“ | 

„Meinetwegen!“ brummte ih und legte mich auf die 
andere Geite. 

Plötzlich machte mein Genoſſe Licht, ging im Zimmer hin 
und ber, legte feine Ohren an alle Wände, während dazwiſchen 
ab und zu Das leife klagende Gewinjel erfchallte. 

„Weiß Gott, bier ift’s unheimlich! Pas geht nicht mit 
techbten Dingen zu!“ murmelte er. 

Da riß mir die Geduld. Ich ftandb auf, nahm ihm den 
Leuchter ab und begab mich felbft auf die Suche. 

Auf dem Korridor hörte man nichts, folglich konnte es 
nur im Zimmer fe.bit fein. Wie ich neben dem Waſchgeſchirr die 
Mände ableuchte, höre ih auch richtig den Ton in meiner 
nächſten Nähe. Ein Blid abwärts und ich wußte alles. 

Ich rief ihn ber. 

„Wiſſen Sie, wer fich bier zu Tode quält?“ 

„Run?“ 

„Eine Fliege!“ 


0 Mannigfaltiges. 227 


Er fah mich verblüfft an. Pann zeigte ich es ihm. Auf 
einem umgeſtürzten Blecheimer ftand ein Wafjerglas, auf 
deffen Boden eine feijte Fliege mit den Beinen feftllebte. 
Mahrjcheinlid war Zuderwajjer in dem Glafe gewefen, defjen 
eingedidter Reft der Fliege und damit unferer Nachtruhe zum 
Derderben wurde. Bei ihrem Rampf um die Freiheit machte 
fie das an den Fliegentüten oft zu beobachtende Ronzert, das, 
duch die Reſonanz des Blecheimers verftärkt, deutlich hörbar 
wurde, 

Mein gefühlvoller Genoffe goß Waffer in das Glas, und 
die Fliege erfoff. Dann kroch er ftillihweigend ins Bett. 

Abgefehen von den wirklichen Sinnestäufcehungen, die als 
ſchwere Krantheitsform ganz auszuſchalten find, gibt es auf 
Schritt und Tritt Auffälliges, das den nervöfen Menfchen aus - 
dem Gleichgewicht bringt, aber den kaltblütigen höchjtens reizt, 
die Natürlichkeit diefer Vorgänge nachzuweiſen. Wer bis fpät 
in die Nacht hinein arbeitet, gewöhnt ſich bald daran, daß zu 
einer bejtimmten Nadtjtunde Möbel, Bilder, Dielen und 
Ballen anfangen zu fniftern und zu krachen. Der Furchtſame 
erihridt; er denkt nicht daran, daß dieſe Geräufche mit dem 
Temperaturrüdgange im Zimmer zufammenbhängen. 

Die viele Menſchen erfhreden nicht über ein fcehwaches 
Leuchten gewiſſer Gegenftände, wenn fie ganz dunkle Räume 
betreten. Diefes Leuchten rührt zumeift von nichts anderem 
ber als von Papier, das tagüber dem Sonnenlicht ausgefegt 
war und nun einen Zeil der empfangenen Strahlen im Dunkeln 
wieder abgibt. Photographen wiſſen ein Liedchen zu fingen 
von dieſer Eigenfchaft vieler Papiere, denn mande Platte 
wird unbrauchbar, weil der Fabritant den zwifchen die ein- 
zelnen Platten zu legenden Streifen von einem Papierftüd 
nahm, das dem hellen Licht ausgejegt war. 

Ein Schelm, auf deffen Ronto manch Gefpenfterjtüdlein 
zu ſetzen ift, war von jeher die Akuſtik. Sie geht auch heute noch, 
troß fchöner theoretischer Berechnungen, ihre eigenen Wege, 
wie ſo mancher Ronzertfaal, mandes Theater und manche 
Kirche beweifen. Akuſtik fann man eben nicht einbauen wie 
einen Ofen. Sie hat an Spulerei und Gefpenijtelei ihren guten 


228 Mannigfaltiges. e| 


Anteil. Man darf’s doc keinem verdenten, wenn er über 
menfhlide Stimmen erfchridt, die feheinbar ganz aus der 
Nähe tommen. Er hört die Laute genau und weiß doch, daß 
unter, über und neben ihm niemand wohnt und daß zwifchen 
feinem und dem nädften bewohnten Haufe ein noch nicht 
bezogener Neubau liegt. Er wird fiherlid eher an Einbrecher 
als an die Inſaſſen des dritten Haufes denken, die, hundert 
gegen eins zu wetten, tatfädhlid die Urheber des Sputes fein 
werden. Die Akuftit liebt nämlich frumme Wege. Eine Reihe 
durch mehrere Gebäude gehende Zimmer können durch Deden- 
verkleidung und verfhiedene Dedenhöhen in ihrer Gefamt- 
anordnung der Form eines flah gefhwungenen Bogens nahe 
fommen, der den Schall bejonders gut leitet. Man bat diefe 
Tatſache früher in Gefängniffen zu benützen verftanden, indem 
man die Rerter in große Gewölbe verlegte, die in der Scheitel- 
mitte eine Trennungswand erhielten. Sn den einen der da- 
durch entftandenen zwei Räume wurden der Gefangene und 
ein Genoſſe gejtedt, in dem anderen befanden fich die Laufcher, 
die troß Der tzennenden Wand die Geſpräche genau hören 
konnten. C. M. F. 

Raffaelſche — — Einige Jahre vor feinem Tode 
erhielt Raffael vom Papft Leo X. den Auftrag, eine Reihe 
Entwürfe aus dem Leben des Heilandes und der Apojtel zu 
zeichnen und nad diefen Entwürfen in der durch Wolltapeten- 
weberei berühmten Stadt Artas in Frankreich für den Vatikan 
fieben Tapeten weben zu laffen, deren Anfertigung er felbfi 
überwachen follte. Dieſe Wolltapeten hatten in jener Seit 
eine weite Derbreitung. Sie wurden nit Dit an den Wänden 
befejtigt, fondern hingen loje von der Dede herab, wie dies 
auch Shalejpeare in feinen Dramen mehrfach erwähnt. So 
läßt er den Zalftaff hinter der Tapete fchlafen, und Hamlet 
glaubt feinen Stiefvater hinter der Tapete zu hören, was 
betanntlid dem armen Bolonius das Leben koftete, 

Raffael führte den Auftrag des Papſtes auch gewifjenhaft 
aus, und fo entftanden fieben farbenprächtige, reich mit Gold 
durchwirkte Tapeten. Glüdlih trafen fie in Rom ein. Aber 
inzwifjhen war nit nur Leo X., fondern auch Raffael 


D ——— . 229 


— 





gejtorben. So wurden Die fieben berrlihen Tapeten beifeite 
gelegt und bald ganz vergeffen. Erſt 1798 famen fie durch einen 
Zufall wieder zum Vorſchein. Doch die Zeit hatte die Farben- 
töne gebleicht, Motten hatten große Löcher in das dichte Gewebe 
gefreffen. Daher verkaufte man die Tapeten an einen Händler 
nach Livorno. Diefer, der fih von dem eingewirkten Golde 
blenden ließ, verbrannte fie, um das edle Metall zu gewinnen. 
Nur einzelne Stüde blieben davon übrig, die nad) mannigfachen 
Srrfahrten in die Hände eines Antiquitätenhändlers in Rom 
gelangten, der ihren hohen Wert erkannte und diefe Refte für 
Unfummen nad Amerita veräußert. Das fchönfte diefer 
koſtbaren Stüde erwarb im Jahre 1908 Danderbilt für die 
Kleinigkeit von fünfzigtaufend Dollar. Und dabei war diefer 
Sapetenrejt kaum ein Quadratmeter groß, zeigte allerdings 
in einer Ede den mit euberaden ausgenähten Namen 
_ Raffaels. 

Ein Baumftall. — Bei der Betrachtung unferes nflepenbeit 
Sildes kann leicht die Meinung entjtehen, daß es den Stumpf | 
einer jener Mammutfichten wiedergibt, die fich in einem 800 
Kilometer langen Waldftreifen in Ralifornien an der Rüfte des 
Stillen Ozeans finden, außerdem noch auf der Sierra Ne- 
vada vortommen und eine Höhe von über. 100 Meter bei 
einem Alter von mehr als 1500 Jahren erreihen. Allein 
unfer Riefe, eine Buche, ftand in Auftralien im Staate 
Dittoria, | 

Diefe Erflärung mag wohl eine gewiffe Derwunderung 
erregen, denn im allgemeinen ijt der Flora des auftralifchen 
Kontinents keine befonders üppige Entwidlung eigen. Pie 
vorherrfchenden Charatterpflanzen find niedrige Alazien, die 
die immergrünen Bufchbeftände, die „Scrubs“, bilden, dazu 
die dichtſtrauchigen Eukalyptusgewächſe, die durch ihre bis 
zu 4 Meter langen, aber recht dünnen Zriebe der Landſchaft 
ein eintöniges Gepräge verleihen, und fodann die Grasbäume, 
deren kurzer, dider Stamm eine Rofette fchilfartiger Blätter 
trägt, und die dadurch den Palmen ähneln. 

In gewiffen Gebieten aber, die fih größerer Regenmengen 
erfreuen, treten auch Nadelhölzer und Buchen auf, die fi 


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0 Mannigfaltiges. 231 





zu großen Wäldern zufammenfhließen. Namentlich ijt dies 
in den auftraliichen „Alpen“ der Fall. Wie kräftig die Buchen 
unter günftigen DVerhältniffen dort gedeihen, läßt unfer Bild 
fofort ertennen. Die Riefenbuche, deren Alter man auf gegen 
1000 Jahre [häten kann, war zum Teil ausgehöhlt, fo daß 
der Hohlraum von den Farmern gelegentlih als Stall für 
ihre Pferde benügt wurde. Ein ungewöhnlich heftiger Sturm 
brachte dem Koloß den Tod, indem er ihn in etwa 5 Meter 
Höhe über dem Erdboden abbrah. Nun wurde der Stumpf 
duch ein Dach geſchützt und ein ftändiger Pferdeftall darin 
eingerichtet. 3.6. 

Ein origineller Sammler. — Einft lebte in Wien ein 
wahrlich origineller Sammler, ein liebenswürdiger ungarifcher 
Magnat, Graf Es., der „in Spazierjtöden machte“. Er bejaß 
366 Stüd — für jeden Tag des Jahres einen feparaten GStod, 
fogar das Schaltjahr war berüdjihtigt. Sie waren in 
einem befonderen Zimmer in zierlichen Schränten nah dem 
Datum aufgeftellt, um bei ihrer Benüßung ganz gemifjen- 
haft vorgehen zu können. Nun hatte der Graf aber unter 
feinen Stöden ein paar fogenannte Lieblingsftöde, „Fa- 
vorits“, um die es ihm leid tat, daß fie jo felten an die Reihe 
und „ins Freie“ kamen, und da gefchah es denn mitunter, daß, 
wenn fein Auge beim Umtaufch des „Zagesftodes“ auf einen 
der nach der Ordnung noch in weiter Entfernung jtehenden 
„Lieblingsſtöcke“ fiel, er ihm tröftend zurief: „Wart nur, es 
tommt ſchon auch an dich die Reihe, daB d’ mit’m Herrl ſpazieren 
gehen darfit! Nur brav warten, da gibt’s feine Bevorzugung! 
Schau die andern an, die müjjen auch warten, der 366er muß. 
gar vier Zahre Geduld haben, alſo — geſcheit fein!“ 

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß aber gefagt 
werden, daß der Graf doch nicht ganz aufrichtig mit feinen 
Stöden war, denn er gab feinem Leibdiener zuweilen heim- 
lih den Wint, einen oder den anderen Stod, um den es ihm 
befonders zu tun war, „ohre Auffehen und ohne daß es die 
übrigen Stöde bemerften“, ins Freie zu führen. Das gefchah 
auch mit dem armen 566er oder „Schaltjahrjtod“, der fonft 
gar zu lange hätte warten müſſen. | C. T. 


232 Mannigfaltiges. a 





Falſch aufgefaßt. — Unter der Regierung des Fürften 
Günther von Schwarzburg-Sondershaujfen (F 1740) predigte 
eines Sonntags ein Randidat in der Schloßkirche. Er wollte 
wahrfcheinlich feine Probepredigt recht eigenartig beginnen 
und fängt mit ſchönem Pathos alfo an: „Wovon foll ih predigen? 
Was foll ih euch fagen?“ 

Da wurde der Fürjt, in der Meinung, der Randidat habe 
feine Predigt fchleht auswendig gelernt, zornig, erhob ſich von 
feinem Sitze und rief: „Herunter mit Euh! Das iſt nun viel zu 
jpät, wenn Zhr jet erft daran denken wollt, was Ihr predigen 
follt! Daran hättet Zhr hübſch denken follen, ehe Zhr die Ranzel 
beſtieget.“ W. K. 

Der König der Friſeure, wie er ſich ſelbſt nannte, P. Trufitt 
in London, iſt vor kurzem auf ſeinem Landſitz geſtorben. Sein 
Geſchäft liegt an der vornehmen Bondſtreet, und alle Mit- 
glieder der feinen Welt fannten und fehäßten ihn, nicht nur 
die Herren, fondern auch die Damen, denn er war nie, ſelbſt 
nicht in den fchwierigjten Fällen, um einen Rat verlegen. 

Natürlich rafierte und frifierte er nicht felbft, fondern überließ 
dies feinen Gebilfen. Nur wenn es fich um ein getröntes Haupt 
handelte, erfehien er perfönlich auf der Bildfläche. Der Rönig 
Alfons von Spanien, der Rönig von Portugal und viele 
andere Monarchen gehörten, fo oft fie in London weilten, 
zu feinen regelmäßigen Runden. Sonft bejchäftigte er ſich nur 
mit dem wiljenfchaftlihen Zeil feines Berufes, das heißt er 
ſtand mit Rat und Tat zu Dienften, wenn es ſich um die Löſung 
eines wichtigen Problems handelte. Für eine ſolche Ronfultation 
nahm er ein Pfund Sterling, und die Zahl der Runden, 
die während der Saifon feinen Rat einholten, foll eine fehr 
große gewefen fein und ihm bedeutende Summen gebracht 
haben, 

Sein Einfluß in der vornehmen Gefellfchaft und damit in 
ganz England war fehr groß. Er rühmte fich unter anderem 
damit, daß er die Nachtmütze abgefchafft habe, denn er war der 
erjte, der nachzumeifen wagte, daß dieſe Ropfbededung für den 
Haarwuchs Shädlich iſt. Er behauptete, daß feitdem in England 
die Anzahl der Kahlköpfe erheblich zurüdgegangen ſei. M. 


0 Mannigfaltiges. 233 


——— 





Eiſenhaltige Nahrungsmittel. — Während man früher 
eiſenhaltige Subſtanzen nur als Heilmittel gegen Blutarmut 
und Bleichſucht anwandte, hat die neuere Phyſiologie bewieſen, 
daß jedermann eine beſtändige Zufuhr von Eiſen für die 
normale Beſchaffenheit ſeines Blutes nötig hat, daß alſo das 
Eiſen ebenſogut zu unſeren Nahrungsmitteln gehört wie 
Eiweiß, Kohlenhydrate und Fette. Beträgt doch bei einem 
erwachſenen Menſchen die Ausſcheidung an Eiſen täglich 
mindeſtens zwanzig Milligramm. Außerdem wird es auch 
noch vielfach im Körper abgelagert, namentlich in Leber, 
Milz und Knochenmark, von wo dann in Zeiten der Not, zum 
Beiſpiel während einer längeren Krankheit, das Blut ſeinen 
Eiſenbedarf zu decken ſucht. Daher muß ſchon der geſunde 
ausgewachſene Menſch täglich eine verhältnismäßig beträcht- 
lihe Menge zu fih nehmen. Diefe muß aber noch bedeutend 
gefteigert werden bei Rindern und jungen Leuten, die im 
Wachstum begriffen find. Sehr widtig ift die Zufuhr von 
Eifen bejonders auch bei Retonvalefzenten, bei Säuglingen 
blutarmer Mütter, ftrofuldfen oder rahitiihen Rindern, 
Zeuten mit Blutverluften und bei Lungentranten. 

Nun glaubte man früher, daß der Menfch mit der Nahrung 
feinem Rörper ſchon genügend Eifen zuführe. Dies ift aber 
nicht der Fall. Denn es geht von dem in der Nahrung ent- 
haltenen Eifen immer nur ein ganz Heiner Zeil in das Blut 
über, fo daß nach den neueften Berehnungen des Profefjors 
Robert der Menſch täglich mindeftens fünfzig Milligramm zu 
jih nehmen muß, um feinen Eifenbedarf hinreichend zu deden. 
Dieje beträchtliche Menge ift aber keineswegs in jeder beliebig 
zujammengejegten Nahrung vorhanden, fondern muß dur 
befondere Auswahl dem Rörper verjchafft werden. 

Don den Pflanzen, das heißt von deren wafferfreier Sub- 
itanz, haben 

100 Gramm weiße Bohnen 8,3 Gramm Eifen 
100 F Erdbeeren 9 F 
100 Linſen 9,5 : R 
100 : Apfel 13,2 5 „ 
100 = Spinat 36 u PR 


234 Mannigfaltiges. a 





Don den in Frage tommenden Flüſſigkeiten enthalten: 
1 Liter Weißwein 1,4 Milligramm Eifen 
1 „ Rotwein 2,3 5 3; 
1 „ Apfelwein 20,6 er 

Don den tieriihen Gebilden kommen als ftärter eifenhaltig 
nur vier in Betracht, nämlich Milch, Eier, Leber und Blut. 
Die Mil hat übrigens nicht fo viel Eifen, als man gewöhnlich 
glaubt — in taufend Gramm nur drei bis ſechs Milligramm. 
Zur Dedung des Eifenbedarfes eines bleihjüchtigen Patienten 
genügt aljo die Milch nicht. Als ein in diefer Beziehung fehr 
wertvolles Nahrungsmittel glaubte man den Eidotter anjehen 
zu müffen, da ja das fih bildende Hühnchen feinen ganzen 
Bedarf hieraus allein bezieht. Dies ift auch ganz richtig, aber 
die Eifenverbindung des Eidotters gelangt beim Genuß nur 
jelten zur vollen Aufnahme in das Blut, weil fie durch Schwefel- 
wafferjtoff, welder fih im Darmkanal meift in erheblichen 
Mengen vorfindet, fehr leicht zerſetzt wird. 

Diel günftiger verhält es fich bei den aus der Leber bereiteten 
Gerichten, Es wurde ſchon erwähnt, daß fich das Eifen in einigen 
Organen, namentlich in der Leber, ablagert. Natürlich ift dies 
nicht nur beim Menfchen, fondern aud bei den Tieren der Fall. 
Diefes Lebereifen nun, von Profefjor Doktor Zaleski „Hepatin“ 
benannt, geht bei der Verdauung zum weitaus größten Zeile 
in unferen Rörper über. Daher find alle Arten von Leberfpeifen 
für Blutarme, Bleihjühtige, Retonvalefzenten und fo weiter 
ſehr zu empfehlen. 

Bei weiten am günftigften aber, jowohl was die Menge 
als die Reforbierbarteit betrifft, fteht es mit den Eifenverbin- 
dungen des Blutes. Hiermit find ſchon von jeher mehr oder 
weniger erfolgreihe Verſuche bei Bleihfühtigen gemacht 
worden. Man hat fie Blut trinten oder rohes blutiges Fleisch 
effen laffen. Eine ſolche „Raubtierkur“ dürfte aber nicht 
nad jedermanns Gejchmad fein. Deshalb find mehr zu emp- 
fehlen die bluthaltigen Speifen, wie Blutfuppe, Blutwurjt und 
Bluttuhen, welche man in den Oftfeeproninzen „Palten“ 
nennt, und welche, mit Grüße bereitet, als große Delitatefje 
betrachtet werden. 


n Mannigfaltiges. 235 





Während heutzutage die Blut- oder Rotwurſt ein allgemein 
beliebtes Nahrungsmittel ift, hat fie früher zu den aufregendften 
Szenen Anlaß gegeben. Der morgenländifhe Raifer Leo IV, 
(886— 911) ſah fih fogar veranlagt, - folgende Verordnung 
zu erlaffen: „Wir haben in Erfahrung gebracht, daß die Menfchen 
fo toll geworden find, teils des Gewinnes, teils der Lederei 
willen, Blut in eßbare Speifen zu verwandeln, Es ift uns 
zu Ohren getommen, daß man Blut, in Eingeweide wie in 
Nöde eingepadt, als ein gewöhnliches Geriht dem Magen 
zufhidt. Wir können dies nicht länger dulden und nicht 
zugeben, daß die Ehre unferes Staates durch eine fo frevel- 
hafte Erfindung bloß aus Schlemmerei freßluftiger Menfchen 
gefhändet werde. Wer Blut zu Speifen umfhafft, er mag 
nun dergleichen kaufen oder verkaufen, der werde hart gegeißelt 
und zum Zeichen der Ehrlofigkeit bis auf die Haut gefchoren. 
Auch die Obrigteiten der betreffenden Städte find wir nicht 
gefonnen, frei ausgehen zu laffen, denn hätten fie ihr Amt mit 
mehr Wachſamkeit geführt, jo hätte eine folhe Untat nicht be- 
gangen werden können. Sie follen ihre Nachläſſigkeit mit zehn 
Pfund Goldes büßen.“ 

Nun, heutzutage dürfen wir alle, Blutarme und Blutreiche, 
ungeftraft Blutwurft ejfen. Dabei wird aber häufig ein großer 
Fehler dadurch begangen, daß man fie zu ſtark räuchert, wobei 
die Eifenverbindung unter Einwirkung der Nauchfubftanzen 
zu Steinharten Rlumpen verklebt, welche völlig unverändert 
und unverdaut wieder abgehen. 

In England und Amerika, wo die Blutwurft nicht diefelbe 
Beliebtheit genießt, deren fie fih in Deutjchland erfreut, hat 
man aus Blut die verfchiedenften „Patentmedizinen“ nad 
meift geheim gehaltenen Methoden hergeftellt. Bei uns aber 
wird jtets Blutwurjt, ebenfo Leber, Spinat und Apfelwein 
zu den erfolgreichften Mitteln für Aufbefferung und Eifen- 
bereiherung des Blutes gehören. 

Auf die überaus zahlreichen künftlich hergeftellten Eifen- 
präparate in Verbindung mit Nahrungs- und Genußmitteln 
wollen wir nicht näher eingehen, denn dabei fpielt die gejchäft- 
lihe Reklame oft eine große Rolle, Ob einzelnen diefer Prä- 


236 Mannigfaltiges. Q 


parate wirklich ein heilträftiger Wert innewohnt, darüber be- 
frage man jedesmal vor dem Eintaufe den Arzt. Dr. T. 

Ein neues Reitkoſtüm für Damen. — Die heutige Reitart 
der Damen und das dabei gebrauchte Reitkoſtüm find ver- 
hältnismäßig jungen Datums. Zwar ritten ſchon die Damen 
des Mittelalters auf kurzen Spazierritten nach der gegen- 
wärtigen Art und in einem Rleide, das weit über die Füße 
binabhing, bei langen Reifen aber, die zu Pferde zurüdgelegt 
wurden, und vielfach auch bei den Hebjagden ritten die Frauen 
zumeift nach Männerart, Das Kleid fiel dabei rechts und links 
bis auf die Füße herab, und der Sattel trug hinten für das 
bequemere Siten eine höhere Lehre. Oftmals ſaß auch 
hinter der Dame noch ein Mann auf, der fie bei gefährlicheren 
Wegſtellen feithielt. 

Diefes Reiten der Damen nah Männerart erhielt ſich in 
Deutichland vereinzelt noch bis zum Anfang des neungzehnten 
Zahrhunderts. Beiſpielsweiſe iſt die Kaiſerin Augufta, die 
Gemahlin Wilhelms J., in ihrer Zugend gelegentlich noch auf 
diefe Weiſe geritten. Aber wie ſchon angedeutet, war dies 
eine Ausnahme. 

Als in der zweiten Hälfte des achtzehnten Zahrhunderts 
der engliihe Setter, das engliihe Dollblutpferd und der 
englifhe blaue Neitfra® mit vergoldeten Rnöpfen in Auf- 
nahme tamen, wurden auch die Reitweife der englifchen Damen, 
eben die jegt übliche, und das heutige Reittoftüm Mode. Da 
es nicht zu leugnen ift, daß der Sib auf dem Damenfattel 
niht bejonders bequem ift, ebenfowenig das dazu nötige 
Koſtüm, fobald die Reiterin abgeftiegen ift, jo macht ſich jegt 
in England, wo bekanntlich die Damen häufig an den über 
Heden und Gräben gehenden Zuchsjagden teilnehmen und 
überhaupt waghaljige Reiterinnen find, eine Bewegung gel- 
tend, die für das Reiten nah Männerart eintritt und zugleich 
ein entiprechendes Reitkoſtüm empfiehlt. 

Im Londoner Hydepark haben fich kürzlich verfchiedentlich 
Damen, die nah Männerart ritten, in dem neuen Roftüm 
gezeigt. Es bejteht, wie aus unferer Abbildung zu erfehen.ift, 
aus Pumphofen und hohen KReititiefeln, während den Ober- 


a | Mannigfaltiges, 237 





körper ein weites Jakett mit langen Schößen umſſchließt. 
Dazu wird ein niedriger, weicher Filzhut mit breiten Rrempen 





Phot.: Worlds Graphie er 
Das neue Neitkoftim für Damen. 


getragen. Das Roftüm ift Heidfam und wahrt durchaus den weib- 
lihen Charakter, was befonders deutlich dann hervortritt, wenn 
jih die Reiterin zu Fuß durch die Straßen bewegt. Th. ©, 


- 


238 Mannigfaltiges. ) 





Der eigenjinnige Liszt. — Der Afrikareifende Gerhard 
Rohlfs hatte im Fahre 1870 den Großherzog von Weimar 
und Franz Liszt zu Tiſch geladen. Nach einem in zwanglofer 
Unterhaltung verbrahten Mahle kam der Großherzog auch 
auf Mufit zu ſprechen. Liszt war in muſikaliſchen Dingen 
äußert peinlih. Er hatte ein jehr gerechtes, aber auch ebenfo 
ſcharfes Urteil über feine Runft und ließ keine andere Meinung 
gelten. Nun hatte der Großherzog kürzlih zum erften Male 
den Diolinvirtuofen Sarafate gehört und war von deifen 
künſtleriſchem Spiel entzüdt. Liszt war ganz entgegengefegter 
Meinung. | 

Der Großherzog rief darauf dem Künftler zu: „Ich ver- 
fihere Ihnen aber, lieber Meifter, dag Saraſate ganz wunder- 
voll gefpielt hat! So fehr ich auch Ihr mufilalifches Urteil 
ſchätze, ſo kann es mich doch nicht.in meiner Anficht umftimmen.“ 

Da Stand Liszt von feinem Platze auf und fagte: „Rönigliche 
Hoheit müffen ſchon verzeihen, daß ich in mufilalifchen Dingen 
mehr zu verjtehen glaube. Königliche Hoheit find ein guter Re- 
gent, und ich bin ein guter Muſiker. Wenn ich daher fage, der 
Sarafate ijt fein Künſtler, fo hat’s Damit auch feine Richtigkeit !“ 

Der Großherzog lächelte nur und entgegnete: „Sie mögen 
ja vielleicht recht haben, lieber Meifter, aber gefpielt hat der 
Saraſate troßdem ganz herrlich!“ A. M. 

Die Tragkraft des Haares. — Die Elaſtizität und Wider- 
itandsfähigteit des menſchlichen Haares war den Völkern des 
Altertums gut betannt und wurde: von ihnen auch praftifch 
verwertet. Sp wurden aus Geflechten von Frauenhaaren die 
Stränge zu den Ratapulten, jenen großen Schleuder- und 
Belagerungsmaſchinen, hergeftellt, die in der ganzen Kriegs- 
gefhichte des Altertums eine fo große Rolle fpielen. Die vor- 
nehmjten Damen gaben ihren Haarfhmud zu dieſem Zwecke ber. 

Wie weit die Trag- und Widerftandstraft des menfchlichen 
Haares überhaupt geht, haben neuerdings Anterfuhungen 
franzöſiſcher Statiftiter ergeben. Danach vermag ein einzelnes 
Frauenhaar von mittlerer Stärke eine Laſt von nicht weniger 
als 173 Stamm zu tragen, ohne zu reißen. Nimmt man nun 
an, daß der menfchlihe Ropf durchſchnittlich wenigſtens dreißig- 


D Mannigfaltiges. 239 





taufend Haare befißt, fo ergibt fich als Rejultat, dat die Haare 
einer Frau eine Tragkraft von etwa fünftaufend Rilo haben, 
Die Tragkraft wird aber dadurch noch erhöht, dag das Haar 
gedreht und gewunden wird. O. v. B. 

König Eduard als Klubmitglied. — Es find jetzt gerade 
vierzig Jahre verfloffen, feit der damalige Prinz von Wales, 
der jüngjt verftorbene König Eduard VII. von England, die 
Anregung zur Gründung des vornehmiten Londoner Rlubs, 
des Marlborvugh-Rlub, gab, um einen neutralen Ort zu 
haben, wo er fi mit feinen Freunden treffen fonnte. Don 
den damaligen Mitgliedern leben nur noch zwei: der Herzog 
von Fife und Lord Fargurbar. Ohne dab die Statuten es 
vorfchrieben, wurden in den Rlub nur folhe Perſonen auf- 
genommen, die der Rönig dort zu fehen wünfchte. Aber fonft 
verlieh König Eduard dem Rlub kein befonderes Gepräge. 

Der Rönig verbrachte, wenn er in London weilte, täglich 
einige Stunden im Rlub, doch ohne daß man fich feinetwegen 
befondere Befchräntungen auferlegte. Er kam unangemeldet 
im Automobil oder zu Zuß, ließ fih im Veſtibül von dem 
Klubdiener feine Sahen abnehmen und betrat dann wie jeder 
andere mit einem kurzen Gruß an die Anwefenden die Rlub- 
räume. Niemand ließ fih in feiner Beichäftigung ftören. 
Meijtens begab er fi) geradeswegs zu feinem Lieblingsplaß, 
einem Lehnſtuhl am Ramin im Nauchzimmer. Hier pflegte 
die Unterhaltung gleich lebhaft zu werden. Der Rönig erzählte 
felbit jehr gut und anregend und hörte gerne zu, wenn andere 
erzählten. Hin und wieder fpielte er auch. WMeiftens aber 
wurden Anekdoten erzählt, und fo mander gute Wiß, der die 
Runde durch ganz Europa madte, ift in jener bebaglichen 
Ede am Ramin im Marlborough-Rlub entjtanden. B. M. 

Das Tönndjen. — Profeffor B., ein bekannter Rechts- 
gelehrter, der einſt an der Univerfität zu Heidelberg wirkte, 
mußte wegen feiner Wohlbeleibtheit manchen Ulf der über- 
mütigen Studenten über fi ergehen laffen. 

Eines Tages, als er das Ratbeder beitieg, ertönte aus der 
Menge feiner Hörer der Ruf: „Tönnchen!“ 

Mit liebenswürdigjtem Lächeln fagte der Profeffor: „Ich 


240 Mannigfaltiges. DD 


nn 





weiß, meine Herren, daß ich bei Zhnen den Spißnamen ‚Zönn- 
hen‘ führe. Aber zwifchen mir und einer Zonne befteht denn 
doch ein erheblicher Unterfchied.“ 

Alles lachte, und ein paar Dorlaute riefen: „Obo!“ 

„Ich will’s Zhnen jagen, wenn Sie es nit wilfen,“ fuhr, 
der Brofeffor fort. „Eine Tonne ift von Reifen umgeben, ih 
aber von — Unreifen!“ W. G. Sch. 

Die Sprechſtunde der Geiſter. — Nach „Fauſts dreifachem 
Höllenzwang“ können die Geiſter nur in folgenden Nachtſtunden 
mit Erfolg zitiert werden: Dienstag und Donnerstag von zehn 
bis zwei Uhr, Freitag von zehn bis drei Uhr, Sonnabend von 
zehn bis zwölf Uhr, Montag von elf bis drei Uhr und Mittwoch 
von zwölf bis drei Uhr. Sonntags ſind die Geiſter überhaupt 
nicht zu ſprechen. Die Vorbedingung des Erſcheinens der Geiſter 
iſt aber, daß auf die betreffenden Tage Neumond fällt. Mz. 

Ein guter Rat. — Als Prinz Alerander von Battenberg, 
der fpätere Fürſt von Bulgarien, noch als Offizier bei der Garde 
in Berlin jtand, erfreute er ſich allgemeiner Beliebtheit wegen 
feines trodenen Humors, Eines Tages Hagte ihm ein Ramerad, 
der junge Graf B., dag er Schulden gemadt habe und fich 
nun nicht getraue, feinem Dater darüber zu berichten, weil 
diefer in folhen Angelegenheiten feinen Spaß verftebe. 

„Nun, er wird ſchon noch einmal ein Auge zudrüden,“ 
meinte der Prinz. 

„3b glaube nicht, daß er das tun wird.“ 

„Mein beiter B., da will ih Zhnen einen guten Rat geben, 
Die Sade iſt fehr einfah. Wenn Sie nächſte Woche Urlaub 
nehmen und nad Haufe fommen, begleiten Sie Ihren Dater 
einmal auf die Zagd. Sobald dann ein Stüd Wild zum Schuß 
ſteht, fhütten Sie fehnell Zhrem Vater Ihr Herz aus, und 
zwar in dem Moment, wo er angelegt hat und losdrüden will.“ 

„And warum gerade dann?“ forſchte Graf P. verdußt. 

„Weil Zhr Herr Vater dann unzweifelhaft — ein Auge 
zudrüden wird!“ W. 6. Sch. 








Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von 
Theodor Freund in Stuttgart, 
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dern — wo eg nottut — auch ſelbſt zugreifen zu können, leuchtet ohne weiteres 
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Handhabung aller wichtigen Werkzeuge befannt und zeigt, wie und was man 
fich alles jelbjt machen kann. — Wie jchlage ich einen Nagel richtig ein? Wie 
jchleife ich ein Mefjer, das zum Schneiden von Papier oder Bappe beitimmt 

ift, oder mit dem ich Kork oder Gummi jchneiden will? Wie biege ich ein 
Brett rund? Wie poliert man? — Auf ſolche und viele andere Fragen des 
täglichen Lebeng gibt das Buch ebenjo Auskunft, wie es Anleitung zu allen 
möglichen Herftellungsarbeiten enthält, 3. B. Anlage einer Azetylengas- 
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Gangbeleuhtung ujw. — Ein praftiiches Hausbuch für jedermann, das 
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Der Stärkere. elegant gebunden M. 4.— 

Es ift ein großes, ernftes Problem, das in diefem Roman behandelt 
wird: die Stellung der Witwe und Mutter ihrem einzigen Kinde gegenüber. 
Diefer eigenwillige Knabe fteht ihrer großen Liebe zu dem Nachfolger ihres 
verftorbenen Mannes jo ſchroff in Wege, daß fie ſchließlich entſagen muß. 
Das ift in kurzen Worten der Inhalt einer höchſt fefjeinden, zum Nachdenken 
anregenden Geſchichte, die weit über bloße Unterhaltungslettüre Hinausragt 
und mander Leferin in ähnlicher Lage Troft und Nuten bringen dürfte. 

Generalanzeiger, Balte. 


Llber fteinige Wege. Yoman von W- Helmbure. 3, Anfinne. 


: : Roman von TB. Heimburg. 
Wie auch wir vergeben. 5. Autiage. Gebehter WS, cie- 

gant gebunden M.4.— 

Der große Kreis von Yreunden ihrer liebensmürdigen Erzählerkunſt 
bemweift, wie glücklich W. Heimburg immer ihre Aufgaben löſt. Das zeigt 
aud) ihr Roman „Wie auch wir vergeben”, in dem uns die Verfafferin das 
Befteihrer Art gibt: die gemütvolle Auffaffung modernen 
Lebens. Die Woche. 

Roman von E. Werner. Geheftet M. 3.—, elegant ge: 
Siegwart. zunden M4- 

Die beliebte Berfafferin hat fih in diefem Noman die Aufgabe ge: 
ftellt, die Gegenſätze zwiſchen rüdfichtslofen: Amerilanertum einerjeitd, den 
Traditionen altpreußifchen Adeld und der Tüchtigleit des Genies, daB fi 
ohne Preisgebung feiner Ideale durchſetzt, anderfeitS zu beleuchten, un 
daß ift ihr auch recht gut gelungen. Voſſiſche Zeitung, Verlin. 

N Roman von Georg Hartwig. Gebeftet 
Der blaue Diamant. M.4—, elegant gebunden M.5.— 

. Ein Geſellſchaftsroman, in deffen Mittelpunft die liebensmwürdige Ge— 
ftalt eines jungen Mädchens fteht bie in den Verdacht gerät, einen koſtbaren 
Diamanten entwendet zu haben. Wie die junge Renate Mildner gerade durch 
dieſes Mißgefhid ihrem Glüd in die Arme geflihrt wird, daß bildet den 
Inhalt des Romans, der namentlich jüngeren Lejerinnen gefallen wird. 

Doffiiche Zeitung, Berlin. - 

FR Aoman von Hedwig Erlin (Hedwig Gräfin 
Die Erite Beite. von Platen zu Hallermund). Geheftet M. 3.60, 

elegant gebunden M. 4.60. 

Der Roman ift fefjelnd und fpannend geichrieben und glüdlich durch» 

eführt. Die drei Hauptperfonen find gut gezeichnet, trefflich bejfonders „Die 
Erfte Beſte“ felbft, deren Art und Wejen den Leſer ſympathiſch berührt. 
Ein Roman, der vielen Freude bereiten wird. Staatsanzeiger, Stuttgart. 


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Turmichwalben. Gevenet M.3.—, elegant gebunden M. 4.— 
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zum Laden, zur Heiterkeit geführt werden. Bamburger Gorrefpondent. 


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Sei jo wie ich. Geheftet M. 4&.—, elegant gebunden M.5.— 

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3 1951 DO1 241 939 D 


WILSON 
ANNEX