ii
= — D 1808 — =
Ijy to 2
= .....
1} —
K
2 i L
8 J [7
—— F ie u
— — —
* « — — 4
£ — — 4-72 “rm
s di
f} a3.»
Mr =
* * — —
Pe Te —
il
ee — —
——— — —
J
* ES. EEE — — 7 (|
x 4 = nn 2)
s, h |
»°. == — —
—
er 2
—
mn E:
iR —
.
—
ZZ u .-
— —— td.
‘
— Sn .
A nf
N. * —
.
.-
⸗
Inſerate in der Sibliothet der Unterhaltung und des Wiffens” haben infolge
ſachgemäßer Derbreitung in allen Schichten der Bevölkerung dauernde
Wirkungskraft. Wegen der Injertionspreije, insbejondere der Preije für Vorzugsfeiten,
wende man ſich an die Anzeigengejchäftsjtelle der „Bibliothek der Unterhaltung und des
Wiſſens“ in Berlin SW. 61, Blücherjtraße 31. +66449099994069999009000600090999
HAUSFRAUEN “nsiae
1 Ä gründliche,
appetitliche und allen sanitären Anforderungen entsprechende
Reinigung von Haus- u. Küchengeräten
Wert legen, werden gebeten einen Versuch mit
zu az, ®
EIN ERSTKLASSIGES HYGIENISCHES
REINIGUNGSMITTEL
FÜR KÜCHE UND HAUS.
‘ Leichte, flotte Arbeit. — Weitgehendste Verwendbarkeit. —
Größte Schonung der Hände. — Kein Angreifen der Haut
wie bei Soda, Schmierseife und dergleichen. — Vollständige
Geruchlosigkeit der Gegenstände nach der Reinigung.
8 A PONI A reinigt rasch und leicht fettige und
beschmutzte Gegenstände aus Metall,
‘ Email, Marmor, Holz, Glas, Porzellan usw., wie Küchen-
geschirre, Badewannen, Fenster, Türen, Linoleum, Wasch-
| | geschirre, Klosette etc.
Zu haben in Drogerien, Kolonialwaren-, Seifen- und Haushaltungsgeschäften.
Proben versenden auf Wunsch gratis und franko
SAPONIA-WERKE Offenbach a.M.
an; un — —
Deue Romane beliebter Autoren:
Militärijch » ifti R .b,
srünlein Fühnrich. —ãA— ent
Heilemann. Gebeftet 4 Mart, elegant gebunden 5 Mart.
das Rütfel Der Liebe. aaten Zach unser 2 ae ee
R Adol ibrandt. © 3 Marf, el
Hiddenſee. eunden sonen Witbrandt. Geheftei 3 Dart, elegant
dns Rütfel von Kronfeld. Farcı zo" Sera Sertwie:, (enmı
gebunden 5 Mark.
Neueſter R - Seinburg. 6. Auflage.
samilie Lorenz. Gehehter 3 Diart, ee ni
‘ 1 Novelt s i 25
Die Iuftige Fruu Regine. — — a My
Her Stärfere Roman von W. Heimburg. 4. Auflage. Geheftet 3 Mart,
+ elegant gebunden 4 Marf.
R G twig. 2. Auflage. ⸗
der blaue diumunt. en uureatg Hedtpigee Muftnge. Ge
Au? NR & twig. 2. Auflage,
Bär’ id geblieben doch! Ss umısonre Sartmie, = Muttage.
6j m Roman von E. Werner. 3. Auflage. Gebejtet 3 Mart,
eg N + elegant gebunden 4 Mark.
Gräfin 6ibylles Heirmt. rar Sr Stine). Yeszheimb
Geheftet 3 Mark 50 Pf., elegant gebunden 4 Mark 50 Bi.
di 6 t 9 ſte Roman von Hedwig Erlin. Geheftet 3 Dart 50 Pf.,
e f e e + elegant gebunden 4 Mark 50 Bi.
Roman von Wilhelm Poeck. Geheftet 4 Mart,
Sintendes Land. elegant gebunden A en *
. . . ' il N ck.
Zurmſchwulben. Fgetucthetezunhen Phldeln Voeg. Gehener
* i l. t k, l
Sei jo wie ich. Tara, zer S, son Bippel. Geheftet 4 Mart, elegant
R Guftav Johs. K . Geheftet 4 r
sata Morgang, aan zecnacne Mods. Kraut. Gebeſtet 4 Mart,
NR (dui ou .6G 4 50 Pf.,
der Baquero. eTegam a ie eheftet 4 Marl 50 Pf
Unter Shwwarzivnldtannen. 3’Srsrt"eiegenınemunen daraet
Stumme Diufilanten. ciesan: geounsene mat Gebeſtet 3 Mark,
Melde von Beiden? Sehen oma en 1 Swei Wände,
R Iheid Weber. Gebeitet 3 Mart
Sadine Burner. elegant sa Ra — eheftet 3 Mark,
Zu haben in allen Buchhandlungen.
er I —— —
Bibliothek
der Unterhaltung
und des Wiſſ ens
Be
—
5Srobe
& 2 |
Zu der Erzählung „Die glüdlihe Stunde“ von Otto Behrend,
(©. 18)
Originalzeihnung von 9, Grobet,
ibliothek ·—
der Unterhaltung
und des Wiffens-
mit
Originalbeiträgen
der hervorragendften
Schriftfteller und Gelehrten
fowie zahlreichen
Illuſtrationen
2
Jahrgang 1912 + Siebenter Band
Union Deutfhe Verlagsgefellfchaft
Stuttgart + Berlin + Leipzig
Twin Cities Campus
Druck der
Union Deutfhe
Verlagsgefellfhaft
in Stuttgart
meeLıı
Inhalts - Verzeichnis.
*
Seite
Die glückliche Stunde.
Erzählung aus dem alten Bompeji. Bon Dtto
Behrend. Mit Bildern von 9. Grobet STE er >
Der Makel. |
Roman von Friedrih Zacobfen (Fortfegung) - - - 26
Optifhe Feuerwehrfignale. |
Bon Loth. Brentendorff. Mit 10 Bildern. . . - 86
Die tragifche Note.
Novellette von Rlara Blüthgen . . - . 908
Der gerichtliche Zweikampf im Mittelalter.
Bon Wilhelm Fiſcher. Mit 13 Bildern nah Ori— |
gndlen 2 2 een. 11
Ein Ehrenwort.
Novelle von R. Ortmaın 2 2 een. 148
Aus dem Wellengrabe.
Don W. H. Geinbore. Mit 8 Bildern 6
Die Hauskatze und ihre Spielarten.
Yon Eh. Seelmann. Mit 9 Bildern.. 193
Mannigfaltiges:
Ein berühmter Spionagefall...203
Die Reifggelte der Beni Mgab . » 0 en. 208
Mit Bild,
Ein fparfamer König. 2099
Würmer als Berlenfabritanten . © 0... 21
Snhalts-Derzeichnis. a
= Seite
Meritanishe Präfidenten . » » .. 0000 ..212
Mann oder Weib? . 2 2 2 2 mn 2 2 2 2 2 916
Mit 2 Biltern.
Der erfte Bettler auf der Greifswalder Die . . . 219
Wie der Rinematograph erfunden wurde . . . . 220
Die Wahrheit über Freund Lampe . . 2 2... 222
Eine Raupenplage im Winter . 2 2 2 2 2020..225
Reipirator „Lungenheil“ . 2 2 2 en nenn 226
Mit Bild.
Eine folgenfhwere Obrfeice . -» 2 2 202020. %7
Sonnenmafdinen . > 2 2 2 een nenn 229
Bismarderinnerungen © > 2 2 2 2 nn nn. VB
Die toh die Zeit vergeht! . . . . . 231
Eine Tiroler Gemeinde im peruanifchen Sodlande . 234
Gutenbergs Werlitatt . » > 2 22 nn nn. 234
Mit Bild.
Der Lebte vom Bzrufe feiner Bäter . 2. . . 236
Schreibe leſerlich! . . .
Zn griechiſchen Räuberhänden Gr — —— 253
Rampf zwifchen einem Gorilla und einer Bulldogge 259
Eine Antwort in Sablen . . 2 2 2 nenn. 240
\
—
Die glückliche Stunde.
Erzählung aus dem alten Pompeji. Don Otto Behrend.
mit Bildern y
von 5. Grobet. | Machoruck verboten.)
m Grabmal des Ädilen Terentius Felix außerhalb
des Herkulaner Tores trafen fie ſich. Nicht oft,
denn es war nicht leicht für fie, fih zu gleicher Zeit
einige freie Minuten zu verfhaffen. Aber wenn fie
fih trafen, dann war es ein Herzen und Küffen, ein
Plaudern, bald ernit, bald heiter, wie es die Art junger,
lebensfreudiger Menfchentinder ift, die fich lieben.
Sie waren beide arme Sklaven, und dod macten
fie ſich glüdlibe Pläne für die Zukunft. Miccios
Herr, Vibrius Saturninus, war Beſitzer einer großen,
gutgebenden Tuchwalkerei, der junge Miccio einer
feiner gejchidteften Arbeiter, der bisweilen ſchon mit
der Beauflihtigung im Walkraum betraut wurde.
am Scherzimmer arbeitete auch Blotilla, Die
von ihrer Herrin, einer alten Witwe, auf Lohn ge-
Ihidt wurde, Wenn es Miccio möglich war, machte
er fihb im Scherraum einen Augenblid zu fchaffen,
um mit PBlotilla einen Gruß zu wechſeln oder fie
wenigjtens zu fehen. Aber er mußte vorfichtig fein,
denn Saturninus liebte es nicht, wenn Unnötiges
bei der Arbeit gefprochen wurde oder er gar Liebeleien
bemeilte. „Dabei wird nichts fertig — arbeiten,
6 Die glüdlihe Stunde. e)
arbeiten!“ war feine ftändige Mahnung. Er war
nicht gerade hart, aber oft mürrifcher Laune.
„Plotilla, mein Seelden!“
Das hübfche, kräftige Mädchen flog in die aus-
gejtredten Arme des Geliebten.
„Ich warte fchon fo lange,“ fuhr er fort, „ich fürchtete
Ihon, du kämſt gar nicht mehr.“
Er 309g die feinen Naden Umtlammernde in den
Schatten des Grabmals und ftrich ihr das fchwarze
Haar aus der feuhten Stirn,
„ab mußte fo fjchredlih laufen, Miccio. Die
Herrin hatte fo viel Arbeit für mich, als ih nah Haufe
fam, Ich verzweifelte [hon daran, überhaupt weg-
zutommen. Das hätte ih aber nicht ertragen. — Ob,
wie fehne ich mich immer nad dir!“
Sie drängte Miccio zum Sitzen auf die fteinerne
Einfaffung des Grabmals und hufchte auf feinen Schoß.
Sie barg ihren Ropf an feiner Bruft. „Mein Miccio
— mein lieber Miccio !“
„Tilla, Zilla — ob, wie ih dich liebe!“ Er bog
ihren Ropf zurüd und küßte fie auf den Mund. Dann
ab er ihr in die Augen.
Da fchoffen ihr helle Tränen hervor, und nun
richtete er ihren Ropf ganz auf und legte den Arm
um ihre Schultern.
„Höre mir zu,“ ſprach er und erzählte ihr, was er
ihr Schon fo oft erzählt hatte, Saturninus müſſe zur
alter Ceja gehen und Plotilla kaufen. Er, Miccio,
babe Sie ihm ſchon als geichidte Arbeiterin gelobt —
und wenn fie dann demjelben Herrn gehörten, fei ſchon
viel gewonnen. Dann werde er eine Gelegenheit
abpaffen — er jtehe ja in der Gunſt feines Herrn —
0 Erzählung von Otto Behrend. 7
und bitten, ob er fie heiraten dürfe. Und dann ſei ja
alles nur Glüd und Wonne, und fie wollten auch
ſchaffen, jedes für zehn, und vielleicht fünnten fie fich
fürs Alter noch einmal die Freiheit erdienen durch
bejondere Hingebung, Arbeitjamfeit und Treue, Und
wenn auch das nicht, es fei Doch jchon des Glüdes
genug, wenn fie fich, der gleichen Sttavenfamilie
angebörend, beiraten könnten.
„And wie ich Dich,“ ſchloß er, „jett bier ſehe, füße
Tilla, dein fchwarzes Haar, deine Augen wie die Nacht,
deine roten Lippen, die Zähne gleich Perlen, dein
8 Die glüdlihe Stunde. 0
Lächeln — ſieh nur, da lächelſt du fhon wieder — das
Grübchen im Rinn, deine weißen Arme — o mein Seel-
chen, fo will ich Dich immer feben, jeden Tag, bis unfer
Haar grau ift und wir auf ein glüdliches Leben zurüd-
jhauen. Glaube mir, unfere glüdlihe Stunde kommt.“
Das Mädchen hatte ſich beruhigt. „Ja, Miccio, ich
will mich gedulden,“ fagte fie vor ſich bin nidend.
„Die glüdlide Stunde muß ja fommen Ich will
warten, Ich werde den Göttern Blumen bringen,
daß fie uns hold find.“
Bald waren fie wieder ganz fröhlich ms BAQUDEREEN
weiter von der Zukunft.
„Es wird Beit, Zilla,“ mahnte endlich der junge
Sklave Sich erbebend; „wir dürfen uns nicht ver-
fäumen.“ |
Mit herzlidem Ruß nahmen fie Abjchied vonein-
ander. Dann eilte Blotilla davon, noch oftmals zu-
rüdblidend und wintend.
Miccio ſah ihr nach, folange er konnte,
Ach, gar viele Wenn mußten noch erfüllt werden,
bis Miccio und Blotilla zur heißerſehnten Vollendung
ihres Glüdes gelangen konnten. |
Aber Fortuna ſchien ihnen zu lächeln. Der Tuch—
walter Saturninus vergrößerte feinen Betrieb, und da
ſtand er fich beiler, wenn er noch mehr Sklaven und
Sflavinnen antaufte, als folche nur für Lohn beichäftigte.
Miccio benüßte die Gelegenheit und bradte Plotilla
in Vorſchlag.
Saturninus bieß ihn fie berbeiholen. Er kannte
ihren Namen zwar aus den Rechnungstafeln, hatte
aber noch nicht weiter auf fie geachtet,
In begreifliher Erregung, zitternd in Hoffnung
und Bangen, führte Miccio die Geliebte in die Schreib-
tube des Herrn.
DO Erzählung von Otto Behrend. 9
Diefer mujterte das blühende, kräftige Mädchen
mit einem langen Blide.
„Du gebörft der Witwe Ceja?“
——
„Sawohl, Herr.“
„Wie lange arbeitejt du ſchon bei mir?“
„Mehr als ein Jahr.“
„Miccio lobt Dich als arbeitfam und anftellig. Du
Icheinit gefund und fräftig. Ich beabfichtige dich zu
faufen.“
„DO Herr —“ im ſeligſten Entzüden warf Plotilla
[0 Die glüdlihe Stunde. a
jib vor Saturninus nieder und küßte den Saum
feines Gewandes. ans j |
„Steb auf!“ befabl er lãchelnd. „Glaubſt du, daß
deine Herrin dich verkaufen wird?“
„Ich glaube es, Herr.“
Saturninus ſah das Pärchen forſchend an, bemerkte
auch wohl Miccios in zitternder Erregung glühende
Wangen. „Liebeleien aber gibt's nicht, das merkt
euch,“ ſprach er, „da kenne ich feine Nachſicht.“
. Diefe Worte waren ein Dämpfer auf die Freude
der Liebenden, doch alles trat zurüd vor der erjten
wichtigjten Frage des Raufes.
Diefe löfte fich günftig, denn in den nächften Tagen
ſchon wurde der Handel abgeichlojfen. Billig erhielt
Saturninus die neue Sklavin nicht, aber es ar
dafür auch eine gute Arbeitskraft in ihr. |
Für Miccio und PBlotilla begann, trogdem fie die
erite Stufe zu ihrem Glüd erjtiegen hatten, doch eine
ſchwerere Zeit als früher. Sie fahen und fpracen fich
zwar Öfter außer der. Arbeitszeit, da fie nun zu einer
Familie gehörten, gemeinfame Mahlzeiten hatten und
im gleichen Haufe wohnten, aber da gab es hödhitens
einen Händedrud, einen verjtohlenen Ruß — fie mußten
ſehr auf ihrer Hut fein. Am Grabmal des Terentius
trafen fie fih nur noch fehr felten, da es fchwer für
fie war, zu gleicher Zeit Ausgang zu erhalten. Gie
durften den Auffeher nicht mißtrauifch machen,
Aber fie harrten in Geduld, und am Tage nad) den
Saturnalien, wo die Sklaven fich einmal den Anſchein
der Herren geben durften, faßte Miccio noch im Froh—
gefühl der kurzen Ungebundenheit ſich ein Herz, den
Herrn zu fragen, ob er Plotilla heiraten dürfe.
Der Herr war an den Öaturnalien immer fehr
gnädig gewefen, das hatte ihm Mut gemacht.
0 Erzählung von Otto Behrend. 11
Saturninus ſah ihn Scharf an und überlegte, „Schon
vier Sklavenkinder laufen mir herum,“ fagte er. „Es
wird mir zu viel. Doch wenn die jüngften zur erjten
Arbeit fähig find, dann mag’s fein. — 0 in so
Zahren etwa, denke ich.“
Damit war Miccio entlaffen. Es war ziwar durchaus
nicht die erfehnte Entfcheidung, denn zwei Jahre find
eine gar ſchmerzliche Zrift für ein junges liebendes
Paar. Uber ein klares Ziel ftand doch nun vor ihnen,
So jubelte er, als er PBlotilla die Antwort des Herrn
mitteilte, Er fam erſt am Abend dazu, kurz vor der
Sclafenszeit.
PBlotilla hörte nur — zwei Zahre. Sie ließ fich auf
einen Säulenvorfprung nieder, frampfte die Hände
im Schoß zufammen und weinte, Zwei Jahre. Wie
follte fie das noch ertragen, täglich, ftündlich fo nahe
dem Geliebten.
Miccio ſchlich fih hinweg, um nicht mit ihr betroffen
zu werden. Unſagbar fchwer war fein Herz geworden.
Plotilla weinte die ganze Nacht auf ihrem Lager,
auch Micciv lag ſchlaflos. Mit Bangen blidte er in
die Zukunft.
Als anderen Tages die helle Sonne lachte, ward
Plotilla ruhiger, und ihr Entſchluß ftand feft, geduldig
zu harren, ohne dem Geliebten das Herz zu bedrüden.
Miccio freute fi, als er fie jo gelaſſen ſah und fie ihm
unter berzlibem Händedrud klar ins Auge blidte und
fagte: „Wir warten — auch zwei Zahre vergehen.“
Geduldig harrten fortan die Liebenden; erſt zäbl-
ten fie die Monate, dann die Deladen, dann Die
Tage.
„Noch einundvierzig Tage!“ Miccio eines
[2 " Die glüdlide Stunde. a)
Morgens, als er an die Arbeit ging, zu Plotilla und
trieb fich glüdlich die Hände.
Noch einunddreißig Tage wollten fie warten, dann
wollte Miccio den Herrn an fein Verſprechen erinnern,
Zentula, das jüngſte Sklavenkind, war dann fieben
Zahre alt, fie leitete ſchon feit einiger Zeit leichtere
Dienfte in der Küche.
„Bit du nicht glüdlih, Tilla? Nur noch einund-
vierzig Tage! Und heute mittag iſt ſchon wieder ein
halber vorüber. — Doch was haft du, was blidit du
jo ängitlich?“
„Briscus,“ flüfterte das Mädchen, fich fcheu um-
ſehend. |
„Das ift’s mit ihm?“
„Er wird es nicht erlauben — id) fühle es. Er ift
dir nicht wohlgefinnt.“
Alles Blut erftarrte Miccio im Herzen; wie betäubt
itand er, regungslos Plotilla neben ibm.
Das zweite Zeichen ertönte und fchredte fie auf —
es war höchſte Zeit, an die Arbeit zu geben.
Sehr langjam nur arbeitete der font jo rührige
Miccio heute. Schwere Gedanten bewegten ihn,
wie Bergeslaft lag es ihm auf dem Herzen. „Priscus
wird es nicht erlauben,“ hatte Blotilla gefagt. Zimmer
und immer wieder hallten diefe Worte in ihm auf,
dunkel wurde es ibm oft vor den Augen, und ftechenden
Schmerz fühlte er in den Schläfen. „Priscus wird
es nicht erlauben!“
Menn das keine Täufhung war — und Plotilla
lab Icharf, das wußte er, dann — er konnte es nicht
ausdenfen — dann war alles verloren, Seine Fäufte
ballten ſich, krampfhaft bohrten fih die Nägel ins
Fleiſch.
Priscus war der Neffe des Saturninus, ſeit kurzem
DO Erzählung von Otto eu: 13
als Zeilhaber in die Walterei. aufgenommen, ein
berrifcher, finfterer Mann. |
„Biſt du krank, Miccio?“ fragte der Auffeber, ber
dem fonit ſtets fo eifrigen Sklaven gutgefinnt war.
„Mir Schwindelt es fp im Ropf —
„Wirſt dich geftern. bei dem Regenguß erfältet
haben — gebt ſchon vorüber.“
Der Aufſeher wandte fich wieder ab.
„Briscus wird es nicht erlauben!“
Nah und nah rang fih ein klarerer Gedanke in
des unglüdlihen Miccivs Hirn frei. Saturninus, der
Herr, war, wenn auch ernft und ftreng, jo Doch immer
gütig gegen ihn geweſen. An ihn mußte er fichb wenden
— glei, heute noch, ohne Verzug. DVielleiht gab es
bei ihm noch Rettung.
Gleich nad der Arbeit vor dem Mittagsmahl ließ
er fich bei ihm melden.
Zange dauerte es, bis der Vielbeſchäftigte vom
Schreibtiſch aufſah. |
Zitternd ſtand Miccio, Falter Schweiß lief ihm am
Körper nieder.
„Ras willft du?“
„Herr —“ ihm blieb das Wort in der Reble fteden.
„Las foll das Geſtammel?“ |
„Herr — du hatteſt die Gnade — du ſagteſt — ich
dürfte die Plotilla heiraten, wenn das jüngfte Sklaven-
find arbeiten könne. Schon viel hilft bie kleine Lentula
in der Küche.“
Saturninus batte nur halb hingebört, denn er
hatte andere Dinge im Kopf. Erſt allmählich kamen
ihm die Worte Miccios zum Verftändnis.
„Alſo das habe ich gefagt? Zch erinnere mich
nicht —
„Töte mich, o Herr, wenn ich lüge,“
14 Die glüdlihe Stunde. 0
„Nur langjam, Miccio“ — Saturninus lächelte —
„ich glaube dir ſchon, und ich werde einmal mit meinem
Neffen Priscus fprechen, wie der darüber denkt. Sch
habe fchließ-
lich nichts da-
gegen, wenn
du jeßt Die
Plotilla bei-
tatejt.“
„Dank, o
Herr, Dank!“
Am über—
quellenden Gefühl warf ſich der Sklave zu den Füßen
jeines Herrn nieder, |
In diefem Augenblid trat Priscus ein, der Neffe,
ein ftattlicher junger Mann, eine große Schreibtafel
oO Erzählung von Otto Behrend. 15
in der Hand. Er [hob den vor feinem Oheim liegenden
Stlaven mit dem Zuß beifeite, ohne ihn weiter zu
beachten. „Zch habe mir noch einmal genau vor-
meſſen laffen, Oheim — fieh bier. Oder haft du
mit dem da noch was zu fprehen?“ Er wies auf den
Sklaven. |
„Dein, du kannit gehen, Micciv. Es ijt weiter
nichts, er hat mich nur gebeten, die Plotilla heiraten
zu Dürfen.“
Miccio erhob ſich taumelnd, Furchtbare Angſt hatte
ihn wieder beim Eintritt des Priscus gepadt. Doch
an wortlofen Gehorfam gewöhnt, war er im Begriff
fih zu entfernen, als ihn Priscus anrief.
„Was — die Plotilla willft du heiraten, die aus
dem Scherzimmer? Biſt wohl von Sinnen — das
hübſche Ding und fo ein fchwarzes Tier wie du! Da
wird nichts draus. Das macht fie zum Arbeiten nicht
flinker. — Was ſtehſt du noch?“ herrſchte er den un-
glüdlihen Sklaven an, „Haft du feine Ohren — es
wird nichts draus. Und nun pade dic endlich!“
Seiner Sinne faum mädtig, wankte Miccio hinaus.
Die ihn draußen fahen, entfeßten fih über fein aſch—
fahles Gefiht. Wie ein Betrunkener ſchwankte er.
„3b bin krank — laßt mich, laßt mich — ich) bin
frant,“ preßte er zwilchen den Zähnen hervor, fchleppte
fih in den Schlafraum und warf fi nieder. —
Saturninus hatte fein Wort gejagt, denn er ftand
unter dem Einfluß feines Neffen. Der wollte nicht,
und da konnte eben die Sache nicht mehr in Frage
tommen.
Und doch fiel ihm nachmittags, als er durch Die
Arbeitsräume fchritt, Miccivos fahles Ausfehen auf,
der verftörte Blid, den er ihm entgegentichtete.
Saturninus war gütig. „Miccio,“ fprach er, „ge-
16 Die glüdlihe Stunde. D
dulde dich. Mein Neffe ändert mit der Zeit vielleicht
jeine Meinung.“
Miccio, der im Walkkeſſel ftampfend bin und ber
trat, bielt inne, als der Herr ihn antedete. „Ich
dante Dir, Herr,“ ſprach er jegt nach alter Gewohnheit
vom eriten Rindeslallen an. Doc tonlos flang es.
Saturninus ging weiter. Gleihmäßig jtampfte
der Sklave wieder hin und ber.
Abends warfen ſich Miccio und Plotilla nad
flüchtiger DVerftändigung vor Priscus nieder. Ein
wenig Hoffnung lebte doch noch in ihnen.
„Das wollt ihr?“ berrihte Priscus fie an.
„Gnade, Herr!“
„Ab, ihr feid’s, die ihr euch heiraten wollt! Das
gibt’s nicht, ſchlagt eud) das nur aus dem Sinn. — Weg,
du Wicht“ — er ftieß den jammernden Miccio mit dem
Fuß ins Geſicht — „laß meine Toga los! Und wenn denn
durchaus gebeiratet fein muß, Mädchen, fuhe ich Dir
einen hübſcheren Kerl aus als den ſchwarzen Molch
da. Für den bift du zu gut, fo ein reizendes Ping, das
wahrlidy eber den Ruß eines römishen Bürgers ver-
diente.“
Lachend hob er ihr das Rinn und füßte fie auf de
Mund. "
Das war zu viel für Miccio, Schwarze Wellen ſchoſſen
ihm über die Augen, feiner felbjt nicht mehr mädtig,
ſprang er auf und padte Priscus an der Schulter.
Doch nur ein kurzer wahnjinniger Griff war es,
dann ließ er ab, felbit entjeßt über das Ungebeuerliche
feines Beginnens,
Mie Gewitterfhwüle lag es über dem Haufe des
Saturninus, Ein Sklave hatte die Hand gegen feinen
Herrn erhoben!
— Erzählung von Otto Behrend. 17
Die Beitihe in der Fauſt gingen die Auffeber,
zwei Freigelaſſene, umher. Grabesjitille herrfchte in
den Räumen der Sklaven, nur angjtvolles Schleichen,
verftörte Blide — kaum ein Atemzug hörbar.
Das Undenkbare war geſchehen — ein Sklave
hatte die Hand gegen feinen Herrn erhoben!
Noch am Abend wurde im Eleinen Hofe vor den
Fenitern der Schlafräume das Kreuz aufgerichtet. Sie
ſahen es alle mit todesbleihen Gefichtern. Raum einer
Ihloß in der Nacht ein Auge.
Im Reller lag Miccio in Eifen an die Wand ge-
ſchmiedet.
„Erbarmen!“ hatte Plotilla noch einmal zu Priscus
gefleht.
„Er ſtirbt,“ hatte dieſer geantwortet und war kalt
ſeines Weges gegangen, die Sklavin, die ſchluchzend
zuſammenbrach, nicht weiter beachtend.
Kahl und froſtig lag der kleine, von Mauern um—
gebene Hof in der Frühe des Morgens; noch erreichte
ihn die Sonne nicht. Verſammelt ſtand die ganze
Familie der Sklaven, eine Herde bebender AUnglüds-
geſtalten.
Saturninus und Priscus kamen mit den freien
Bewohnern des Hauſes. Auf einen Wink wurde Miccio
hereingeführt, die Hände auf dem Rücken gefeſſelt,
nur einen grauen Schurz um die Hüften. Er ging feſten
Schrittes mutig dem Tod entgegen. Was war der
Tod, was alle Qual, die er erdulden ſollte, gegen die
Qualen der Bernichtung ſeiner ganzen Hoffnung. Er
ging leicht und frei der Erlöfung entgegen — der Schlag,
der ihn getroffen, war zu fchwer, die Nerven lagen wie
eritarrt.
1912, VIL 2
18 Die glüdliche Stunde. 9
Einen ſchnellen Blick ſandte der Verurteilte in die
Runde und atmete auf. Plotilla war nicht zugegen.
Zm tiefſten Schweigen wurde er zum Kreuze
geführt. Dem Sklaven, der die Hand gegen feinen
Herrn erhoben hat, gebührt kein Wort mehr.
Sie durchſchnitten die Zefjeln der Hände und hoben
ihn ans Rreuz. Weit redten fie den linten Arm, dumpfe
Hammerfchläge ertönten, ſcharf fuhr der Nagel durchs
Fleiſch, rinnend tropfte Blut.
Kein Laut entrang ſich der Bruft des Gemarterten,
faft ftrahlend blidte fein Auge zum Himmel.
Ein menſchliches Gefühl padte den finfteren Briscus.
„Halt!“ gebot er plößlich, als gerade der zweite
Nagel an die rechte Hand gejegt wurde *). Sie hielten
inne. Er wandte ſich zu feinem Oheim und flüfterte
mit ihm — eine lange, furdtbare Zeit. Schwer war
die Überredung, denn ein Sklave Bas die Hand gegen
feinen Herrn erhoben.
Wie Grabesfchauern zitterte es über der Schar
der Sklaven. Zeit hielten fehnige Arme den Mann
gegen das Kreuz gedrüdt.
Da trat Saturninus vor, hoch hob er die Hand.
„Löſt den Nagel,“ gebot er, „und bringt den Der-
brecher in den Kerker zurüd. Auf Wunſch meines
Neffen Priscus begnadige ih ihn zum Verkauf in Die
bifpanifchen Bergwerke.“
Ein quellendes Aufatmen im erdrüdenden Schweigen
des Meinen, menjchengefüllten Hofes.
Ein langjamer, fchleihender Tod für die Qual
weniger Stunden, nichts weiter bedeutete es —
und doch ging ein Aufatmen durch die Herzen der
Elenden. — —
*“) Siehe das Titelbild.
[2] Erzählung von Otto Behrend. 19
Fern in Hilpanien lag in einem rauhen Hoctale
der Pyrenäen eine Anjiedlung dürftiger Hütten,
aus denen fih nur ein einziges, feit aus Steinen ge-
fügtes Gebäude hervorhob inmitten riefiger Haufen
aus Srümmergeftein. Verkümmerte Bäume an den
iteinigen Hängen, hartes Gras auf der Zalfohle, in
dem einige magere Maultiere und Ziegen ihre [pärliche
Nahrung fuhten. Schwarz gähnte die Öffnung der
Einfahrt ins Bergwerf,
Dort arbeitete eine Schar von Männern unter
Aufjicht einiger bewaffneter Wächter, das gejchürfte
Geftein fondernd nah der Brauchbarteit. Es waren
ihrer nicht viele, die meiſten fchafften unter der Erde
vom Morgen bis zum Abend in dumpfer, feuchter
Luft, in ewiger Nacht, die nur der kärgliche Schein
der Grubenlichter durchbrach. Ab und zu wurde ein
Wagen holpernd aus dem Schwarzen Schlunde hervor-
gerollt, entladen und wieder vom Schlunde verichlungen.
Rein lautes Wort, kein Lachen bei der Arbeit — ſelbſt
das leichtefte Blut erſtarrte bier.
Nur zweimal im Monat war mehr Leben für einen
Sag. Dann traf um Mittag der lange Wagenzug der
Kärrner ein, die die Erze zur Rüfte hinabbeförderten.
Das war die einzige Verbindung mit der Außenwelt.
Die Rärrner fchlugen ihr Lager auf, und anderen Mit-
tags fuhren die fchwerbepadten, mit vielen Maultieren
beipanriten Wagen auf fnirichenden Rädern wieder
davon, Nur in diefer Zeit hörte man frohe menichliche
Laute, —
Wieder war der Tag da, an dem die Rärrner er-
‘ wartet wurden, Dor einer der Hütten ſaß auf einem
Steinblod ein grauhaariger Mann und mahlte Getreide
auf einer im Boden eingelaffenen Handmühle. Mit
zitternden, unficher taftenden Händen fchüttete er neue
20 Die glüdlihe Stunde. s)
Römer auf, wenn die alten zu Mehl verrieben waren,
gleihmäßig drehte er die ſchwerfällige Rurbel,
Ein rauher Wind ftrich talein, nur wenig wärmte
die Sonne, die in trügeriſchem Gelb auf den Hängen
lag.
Zetzt horchte der Mann auf und ließ die Hand am
Griffe der Rurbel ruhen. „Sie kommen,“ murmelte
Miccio, der einjtmalige kräftige, lebensfrohe Sklave
des Saturninus, und jeßte die Mühle wieder in Gang.
Einförmig bewegten fih Arm und Hand, immer
im Rreife, immer im Kreiſe; aber wer ihn fchärfer
beobachtete, hätte wohl bemerkt, daß ein eigener
Schimmer, ein finnendes, erwartungspolles Lächeln
auf feinem welten Gelichte lag.
Zwanzig Zahre fchwerer täglicher Arbeit unter der
Erde hatten den Mann, der erit wenig über die Mitte
der Dierzig hinaus war, zum kraft- und willenlofen
Greiſe gemadt. Seit anderthalb Zahren drehte er
nun die Mühle Tag für Tag, und nur zweimal im
Monat horchte er auf. „Sie fommen!“ flüfterte er,
und dann lag das eigene Lächeln auf feinem Gefichte,
bis es langjam erlofch, wenn die Wagen aufgefahren
waren und die Rärrner ihr Lager errichtet hatten.
„Sie tommen!“
Da war der Sonnenfhimmer wieder auf den ver-
witterten Zügen, und das Ohr horchte, während der
Arm die Rurbel drehte im Kreife, immer im Reife.
Näher und näher fam das Rnarren der Räder,
das Knirſchen auf dem fteilen, fteinigen Pfade, Die
Maultiere fhnauften, mit Lärm und Gejchrei trieben
die FZubrleute fie an, Nicht ohne Laſt famen fie, denn
mannigfahe Bedürfniffe hatte die Grube.
Da eritieg der erſte Rarren die Anhöhe. Neben
dem Kärrner ſchritt ein rüftiges Weib.
— ________[__________—
OD Erzählung von Otto Behrend. 21
„Dort“ — der Mann wies mit dem Treibjtachel
geradeaus — „dort ſiehſt du ihn figen und die Mühle
drehen Tag um Tag — das ijt nie anders.“
„Dort — der — der Greis?“ fragte das Weib un-
gläubig.
„ga — der iſt's — Miccio, der Sklave aus Bompeji.“
Die ganze Wahrheit hatte der gutmütige Mann
dem Weibe, das ihm gejagt, wen fie bier fuche, noch
nicht verraten.
22 Die glüdlihe Stunde. 0
„Miccio — das ift mein Miccio !“
Plotilla eilte vorwärts in fliegender Haft — weit
voraus den Geipannen.
„Ein leihter Schritt!“ murmelte der Mann an der
Mühle, mit [harfem Ohr horchend. „Ein Weib ijt’s,“
Er hob nicht den Ropf, gleihförmig drehte der Arm,
„Miccio — Miccio! Bilt du es, mein Miccio?“
Sie blieb plößlich ftehen, angjtvoll die Hände erhoben.
„Biſt du es wirklih, Miccio — biſt du es? — Laß mic)
deine Stimme hören, dein Auge fehen! — Bilt du es,
bift du es, mein Miccio?“
Der Arm rubte, der Mann bob den Ropf. „Ich
bin’s, Plotilla — und du biſt es,“ ſprach er langſam,
„ich weiß ja, du würdeſt kommen. Deshalb drehte ich
Tag um Tag die Mühle, ohne zu fterben.“
Eintönig famen die Worte heraus.
„ga, das ift deine Stimme, Miccio, mein Geliebter !“
rief da das Weib, „gebt erkenne ich dich, — Erkennſt
du auch deine Plotilla wieder?“
„Es it deine Stimme —“
„And fonft ertennit du mo nicht. Bin ich fo fehr
verändert?“
„Mein Auge fieht dich nicht — ich bin blind.“
Da ſchluchzte das Weib laut auf und warf ſich vor
dem Manne ins harte Gras nieder,
Don nun an ſaß Plotilla Tag um Tag neben
Miccio, der feine Mühle drehte. . Sie erzählte ihm
ihr Schidjal, und mehr und mehr nahm der Mann
Anteil an ihren Reden, obwohl er. felbit noch fchweig-
fam blieb. Er fand aud ein Lächeln wieder und
trih ihr Disweilen über die Hand.
Sie erzählte ihm, wie es ihr ergangen fei. Priscus
oO Erzählung von Otto Behrend. 23
Te ee
hatte geheiratet, Saturninus war geſtorben, und fie
war als erite Dienerin der jungen Herrin angeſtellt
worden, Treu hatte fie ihre Pfliht getan, und die
Hoffnung, ihren Miccio doch einſt noch wiederzufehen,
war nicht in ihrem Herzen erſtorben. Aber nie durfte
fein Name genannt werden, bei fchwerer Strafe war
es verboten. Gie fparte von Gefchenten, die fie er-
hielt, und jeden Seſterz barg fie in einem im Hofe
vergrabenen Topfe. Sie hoffte ja, fie hoffte. Wie
ihre Hoffnung in Erfüllung gehen folle, wußte fie
freilih nicht — aber fie hoffte. “
Und endlich fam der Tag, da fie mit eigener Lebens-
gefahr die zwei jüngjten Rinder des Priscus vom
Feuertode rettete. Sie durfte fih eine Gnade er-
bitten, jede fei ihr im voraus gewährt. Sie erbat [ich
die Freiheit.
„Ich würde mid freuen, wenn du auch als Frei-
gelaffene in meinem Haufe bliebeft,“ ſagte Priscus.
„Verzeihe, Herr, ich kann nicht.“
„And weshalb nicht?“
„ah muß Miccio fuchen.“
Zum eriten Male wurde der Name im Haufe
wieder genannt.
Priscus ließ es gejhehen. „Wenn er noch lebt,“
fagte er nad) einer Paufe.
„Er lebt — ich fühle es hier,“ Sie legte die Hand
aufs Herz.
Schweigend ftand Priscus lange. „Gebe,“ fagte
er dann, „ich werde dir noch fünftaufend Seſterzien
auszahlen laffen, damit du nicht ohne Mittel bift.“
Dann kam die Erzählung von der Reife übers
Meer, von mondelangem Wandern und Suchen.
PBlotilla fprah mit dem Oberaufjeher, denn fie
wollte Miccio freitaufen. „Dem wird nichts im Wege
24 Die glüdlihe Stunde. 0
itehen,“ ſprach der, „er iſt ja zu feiner rechten Arbeit
mehr tauglich.“
Ein Bote ging ins Tal zum Befiter der Grube.
Er kam mit guter Nachriht zurüd. Auch war der
Preis für den faft unbrauchbaren Effer nicht nennens-
wert.
Das war ein Zubeltag für PBlotilla. Und aud
Miccio lächelte — lächelte zum erjten Male wieder,
Daß ihr vor Freude das Herz fpringen wollte,
„Wir kaufen uns im Tale ein Häuschen, Miccio,“
fagte fie, „und die beiten Biffen follft du haben.“
„ga,“ entgegnete er, „und warte nur, ich werde
auch wieder arbeiten können; habe nur ein Weilchen
Geduld,“
„Arbeiten — nein, Miccio, das ift meine Sache.
Ich bin ja noch rüftig, und unten laffen wir uns zu-
fammengeben, denn wir haben ja die Zreibriefe. Dann
find wir Mann und Frau, und unfer Glüd ift da, wie
wir es fo heiß erfehnt haben am Grabe des Zerentius.“
Miccio nidte vor ſich hin.
Mit den Kärrnern zogen fie zu Tal. Dor dem
Prätor der nächſten Stadt ſchloßen fie den Ehebund.
In einer Herberge mieteten fie fih zunädft ein.
Und nun waren fie Mann und Frau, wie fie es
einittmals fo heiß erſehnt hatten am Grabmal des
Serentius beim Schlagen der jugendheißen Herzen.
Plotilla hatte den Geliebten nah dem Nachtmahle
in das Zimmerchen der Herberge geführt.
Er faß auf dem Rande der Bettitatt. „Plotilla!“
Sie eilte herzu. „Tilla nanntejt du mid einjt —
. mein Seelchen ſagteſt du.“
„Tilla, ja, Zilla, fo fagte ih — und mein Geel-
0 Erzählung von Otto Behrend. 25
hen!“ Er ſchwieg lange. „Und ja,“ fuhr er fort,
„ich ſehe dich wieder, ja, und unverändert biſt du wie
damals, Dein Rabenhaar, die [hwarzen Augen, dein
roter Mund mit den fchimmernden Zähnen, Deine
weißen Arme — und ja, da iſt es: das Grübchen im
Rinn — ich ſehe es, ich fehe alles jo Kar, ganz bit
du wie damals am Grabmal des Terentius.“
Zangjam, in der Erinnerung fuchend und mit der
Hand tajtend brachte der Blinde die Worte heraus.
Leiſe weinend ſtand Plotilla vor ihm.
„And du bift jegt mein Weib!“ murmelte er,
Dann ein langes Schweigen. Wie entgeiftert richtete
der Mann die lichtlofen Augen in die Höhe. Plotilla
war auf einen Stuhl bingefunten, hatte die Arme auf
den Tiſch geworfen und den Mund darauf gepreßt,
damit Miccio ihr heißes, leidenichaftlihes Weinen nicht
höre. Ä a,
Als fie endlich wieder aufblidte, lag Miccio lang
auf dem Lager ausgeftredt.
Er war eingefhlafen in Ruhe und Frieden.
Zeile erhob fie fich und fniete neben ihm nieder,
So rubig fchlief er, fo gleihmäßig atmete feine
Bruft. Die linke Hand lag auf dem Herzen, die Hand
mit der Narbe vom Rreuze. Und er fchien ihr. jegt
friſcher, weniger gealtert.
Und ftilles Glüd zog wieder in fie ein an dem
Sage, den fie fo heiß einit erfehnt hatte am Grab-
mal des Serentius fern in Pompeji.
Die glüdlihe Stunde war doch noch gekommen.
7
%
ae | De Be
Der Matel.
Roman von Frieoͤrich Jacobfen.
($ortfeßung.) : (Nahdrud verboten.)
De Amtsrichter war auf dem Wege nach der
Springmühle. Man kann nicht ſagen, daß es
der angenehmſte Weg ſeines Lebens geweſen wäre,
abgeſehen von dem Unterſchied zwiſchen einer hellen
Weihnachtsſtube und einer dunklen Regennacht. Aber
die Pflicht rief, und ihre Ausübung wurde erleichtert
durch eine kleine Diebslaterne, die Erna in aller Eile
herbeigeſchafft hatte.
„Damit gehe ich immer aus,“ ſagte ſie.
Eichler ſetzte warnend hinzu: „Bisweilen geht die
Laterne auch aus.“
Unterwegs grübelte der Amtsrichter. Um ein Zeita-
ment tonnte es ſich nicht handeln, denn das war vor-
handen; aber vielleicht galt es eine Abänderung oder
einen Nachtrag. Der Protokollführer fehlte zwar, aber
nah den Vorſchriften des Bürgerliden Geſetzbuchs
tonnte der duch zwei Zeugen erjeßt werden. Der
eigene Sohn des Müllers kam dabei als Erbe freilich
nicht in Frage, aber es waren außer ihm noch zwei
Berfonen in der Mühle: der Mahlburfche und die Haus-
bälterin.
Ob das denn wirklid fo dringend war?
Auf Doktor Bergers Diagnofe konnte man fich nicht
0 Roman von Ztriedrid” Zacobfen. 27
abfolut verlaffen; wenn es aber dennoch fchlimm ftand,
dann war der Müller Zahn jedenfalls ein Mann, der
feine Sade in Ordnung hatte und fich nicht vom Tode
überrumpeln ließ.
Aber er ging auch nicht aus wie ein Licht, in das
der Wind hineinbläft.
Molff machte nämlich mit feiner Laterne dieje Er-
fahrung. Sie war plößlich erlojchen, genau jo, wie
der Oberföriter es vorausgejagt hatte, und der Amts-
richter ftand da wie das große Geheimnis, von dem
er vorhin zu Erna geſprochen hatte.
Dann begann er fich zu orientieren. Hinter ihm
lag das finitere Dorf, oben rechts am Waldfaum glimmte
die Heine Lampe aus der Schufterfate, links unten im
Sal das Krankenlicht des Müllers. Alſo mitten durch
ging der Weg.
Dieje Erwägung war fehr natürlich und naheliegend,
aber fie peinigte den Amtsrichter. Er hatte das inſtinktive
Empfinden, daß zwifchen diefen beiden Lichtern noch.
fonft ein Zuſammenhang beitehen müſſe.
Cs war eine Zorheit, es war eine Nachteule, es
war ein Waldgefpenit.
Das Gebell des großen Wolfshundes , den Sich der
Müller hielt, kündigte die Ankunft des fpäten Gaſtes
an. Guſtav kam heraus.
„at es ſchlimm?“ fragte Wolff.
„ach weiß nicht, Herr Amtsrichter, vielleicht hat der
Doktor es erſt ſchlimm gemadt. Aber der Alte bat
eine Unruhe, eine Unruhe — und er will mit Ihnen
allein verhandeln, ich foll nicht dabei fein.“
„Dann ift es doch wohl eine Teſtamentsſache.“
„Was follte es denn fonjt fein, Herr Amtsrichter?
Aber das Teſtament ift längſt gemacht, und die Ver-
bältniffe liegen ja fo einfach.“
23 Der Makel. o
Wenn fie aud gedämpft [prachen, ſo war ihre
Stimme dod) vom Flur aus duch) die Stube und bis
an das Bett des Müllers gedrungen. Man börte ihn
mit dem Gehſtock klopfen, den er feit der Rrantheit
am Ropfende feines Bettes ſtehen hatte.
„Qun wird er fchon ungeduldig,“ fagte Guſtav be-
trübt, „Das ift alles erſt in der lebten Zeit gekommen
— feit dem Schwurgericht oder da herum; aber das.
Schwurgericht kann doch nicht die Schuld daran tragen.“
Molff erfchrat, als er den Müller fab. Pas war
ein Mann, der allerdings an einer Rrantbeit litt, aber
Kräfte ſchienen noch vorhanden zu fein, denn er fuchtelte
mit dem fchweren Eichenftod und ſchlug damit gegen die
Wand.
Die Krankheit lag mehr in den Augen. Der Richter
hatte darin einige Erfahrung, und er beichloß, ſehr por-
fichtig zu fein.
Denn bei lettwilligen Verfügungen muß die Ge⸗
ſundheit des Geiſtes amtlich bekundet werden. Er ſetzte
ſich daher neben das Bett und begann eines jener all-
gemeinen Gefpräche, die nichts weiter als eine Sonde
ſind.
Aber er kam damit ſchlecht an. „Sie denken wohl,
daß ich nicht bei Sinnen bin, Herr Amtsrichter?“ rief
der Müller. „Matthäi am lebten kann es bei mit fein,
das hat der Doktor wenigftens angedeutet, aber jolange
.der Zahn die Augen offen hat, weiß er auch, was er
tut, Dafür follten Sie mich fennen, Herr Amtsrichter.“
„Cs gibt auh Stimmungen,“ lenkte Wolff ein.
„Man iſt unruhig oder man ſieht eine Sache zu fchwarz.
Wenn aber das Gericht zur Stelle ift, dann follen dig
Gedanten fo Ear und ftille fein wie das Wafler von
einem Teich.“
Der Müller hob ein wenig den Kopf. „Hören Sie
oO Roman von Friedrich Zacobfen. 29
nur den Springbach, wie der raufcht! Das fommt da-
von, weil er zu Tal gebt. Alles Leben ift unruhig,
Herr Amtsrichter, wenn es fällt. Ich will mein Teſta—
ment macden.“
„Das liegt Doch fchon bei dem Amt, Herr Zahn.“
„Weiß ih. Man kann aud abändern. ZH will
einen Nachtrag zu Protokoll geben.“
„Dazu müffen wir zwei Seugen haben, denn ein
Gerichtſchreiber ift nicht zur Stelle. Iſt Ihr Gefinde
daheim?“
„Uber folhe Sache hängt man doch feinem Dienit-
boten auf!“
„Ganz gewiß nicht, Herr Zahn. Sie können den
Nachtrag auch felbft Schreiben — mit Angabe von Ort
und Sag und mit Fhrer eigenhändigen AUnterjchrift.“
„So — kann ich das? Das habe ih nicht gewußt,
fonit hätte ich Sie nicht bemüht, Mit dem Schreiben
wird es wohl noch geben.“
„Aber,“ fagte Wolff, von einer plößlihen Ahnung
ergriffen, „der Inhalt des Schriftitüds darf auch nicht
gegen die Geſetze fein.“
„Natürli, Herr Amtsrichter, Die Gejeße find immer
heilig. Uber — da Sie nun einmal bier find — es .
wird wohl nicht gegen die Gejeße fein, wenn ich meinen
Sohn enterbe — jelbitverftändlih nur für den Fall,
daß er die Tochter des Schufters da oben heiratet.“
Da war der Zufammenhang zwilchen den beiden
Lichtern, nah dem der Richter gefucht hatte, als fein
eigenes Licht erlofh. Und der Zufammenhang war
tar, Die Leute redeten ja davon, daß Guſtav und
Annemarie zueinander hielten, und auf dem Vater des
Mädchens haftete noch ein Verdacht.
Ein Familienftüd aus dem fozialen Leben, wenn
auch noch feine Tragödie.
30 Der Matlel. a
„Das ift aber gegen die Gejete,“ ſagte Wolff.
Da fuhr der Müller auf. „Wer hat das Recht, ſich
zwilchen mid) und meinen Sohn zu ftellen?“
„Die Natur, Herr Zahn. Das Gejeh geht auf ihren
Wegen. Der Dater kann feinen Sohn nur enterben
wegen Lebensnadftellung, Mißhandlung, Verbrechen,
Verlegung der Alimentationspfliht oder ebrlofen
Zebenswandels. Sn feine Liebe kann er nicht hinein-
greifen.“ Ä
„Auch nicht, wenn die Liebe ehrlos ift?“ fragte der
Müller leife.
„Sie ift es nicht, Herr Zahn.“
An der eintretenden Stille hörte man ein Läuten
vom Dorfe dumpf und fchwer durch die NRegenluft.
Chriſtnacht.
Und der Richter ſagte etwas von der Größe und
Heiligkeit der Liebe.
„ga, ja,“ entgegnete Zahn, „das iſt alles ſchön und
gut. Es ift nur eines dabei, Herr Amtsrichter: jedes
Ding hat feine Urfahe. Alſo mit dem Nachtrag zum
Teſtament ilt es nihts? Dann will ich Sie au nicht
länger aufhalten.“
Wolff ging. Er konnte feine Laterne nicht wieder
zum Brennen bringen, und Suftap, der draußen wartete,
beitand darauf, ihn zu begleiten.
„Nur bis an die Landitraße, Herr Amtsrichter,“
lagte er. „Der Fußweg gebt dicht am Springbad) ent-
lang, und bei der Duntelbeit fönnten Sie verunglüden.“
Das nahm Wolff mit Dank an und meinte, daß
es mit dem Alten da drinnen noch nicht jo ſchlimm ſtehe.
Der Müller rappelte fih auf. Das Geipräd mit
Wolff ſchien ihn mehr angeregt als aufgeregt zu haben.
Oo Roinan von Friedrid Zacobjen. 31
Er tleidete fi ziemlich vollftändig an und ging in die
anſtoßende Wohnſtube. Dort brannte die Lampe, und
die Wanduhr zeigte auf halb gehn. Das Läuten vom
Dorfe hörte gerade auf.
Zahn ſetzte fih an fein Schreibpult und zog die
Platte auf. Der Schweiß lief ihm. dabei über das
Geſicht, aber er biß die Zähne zufammen und kramte
fo lange unter den Papieren, bis ihm ein reiner weißer
Bogen in die Hände fiel.
Den legte er vor fih hin und murmelte: „Ort und
Sag, fo hat er gejagt. Alſo der fommt wohl oben hin.“
Und er fchrieb: „Springmühle bei Gröde, den 24. De-
zember —“
Bei der Jahreszahl rutfchte ihm die Feder aus. Er
feßte noch einmal an, aber es fam nur ein undeutliches
Geſchnörkel heraus, was fein Menjch lefen konnte,
„Cs gebt nicht,“ fagte der Müller, „der Doktor hat
Doch recht, Der Tod ſitzt mir fchon in den Fingern,
und diefe Nacht greift er bis ans Herz.“
Wie zur Beftätigung kam wieder ein Anfall von
Atemnot, Er griff nah der Schelle. Als aber die alte
Haushälterin hereintam, ging es ihm fchon wieder beifer,
und er fagte: „Legen Sie fich nur ins Bett, Frau Welfch,
ih babe nicht gerne, daß man meinetwegen wadt.
Mein Sohn bringt wohl den Herrn Amtsrichter auf
den Weg?“
„Nur bis zur Landſtraße, Herr Zahn.“
„Schön, dann wird er ja bald zurüdtommen. Alfo
ins Bett und tüchtig gejchlafen. Der Burjche liegt wohl
ſchon?“
Die Alte murmelte zwiſchen den zahnloſen Kiefern,
daß man am heiligen Abend nichts Beſſeres tun könnte,
als ſchlafen. Dann ſchlich ſie hinaus.
Und der Müller ſaß vor ſeinem offenen Pult. Er
52 Der Matel. Q
hörte auf das Blätjchern des Negens und auf das
Rauſchen des Mühlbades; als fein Wolfshund hinter
dem Ofen hervorkam und ihm den Ropf u das Rnie
legte, {hob er das Tier von Sid.
Nach einer Weile kehrte Gustav zurüd. Die Haus-
für ging, und der Riegel wurde vorgejchoben; man
hörte im Flur das Hinhängen eines klatſchnaſſen Regen-
mantels.
Dann trat der junge Mann in die Stube,
„Am Gottes willen, Dater, du biſt auf?“
„3a,“ fagte der Alte, „ich. tonnte es im Bett nicht
aushalten, Es regnet wohl noch arg?“
„Nicht mehr fo ſchlimm. Überm Wald wird es heller,
wir kriegen wohl noch ein bißchen Mondfchein.“
„Sp — dann hänge mal die Feniter zu.“
Es war eine Wunderlichkeit vom Alten, Er konnte
fein Mondlicht leiden. Der Sohn tat ihm fchweigend
den Willen,
„un geb mal an die Schlaftammern von der Welich
und dem Rlaus und horcdhe, ob fie fchlafen.“
Das war fchon feltfamer, aber frante Leute haben
- Ihre Zaunen, und der Sohn erfüllte auch diefen Befehl.
Als er in die Stube zurüdtehrte, war der Müller
“nicht mehr vor dem Schreibpult, fondern am Tiſch in
feinem Lebnftuhl, wo er gewöhnlich zu fißen pflegte,
wenn er: las.
„Schlafen fie?“ fragte er.
„za, Dater.“
„So verriegle die Stubentür.“
Die Summe diejer Anordnungen, die alle mit ton-
lofer, aber deutlicher Stimme gegeben wurden, machte
einen unheimlichen Eindrud, und Guſtav war nunmehr
davon überzeugt, daß fich je Dater im Fieberdelirium
befinde.
D Roman von Friedrich Zacobfen. 33
— —
Dennoch wurde es ihm wieder zweifelhaft, als das
Geſicht des Alten ſich ihm plötzlich zuwendete, denn
aus dieſen ehernen Zügen redete ein eiſerner Wille
und eine unbeugſame Entſchloſſenheit.
„Die Zahns find immer klaren Geiſtes geweſen,“
fagte der Müller, „Sie haben ihn bis in die lebte
Stunde des Lebens bewahrt, du darfit nicht von mir
das Gegenteil glauben. Setze dich mir gegenüber und
gib forgfältig acht auf meine Worte — ich habe dafür
Sorge getragen, daß kein Lauſcher in der Nähe iſt.“
Dann fchraubte er die Lampe etwas niedriger und
legte die Arme vor fich auf den Tiſch.
„Wenn ich tot bin, Guſtav, dann willjt du die Tochter
des Schuhmaders Zakob Niemann heiraten — nicht
wahr?“
„Ich bin bereits mit ihr verlobt, Vater,“ entgegnete
der junge Mann feit.
„Das hab’ ih gewußt. Aber aus .diefer Ehe darf
nichts werden.“ |
Guſtav ſah finfter vor fich hin. „Die Leute werden
es freilich nicht gut beißen, Vater, denn die Unfchuld.
Riemanns ift nicht klar bewiefen, er trägt noch immer
einen Makel mit fih herum, Dielleicht kommt fie der-
einft an den Zag, vielleiht auch nit. Sedenfalls
tönnen wir unſer Glüd nicht davon abhängig machen.“
„Cs wird kein Glüd fein, Guſtav!“
„Warum nicht?“
„Weil die Natur dagegen iſt. Das Unglüd diefer
Ehe wird ſo groß fein, daß ich willens war, dich zu
enterben, Aber der Amtsrichter hat mich darüber be-
lehrt, die Gejeße verbieten es, auf diefem Wege ift
nichts zu erreichen. So muß ich den anderen Weg
gehen,“
„Velden, Vater?“
1912. VII. 3
34 Der Matel. D
„Einen fchredlihen. Sieh noch einmal durd) die
Für, dag uns niemand belaufcht.“
Während Guſtav mechaniſch aufitand und nach der
Für fchritt, fchraubte der Müller abermals an der
Zampe, fo daß es faſt duntel im Zimmer wurde, und
dann ſagte er plöglich hinter feinem Sohne drein: „Daß
du es nur weißt: nicht der Riemann hat den Forit-
aufieher erſchoſſen. Ich felber bin’s gewejen. — So,
nun iſt's heraus!“
Das war die Stunde, wo der Regen aufhörte und
ein wenig Mondliht über dem Walde aufging. Wie
ein Spion, der die tiefiten Geheimnifje zu ergründen
itrebt, drängte er fih durch einen vergejjenen Spalt
der Fenitervorhänge und hufchte verftohlen über die
. Diele. Die zu tief niedergefhraubte Lampe aber er-
loſch.
Guſtav war auf einem Stuhl zuſammengebrochen,
und der Stuhl ſtand weit weg von dem Tiſch, wo der
Müller ſaß. Neben der Tür ſtand er, ſo daß die ganze
Breite der Stube zwiſchen den beiden Männern lag.
Zuerſt redete keiner, dann nahm der Alte wieder
das Wort.
„Zawohl, es iſt heraus, und nun kann ich wieder
Atem holen. Aber ich dente doch, daß der Doktor recht
behält. Morgen oder übermorgen ift es aus mit mit,
ich fühle meine Beine nicht mehr. Willjt du mich weiter
anhören?“
Reine Antwort,
Der Müller horchte bin und jebte feine eintönige
Rede fort: „Zotgefchoffen habe alfo ich den Walther,
daran ijt nichts zu ändern. Und das ijt auch weiter
nicht ſchlimm, denn er hatte ſchon auf mid) angelegt,
ih kam ihm nur zuvor. Du mußt nämlidy wiſſen, ich
bin feit Zahren ein heimliher Wilderer, einer von
0 Roman von Friedrich Zacobfen. 35
denen, die nicht jtehlen, fondern nur ſchießen. Einer
von denen, die nicht anders können. Geerbt habe ich’s
nit, es muß eine Rrantheit fein, die aus mir felbft
kam. Es gibt ja fo viele Rrantheiten in der Welt,
Mein Zwilling — na ja, den haben fie jeßt gefunden
und zerbrechen fich darüber den Ropf. Auf mic ift
feiner verfallen.“
Der Müller machte einen Verſuch zum Lachen, aber
der Ton blieb ihm in der Kehle jteden.
Er Sprach weiter mit trodener Stimme: „Alſo in
der Nähe der Schufterkate trafen wir uns auf der
Lichtung, und ich kam zuerft zum Schuß. Er lag tot
vor mir. Das iſt Waldrecht. Was ic dann getan habe,
das war fchlecht, ich ftreite es nicht ab, aber die Ge—
legenheit machte ſich ſo. Nämlich: der Schufter wilderte
auch in jener Nacht, ich hatte’ ihn gejehen, und wenn
er mit dem Walther zufammengeraten wäre, hätte er
auch geſchoſſen. Da ging ich die paar Schritte nach der
Schuſterkate. Das Zeniter ftand auf, und die Ahle lag
auf dem Fenſterbrett. Nun weißt du alles. Es bat
mich gegrauſt, als ih dem Toten noch eins mit der
Ahle verjegte, und hinterdrein ſah ich ein, daß ich eine
Dummheit gemadht hatte, Aber die Dummheit von
dem Ooktor war noch größer, und es fam hinzu, daß
der Walther der Annemarie nachging — und fchließ-
lih hab’ ih auch felber nachgeholfen.“
Abermals .eine Baufe, und das Dorneigen des
Kopfes, und das Laufhen auf eine Antwort,
„3a,“ ſagte der Müller, „es nimmt dich mit, es
hat auch mich mitgenommen. Daß auch immer eins
. aus dem anderen fommen muß! Man könnte darüber
rein den Derftand verlieren. Denn der Meineid war
das Allerfchlimmite, nicht von wegen den drei Fingern,
aber weil der Schufter darüber ins Zuchthaus gelommen
36 Der Makel. o
——
iſt. Die Sache mit der Ahle war zu dumm, die allein
hätte ihm nicht den Hals gebrochen — der Meineid
von einem Ehrenmanne, der tat's.“
Da ging die Tür,
Ganz leije ging fie, und der Müller wußte nicht,
ob jemand kam oder ging. Aber es mußte wohl einer
gegangen fein, denn nun klappte auch die Haustür,
Zahn taftete auf dem Tiſch herum, bis er die Streich-
hölzer gefunden hatte, und dann zündete er die Lampe
wieder an und ſah fih im Zimmer um,
Guſtav war fort, Die Ahr ging auf Mitternacht.
„So,“ fagte der Alte, „nun find wir mit allem fertig,
nun fann es ans GÖterben gehen. In den Beinen
it das Gefühl ſchon weg, bis morgen fteht es am
Herzen.“
Er tajtete und rieb an feinen Schenteln und wurde
allmählich inne, daß ihm die Beine nur vor Schwäche
eingejchlafen waren. Ein wenig Gefühl fam allmählid)
zurüd, und zuletzt konnte er notdürftig aufitehen.
Schwantend, fih an den Wänden feithaltend, fam er
bis in die Rammer und an das Bett, Auskleiden konnte
er fich nit mehr, wie ein Stüd Holz fiel er in die
Kiffen, lag regungslos auf dem Rüden und fah an
die Dede.
Alſo allein und einfam fterben!
Die im Haufe fchliefen und hörten ihn nicht. : Der
Sohn hatte ihn verlajjen. Warum auch nicht? Zins
Grab können wir doch keinen mitnehmen, und das
Gejammer am Sterbelager iſt ſchreclich.
Es wurde dunkel um den Müller.
Dunkler aber war der Weg, den Guſtav ging. Das
bißchen Mondlicht hatte die Chriſtnacht genarrt, es war
Oo Roman von Friedrich Zacobfen. 37
bald wieder hinter diden Wolken verfhwunden, und
aus den Wollen begann es abermals zu regnen,
Mechaniſch, ohne klaren Gedanken ging Gustav vor-
wärts. Der Springbach raufchte neben ihm zu feiner
Linken, daraus ertannte er einzig und allein, daß feine
Füße der Landitrage entgegenfchritten.
Als diefe erreicht war, blieb er fteben. Wohin wollte
er denn eigentlih? Da oben in Gröde leuchtete noch
ein einziges Licht, das fam aus dem Forſthauſe. Port
ſaßen glüdlihe Menjchen beifammen. Der Amtsrichter
war mit dabei. Dielleicht auch noch der Doktor. |
Nein, der nicht mehr. Es fnarrte ein Wagen, Berger
fuhr in feinem Einfpänner zu Tal, und weil er eine
Zaterne mit fich führte, fiel der Lichtfchein auf Guſtav,
der etwas beifeite getreten war.
Da bielt der Arzt an. „Sind Sie das, Herr Zahn?
Haben Gie hier auf mich gewartet? Es ift doch nicht
Ihlimmer mit dem Alten geworden?“
Guſtav erklärte, daß es feinem Vater verhältnis-
mäßig gut gehe, und Berger rüdte fi wieder auf
feinem Siß zuredt.
„Das kennen wir. Solche Zuftände wechſeln mit-
unter ſehr raſch. Man foll ja niemals die Hoffnung
aufgeben, aber ich würde Ihnen doch raten, auf Das
Schlimmite gefaßt zu fein. — Hott, Lieſe!“
Das Schlimmite!
Guſtav ftand noch eine ganze Weile und ſah dem
allmählih entihwindenden Wagenlihte nah, Was
war denn nun eigentlich das Schlimmite in dieſer ent-
feglihen Lage — das Leben oder der Tod?
Menn es ganz fiher und gewiß gewefen wäre, daß
der Müller in allernächſter Zeit, vielleicht morgen oder
übermorgen ſchon, fterben mußte, dann lag die Sache
verhältnismäßig einfah. Der Amtsrichter übernachtete
38 Der Matel. s|
als Salt im Forſthauſe und konnte jederzeit herbei-
gerufen werden. Sterbende find geneigt, ihr Gewiſſen
. auch vor der irdifchen Gerechtigkeit zu entlajten, und
wenn das Geftändnis erjt zu Protokoll genommen war,
wenn alsdann der große Erlöfer und Sühner Tod fein
Siegel daruntergefeßt hatte, jo war die Ehre des un-
Ihuldig Derdächtigten wiederhergeitellt, und der Sohn
des Täters hatte nichts weiter zu tun, als feinen Vater
in der Stille zu begraben,
Aber die Natur fpielt oft ein wunderbares Spiel,
Es konnte auch der andere Fall eintreten, daß Die
Entlaftung des Gewiffens der Natur zu Hilfe fam und
der Tod ſich zurüdzog, um der Gerechtigkeit den Platz
einzuräumen,
Dann fam die peinliche Unterfuchung, dann kam
das Urteil und die Strafe.
Zuchthaus — vielleicht fogar das Nichtbeil des
Henters,
Guſtav hatte ſchon den Zuß gehoben, um nach dem
Forſthaus hinaufzufteigen, aber er zudte wieder zurück.
Es war unmöglich, es war unmöglid), die Natur fträubte
ih dagegen, das Geriht zum Lager des Täters zu
führen, folange diejer nicht ſelbſt darein willigte.
Sa, wenn der Schufter noch im Zuchthaus gefeffen
hätte mit dem fchredlihen „Lebenslänglich“ in der Lifte,
dann wäre die Sache anders gewejen, dann mußte die
Natur [hweigen und die Wahrheit aufjchreien — aber
Riemann war frei, es handelte ſich nicht mehr um fein
Leben, fondern nur um feine Ehre.
Aur!
Abermals rang Guſtav mit einem Entſchluß. Er
wollte in die Mühle zurückkehren und ſeinen Vater auf
den Knien anflehen, das Gericht herbeizurufen. Aber
dann ſtand wieder jene unheimliche Szene vor ſeinen
e Roman von Zriedrih Zacobfen. 39
Augen, wie der Alte die Zeniter verhängen und die
Für verjchliegen ließ, und wie er geflüftert hatte und
zwiſchen den einzelnen Sätzen gelaufcht.
Diejes Geftändnis war nicht für die Welt beitimmt,
es wurde nur in das Ohr des Sohnes hineingeraunt,
einzig und allein um eine Ehe zu verhüten zwifchen
dem Sohne des Täters und der Tochter des Opfers.
Er wird ſich fträuben, das Gericht herbeizurufen,
er wird vor Angſt an einem Herzichlag fterben, wenn
die Füße des Nichters vor der Tür find,
Die Erinnerung an den Grund des Geftändniffes
löfte zum erjten Male in Guſtav den Gedanten an feine
Liebe aus. Während diefer lebten Stunde — denn
mehr Zeit war wohl kaum verflojjen — war Anne-
marie wie ein Schatten gewefen, der in weiter Ferne
ſtand und immer mehr verblaßte. Nun trat fie plöß-
lich hervor und wirkte wie ein Magnet auf das Eifen.
Sie follte alles wiljen!
Das war aud) ein unllarer Gedante, aber er lähmte
doch nicht, fondern fegte fich in Handeln um,
Gustav begann langjam die Halde nach der Schufter-
fate hinaufzufteigen. Es regnete noch immer, und es
wat jtodfiniter, man hörte nur das Raufchen des Waldes,
und die lichtlofen Umriſſe des Haufes traten erft her-
vor, als fie faſt mit der Hand zu greifen waren,
Dom Oorfe her ſchlug es Mitternacht, drinnen
ichliefen fie wohl fchon lange.
Guſtav kannte die Gelegenheit; gleich rechts neben
der Haustür lagen die beiden Feniter der Wohnitube,
wo Riemann feine Werkitatt hatte und wo er au
ichlief; dann um die Ede fam das Rammerfenfter von
Annemarie.
Und nun ſtand Guſtav davor.
Was jetzt?
AO Der Matel. D
Menn er mit dem Mädchen reden wollte, dann
mußte er es doch aufweden, dann mußte er an die
Scheiben Elopfen, leife und heimlich, um Mitternacht,
der Liebhaber am Fenſter feiner Liebiten.
Sie wird aus dem Schlafe emporfahren, fie wird
fragen, fie wird die flüfternde Stimme erkennen.
Lieber Himmel, weldes Mädchen auf der ganzen
Welt wird dann in folder Lage auch nur eine Sekunde
im Zweifel fein über die Abficht des Geliebten? Gie
wird ja fchelten, aber fie wird weinen und das Feniter
öffnen.
Und wenn fie die Arme um feinen Naden legt, dann
foll er ihre zuflüftern: „Rühr mi nit an — ich bin
der Sohn eines Totichlägers und eines Meineidigen!
Mein Dater trägt die Schuld, daß dein Dater ins
Zuchthaus wandern mußte!“
Unmöglidh!
Guſtav ließ die Hand, die er ſchon aufgehoben hatte,
wieder finten, wendete fi ab und ging geradeswegs
in den Wald,
Der nahm ihn auf in feiner ganzen finiteren Ein-
famteit. Wege waren genug darin, aber der Regen
hatte jie aufgeweicht, und die Duntelheit lie fie nicht
ertennen. Es war ja auch gleichgültig, ob der taftende
Fuß in den Geleifen der Holzfuhrwerke ging oder auf
glitihigem Moos und über modernden Humus. Ks
war ganz einerlei, ob fih hier Geftrüpp um die Knie
widelte oder ob an einer anderen Stelle der naſſe Zweig
einer Riefer über das Geficht fuhr.
Gujtav hatte fein Ziel und fein Gefühl, er hegte
nur einen einzigen Gedanten, der fich ihm immer tiefer
in das Gehirn hineinbohrte: „Du mußt wandern und
wandern, bis dein Vater tot ift, und dann follft du
fein Geheimnis in die Welt hinausjchreien!“
0 Roman von Friedrich Zacobfen. 41
Ob er wohl jet ſchon tot war?
In der Mühle fchlafen fie, und weil es Feittag it,
bis in den hellen Morgen. Der Herr des Hauses ift
allein und kann fi nicht helfen. Vielleicht hat er ſich
aufgerappelt, um ins Bett zu friechen, und unterwegs
ist er auf der Diele hingefallen. Dann jteht der Hund
neben ihm und ledt fein Geſicht.
Und wenn das Geficht kalt geworden ift, dann febt
er fih neben den toten Herrn und beult. —
Ein paarmal ftürzte Guftav hin, und dann hatte er
das Gefühl, er müßte liegen bleiben. Aber der Regen
fiel auf ihn, und das Waffer quoll um ihn, und der
Srieb zum Leben wurde in ihm wach.
Er hatte doch keinen umgebracht, er hatte doch keinen
Meineid gejchworen, durch feine Schuld war doc) nie-
mand in das Zudthaus geftedt worden!
Sp raffte er fih immer wieder auf und taumelte
weiter, Zuletzt jtieß er mit der Stimm gegen irgend
etwas, aber das war fein Baum, fondern eine Wild-
hütte, wie fie an einzelnen Stellen verftreut ftanden
und mit Heu gefüllt waren.
Da kroch er hinein. Es war ganz ähnlich wie da-
mals, als Riemann das Zuchthaus verlaffen hatte und
in einer Scheune Unterkunft fand.
Der Himmel hatte fib am Morgen nach Ddiefer
Chriftnaht ausgeregnet, aber es ftürmte fo fehr, daß
die Bewohner von Gröde, wenn fie auf der Gaſſe an-
einander vorübergingen, ſich den Weihnachtsgruß zu-
jchreien mußten.
Einige aber traien zufammen in einen gejchüßten
Mintel und raunten miteinander, und dann lief ein
dunkles, unbejtimmtes Gerücht durch das Dorf,
42 Der Makel. oO
Der Müller Zahn fei tot.
Unnatürli wäre es bei diefem Sterben in der
Springmühle hergegangen. Denn das Gefinde hätte
gefchhlafen, und der Sohn fei auswärts geweſen, und
erit das Heulen des Hundes habe die Hausbewohner
aufgewedt.
Einige aber meinten, der Müller ginge nicht fo
ſchnell um die Ede, denn in der Familie Zahn fei das
hohe Alter Brauch. |
Natürlich drang die Runde auch in das Forſthaus.
Die Frauen glaubten daran und fühlten ſich bedrüdt
unter dem. Fittih des Todes, der Oberförjter aber
chüttelte den Ropf und vermißte die offizielle Beftäti-
gung, die doch ihm als Standesbeamten zuerit zulom-
men mußte. Der Amtsrichter Wolff war noch un-
gläubiger, denn der Müller hatte auf ihn nicht den
Eindrud eines Sterbenden gemadt. Hingehen oder
hinjhiden aber wollte niemand. Es war, als ob der
Springmüller plößlih allen Anhang und alle Freund-
Ichaft verloren hätte, und außerdem fchidt es fich doch
nicht, in einem Haufe nachfragen zu laffen, ob der Tod
wirklich eingelehrt fei.
Das muß von innen herauskommen.
Aber zur Witwe Walther wollte der Amtsrichter
noch hingehen. Er drängte ohnehin zum Aufbrucd,
denn es war geitern abend zwar ſehr ſchön gemwejen,
indeffen das Hereinfchneien des Doktors hatte Doch die
Behaglichkeit gejtört und eine gründlihe Aussprache
zwijchen den jungen Leuten verhindert,
Das Verlobungseſſen war noch nicht gekocht.
Erna begleitete den Gait die paar Schritte bis zur
Hütte der Walther.
„Die Alte ift mißtrauiſch,“ fagte fie, „vor Ihnen
allein wird die Tür verſchloſſen bleiben. Und der
2 Roman von Friedrich Zacobfen. 43
Doktor hat fie geftern wohl noch ganz kopfſcheu ge-
macht.“
Das war aber merkwürdigerweiſe nicht der Fall.
Entweder hatte Martha Walther ihren hellen Tag oder
die Schlauheit des Irrſinns machte fie vorſichtig. Als
der Amtsrichter in Ernas Gegenwart davon anfing, daß
die Leute ihr einen großen Haß gegen den Schuſter
nachredeten, und daß der Riemann doch ſeine Unſchuld
nachgewieſen hätte, da blieb ſie ganz gelaſſen und nickte
mit dem Kopf.
„Hat er das wirklich, Herr Amtsrichter? Wenn Sie
das fagen, dann wird es wohl fo fein, und dann muß
ih an einer anderen Stelle ſuchen. Man hat ja ein
feines Gewehr im Walde gefunden — ſo fein, wie
der Schufter niemals eines gehabt hat. Wer weiß,
wer weiß, wie das alles zuſammenhängt?“
Ein Grund zum amtlichen Eingreifen lag fcheinbar
nicht vor. Auch Doktor Berger war derjelben Anficht
gewefen, und Wolff brach wieder auf.
Die Alte begleitete das Paar bis an die Haustür;
fie machte jogar eine ſcherzhafte Bemerkung, fo daß
Erna errötete, und dann, als fie ſchon unter der Tür
itand, flogen ihre unruhigen Augen plößlich nach der
Springmühle hinunter, aus deren Schornftein ein
leihter Rauch aufwirbelte.
„alt es wahr, was die Leute jagen, Herr Amts-
richter? Zit der Müller tot?“
„Zah weiß es nicht,“ entgegnete Wolff.
„Ei, ei, fo n Mann! Achtzig Zahre find fie alle
alt geworden. Aber das kommt davon, wenn einer
bei Naht und Nebel im Walde herumläuft, anftatt in
feinem Bett zu liegen.“
Der Amtsrichter ftußte und drehte ſich haftig nach
der Alten um, aber Erna wintte ihm mit den Augen,
44 Der Makel. =
Die helle Stunde der Unglüdlichen war wohl vorüber,
und es famen wieder die Srrlichter zum Vorſchein.
Wolff war jehr nachdenklich geworden und fagte
im Weitergehen: „Fräulein Erna, was war denn das?
Der Müller bei Naht und Nebel im Walde?“
„Bhantafien!“ entgegnete das Mädchen.
„Rann fie denn überhaupt etwas Davon wiſſen?“
„Das jchon. Sie geht wohl öfters des Nachts herum,
und dann fieht fie Geſpenſter.“
Erna dachte wohl mehr an den Abfchied als an
andere Dinge. Und bei dem letten Haufe des Dorfes
gab fie ihm die Hand.
„Auf Wiederfehen, Herr Amtsrihter! Wenn es
Ihnen geitern gefallen bat — ganz aus der Welt liegt
Gröde ja nicht.“
Und er entgegnete aus feinen Gedanten heraus:
„Es war wunderjchön, Fräulein Erna, ih komme ganz
gewiß wieder. DVielleiht bald — fehr bald fchon.“
Dabei fuhren feine Augen nah der Springmühle
hinunter, und dann ſah er das Mädchen an, und dann
ging er.
Erna aber blidte hinter ihm drein, bielt den Hut
im Winde feft und murmelte: „Sie find fih doch alle
gleich, diefe Zuriften. Wenn ich ein ‚Fall‘ wäre, dann
hätte er fich gewiß bis zum Mittagefjen halten lafjen.“ —
Als Wolff in der Höhe der Schuſterkate war, ſah
er jemand aus dem Wald beraustommen, einen Mann,
den der Sturm vor fich ber trieb, und der volltommen
erichöpft zu fein ſchien.
Es war Guftav Zahn.
Barhäuptig, mit einem blutbefledten Tuch um die
Stirn, fchritt er wie im Traum vorwärts, kreuzte auf
zehn Meter Entfernung den Weg des Amtsrichters und
bog querfeldein nach der Springmühle ab. Er hatte
D Roman von Friedrich Zacobfen. 45
—
den anderen offenbar gar nicht geſehen und wendete
auch nicht den Kopf, als Wolff hinter ihm drein rief.
Nun, das kann vorkommen. Es kann geſchehen,
daß einer, der bei Sturm durch den Wald geht, von
einem niederfahrenden Aſt getroffen wird und die Be—
ſinnung halb verliert. Aber kann es denn auch geſchehen,
daß der Sohn im Walde herumſtreift, während der
Vater auf dem Sterbebett liegt?
Amtsrichter Wolff ſetzte kopfſchüttelnd ſeinen Weg
fort. Erna hatte richtig vermutet, in feinem Hirn be-
gann ſich ein „Fall“ zu entwideln, aber die Fäden liefen
jo wire durcheinander wie bei dem GSeidenitrang, den
Erna geitern abend abgewidelt hatte.
Und fie war troß richterlicher Hilfe nicht damit zu-
ſtande gekommen.
Bis in den hellen Tag hatte Guſtav halb betäubt
von dem Stoß gegen die Stirn in der Wildhütte ge—
legen. Dann weckte ihn das Brauſen des Sturmes.
Am liebſten wäre er geblieben, wo er war. Es hatte
ſich ſeiner eine Art Apathie bemächtigt, die nur durch
einen einzigen Gedanken wieder aufgerüttelt wurde:
Sekt ſtirbt der Vater!
Er mußte ja ſterben, das andere war gar nicht aus-
zudenken; wenn irgend jemals auf Erden, ſo war in
diefem Falle der Tod die einzige Löfung aus allem
Mirrfal, Der Himmel müßte verjchloffen fein und feine
Barmberzigkeit ein Wahn, wenn es anders kam,
Und Gustav wühlte fich in diefen Gedanten hinein.
Es wurde ihm fchließlich ganz feierlich zumute, und er
Dachte daran, daß der Mann, den fie in den nächiten
Fagen mit Ehren begraben würden, ihm doch immer-
bin nahe geitanden hatte, Mochte feine Schuld noch
io fchwer fein, die fühnende Mutter Erde follte ihn erft
46 Der Matel, n
bededen, bevor das Scherbengericht der Welt feinen
Anfang nahm, Man durfte doch auch nicht vergeſſen,
daß der Beginn feiner Untat im Volksbewußtſein wur-
zelte und die Folgen ſich alsdann mit unerbittlicher
Notwendigkeit ergaben.
Solange der Wald raufchte, hielt dieje feltjame
Stimmung an. Aber als Guſtav dann auf die Land-
itraße hbinaustrat, als er die Springmühle unten im
Grunde liegen fah und jeder Schritt ihn der Gewißheit
näher brachte, da empfand er plößlich ein rafendes Herz-
tlopfen. Das Haus des Todes mag in feinem Innern
noch fo fehr die Spuren der Trauer oder der Gitte
tragen, von außen fieht man ihm nichts an, es ift wie
jeder andere Bau — felbit ein rauchender Schlot be-
rechtigt nicht zu Schlußfolgerungen, denn die Lebenden
wollen eſſen und trinken,
Die Springmühle madte wohl einen ftillen Ein-
drud, aber es war hoher Feiertag, da dreht ſich nicht
das Rad, und da regt fih nicht das Gefinde.
Aber das Rammerfenjter des Müllers war nicht
verhängt. Man tut das fonft, folange der Tote auf
feinem Bett liegt, bejonders auf dem Lande find die
Zeute unerbittlih in der Beobachtung althergebradhter
Bräuche; fie drüden dadurch einen großen Zeil ihrer
Trauer aus,
Der Wolfshund des Müllers lag vor der Haustür
an einer vom Winde gefhüßten Stelle. Das war fein
altgewohnter Lieblingsplat, und er hatte auch heute
dieſe Gewohnheit nicht aufgegeben, Dann ftand er auf,
fam dem Sohne des Haufes jchweifwedelnd entgegen
und ſchob die Schnauze vertraulid in deijen Hand.
Das tut fein Hund, deſſen Herr geftorben ift, fon-
dern er verkriecht fich oder lagert vor der Tür des
Sterbezimmers.
Oo Roman von Friedrih Zacobfen. 47
Auf dem Hausflur framte die alte Welſch in einer
Srube, Sie war fo lange in der Familie, daß fie den
Sohn noch mit Vornamen anredete, und als fie feiner
anfihtig wurde, jchlug fie die Hände zufammen,
„Na, Guſtav, das muß ih fagen! Wo in aller
Melt find Sie denn gewefen? Zt das eine Urt, bei
Naht und Nebel wegzulaufen und uns hier in Not
und Sorge allein zu lafjjen?“
Dann fah fie, daß er nach der Wand taftete, und das
Mitleid gewann in ihr die Oberhand,
Sie legte die Hand auf feinen Arm und begann
haſtig zu flüftern. „Sie brauden nicht zu erfchreden,
Guſtav, über das Schlimmite find wir ja nun hinweg.
Aber diefe Naht dachten wir wirklich, daß es zu Ende
ginge. Wenn der Tiras nicht jo arg gebellt hätte, wäre
ich ja wohl gar nicht wach geworden, aber jo fand ich
Shren Vater in feinem Bett, und die Befinnung war
ganz weg. Da habe ih ihm naſſe Tücher aufgelegt,
jo daß er wieder zu fih fam, und dann verlangte er
einen ſtarken Kaffee. Es iſt der Umfchlag gewefen,
Guſtav, jegt in der heiligen Naht, denn nun geht es
ihm viel beffer, und er wollte ſchon aufitehen, aber das
babe ich natürlich nicht gelitten.“
So ging die Rede wie der Mühlbah draußen, und
Guſtav hielt fih noch immer an der Wand,
Die Alte verjtand das auch ganz gut, denn .es ijt
doch keine NRleinigkeit, wenn man fort gewejen ijt und
der eigene Dater ftreift indejjen das Grab, Gie ftreichelte
ihm die Baden, faßte ihn an der Hand und zog ihn
nach der Stube.
Da war es unmöglid, fich von ihr loszumachen und
wieder fortzulaufen, und er ging mit fchleppenden
Schritten hinein, während Frau Welſch die Tür hinter
ihm ſchloß und in der Truhe mweitertramte.
48 Der Mattel. oO
Der Müller ſaß aufrecht im Bett. Sein fcharfes
Ohr hatte ſchon gehört, daß Draußen irgend etwas vor
fih ging, er wußte nur nicht gewiß, ob es der Sohn
war oder jemand anders. Es konnte auch ein anderer
fein, zum Beifpiel der MWachtmeifter Runge oder der
Amtstichter felbit.
Als er den Eintretenden erkannte, löjte ſich die
Spannung in feinen Zügen um ein geringes, aber
Mißtrauen und Zucht blieben noch immer zurüd,
„So,“ fagte er, „alfo du kommſt doch endlih! Geit
gejtern abend, feit der Amtsrichter hier war, liege ich,
wie man mir erzählt, in wilden Fieberphantafien. Das
tollite Zeug foll id) zufammengeredet haben. Und
mein eigener Sohn läßt mich im Stih! Pir wäre es
wohl recht gewesen, wenn ich nicht wieder zu mir kam,
denn die Springmübhle iſt doch ein ſchönes Erbe!“
Das aljo hatte er ſich ausgejonnen in dieſen lebten
Stunden! Er war auf den tollen Gedanken getommen,
fein ganzes, von der Todesfurcht erpreßtes Geftändnis
als eine Zieberphantafie hinzuftellen, jegt, wo der Tod
die Hand wieder von ihm abgezogen hatte!
Guſtav ſetzte fih auf einen Stuhl, Nicht fo weit
entfernt wie in der verfloffenen Nacht, denn die Rammer
war nicht fo groß wie das Wohnzimmer, aber doc
dicht an die Wand und in fich zufammengedrüdt.
Und fo blidte er feinen Vater wortlos an.
Der wurde immer unrubiger und ſchlug mit der
flahen Hand auf die Dede. „Warum redeit du nicht?“
„Was foll ich reden?“
„Was ich von dir hören will!“
Ein Schritt näher an die Wahrheit. Der Alte ſah
offenbar ein, daß er den Sohn nicht überzeugen konnte,
und er taftete jet nur nach einem geheimen Einver-
ſtändnis. In Worte überfebt, hieß das etwa: „Wir
— — —
0 Roman von Griedrih Zacobfen. 49
wiſſen ja, wie wir miteinander ftehen. Aber zwiſchen
uns beiden foll niemals davon die Rede fein. Wir
wollen fo tun, als ob alles ein Fieberwahn gewefen
wäre, und fo können wir nebeneinander her leben.“
Guſtav raffte fih endlih auf, Er deutete hinter
lich duch die offene Tür nach der Wohnftube und fagte
leife: „Da drinnen haben wir gefeffen — du am Tiſch
und ich neben der Tür, du haft die Lampe ausgelöfcht
und mir alles erzählt. Dann bin ich in die Nacht hin-
ausgelaufen. So war es und fo bleibt es — da hilft
fein DVerftedipielen,“
Der Alte änderte jebt fein Benehmen. Pie kühle
Ruhe, das Erbteil feiner Familie, ſchien plöglich über
ihn gelommen zu fein. Er ftüßte fich auf den Ellbogen
und ſah feinen Sohn ſcharf an. „Halt du mid ſchon
angezeigt?“
„Nein. Zch war die ganze Naht im Walde,“
„Wirſt du mich anzeigen?“
„Dein — das kann ich nicht.“
„Was verlangft du von mir?“
„Daß du felbit auf das Gericht gehſt.“
„Hm,“ meinte der Alte, „bisweilen ift mir der Ge-
dante ſchon felbit gelommen — während der drei Jahre,
wo der Schufter faß. Damals habe ich es nicht getan,
jebt, wo er frei ift, werde ich es erſt recht nicht tun.
Lieber häng' ih mich auf.“
„3b hatte gehofft, daß du diefe Nacht fterben
würdeft,“ fagte Guſtav leiſe. Er fühlte das Graufige
feiner Worte, aber fie mußten heraus, es ging nicht
anders.
Der Müller ſchien ein Verftändnis dafür zu haben,
denn er nidte. „Das beite wär’s gewejen. Dann
hätteſt du natürlich alles offenbart?“
„3a.“
192. VI, 4
50 Der Matel, a
„Der Doktor ift an allem ſchuld,“ ſagte Zahn, „denn
ich glaubte wirklich, es ginge mit mir zu Ende. Aber
der Teufel will mich noch nicht haben. Wenn ich mic)
nicht doch aufhänge, dann kann ich noch lange leben.
Schön iſt das Leben freilih nicht.“
Er madte eine Pauſe und ſah nah dem Sohne
hinüber, Dielleiht ging der je&t hinaus und holte ihm
jelbjt den Strid, Es ift ſchon alles auf der Welt da-
gewejen.
Guftav hatte ſich auch wirklich erhoben. Was zwifchen
ihm und diefem alten Manne erörtert werden mußte,
das war in wenigen inhaltihweren Worten gejagt
worden. Nun kam das Handeln, une da gab es nur
einen einzigen Weg.
„Ich denke, du wirjt ohne mid in der Mühle aus-
tommen,“ fagte er, die Augen auf den Fußboden ge-
richtet. „Während meiner Militärzeit ift es wenigjtens
gegangen, und vielleicht bleiben die Leute auch nad
und nad fort. Den Rlaus würde id an deiner Stelle
halten, er verfteht feine Sache und ift treu — die
Welſch gehört ja jowiefo zum Haufe, Und das wäre
wohl alles, oder halt du noch einen befonderen
Wunſch?“
Den hatte der Müller nicht, oder höchſtens empfand
er das Bedürfnis, wieder allein zu fein. Es war ja
ganz felbjtverjtändlih, daß der Sohn [ih von dem
Dater trennte, denn Mitwiffer einer Schuld können
nur aufammenleben, wenn ihnen das Gewiljen ein-
geichlafen ijt, und auch dann müjjen fie auf den Zuß-
ſpitzen ſchleichen.
gahn ſtellte nur noch eine halbe Frage. „Ich möchte
wenigitens wifjfen, wo du hingehſt. Es ift wegen Leben
und Sterben,“
„Das kann ich jelbft noch nicht jagen. Ich will
D Roman von Friedrich Zacobfen. 51
irgendwo eine Stelle fuhen — als Müller oder im
Kornhandel. Die Welt ift groß genug.“
Dann verließ Guftan die Kammer. Es war fein _
Verſprechen fchriftlihen Verkehrs gefordert oder ge-
geben worden, und der Müller wußte auch ganz genau,
Daß eine derartige Zufage in den Wind flog. Diefes Aus-
einandergehen war gerade fo gut oder fo fchlimm wie
der Tod, nur daß wir nach dem Sterben noch ein Grab
haben — und bisweilen eine Erinnerung zurüdlafjen.
Übrigens brauchte der Sohn des Haufes nicht viel
Zeit, um feine Angelegenheiten zu orönen, Zn feiner
Rammer, Wand an Wand mit dem Alten, Heidete er
ih um, ftedte ein Sparkaſſenbuch über etwa taufend
Mark jowie feine Militärpapiere in die Brufttafche und
nahm feinen Handitod,
Auf dem Hausflur fam ihm die Weljch in den Weg.
Sie hatte natürlich keine Ahnung und fragte, wo es
nun ſchon wieder hingehen follte; aber Guſtav ent-
gegnete ganz kurz, daß er für den Vater eine Gefchäfts-.
reife machen müffe und den Tag der Rüdkehr nicht
beitimmen könne. Sie fah ganz verwirrt hinter ihm
drein, aber da fiel ſchon die Haustür ins Schloß.
Das lebte Geleit gab ihm Tiras, der Wolfshund,
Er glaubte wohl an einen Heinen Spaziergang und
trottete hinterdrein, aber oben an der Landſtraße trieb
Guſtav ihn zurüd und hob eine Erdfcholle auf, als das
treue Tier nicht gleich gehorchen wollte, Er warf ſie
auch, aber ohne die Abficht zu treffen, und fo fchied
er von feinem väterlichen Erbe mit jener ſymboliſchen
Handlung der alten Germanen, wenn fie als Geächtete
in die Welt hinauszogen.
Ein ſchwerer Weg blieb ihm noch übrig: der fteile
und mit Geröll überjäte Steig, der nach der Schufter-
kate hinaufführte.
52 Der Makel. og
nn a en msn nenn —— — —
Aus dem Chaos der Gedanten, die auf Guſtav ein-
ftürmten, tauchte nur ein einziger mit Rlarheit empor:
folange der alte Mann da unten in der Mühle lebte,
mußte auch fein fchredlihes Geheimnis bewahrt bleiben;
feine Moral der Welt, ob alt oder neu geprägt, konnte
von dem Sohne verlangen, daß er der Henker des
eigenen Vaters wurde, Erſt der Tod des einen konnte
das Brandmal von der Stirn des anderen hinweg-
löfchen, aber bis dahin war eine Ehe zwiſchen den
Rindern diefer beiden Männer ein Ding der Unmög-
lichkeit. |
Sie hatten einander ihr Wort gegeben, und die
Einlöfung des Wortes follte erfolgen, wenn der wirk-
lihe Täter entdedt war — man konnte die Sachlage
mit einem Roten vergleichen, der fich immer fejter
ihlingt, je mehr die Hände daran zerren.
Nun wurde er zerjchnitten.
Die Schuiterkate lag einfam wie immer und vom
Sturm umweht. Guftav ſchlich fich um das Haus, denn
er ſah Riemann troß des Weihnachtstages in der Wert-
statt fiten, und fühlte, daß ihm der Mut fehlte, dieſem
Manne unter die Augen zu treten. Aber an der anderen
Seite der Hütte ftand das Fenſter von Annemaries
Schlaftammer offen, Das Mädchen war drinnen und
verrichtete irgend eine häusliche Arbeit.
Unter den Bäumen des Waldes ftebend, wintte
Guſtav ihr mit der Hand. Erit ſah fie es nicht, dann
fuhr eine helle Glut über ihr Geficht. Sie verließ die
Rammer und erfchien nach) einer Weile vor der Haus-
tür. Shre Haare und ihre Kleider wehten im Winde.
Guſtav wintte nochmals und deutete in den Wald.
Er ging voraus und hörte, wie das Mädchen ihm folgte
0 Roman von Friedrich Zacobfen. 53
— immer tiefer in das Gebüſch, bis fie auf der Tich-
tung aufammentrafen, wo man damals den erjchofjenen
Foritwart aufgefunden hatte.
Sie merkten das erit, als fie einander gegenüber-
itanden, und es fuhr ihnen wie ein Schlag durch die
Glieder,
Dann fragte Annemarie hajtig: „Guſtav, um Gottes
willen, ift etwas mit deinem Vater? Die Leute reden
allerhand, und der Doktor iſt geitern Dagewejen und —“
Er blidte finjter vor fih hin. Nun kam das bittere
Lügen. „Mein Dater ift in der Genefung. Aber er
und ih — wir find auseinander,“
„Am meinetwillen, Guftav?“
„Nein,“ entgegnete er mühſam. „Oder wie man
es nehmen will, Zch trage wohl die Schuld. Don uns
beiden ging es aus, Das ijt wahr, aber ich wurde heftig,
und — frage mich nicht weiter, es ift eben zu einem
Bruch getommen, und ich verlajje die Mühle, Sch habe
fie ſchon verlaffen, Annemarie, und ih bin auf dem
Meg in die Fremde,“
Blaß, wortlos, mit gefalteten Händen ftand fie
vor ihm,
Endlich fam ein Wort: „Der Makel!“
„3a, der Makel!“ entgegnete er und biß die Zähne
zuſammen.
„Das iſt alſo ein Abſchied, Guſtav ?“
„Vorläufig, Annemarie.“
„Nein, für immer, Dein Vater kann ſterben. Ich
wünſche es ihm nicht, aber einmal wird er ſterben.
Der Makel ſtirbt nicht,“
Es war ihm, als müßte er hinausſchreien: „Er ſtirbt
ja mit meinem Vater!“ — aber die Reble war ihm
wie zugeſchnürt. Wenn erjt der Zipfel eines Geheim-
nijjes gelüftet wird, dann ift es fein Geheimnis mehr.
54 Der Makel. 0
„zeb wohl!“ fagte er nur.
Shre Hände rubten jo kalt ineinander, daß es fie
beide durhfchauerte. An einen Abſchiedskuß dachten
fie nicht, denn jede Berührung der Tippen birgt eine
Hoffnung in fih, und fie hatten keine Hoffnung.
Dann gingen fie auseinander.
Guſtav jeßte feinen Weg durch den Wald fort, und
als er an die Stelle fam, wo fein Vater den Schuiter
gejehen haben wollte — an den Meineidfled, wie man
ihn wohl nennen wird zum Unterjchied von dem Mord-
fleck — da drohte er mit der Zauft nach der Nichtung,
in der die Mühle lag.
Worte kamen nicht über feine Lippen. —
Annemarie kehrte in das Haus zurüd. Sie fette
fih an den Ofen und barg das Gelicht in die Hände,
Der Schufter ſchielte über feine Arbeit hinweg nad) .
ihr hin. „Ich habe euch wohl gefehen,“ fagte er. „Zit
die Narrheit aus?“
„3a, Vater. Er geht in die weite Welt.“
„Sp, das iſt der Anfang. Dann wird die Mühle
ja bald leer jtehen.“
„Der Müller ift wieder auf den Füßen.“
Riemann ſchlug eine Zwede in die Sohle des
Stiefels, den er in Arbeit hatte, „Sp gebt es in der
Welt. Zch treffe ſchon noch den richtigen Zled, aber
das Schidfal ift fein Schufterhammer, das Schidjal haut
daneben! Ob, wenn du Leder wärejt und ich hätte dich
unter den Händen, ich wollte dich ſchon mürbe Hopfen!“
Das war der alte Groll, und Annemarie konnte
nicht einmal dawider reden.
Es war wohl felten ein Winter über das entlegene
Gröde hingegangen, der dem Wirtshausgetratich und
0 Roman von Friedrich Zacobfen. 55
dem Spinnftubengellatfch fo reichlihen Stoff gegeben
hätte als die nunmehr folgende Zeit zwiſchen Weih-
nachten und Oſtern.
Nach dem Oberförſter Eichler war der Müller Zahn
die bedeutendfte Berfönlichkeit in der ganzen Umgegend,
und je einfamer die Springmühle aus der Salmulde
aufragte, je weniger es möglich) war, ihre Geheimniſſe
zu erforichen, um fo zäher hefteten fih Neugier und
Gerüchte an ihre Mauern.
Aus einer ländlichen Anſchauung heraus konnte man
den Brud zwiſchen Dater und Sohn allenfalls be-
greifen. Denn es war ja eine allgemein bekannte Tat-
lache, daß Guſtav und Annemarie ein Verhältnis mit-
einander hatten, und abgejehen von dem Unterſchied
in Vermögen und Stellung erjhien eine Verbindung
zwiſchen den beiden jungen Leuten deshalb unmöglich,
weil der Müller die Beftrafung Riemanns herbeigeführt
hatte und dieſer fih ungeachtet des zweiten Richter-
ſpruchs nicht von dem an ibm hängenden Derdadt.
reinigen konnte.
Ob es wohl wirklich fo ganz richtig mit diefem Eide
bergegangen war? Die Möglichkeit eines Irrtums hatte
der Müller ja in der zweiten Schwurgerichtsperhand-
lung zögernd und widerwillig zugegeben, und wenn
eine Sache erſt rijjig geworden ift, dann bedarf es nur
eines Stoßes, um fie in Scherben zu fchlagen.
Diefer Anſtoß war das eigene Gebaren des Müllers.
„Er it hinterfinnig geworden,“ fagten die Leute,
„Das iſt nicht die Zwietracht mit feinem Sohne, denn
darüber fommt ein dider Schädel hinaus — aber der
Eid it es, der Eid!“
Achtung vor dem Eide und Furcht vor den Folgen
feiner Verletzung ftedten noch immer in diefer rauhen
Waldberölterung, die es fonjt mit dem Geſetze nicht
56 Der Makel. 7
fo genau nahm; fie fonnten es begreifen, die Holzfrevler
und die Wilddiebe, daß einer tieflinnig werden müßte,
wenn er einen Fleden auf feiner Schwurhand ent-
Dedte.
Die Runde von dem binterfinnigen Wejen des
Müllers verbreitete ſich durch Leute, die darum wiſſen
mußten — durch das eigene Hausgefinde.
Da war zuerft der Mahlburſche Rlaus, ein braver,
fleißiger Menſch, der aber niht an übermäßigen
Denten litt. |
„Sp was ift mir noch nicht vorgetommen,“ fagte
er Sonntags im Wirtshaus. „Das Gelumpe in der
Mahlſtube kann ich ganz gut allein beichaffen, aber jeit-
dem der Alte wieder auf den Beinen ift, hat er keine
Ruh’, er muß überall dabei fein, Er ift der Herr, und
wenn es ihm Spaß madt, kann ich nichts dagegen
maden, Aber es madt ihm ja gar feinen Spaß.“
„it er noch krank?“ wurde gefragt.
„Gott bewahre, er hebt feinen Sad wie ein junger
Kerl. Aber dann ift es mit einmal, als ob es einen
Rnads in ihm geben täte. Er febt fih in die Ede
und finniert vor fih hin. Bisweilen redet er auch.
Wißt ihr, was er mich neulich gefragt hat?“
Die Röpfe fuhren zufammen. „Was denn? Was
hat er gejagt?“
„Ob es wohl möglid wäre, daß einer durch das
Rad in die Mühle kriecht, wenn das Rad ftilliteht.“
Der Dorfihmied von Gröde, ein mächtiger Rerl,
redte ji empor. „Ich brächte das nicht fertig, Rlaus,
ih bin zu vüllig, Aber ich kenne einen, der könnt's
Ihaffen — der Schufter da oben in der Rate,“
„Sei doch Still, Schmied!“
„Er bat recht,“ mifchte ſich der Schneider hinein.
„Riemann hat die Geftalt dazu, und er hätte wohl
Oo Roman von Friedrih Zacobien. 57
auch den Willen. Gein Haß auf den Müller ift nicht
ſchlecht — von wegen dem Eide.“
„ga, wegen dem Eide,“ hieß es von allen Seiten. —
Sn der Spinnftube ging die Rede anders, Da fam
bisweilen die alte Weljch von der Mühle hin, und wenn
fie auch fonft an der Familie Zahn hing, fo ging ihr
jebt das Mundwerk, denn fie hatte fich allmählich auf
Guſtavs Geite geitellt.
„Der ift niht aus Troß gegangen,“ fagte fie. „Es
muß ſchon in der Nacht vorher was paffiert fein, denn
mir nichts die nichts läßt keiner den Eranten Vater im
Stih und rennt in die Nacht hinaus, Bei der Anne-
marie ift er nicht gewejen — ich habe das Mädchen
aufs Gewiſſen gefragt, und fie hat’s mir zugeſchworen.“
„Es wird viel gejchworen,“ meinte die Bäderlies
und wiegte den Kopf.
„Diel zu viel,“ beitätigte die Welſch. „Wenn der
Müller nur fo ’n gutes Gewiſſen hat wie die Anne-
marie! Soll ih euch jagen, womit er umgeht?“
Da fuhren die Röpfe zufammen juft wie im Wirts-
haus.
„Sp red doch, Welichen!“
„Aufhängen möcht’ er ſich! Unchriſtlich genug ift
er dazu, denn er lieft immer in den alten Ralendern,
und auf der Bibel liegt der Staub fingerdid. Aber
die Courage fehlt ihm, das iſt es!“
„Halt du ihn denn fchon einmal abgefchnitten, Wel-
ſchen?“
„Na, ſo weit iſt es Gott ſei Dank noch nicht ge—
kommen. Aber neulich ſeh' ich ihn im Stall ſtehen,
vor einem großen Haken in der Wand. Das Halstuch
hat er abgenommen, und 'n Strick hat er in der Hand.
Da geh' ich in Strümpfen heran und frage, was das
bedeuten ſoll. ‚Unfinn,‘ jagt er und ſchmeißt den Strick
58 Der Matel. n
—
weg und geht ſeiner Wege. Den Abend nahm ich ihn
dann vor, wie ſich's gehört, und da meinte er, auf
dumme Gedanken fiele jeder mal, wenn ihm das Leben
nicht mehr paſſen täte, aber zwiſchen Vornehmen und
Ausführen ſtünde doch mehr als ein altes Weib.“
„Bei dem täte ich nicht bleiben!“ rief die Bäckerlies
und ſchüttelte ſich.
„Hab' ih auch nicht vor, Der Klaus ſagte neulich
auch, es wäre ihm zu grauslidh in der Mühle, und da
find wir beide einig geworden und haben zu Oſtern
getündigt. Es ift nur ein Unterfchied dabei, der Rlaus
dient nun drei Zahre, und bei mir waren es Martini
dreißig, der Rlaus ift ein junger Kerl, und ich gedachte
auf der Mühle zu fterben.“
Es geht gegen die Natur, dag um den Frühling
herum die Blätter abfallen, aber fie taten es wirklich.
Die Springmüble ftand in der Zeitung zum Der-
fauf, und es hieß, daß Zahn in die Stadt ziehen wollte,
aber es fanden ſich von heute auf morgen keine Tieb-
baber; es war, als ob der Plab verfemt jei.
Auch aus der Schuftertate wehte ein junges grünes
Blatt ins Tal. Annemarie hatte es gut gemeint, als
fie ihren Dienft bei Timpe aufgab und zum Dater
beraufzog, aber das Einmaleins war dabei zu kurz
gelommen.
Der karge Derdienit des Schujters reichte für zwei
Berjonen nicht aus, und das Schneidern in Thalheim
war wegen der großen Entfernung nicht durchzu—
führen.
Timpe hatte ſchon zwei Briefe gejchrieben, daß es '
ohne die Annemarie gar nicht gebe, und nach dem
dritten padte fie ihr Bündel,
D Roman von Zriedrih Zacobjen. 59
„Es ift beijer, daß du den alten Dienit. wieder an-
trittjt,“ fagte Niemann. „Die vergangenen drei Jahre
haben mich hart gemacht — ich kann mit der Einfam-
keit fchon austommen.“
Die Leute redeten darüber, „Er will fie aus dem
Wege haben,“ fagte man.
Niemand drüdte fich deutlicher darüber aus, was
dieſes „aus dem Wege haben“ denn. eigentlid be-
deute, aber jeder wußte für fich allein, wie es ge-
meint war,
Der Scufter hatte aus feinem Herzen keine Mörder⸗
grube gemacht; er hatte jede Gelegenheit benützt, um
zu betonen, daß er feine drei Zahre Zuchthaus doch
hbauptjählih den Müller Zahn verdante, Eigentliche
Drohungen konnte niemand dem Schufter zur Laſt
legen. Aber fein Haß war in aller Leute Mund, und
er wurde allmählich verftanden, nachdem fih ein Um-
Ichlag in der öffentlichen Meinung herausgebildet hatte
und man zu der Anficht fan, dab der Müller Run
fahrläjfig gejhworen habe. —
Die Witwe Walther und die öffentlihe Meinung
waren ganz gewiß zwei Dinge, die nicht viel mitein-
ander gemeinjam hatten, aber das Raunen und Reden
ging doch nicht ganz jpurlos an dem Häuschen der Alten
vorüber — und es zeitigte eine wunderlihe Frucht.
Das war jchon, als die Märzwinde zu wehen begannen
und der Saft in den Bäumen flieg; Zeit von Rrantheit
und Wechjel, und einige meinen, in wirren Röpfen
ginge es dann noch krauſer her als ſonſt. —
Der Schufter Riemann ſaß auch abends noch bei
feiner $lidarbeit. Seit Annemarie wieder unten bei
Zimpe in der Gaftwirtihaft war, [chlih ihm der Tag
langjam bin, und er konnte nur ſchlecht fchlafen. Bis-
weilen hielt ihn au die Sorge wach, daß man ihm
60 Der Makel. 0
eines Nachts die Rate anfteden möchte, denn die meiſten
Brandftiftungen fallen in die Zeit der Übergänge,
Da taftete etwas an der Für. Der Schujter wun-
derte fich, daß noch jemand fo ſpät Arbeit brachte, denn
zum Plaudern kamen fie nicht aus dem Dorfe — fchon
wegen des weiten Weges und auch aus anderen
Gründen.
Und dann traute er faum feinen Augen,
Die Witwe Walther, die Mutter des Erjchoffenen,
Das alte frumme Weib, kam über die Schwelle.
Die Alte war ganz manierlich und wadelte nur ein
bißchen mit dem Ropf. „Muß doch mal zu dir fommen,“
jagte fie. „Das wundert dich wohl, Schufter — was?“
„Hätt's nie geglaubt,“ entgegnete er und griff
wieder nach feiner Arbeit,
Sie fette fih unaufgefordert ihm gegenüber und
ſah eine Weile zu, wie er mit. zujammengelniffenen
Lippen den Pechdraht zog.
„Geht das fo die ganze Naht?“
„Wenn ich genug zu fchaffen hätte,“ entgegnete er,
„tät' ich's.“
„Haſt wohl ebenſo ſchlechten Schlaf wie ich, Schufter?“
„Schlecht genug.“
„Und dann ſinnierſt du ebenſo wie ich — über das
eine?“
„Kann fchon fein.“
Ihre gligernden Augen fuhren durch das Zimmer,
als ob fie etwas ſuchte. „Haft du ein Bibelbud
im Haufe?“
„Wird ſchon eines da fein — da oben auf dem
Bord, Was willft du damit?“
Sie holte es fchweigend herunter, wiſchte den Staub
mit ihrer Schürze ab und legte es aufgefchlagen vor
dem Schufter hin. „Nun tue die Hand darauf — die
o Roman von Friedrich Zacobfen. 61
rechte. Und dann ſchwöre mir bei dem lieben Herrn
Sefus, daß du meinen Zungen nit ermordet hajt.“
„ah war’s nicht,“ fagte Riemann. „Ich befchwör’s
bei meiner Seligteit.“
Frau Walther trug das Buch wieder fort und
jeßte fich auf ihren Plaß zurüd, „Sch glaub’ dir's,
gatob,“
„Das haft du früher nicht getan,“ entgegnete er
und ſah ihr nachdenklich in das Geſicht. „Es ift doch
nicht mehr hberausgelommen, als was die zwölf Männer
gerichtet haben.“
„Vor den Leuten nicht, Zakob. Aber ich hab’ eine
Erfheinung gehabt.“
Ach ja, fie hatte wohl mehr als eine Erfcheinung.
Seitdem das Unglüd mit dem Sohne ihren Seift ge-
trübt, wurde fie oft von Difionen heimgeſucht, und
dann fchrieb fie Briefe an das Gericht. Aber bisher
hatte nur Riemanns Name in diefen Schriftjtüden
geitanden.
Dennod ging der Schufter auf ihre Zdee ein. „Zit
dir der Mörder erfchienen?“
„ein,“ entgegnete fie und blidte hinter ſich in die
Ede. „Es war mein Zunge, gerade fo blaß und blutig,
wie er unter der Eiche gelegen bat. Und er fagte zu
mir, es wäre einer mit weißen Haaren. Pie haft du
nicht, Zakob.“
Riemann wurde immer aufmerkſamer. Diefer alten
Frau hatte man ihr Einziges, ihr Liebites genommen,
und fie war feitdem wie eine Löwin, die ihr Zunges
ſucht. Shre Gedanten drehten fich immer nur um diefen
einen Punkt, und wenn auch der Geift darunter ge-
litten hatte, der Inſtinkt der Srrfinnigen war vielleicht
um fo ſchärfer. Sie hegte offenbar einen Verdacht.
Der ging dann durch ihre Träume und vermiſchte ſich
62 Ser Matel. Do
mit ihren DVifionen, aber der Verdacht felbjt konnte
Wahrheit fein.
Dem Schujter ſchlug das Herz bis in den Hals.
Er mußte fih zufammennehmen, um feine Aufregung
nicht zu verraten, aber ein einziges unbedachtes Wort
tonnte den ſchwachen Gedantenfaden in diefem Hirn
zerreißen, und dann war er nicht wieder aufzufinden.
„Cs gibt viele mit weißen Haaren,“ jagte er vor-
ſichtig.
„Nicht ſo gar viele, Jakob. Die meiſten in Gröde
haben ſchwarze, und die ganz Alten ſitzen hinter dem
Ofen.“ Dann neigte ſie geheimnisvoll den Kopf vor
und begann an ihren dürren Fingern zu zählen. „Man
muß die Sachen nur beiſammen behalten, Zatob. Das
Gewehr haben fie im Wald gefunden, in einem hohlen
Baum. Das Gewehr fei wie von Silber gewefen, fagen
die Leute, Es gibt nur einen in der Gegend, der Silber
und Gold hat,“ Sie hob den zweiten Finger hoch
und kicherte plößlich vor fih hin. „Ob, wie dumm
doch die Leute find! Der eine mit den weißen Haaren,
fo fagen fie, der ginge nie in den Wald! Und ich hab’
ihn doch felber gejehen — zweimal, dreimal in der
NVacht, wenn ich jelber im Walde war,“ Dann wurde
ihre Geficht wieder ernft, „Mich hätte er auch tot ge-
Ichoffen, wenn ih ihm in den Weg gelommen wäre,
Wer einen Meineid [hwören kann, der kann aud einen
Menfchen morden — und wenn er weiße Haare hat.“
„MWartha!“ fchrie Riemann auf.
Aber fie hob befhwichtigend die Hand. „Still, ic)
hab’ ja feinen Namen genannt! Ich will nicht vor
das Gericht. Wenn ich alles weiß, dann braucht man
nicht zwölf Männer dazu. Aber ich weiß noch nicht
alles. Ich denke, mein Zunge wird noch mal wieder-
tommen, daß ic) ihn nad) dem Weißkopf fragen kann.
s Roman von Friedrih Zacobjen. 65
Unrecht tun foll man feinem, Dir hab’ ih unrecht
getan.“
Mehr war nicht aus ihr herauszubringen, fie rappelte
ih wieder auf und ſchlich nah der Tür,
Der Schuſter begleitete fie, und als fie draußen
beifammen ftanden, horchte er auf den Märzwind, griff
über ſich in das niedrige Dach feiner Rate und fagte:
„Alſo das iſt jegt vor dir ficher, Martha? Den roten
Hahn ſetzeſt du mir nicht hinein?“
Sie entgegnete: „Du haft auf das Bibelbuch ge-
Ihworen. Du hajt keine weißen Haare — ich glaube
dir. Derrat mid nicht — den roten Hahn trage id)
bier in meiner Taſche, und wenn es Seit ijt, dann
fliegt er fhon hinaus.“ —
Noch lange Stand Zatob Riemann vor feiner Tür,
Hinter ihm wühlte der Wald, und vor ihm lag das
Ichweigende finftere Tal, So finjter wie der Schlafjaal,
in dem er drei Zahre hindurch mit DBerbrechern ge-
nächtigt hatte.
Daran dachte er jetzt. Wer ihm diefe drei Jahre
feines Lebens genommen hatte — und es hätten ja
auch mehr werden können — der verdiente den Tod,
Aber einer Srrfinnigen Rede ijt keine Rede,
Riemann konnte die Springmühle nicht fehen, es
war zu dunkel. Dennoch ftarrte er immerfort nach der
Richtung, wo fie lag, und wie wir an dem ſchwärzeſten
Himmel endlich einen Stern entdeden, wenn der Wille
ihn zu finden nur vorhanden ift, fo glaubte auch dieſer
argwöhniic gewordene Mann endlich ein Anzeichen
dafür zu erkennen, daß die Ruhe und der Schlaf des
Springtals eine Maste trage,
Er ſah wanderndes Licht, Wie eine Meine Rerzen-
flamme, die von der Hand beſchirmt wird, ging Der
Scdein bin und her, gleich jenen ruhelofen Srrlichtern,
64 Der Matel. ao
die nach dem Glauben des Volles über einem uner-
gründliden Sumpf fchweben follen.
Und der Schufter murmelte vor fich hin.
„Das ſchlechte Gewiffen!“ fagte er, „Die Angit
vor der Entdedung. Hüte dich, Müller Zahn, wir find
Dir auf der Spur, die Alte und ich, und wir haben beide
eine Schuld einzufordern. Deine weißen Haare follen
dir nichts helfen, und wenn die Gerichte dir nicht an
den Rragen wollen, jo hole ich dich mit diefen meinen
Fäuften aus dem Bau. Nur no ein bißchen Geduld
— Geduld — Geduld!“
Die Leute wunderten fih immer mehr über die
alte Walther. Bisher war fie ziemlich redfelig gewefen,
das heißt in Beziehung auf den einen Punkt, um den
ih ihre bischen Denten drehte, und der Name des
Schuſters Riemann hatte dabei eine große Rolle ge-
ſpielt. Nun ſchwieg fie plößlih, als wenn ein großes
Geheimnis ihre Seele bedrüdte,
Sonſt hatte fie für die Inſaſſen der Schufterkate
nur das giftige Wort „Mörderpad“ in den Mund ge-
nommen und dabei auf ihre Kleidertafche gefchlagen,
wo fie ftets eine Zündholzſchachtel verborgen trug;
jeßt ſah man fie bisweilen nach der Rate hinaufwandern,
und es hieß, fie hätte mit dem Schujter Frieden ge-
ichloffen.
Auch fonit ftreifte fie viel durch das Gelände, Der
Mald, in dem man fie bisher zu allen Zages- und
Nachtzeiten angetroffen hatte, jchien ihr gleichgültig
geworden zu fein, aber um die Springmühle freijte
fie wie ein Rabe, der irgendwo das Aas wittert und
ih doch nicht getraut, darauf niederzuftoßen.
Aber eines Tages erſchien fie in der Mahlftube mit
Oo Roman von Friedrich Zacobfen. 65
einem Säddhen Korn. Rlaus, der Mühltnappe, war
allein anwefend, und fie feßte fih in die Nähe des
Rades, an dem das Waffer niedertroff,
„Das wird nun wohl bald ftillftehen,“ ſagte fie.
„Warum glaubft du das?“
„Nun, wenn du fort bift, und wenn die Welfchen
fort ift, wer foll dann das Rad noch treiben?“
„Der Springbad.“
Die Alte fchüttelte den Ropf und lachte. „Mach
mic) nicht Dumm! Der Springbacd kann lange laufen!
Sch bin doch oft genug bei der ‚„Lede‘ gewejen und hab’
gejehen, wie die Steine übereinanderliegen. Sp wird
es hier auch bald ausfehen, Rlaus — verlaß dich darauf!“
Dem Burjhen wurde es unheimlich bei Ddiefen
Worten. Die „Lede“ war der Überreft eines Bauern-
haujes tiefer im Gebirge — vor vielen Zahren hatte
der Eigentümer das Geweje angezündet und war dann
nach Amerika entwichen; die Leute redeten noch bis-
weilen davon,
„Anjere Mühle brennt nicht jo leicht,“ fagte er.
„rennt nicht fo leicht, meinit du? Da ift Holz .
genug, und der Stall liegt voll Stroh, Cs braucht
bloß jemand zu fommen und das Streichholz hinein-
zuwerfen, dann gibt es ein hübfches Feuer. Viel jchöner,
als wenn die Schuftertate aufgehen täte.“
Das mit der Schujterkate begriff der Burſche, aber
die brennende Mühle wollte ihm nicht in den Ropf.
„Wer jollte denn das tun?“ fragte er.
„zun? Sun? — Hab’ ich einen Namen genannt?
Ich werde mid hüten, ih will nichts mit den Gerichten
zu fchaffen haben!“
Aber fie konnte ihre Augen nicht beherrſchen. Oieſe
unrubigen Augen gingen durch das Feniter der Mahl-
tube, und fie fchweiften nah dem Walde hinauf —
1912. VII. 5
66 Der Matel, on
juft dorthin, wo die Hütte des Niemann lag, von der
lie foeben gefprochen hatte. Und dann ftand fie auf.
„Mahl mir das Rorn recht fein, Rlaus, es ift Witwen-
brot — Sorgenbrot. Mahl es mir fo fein wie auf
Gottes Mühlen, und dann follft du auch einen Gottes-
lohn haben.“ —
Als bald darauf der Müller kam, ſagte der Burſche:
„Die verrückte Walther iſt dageweſen. Sie ſteckt ja
jetzt mit dem Riemann zuſammen und ſchwätzt aus der
Schule. Sie ſollten ein bißchen achtgeben, Herr, ſonſt
ſetzt Ihnen der Riemann noch den roten Hahn auf
das Dach — das ift fein Guter,“
„Denn die Alte es nicht tut,“ entgegnete Zahn.
„Die Alte hat ja wohl keinen Grund dazu, Herr.
Aber dem Schufter juden feine drei Jahre,“
Zahn murmelte etwas von den Gerichten.
Der Knecht fchüttelte den Ropf. „An Zhrer Stelle
würde ich das Geweſe verkaufen — weit weg ift beſſer
als nahebei.“ — |
Seitdem hatte der Müller gar keine Ruhe mehr,
Käufer für die Mühle fanden fih nicht, zum 1. Mai
ging das alte Gefinde ab, neues war nicht zu bekommen.
Und von Gujtav liefen nur dunkle Gerüchte durch das
Land. Er follte unten in der Rreisftadt eine Stelle
im Rontor eines Rornhändlers angenommen baben.
Man begriff das alles nicht.
Der Mai war gelommen, und im Zuchthaus zu
Neuftadt gab es wieder eine Entlafjung. Rarl Heder
hatte feine Zeit abgeſeſſen und ftand vor dem Pireltor,
um feine Bapiere in Empfang zu nehmen.
„An Zhrer Stelle würde ich außer Land gehen,
Heder,“ fagte der, „Sie haben wohl noch allerhand
auf dem Rerbholz, was man Zhnen bloß nicht fo genau
a) Roman von Friedrich Zacobfen. 67
nachweifen kann. Zn Amerika iſt für Sie der beite
Platz.“
„Wenn ich nur nicht ſo'n mächtiges Heimweh hätte,
Herr Direktor!“ |
„Nahen Sie mir do nichts weiß, Heder — ein
Kerl wie Sie und Heimweh! Zn Fhrer Heimat fchlachtet
man Zhnen wahrhaftig kein Ralb!“
„Nä, Herr Direktor, das wird wohl ftimmen. Aber
den einen oder anderen Freund hat man doch.“
Der Direktor ſtutzte, ſann nach und wurde fehr ernit.
„Damit meinen Sie wohl den Riemann? Ich will
Ihnen was raten, Heder, lafjen Sie den lieber in Ruh’.
Freigeſprochen ift er ja — na ja, jedenfalls aber liegt
er nicht auf Rofen. Und wenn die Leute hören, daß
er wieder mit feinem alten Rumpan anbandelt, dann
weiß ih’ auch, was die Leute dazu jagen werden.“
Heder kratzte jih den Ropf. „Das kann wohl ftim-
men, Herr Direktor, Uber er ift mir doch Dank ſchuldig!“
„Wenn Sie die Wahrheit beihworen haben, Heder,
dann ift der Dank nicht groß. Wenn nicht: dann ift es
ein gefährliher Pant,“
„Oh, Herr Direktor,“ ſagte der GSträfling, „ich
wollte, mein Gewiſſen wär’ überall fo rein wie in
diefer Sache!“
Bei feinem Abfchied händigte man ihm einen recht
hübſchen Überverdienft ein, denn gearbeitet hatte er
wie ein Pferd, in der Freiheit fehlte ibm bloß der
Antrieb dazu. Die Mahnung des Direktors ſchlug er
natürlich in den Wind. So ’n Herr konnte gut reden,
dem liefen die Freunde von ſelber zu, er brauchte fie
nicht mit Schujterpecd an ſich zu feſſeln.
Und Riemann war der einzige Freund, den dieſe
verlorene Menjchenfeele hatte, —
Die Heimkehr des Zuchthäuslers in feine Heimat
68 Der Matel. D
vollzog fich äußerlich angenehmer, als es damals bei
dem Schufter der Fall gewejen war. Die Sonne ſchien,
und die Bäume waren grün, obendrein geitattete der
Überverdienft eine ftolze Eifenbahnfahrt dritter Güte,
Zn feinem eigentliden Geburtsort Thalheim hielt
fih Heder nicht lange auf. Das Heimatsgefühl war
natürlich nur fo ’n Gerede gewefen, wie Sträflinge es
ihren Vorgeſetzten gegenüber auftifchen, Daheim fchrieen
es ja die Spatzen von den Dächern, daß der verlorene
Sohn wieder da jei.
Er ging vom Bahnhof aus geradeswegs durch das
Städtchen. Bei dem Raufmann am Tor, demfelben,
bei dem Annemarie die erjten Lebensmittel für ihren
Dater eritanden hatte, kaufte er fich eine richtige Titer-
flafche voll Schnaps und ſchmiß ein blantes Fünfmarf-
ſtück auf den Zieh, dem ſah man’s nicht an, wie hart
es überverdient war.
Dor dem Laden kam ein Heiner Dämpfer. Der
Machtmeilter Runge kreuzte den Weg des Sträflings,
ertannte ihn fofort und forderte Einficht der Papiere,
Heder zeigte mit frechem Grinfen feinen Ent-
laffungsichein. „Sch hab’ ehrlich abgeſeſſen, Herr Wacht-
meijter,“ fagte er, „bis auf die lebte Minute, Es war
ein böſes Stüd Arbeit!“
„And nun?“
„Mit der Fortſetzung drängelt es niht. Wir haben
Geld genug.“
„Wird nicht lange vorhalten,“ meinte der Beamte
und deutete auf den Hals der Flaſche, die aus der
Sade hervorlugte.
„Das bischen Stoff? Na, da haben Sie allenfalls
recht.“
„Nur nicht vagabundieren, Hecker!“
„Wo denken Sie hin, Herr Wachtmeiſter! Dieſe
0 Roman von Friedrich Zacobfen. 69
Naht fchlafe ih in der Schufterfate — das ift Doch
ein ebrlihes Haus!“
„And wenn der Überverdienft alle ift, Heder?“
„Dann wird gefchuftet. Sie follten nur mal fo ’n
Jahr im Rittchen figen, Herr Wachtmeifter, dann würden
Sie auch ſchuften!“
Nach dieſem Trumpf zog er grinſend ab, und Kunze
begab ſich zur Meldung auf das Gericht.
„Er iſt wieder da,“ ſagte er zum Amtsrichter. „Den
Heder meine ih. Und er tut fi mit dem Schuiter
Riemann zufammen.“
Molff zudte die Achjeln. „Wir können es nicht
hindern, folange nichts vorkommt. Aber das iſt
nicht gut.“
„Nein, Here Amtsrichter, gut ift es nicht, und
pajlieren wird fchon was. Sch möchte jebt fein Reh-
bod fein.“
Der Amtsrichter fah den Alten bedeutungsvoll an.
„Seitdem wir den Zwilling hier unten haben, ift es
da oben beifer geworden — nicht?“ |
„Aber fehr, Here Amtsrichter. Seitdem und feit
manchem anderen.“
„Nur Vorſicht und offene Augen, Runge!“
Karl Heder wanderte in die Berge hinauf. Mit-
unter madte er halt und tat einen Zug aus feiner
Flaſche. Dann bielt er fie jedesmal gegen das fcheidende
Licht.
„Für den Schufter muß was übrig bleiben,“ brummte
er. „Wir wollen eine luftige Nacht feiern. Es hält
doch nix auf der Welt beſſer zufammen als das Rittchen!“
Und dann wurde er fentimental.
„Drei Zahre unfchuldig — das foll der Teufel holen!
Wenn ich alles abfien müßte, was ich mit Recht auf
dem Rerbholz hab’, dann hätte ich dem Schufter feine
79 Der Makel. D
Kluft anziehen können. So — das war jet der le&te
Zug!“
Ziemlich angeheitert fam er mit der Duntelbeit an
die Rate, Das Licht brannte ſchon in der Werfitatt,
und Heder umkreiſte zweimal das Haus, Als er fi
überzeugt hatte, dag Niemann allein fei, ſchlug er mit
der Zauft gegen die Tür und ftimmte ein altes Spih-
bubenlied an.
Da kam der Schufter heraus. Er hielt die Lampe
in der Hand, erkannte den alten Rameraden und ftellte
fih breit in den Eingang.
„Geh lieber ein Haus weiter, Rarl!“ fagte er.
„Das wär’ ’ne Runft, Zatob.“
„Weißt du nicht, was ich dir da unten ſagte, als wir
uns zum legten Male fahen?“
„Mein Gedächtnis ift nur gut, wenn es gilt, einen
alten Rameraden herauszupauken.“
Das Wort wirkte, Riemann trat zurüd,
„Sp tomm berein. Aber was willft du eigentlich
bier?“
„Vorläufig übernachten. Du haft doch Pla?“
„ga,“ entgegnete Riemann. „Meine Annemarie
ift wieder fort, Es langte nicht für zwei.“
„VOeſto beifer wird das für zwei langen!“
Heder hatte die Stube betreten und ftellte feine
Schnapsflafhe auf den Tifch.
„Für Dich und mich,“ fuhr er fort. „Zunge, Zunge,
da kommt ein alter Freund, dem du deine Freiheit
zu verdanken hajt, bringt dir nen guten Tropfen ins
Haus, und du madjit ein Geficht, als ob ich der leib-
haftige Satan wärel Pu bift doch nicht unter Die
Betbrüder gegangen?“
„Uber unter die ehrlichen Leute,“
Das Geſicht des Zuchthäuslers verzog fich zu einem
o Roman von Friedrih Zacobfen. 71
breiten Grinſen. „Das iſt ein ſaurer Weg! Du hätteſt
nur ſehen jollen, was unjer Alter da unten in Neustadt
für Fragen fchnitt, als er auf deine Gefchichte zu reden
kam. ‚Sie haben ihn freigefprohen — na ja,‘ knurrte
er durch die Nafe, und die beiden lekten Worte famen
fo lang heraus wie dein Pechdraht. Die Grödener
haben dir wohl auch keine Ehrenpforte gebaut — diefe
Raffelbande!“
„aß mid nur erft den richtigen heraushaben,“
fagte der Schufter finfter. „Sie follen mir noch alle
Abbitte tun, daß fie mich für einen gemeinen Mörder
gehalten haben.“ | |
Der andere ſah, daß fie mit ihrer Unterhaltung in
dem richtigen Zahrwafjer waren. Er fette ſich breit
an den Tiſch, rüdte feine Schnapsflaihe näher und
entgegnete: „Darauf können wir allenfalls einen neh-
men, Übrigens meine ich, daß es beſſer ift, Jakob,
wenn du den Zäter nicht berausbelommit, denn por
die Abbitte wirft du Dir ſelbſt einen netten Riegel
ſchieben.“ |
„Wieſo?“
„Ou wirſt den Kerl einfach totſchlagen, und das
kommt dann wiederum heraus.“
Riemann antwortete nicht gleich. Er betrachtete
die Flaſche mit begehrlichen Augen, tat endlich einen
tiefen Zug und legte ſeine geballte Fauſt auf den Tiſch.
„Weinſt du, Karl? Oenkſt du, ich hätte noch nicht
genug Angft vor dem Henker und genug Bein im Zudt-
baus ausgeitanden, daß ich noch mal die Sache auf
mich nehmen möchte? Und diesmal in Wirklichkeit,
Rarl? Denn das erſte Mal hatte ich doch immer noch
mein gutes Gewiljen.“
Heder fchüttelte den Ropf. „Auf das gute Gewiſſen
pfeil’ ich mit Verlaub. Hab’ ich was ausgefreſſen, jo
72 Der Makel. oO
murr’ ich auch nicht über die Strafe, aber wenn mid
einer unjchuldig hineinbrächte — bei des Teufels Groß-
mutter, ich drehte ihm den Rragen um! Übrigens
dünkt mich, daß wir es wie die Nürnberger machen.
Du haft ja den Kerl noch gar nicht heraus.“
Der Scufter blidte fih um. Sie waren ganz allein,
und man börte nur das Ticken der Wanduhr. Aber
dennoch dämpfte Niemann feine Stimme, als ob er
einen Lauſcher fürchtete. „Sch bin ihm auf der Spur!“
flüfterte er.
„Das Teufel?!“
Sie rüdten zufammen und tufchelten miteinander.
Nah einer Weile ftedte Heder die Fäufte in die
Taſche und pfiff durch die Zähne. „Jakob, Zatob, die
Sache ſteht auf ſchwachen Füßen! Alſo man hat ein
feines Gewehr gefunden, wie es keiner von den Grö—
dener Lumpen bezahlen fanu, und die verrüdte Walther
hat den Müller bei Nacht im Walde geſehen. Schön,
das genügt vielleiht, um einen heimlichen Wilddieb
aus ihm zu maden. Aber muß er darum auch den
Walther erſchoſſen haben? Da find doch noch mehr,
Die das fertig bringen! Pas bißchen Meineid meinft
du? Wenn’s wirklid ein Meineid war, dann läßt fich
ein Ders darauf mahen — er kann aber auch im guten
Glauben geweien fein.“
„Das Gewiſſen!“ fagte Riemann. „Pas nächtliche
Herumlaufen in der Mühle, die Trennung von feinem
Sohn —“
Heder dachte angejtrengt nad. „Möglich wär’s ja,
für einen fcheinheiligen Hund habe ich ihn immer
fariert, aber auch für einen fchlauen. Zunge, Zunge,
Dazu gehört was, um dem in die Rarten zu guden!“
„ah kann's nicht!“ fagte Riemann finiter.
„Kann ich's etwa?“
a Roman von Friedrich Zacobfen. 73
- Blößlich Schlug der Schufter auf den Tiſch. „Wenn’s
einer fchaffen foll, der muß täglich und ftündlih um
ihn fein! Der muß ihn plagen und ängjtigen mit Fragen
und Andeutungen, bis ihm der Schred in die Haar-
Ipißen fährt und er fein Geheimnis herausbrüllt, Ein
Teufel muß es fein, wie du einer bijt!“
„Soll ih mich etwa von u adoptieren lajjen?“
fragte Heder grinjend.
„Es gibt ſchon einen Weg. Seit dem 1. Mai ift
der Müller in taufend Nöten, Sein Mühltnappe ift
fort, und einen neuen kriegt er niht. Die Mühle möchte
er verlaufen und findet feinen Liebhaber, Er muß
jich jelber abplagen. Wenn nun einer fommt und fi
als Mahlburfche anbietet — er nimmt ihn, und wenn
der Teufel den hergekarrt hätte!“
„Mich auch?“ fragte Heder grinfend. „Aus der
Hölle komme ich ja nicht, aber aus dem Zuchthaus,
und das ift Hü wie Hott.“
Riemann war im Eifer. „Zuft einen Kerl wie dich
nimmt er am liebften! Gerade weil du ein Spißbube
bift, wird er dich lieber um fich fehen als jeden anderen.
Wenn er dich anfieht, fo braucht er wenigitens nicht
rot zu werden.“
Bart bejaitet war Heder nicht, das mußte man ihm
laſſen; er gehörte zu den Spißbuben, die fih auf ihre
Dergangenheit etwas einbilden. So wurde er aud
feineswegs grob, fondern nur nachdenklich und trant
in diefer Stimmung die Flaſche leer.
Dann ſchaute er auf die Wanduhr und meinte, es
wäre wohl allmählid Zeit zum Schlafen, die Sache
mit dem Müller ließe ſich ja überlegen.
Er hatte auf das Bett in der Rammer gehofft, aber
Riemann fagte, eine Streu täte es auch; fie wäre eigent-
lich immer noch viel zu gut für fo einen Kerl,
74 Der Makel. 0
Auf diefen Scherz hin wurde die Streu in der
Stube aufgemadt. Die Lampe erlojch, und die beiden
legten ſich. Schlafen konnte keiner — der Schufter
wälzte fih in feinem Bett, und Heder rajchelte mit
dem Stroh,
Endlich jegte er fich aufrecht und fah in das Mond-
licht, das die Stube anfüllte. „Zakob!“ rief er dann
leiſe.
„Was denn?“
„Wie iſt denn ſonſt die Gelegenheit in der Mühle?“
„Was meinjt du?“
„Weiter nix. Ich hab’ nur fo ’ne Abneigung gegen
große Hunde und Schießgewehre, Und Zrauenzimmer,
die ihre Naje überallhin fteden, find mir vollends zu-
wider.“
„Ein Hund ift da und an Stelle der alten Haus-
hälterin ein junges Ping. Don Gewehren weiß ich
nir. Uber das alles kann dir doch einerlei fein, wenn
du Mühltnappe bijt?“
„Da haſt du reht. Sch meinte auch nur fo. Gute
Nacht.“
Nah einer Weile richtete fih der Schufter auf.
„Karl!“
„Was denn?“
„Du haft doch nit im Sinn, den Müller totzu-
ichlagen?“
„Ben® niht dran. Nur aushorchen will ich ihn,
Das Totſchlagen fannft du nachher bejorgen.“
Weiter wurde nichts geſprochen. Riemann legte
lich wieder um, und der andere horchte noch eine Weile.
Dann war alles Still, —
Am folgenden Morgen wanderte Heder wirklich
nad der Mühle. Er hatte mit feinem Gaftfreund ver-
einbart, daß das lebte Nachtquartier ein Geheimnis
s Roman von Friedrih Zacobfen. 75
bleiben follte, denn was aus der Schuiterkate kam,
das mußte dem Müller von vornherein verdächtig er-
ſcheinen.
Zm übrigen machte der entlaſſene Zuchthäusler gar
keinen ſchlechten Eindruck. Sie werden ja in der Straf-
anftalt rafiert und graufam kurz gefchoren, und das
steht nicht jeder DBerbredherphnfiognomie; aber der Di-
rettor von Neuftadt war ein humaner Mann und ge-
itattete, daß feine Sträflinge einige Monate vor der
Entlajjung Haar und Bart wachſen ließen. „Sie find
ja ohnehin genug gezeichnet,“ pflegte er zu jagen.
So konnte der kräftig gebaute Heder ſich wohl fehen
laffen; nur in Bewegung und Blid lag etwas Lauerndes,
und das hatte er fih auf feinen Wanderfahrten an-
gewöhnt, denn die Straßentöter waren ihm niemals
jehr grün gewejen und die Gendarmen noch weniger.
Auch bei der Springmühle bewährte fich diefe Er-
fahrung. Als Heder näher herankam, ſah er den großen
Molfshund des Müllers vor der Tür liegen und machte
Ihon von weiten allerhand lodende Gebärden. Das
Tier aber erhob ein zorniges Gebell und ſprang ihm
drohend entgegen.
In diefem Augenblid öffnete ſich ein Fenſter, und
Zahn rief mürriſch hinaus: „Zurüd, Tiras!“ Dann
erihien er felbjt unter der Tür,
Heder grüßte fehr höflich und lobte die Wachfamteit
des Hundes,
Der Müller aber lächelte grimmig: „Wenn ich nicht
Dabei bin, dann zerreißt er jeden in Stüdel Was
wünfhen Sie von mir?“
Seit der Verhandlung hatte Heder den Mann nicht
mehr gefehen, und er fand ihn fehr verändert: fchnee-
weiß, abgemagert, hinfällig und mit trüben Augen.
Die jchienen überdies furzfichtig geworden zu fein, denn
76 Der Makel. 0
fonft hätte er den früheren Dagabunden wohl wieder-
erkannt.
Der nannte ganz gelajjen feinen Namen, denn fich
unter einem faljchen einzufhmuggeln war ganz un-
möglid — das wäre in vierundzwanzig Stunden ber-
ausgelommen.
Zahn fann einen Augenblid nad. „Sp — alſo der
find Sie. Da tommen Sie wohl — hm —“
„Aus dem Zuchthaus, Herr Zahn. Es ift ja richtig,
ih hatte mich zu einer Straftat verleiten laſſen, und
ih habe meine Strafe abgejejfen. Aber nun möchte
ih ein ehrlicher Rerl werden.“
„So — das möchten Sie aljo?“
„Das ift [Schwer oder leicht, je nachdem,“ fuhr Heder
fort. „Wenn man mir die Tür vor der Naje zufchlägt,
dann bin ich gezwungen, wieder zu ftehlen; aber ein
bischen guter Wille kann das ganze Leben wieder auf-
richten. Zch habe ihn, Herr Zahn, und die Leute fagen,
daß Sie ihn auch haben.“
Wenn Heder wollte, dann konnte er jehr treuberzig
Iprechen, und in diefem Augenblid brachte er fogar ein
leichtes Zittern der Stimme fertig, Der Umitand, daß
Tiras ihm in verdädtiger Weife an den Waden herum-
jhnopperte, trug vielleicht etwas dazu bei.
„Ich kümmere mich wenig darum, was die Leute
ſagen,“ entgegnete der Müller. „Sie ſuchen alfo Arbeit?“
„ge mehr, dejto beijer, Herr Zahn.“
„Na ja, das find fo Redensarten. Willen Sie in
einer Mühle Beſcheid?“
„Ich babe ſchon einmal vier Wochen in einer ge-
arbeitet,“ log Heder.
„Warum nicht länger?“
„Der Müller machte Konkurs,“ log Heder tapfer
weiter.
e) Roman von Friedrich Zacobfen. 71
}
„Aber ein Zeugnis hat er Ihnen doch ausgeftellt?“
„Nein — er hing fih nämlih auf.“
Eigentlih gereute Heder das Wort, denn Zahn
madte auf ihn den Eindrud eines Mannes, der unter
Umſtänden felbit fo etwas fertig bringen könnte.
Zahn jtand auch lange Zeit da und fchaute ganz
verloren vor fich hin.
Endlich raffte er fih wieder zufammen. „Arbeit
hätte ich ſchon, Heder, denn diefes Haus war in der
legten Zeit wie ein Schiff, aus dem die Ratten aus-
wandern, Aber wenn ich einen Derfuh mit Zhnen
mahe —“
Er ſprach keine Drohung aus, aber der Blid, mit
dem erden großen, ftämmigen Mann mufterte, bedeutete
doch nichts Gutes. Es lag jebt eine wilde Energie in
feinen Augen, und Heder dachte bei fich, daß er unter
gewiffen Umjtänden lieber nichts mit dem Müller zu
tun haben mödte,
Unter Umſtänden, wenn die Rollen nicht gleich
verteilt waren.
Zaut aber entgegnete er: „Sie bekommen einen
dankbaren Hausgenofjen, Herr Zahn. DVielleicht ahnen
Sie gar nicht, was der Dank eines Unglüdlichen wert
it.“ —
Sp zog Heder wirklich in die Mühle ein. Er bekam
die Rammer zugemwiejen, in der fein Vorgänger ge-
wohnt hatte, und aß in der Rüde zufammen mit dem
Mädchen. Die Refi war ein junges Ding von fiebzehn
Zahren, die noch nicht viel vom Leben kannte. An
Heders Vergangenheit ftieß fie fi nur wenig, denn
ihr eigener Dater hatte fehon im Gefängnis geſeſſen,
und bei der eriten gemeinfamen Mahlzeit meinte Heder,
zwifhen Gefängnis und Zuchthaus wäre eigentlich gar
fein Unterfchied,
718 Der Matel. 8)
Höchſtens das Eſſen fei im Zuchthaus beſſer.
Bei einiger Beobachtung hätte der Müller bald
merken fönnen, daß fein neuer Mühltnappe vom Ge-
ſchäft ungefähr fo viel veritand wie die Ruh vom Lefen,
aber viel ſchneller entdedte Heder, daß fein Herr fich
um nichts befümmerte. Und als er am zweiten Tage
zufällig Niemann begegnete, da gab es eine kurze
Unterhaltung.
„3b hab’ nicht übermäßig viel Gewiffen,“ fagte
Heder, „sonst bifje es mich tot. Aber der Müller hat
davon eine ganze Maife, und das ift noch fchlimmer.“
„Angit hat er!“ meinte Riemann.
„Die Angſt foll erft noch kommen!“
„Halt du ihm fchon eingeheizt?“
„Nein, das Holy war noch nicht troden. Aber heute
abend wird der Anfang gemadt.“
Sie hatten eine Nachtfchicht vor in der Mühle. Es
waren plößlich Beitellungen gelommen, die ſchleuniger
Erledigung bedurften, und Zahn hatte es daher fo
angeordnet. Er griff heute auch ſelbſt mit zu, und die
beiden Männer waren allein in der Mahlſtube.
Sie hätten faum der Laterne bedurft, die vom Ded-
balten niederhing, denn es war eine fehr helle Mond-
nacht, und man fonnte weit hinaus in. das Gebirge
ſehen.
Als eine kleine Pauſe in der Arbeit eintrat, ſtellte
Hecker ſich an das Fenſter der Mahlſtube, während Zahn
hinter ihm auf dem Mahlkaſten ſaß und eine Taſſe
Kaffee trank.
Plötzlich ſagte Heder: „Gerade fo war es damals.“
„Was?“
„Vor vier Zahren. Gerade ſo mondhell.“
s Roman von Friedrich Zacobfen. 79
„Wovon ſprechen Sie denn, Heder?“
„Sie wilfen doch, Herr Zahn, Sie famen damals
von Thalheim herauf und in die Nähe von der Schuiter-
kate. Ich meine die Nacht, als der Walther umgebracht
wurde.“
„Das ift lange her.“
„Mir ift es noch wie heute, Ich war doch damals
mit dem Riemann im Revier, ih brauche ja fein Ge-
heimnis daraus zu maden, denn es liegt alles auf dem
Amte, Kreuz und quer waren wir in dem ganzen
Revier hberumgelaufen.“
Der Müller ftellte feine Raffeetajfe aus der Hand,
und Heder hörte das Klirren des Porzellans.
„Ich denke, ihr ſeid auf dem einen Zled geweſen?“
„Habe ich das vor Gericht ausgefagt? Dann muß
ih wohl mißverftanden worden fein. Rreuz und quer
find wir herumgelaufen und haben uns bald hierhin
bald dorthin gedrüdt. Es war hölliſch lebendig im Revier
— in jener Nacht.“
„Qun können wir wohl wieder anfangen,“ fagte
Zahn aufitehend.
„Zreilih können wir das. Aber wenn id) das
Mühlrad anfehe, wie es fich dreht, dann fommt mir
immer wieder derjelbe Gedanke: Wer mag den Forit-
aufieher Walther wohl erjchojjen haben?“
„Der it ja erftochen worden,“ murmelte der Müller
und zog die Radichüten auf.
„Daran glaube ich nun ſchon lange nicht, Herr Zahn.
Die Gefhichte mit der Ahle iſt doch nur ausipintifiert
worden, um den Riemann bereinzulegen, und darum
hat der auch gejchworen, daß er den Täter entdeden
und ihm das Genid umdrehen wollte. Ei, ei — ob
der feine Zwilling, den fie im Walde gefunden haben,
wohl mit diefer Geſchichte zufammenhängt?“
SO Der Matel. OD
Rarl Heder hatte bei diefen Worten eine Wendung
gemadt, fo dab er dem Müller gerade in das Geficht
ſah, und er lächelte ganz unfchuldig, obwohl jener fo
blaß wie die Wand geworden war.
„Das ift ein ganz verrüdter Gedanke,“ ftammelte
Zahn.
„Er kommt aud von einer Derrüdten — nämlich
von der alten Walthern. Man kann's ihr ja nicht ver-
denken, daß fie darüber fpintifiert, und wiffen könnte
lie vielleiht auch was, denn es war ja immer ihre
Gewohnheit, im Walde hberumzulungern, Die weiß
beijer Beiheid von allem, was im Revier vorgeht, als
ih und Sie.“
Das lebte Wort konnte einen Wit voritellen, denn
die Leute glaubten doch alle, daß der Müller niemals
eine Flinte in der Hand gehabt hätte, Heder lachte
auch dazu. Aber das war ein greuliches, unheimliches
Laden, und es ging dem Müller durh Mark und Bein.
Es fiel ihm plötzlich ein, daß diejer große breitjchulterige
Menſch, mit dem er ganz allein in der Mahlitube war,
ja im Zudthaus geſeſſen und vielleicht noch ganz
andere Dinge begangen hatte als einen lumpigen
Einbruch.
Er ging an die Tür und rief nach ſeinem Hunde.
Hecker aber nahm inzwiſchen eine Axt und ſchlug
ein loſes Brett damit feſt. „Was ſoll das Dieh?“
fragte er.
„Ich babe den Hund gerne um mich.“
„3a, es it einfam auf der Mühle. Seitdem der
junge Herr fort iſt, noch viel einfamer als früher, An
Shrer Stelle, Herr Zahn, täte ih mid fürchten.“
Zahn fürdhtete fich jo ſehr, daß ihm die Knie zitter-
ten. Es gereute ihn fchon taufendmal, daß er diejen
unbeimlihen Menfchen bei fih aufgenommen hatte,
QO- Roman von Friedrich Zacobfen. 81
und es lag ihm auf der Zunge, eine Ründigung aus-
zuſprechen.
Aber dann überlegte er wieder. Zetzt, unmittelbar
nad dieſem Geſpräch zu kündigen, das konnte jo aus-
ſehen, als ob ein Zufammenhang vorhanden wäre, und
der Derdacht war vielleicht ohnehin ſchon rege geworden.
Einen Streit vom Zaun breden? Ab ja, der
Hund war inzwijchen hereingelommen und hatte fich
mürrifch neben feinem Herrn gelagert; aber Rarl Heder
bantierte noch immer mit der Art, und er fhien fie
gar nicht wieder aus der Hand legen zu wollen..
Sp arbeiteten fie fhweigend weiter, —
Am folgenden Tage hatte Heder eine neue Über-
raſchung für feinen Herten — ausgerechnet um die Eifens-
zeit, wo die Menſchen ſonſt friedlich gejtimmt find. Da
fam er wegen einer Gejchäftsangelegenbeit in die
Stube, und als er ſchon die Tür wieder in der Hand
hatte, drehte er fih noch einmal um,
„Haben Sie’s ſchon gehört, Herr Zahn, nächftens
tommt das Gericht,“ fagte er,
Der Müller wollte gerade den eriten Löffel Suppe
nehmen. Der Elirrte plöglih auf den Zeller zurüd,
„Das Gericht?“
„Da ja — wegen der Riemannihen Sache.“
„Die foll wieder aufgenommen werden?“
Heder lachte. „Ah Gott, Herr Zahn, Sie denten
noch immer an die alte Geſchichte! Ich ſpreche ja nicht
von der Waltherjhen Sache, jondern von der Nie-
mannſchen. Dem Schuſter foll das Haus verkauft
werden.“
Da hob Zahn den Ropf und atmete tief, auf. „Dann
wird er wohl auswandern müfjen?“
„Kann fein, Herr Zahn — kann aud nicht fein,
denn der Säufter bat doch noch feinen N zu er-
1918. VII.
82 Der Matel. N)
füllen, Es gibt welche, wenn die fein Dach über dem
Ropf haben, dann werden fie erſt recht fchlimm. Und
ein Schwur bleibt ein Schwur, damit foll man keinen
Spaß treiben. Na, ih wünfche aud wohl zu fpeifen,
Herr Zahn.“ |
Er ging hinaus. Aber er fam auch wieder. Er machte
ih oft etwas zu Schaffen in der Stube. Die Gelegen-
heit war leicht, denn der Müller hodte den ganzen
Sag drinnen, und er war je&t ſo unachtſam geworden,
Daß ihm die Augen feines Mühlknappen entgingen.
Die liefen bei folhen Gelegenheiten in der Stube
herum wie Irrlichter. Zuchthausaugen waren es —
zwinternd, verftohlen, lauernd, Augen, die wie Röntgen-
ſtrahlen durh Schränke und Truhen bindurchfeben, die
jedes Schloß auf feine Feſtigkeit abmaßen und jeden
Spalt auf feine Schwäche.
Und dann kam eine Naht — gegen Ende Mai, als
der Mond fchon fpät aufging und einige dunkle Stunden
zwilchen zwölf und zwei Uhr lagen.
Eine etwas ftürmifche Naht war es.
Beim Abendeſſen in der Rüche hatte Heder fich mit
der Reli genedt. Ob der Riegel vor ihrer Rammer
auch gut halten täte, fragte er. Das junge Ping war
ſcheu, und nach diefer Andeutung konnte er ficher fein,
daß fie zwei Riegel Statt einen vorfhob und den Hund
womöglich zu ſich in die Rammer nahm.
Auf das leßtere hatte er es hauptfächlich abgejehen.
Und dann legte er fih früh ins Bett. Ein Licht
und Streihhölzer ftellte er an das Ropfende und die
Taſchenuhr daneben. Don Zeit zu Zeit ftrich er eines
von den Sündhölzern an und ſah auf die Zeiger.
Es war fo ftille im Haufe, dag man die Mäufe
fnabbern hörte. Dann das Raufhen am Wehr und
den Wind.
a Roman von Friedrih Zacobfen. 85
Heder machte abermals Licht und begann ſich an-
zulleiden — bis auf die Stiefel. Dann griff er unter
das Bett. Port Stand ein Raften mit Handwertszeug,
und aus dieſem fuchte der Zuchthäusler fich drei Gegen-
itände heraus: einen [hweren Hammer, eine Zeile und
einen Meißel. Die beiden lebteren ſchob er in die Hofen-
tafche, den Hammer nahm er in die rechte Hand, das
Licht in die linke.
Und fo verließ er auf Strümpfen die Rammer.
Ganz leife, Schritt vor Schritt, und bejtändig hor-
chend fchlib er den Gang hinab. Es fam ihm Dabei
eine Erinnerung. Sp war es damals gewesen, als er
bei Doktor Berger den Einbruch verübte. Nur der
Hammer fehlte, ftatt deffen war es eine Brechſtange
gewejen.
So kam Heder allmählidy bis an die Stubentür des
Müllers. -
Die war nicht verfchloffen, das wußte er ganz genau,
denn Reli mußte des Morgens früh hinein, um den
Raffeetiich berzurichten, und zwar bevor der Müller
aufgeitanden war; des le&teren Schlaftammer aber lag
unmittelbar hinter der Wohnſtube und hatte nach dieſer
ihren einzigen Ausgang.
Ob Zahn fi wohl des Nachts in feiner Rammer
einzufchließen pflegte?
Heder hätte es an feiner Stelle ganz gewiß getan,
aber die Reſi erzählte, daß fie ihm den Raffee bis-
weilen an das Bett bringen mußte, und daß er die
Tür immer fperrangelweit aufitehen hätte, weil er jo
arg an Bellemmungen litt.
Das alles überlegte fih Heder ganz genau, während
er in Strümpfen draußen auf dem Flur ftand und
binter ſich in das ftille Haus horchte.
Zuerſt büdte er fih und ſah durch das Schlüffelloch.
84 Der Matel. o
Ein matter Schimmer fiel in fein Auge, der fam
nicht aus der Wohnitube, denn fonft hätte er heller
fein müffen, fondern er ftammte aus der Schlaftammer
jelbft, und folgli ftand die Derbindungstür offen.
Nah einer Weile unterfhied Heder die einzelnen
Gegenitände.
Der Müller lag in feinem Bett und hatte das Ge—
licht der Wohnſtube zugewendet. Er fchien zu fchlafen,
denn feine Augen waren geſchloſſen, und die rechte Hand
rubte jo fchlaff auf der Dede, wie es nur zu fein pflegt,
wenn das Bemwußtfein den Rörper verlaffen hat. Am
Ropfende des Lagers ftand ein kleiner Tiſch. Auf
diefem brannte das Nadtliht, und daneben lag ein
Gegenitand, den Heder zuerjt nicht erkennen konnte.
Als er aber genauer hinſah, glaubte er die Umtiffe
eines Revolvers zu erkennen.
Aber das war es nicht allein, und das war nicht
einmal der Hauptgrund, weshalb der Verbrecher leije
mit den Zähnen knirſchte, fondern vor dem Bette des
Müllers lag Tiras, der Wolfshbund. Auch diefer jchlief,
denn er hatte den Ropf auf die Vorderpfoten gelegt;
aber der Schlaf eines Hundes bedeutet nicht viel, und
Heder wußte das am beiten.
Dennoch fürdhtete er die Zähne der Beſtie weniger
als etiwas anderes. Den anipringenden Hund konnte
er mit feinem Hammer niederfchlagen — er hatte Ähn-
lihes ſchon mit einem Rnüppel fertig gebracht und
durfte fich auf die Kraft feiner Muskeln verlajjen; aber
darüber mußte der Müller aufwachen, und dann hatte
er auch fchon eine Rugel zwiſchen den Rippen,
Wenn Zahn wirklich aufwacte.
Heder fühlte plößlih, daß es ihm kalt über den
Rüden lief. Er ſah noch einmal hin, und es fiel ihm
auf, dab das Geficht des ſcheinbar Schlafenden fo ent-
a Roman von Friedrih Zacobfen. 85
feglih blaß und regungslos war, daß man auch an
etwas anderes Dabei denten konnte.
Diefer Mann litt doch am Herzen, die Leute be-
haupteten es alle, und herztrante Menſchen fchlafen
nicht felten ein, um nie wieder aufguwachen.
Dann wäre der Hammer nur für den Hund da-
gewefen.
Es vergingen zwei, drei Minuten. Heder hatte das
Licht ausgelöfht und fniete jet por dem Schlüfjelloch,
um beffer beobachten zu können. Er rang mit fih
ſelbſt, was er tun follte, aber es war nicht der Rampf
zwiſchen Gut und Böse, fondern der Widerftreit zwijchen
Furcht und Hoffnung.
Dann atmete er plößlich tief auf.
Jahn regte die Hand. Ganz leife und wohl un-
bewußt, aber er hatte fie bewegt, und das rettete ihm
vielleicht fein Leben.
Denn der da draußen erhob fich vorfichtig von den
Knien und taftete fich nach feiner Rammer zurüd, Dort
fiel er angelleidet auf das Bett und fchlief fofort ein.
Die lebte Diertelftunde hatte feine Nerven doch mit-
genommen,
Aber am folgenden Morgen ftand er in der Mahl-
tube und pfiff einen Gaſſenhauer. Der Müller fam
herein, machte ſich allerhand zu jchaffen und feufzte
Dabei fortwährend.
Da drehte Heder jih um. „Sie haben wohl wieder
ſchlecht geſchlafen, Herr Zahn?“
„Es ging — aber ſo arg ſchlimm geträumt.“
„ga,“ entgegnete Heder, „mir träumt auch oft vom
Kitthen. Aber jet habe ich, Gott fei Dank, ein gutes
Gewifjen, und das andere fchüttle ich ab.“
(Fortſetzung folgt.)
<q
+,
aaaaaac Tl 0 AT 077 0 N] 7 ll 777 577775
Optifhe Feuerwehrſignale.
Don Loth. Brenkendorff.
mit 19 Bildern. * (nachdruck verboten.)
De Organiſation des Feuerlöſchweſens hat während
der letzten Zahrzehnte in fait allen größeren
Städten [ehr bedeutende Verbeſſerungen erfahren. Wo
die verfügbaren Mittel es erlaubten, hat man die frei-
willigen Feuerwehren, denen bei allem guten Willen
und allem Pflichteifer der Mannichaften naturgemäß
immer gewiffe Mängel anhaften müffen, durch eine
Berufsfeuerwehr erjeßt, deren Ausbildung eine erheb-
lich vieljeitigere und gründlichere fein konnte. Sn den
großen Metropolen ift es fogar dahin gekommen, daß
die Feuerwehren zu Elitelorps geworden find, deren
Zeiftungsfähigfeit höchjte Bewunderung erregen muß,
und die man fürftlichen Befuchern mit demjelben Stolz
porführt wie die auserlefenen Negimenter der Armee.
Die großen Spmpatbien, deren fich dieſe aus-
gezeichneten Mannfchaften überall in der Bevölkerung
zu erfreuen haben, find ebenſo begreiflih als wohl-
verdient, Mit peinlichiter Sorgfalt ausgewählt und
vor der endgültigen Einreibung nicht nur auf ihre
törperlihe FTüchtigkeit, fondern auch auf ihre morali-
chen Eigenjchaften, auf Raltblütigfeit, Geiftesgegenwart
und bis zur Opferwilligfeit gefteigerten perjönlichen
Mut genau geprüft, rechtfertigen wobl in allen Groß—
jtädten die Angehörigen der Löſchkorps Das hohe Ver—
n) Bon Loth. Brentendorff. 87
———
trauen, das das Publikum in ſie ſetzt. Die lange
Liſte der Halb- und Ganzinvaliden, die mit oftmals
geradezu beroifcher Todesverachtung ihre Gefundheit
für die Erhaltung gefährdeten Gutes oder die Nettung
gefährdeter
Menfchenleben ITS J
dahingegeben
haben, bedeu—
tet für jede Be-
rufsfeuerwehr
eine Ehrentafel
von eindring-
lihiter Bered-
jamteit.
Snamerifa-
niſchen Groß—
ſtädten, wie be—
ſonders in New
Vork, hat das
ehrgeizige Be—
itreben der
Löfchmann-
Ichaften, ſich
durch befondere
Unerjchroden-
heit hervorzu— | — ET
tun, mit Der Alle Mannfcaften nötig!
Zeit jogar da-
bin geführt, daß fich die Leute in ganz unnötiger Zoll-
kühnheit Gefahren ausſetzen, die fich ohne jede Verfeh—
lung gegen ihre Berufstreue hätten vermeiden lafjen.
Die Zahl der bei großen Bränden an Erjtidung oder
Rauchvergiftung, an Verbrennung durch Stichflammen
oder beim Einfturz von Mauern und Gebälf ums Leben
88 Optiihe Feuerwehrſignale. a)
gefommenen Feuerwehrmänner ift demgemäß in New
Port eine erjchredend große, und es ift nur zu billigen,
wenn man in den europäiſchen Hauptitädten durchweg
weniger Gewicht darauf legt, den einzelnen zu zwed-
Phot. E. J. Y. Clarke.
Signal nicht verſtanden!
loſen Bravour-
ſtücken anzurei—
zen, als auf eine
ſtraffe Diſziplin
und ein fehler—
loſes Funktionie—
ren des ganzen,
für die wirkſame
Bekämpfung ei—
nes großen Scha-
denfeuers erfor-
derlihen Appa—
rates,
Sn Städten,
die über eine auf
Der Höhe der Zeit
itehende Berufs-
feuerwebr ver-
fügen, gebören
verheerende
Feuersbrünite
von großem Um-
fange denn auch
bereits zu den
jehr jeltenen Erjcheinungen, und Kataſtrophen, wie fie
etwa der Brand Hamburgs im Zahre 1842 daritellte,
dürfen getroſt als unmöglich bezeichnet werden, fofern
fie nicht etwa mit anderen elementaren Ereigniffen, die
aller Menjchentraft fpotten, wie Erdbeben, Sturm-
fluten und dergleichen, im Zuſammenhang ſtehen.
D Don Loth. Brentendorff. 89
Natürlih ift es nicht die tüchtige Ausbildung der
Mannichaften allein, die zu ſolchen Rejultaten geführt
bat. Die Derteilung der Rorps über möglichit viele
Stationen, die innerhalb fürzeiter Zeit wenigjtens ein
Erjcheinen erſter Hilfe auf der Branditätte ermög-
lihen, eine prompt funftionierende Verbindung unter
ihnen, die Befchleunigung der Feuermeldung durch
ai z un
1] BEN Eu
NE
m ‚Mi ah.
‚dh u,
—1
| "=
Bir U State,
Sind auf dem Dache nod mehr Schläuche nötig?
allerorten aufgejtellte und jedem aus dem Bublitum
zugängliche Apparate find Fortichritte, die im Verein
“ mit der Einführung der Dampfiprige und mit dem
neuerlich immer bhäufigeren Erfat der Pferdegeipanne
durch Rraftwagen die Bedrohlichkeit ſelbſt folcher
Brände, deren rajche Ausbreitung zu befürchten jtebt,
ganz erheblich herabgemindert haben.
Eine unbejtreitbare und ſehr betrübende Tatjache
iſt es allerdings, daß bei alledem nicht immer Die
-_
co Optiihe Feuerwebhrjignale. D
Rettung der gefährdeten Menfchenleben gelingt. Ge—
tade die jüngjte Dergangenbeit bat uns gelehrt, daß
in dieſer Hinficht noch vieles zu tun übrig bleibt, aller-
dings vielleicht weniger von feiten der Feuerwehr,
bei deren Eintreffen fih die in Rede ſtehenden Rata-
ſtrophen meijt jchon vollzogen hatten, als durch zwed-
mäßige bauliche Vorkehrungen und durch die Erziehung
Ja, wir brauchen noch einen Schlauch !
von Schultindern, Fabrikarbeitern und anderen, bei
plößlih ausbrechenden Bränden bejonders gefährde-
ten Berjonen zu bejonnener Selbſthilfe im kritiſchen
Augenblid.
gedenfalls darf man fich davon viel mehr ver-
jprechen als von dem Gebrauch der NRettungsapparate,
wie ſie der Feuerwehr zur Verfügung fteben. Denn
die Rettungsleiter ermöglicht nur eine verhältnismäßig
langjame Entleerung menjchengefüllter Räume, das
0 Don Loth, Brentendorff. 9]
Sprungtuc ift [ehon vielen zum Verhängnis geworden,
die vielleicht mit dem Leben davongeflommen wären,
wenn jie gewartet hätten, bis ihnen auf andere Weiſe
\
J
Phot. C. J. L. Clarke.
Hydranten aufdrehen zum Waſſergeben!
Hilfe kam, und auch über den Rettungsſchlauch, deſſen
Bereitjtellung zudem mit großen Umjtändlichkeiten
verknüpft ift, geben die Anfichten der Sachverftändigen
ziemlich weit auseinander.
Mieviel für den Erfolg bei der Bekämpfung eines
92 Optische Feuerwehrfignale. a)
en 3
großen Brandes von der Planmäßigkeit abhängt, mit
der unter einer zielbewußten und einheitlichen Leitung
gegen das Feuer vorgegangen wird, braucht nicht erft
gejagt zu werden. Dazu bedarf es aber nicht nur des
Dorhandenfeins
einer folchen
Zeitung, ſon—
dern auch einer
raſchen und fiche-
ren Deritändi-
gungsmöglich-
feit, die fofor-
tige und rich—
tige Ausfüh-
rung aller er-
teilten Befeble
gewäbrleiftet
und den Unter-
führern wie den
einzelnen
Mannfchaften
Meldungen von
ihrem Gtand-
ort aus geitat-
tet. Hier liegt
A I0t. 6.98 Gtart. elMe ber größ-
Rauchhelm nötig! ten Schwierig-
| keiten im Feuer⸗
löſchweſen, eine Schwierigkeit, die vom Publikum weit
unterſchätzt wird, da anderenfalls wohl fchwerlich bei
den meijten großen Bränden die rückſichtslos heran—
drängende und lärmende Menge ſo viel zur Erſchwe—
tung dieſer Verſtändigung beitragen würde,
Daß das gejprochene Kommando nur auf kurze
engen, — — — — —— —
0 Don Loth. Brentendorff. 93
Entfernungen bin ausreicht, liegt auf der Hand. Wer
fich jemals auf dem Höhepunkt einer größeren Feuers-
brunſt an der von Menfchen wimmelnden Branditätte
befunden bat, umtobt von dem Rnijtern der Flammen,
dem Saufen der mit ungebeurer Rraft gefchleuderten
Mafierftrablen, dem Krachen des brechenden Gebälts,
dem Achzen und Stampfen der Dampfpumpen, dem
Geſchrei einer taufendföpfigen Menge, der weiß, wie
ohnmäcdtig die einzelne menſchliche Stimme, jelbit
u
—*
* —* *
*
I ⸗
4
4
—*
41 z
2#
” -
—
—J
⁊
J
Der. ee
|
Phot. C. F 8, re
Rettungsfhlaudb nötig! Dringend!
wenn fie durch das Sprachrohr verjtärkt wird, dieſem
Chaos von Geräufchen gegenüber it, Man fennt ja
auch die fchrillen Pfeifen- und Trompetenfignale, die
bier wie bei der Marine zumeijt den gejprochenen
Befehl erſetzen müſſen. Zur Nachtzeit gibt es in der
Tat faum ein anderes Verjtändigungsmittel als dieſe
Horn- und Pfeifenjignale, die natürlich in einen be-
ftimmten und jedem Feuerwehrmann geläufigen Roder
gebracht worden find, fo daß fie für die meiften der
bei einem Brande in Betracht kommenden Eventuali-
täten austeihen. Als ein unzulänglicher Notbehelf
94 Optifche Feuerwebhrjignale. O0
werden fie troßdem von jedem Feuerwebhroffizier
immer wieder empfunden, und es ijt darum ſehr be-
greiflich, dag man fie wenigitens bei ausreichender
Beleuchtung durch optiſche Signale zu ergänzen jucht,
die unendlich viel mehr Ausdrudsmöglichkeiten zulajjen.
Wohl bei jedem großitädtiichen Feuerwehrkorps
find derartige Signale im Gebrauch, und man ver-
RR er J
Phot. C. J. 2. Clarke.
Rettungsapparat aufbringen!
wendet eine beſondere Sorgfalt darauf, die Mannſchaft
in dieſem ſpeziellen Signaldienſt zu üben. Das große
Publikum aber weiß von ihm ſo wenig, Daß es ſicherlich
nicht ohne Intereſſe ijt, Durch eine Anzahl ſehr anjchau-
liher Abbildungen etwas von dieſer ausdrudspollen
Beichen- und Gebärdenjprache kennen zu lernen.
Durch das Entgegentommen des Rommandos der
Edinburgber Feuerwebrbrigade ijt die Aufnabme der
Bilder ermöglicht worden, die dementſprechend natür-
0 Von Loth. Brenkendorff. 95
lich auch nur die dort gebräuchlichen Signale veran—
ſchaulichen können. Die Unterſchriften der einzelnen
Slluftrationen machen jede weitere Erklärung über-
flüſſig.
Aber es muß bemerkt werden, daß nur der Deut—
lichkeit halber ſolche Signale, die aus einer Reihe auf-
—
Be
Phot. E. J. 2, Clarke.
Schlauch gebrochen!
Mannſchaften nötig zum Ausbeſſern!
einanderfolgender Armbewegungen beſtehen, durch
ebenſoviele Perſonen dargeſtellt ſind, als es bei dem
betreffenden Signal Bewegungsphaſen gibt. Zn Wirk—
lichkeit bedarf es jelbftverjtändlih nur eines einzelnen
Mannes, um durch entiprechende Gebärden mitzu-
teilen, daß an einer bejtimmten Stelle weitere Schlauch-
leitungen nötig find, daß mit größter Befchleunigung
ein Sprungtuch oder ein Nettungsfchlauch berbei-
96 Optifhe Feuerwehrfignale. 0
a
geichafft werden muß und dergleichen mehr. Frage
und Antwort erledigen fich ſelbſt auf beträchtliche
Entfernungen hin durch die optifchen Signale meijt
mit erftaunlicher Schnelligkeit, und auch die Mitteilung,
daß ein Zeichen nicht verftanden worden iſt (©. 88) kann
auf diefem Wege der Vornahme unrichtiger Manöver
Phot. C. J. L. Clarke.
Brauche Schlauch zur Erſtickung eines Kleinfeuers!
viel beſſer vorbeugen als bei einer Verſtändigung
durch Lautſignale.
Der Erfindungsgabe und der praktiſchen Erfahrung
des einzelnen Rommandanten muß es vorbehalten
bleiben, die Zahl der optiſchen Zeichen fo weit zu
vermehren, als es nach feinem Dafürhalten dem Be-
pürfnis entjpricht. Eine gewiſſe Grenze aber ift auch
bier durch die Notwendigkeit gezogen, jedes Mißver—
Itändnis und jede Derwirrung auszufchliegen, wie
fie durch eine zu große Mannigfaltigkeit der Signale
leicht herbeigeführt werden könnten. In den meiften
D Don Loth. Brentendorff. 07
Fällen iſt es ja auch ausreichend, wenn für eine recht-
zeitige Verftändigung in den am häufigiten vortommen-
den Situationen Sorge getragen iſt.
Außergewöhnliche Lagen erfordern ja ohnedies das
raſche und felbftändige Handeln des einzelnen, und in
der planmäßigen Erziehung feiner Leute zu folder
Selbftändigkeit wird jeder Feuerwehrtommandant ftets
feine vornehmite und wichtigite Aufgabe zu erbliden
haben.
Sc
nn
1912. VII. 7
Die tragifche Note.
Novellette von Klara Blüthgen.
—
NHachoruck verboten.)
E⸗ iſt keine ganz leichte Aufgabe, einen Sohn,
der als Leutnant in einer großſtädtiſchen Garniſon
ſteht, während ſeines Urlaubes daheim angemeſſen
zu unterhalten. Ganz beſonders dann nicht, wenn
man in einem kleinen Landſtädtchen wohnt.
Die erſten zwei Tage umhegt man den Einzigen
im Schoße der Familie. Die Mama wirbt um ſeine
Liebe mit den gewählteſten Gerichten, der Papa mit
den gewählteſten Zigarren. Man ſitzt tagsüber in der
Mutter kühlem Salon und abends, wenn die Hitze
ih gelegt bat, auf dem großen Ballon bei gutem
alten Rheinwein und „ſpricht fih aus“. In den nächſten
zwei Tagen treibt man den Leutnant an, „jeine Beſuche
zu machen“, und es gefällt ihm gar nicht fo übel, die
jtillen Straßen, in denen das Gras zwiſchen den Steinen
wächſt, in denen die Sandfteintreppen vor den Türen
noch vorwißig auf den Bürgerfteig ſpringen, wo alt-
modiſche Gewächſe, Raktus und Astklepias, an Leiter-
gerüjten gezogen hinter den ſchmalen Scheiben träumen,
durch den Glanz feiner Erfcheinung zu blenden. Die
Aufihläge jeines Waffenrods leuchten jo freundlich,
die blanten Knöpfe funkeln fo gewinnend, als wüßten
fies, daß hinter den fteifen, geblauten Gardinen
interejjierte Mutter- und Mädchengefichter ſich vor-
IQ
Novellette von Klara Blüthgen. 99
beugen. Weitere zwei Tage unterhält es, Villa und
Garten zu injpizieren, mit dem Portier, der zugleich
den Garten verfieht, gediegene Geiprähe über die
Ausfihten der Obfternte und der grünen Trauben _
an den Spalieren zu führen, und fo fich recht als Herr
auf eigenem Grund und Boden zu fühlen. Noch einmal
zwei Tage genießt man die Umgegend. Man trabt
auf eigene Fauſt umber, um fih „mal ’n bißchen
Bewegung zu machen“, oder fährt mit Mama in dem
hübſchen Einfpänner durch Wald und Wiefen. Man
itudiert die Gegend ftrategifch, indem man die unmög-
lichten Wege ausjpürt, das Pferdchen über brudige
Wieſen ſich durcharbeiten oder auf den hoben, das
Marſchland durhfchneidenden Dämmen im Schritt
balancieren läßt. Man gewinnt der betannten Gegend
ganz aparte Gefichtspuntte ab, entdedt fie ſozuſagen neu.
Endlich aber, tro& aller diefer ausgeklügelten Unter-
baltungsbeftrebungen, kommt die Frage, vor der ſich
die Mama ſchon lange gebangt hat: „Na fag mal,
Mamachen, iſt denn hier gar nichts los? Man verblödet
ja geradezu in dem ewigen Einerlei!“
Mamadıen, die übrigens eine fehr jtattlihe Dame
in dem gefährlidhiten Alter und zudem mit kleinen
unſchuldigen literariſchen Verſuchen behaftet ift, fühlt
nun einen Stich im Herzen. „Mein lieber Zunge,“
fagt fie, „wer immer nur unterhalten fein will, nicht
aus fich felbjt die Möglichkeit ſchöpft, fih zu unter-
halten, wird freilid bald auf dem trodenen fißen.
Mir haben ja jeden Tag etwas unternommen. Was
verlangit du denn noch?“
„Na, jo ’n paar nette Familien mit 'n paar hübſchen
jungen Mädeln. Srgend was, was einen anregt, vor
dem Eintojten bewahrt.“
Die Mama feufzt verftändnisinnig, Sie jelbit
100 Die tragifhe Note. oa
langweilt fi in dem kleinen Neft oft bis zur Bewußt-
lofigteit. „Du weißt ja, wie es damit beftellt if. Du
bift doch bei allen gewejen. Die meijten, die Töchter
haben, find gerade verreijt.“
„Das ift doch —! Sag mal, warum find wir eigent-
lih hier?“
Das hat die Mama fih ſchon felbit oft gefragt.
Sie lächelt aber nur nahjihtig und erwidert: „Du
weißt — der Papa. Er hat doch die Zdee, fein großes
Buch gerade nur bier in der richtigen Sammlung
Schreiben zu können.“
„Aber ihre müßt doch irgend was bier haben —
Sennispartie oder jo?“
„Ich fage dir doch, daß fie alle verreift find!“
„Das iſt ja zum Auswachſen! — Aber ich hoffe Doch,
meine fleine Mama wird Rat wilfen. Sie wird ſchon
etwas ausfindig machen, um ihren armen Zungen
vor dem Derjimpeln zu ſchützen.“ —
Da zeigt fih’s, was eine gute Mutter alles kann.
Da gibt es ein englijches Töchterpenfionat, das bisher wie
mit einer fiebenfahen chineſiſchen Mauer umgeben
gewejen if. Nur wenn die dreiundzwanzig Miffes
zwijhen fünf und ſechs zum Auslüften ausgeführt
werden, haben profane Augen fie erbliden dürfen.
Mama erinnert fib nun, daß die Vorſteherin vor
Monaten einmal bei ihr geweſen ift, um ſich nach einem
Hausmädcdhen zu erkundigen, Dies nimmt fie wahr,
um in den klöſterlichen Frieden einzudringen, gar
beweglid zu bitten, man möchte doch ihrem Sohne
erlauben, bin und wieder an der ZTennispartie des
Snftituts teilzunehmen, und wirklich — nach einigem
Zögern lächelt die Dame ihre Gewährung.
Slüdlih teilt es die Mutter ihrem Zungen beim
Abendeffen mit. „Ich habe fogar noch mehr getan,
Q Novellette von Rlara Blüthgen. 101
habe die Vorſteherin angefleht, dir doch die reizendfte
ihrer Pflegebefohlenen für eine Wagenfahrt zu über-
lafien, bin aber gehörig abgebligt. Eine Wagenfahrt
mit einem jungen Manne allein — unmöglih! So
etwas tut man in unjerer Stadt nicht.“
Faſt eine Woche hält das Vergnügen an, bis alle
die Ihönen blütenweißen Zennishojen wäjchereif find.
Aun ftellt fih die Langeweile in gefährlichfter Form
ein. Dieje Miſſes find ja zum DVerrüdtwerden fteif-
leinen, wenn man’s ihnen auch laſſen muß, daß fie ihre
Sade verjtehen. Und alles grünes Gemüfe! Nee —
Hand davon!
Und wieder ift die ganze Geſchichte zum Verblöden,
und wieder fommt die Frage an die Leine Mama,
diesmal aber mit dem Eon der Drohung: „Na irgend
etwas müßt ihr doch hier haben?!“
„Wir haben wirklich weiter nichts — du weißt es
doch!“ jagt fie, nun doch ein bißchen empfindlich.
„Anfer eines Saijontheater mag id) einem fo ver-
wöhnten Prinzen wie dir ſchon gar nicht anbieten.“
„Iſt dieſes Zahr irgend etwas Nettes da? Im vorigen
Sommer war es geradezu fchredlih! SZmmerhin
tönnte man ſich die Chofe einmal anſehen.“ |
Am Abend Jiten Mutter und Sohn wirklih im
Sheater. Natürlih in einer der vier „Logen“, kajten-
artig in den Zufchauerraum hineingebauten Rämmer-
chen, die von den übrigen Pläßen nur das poraus-
haben, daß man die Bühne unter einem fehr ſchrägen
Dinkel fieht und deshalb die erften Rampenlichter im
augenblendenden Glanze genießt.
Das Theater iſt gut beſetzt — faſt ausschließlich
weiblih. gm Parkett drängt fich eine weiße Sommer-
blufe an die andere, denn man gibt Björnfons „Wenn
der junge Wein blüht“ — dieſes liebenswürdigjte
102 Die tragiſche Note. 0
Alterswert, in dem die Sehnfucht nad der längft ver-
gangenen Zugend die Jugend nod einmal zu holder
dichteriicher Wirklichkeit belebt bat.
Auf der Bühne flattert es durcheinander, Blonde
und Braune, alle in lihten bunten Sommerfleidern —
ein Schwarm fröhlider Schmetterlinge, der den
Sonnenſchein kreuzt.
Sn der vornehmen „Loge“ iſt man beinahe mitten
unter ihnen, ift ihnen jedenfalls jo nahe, Daß man jeden
Ihwarzen Strich unter dem Auge und jedes SZinnober-
fletchen unter der Tränendrüje, das fo befonders zärt-.
liben Ausdrud bewirkt, ertennen kann. Aber wirklich
echte Zugend leuchtet felbit durch rote und fchwarze
Scminte, und das muß man ſolchem PBrovinztheater-
chen laſſen, die Einrichtung, junge Runftnovizen gegen
eine nur ſymboliſche Gage auftreten zu lafjen, iſt gar
nicht zu verachten — bejonders nicht in der Schäßung
eines jungen Leutnants, der im Hoftheater reichlich
viel alte Garde zu ſehen bekommt. |
Da ift unter ihnen eine. Sie iſt jünger, noch
mädchenhafter als alle anderen. Sie fpielt die Rolle
der Alwina. Etwas Wunderliches, Weltfremdes liegt
über ihr. Zhre großen, ſchwarzbraunen Augen bliden
wie aus einer anderen Welt, ihre Stimme bat einen
abjonderlichen, zu Herzen gehenden Ton, ihre fchlante
GSeftalt gibt jedem Affelt wie willenlos nad. Als die
raffinierte Kleine Kröte die DVerliebtheit des alten
Ontels ausnüßt, um von ihm das Reifegeld nach Eng-
land berauszuptefien, kommt's freilich wenig glaub-
haft heraus, als aber der eigene Vater ihr von feinen
weiteren Heiratsabfichten ſpricht, bebt wieder diefer eigen-
tümliche Eon in ihrer Stimme, gewinnt ihre Geftalt das
bejondere Leben. Faſt ſieht es wie eine große Talent-
probe aus — aber irgend etwas Unbeſtimmtes fehlt.
D Novellette von Rlara Blüthgen. 103
„Das verlohnt doch noch, das Heine Ping iſt ja
allerliebit! Daß fih fo was nach hier verläuft!“ jagt
der Leutnant Herbert Georg Wendtland. „KRennit
du fie vielleicht, Mama?“
„Aber gewiß, ganz gut fogar, das iſt eine Frau
Zuife Brettichneider.“
„Hier auf dem Bettel fteht: Fräulein Louifon
Schneider, So ſieht doch keine Frau aus!“ .
„Nun ja, weil’s beffer klingt, Eine Frau zieht
natürlich weniger. Übrigens kenne ich fie fogar perfön-
lih, Neulih auf dem Wohltätigkeitsbafar im Grüren,
von dem ich dir fchrieb, verkaufte fie Anfichtspoft-
karten. Anderen Tages hat jie dann noch einen Teil
von dem Wohltätigkeitstrempel, den ich zujammen-
faufen mußte, mir gefälligerweife ins Haus ge-
bracht.“
„Und ſo etwas unterſchlägt mir meine kleine Mama
heimtückiſcherweiſe! Da weiß man ja wirklich nicht,
was man fagen joll, Dafür gibt’s nur eine Buße! Du
ladeft fie für morgen ein.“ |
„Du biſt nicht bei Troſt, Herbert! Sn unjerer
Stadt ladet man keine Schaufpielerinnen ein.“
„Natürlich! Man fährt nicht mit hübſchen Eng-
länderinnen fpazieren, und man ladet feine hübſchen
Schaufpielerinnen ins Haus! Alles, was einigermaßen
amüfant fein könnte, tut man nicht. Aber das fage ich
dir, wenn du mir diefen einzigen Gefallen, um den
ich dich bitte, nicht tuft — nun fp —“
„Herbert — um Gottes willen, wenn dich jemand
hörte!“ |
„Wenn mic jemand hörte! Na, was wäre es denn
weiter? — Sag,»ift fie wirklich verheiratet, dieſe Luife
oder Louifon? Getrennt? Geſchieden?“
„ah bitte dich, Herbert, man wird ſchon auf uns
104 Die tragische Note. a
aufmertjam! Schau — da geht der Vorhang wieder
in die Höhe!“
Aber der dritte Akt ift gänzlich intereijelos für ihn.
Alwina-Louifon ift mit dem erpreßten Reijegeld nad
England ausgerüdt — das heißt fie ſchminkt fi
wahrſcheinlich ſchon in der Garderobe ab, während
der Gatte noch auf der Bühne tätig if. Wenn man
dies wahrnähme, beruntereilte, fihb an den Neben—
ausgang für die Schaufpieler aufitellte, die aparte
kleine Perſon abfinge! Aber ein Blid auf Mamas
Geſicht läßt ihn dann doch davon abftehen. |
Auf dem Nahhaujeweg it der Leutnant Herbert
Georg ſehr einfilbig, und noch am anderen Morgen
wirkt die Derftimmung nad, Er iſt doch kein Rind mehr,
iondern föniglih preußifcher Offizier. Er zählt zwei-
undzwanzig Zahre, ein Alter, in dem Alexander der
Große Tränen vergoß, weil er noch nichts für die Un-
jterblichkeit getan, wo Muſſets Rolla freiwillig aus der
Melt ging, weil er das Leben überjatt geworden!
Herbert Georg kommt lange nicht zum Frühſtück.
Der Dater fit längjt über feinem Manujtript, die
Mutter bleibt nur der Gefellihaft halber am Raffee-
tiſch. Sie beobachtet, wie der Prinz mit leidender Miene
fih die Brötchen ftreicht, wie er das Ei mit der Ger-
viette hält, als ob es etwas Widerwärtiges wäre, eine
Kröte zum mindelten, wie er es dann mit ſpitzen
Fingern und mit großer Umftändlichkeit der Schale
enttleidet, es ringsum beſieht, ob es wohl feiner würdig
it, es diskret beriecht, einen Zug von Mißtrauen auf
dem hübſchen Rafjegeficht.
Mama ift beunruhigt. Sie und ihr Zunge lieben
ih zärtlich, aber fie fürchtet eines: wenn der Cäfar
fih langweilt — —
Sie ift die inkonfequentefte aller Mütter, und ſo
0 Novellette von Rlara Ylüthgen. 105
ſagt fie fchließlich, als fie den weltichmerzlichen Zug
auf dem Geficht ihres Einzigen nicht mehr ertragen
fann, faſt demütig: „Nun, wenn fie dir wirklich fo fehr
gefällt, wenn dir wirklich fo viel daran liegt, Her-
berthen —“
„Wer?“ fragt er und fieht fie faſt drohend an.
„Qun, die Heine Brettjchneider von geftern abend,
Du meinteft doch —“
„ach fo. An die habe ich gar nicht mehr gedacht.“
„Herbertchen, es läßt fih doch wohl einrichten.
Mit Bapa habe ich fchon darüber geredet und —“
„Bitte, bemühe dich nicht im geringften, mir liegt
nicht die Bohne dran.“
Selbitverftändlih wird die niedlihe Brettichneider
nun erjt recht eingeladen, Frau Wendtland fchreibt ihr
ein bezauberndes Briefhen, nah dem die kleine
PBrovinzfchaufpielerin annehmen muß, daß ihr Be—
juh der Dilla Wendtland eine bejondere Ehre und
Freude ſei.
Es fügt fih wunderbar. Der nächſte Tag ift fpiel-
frei, Frau Louifon kann der Einladung folgen.
Sie gehört zu jenen feltenen Ausnahmen von
Schaujpielerinnen, deren Reiz nicht von der Rampen-
beleudhtung abhängig if. Auch ohne verjchönende
Theaterkunſt ift fie reizend, viel reigender fogar als
in der künftlihen Aufmachung, denn die echte Jugend
ihrer zwanzig Jahre hat dergleichen nicht nötig. Ihr
Geſichtchen iſt fehr zart, nach unten auffällig zugejpißt,
von einem matten, ein wenig ins Oliv fpielenden Ton
überzogen, der Teint tadellos in feiner jugendlichen
Reinheit und Weiche: Dichtes Shwarzes Haar legt ich
im Sezeffionsfcheitel um das feine Oval, die großen
jamtbraunen Augen ſchauen noch abfonderliher und
weltfremder wie auf der Bühne. Sie trägt ein helles
106 Die tragifhe Note. fg
Mädchenkleid und einen riefengroßen — Stroh⸗
hut mit rotem Band.
Alles verläuft, wie es ſich gehört, wenn eine gute
Bürgersfamilie einen geehrten Gaſt empfängt. Nach
dem Abendeſſen ſitzt man auf dem großen, mit ge—
töntem Glaſe überdachten Balkon bei einer Bowle.
Ehrbar und langweilig ſpinnt ſich die Unterhaltung.
Die Berührungspuntte find gering, und die kleine
Schaufpielerin gebt nicht fo recht aus fich heraus. Der
Boden, auf dem fie heute abend ſteht, ift ihr offenbar
fremd, Bald benütt Herr Wendtland fenior eine Ge-
Iprähspaufe, um fib unter dem Vorwande, nicht
länger ftören zu wollen, zu feinem geliebten, ſchon
mädtig angefhwollenen Manuftript zurüdzuziehen.
Diejes Manufkript ift, wie er glaubt, nad) einer tüch-
tigen Beamtenlaufbahn fein eigentlihes „Lebens-
wert“, dem zuliebe man fich hier in die Einſamkeit ver-
graben hat. Schr bald bemerkt auch die literarifch an-
gehaudhte Mama, daß fie in der Rüde zu tun habe,
was nicht oft vortommt, und das deshalb ſchon ver-
lohnt, daß man ſich zurüdszieht.
Und nun fißen die beiden jungen Menfchentinder
allein auf dem Balkon in ihren bequemen Langjtühlen.
Solch Balkon ift ein ſchönes Ping, befonders an einem
folchen Auguftabend, an dem die Luft jo weich und
zärtlich weht wie im Zuni, Er gibt die Zllufion und
den Schuß des gejchlofjenen Raumes, zugleich die Frei-
beit des Alleinjeins. Und wenn man nun den Rlein-
iteller der Gaslampe berniederzieht, was allein der
Nachtichmetterlinge wegen, die fid fo gern daran ver-
brennen, eine Notwendigteit ift, fp gewinnt das Zu-
fammenfein einen direkt geheimnisvollen Reiz.
Es iſt gerade Mondichein, ein wunderbarer Mond-
ſchein, wie ihn keine Theaterwirkung je erzielen könnte,
0 Novellette von Rlara Zlüthgen. 107
und er bringt gar wunderlihe Zauberkunftftüdlein
zuftande: die gegenüberliegende Dilla eines reichen
Lederhändlers verwandelt er in ein weißes Märchen-
ſchloß mit feltfamen Türmen und Sinnen. Die Berg-
lehne dahinter weitet er in einem mertwürdigen Spiel
wogender Lichter und Schatten zu einem Gefilde der
Seligen. Der Geranienumfaffung auf dem Balton-
geländer faugt er das brennend rote Blut aus und läßt
die Dolden zu fahlen Blumengefpenjtern bleichen.
Er ſpinnt aus feinen taufend blaſſen Silberfäden ein
Neb, in dem fih die beiden jungen Menfichentinder
unfehlbar fangen müffen, und er webt um den duntlen
Sezeſſionsſcheitel einen myſtiſchen Schein, der geradezu
bezaubern muß.
„Wiſſen Sie, gnädige Zrau, was für ein Einfall
mir kommt, wenn ich Sie fo fißen jehe mit diefer Mond-
Icheinteone auf dem Ropfe? Ich muß an das Gareno
denen, das um die Stirne der Genies flammt.,“
Der Einfall liegt nahe. Vor faum einer Stunde
hat der Vater ihn mit einer Belehrung über Zirdufi,
über das Gareno der alten Perfer, das um die Stirne
der Erwählten flammt, und über das Feuer, das im
Leibe der Rönige brennt, ſchwer ermüdet.
Frau Brettfchneider, der Meinen Provinzichau-
jpielerin, ift aber das Gareno unbelannt, und fo jagt
fie nur verlegen: „Ich gehöre aber nicht zu den Er-
wählten und zu den Genies noch weniger.“
„Aber Sie überragen doch alldie anderen hier um —
um — na, dag man Sie faum damit in einem Atem nen-
nenmag. Ich begreife es nicht, daß Sie mit Ihrem Talent
es nicht ſchon zu einer erften Stellung gebracht haben.“
„Das ift fchwer heutzutage. Dazu gehört fo allerlei
Protektion, Toiletten — — — und dann, id bin ja
verheiratet.“
108 Die tragifhe Note. D
„alt das ein Hinderungsgrund?“
„Natürlih. Einer für fih allein bringt ſich fchon
an. Für ihrer zwei zugleich ein paſſendes Engagement
zu finden, hält fchwer. Und trennen mag man fich
doch nicht.“
„Ihr Gatte felbitverjtändlidh nicht. Aber Sie —
wenn Zhnen dadurd eine beifere Zukunft offen ftände?“
„Wir find doch kaum zwei Zahre verheiratet,“
lagt fie fait vorwurfsvoll. Sie erzählt ihm, daß fie
ein Sheatertind fei, von Schaufpielereltern ftamme
und ſchon mit fieben Zahren zuerft die Bühne betreten
babe in einer Rinderrolle und ſich dann fo immer mehr
eingeipielt habe. Ihren Mann kenne fie von Rindheit
an, fie feien Rollegentinder geweſen, hätten es nie
anders gedacht, als daß fie ſich fpäter einmal ver-
heiraten würden. „Und fo iſt es denn auch wirklich
gelommen,“ ſchloß fie.
„And Ihr Gatte?“
„Mein Mann ift fehr begabt, Charalterfpieler.
Aber fie geben ihm nie die rihtigen Rollen, Weil er
noch fo jung iſt und fchlant und blond dazu, muß er
itets die fchüchternen Liebhaber fpielen.“
„gm ganzen find Sie doch aber glüdlih in Zhrem
Beruf?“
„Ich könnte mir überhaupt feinen anderen für mich
denken. Ein Leben ohne Theater zu jpielen — nein,
ih wüßte gar nicht, wie ich mir das voritellen follte.
Man ergreift Doch einen folhen Beruf, weil man eben
gar nicht anders kann. Zhnen wird es ja ebenfo er-
gangen fein, Herr Leutnant?“
„Sewiß. Auch ich hätte nichts anderes werden
tönnen als Offizier. Gehen Sie, gnädige Frau, da
ift ſchon etwas Ähnliches zwifchen uns.“
„Schon etwas?“
oO Novellette von Rlara Ylüthgen. 109
„Qun ja. Sch habe fofort das Gefühl gehabt, dag
etwas Derwandtes zwiihen uns fein müffe. Pas
fühlt man. Das gebt fo als ſympathiſcher Strom von
einem zum anderen. Haben Sie es nicht auch ſchon ge-
fühlt, gnädige Frau?“
„Sie vergeflen, daß ih Schaufpielerin bin. Wir
Scaufpielerinnen fühlen überhaupt nichts Urjprüng-
lihes mehr. Wir können nichts anderes als nach-
empfinden.“
„Da können Sie eigentlich ſehr beruhigt durchs
Leben geben, wie mit eijerner Bruftwehr gepanzert.
Aber ich glaube Zhnen nicht fo recht. Um eine Geitalt
lebendig zu machen, ift’s doch nötig, fie ganz zu emp-
finden, jede geheimſte Regung in ihr zu durchleben.
3h meine, geradezu verzehren müßten Sie fih in
diefem immer neuen Miterleben. — Haben Sie je
die Zulia gefpielt, gnädige Frau?“
„Ah, ih möchte ſchon. Das möchten wir ja alle,
jolange wir jung find. Aber man gibt fie mir nit, 2
„And warum gibt man fie Zhnen nicht?“
„Das ift ſo eine Sache. Sie fagen, mir fehlt die
tragifhe Note,“ |
„Die tragiihe Note? Nun werden Gie über mich
läbeln, aber ich verſtehe diefe Fachausdrücke nicht,
Wollen Sie mir das nicht erklären?“
„Das ilt Doch fehr einfah. Zedes Rollenfah hat
feine beſtimmte Note, etwas, auf Das es abgeftempelt
iſt. Diefe Note muß herausgearbeitet werden, fie muß
wirten, paden. Dazu gehört aber eine Perjönlichkeit,
die fi) Damit dedt. Der geborene Romiter kann keinen
Hamlet fpielen und die Salondame kein Rautendelein.
And ich keine Zulia — leider. Ich bin immer der Bad-
fh, das naive Mädchen,“
„Aber um des Himmels willen, warum denn?
110 Die tragiſche Note. oD
Sie haben doch alles, was eine Zulia braucht,“ fagt
der Leutnant ehrlich überzeugt.
Das Mondlicht zittert an dem fchwarzen Scheitel
bernieder, es hängt an den langen Wimpern, es wiegt
ſich auf der jungen, faſt kindlichen Brujt, die eben ein
Seufzer der Sehnſucht hebt.
„3b begreife die Oberbonzen wirtlih nicht, Die
Shnen das eingeredet haben.“
„Ss ift doch nun mal fo, und ich nannte Zhnen
ja den Grund: ih habe nun einmal die tragifche Note
nicht,“
„3b weiß immer noch nidht warum.“
„Nun, weil ich keine rechte Leidenschaft habe. Man
jagt, weil ich niemals innerlich fo recht etwas erlebt habe,“
„Sie find doc verheiratet!“
„Ad, ſolche frühe Ehe! Und wenn man Sich ſchon
von Rindheit an gelannt hat —“
„And wenn fchon, das Standesamt fchließt Doch
nicht jedes Gefühl für jpäter ab. Sie wollen mir doch
nicht weismaden, daß Sie überhaupt noch nichts er-
lebt hätten, Frau Louijon?“
Er wird kühn, der Leutnant Herbert Georg, im
Augenblid ift die Frau neben ihm nur die Heine Schau-
jpielerin, der man ſchon etwas bieten kann. Wie jelbft-
vergefien legt ſich feine kräftige Hand auf ihre zarte, .
mondicheinblajje.
Sie aber jcheint’s nicht zu bemerken, zudt Die
Ihmädtigen Schultern und erwidert gelaſſen: „Und
wenn Sie's auch nicht glauben, Herr Leutnant, es iſt
doch fo und wird auch wohl fo bleiben,“
Denn fie ihn nur nicht immer „Here Leutnant“
nennen wollte! Der fervile Ton, in dem fie’s aus-
ſpricht, durchfchneidet den Zauber der Mondnadt
wie eine Diljonanz.
a Novellette von Rlara Blüthgen. 111
„Warum nennen Sie mich nur immer fp feierlich
‚Herr Leutnant‘, Frau Louifon?“
„Wie follte ich Sie ſonſt nennen?“
Verſteht denn dieje kleine Schaufpielerin es noch
immer nicht, daß er ſich ihr buldvoll zuneigt? Will
fie es vielleicht nicht verftehen? Gebt er ſich der Ge—
fahr aus, abzubligen, wenn er deutlicher wird? Das
darf nicht fein, fein Selbitgefühl leidet es nicht und
am wenigiten hier auf Mamas Ballon.
Und fo zieht er denn die Hand, die nicht den ge-
tingiten Gegendrud gefühlt hat, hinweg, reicht der
jungen Dame ihr Bowleglas, ergreift feines und jagt
liebenswürdig, aber mit ironifher Färbung: „Auf
eine große Zukunft, meine gnädige Frau — und
auf die tragifhe Note, die Zhnen dazu verhelfen
joll!“
Sn diefem Augenblid erjcheint die Mama auf der
Bildflähe. Zhre imponierende Geftalt füllt faſt die
enge Balkontür. Etwas mißtrauifch äugt fie hinein
in die lampenloje Monddämmerung.
„Nun, ihre habt es euch hier ja ganz märchenhaft
zurechtgemacht!“
„Nur eurer abſcheulichen Mücken wegen, Mama.
Die gnädige Frau iſt ſo weichen Gemütes, daß ſie nichts
Lebendiges leiden ſehen kann, und ſei es auch nur
eine Mücke oder ein Nachtſchmetterling.“
Die Mama aber, die robuſteren Gemütes iſt, zieht
den Rleinfteller wieder hoch, ſetzt fih zu den beiden
und iſt von einer ganz befonderen mütterlichen Güte
und Liebenswürdigkeit gegen die junge Frau. Gie
bat die unbeftimmte Witterung, ihr Zunge könnte
fed geworden fein. Da heißt es, auszugleichen. Gie
ladet ihren Gaft ein, doch häufiger vor dem Theater
den Nachmittagstee mit ihnen zu nehmen oder aud),
112 Die tragische Note. 0
falls es ihr Dergnügen made und ihre Zeit es erlaube,
mit ihnen auszufahren.
Begierig greift der Leutnant den le&teren Dor-
Ihlag auf, und in kecker Umdrehung des Angebotes ruft
er enthufiasmiert: „Cine famofe Fdee, gnädige Frau,
die meine alte Dame da entwidelt! Ich hoffe, Sie
erzeigen mir die Ehre, fih mir für eine Fahrt anzu-
vertrauen. Und je früher je bejjer, denn mein Urlaub
it bald zu Ende. Beſtimmen gnädige Frau, bitte,
eine Stunde, zu der ih morgen vorfahren darf.“
Bei dem unverhofften Vorfchlag fteigt ein zartes
Freudenrot in dem jungen Gefihtchen auf, das es fehr
lieblich macht. Ausfahren in einem ſchönen Privat-
wagen, abgeholt werden! Wer könnte da anders als
dankerfüllt zuftimmen! Aber was ihr Mann wohl zu
diefer Auszeichnung fagen wird? Und die Rolleginnen?
Ah, am Ende trägt er gar Uniform — ad), ficher wird
er in Uniform kommen!
+ Gie fagt alſo zu.
Er kommt nun zwar am anderen Nachmittag nicht
in Uniform, fondern in einem duntelblauen Zatfett-
anzug. Uber der topfartige Panama ift jo zauberijch
fein, das grüne Band, das ihn umwindet, Hingt mit
dem grün- und braungeftreiften Bindeichlips, den
braunen Schuhen und ebenjolhen Fahrhandſchuhen
zu einem ſo gewählten Farbenakkord zufammen, daß
kaum eine leife Enttäufhung auflommen kann. Don
Mama bringt er ihr drei weiße NRofen, eigenhändig in
dem Garten gefchnitten, die fie an ihrem weißen
Batiftkleidchen befejtigt. Er jelbft [pendet einen Wunder-
ſtrauß von brennend roten Nelken. Die behält fie wäh-
rend der ganzen Fahrt in der Hand, um alle Augen-
blide beglüdt das feine Näschen hineinzufteden.
Wie vorauszufehen war, erregt es fein geringes
D Novellette von Rlara Blüthgen. 113
Auffehen, als der Wagen vor dem Haufe des Herrn
Sattlermeijters Berger hält, bei dem das Schaufpieler-
paar Wohnung genommen bat, und die hübſche Frau
Brettjchneider die fünf Treppenftufen wie ein Eng-
lein berabfchwebt, um von dem Sohn des Wirklichen
Geheimrats Wendtland mit einer Ehrerbietung in
Empfang genommen zu werden, als fei fie eine durch-
lauchtigfte Brinzeffin. Hinter all den geblauten Züll-
gardinen wird es lebendig. Gefichter mit dem Aus-
drud maßlofer, kleinſtädtiſcher Verwunderung drüden
fich gegen die Scheiben, als nun das Gefährt, von dem
fürchterlichen Ropfiteinpflafter in unregelmäßigen Ruf-
ken emporgeworfen, langſam durch die ftillen Straßen
rumpelt, gerade als wollte man es darauf ablegen,
recht gejehen zu werden.
Das macht Freude. Hübſcher ift es aber doch noch,
als man diefen Spießrutenweg hinter fih und Die
Landſtraße gewonnen hat, die bald in den Wald ein-
biegt. Abgeſehen von einem Holzfuhrwert, auf dem
die zufammengefoppelten Stämme in fchier endlofer
Länge gefahren werden, und von einem vereinzelten
Radfahrer, begegnet man niemand. Der Himmel
Ipannt fi in woltenlofer Bläue aus, über das Grün
der Buchen legen ſich die eriten metalliihen Töne von
Goldgelb und Roftrot, ganz fein darüber getujcht, als
habe man die Rrone nur eben in ein galvanifches Bad
getaucht. Eine ganz leife Brife rührt ſich und bringt
aus dem Walde den Geruh von Thymian und Pilzen
herüber. Die reizende Sonja, die feurige rufjifche
Rappitute, greift jo bejonders fröhlich aus, als wüßte
fie, daß fie etwas ganz befonders Reizendes zu fahren
babe. Das „Spielechen“, der bewegliche, goldene
Stern oben auf der Stirn, flirrt auf und nieder und
blintt im Sonnenſchein in taufend lujtigen kleinen
1912. VII. 8
114 Die tragifhe Note. 0
Bligen. Gar zierlih wie im Tanz feßt fie die fchön-
geformten Hufe. Zwar fcheut fie vor allem Ungewöhn-
lihen, aber nur, um fofort, wenn man ihr gut zuredet,
fi ihrer Torheit bewußt zu werden. Da heißt es dann
aufpaffen, und der, der fie meiftert, wird gar leicht zum
Helden, bejonders für eine zwanzigjährige kleine
Scaufpielerin, die bisher nie anders als mit abgetrie-
benen Drofchtengäulen gefahren ift.
Auh daß man fi dabei nicht gerade viel unter-
halten kann, madt weiter nichts. Pie ſympathiſche
Nähe, das junge Blut ſpricht fowiejo ftart genug von
einem zum anderen hinüber,
In der Förfterei machten fie halt. Es gab dort einen
famofen Raffee und einen Topfkuchen, der wie ein
Schwamm auseinander ging, wenn man verjuchte,
ihn zu feiner Erweichung einzutauchen. Einige Bürgers-
leute, die Männer mit kräftigen Höhenzigarren, die
Frauen mit der Häfelarbeit, hatten fich eingefunden,
ein paar Rinder vergnügten fib auf der Schaufel.
Etwas abgejondert von den übrigen Gäften fand
das junge Baar Pla, Auch jetzt ſprachen fie nur wenig.
Herbert Georg 309 die Sigarettentajhe. „Darf
ih SZhnen anbieten, gnädige Frau?“
Frau Louifon nahm, ließ fih Feuer reihen und
rauchte tapfer darauf los, obgleich ihr Zigarettenrauch
eigentlih zuwider war. Sie glaubte, daß es ihm be-
haglicher jo fein würde.
Beide lächelten vor fih hin. Sie wußten, daß man
fie beobachtete, ihr Zuſammenſein mißbilligte, denn
jeder kannte den Geheimratsfohn und die Schau-
jpielerin. Aber gerade das fonderte fie von den anderen
ab und verband fie mit einem Hleinen heimlichen
Fäden.
Auch die zweite Bigarette nahm fie, „Es ift nur
DO Moovellette von Rlara Blüthgen. 115
der Müden wegen,“ entſchuldigte fie fih, denn nun
kam ihr der Gedante, daß er es doch am Ende unweib-
lib finden könne, wenn fie fo öffentlich rauchte.
Natürli wurde vor dem Aufbruch die ausgeruhte
Sonja durh Zureden und Halstlopfen: ermutigt, und
ebenjo natürlih bekam fie den Zuderreft — Frau
Louiſon reichte ihn ihr, denn fie hatte in Novellen ge
lefen, daß das fo üblich fei.
„Aber, gnädige Frau, nicht mit fo fpigen Fingern!
Sie beißt Zhnen fonjt noch das Fingerchen ab, und das
wäre Doch ſehr ſchade. Sp — jo aus der flachen Hand —
ſehen Sie, fo ift’s richtig. Dabei faßte er das zarte Ge—
lent, um die Hand vorjchriftsmäßig zu halten, und fah
zu feiner großen Überrafhung, daß die junge Frau
errötete.
Mar es denkbar — eine Schaufpielerin, die rot
wurde, wenn man nur ihre Hand berührte?
Da modte fie ja beinahe die Wahrheit gejagt
haben, als fie behauptete, fie habe noch nichts er-
lebt!
Das verlohnte, eine Minute darüber adzübensen.
ſelbſt jetzt noch, als man in einen Seitenweg einbog,
der ſo eng war, daß die Zweige über ihnen wie eine
dichte Laube zuſammenſchlugen und es für den Fahrer
notwendig wurde, genau auf den Weg zu achten.
Es herrfchte eine märchenhafte, grüne Halbdämmerung,
nur an einzelnen Stellen tämpfte fih die Sonne
durch ‚und lag in kupferroten Lachen über dem vor-
jährigen Buchenlaub am Boden.
Manchmal gab’s einen heftigen Stoß, bei dem
das leichte Wägelchen nur fo in die Höhe flog, und bei
dem die junge Frau dem Leutnant Herbert Georg
an die Schulter geworfen wurde und fchußfuchend
feinen Arm umklammern mußte.
116 Die tragifche Note, Oo
„Aber, gnädige Zrau — wie foll ih denn dabei
fahren? Fürchten Sie ſich denn?“
„Nein!“ fagte fie mit einem Ton, als fei es eine
Unmöglichkeit, ſich mit ihm zu fürdhten, und ſah ihn
ergeben an. „Nein, ih fürchte mich gar nicht — ich
bin ja fo glüdlich !“ |
Wieder errötete fie,
Und die Fahrt ging zu Ende, und die Naht kam.
Eine junge Frau lag fchlaflos vor Glück. Mit heißen
Augen fchaute fie aufs Feniter, wo durch den Spalt
der Gardine das Mondliht eindrang und feine, flim-
mernde Silberfäden in das Zimmer ſpann bis auf ihr
Bett. Diefelben Silberfäden, die hinübergingen zu
der vornehmen Gebeimratsvilla, zu dem Märchen-
balton mit feiner Geranieneinfafjung, zu einer anderen
Stube und zu einem anderen weißen Bett. Vielleicht
wachte auch er? Sie fühlte, wie fie im Dunkel der Nacht
errötete und fich darüber fchämte.
Auf einem Tiſchchen neben ihr dufteten die Nelken,
heiß und ſchwer wie eine Verheißung von etwas
Wunderbarem, Unbelanntem. Und von der anderen
Seite ber tönten die Atemzüge ihres Mannes gleidy-
mäßig und friedlid, nur hin und wieder von einem
gludfenden Zon unterbrochen.
Selbjtverjtändlich blieb es nicht bei der einen Fahrt.
Es traf jih gut, daß die Saifon zu Ende ging, keine
neuen Rollen mehr zu lernen waren. So fanden [ich
jeden Tag ein paar Dor- oder Nachmittagsitunden, an
denen man binausfabren konnte, aus der engen Klein-
ftadt binaus ins Grüne, Freie.
Don jebt ab klagte der Leutnant MWendtland nicht
mebr über Langeweile,
D Novellette von Rlara Blüthgen. 117
Wohl aber war die Mutter mit ihm unzufrieden.
„Du follteft das doch nicht fo weitertreiben, Herbert!
Die ganze Stadt beobachtet euch und jpricht darüber,
Ganz befonders, feit du vorgeftern mit der Dame
auf der Terraſſe im Logengarten gefpeijt hajt.“
Darüber fcheint der Sohn höchlich erftaunt. „Na
— und? Was ift denn dabei? Zjt meine kleine Mama
plöglih fo Meinjtädtiih geworden?“
„Das nit. Es ift mir nur um die harmloſe junge
Frau zu tun. Warum drängſt du dich in eine Ehe,
regſt die kleine Frau zu Vergleichen an? Laß doch
die beiden ſehen, wie ſie miteinander fertig werden!“
„Was tue ich denn nur?“
„Gott, Herbert, du biſt ein hübſcher Zunge, und
die Meine Frau fcheint, trogdem fie Schaufpielerin ift,
noch wenig vom Leben zu kennen. Da könnte doc
vielleiht — nun, du biſt ja in diefen Dingen bewan-
derter als ich. — Was ſiehſt du mich denn fo an?“
„Erlaube — bier hat meine kleine Mama ein paar
weiße Härchen hinter dem Ohr, Sollte meine Heine
Mama fih deshalb zur Moralpredigerin ausbilden
wollen?“
Die Mama tritt vor den Spiegel, mißmutig und
verärgert. Wahrhaftig, da find in dem edlen Rajtanien-
braun, das ſich in regelmäßigen Dauerwellen um ihren
Kopf Ihmiegt, ein paar helle Härchen. Sie wird alt,
Soll fie deshalb der Zugend ihr Recht vertümmern?
So fagt fie denn nur: „Du weißt, ich predige nie-
mals, befonders dir nicht. Wie ftellt ſich denn er zu der
Sache?“
„Er? Ach ſo, der Ehemann?“
„ga, es wäre doch eine fatale Sache, wenn du mit
ihm __%
„Ah, kleine Mama! Für diefe Naivität muß id
118 ı Die tragifche Note. Oo
dir einen Ruß geben. Er ijt nichts als koloſſal ge-
ſchmeichelt. Ich habe neulih im Theater Gelegenheit
gehabt, mich mit ihm befannt zu maden. Übrigens
ein famojer Rerl, das muß ihm der Neid laſſen.“
„Qun, Herbert, ſo verſprich mir wenigitens, daß
du ihre nicht zu nahe trittſt. Du haft fie bei uns im
Haufe kennen gelernt, ih bin aljo für fie verantwort-
lich.“ F
„Selbitredend. Reg dih nur nit auf.“
„ga, es wäre mir wirklich fatal, wenn man noch
weiter darüber ſpräche. Es fieht ja geradezu aus, als
ob ich die Sache protegiere, Verſprich mir aljo, daß
du nichts tuſt, was du niht auch Damen unferer
Kreife —“
„Aber nein, Heine Mama! Da wäre übrigens nicht
viel zu verfprechen. Eine ijt wie die andere. Geküßt
werden bei pafjender Gelegenheit möchten fie alle
gern. — — — Na — na, nur nit tragifch nehmen!
Ich verſpreche dir ja, was du willft! Ich bin überhaupt
der Sache ſchon müde. Es ift gut, daß der Urlaub
bald zu Ende ift.“
Sprad er die Wahrheit? Er konnte fich felbit
feine Rechenichaft darüber geben.
Diefer junge Lebenstünftler, der das Weib in jeder
Scattierung kennt, iſt ganz gewiß nicht in diefe Heine
Scaufpielerin verliebt. Sie unterhält ihn angenehm
in der Langeweile bier — das iſt alles. Außerdem ift
er noch nicht fo blafiert, daß ihre unverhohlene, naive
Bewunderung ihm nicht ſchmeicheln follte. Dazu be-
jißt fie etwas, das es ihm antut: den vollen Reiz des
jungen Weibes, das ihr Herz noch nicht entdedt hat.
Gott fei Dank, daß der Urlaub zu Ende gebt!
0 Novellette von Klara Blüthgen. 113
Man it allmählihb in den September bhinein-
gefommen, aber noch immer hält die Sommerwärme an.
Eines Tages gebt ein furchtbares Gewitter nieder,
wie man es diefer Markgegend, in der alles font fo
gemäßigt ift, gar nicht zutrauen würde. Es gewittert
von vier Seiten zugleich, der Blitz fährt in eine Bäderei,
er fpaltet verfchiedene der alten Baumriefen im Bart,
mit gewaltiger Rraft praffelt der Regen herab, ſchwemmt
von den Landftragen den Sand ab und wälcht auf den
Maldivegen die blanten Steine zutage. Den ganzen
Tag iſt man ans Haus gefefjelt, feine Möglichkeit,
den Fuß vor die Tür zu feßen.
Herbert Georg langweilt fich wieder, oder vielmehr
ein eigenes, fremdes Gefühl wühlt in ihm, Unruhe,
Ärger, DBerftimmung,. Ungeduld, Sehnſucht. Er ver-
mißt die, die bewundernd und felbitverftändlich in ihm
den Herrn gefehen, vermißt dieſe junge, weibliche
Nähe.
Und morgen ift der legte Tag. — —
Der Himmel hat ein Einfehen, feine Wut hat ſich
in dem einen fürchterlihen Ausbruch überfchlagen,
am nächſten Tage zeiat er ein um fo ftrablenderes Ge-
ſicht. Die Sonne gudt in alle Löcher, fie badet ſich
übermütig in all den kleinen Rinnfalen und Laden,
veritreut luſtige Goldfunten, wenn fie die Waſſer—
flächen trifft. Sie trodnet die abgewafchenen Blätter,
die durch die prädtige Erfriichung hell und durch-
jihtig wie ganz junges Frühlingslaub fchillern.
Gar bald verlaufen fih die Waſſer, find all die
Heinen Pfüten aufgefogen, und nur ein Löftlicher,
friiher Dunft bleibt zurüd, in dem es ſich wonniglich
atmen läßt.
Wieder tanzt kedlich das „Spielerchen“ auf Sonjas
Ihwarzem Kopf, wieder fcheint die kluge NRuffin zu
129 Die tragifhe Note. 0
wittern, daß fie etwas ganz Befjonderes fährt — einen
ganzen Wagen voll jungen Menfchenglüds.
Wenn man innerlich fo glüdlich ift, fann man jich
ruhig anfehen, was für Schaden das Unwetter draußen
angerichtet hat.
Sp fährt der Leutnant tief in den Wald hinein,
wo die Bäume enge ftehen und der Weg ausgewalchen
ist, daß die blanten weißen Steine wie Porzellanteller
Daraus hervorleuchten. Zn den Wegjentungen bat fich
der herausgeſchwemmte Sand angefammelt, fo daß
man faum mit dem Wagen hindurchkommen kann.
Der Wald ift aus Laub- und NMadelholz gemifcht,
einzelne Kiefern hat das Unwetter gebrochen und über
den Weg geworfen, während die zähen Buchen feiner
Gewalt widerftanden haben.
Ein paarmal muß man ausfteigen und den Wagen
Ihieben, Sonja hält erjchöpft, ihre Flanken fchlagen,
ihr ſchwarzes Zell ftehbt in einer Wollte weißlichen
Dampfes.
Einmal muß aud der Leutnant ein paar ftarfe
gebrochene Zweige aus dem Wege räumen, eine
echte Rraftleiftung. Frau Louifon darf inzwifchen im
Wagen fiten bleiben. Es ift ein hübjches Bild: das
dunkle Gefährt, das ſchlanke Figürchen im hellen Kleid
mit dem dunklen Haar und darüber wieder der helle
Hut — wie ein Plakatbild im Mufter der Schwarz-
weißkunſt.
Auch auf den Leutnant wirkt dieſer Reiz. Er bleibt
ſtehen, um ihn in ſich aufzunehmen.
„Man ſieht doch erſt ſo recht, wie hübſch unſer
kleines Geſpann iſt, wenn ſolch junges Mädchen mit
großem Hut darin ſitzt,“ ſagt er lächelnd.
„Ich bin aber kein junges Mädchen,“ gibt ſie zurück.
„Richtig. Aber Sie müſſen erſt daran erinnern,
D Novellette von Rlara Blüthgen. 121
fonft vergigt man’s immer wieder. — Sagen Gie,
Frau Louifon, wie fangen Sie's nur an, diefe echten,
neugierigen Mädchenaugen zu haben?“
„Wir wollen doch lieber weiterfahren. Hier ift’s
fo naß und kühl, Sch möchte in die Sonne!“ weicht
fie aus.
„Sut — fahren wir aljo weiter!“
Langſam gebt’s auf dem ausgewaſchenen Wege
den Waldhügel hinan, und als man oben ilt, heißt es
wieder ziemlich fteil binunterfahren.
„Eigentlich ein wunderliches Bergnügen, einen Berg
nehmen und dann wieder hinunter müffen und fo immer
weiter, ein Hindernis nah dem anderen. Nicht wahr,
gnädige Frau?“
„Mir madht’s Freude,“ fagt fie, und ne braunen
Augen leuchten dabei.
Das Hinunterkommen iſt nicht fo leicht, Der jehr
ſteile Weg ift volllommen ausgejpült, zwifchen tiefen
Sandrillen häuft ſich Geröll, einzelne große Slöde
dazwiſchen.
„Wir müſſen ausſteigen. Können Sie wohl fünf
Minuten gehen? Dann bitte, vorauszulaufen, ich
muß hier allein fertig werden.“
Natürli kann fie das, aber fie fühlt es wie einen
Ihmerzhaften Riß, der immer mehr zerrt, je mebr fie
jih von ihrem Beihüßer entfernt.
Unten angelommen, blidt fie zu ihm zurüd, Er
bat das Pferd beim Ropf gefaßt, ſtützt und leitet es.
Vorſichtig taftend fett es die feinen Hufe zwifchen die
Steine, ſtemmt mit den Hinterbeinen, um ein Nad-
rutjhen des Wagens zu verhindern. Der Leutnant
Elopft ihm den Hals, redet ihm gut zu. Seine fchlante
Geftalt ift hoch aufgerichtet, jede Bewegung ift ficher,
beherrſcht, zweddienlih. Die Laft von Pferd und Wagen
122 Die tragifche Note. s)
ruht ausichlieglihb auf ihm. Mehr als je ift er der
Bezwinger, der Held, als er ihr fo langjam näher
kommt.
„Ich habe mich um Sie geſorgt!“ ſagt fie und preßt
mit einer Gebärde, die etwas nach Theater ſchmeckt,
die Hand aufs Herz.
„Es war doch keine Gefahr. Und wenn ſchon —
was hätte das Ihnen ausmachen können?“
„Mir? — Natürlih nichts, gar nichts!“ murmelt
fie, und es ift, als ob ein Licht, das man eben hinter einem
Stansparentbilde angezündet, wieder erlischt.
Der Steile Hohlweg hat fie in ein zauberiiches Tal
geführt. Ein duntelgrüner Waldfee ſpannt feine
ipiegelnde Fläche. Grünes, flaches Dorland, an ein-
zelnen Gebüſchgruppen unterbrochen, faßt ihn ein,
dahinter fteigen ringsum die Berge auf mit ihrem
Gemiſch von Buchen und Riefern, das derMarklandichaft
Itart den Sondercharakter aufprägt. Der Himmel
wölbt fih wie eine Ruppel aus leuchtend blauen
Sapbiren, die Sonne brennt mit fo heißer Rraft, als
wollte fie fich für all das entihädigen, was fie geftern
verfäumt hut. Eine Stelle, wo fie den Boden ohne
jede Schattenunterbrechung trifft, iſt ſchon jo troden,
daß zwilchen den Gräfern der Sand brüdig tiefelt.
Ein wundervoller Platz, um Raft zu halten, nachdem
man die Wagendede darüber gebreitet hat. Es ift ganz
Tritt, kein Lüftchen rührt fich, keine Furche kräuſelt die
dunkle Wafferflähe. Bon dem Getier, das das Unwetter
geftern in feinen Schlupfwintel gejagt, hat fih noch
nichts wieder hervorgewagt, keine Fliege ſummt, kein
Schmetterling breitet feine Flügel aus. Überall das
große Schweigen des Mittags. Der große Pan fchläft.
Dem Pferd hat man das Ropfgeitell abgenommen,
es Steht, den fchönaufgefegten Hals gefentt, und reißt
D - Novellette von Rlara Ylüthgen. 123
die fonnentrodenen Grasbüfchel aus. Hat es eine
Stelle abgenagt, fo jchleift es den leihten Wagen hinter
lich ber, um an einer anderen Stelle feine Arbeit fort-
zuſetzen.
Frau Louiſon ſitzt, die Füßchen in gelbbraunen,
etwas ſchiefgetretenen Schuhen von ſich geſtreckt, auf
der Felldecke.
„Wie eine kleine weiße Ente im Stroh,“ neckt der
Leutnant. Er iſt dabei, den Frühſtückskorb auszupacken,
den die Mutter ihm mitgegeben hat. Die Gewißheit,
daß dieſe Ausfahrt die wirklich und unwiderruflich
letzte iſt, hat ſie milde geſtimmt, und der Köſtlichkeiten
iſt kein Ende: Butterſchnitten mit feinem Belag, Stücke
von eigelbſtrotzender Sandtorte, herrliche Pfirſiche in
Weinblätter verpackt. Sogar an ein paar Tellerchen
und Papierſervietten hat ſie gedacht und an zwei
ſilberne Becher für den guten alten Tokaier.
Niemals ift ein Mann der Frau gefährlicher, als
wenn er ſich jcherzhaft zu Weiberarbeit erniedrigt, fie
mit Speife und Trank verforgt. War der Leutnant
Wendtland vorhin der gewaltige Gott feiner Rraft,
jo iſt er jeßt der menschlich fühlende Gott, der zu der
Bajadere herniederiteigt, der mit ihr auf weichen.
Fell lagert, mit ihr fpeift und feitlihde Zrantopfer
ſpendet. |
Wie gut er es verfteht, die Brötchen aus dem Per-
gamentpapier zu fehälen, fie zierlih auf dem Zeller
zu ordnen, einen Pfirfih auseinanderzubrechen und
den Wein in die filbernen Becher zu gießen! Wie
freundlich er ihr zuredet, wie beſorgt er ift, daß fie auch
gut fit!
Einen Pfirfih Hat man zu zweien gegejjen, fie die
rote Hälfte, er die weiße, Was foll nun aber mit dem
Rern werden? Die junge Frau fchlägt vor, ihn in die
124 Die tragifhe Note. o
Erde zu pflanzen, vielleicht, daß er aufgeht, fich be-
wurzelt, daß daraus ein fchöner und Starter Baum
entitebt, der Zeugnis davon ablegt, daß bier zweie
miteinander geſeſſen haben und —
Der Leutnant bohrt mit dem PBeitichenitiel ein
Loch in das fandige Erdreich, der Kern wird eingejentt,
der Ort durch ein trodenes YZweiglein bezeichnet.
Sieflinnig jehen die beiden die Stelle an, als wäre
es ein Rindergrab. Ohne es zu wiljen, halten fie fich
bei den Händen.
„Komm,“ fagt der Leutnant, „laß uns wieder
niederfigen.“
Sie figen wieder auf der flaufhigen Felldede,
Hand in Hand und Schulter an Schulter. Sie wollen
Iprechen, aber es würgt ihnen etwas im Halfe, fie
fönnen die Worte nicht finden.
„Erzähle mir etwas aus deinem Leben,“ bittet end-
li Herbert Georg,
„Ich kann nicht. Ich weiß nichts. Mir ift’s, als
ob ich überhaupt noch gar nicht gelebt hätte,“ eriwiderte
lie tonlos.
„And jet?“
„Ah, es könnte alles jo jchön fein — —“
Er ſchenkt ihr Wein ein. Der köſtliche Tokaier
funtelt duntelgolden wie ein fluͤſſiger Topas in der
ſilbernen Höhlung.
„Trink! Dieſe Stunde gehört uns!“
„ga, die einzige —“
Er fühlt an feiner Schulter, wie es durch ihren
Körper riefelt, auch ihre Hand zittert. Ein paar Tropfen
fließen über und fallen auf ihr weißes Kleid.
„Rind, was haft du, was erjchüttert Dich fo?“ fagt
er und zieht fie feiter an ſich. Per Hut ift ihr vom
Kopf geglitten, das Schwarze Haar umrahmt eng Die
o Novellette von Rlara Blüthgen. 125
ſchmale Stirn. Sie hat die Augen gefchloffen, atmet
beflommen, ihre Lider zittern.
Cr fühlt fie ſchwer und ſchwerer in feinem Arm.
Mas ift ihr? Wird fie ohnmächtig?
Da Öffnet fie die Augen, lächelt ſehnſüchtig, die
toten Lippen zittern,
Und er? Warum küßt er diefe roten Lippen nicht,
die ihm entgegenblühben? Er, der fo viele Rüffe leicht-
fertig gegeben und genommen bat, daß ihm der Ruß
zur wertlofen Sceidemünze berabgejunten iſt —
warum küßt er fie nicht? Gerade fie nicht?
Nun, gegenüber diefer tiefen Leidenſchaft kommt
er mit feiner zerftüdelten, vergeudeten Liebestraft jich
arm und ohnmädtig vor, Er fürchtet fich, diefe ver-
haltene Liebesglut zur Flamme anzufahen, denn er
fühlt, fie würde zum Feuer werden, das Jicher das
ſchwache Geſchöpf neben ihm verbrennt, das nur in
einem ſtark ift, in diefer Liebe.
Aber vielleiht auch ihn felbit.
So löſt er ein Hein wenig den Arm von ihr, Hopft
lie janft auf die Schulter und fagt ein paar Derlegen-
heitsworte: „Mein armes Rind, meine gute Hleine
Zouifon!“
Sie jieht ihn erjhroden an, ungläubig, Dann
entfärbt fie fih. Ihr Geficht nimmt den tragischen
Ausdruck einer Sterbenden an. Gie richtet fich auf,
ſteht wantend auf den Füßen.
Er will ihre helfen, fie jtüßen. Sie wehrt ihn mit
einer Handbewegung ab.
„Louiſon!“ jagt er noch einmal, Zhm ift ſehr jäm-
merlich zu Sinn. Weit jämmerliher nad diefem Ruß,
den er verſchmäht, als nach denen, die er genofjen.
Schließlich ftedt er fich eine Zigarette an und be-
sinnt das Frühjtüdsgerät zufammenzuräumen.
126 Die tragifhe Note, 8)
Die junge Frau fteht neben dem Pferd, den Hals
mit beiden Armen umtlammernd, den Ropf in der
turzgejchnittenen Mähne bergend.
„Wir müffen aufbrechen, gnädige Frau. Geftatten
Sie — ib möchte Sonja das Ropfgeitell wieder auf-
legen.“
Damit glaubt der Leutnant am beiten den rechten
Son zu finden.
Als aber die junge Frau langjam wieder den Ropf
erhebt und ein fremdes, entitelltes Geſicht ihn aus
trodenen Augen anjieht, bleibt ihm jedes weitere Wort
in der Rehle fteden.
Stumm treten fie die Heimfahrt an, ftumm bleiben
fie während der ganzen Zeit nebeneinander fißen.
Arme kleine Louifon! Auch du wirft Küſſe geben
und nehmen, leicht ausgetaufhte und leidenjchaft-
erfüllte. Auch du wirft zu Höhen und Tiefen geriffen
werden, aber felbft in Augenbliden jelbitvergeffener
Seligteit wird ein Kleiner, fchmerzender Punkt in Dir
dich daran erinnern, Daß du einmal einem hübfchen,
leihtfinnigen Zungen mehr geboten haft, als er er-
widern konnte und wollte,
ve *
+
Am anderen Morgen zu fehr korrekter - Bejuds-
ſtunde ließen fih Herr und Frau Brettichneider in der
Dilla Wendtland melden.
Sie wurden von der gnädigen Frau fehr huldvoll
empfangen, der Herr Geheimrat zeigte ſich auf einige
Minuten, zuletzt auch der Herr Leutnant in voller Uni—
form, denn er wollte gerade feine Abjchiedsbefuche
machen. |
Man unterhielt fih von den beiderjeits gepadten
Roffern, der beendeten Saifon, dem Publikum, dem
DO Novellette von Rlara Blüthgen. 127
Direktor, den Ausfichten für das Winterengagement.
Hauptſächlich aber waren die jungen Herrichaften
und ganz bejonders Herr Brettichneider erjchienen,
um der gnädigen Frau und dem Herrn Leutnant
für die große Freundlichkeit zu danken, mit der fie fich
Frau Louifons angenommen hatten.
Diefer Herr Brettfchneider war in der Tat unan-
fechtbar in feinen gefellihaftlihen Zormen, und die
tleine Frau war entzüdend in ihrer Erfhöpfung nad
der vielen Paderei, mit den dunklen Ringen um die
Augen. Ihr Satte behandelt fie mit zartefter Schonung,
wie ein krankes Rindchen. Zhre Augen aber fuchen,
zuerjt veritohlen, dann immer dringender die des
Zeutnants Herbert Georg, Sie Shwimmen in feuchten
Glanz, als wollten die Tränen eben hervorbrecen.
Sie liebkofen, fie flehen, fie betteln um irgend ein
tafhes Liebeswort, um einen Blid, der ihr jagt, daß
lie geftern ihr Gefühl nicht ganz fortgeworfen hat.
Der Leutnant aber bleibt die höflihe Korrektheit
ſelbſt. F
„Sicher werden Sie raſch vorwärtskommen, lieb
Frau Brettſchneider. Wir Kleinſtädter werden dann
freilich nichts mehr von Zhnen haben. Vielleicht aber
hat mein Sohn Gelegenheit, Sie in ſeiner Garniſon
zu bewundern,“ ſagt endlich die Frau Geheimrat,
der der Beſuch nun ſchon reichlich lange dauert.
„Darf ich Sonja nicht Adieu ſagen? Ich habe ihr
ein kleines Marzipanherz mitgebracht als Dank,“
ſagt Louiſon mit bedeckter Stimme.
Es war die Bitte um eine Galgenfriſt.
Herbert Georg führt das Ehepaar in den Stall.
Louiſon ſteht bei der Stute, tätſchelt ihr den Hals,
kann ſich gar nicht trennen, nachdem Sonja längſt
das winzige Marzipanherz zerſchrotet hat. Zuletzt
128 - Die tragifhe Note. 0
drüdt fie ihr in einem jähen Impuls einen Ruß auf den
ichlanten Hals.
Da führt der Gatte fie fort, faft mit Gewalt.
%* %*
>
Bein nächſten Herbiturlaub fragt Herbert Georg
ganz beiläufig feine Mutter, nachdem er vergeblich
den Theaterzettel jtudiert hat: „Sag mal, was ift denn
aus der Eleinen — na, wie heißt fie denn gleih? —
der Heinen Zrau Brettichneider geworden?“
Die Mutter triumphiert: „Ob, der habe ich richtig
propbezeit, fie hat wirklich Karriere gemacht und ift
jegt natürlih für unſer Sommertheater zu fchade.
Sie foll irgendwo in Rußland ein jehr gutes Engage-
ment haben und nur große tragiihe Rollen ſpielen.
Rannft du dir das von dem Rinde, der kleinen ‚Alwina‘,
denken?“
x x
*
Und wieder zwei Sahre ſpäter gaſtiert Frau Louiſon
Schneider in der Garnijonftadt des Leutnants Wendt-
land. Er ift noch immer, wie vor drei Zahren, der Kleine
Unterleutnant, fie aber jpielt die großen tragiſchen
Liebhaberinnen, die Zulia und Hero, und man rühmt
an ihr ganz befonders die tiefe, verhaltene Leidenjchaft,
den wundervollen, zu Herzen gehenden Zon ihrer
Stimme — die große tragijche Note.
Die ganze Garniſon ſchwärmt für fie, denn fie iſt
eine fo geniale Rünftlerin und eine fo bezaubernde Frau!
Nachdem fie an ihrem vierten Gaftipielabend die
Zulia wiederholt hat, jteht der Leutnant Wendtland
mit mehreren Rameraden an dem für die Schaufpieler
beitimmten Nebenausgang, wo ein fchönes Auto hält,
um das ſich eine neugierige Menge drängt,
D Novellette von Rlara Blüthgen. 129
Nun kommt fie, in einen köſtlichen Pelz gebüllt,
und grüßt mit der Holdfeligkeit einer Rönigin am
KRrönungstage nach allen Seiten, jo daß jeder glaubt,
ibm babe der Gruß allein gegolten.
. Als fie ſchon im Auto fißt, erkennt fie ihren früheren
Derehrer, beugt fich lächelnd heraus und reiht ihm
die Ichmale, behandſchuhte Hand.
„Warum vernachläffigen Sie mich fo? Ich hätte
doch wohl darauf rechnen dürfen, Sie einmal bei uns
zu fehen! Morgen früh bin ich zu Haufe, auch mein
Mann wird fich freuen.“ —
Selbitverftändlid wohnt die Tragödin in den
Fürftenzimmern des eriten Hotels. Man Sieht in ver-
ihiedene Räume, es duftet angenehm nach frifchen
Blumen, wenn auch gejchmadvollerweije die Blumen-
jpenden des gejtrigen Abends nicht fichtbar aufge-
ſtellt find.
Der Ehemann empfängt den Bejucher zuerft. .
Noch immer ift er fcharmant, wenn er aud jet auf
eigenen Rünftlerruhm verzichtet und ganz zum Fm-
ptejario feiner gefeierten Gattin geworden ift.
Endlih erjcheint fie felbft, ungefchmintt und nicht
einmal gepudert, in einem fehr Eoftbaren, fchleppenden
Hausfleide. Sie ift fehr ſchön, außerordentlich vor-
nehm, aber dem Leutnant Wendtland fcheint es, als
fei fie in dem weißen kurzen Mädchentlleide, mit den
etwas fchiefgetretenen gelben Schuhen unendlich viel
teizender geweſen.
Sie plaudern dies und das, Frau Louifon in dem
leiht ermüdeten Son der Weltdame, Sie erzählt
von ihrem rafchen Aufftieg wie von etwas Gelbit-
verftändlidem. Wie fie zuerft ftets am unrechten Plabe
geſtanden, bis fie fich ſelbſt plößlich entdedt habe,
darauf gekommen fei, daß die früher vermißte tragifche
1912. VII. 9
150 Die tragifhe Note. | 0
Note gerade ihre bejondere Eigenart ſei. Don diejem
Augenblide an fei ihr Stern geitiegen.
Und als dann der Gaſt des Ehepaares mit ihnen
an dem blumengefjhmüdten Zifche figt und wieder der
alte Tokaier in den Gläfern funtelt, goldbraun wie
ein flüſſiger Topas, gedentt er jenes Augenblids am
heimatlihen Waldjee, und mitten in dem angeregten -
Geſpräch ift’s ihm, als höre er feine eigene Stimme
von weit her: „Srint! Dieſe Stunde gehört uns!“
Und die ihre als Antwort: „Za, die einzige — —“
Er hat fie nicht genüßt diefe Etunde.
Und fie?
Nun, fie ift eine große Künftlerin geworden.
Nr
—
—
ST Te
—
Der gerichtliche
Zweikampf im Mittelalter.
don Wilhelm Fiſcher.
Mit 13 Bildern nah
alten Originalen. Y (Nahdru verboten.)
De Ordalien der Germanen, die altdeutſchen
Gottesurteile, zu denen auch der gerichtliche
Zweikampf gehört, ſind Außerungen und Betätigungen
einer längſt überwundenen Rechtsempfindung.
Gewiß ſind die alten, dem myſtiſchen Dunkel der
germaniſchen Urwälder entſproſſenen heidniſchen Ge—
bräuche, die grauſige Feuerprobe, die ſchon in der
vorchriftlihen Zeit angewandte Kreuzprobe, das
Ihauerlide Bahrrecht und der Zweikampf an ſich roh,
abergläubifh und barbarijh; aber, ganz abgejehen
davon, daß alle menjhlihen Einrihtungen im Geiſte
ihrer Zeit und Verhältniſſe zu wägen find, haben mir
alle Urſache, unjere Ahnen um den G eift ihrer viel-
gejhmähten Ordalien*) zu beneiden. Denn die alten
Germanen hatten im Gegenſatz zu den alten Griechen
und Römern und den modernen Deutichen die heute
nur im amerikaniſchen Rriminalverfahren vorhandene
Rectsanihauung, daß nicht die Schuld, fondern die
Unschuld das zu Beweilende war, Ankläger und An—
geklagter ftanden fich an der „Pingitatt“ gleichwertig
*) Ordal = Urſpruch, Urteil,
132 Der gerihtlihe Zweikampf im Mittelalter. O
gegenüber, und es war Braud, daß le&terem der. erite
Beweis zuftand, Er konnte fih durch den Eid feiner
Gippen und Freunde reinigen, fih freiwillig den
Ordalien unterziehen und den Ankläger „tämpflich
anfprehen“, wie es im „Sachfenfpiegel“ beißt, alſo
den gerichtlihen Austrag der Sache durch den Zwei—
tampf beantragen. Es gab keine Unterjuchungshaft,
feinen Sndizienbeweis, fein Urteil auf Grund eines
jolchen. |
Menſchenwerk ift immer Stüdwert, Vor allen
Dingen dürfen wir bei der Beurteilung der alten
Ordalien nicht vergefien, daß noch viel Gottesurteil-
ähnlihes in unjerem heutigen Rechtsverfahren ftedt.
N. Schlichtegroll warf ſchon 1817 die Frage auf:
„Liegt in dem Eide, der in unferen Gerichten gebräud-
lich ift, nicht ebenfalls etwas Gottesurteilähnlicyhes, ir-
dem man das treligiöfe Gefühl eines Menfchen, das
niemand fennt, zum Maßitab feiner Schuld oder Un—
\huld oder der Wahrheit einer Shatfahe nimmt?
Es giebt in der Gerecdtigkeitspflege Lagen, wo ein
Erſatz für ordentlihe Wahrheitsforfhung und Beweife
ein nothwendiges Erforderniß ift. Dieſer Erſatz hat
nothwendigerweife immer etwas Schwantendes und
Unzuläffiges. Der Eid hat diefes ebenfp wie der ge-
richtliche Zweykampf.“ Und das fchreibt ein Mann,
der Doch gewiß feine Ahnung davon hatte, daß der
Meineid einmal „jo gemein wie Brombeeren“ werden
würde,
Der gerichtlihe Zweitanpf war im Grunde ge-
nommen urjprünglic) nichts anderes als eine gericht-
liche Erledigung der Faida (Todfehde), der Blutrache
durch einen Zweikampf, defjen Ausgang in des Scid-
jals Hand gelegt wurde — bei einem fo kriegerifchen,
waffenfrohen Volt wie den Deutſchen etwas Selbit-
DD Don Wilhelm Fiſcher. 133
verjtändliches. Und fo folgte denn bald dem uralten,
heiligen Brauch die gejeglihe Negelung; zuerft im
Anfang des fünften Jahrhunderts durch die Saliſchen
Gejeße, fowie 502 durch den Burgundertönig Gundo-
bald, der in feinem Geſetz verfügte, daß „wenn der
Kläger mit dem Reinigungseid des Beklagten nicht zu-
frieden ijt, fondern feinem Gegner jagt, er wolle die
Der gerichtlihe Zweikampf: Der Kämpfer tritt in die
Schranken.
Waffen dartun und dieſer ſich ſolches gefallen läßt,
es ihnen alsdann erlaubt werden ſoll“. Das alemanniſche
Geſetz geſtattete es dagegen ſchon dann dem Beklagten,
ſich durch das Schwert zu rechtfertigen, wenn der Geg—
ner ihn nicht überführen konnte, Zugleich verfügte
es, Daß zwei Gegner, die um ein Grundftüd im Streite
liegen, die Angelegenheit durch einen Waffengang
zur Enticheidung bringen fünnten. Die friefiichen Ge-
jege erlaubten in gewiſſen Fällen einem Gegner,
154 Der gerichtlihe Zweitampf im Mittelalter. s
einen Stellvertreter für den Rampf zu werben. Dieje
ums Geld gedungenen Rämpfer wurden in fpäteren
Zeiten wie die römischen Gladiatoren mit Weib und
Rind für ehrlos gehalten, wenn fie auch nicht fo ver- -
achtet waren wie der mittelalterlihe Henter.
Die Gefehe der Langobarden zählten neunzehn
Fälle auf, die durch gerichtlihen Zweikampf ent-
Ichieden werden follten. Thaſſilo, der große Herzog
der Bayern, verfügte durch ein Editt, daß keine ver-
zauberten Waffen dazu verwendet werden durften.
Die Franken folgten erft fehr fpät dem Beifpiel der
anderen, Förmlich anertannt wurde der gerichtliche
Zweitampf durch Karl den Großen und Ludwig den
Frommen. Als im Zahre 820 Graf Bera mit dem
Goten Sanila, der ihn der Derräterei bezichtigt hatte,
in richterlihbem Rampf zu Pferde fämpfen mußte
und unterlegen war, verwandelte Ludwig das nun
folgende Zodesurteil in lebenslänglihe Verbannung,
Unter Otto dem Großen kamen die gerichtlihen
Zweikämpfe zu jo hohem Anſehen, daß der Railer, als
Graf Runo, ein abgewiefener Freier der eigenen Toch-
ter Ottos, der verwitweten: Herzogin Luitgarde von
Lothringen, von lebterer Nachteiliges behauptet und
Zuitgarde vor dem Fürftengeriht auf den Namen
Ehrifti und die Sakramente ihre Unjchuld beteuert hatte,
eine öffentlihe VBerfammlung einberief, in der er Durch
Herolde fragen ließ, ob jemand die Ehre feiner Tochter
im Rampfgeriht verteidigen wolle, was ihm als
fouveränen Zürften durch das Geſetz verwehrt war.
And nun folgte die jedermann bekannte Szene aus dem
erſten Alt von Lohengrin. Der Gralsritter, der vor-
trat und den Grafen Runo einen Lügner hieß, war
Graf Burchard, der Rämmerer der Herzogin. Im
eriten Gange bieb er dem Derleumder die rechte Hand
Oo Don Wilhelm Zifcher. 135
ab, wodurch er den Prozeß feiner Dame gewann.
3m Zahre 1386 tötete, wie der franzöfiiche Chroniſt
Froſſard berichtet, der Ritter Jean de Garony in einem
gerichtlihen Zweikampf den Ritter Zacques de Gris.
Der lettere hatte Frau von Garony beleidigt und dies
mit dem ihm zugejchobenen Reinigungseid beftritten.
Da die beleidigte Frau diefen Eid ablehnte, wurde ge-
a SS
Der gerihtlihe Zweitampf: Die Kämpfer erwarten
das Zeichen zum Beginn des Rampfes.
richtliher Zweitampf anberaumt, in dem Gris unter-
lag. Sein Leichnam wurde durch den Henker auf
einer Kuhhaut nah dem Galgen gefchleift und auf-
gehängt. Wäre fein Gegner überwunden worden,
legt der Chronift hinzu, jo würde diefer dasfelbe Schid-
jal erlitten haben, feine Frau als Verleumderin vor
Gericht aber verbrannt worden fein.
Faſt alle Meistümer, Rechte und Spiegel, der
Sachfenjpiegel und der Schwabenjpiegel, hatten nac)
136 Der gerichtlihe Zweikampf im Mittelalter. s)
dem Grundjaß des lebteren: „Davon ift Rampf ge-
legt; davon was die Leute nicht fehend, das weiß
Gott der Allmädtige wohl; davon follen wir Gott
vertrauen, daß er den Rampf nur nah Redt ent-
Scheide“ den gerihtlihen Zweilampf zur Ermittlung
der Wahrheit anertannt — im Gegenjaß zu den Ge-
pflogenbeiten der Römer, die ihre ſchweren Verbrecher
Der gerihtlihe Yweilampf: Der Rampf beginnt.
zum gerichtlihen Gladiatorentampf verurteilten, was
zu den verjchärften Zodesurteilen gehörte. Kaiſer
Claudius verurteilte ſogar die Betrüger zum gericht-
lihen Zweitampf mit wilden Tieren. Nah Über-
windung des Fauſtrechts als Folge der gejehlichen
Beitätigung des Rampfgerichts ordneten der Sadfen-
ipiegel (1218) und der Schwabenipiegel (1268 —1282)
die Regeln desfelben, indem fie unter anderem den
höheren Richtern die Befugnis gaben, alle freie Leute,
darunter auch Priefter und Frauen, in gewiſſen, vor-
0 Don Wilhelm Fischer. 137
gefchriebenen Fällen zum gerichtlihen Zweikampf zu-
zulafien oder Dertreter zu beitellen, nachdem vorher
ſchon ſogenannte „privilegierte Rampfgerichte“ (Ju-
dicia duellica) in Schwäbifch-Hall, Rottweil, Würz-
burg, Nürnberg, Worms, Regensburg, Frankfurt,
Dortmund und anderen Orten errichtet worden waren.
Talhofer gibt in feinem „Rampfrecht“, einem per-
* N
Loru 1 anna — N 3
dr tung fern ten be
5 Ia ——— a.
Der gerichtliche Zweikampf: Der Rampf mit dem Schwert.
gamentenen Roder aus dem fünfzehnten Zahrhundert,
dem wir unſere Bilder entlehnen, die Zälle an, die
gewöhnlich durch Zweitampf erledigt wurden. „Der
Sachen und Artikel find fieben,“ jchreibt er, „Darum
man noch pflegt zu fempfen. Das erite it Mord.
Das ander Verräthernüß. Das dritte Reberey. Das
vierdj, wölcher an finem Herrn trulog wirt. Pas
fünft um Sandnüß im Striten, Das ſechſt um Falſch.
Das fibent, da ainer Zundfrowen oder Frowen fräntet.“
Außerdem nah dem Schwabenjpiegel Branditiftung
138 Der gerichtlihe Zweikampf im Mittelalter. Q
und Straßenraub, fowie die fchwere VBerunglimpfung
einer Frau und [hwere Ehezwiſtigkeiten. Es war jedoch
unumgänglih nötig, daß der Richter über die Zu-
läfligteit des Rampfes erkannte. Das gefchah, wenn
der Beklagte nicht überführt werden konnte und der
Kläger ibn beantragt hatte.
Mar nun Ort und Tag des Rampfgerichtes an-
beraumt, fo wurde der Rampfplag mit Sand beftreut
und umzäunt, den beiden Gegnern ein Beicdhtvater
geftellt und jedem eine Totenbahre „mit Rerben,
Baartüchern und anderen Dingen, die zu einer Leiche
gehören, gefeßt“. Die Rüftung und die Waffen waren
durch die Geſetze bejtimmt; die Richter ſahen ftreng
darauf, dab die beiden Rämpfer möglichſt gleich ge—
wappnet waren. Hatte fih der Rampfrichter über-
zeugt, dag Rüftung und Waffen mit den Vorjchriften
des Geſetzes übereinftimmten, was er mit Hilfe der
Grieswarten, das heißt der Streitzeugen, feftitellte,
dann gebot er der harrenden Menge bei fchwerer
Strafe Stilliehweigen, „daß niemand fchreye, deute
oder winte, und fonft Beichen gebe, und welcher dem
nicht nachtäme, dem wollte er duch den Nachrichter,
fo gleich daftehet und aufwartet, mit einem Handbeil
auf einem Bloch die rechte Hand und den linten Fuß
abbauen lafjen ohne alle Gnade“.
Allgemeine Zotenftille erfolgt. Alle find in banger
Erwartung. Man bittet Gott um Beiltand für den
Unihuldigen. Snawiihen find die Tore der Stadt
gejhloffen, die Straßen mit Ketten verjperrt, Die
Mehren und Türme befeßt, um einem Überfall vor-
zubeugen,
Die Rämpfer werden fih jo gegenübergeftellt, daß
keiner die Sonne allein im Geficht hat. Nun ruft der
Herold dreimal, oder er ftößt dreimal in die Trompete.
0 Don Wilhelm Fifcher. 139
Beim dritten Rampfruf oder beim dritten Trompeten-
ſtoß beginnt der Rampf. Keiner der Umjtehenden
rührt fich. Zuerſt kämpfen die Gegner mit dem Gtreit-
folben, dann ziehen fie das Schwert, um fo lange auf-
einander loszufchlagen, bis einer von ihnen tot zur
Erde fällt oder bis einer fich für verwundet und über- :
wunden bekennt und der Richter den Rampf aufhebt
Der gerichtlihe Zweitampf: Der Rampf zu Pferd.
und den Sieger unter großen Feierlichkeiten vor fich
kommen läßt.
Griff der Richter nicht ein, jo kniete gewöhnlich
der Sieger feinem verwundeten Gegner auf die Bruft
und züdte den ritterlihen Dolch der Barmherzigkeit
zum Beichen dafür, daß jener um Gnade bitten jollte.
Tat das der Überwundene nicht, fo ftieß ihm der
Sieger den Dolch ins Herz, „Welcher verwundet
wird,“ heißt es in Müllers altem Reichstbeater, „und
ih dem anderen ergiebt, der foll hinfüro geachtet
149 Der gerihtlihe Zweikampf im Mittelalter. Oo
— zZ ——————————— — — — — — — — ——————— — —
werden ehrlos, auf kein Pferd mehr ſitzen, keinen
Bart beſcheeren, noch Waffen und Wehr tragen, auch
zu allen Ehren untüchtig ſeyn.“ Dies war die Strafe
des Klägers, der darum ſelten ſich begnadigen ließ
und den Tod vorzog. Der verwundete Angeklagte
wurde als des Verbrechens überwieſen gerichtet.
Sp ließ Raifer Otto den Grafen Gero, der nicht mehr
Der Zweilampf zwifhen Frau und Mann:
Der Beginn des Rampfes.
fehten konnte, auf der Stelle enthaupten. Für den
Gefallenen war beſſer geforgt; er wurde ehrlich und
anftändig begraben. Hatte der Bellagte gefiegt, fo
wurde er zwar von der Schuld freigejprochen, mußte
aber die oft nicht unbeträchtlihen Roften des Rampfes
tragen. Man jieht, „es bleibt immer etwas hängen“,
Unſere Bilder auf Seite 135 bis 139 zeigen den ge-
tihtlihen Zweilampf zwifhen Männern in feinen
verihiedenen Phaſen, welche die von Talhofer ein-
gezeichneten mittelhochdeutihen Inſchriften erklären.
ao Don Wilhelm Zifcher. 141
Auf der linken Geite des Bildes Geite 133 ftehen die
Worte, neudeutfch ausgedrüdt: „Hier gebt er in den
Schranken.“ Rechts: „Der trägt ihm fein Zeug vor,“
Bild Seite 135: „Hier fien beide in den Schranten,
und warten des Anfangs und hat jeder feine Bahre
hinter jich und feinen Grieswart vor fich.“ Bild Seite 156
lints: „Hier ift der Anfang mit dem Schild, und ich
jtehe in meinem Dorteil. Gott gebe uns Glüd und
Heil.“ Rechts: „Hier ſtehe ih nach fränkiſchem Recht.“
Bild Seite 137 links: „Hier fteh’ ich frei nah ſchwäbi—
ſchem Recht, wie man zu Hall fiht.“ Rechts: „So ftehe
Er pariert den Schlag.
ih mit Schild und Schwert und habe dein lang zu
fehten begehrt.“ Die Inſchriften unferes Bildes
Seite 139, das zwei Rämpfer hoch zu Roß, die ihre
Maffen, Armbruft und Lanze, weggeworfen haben
und zu Pferde ringen, mit Talhofer ſelbſt zeigt, lauten
lints: „Das Buch hat angegeben Hans Talhofer und
geitanden zu malen.“ Rechts: „Hier it das Stüd
mit der Armbruft und dem Spieß vollbradt und hat
ihn ergriffen beim Hals.“ —
142 ODer gerichtliche Zweikampf im Mittelalter. oO
Das „Mittelalterlichite” aber am gerichtlihen Zwei-
fampf und das Charakteriſtiſchſte für die joziale Stel—
lung der Frau im früheſten Mittelalter ift der Ge—
richtskampf zwiihen Mann und Weib, den wir in allen
feinen Eingelbeiten bildlih vorführen. Zn Franken
war man am galanteiten. Hier durfte jede Frau,
wenn fie fand, daß ihr Beleidiger nicht gehörig vor
Gericht beftraft wurde, ihn fordern. Überall war ihr
(2
zu
. u 3
—*
*
— 4
—
A⸗
=
>
— E
—— —
ea 2
- eg .
—— —
ne ZT ng I 2
en — 8
u —
-- =
en
— Pe
———
—
Er hat ſie niedergeriſſen.
geſtattet, den Reinigungseid ihres Gegners abzulehnen,
aber fie durfte in dieſem Fall keinen Stellvertreter
ftellen, fondern mußte perjönlid in die Schranken
treten. Pie Rampfrichter forgten jedoch dafür, daß
der ftärtere und gewandtere Mann keinen Vorteil gegen
feine ſchwächere Gegnerin hatte, und beftimmten den
Rampf „mit folher Unterichait, daß man dem Mann
mitten in dem Rrais ein Gruben maden joll, die Dreyer
Schuh weyt fei, zcu ringsumb, und alſo tieff, daß fie
ihm bis an den Nabel get. Darin foll er ftehen, und
daraus gen der Frawen kempffen“.
Thomaſius befchreibt 1718 diefen Rampf folgender-
maßen: „Der Mann ftehet in einer runden etwas
weiten Gruben in der Erde bis an den Gürtel, hat in
der rechten Hand einen Rolben, mit dem er nad) der
Frauen ſchlägt; er darf dabei aber nicht herausgehen
0 Bon Wilhelm Fifcher. 143
und der Frauen nachlaufen, auch nicht einmal mit der
freyen Hand fih an die Grube oder das Erdreich an-
halten, bey Verluſt des Sieges. Die Frau hat einen
Schleyer in der Hand, in welchem vornen ein Stein
von etlihen Pfunden geknüpft ift, womit fie nach dem
Mann fchlägt. Wenn die Frau dem Mann hinter den
Rüden kommen kann, bemübet fie fich, deſſen Kopf
hinterwerts aus der Grube zu ziehen und ihn zu würgen;
parirt aber der Mann den Schlag mit dem Schleyer
mit dem Kolben, fo ummwidelt fih der Schleyer um
den Rolben, und erlangt dadurch die Frau Gelegenheit,
dem Mann den Rolben aus der Hand zu reiſſen. Pa—
rirt aber der Mann den Schlag mit dem Schleyer
mit dem linden und freyen Arm aus, ſo umwidelt fich
der Schleyer um den Arm, und hat aljo der Mann
Gelegenheit, die Frau zu fih in die Grube zu ziehen,
Er ift in Gefahr.
da er dann trachtet, die Frau in der Mitte des Leibes
und fie in die Grube zu ziehen.“
Die Talhoferſchen Zeihnungen beweifen, daß der
Zweikampf mit Rolben und Steintuch der gewöhn-
lihe war. Der von Ephr. Gebhard in feinem 1711
erijchienenen lateinischen Werk über gerihtlihe Zwei—
fämpfe gejchilderte Rampf mit Knüppeln kam jeden-
falls nur vereinzelt vor. Talhofer fchildert die Ent.
144 Der gerihtlihe Zweitampf im Mittelalter. o
——— —— —— — ee
wicklung des Kampfes durch
Inſchriften, die auf unſeren
Bildern weggelaſſen ſind.
Über den Kämpfern Gild!
Seite 140) ſtand: „Hier
steht, wie Mann und Frau
miteinander fämpfen jollen.
Und ftand fie in dem An-
fang;“ beim Manne: „So
itehbt er in der Grube bis
an die Weichen und ift fein
Rolben fp lang wie ihr
| Schleier;“ neben der Frau:
Er fiegt. „Da fteht die Frau frei
und will fchlagen und hat
einen Stein in dem Schleier, der wiegt vier oder fünf
Pfund.“ Der Schlag war gefallen (Bild 2 Seite 141)
— der Mann „hat den Schlag pariert, fie gefangen und
will fie zu fich ziehen“. Er hat fie niedergerijfen.
Bild 3 Seite 142
„da bat er fie zu ſich
gezogen, fie nieder-
geworfen und will
fie würgen“, Pas
gelingt ihm nicht;
fie entwindet fi
ihm. Aber „da hat er
fie wieder zu ſich ge-
zogen und wirft ſie
in die Grube“ — fie
iſt verloren (j. oben-
itehendes Bild).
| Ein anderer
Rampf! Pie Frau
Sie ift wieder in Gefahr.
Oo Don Wilheim Fifcher. 145
tritt nahe an die Grube (Bild 6 Seite 144 unten), „als
“fie fhlagen will, ift fie zu nahe an ihn herangetreten,
jo daß er fie am
Beine faljen kann,
um fie zu fällen“.
Sie entrinnt der
Gefahr (f. neben-
ſtehendes Bild), „er
ſchlägt fie auf die
Brut, fie aber hat
ihm den Schleier
um den Hals ge- :
Ihlagen und bat Cie ſchlägt und wird getroffen.
ibn gefaßt und
wird ihn aus der Grube ziehen“ (f. untenjtehendes
Bild) — fie fiegt.
Sohanır Stumpff gibt uns in feiner Schweizer
Chronit vom Zahre 1548 ein Beilpiel eines ſolchen
| Sieges: „Dar—
nach im jar des
Herren 1285, am
5. Tag Sanuarij
geſchah zu Bern
an der Matter —
da yetzund Die
groß Kirchhof⸗
mauer {tat —
ein Rampff zwi-
chend einen man
| und einem weyb.
Das wenb lag ob, und gewan den fampff.“
Wehe dem Befiegten! hieß es auch bier. Denn
der Befiegte, wer es auh war, Mann oder Weib,
wurde in der Grube lebendig begraben. Zn einigen
1912. VL 10
Sie fiegt.
146 Der gerihtlihe Zweitampf im Mittelalter. O
TS
Gegenden wurde der bejiegten Frau die rechte Hand
und dem befiegten Mann der Ropf abgehauen, Der
Zweikampf zwiſchen Eheleuten hatte einen harmlojeren
Ausgang; er gefhahb der Oberherrichaft in der Ehe
wegen. Eine Breslauer Chronik, gleichfalls vom
Sabre 1288, berichtet darüber: „Zn dem Zahre konnten
ih Mann und Weib nicht miteinander vergleichen,
jondern wenn fie einander anjahen, fielen fie über-
einander, rauften und fchlugen fihb wie Hund und
Rabe, wurden öfters von der Obrigkeit mit Gefängniß
geftraft, dennoch wollte nichts helfen. Zuletzt ward
ihnen ein Öffentliher Rampf zugelaffen am Ringe,
ſchlugen einander mit Fäuſten, bis fie fait beide
nicht mghr fonnten und vor Müdigkeit mußten auf-
hören; doch behielt das Weib den Sieg, und der Mann
mußte ihr unterthänig fein.“
Nah der Redaktion des alten Berner Weistums
von 1461 im Sabre 1783 beitand in der Theorie zu
Bern der alte gerihtlihe Zweikampf noch zu Redt.
Intereſſant ift auch, daß, wie Zöpfl in feinen „Alter-
tümern des deutſchen Reichs und Rechts“ nachweiſt,
dort, wo bei uns Rolandsfäulen ftanden, fih aud
Rampfgerichte befanden.
Der gerihtlihe Zweikampf als Mittel zur Er-
forihung der Wahrheit fteht, man mag über die Sade
an fich denken, wie man will, himmelhoch über feiner
Ihaurigen Nachfolgerin, der Folter. „Niht nur
durch die Betätigung des mannhaften Mutes im offenen,
ehrlichen Rampf,“ fagt Thümmel, „zeigt ſich dieſer
gerichtliche Zweikampf als etwas dem germaniſchen
Volkscharakter beſonders Sympathiſches, ſondern auch
durch ſeine Beziehung auf die Ermittlung der reinen
Wahrheit.“ Beurteilt man ihn im Rahmen feiner
geit, jo diente er niemals der rohen Raufluft, fondern
0 Don Wilhelm Zifcher. 147
nur der Wahrbeitserforihung, wie auch das Bolt
glaubte, das inbrünftig für den Sieg der Unfhuld
betete.
an diefem Sinn ift der gerichtlihe Zweikampf,
wie unjere aus ihm entlehnte Eidesformel: „So
wahr mir Gott helfe!“ fchlagend beweift, nicht mehr
und nicht weniger als der Vater unjeres heutigen
Eides.
N >
—
EIESEILIES
Ein Ehrenwort.
Novelle von R. Ortmann.
Y (Nnachdruck verboten.)
Pite Herr v. Malfen, laſſen Sie uns aufhören!
Ich fühle mich etwas ermüdet.“
Mit heftig atmender Bruft und faft verjagender
Stimme hatte Zlje Frobenius es ihrem Tänzer zu-
geflüftert, und der junge Mann hatte natürlich auf der
Stelle ihrem Wunſche entiprochen. Die zarte weiße
Mädchengeftalt am Arm führend, bahnte er fich einen
Meg durd den Wirbel der tanzenden Paare, und ein
Ausdrud plötzlich erwacter Beforgniffe war in dem
Blid, mit dem er fie anſah. Sie erjchien ihm ja auch
noch jetzt als ein Bild blühendfter Gefundheit, denn
ihre Wangen waren heiß gerötet, und in ihren großen
dunklen Augen war ein Glänzen, wie er es nie zuvor
darin gefeben zu haben meinte; aber er vermißte Die
fonnige Fröhlichkeit, die dies junge Antlig für ihn
fo oft zu einem unwiderſtehlich bezaubernden gemadt
hatte, und er fühlte fih beunruhigt duch ein eigen-
tünliches Buden des feinen Mundes, das ihn falt an
mübfam verhaltenes Weinen glauben ließ. |
„Darf ih Ihnen ein Glas Sekt bejorgen, gnädiges
Fräulein? Ich fürdte, Gie REN ih in der Tat
nicht ganz wohl,“
Sie fchüttelte ablehnend den aopf. „Ich brauche
D Novelle von R. Ortmann. 149
nichts als ein wenig frifche Luft. Wenn ich auf ein paar
Minuten in den Park hinaus könnte —“ |
Sie hatten es nicht weit bis dahin, denn zwei von
den breiten Flügeltüren des Saales öffneten fih auf
die mit bunten Lampionen beleuchtete Gartenterrafje,
über die hinweg man die dunklen Baumwipfel des
alten Parkes ſah. Das alljährlih wiederkehrende
Sommerfeſt der Mufeumsgefellichaft, der vornehmſten
Dereinigung der Stadt, hatte ja ver den winterlichen
Tanzvergnügungen den bejonderen Reiz voraus, daß
es fih bei günftiger Witterung zum guten Teil aud)
unter freiem Himmel abfpielte. Überall in den Lauben-
gängen der zu dem Geſellſchaftshauſe gehörigen Anlagen
verbreiteten die farbigen chineſiſchen Bapierlaternen
eine phantaſtiſch wirkende matte Helligkeit, an geeig-
neten Pläßen waren Tiſche und Stühle für diejenigen
aufgeitellt, die ein luftiges Geplauder bei Sekt oder
Bowle dem Tanz oder dem Kartenſpiel vorzogen,
und namentlich unter dem jungen Volk kamen viele
hier draußen im trauliden Halbduntel der linden
Sommernadt bejjer auf ihre Rechnung als drinnen
im beißen, bell erleuchteten Saal,
Zn einer größeren Gruppe, die ficd) nahe der Terraffe
niedergelafjfen hatte, fang eben jemand mit ſchöner
Stimme ein Lied zur Laute, und der Negierungs-
aſſeſſor, der noch einige unbefegte Stühle erfpäht hatte,
wollte feine Sängerin dahin führen.
Aber fie hielt ihn, als fie die Abficht erkannte,
durch einen leichten Drud auf feinen Arm zurüd, „Ich
möchte lieber ein wenig promenieren, Aber Sie follen
fih um meinetwillen feinen Zwang auferlegen. Auch
wenn ich allein bleibe, kann mir hier ja nichts gefchehen.“
„sh aber bin glüdlih, wenn Gie mir erlauben,
ahnen Gefellihaft zu leiten. Nur falls Sie diefe
150 Ein Ehrenwort. 0
Geſellſchaft als läftig empfinden, dürfen Sie mid
fortichiden.“
Mas in feiner Stimme lang, und was aus feinen
unverwandt auf fie gerichteten Augen ſprach, war viel
mehr als die konventionelle Galanterie einer Ball-
unterhaltung, und Ilſe Frobenius mußte mit ihren
achtzehn Zahren Weib genug fein, es zu empfinden.
Aber in ihren Zügen verriet fich nicht, ob es Eindrud
auf fie machte. Ahr Geficht blieb unverändert ernit,
und die haftigen Bewegungen, mit denen fie ſich ihres
Fächers bediente, gaben Zeugnis für die nervöſe Un-
ruhe, von der fie ergriffen war.
„Eigentlich follte ih es tun,“ erwiderte fie. „an
Shrem Intereſſe, Herr v. Malfen! Denn ich bin heute
gewiß eine nichts weniger als angenehme Gefell-
Ichafterin.“ |
„So ift Ihnen etwas Unerfreuliches widerfahren?
Kann id nichts, gar U tun, Shre Stimmung zu
verbefjern?“
„Nein, Se künnen mir ebenjowenig helfen als
irgend ein anderer,“
„Wenn Sie wüßten, wie tief mich das betrübt!
Ich wäre fo glüdlid, wenn ih Gie wieder lächeln
machen tönnte.“
„Dafür müßte ich Zhnen nun wohl einen ſchönen
Dant. fagen. Aber Sie dürfen mir nicht böſe fein,
wenn ich heute außerjtande bin, die hergebrachten
Phraſen zu drechſeln.“
„Phraſen, Fräulein Ilſe? So nehmen Sie auch das,
was ich eben ſagte, für eine bloße Redensart? Sie glau-
ben nicht daran, daß ich mit Freuden aud) das Schwerjte
tun würde, um Sie froh und heiter zu machen?“
„Wie follte ich das glauben? Was könnte Gie
veranlaffen, für mich irgend ein Opfer zu bringen?“
0 Novelle von R. Ortmann. 151
+, =, 5 Je
Sie waren etwas tiefer in den Park hineingegangen
und hatten fich weit genug’ von den plaudernden und
zechenden Gruppen entfernt, um feinen Laufcher mehr
fürchten zu müffen. So durfte Malfen wohl wagen,
ihr zu antworten: „Was mich dazu veranlafjen könnte?
Haben Sie wirklich noch immer nicht erraten, daß Sie
für mich das Herrlichfte und das Teuerſte find auf diefer
Erde?“
Sie ließ ihre Hand von feinem Arm berabgleiten
und blieb ftehen, „Bitte, fprehen Sie nicht fo, fagen
Sie mir nichts Derartiges — nicht an diefem Abend!
Ich — ich kann es nicht ertragen.“
Das Schluchzen, das fie nicht länger hatte meijtern
können, erftidte ihre lebten Worte, und fie drüdte das
Taſchentuch an die Augen.
Da verlor auch ders Aſſeſſor die Kraft, ſich zu be-
bereichen, und ſchlang in überftrömender Zärtlichkeit
feinen Arm um die zitternde Geftalt. „Ilſe — meine
liebe, über alles geliebte Zlje! Zhr Kummer zerreißt
mit das Herz. Sie müſſen — ja, Sie müſſen mir fagen,
was Gie quält und bedrüdt!“
Sie hatte fich nicht gegen die vertrauliche Annäherung
gewehrt, aber fie jchüttelte in fchmerzlicher Ablehnung
den Ropf. „Das kann ich und darf ich nicht. Und wenn
ich es dürfte, wäre für mich damit auch nichts gewonnen.
Führen Sie mich in das Haus zurüd, Herr v. Malfen
— oder, noch beffer, lajfen Sie mid) hier allein!“
„alt das Zhre einzige Antwort? Sch habe Zhnen
gejagt, und ich fprehe es aus tiefjtem Herzen noch
einmal aus, daß ich Sie heiß und innig liebe. Haben
Sie darauf keine andere Erwiderung als den Wunfch,
daß ich Gie verlaffe?“
„Mein Gott, fehen Sie denn nicht, wie Sie ie
quälen? Wenn ich Ihre Worte jebt ernſthaft nähme,
152 Ein Ehrenwort. 0
Te
wenn ich auf der Stelle den Beweis für die Wahrhaftig-
keit Zhrer Beteurungen verlangte — ih bin gewiß,
daß es mid) nicht nur Ihre Zuneigung, fondern aud)
Ihre Achtung koſten würde.“
Wie hellſte Freude leuchtete es über Malfens
Geſicht. „Sch Ihwöre, daß ich nicht von diefer Stelle
weichen, und daß ich Sie nicht freigeben werde, ehe
ih von Zhnen erfahren babe, was ih für Sie tun
fonn. Wenn Gie mir nit die allerfchmerzlichite
Kränkung antun wollen, dürfen Sie es jebt nicht mehr
verweigern.“
Sie ſah ihn an, und die heiße Glut, die er vorhin
nur für eine Wirtung des Tanzes gehalten hatte,
brannte noch immer auf ihren Wangen. Zhre Stimme
aber hatte einen ſeltſam veränderten, gepreßten Rlang,
als fie fagte: „Nein, ih will Sie nicht kränken. Und
obwohl ich weiß, daß Sie nicht tun werden, was id)
Shnen zumute, will ich Ihrem Verlangen entiprechen.
Wenn Sie mir beweijen wollen, daß Sie — daß Gie
mir gut find, müffen Sie mich jebt dahin begleiten,
wohin ich Sie führen werde. Sie müſſen dort alles
tun, was ich von Ihnen erbitte, und müſſen mir feierlich
geloben, weder zu mir noch zu irgend einem anderen
Menſchen jemals von dem zu Sprechen, was in dieſer
Nacht geſchehen it.“
Hätten nicht ihr Ausſehen und ihr ganzes Verhalten
jeden derartigen Verdacht ausgeſchloſſen, ſo würde
er geglaubt haben, daß ſie ſich einen Scherz mit ihm
machen wolle; jetzt aber wirkte ihre Erklärung auf ihn
als eine ſo gewaltige Überraſchung, daß er nicht ſogleich
das rechte Wort für die Entgegnung fand, und daß die
Deutung wohl begreiflich war, die Ilſe Frobenius
ſeinem Zaudern gab.
„Bemühen Sie ſich nicht, eine artige Ausflucht zu
s] Novelle von R. Ortmann. 153
finden,“ fuhr fie nah kaum felundenlangem Warten
mit bitterem Ausdrud fort. „Sch habe es nicht anders
erwartet, und id —“
Aber weiter ließ er fie nicht fprechen. „Was haben
Sie nicht anders erwartet, Zlje? Dielleicht, daB ich
Bedenken tragen würde, Ihrem Wunſche zu will-
fahren? Nun denn, folhe Bedenken habe ich in der
Sat. Aber nicht meinetwegen, fondern um Zhretwillen.
Die dürften wir daran denken, ohne Vorwiſſen Shres
hier anweſenden Herrn Daters gemeinfam dies Feſt
zu verlajfen? Die Folgen, die daraus für Sie entjtehen
tönnten, find ja ganz unabſehbar.“
„And Gie fürdhten zur Derantwortung gezogen
zu werden, wenn es heraustäme? Za — eine Bürg-
Ichaft dafür, daß das nicht möglicherweife gefchähe,
tönnte ich freilich nicht übernehmen,“
Zhre Rede und ihr Benehmen wurden für Malfen
immer rätjelhafter. Er kannte die Tochter des pen-
fionierten Oberſten Frobenius, in deſſen Haufe er feit
einigen Moriaten öfters verkehrte, Bisher nur als eine
wohlerzogene junge Dame, die fich vielleiht mitunter
von ihrem lebhaften Temperament zu Heinen Unüber-
legtheiten binreißen ließ, die er aber eines wirklichen
Verſtoßes nimmermehr fähig gehalten hätte. Gerade
ihre liebenswürdige Mädchenhaftigteit und die herz-
gewinnende Anmut, die ihrem Wefen in jeder Stimmung
eigentümlih blieb, hatten in dem Dreißigjährigen,
dem die Frauen durchaus feine neue Offenbarung
mehr bedeuteten, eine fo tiefe und echte Neigung
erwacjen lafjen. Die Aufregung, in der er fie jetzt
ſah, die fonderbare Gereiztbeit, die ihr jo harte Worte
eingab, bradten in das holde Bild plößlih einer
fremden, unjhönen Zug, der ihn peinlid und fchmerz-
lih berührte.
154 Ein Ehrenwort. a
Aber feine Entſchloſſenheit, ihr beizuftehen, ſoweit
Ehre und Gewiljen es ihm geftatteten, wurde dadurch
nicht für einen einzigen Augenblick erjchüttert, und als
hätte er ihren fräntenden Zweifel an feinem perfön-
lichen Mute völlig überhört, fragte er: „Unfere Ub-
weſenheit würde nur kurze Seit zu währen brauchen —
nit wahr? Der Ort, an den Sie mich führen wellen,
iſt nicht weit von hier entfernt?“
„Nein. Und Sie kennen ihn fehr gut. Es ift meines
Daters Dilla.“
Wie eine Schwere Laft fiel es ihm vom Herzen.
„Das iſt allerdings etwas anderes. Aber ift es wirklich
durchaus notwendig, dem Herrn Oberſten ein Ge—
heimnis daraus zu machen?“
„Er wäre der letzte aller Menſchen, der etwas
von meinem Vorhaben erfahren dürfte. Die Sache
iſt auch nicht ſo harmlos, als ſollten Sie mich begleiten,
um ein vergeſſenes Taſchentuch zu holen. Weil weder
die Hausdame noch die Dienſtboten etwas merken
dürfen, könnte ich nicht daran denken, auf dem gewöhn-
lichen Wege in die Villa zu gelangen, denn ich habe
feinen Schlüffel und müßte die Mädchen wadtlingeln.
Ich werde aljo genötigt fein, Durch ein Parterrefeniter
einzufteigen, und weil ich das ohne fremden Beiltand
nicht vermöcdhte, follen Sie mir eben helfen.“
Malfen hütete ſich wohl, feinem wachſenden Be-
fremden Ausdrud zu geben, denn nach der ganzen
Art ihres Auftretens hätte er fürchten müffen, fie
damit für immer zu erzürnen,. „Gut,“ fagte er. „Sch
bin zu allem bereit. Da ich mir aber von der Ausführ-
barkeit des Planes noch feine rechte Dorftellung
maden kann, erwarte ih Shre Befehle. Halten Sie
e5 für möglich, daß wir uns unbemerkt von hier ent-
fernen und unbemerkt zurüdgelangen können?“ |
0 Novelle von R. Ortmann. 155
„Sie fehen doch, daß fih auch jeßt niemand um uns
kümmert, Natürli werden wir nidht zufammen
fortgehen, fondern Sie werden zuerſt aufbrechen und
mid irgendwo in der Nähe, vielleiht an dem Kiosk
auf der Ejplanade, erwarten. Ebenfo werden wir es
dann auch mit der Rückkehr halten,“
„And wenn der Herr Oberft Sie inzwifchen vermißt?
Menn man nah Ihnen ſucht?“
„Mein Vater fit beim Whiſt, und er ift ein fo eifriger
Spieler, daß er fih vor dem lebten Robber meiner
faum erinnern wird. Sollte das aber doch der Fall
fein, ſo wird er, falls er mich im Saal nicht erblidt,
annehmen, id befände mich gleich fo vielen anderen
irgendwo im Park, Außerdem können wir recht gut
in einer halben Stunde zurüd fein, und der allgemeine
Aufbruh wird fiherlid niht vor Ablauf von zwei
oder drei Stunden erfolgen.“
Sie war gegen jeden Einwurf gerüftet, und der
Alfeffor ſah an dem Beben ihres Körpers, daß fie mit
leidenfchaftliher Ungeduld auf den QAUugenblid der
Ausführung wartete. Seine Bedenken gegen die
Verwirklichung ihrer unbegreiflich tollen Sdee hatten
ih gewiß nicht vermindert, aber feine Verliebtheit
raubte ihm den Mut zu weiterem Widerſpruch. Daß
es fihb nur um einen im Grunde ganz unfchuldigen
Streich handeln könne, galt ihm ja troß ihrer merf-
würdigen Erregtheit als fiher. Und wenn das Außerfte
eintrat, wenn ihr gemeinfchaftliher Streich entdedt
wurde, hoffte er den Zorn des als fehr aufbraufend
gefürchteten Oberſten durch eine offene Bewerbung
um lies Hand zu entwaffnen.
Sie trafen haftig ihre letzten kurzen Verabredungen.
Er follte feinen Überrod aus der Garderobe holen und
jich entfernen; nach Derlauf: von etwa zehn Minuten
156 Ein Ehrenwort. 0
wollte fie dann dasjelbe tun und an dem Kiosk mit ihm
zufammentreffen. Von dort bis zur Villa des Oberften
war es nicht mehr weit, und da die zwölfte Stunde
bereits vorüber war, hatten fie in den nächtlich ftillen.
Straßen eine unliebjame Begegnung faum zu fürchten.
Hajtig hatte ſich Maljen verabjchiedet, und eilig
Schritt er duch den Saal, um in die Garderobe zu
gelangen, als er zu feinem Ärger von einer weiblichen
Stimme angerufen wurde. So vernebmlidy war dicht
binter ihm fein Name laut geworden, daß er fi nicht
ohne die gröbfte Ungezogenheit hätte taub Stellen können;
aber die Miene, mit der er fih vor der Rufenden
verneigte, war nicht eben von der verbindlichiten und
liebenswürdigjten Urt. |
„Snädige Frau wünfchen?“ fragte er kurz.
„Man muß Sie wohl mit Gewalt feithalten, wenn
man den Wunsch hat, Fhnen guten Abend zu wünfchen,“
fagte die Dame mit einem füßlichen Lächeln. „Bis
jebt waren Gie ja beitändig viel zu fehr in Anſpruch
genommen, um uns zu bemerfen.“
Das „uns“ hatte er offenbar zur Hälfte auf das
junge Mädchen zu beziehen, das neben der Dame ſaß
und fich den Anfchein gab, hinter ihrem großen Federn-
fächer nichts von der Unterhaltung zu bemerken. Gie
war wohl um einige Zahre älter als Slje Frobenius
und von ftattlicher, imponierender Erſcheinung. Der
Aſſeſſor verjpürte eine leichte Gewiſſensunruhe, denn
bis zum Beginn feiner Bekanntſchaft mit Ilſe batte
er der Tochter der verwitweten Präfidentin ziemlich
eifrig den Hof gemacht und hatte mehr als einen Beweis
dafür erhalten, daß Fräulein Herta Steinsdorff feine
Huldigungen recht gern entgegennahm. Daß er als
der Beliker beträchtlichen Vermögens ein allerorten
freudig begrüßter Heiratsfandidat war, wußte er ja
s) Novelle von R. Ortmann. 157
ohnedies, und er hegte feinen Sweifel, daß die liebens-
würdige Begrüßung nichts anderes bedeutete als den
Verſuch einer Niederanktnüpfung der während der
legten Monate fat ganz abgeriffenen Beziehungen.
Aber feine VBerpflidtung gegen Ilſe beraubte ihn
jeder Möglichkeit, für den Augenblid aubh nur zum
Schein auf die freundlihen Bemühungen einzugehen.
Wohl machte er Fräulein Herta feine pflichtichuldige
DBerbeugung und fagte ihr ein paar artige Worte; aber
er beeilte fich, hinzuzufügen, daß er um einer dringenden
Abrede willen eben im Begriff fei, das Zeit zu ver-
laſſen.
Fräulein Herta machte ein gekränktes Geſicht, die
PBräfidentin aber war augenscheinlich nicht gejonnen,
ihn fo leichten Raufes davonkommen zu laffen. „Auch
wir gedachten nur noch kurze Zeit zu bleiben,“ erklärte
fie, „und es wäre recht hübfch geweſen, wenn wir den
Heimweg hätten zufammen machen können. Ich hörte
ja von meinem Better, dem Negierungspräfidenten,
daß wir ohnehin mit der Möglichkeit rechnen müſſen,
Sie bald zu verlieren.“
„Meine Ernennung zum Landraf fteht allerdings
unmittelbar bevor, aber ich werde jelbitverftändlich
nicht verfäumen, den Damen meine Aufwartung zu
machen, bevor ich die Stadt verlaffe, Für den heutigen
Abend muß ich mich freilich zu meinem lebhaften Be-
dauern beurlauben, denn die Dringlichkeit meiner
Abrede duldet nicht mehr den Heinften Aufihub.“
Er küßte der beleidigt dreinſchauenden PBräfidentin
die Hand, verbeugte fih noch einmal gegen Fräulein
Herta und eilte mit langen Schritten davon, Daß er
es mit den beiden für immer verdorben hatte, war
ihm außer Zweifel; aber es ging ihm nicht allzu nahe,
denn Alle feine Gedanken waren bei Zlje und bei dem
158 Ein Ehrenwort. fa)
geheimnisvollen Vorhaben, für das er ihr feine Unter-
ftüßung leihen follte,
Ohne noch einmal aufgebalten zu werden, gelangte
er aus dem Gefellichaftshaufe, und faum zwei Minuten
nachdem er den Kiosk an der Eiplanade erreicht hatte,
fab er die in einen grauen GSeidenmantel gebüllte
Geftalt des geliebten Mädchens auf ſich zukommen.
Sie hatte einen flodigen Theaterſchal über den Kopf
geworfen, jo daß von ihrem Geſicht nicht viel zu ſehen
war, und die vom Vollmond ziemlich hell beleuchteten
Straßen waren, wie Maljen es erwartet hatte, ganz
menjchenleer,
„Ich dankte Zhnen, daß Sie Wort gehalten haben,“
flüfterte fie, als fie ihn erreicht hatte, „Aber reichen
Sie mir, bitte, niht Shren Arm, Laſſen Sie uns
eilen. Die vordere Gartentür it verſchloſſen, aber
an der hinteren Seite befindet fich noch eine Gittertür,
die wir benüßen können. Wenn ich porausgehe, haben
Sie aud von dem Hunde nichts zu fürchten. Sch bin
fiber, daß er nicht einmal anſchlagen wird,“
Malſen wußte nichts zu erwidern, denn er fühlte
fih nicht berechtigt, eine Aufllärung zu verlangen,
die ihm nicht aus freien Stüden gegeben wurde, und
jo legten fie fchweigend den kurzen Weg bis zu der von
einem großen, wohlgepflegten Garten umgebenen Villa
des Oberiten Frobenius zurüd, Das Pförtchen, von
dem Ilſe gefprochen hatte, war in der Tat nur einge-
linkt, und auch ihre Vermutung in bezug auf Die
Dänische Dogge, die den nächtlichen Wachtdienft verjab,
erwies ſich als richtig. Der Hund fprang ihr freudig
winfelnd entgegen, und wenn er auch beim Anblid
ihres Begleiters leife fnurrte, jo genügte Doch ein
jhmeichelnder Zuruf feiner jungen Herrin, ihn zum
Schweigen zu bringen.
| O Novelle von R. Ortmann. 159
Die Dilla war in Duntelbeit gebüllt mit Ausnahme
zweier, von der Straße abgekehrter Fenſter im unteren
Stodwert, von denen eines halb geöffnet war und
hinter denen man die elektriichen Lampen des Kron-
leuchters brennen jab. Malfen wußte von feinen Bc-
juchen ber, daß diefe Fenfter zum Arbeitszimmer des
Oberiten gehörten. |
Zlſe flüfterte ihm mit gedämpfter Stimme zu:
„Mein Vater liebt es nicht, daß fein Zimmer dunkel
ift, wenn er es bei der Heimkehr betritt, und er ſchließt
niemals die Fenjterläden, weil er bei der Zuverläflig-
feit Neros nichts von Dieben fürchtet, Der Weg durd)
dies Fenſter ift der einzige, der mir offen fteht. Wollen
Sie mir binaufhelfen?“
Ohne den Beiltand eines hochgewachſenen und fehr
fräftigen Mannes bätte fie das allerdings niemals
fertig bringen können, denn das Gefims des Fenfters
lag ſehr hoch über dem Boden, und es gab weder ein
Spalier noch ſonſt ein Hilfsmittel, das das Hinaufflettern
erleichtert hätte. Auch fo blieb es immer nod) eine
ziemlich Schwierige Aufgabe, für deren glüdliche Löſung
es all der jugendlichen Sewandtheit und Elaftizität
des fportgeübten Offizierstöchterchens bedurfte.
Maljen fühlte ſich troß des Unbehagens der felt-
famen Situation von einem befeligenden Glüdsgefühl
durchſchauert, als er die gejchmeidige Geftalt in feinen
ſtarken Armen emporhob und für einen Augenblid
ihre Füße auf feinen Schultern fühlte.
An der nächſten Minute hatte fie fich bereits über
die Brüftung gefhwungen. Die hinter ihr wieder
zufammenfallenden. Gardinen entzogen dem Aſſeſſor
jogleich ihren Anblick, und fein Laut verriet ihm etwas
von ihrem weiteren Beginnen.
Minute auf Minute verrann, ohne daß fie wieder
160 Ein Ehrenwort. 0
erschienen wäre, und die Zeit des Wartens dehnte ſich
dem jungen Manne fchier zur Unendlichkeit. .
Endlid ſah er eine Bewegung der Gardine und
gleich Darauf über der Fenſterbrüſtung die Silhouette
der teuren Geftalt.
„Bitte, treten Sie beijeite,“ Hang es herab. „Ich
fann ohne Gefahr hinunterjpringen.“
Er gab ſich den Anfchein, ihrer Weifung zu gehorchen,
aber er bielt fich bereit, und als fie nun wirklich den
Sprung wagte, fing er fie mit der Geſchiclichkeit des
musfelgeftäblten Turners in feinen Armen auf. Er
hörte, wie raſch und Schwer ihr Atem ging, und er fühlte
den beängjtigend ftürmifchen Schlag ihres Herzens.
Der Schal, der ihren Kopf umbüllte, hatte fich ver-
ichoben, und der helle Mondfchein fiel voll auf das
feine Gefiht, das ihm jett fo nahe war,
Dielleiht war es nur die eigenartige Beleuchtung,
die es fo erfchredend bleich erjcheinen ließ ; aber wenn auch
diefe marmorne Bläſſe eine Täufchung gewejen wäre,
der Ausdrud tiefen Kummers, das Zuden eines grau-
famen Schmerzes in ihren Zügen waren ficherlich keine
durch das gefpenjtiihe Mondlicht hervorgerufene Ein-
bildung,
Mährend fie noch wie in völliger Entkräftung an
feiner Bruft rubte, fraßte Malſen, alle Vorſicht ver-
gefiend, aus der Herzensangft feiner leidenjchaftlichen
Liebe heraus: „Was ift Ihnen? Ich beihwöre Gie,
fagen Gie mir’s! Ich fehe ja, wie Gie leiden,“
„Richt hier!“ hauchte fie zurüd, indem fie fich aus
feinen Armen freimachte. „Wir dürfen uns nicht länger
aufhalten!“
Diesmal fträubte fie fih nicht, als er ihr den Arm
bot, und fie verließen den Garten auf demfelben Wege,
den fie gelommen waren.
D Novelle von R. Ortmann. 161
Als fie fih ein paar hundert Schritte von der Villa
entfernt hatten, zog Ilſe wie in einem plötzlichen
Entichluffe ihre Hand zurüd und hob das Geficht zu
ihrem Begleiter, „Ich möchte Gie etwas fragen,
Herr v. Maljen. Glauben Sie, daß es hier in der Stadt
jemand gibt, der mir, ohne mich an meinen Dater
zu verraten, fofort zweitaufend Mark leihen würde?
Ich könnte fie allerdings erft am Tage meiner Doll-
jährigkeit zurüderftatten, wo ich die freie Verfügung
über mein mütterlihes Erbteil erhalte.“
Der Aſſeſſor hatte eine Empfindung, als ob er mit
eistaltem Waſſer überjchüttet würde. Aber er wußte
fih zu beherrſchen, und in feiner Erwiderung verriet
fih nichts von dem, was in ihm vorging. „Gewiß gibt
es jemand, Fräulein Zlje. Der Betrag ftehbt Shnen
in jedem beliebigen Augenblid zur Verfügung, und id)
bin Ihnen für diefen Beweis Zhres Dertrauens zu
tiefitem Dante verpflichtet.“ |
Sie konnte nichts anderes erwartet haben, als daß
er, der reihe Mann, ihr das Geld anbieten würde, und
fie zeigte denn auch nicht die mindefte Überrafchung,
als fie fagte: „Es wäre fehr liebenswürdig, wenn Sie
mit helfen wollten. Aber ich kann Ihnen nicht fagen,
wozu ich die Summe brauche.“
„Cs wäre mir felbftveritändlih nie in den Sinn
gelommen, Sie danach zu fragen.“
„Auch muß ich mich darauf verlaffen fünnen, daß
Sie das Geld feinerzeit ohne weiteres zurüdnehmen.
Und Sie müfjen mir erlauben, Shnen die üblichen
Zinſen zu zablen.“
„Sie werden das ganz nad) Fhrem Belieben halten.
— Wann und auf welhem Wege darf ich mir erlauben,
Shnen den Betrag zu übermitteln?“
„3b müßte ihn fpätejtens morgen in den erften
1912. VII. 11
162 Ein Ehrenwort. D
Dormittagsftunden haben, Am liebiten wäre es mir
ja gewefen, wenn ich ihn noch in diefer Nacht erhalten
hätte.“
„Es kann auf der Stelle geſchehen, wenn Sie es fo
wünjcen, denn ich habe zufällig fo viel bei mir.“
Mit der naiven Haft eines Rindes, das gar nicht
Ichnell genug in den Beſitz einer verheißenen Gabe
gelangen kann, ftredte Zlje die Hand aus.
„Ah ja, geben Sie es mir, bitte, jogleih! Einen
Schuldfchein kann id) Ihnen freilich hier auf der Straße
nicht ausftellen. Aber ich werde Zhnen morgen einen
ſchicken.“
„Geſtatten Sie mir, zu bemerken, daß dergleichen
unter Freunden nicht üblich iſt. Und wenn ich auch
nicht ganz ſicher bin, ob ih Zhnen in dieſem Augenblick
wirtlih einen Zreundichaftsdienft erweife —“
„DO doch,“ fiel fie ihm ins Wort, „den größten und
wertvolliten, den mir ein Menfch zu leiften vermöchte.
3h werde niemals aufhören, Ihnen dafür zu danten.“
Das Wort, das ihn noch vor einer Viertelftunde hoch
beglüdt haben würde, tat ihm je&t beinahe wehe, und
er brachte es nicht über fich, etwas Darauf zu erwidern.
Er hatte die beiden braunen Scheine, die er feiner
Brieftaſche entnommen, in Zljes Hand gelegt, und fie
riß baftig den Mantel auf, um fie in dem Ausschnitt
ihres Gefellichaftskleides unterzubringen.
Nun reichte fie dem Aſſeſſor die Rechte. „Sie
haben fehr edel und großmütig an mir gehandelt.
Bitte, verzeihen Sie mir, wenn meine Worte vorhin im
Dark etwas Verlegendes für Sie gehabt haben follten.
gan meiner damaligen Gemütsverfaffung wußte ich
wohl kaum, was ich ſprach.“ |
Ihre Rede klang nicht eigentlich), als ob fie fih jetzt
in wejentlich befjerer Stimmung befände, ihre Stimme
a Novelle von R. Ortmann. 1653
war völlig heifer geworden, und die Heine Hand, die
Malen in der feinigen hielt, brannte wie im Fieber.
„Es ift mir niemals eingefallen, Zhnen zu zürnen,“
verficherte er.
Denn Ilſe Frobenius ein feines Ohr hatte, mußte
fie‘ vernehmen, daß dies nicht mehr derjelbe Tan war,
in dem er vorhin zu ihr geſprochen. Sie ließ aber nicht
ertennen, ob fie die DBeränderung bemerkt hatte, Noch
ein paar hundert Schritte weit ging fie ftumm an feiner
Seite, dann bat fie ihn, fie den kurzen Reft des Weges
allein machen zu laffen. |
„Gute Naht, Fräulein Se!“ fagte er, indem er
fih herabbeugte, um ihre Fingerfpigen zu küſſen.
„sh hoffe, daß der Schluß des Feſtes noch ein recht
vergnüglicher für Sie werde,“
„ga, ſoll ih Sie denn nicht mehr jehen? Sie wollen
nicht wiederftommen?“
„mit Zhrer gnädigen Erlaubnis — nein! — Ich
bin müde, und vielleicht ift es auch in Zhrem Sntereffe
beffer, wenn man mich nicht mehr auf dem Feſte fieht.“
Sie zögerte, und eine tiefe Traurigkeit war in dem
Blick, mit dem fie zu. ihm aufjab. Dann aber fagte fie
tonlos: „Gute Nacht, Herr v. Malen!“
Eilenden Fußes bog fie in die Nebenjtraße ein,
die dem Gefellichaftshaufe zuführte.
Der Affeffor aber ſchritt um fo langfamer feiner
Wohnung zu. Er war fehr ernft, denn er hatte ſoeben
einen der holdeſten und lieblihiten Träume feines
Lebens mit einem gar häßlichen Erwachen enden ſehen
und hatte eine feiner beglüdendften Hoffnungen be-
graben, Daß jich dies reizende Mädchen, dem noch por
kurzem all feine Liebe gehört hatte, auf einem verhäng-
nisvollen Srrwege befand, konnte ja nach dem, was er
ſoeben erlebt hatte, für ihn feinem Zweifel unterliegen.
164 Ein Ehrenwort. a)
Und wenn er auch nicht bereute, ihr An ber Schwad)-
heit des DVerliebten behilflich geweſen zu fein, jo war
doc fein Ehrgefühl zu fein ausgebildet und zu un-
beitechlich, als daß ei jett noch hätte an die Verbindung
mit einem Wefen denken können, das ſolche Geheim—
niffe hatte und fih auf fo bedenkliche nädtliche Aben-
teuer mit einem jungen Manne einließ.
Sein Entihluß war unerjchütterlich, aber an der
Grauſamkeit des Schmerzes, der feine Seele zerriß,
tonnte er die Tiefe und Snnigkeit der Zuneigung er-
meffen, die er für die unglüdlibe Slfe Frobenius
gebegt.
Drei Sage fpäter fragte ein Bekannter, mit dem
Malſen bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße
ins Geſpräch gekommen war, beiläufig: „Was fagen
Sie zu der armen kleinen Frobenius? Es heißt ja,
daß es fehr Schlecht um fie ftände.“
Malfen fuhr fih unmwilltürlih mit der Hand nad
dem Herzen, denn er hatte da einen heftigen körper—
lihben Schmerz gefühlt wie von dem Stich einer
glühenden Nadel, „Um Gottes willen — ih weiß
von gar nidhts. Iſt fie denn krank?“
„Sehr fogar! Sie hat fihb auf dem Sommerfeſt
eine ſchwere Lungenentzündung geholt.“
Der Aſſeſſor fühlte fi außerftande, das Geſpräch
fortzufegen, Zn feinem Ropfe wirbelte es, und feine
Bruft war wie von einem eifernen Ringe zufammen-
gepreßt. Außerftande, die fürchterlihe Ungewißheit
zu ertragen, begab er fih unverzüglich nach der Villa
Frobenius und ließ fihb bei dem Oberften melden.
Aber das Mädchen, dem er feine Karte gegeben, fam
mit dem Beſcheid zurüd, der Herr Oberſt bedaure, in
diefen Tagen feinen Beſuch empfangen zu können.
0 Novelle von R. Ortmann. 165
„Der gnädige Herr ift ganz verzweifelt,“ fügte fie,
als fie die verjtörte Miene des Affefjors ſah, hinzu.
„Außer mit dem Arzt und der Schweiter fpricht er faum
mit einem Menfchen. Erft jetzt fieht man, wie jehr er
an dem gnädigen Fräulein hängt.“
„Cs geht doch wieder bejjer — nicht wahr?“
„Ich glaube nicht, Herr Aſſeſſor. Die Schweſter
ſpricht von einer Rrifis, die abgewartet werden müßte.
Aber wer weiß, ob das gnädige Fräulein es überhaupt
duchhält, Am Morgen nad) dem Zeit war fie ſchon fehr
frank, Man konnte es ihr ja anfehen, und die Zungfer
fagt, daß fie fhon da Blut gehuftet habe. Aber troßdem,
und obwohl es fehr windig geworden war, ift fie noch
einmal ausgegangen. Dadurch ift es dann wohl jo
ihlimm geworden. Als fie wiedertam, mußte fie ſich
fofort legen und fing auch gleih an zu phantafieren,
Damit geht es nun immer fo fort.“
Malfen verließ die Villa noch unglüdlicher, als er
fie betreten hatte. Die feit Tagen mit der ganzen Kraft
feines Willens betämpfte Leidenfhaft für Ilſe war
unter der Wirkung der Schredenstunde mit verdoppelter
Slut aufgeflammt. Die Angſt um ihr Leben ließ ihn
die graufamiten Qualen erdulden, und dazu peinigte
ihn unaufhörlid die Vorftellung, dag er mitſchuldig
fein könnte an der Urſache ihrer Erkrankung, oder daß
er doch wenigftens die Anfänge diefer Erkrankung hätte
bemerten müffen, die ja ganz unzweifelhaft ſchon
vorhanden gewefen waren, als er jenes nädtliche
Abenteuer mit ihr durchlebt hatte. Er begriff nicht,
wie es möglich gewefen war, daß er ihre Aufregung,
ihr Herzklopfen, ihre Fieberhige nicht fofort als bedroh-
lihe Symptome gedeutet hatte, und er quälte fich mit
DBorwürfen, weil er nichts getan hatte, um fie vor
weiteren Unvorfihtigkeiten zu bewahren. Schließlich
166 Ein Ehrenwort. 0
ſuchte er fich einzureden, daß alle die Vorgänge jener
Feſtnacht vielleicht durch ihren krankthaften Zuftand ver-
anlaßt worden feien, daß fie bereits unter dem Zwange
von Fieberphantajien gehandelt habe; aber bei ruhiger
Überlegung mußte er fich freilich fagen, daß ihre
Reden dafür denn doh zu vernünftig, ihre Hand-
lungen zu logiſch und überlegt gewejen waren. Wenn
zwilchen ihrer Erkrankung und jenen Ereigniffen über-
haupt ein Zuſammenhang bejtand, fo ließ fih nur an-
nehmen, daB der Ausbruch der Krankheit durch die
jeeliihen Erfhütterungen befchleunigt worden wat,
und das traurige Geheimnis, das fie nah feinem
Empfinden für immer von ihm trennte, wurde damit
feiner Enthüllung nicht näher gebradt,
Bu untätigem Abwarten verurteilt, mußte er ſich
begnügen, Tag für Tag feine Erktundigungen nad
Zljes Befinden einzuziehen, und er mußte es überdies
auf allerlei Umwegen tun, da feine gefellfchaftlichen
Beziehungen gu dem Oberjten nicht intim genug
waren, um ein tägliches perfönliches Vorſprechen in
der Dilla zu rechtfertigen.
Mas er in Erfahrung bradte, Hang fortgeſetzt
wenig ermutigend, Cs war fein Zweifel, daß. die
Krankheit in ihrer fchweriten Form auftrat, und ſchon
der Umftand, daß ein berühmter Kliniter aus der
Hauptitadt berufen worden war, ließ auf eine ſehr
ernfte Wendung ſchließen.
Es war am Nachmittag des neunten Tages nach
dem unſeligen Muſeumsfeſte, als ſein Diener dem
Aſſeſſor die Karte eines Beſuchers überbrachte. „Erwin
Frobenius“ war darauf zu leſen, und Malſen konnte
nicht zweifeln, daß der Herr, der ihn da zu ſprechen
wünſchte, der ihm perſönlich bisher unbekannte Bruder
Ilſes ſei, der auf einer auswärtigen Univerſität im
a} Novelle von R. Ortmann. 167
vierten oder fünften Semeſter ftudierte. In begreif-
liher Spannung ſah er feinem Eintritt entgegen, denn
er begriff nicht, was diefen Beſuch veranlagt haben
fonnte. |
Der etwa zweiundzwanzigjährige junge Mann, der
ihm eine Minute fpäter gegenüberfitand, war feiner
Schweſter auffallend ähnlich, fein Gefiht aber trug
in diefem Augenblid den Ausdrud eines tiefen, fait
fınfteren Ernites, und ſchon die gemeſſene Art der
Begrüßung ließ feinen Zweifel, daß er in anderer
als freundlicher Abfiht gelommen war.
Er lehnte die Einladung zum Niederjigen mit
ſtummer Gefte ab und griff in die Brufttafche feines
Rodes. „Ich bin, wie Sie vielleicht ſchon erraten haben,
der Sohn des Oberjten Frobenius,“ ſagte er, „und
ih bin geitern aus Bonn bier eingetroffen, weil mein
DBater es mit Rüdfiht auf die ſchwere Erkrankung
meiner Schweiter ſo wünſchte. Am heutigen Dor-
mittag erhielt ih von einem unbefannten Abjender
diefen Brief, von defjen Inhalt ich Renntnis zu nehmen _
bitte, und auf den ich eine Außerung oder Erklärung
von Ahnen erwarte,“
Er reihte Malfen das Blatt, das mit offenbar ver-
ſtellter Handfchrift, aber ohne allen Zweifel von einer
weiblihen Hand gejchrieben war.
_ Der Afjeffor frat an das Zenfter und las. Es war
eine der niederträdhtigjten anonymen Denunziationen,
die ihm je vor Augen gelommen waren. Eine an-
geblihe Freundin des Fräulein Ilſe Frobenius teilte
ihrem Bruder mit, daß er ſich über die Urſache der
plößlihen Erkrankung feiner Schweiter nirgends beſſer
Auskunft holen könne als bei dem Affeffor v. Malfen,
in defjen Begleitung fie nah Mitternacht das Feſt der
Mufeumsgäfellihaft heimlich verlaffen habe, und in
168 Ein Ehrenwort. s
deffen Gefellichaft fie eine halbe Stunde fpäter auf
der Straße — und zwar nabe bei der Wohnung des
Heren v. Malfen — gejehen worden fei. Eine Ber-
jonenverwedhflung fei ganz ausgeſchloſſen, und er
. werde ja wahrjcheinlich wiſſen, was er unter folchen
Umftänden zu tun habe.
Maljen zerbrach ſich nicht lange den Kopf darüber,
wer die Schreiberin des infamen Briefes geweſen ſein
könne, ſondern benützte die kurze Überlegungsfriſt, die
ihm während der Lektüre vergönnt war, um mit ſich
ſelber ins reine zu kommen.
Das Ergebnis ſeines Nachdenkens konnte kein an—
deres ſein als die Gewißheit, daß er Ilſe unter keinen
Umſtänden preisgeben dürfe.
Mit erheuchelter Gelaſſenheit wandte er ſich dem
Beſucher wieder zu und reichte ihm das Blatt zurück.
„ah bedaure, daß Sie einer derartigen feigen Ver—
leumdung Gewicht beilegen konnten,“ ſagte er ruhig.
„Wollen Sie mir gefälligft mitteilen, welche Art von
Erklärung Sie von mir verlangen?“
| „Die Erklärung, da der Inhalt diefes Briefes eine
Züge ift, fofern Ehre und Gewiſſen Zhnen geitatten,
mic deffen zu verfihern.“
„Eine Lüge? Nicht durchaus. Ich bin.in der Tat
zu der angegebenen Zeit mit einer Dame durch die
Straßen gegangen. Uber diefe Dame war nicht Zhre
Schweiter,“
„Sie erflären mir das auf ahr Ehrenwort, Herr
Aſſeſſor v. Maljen?“
„Auf mein Ehrenwort, Here Frobenius.“
Der Student verbeugte fih. „Damit iſt die Sadse
in der Sat erledigt, und ich habe mich nur noch wegen
der Beläftigung zu entihuldigen. Wenn fich die nichts-
würdige Derleumdung offen hbervorwagen follte, werde
0 Novelle von R. Ortmann. 169
ih ja nunmehr in der Lage fein, ihr entgegenzu-
treten.“ |
Er wandte fih zum Gehen, und Malfen hatte nicht
den Mut, ihn nad) dem Befinden feiner Schweiter
zu fragen. Er hatte mit vollem Bewußtſein jene Un-
wahrheit mit feinem Ehrenwort bekräftigt, und er
hatte es getan, ohne zu zaudern und ohne mit der
Wimper zu auden; aber der furchtbare Sturm, Den
er damit in feinem Innern hberaufbeichworen hatte,
madte es ihm fehr ſchwer, feine Haltung zu be-
wahren,
Salt in demfelben Augenblid, da fih die Tür des
Simmers hinter dem Studenten gefchlofjen hatte, ließ
er fih Schwer in feinen Schreibjeifel fallen und preßte
beide Zäufte gegen die ungeftüm pochenden Scläfen.
Er bereute nichts, denn er hatte nicht anders handeln
tönnen und würde in derfelben Lage noch hundertmal
das nämlidhe getan haben; aber fo wie er fi) über
die Notwendigkeit feiner Erflärung nicht im Sweifel
befand, fo war er fih auch volltommen klar über ihre
wunausweidliben Zolgen. Das Gefeß.der Ehre war
für ihn fo unverbrüdlich, daß er in diefem Augenblid
lich felber ausftieß aus der Gemeinschaft der anftändigen
Leute. Dor zehn Minuten noch war er ein freier
Mann gewefen, ein Mann voll ehrgeiziger Zulunfts-
hoffnungen und in feiner eigenen Schäßung würdig
der höchſten Ehren, die dem Staatsdiener als Ziel
feines Strebens winten. gebt war er von alledem
nichts mehr. Auch das erbärmlidite Subjett würde
ja fortan berechtigt fein, ihm ins Geſicht zu rufen:
„Das ift der Edelmann, der fein Ehrenwort verpfändet
bat für eine Lüge!“ Und wenn niemals ein lebendes
Nejen davon erfuhr, einer war Doch da, der es ihm
immer und immer wieder zurufen würde, einer, Dem
170 Ein Ehrenwort. Do
er nicht entlinnen und den er niht zum Schweigen
bringen konnte — er ſelbſt!
Er war niemals der Mann der halben Entjchlüffe
und der fleinmütigen SZugeftändniffe .an ich ſelbſt ge-
wefen. Bis tief in die Nacht hinein faß er am Schreib-
tiih, um in einem mit Gejundheitsrüdfichten und mit
der Abfiht einer Weltreife begründeten Gefuh um
Entlaſſung aus dem Staatsdienft zu bitten und um
eine Reihe anderer Dispofitionen für die Durchführung
jeines plößlih fo ganz veränderten Lebensplanes zu
treffen. |
Als er fih beim Morgengrauen aus dem Schreib-
jeifel erbob, war nicht mehr der kleinſte Reft von
Bitterkeit und Groll, fondern nur nod) eine tiefe, müde
Traurigkeit in feiner Seele. Und diefe Traurigkeit
galt nicht feinen zerjtörten Hoffnungen, fondern einzig
dem ungewiſſen Schidjal des armen jungen Wefens,
für das er unbedentlih zu noch fchwereren Opfern
bereit gewefen wäre, wenn er ihm damit Gejundheit
und Lebensglüd hätte zurüdgewinnen können,
Die gefürdtete Krifis in Ilſes Rrantheit war glüd-
lid überitanden, und zum erſten Male hatte der Arzt
in zuverfichtlihem Tone die Hoffnung auf volle Wieder-
berftellung ausgefprochen.
Ilſe war noch ſehr ſchwach, lag falt immer im
Halbſchlummer und zeigte wenig Teilnahme für ihre
Umgebung, Nicht einmal das Erfcheinen des Bruders,
an dem fie feit frühefter Kindheit mit einer zwifchen
Geſchwiſtern nicht eben häufigen, beinahe ſchwärme—
riihen Liebe hing, hatte fie aus dieſer Apathie zu
reißen vermodt. Ein flüchtiges, kaum merkliches
Lächeln nur war über ihr fchmales Gefiht gegangen,
8 Novelle von R. Ortmann. 171
als er geftern in mühfam beberrfchter Bewegung an
ihr Lager getreten war, und fie hatte ihm ihre ganz
durchſichtig gewordene Hand überlafjen, ohne den zärt-
liben Drud der feinen zu erwidern.
Man hatte ihm am erften Tage nicht gejtattet,
längere Zeit in dem Krankenzimmer zu verweilen,
heute aber, da die Lebensgefahr endlich als befeitigt
gelten konnte, hatte der Arzt nichts mehr gegen die
Erfüllung feiner dringenden Bitte‘ eingewendet, zu-
ſammen mit der Pflegerin die Nacht bei feiner Schweiter
durchwachen zu dürfen. Sie war ja von jeher Die
einzige Dertraute all feiner Pläne und Hoffnungen,
all feiner Freuden und Rümmernifje gewefen; fie war
für ihn der verkörperte Inbegriff von Reinheit und
Herzensgüte, und der heute an ihn gelangte anonyme.
Brief hatte ihn deshalb in eine Erregung verſetzt, Die
vor Maljen zu verbergen ihm nur eine in ausgezeich-
neter Erziehung gewonnene Selbſtzucht ermöglicht
hatte. Zetzt, da ihm Maljens Ehrenwort die be-
rubigende Gewißheit verjchafft hatte, daß es ſich nur
um ſchändliche Verleumdung handle, richtete fich die
ganze Fülle feines Zornes nur noch gegen den Ur—
beber oder: die Urheberin der infamen Denunziation,
und er war feit entichloffen, nicht zu ruhen, bis er ic
volle Genugtuung für die beleidigte Ehre der geliebten
Schwefter verfhafft habe. Sie felber aber follte niemals
etwas davon ahnen, daß die niedrigite Verdächtigung
jihb an das Heiligtum ihrer Unſchuld gewagt hatte.
Mährend der Groll über die ungeheure und leider
noch ungefühnte Niedertraht beſtändig an feinem
Herzen nagte, ſetzte er in dem ftillen Rrantenzimmer
feine heiterfte und zufriedenfte Miene auf, um der
Möglichkeit willen, daß ein Blid der Erwachenden
fein Geſicht Streifen könnte,
172 Ein Ehrenwort. Do
Bald nah Mitternaht erwachte Ilſe. Sie hatte
beinahe den ganzen Tag in ruhigem Schlummer ver-
bracht, und zum eriten Male hatten ihre Augen jebt
die Mare Helligkeit der beginnenden Genejung. Sie
ſah ihren über ein Buch gebeugten Bruder, und fie
ſah, daß die Stark erfchöpfte Schweiter am anderen
Ende des Zimmers in ihrem weichen Lehnituhl fanft
entichlummert war,
Da madte fie eine Bewegung, die die Aufmerf-
ſamkeit des jungen Mannes erregen mußte, und im
nächſten Augenblid, wie fie es nicht anders erwartet
hatte, war er an ihrer Seite.
„ale, mein geliebtes Schweiterchen, haft du einen
Wunſch?“
Zärtlich lächelte ſie ihm zu. „Nein, Erwin. Aber
ic) freue mich ſehr, Dich zu ſehen, und ich bin ſo glüd-
lich, daß die Krankheit erſt ausbrach, als alles erledigt -
war, Ach, du kannit ja nicht ahnen, was ich an jenem
Sage und in jener fchredlihen Naht um dich gelitten
habe.“
„Regt es dich nicht zu fehr auf, jet von dieſen
Dingen zu ſprechen?“
Sie jchüttelte den Ropf und flüjterte: „Nein —
ih fühle mich ganz wohl, Wir müfjfen die Gelegen-
heit benüßen, wo die Schweiter ſchläft. Wer weiß,
wann wir wieder unbelaufcht find. Als ich dir gleich-
zeitig mit der telegraphiichen Abſendung des Geldes
fchrieb, daß ich es mir von der Sparkaſſe geholt hätte,
habe ich Dich belogen, Das Sparkaſſenbuch bat ja
der Dater unter Derfchluß, und ih würde auch gar
nieht gewagt haben, es hinter feinem Rüden zu tun.“
„Aber woher hattejt du es denn ſonſt?“
„Von einem Freunde, der noch viel mehr für mich
getan hat als das. Damit du weißt, wie viel Dank
D Novelle von R. Ortmann. 173
wir ihm ſchuldig find, will ih es Dir erzählen. Am
Dormittag des Tages, an dem das Mujeumsfeit fein
follte, erhielt ich deinen verzweifelten Brief mit dem
Geftändnis, daß du troß deines gegebenen Wortes
wieder gefpielt und dir das Geld für die Bezahlung
der Schuld geliehen hätteft. Die Frift für die Rück—
zahlung war verftrihen, und dein Gläubiger hätte
gedroht, fih an den Dater zu wenden. Sch wußte
ebenfogut als du, daß es eine furchtbare Rataftrophe
geben würde, wenn er diefe Drohung -ausführte, und
ih kann dir nicht bejchreiben, in weldher Todesangſt
id) während diejes entjeglihen Tages herumlief. Ich
ab ja keine Möglichkeit, dir zu helfen, und jedesmal,
wenn die Glode anjchlug, fürcdhtete ich, Daß es der
Poſtbote mit dem Briefe des unfeligen Mengers fein
könnte.“
In tiefer Zerknirſchung beugte ſich Erwin Frobenius
über ihre Hand. „Meine arme, arme Ilſe! Ich könnte
mich zerreißen, wenn ich daran denke, welche Auf-
tegung und welhen Kummer ich dir bereitet habe.
Aber irgend einem Menſchen mußte ih mich pvffen-
baren, und du warit ja von jeher die einzige, Der ich
mein Herz ausfchütten konnte.“
„Es war auch) ſehr gut, daß du es getan haft, denn
jonft hätte ih in meiner Ahnungslofigkeit natürlich
nicht daran gedacht, das Gräßlihe zu verhüten. Ich
wäre dem Feſte ſo gerne ferngeblieben, denn ic)
fühlte mich auch körperlich Schon recht ſchlecht. Aber
ich weiß, daß der Dater es fehr gern befucht, und er
wäre gewiß auch nicht hingegangen, wenn ich ihm von
meinem Unmwohlfein gejprochen hätte. Darum kleidete
ih mid) in der allertraurigften Stimmung für die '
Gejellihaft an. Und gerade als ich fertig in Papas
Arbeitszimmer trat, um ihn abzuholen, fam aud) das
174 Ein Ehrenwort. 0
Mädchen mit der Abendpoft herein, Ganz obenauf
lag ein Geſchäftsbrief mit dem Aufdrud ‚Baul Mengers‘,
und du kannſt dir wohl vorftellen, was in mir vorging,
als ih ihn erblidte, Wenn der Vater ihn las, war
alles für dich verloren, und ich hatte darum nur den
einzigen Gedanten, es zu verhindern, Als er feine
Hand nah den Poſtſachen ausitredte, tat ich, als ob
ih mich vor Ungeduld gar nicht mehr laſſen könnte,
und madte einige von den kindlihen Scherzen, die
ihn immer zum Laden bringen. Dann wollte ich
durchaus nicht zugeben, daß er fich die gute Laune
durch Dumme oder ärgerliche Gefchäftsbriefe verderben
laffe. Die zu lefen, wäre auch fpäter Zeit genug.
Und ich hatte wirklid die Genugtuung, daß er für
den Augenblid darauf verzichtete. Er ließ die Briefe
uneröffnet auf dem Schreibtifch liegen und verließ
mit mir das Bimmer, Ich hatte einen Aufichub er-
langt, und wenn es auch zunächſt nur eine Galgen-
frift war, fo gab ich doch die Hoffnung nicht auf, daß
es mir auf irgend eine Weife gelingen würde, den
verhängnispollen Brief in meinen Befiß zu bringen,
bevor Papa ihn gelefen. Nachher freilih wurde dieſe
Hoffnung von Diertelftunde zu Viertelftunde geringer.
Es gab ja nur eine einzige Möglichkeit. Zch mußte
den Brief aus Papas Arbeitszimmer jtehlen, bevor er
heim kam. Du wirft mir zugeben, Erwin, daß die
Ausführung dieſes Diebftahls nicht jo einfach war wie
der Entſchluß.“
„Du haſt es aljo wirklich Beau? Aber das iſt
ja ganz unmöglich.“
„Ohne fremde Hilfe hätte ich es iemale zuſtande
gebracht. Aber ich ſagte dir ja ſchon, daß ich das
Glück hatte, einen opfermutigen Freund zu finden.
Ohne daß ich ihm ſagen mußte, um was es ſich handle,
oO Novelle von R. Ortmann. 175
war er auf meine Bitte fofort bereit, mich zu begleiten.
Mir entfernten uns heimlih von dem Zelte, er war
mir behilflih, durch das offene Fenfter ins Zimmer
einzufteigen; er fing mid in feinen Armen auf, als
ich wieder hberunterjprang, nachdem ich mich des Briefes
bemädtigt hatte, und ih bin gewiß, daß er fich eher
lebendig verbrennen ließe, als daß er einem Menfchen
verriete, was er für mich getan.“
Erwin Frobenius war in die Knie gejunten und
hatte die Stirn auf den Rand der Bettſtatt gepreßt,
fo daß Ilſe fein Gefiht nicht jehen konnte. Dumpf
und fremd lang feine Stimme an ihr Ohr: „Und
dann — dann ließeit du dir von diefem Freunde auch
noch das Geld geben, das mich retten follte?“
„Ja. Sch hatte meiner erjten Straftat,noch eine
zweite hinzugefügt, indem ich den Brief des Herrn
Mengers geöffnet und gelejen hatte. Aus feinem Fn-
halt wußte ich, daß mein Wagnis umſonſt gewefen
war, wenn der Mann nicht innerhalb zweimal vier-
undzwanzig Stunden fein Geld erhielt. Und es gab
niemand, den ich hätte darum bitten können, als —“
„As den Regierungsafjeiior v. Maljen - — nicht
wahr?“
Beftürzt richtete fih die Patientin in den Kiſſen
auf, „Wie kannſt du das u Erwin? Der hat
es Dir gejagt?“
Er bereute das iberegte Wort und bemühte
fih nah Kräften, feinen erfihredenden Eindrud zu
verwifchen. „Niemand, Zlfe, niemand! Aber du haft
in deinen letzten Briefen den Aſſeſſor jo oft erwähnt
und haft mit ſolcher Wärme von ihm geſprochen, daß
ich wohl auf keinen anderen raten konnte als auf ihn.“
Sie war fhon wieder beruhigt, und ein fonniges
Lächeln verklärte ihr Geſicht. „ga, er war es. Ich
176 Ein Ehrenwotrt. a)
durfte ihn um das Geld bitten, weil idy wußte, daß
et darum nichts Schledhtes von mir glauben würde.
An diefem Abend hatte er mir ja gelagt, daß er —
daß er mir gut ſei. Und einem Menfchen, den man
lieb bat, fhentt man Vertrauen. Das ift doch auch
deine Meinung, Erwin?“
„Am deinetwillen hoffe ih wenigitens, daß es jo
it. Du haft dir alfo die Summe geben laſſen, ohne ihm
auch nur anzudeuten, welhem Zwed fie dienen follte?“
„Ich durfte Doch deine Ehre nicht preisgeben! Er
weiß es nicht, und er wird es nie erfahren, Uber er
wird mich auch niemals danah fragen. — Nun habe
ih Dir die ganze Gefchichte deiner Rettung erzählt.
Ich kehrte in das Gefellichaftshbaus zurüd, und mein
Rommen fiel ebenjowenig auf, als meine Entfernung
bemerkt worden war, Um zwei Uhr ging ih mit
Papa nad Haufe und begleitete ihn bis in ſein Urbeits-
zimmer. Er durchlas feine Poſtſachen, und ich habe
niemals ein innigeres Dantgebet zum Himmel empor-
gejchidt, als ich’s in jener Naht in der Stille meines
Stübchens tat. Gejchlafen habe ich freilich nicht, denn
ic) fühlte mich fehr elend, und ich mußte alle Willens-
ftaft aufbieten, um mid am nädften Morgen nod)
einmal aufzuraffen und zur Boft zu geben, wo ic) das
Geld telegraphiih an dich abſchickte und dir dazu ein
paar geilen in einem Rartenbriefe ſchrieb. Ich —“
Sie mußte abbrechen, denn die Schweiter bewegte
li in ihrem Seſſel, und Erwin hatte nur eben noch
Seit gehabt, aufzufpringen und eine unbefangene
Haltung anzunehmen, als fie vollends erwadte.
Sie wecjelten ein paar belanglofe Worte, und er
fehrte zu feinem Buche zurüd, deſſen Buchstaben aller-
dings jeßt vor feinen Augen durcheinanderliefen wie
ein Haufen aufgeftörter Qlmeifen.
D Novelle von R. Ortmann. 177
Als er einige Stunden ſpäter auf den Fußſpitzen
Das Krankenzimmer feiner jeßt fanft ſchlummernden
Schweſter verließ, gejhahb es mit dem Bewußtfein,
in.diefer Nacht eine Läuterung durchgemacht zu haben,
die für fein ganzes künftiges Leben enticheidend fein
würde. |
Der Aſſeſſor v. Malſen war noch bei der Morgen-
toilette, als ihm zu feinem Erftaunen abermals der
Beluh des Herrin Erwin Frobenius gemeldet wurde.
Er konnte nichts anderes annehmen, als daß Zlies
Bruder inzwifchen auf irgend eine Weife die Über-
zeugung erlangt hatte, geftern von ihm belogen worden
zu fein, und er wußte, welches in diefem Fall die
Ronfequenzen fein würden.
Raſch beendete er feinen Anzug und trat volllommen
rubig über die Schwelle des Zimmers, in dem er von
dem jungen Manne erwartet wurde,
„Verzeihen Sie die frühe Störung, Herr v. Maljen.!
Aber ich konnte nicht länger warten, denn ich komme
zu Zhnen als ein Menich, der ven Zhren Lippen eine
Enticheidung über Sein oder Nichtfein erwartet, ein
Urteil über Leben oder Tod. Zn diefer Naht habe ich
pon meiner Schweiter alles erfahren, was zwiſchen
Zhnen und ihr gejchehen if. Und von Zhren allein
hängt es ab, was nun weiter aus mir wird.“
In höchſtem Erftaunen ſtarrte Maljen den Erregten
an, „Sch veritehe Sie nicht, Herr Frobenius! Wenn
Sie gefommen find, um mich wegen meiner gejtrigen
Erklärung zur Nede zu Stellen —“
„Zur Rede zu Stellen — id — Sie?! Ja, freilich,
Sie kennen ja den Zuſammenhang der Dinge nod) nicht.
And Sie denken jet vielleicht nur daran, daß Sie Ihr
Ehrenwort für eine Verſicherung eingefett haben,
1912. VII | 12
178 | Ein Ehrenwott. a)
die, wie Sie wußten, der Wahrheit nicht entſprach.
Es war eine heroiihe Handlung, Herr v. Malſen!
Und wenn ih nicht in diefem Augenblid fo Kein und
erbärmlich vor Zhnen ftände, würde ich jagen, daß
ih Sie um diefer Handlung willen aus tiefitem Herzen
verehre,“
Der Aſſeſſor lächelte bitter. „Sie können ſich wohl
denen, daß ich nicht zögern werde, die Ronfequenzer
aus Diefer — beroiihen Handlung zu ziehen. Port
auf dem Schreibtisch liegt der Brief an das Minijterium,
der meine Entlaffung aus dem Staatsdienjt erbittet.“
Erwin Frobenius zudte zufammen wie unter einem
Schlage. Dann aber war er mit drei Schritten an dem
Screibtiih und hatte ſich des verjchloffenen Briefes
yemächtigt. „Herr vd. Maljen,“ jtieß er heraus, „wenn
Sie mir nidt die Erlaubnis geben, diejen Brief zu
zerreißen, jo ſchwöre ich, daß ih noch vor Ablauf
diefer Stunde aufgehört habe zu leben. Nicht auf Sie
fällt der Bruch Ihres Ehrenwortes, jondern allein
auf mid. Sch war es, der Sie gezwungen bat, dies
ungebeure Opfer zu bringen, und wenn Gie nicht
großmütig genug find, mich durch Ihr Verhalten von
Schuld und Strafe freizuſprechen, habe id aush Die
Folgen zu tragen.“
Noch immer verjtändnislos, aber in tiefiter Seele
bewegt von der Qual, die fih auf dem freimütigen
Zünglingsgeficht jpiegelte, legte Malfen ihm die Hand
auf die Schulter, „Setzen Sie fih, Herr Frobenius,
und teilen Sie mir in Ruhe mit, was ich erfahren muß,
um mir Zhre Worte und Zhr Benehmen erklären zu
tönnen. Erſt dann werde ich imftande fein, Ihnen zu
antworten.“
Der Student gehorchte, und nah Derlauf einer.
Diertelftunde wußte Maljen alles. Det Schleier des
OD Novelle von R. Ortmann. 179
u
Geheimnifjes, hinter dem ihm Zlſes holdes Bild fo
traurig entjtellt erfchienen war, hatte fi gehoben,
und er fühlte fich erjchüttert und beſchämt um feiner
tleingläubigen Zweifel willen.
„Es fommt mir nicht zu, Here Frobenius,“ ſagte er,
„über Zhre Handlungsweife zu Gericht zu fiten. Das
it eine Angelegenheit, die Sie allein mit Ihrem
Gewiſſen und mit Shrer beldenmütigen Schweiter
abzumachen haben. Dielleiht aber wäre es beffer
gewejen, wenn Fräulein Ilſe in ihrem Vertrauen zu mir
noch um einen Schritt weitergegangen wäre und mit
wenigitens eine Andeutung gemadt hätte, die mid
den Schlüfjel zu ihrem Verhalten finden ließ.“
Mit offenem Blid ſah der Student ihm ins Geſicht.
„Sie war der Meinung, daß es deijen nicht bedürfe.
Sie hatten ihr von Zhrer Liebe geſprochen, und weil
fie felfenfeft an dief® Liebe glaubt, hegte fie keine Zucht
vor einem entwürdigenden Verdacht.“
Der Aſſeſſor legte die Hand über die Augen und
ſchwieg. Nah einer Weile aber ftand er auf, und es
war, als habe er ſich plößlid um Jahre verjüngt.
„Ich erlaube Zhnen, meinen Brief an den Minifter
zu zerreißen, Herr Frobenius! — Sp — und nun
geben Sie mir die Hand! Wenn es Ihnen recht ift,
wollen wir Freunde fein, bis wir —“
„Bis wir Schwäger fein werden,“ ergänzte der
Student, und mit einem warmen Händedrud nidte
ihm Maljen lächelnd zu.
„ann kann ich Ilſe fehen?“ fragte er gejpannt.
„Darüber dürfte wohl noch eine Reihe von Tagen
ins Land gehen. Aber Sie dürfen verfichert fein, daß
fie fich fehr beeilen wird, gefund zu werden, wenn
ih ihr fage, um welcher Abfiht willen Sie darauf
warten.“
180 Ein Ehrenwort. 0
„So fagen Sie es ihr. Bieten Gie alle Beredfamteit
auf, die der Himmel Zhnen verliehen hat. Denn nad
der Dürre diejer traurigen Tage läßt mid) der Durſt
nad Glüd {hier verſchmachten. Und mein Glüd ift,
Gott jei Pant, kein Phantom, fondern ein Weſen von
Fleiih und Blut —“
„Das Ilſe heißt. Sp wahr ich hier vor Zhnen ftehe,
feinem Menſchen auf der Welt würde ich dies Glüd
gegönnt haben als Ihnen.“
Sr
2
Aus dem Wellengrabe.
Von W. 5. Geinborg.
mit 8 Bildern. Y (Nahdrud verboten.)
Jar den unermeßlichen Neichtümern an edlen
Metallen und anderen Rojtbarkeiten aller Art,
die im Derlauf der Zabrhunderte aus dem Bereich
der Menfchen verichwunden find, iſt der allezeit beute-
gierigen See ſicherlich der Löwenanteil zugefallen,
Was bedeuten alle in kriegerischen Seiten vergrabenen
Schäte, alle unter Ajche und Lava, unter dem Schlamm
gewaltiger Überfchwemmungen, unter Dünenfand und
Müftenftaub verfchwundenen Herrlichkeiten neben der
fabelhaften Menge wertvoller Dinge, die auf dem
Stunde des Ozeans ihre le&te bleibende Nubeftatt
gefunden haben! Faſt mit jedem fintenden Schiff
geben erhebliche Werte an gemünztem Gold und Silber,
an allerlei Eojtipieligem Menfchenwerf verloren, und
verichwindend gering iſt die Zahl der Fälle, in denen
es gelingt, fie dem Schoß des Meeres wieder zu ent-
reißen.
MWohlbeglaubigte Berichte, deren ältejte bis in eine
ſehr ferne Vergangenheit zurüdreichen, erzäblen uns
von dem Untergang ganzer beutebeladener KRriegs-
flotten, wie von dem fpurlofen Verſchwinden einzelner
Fahrzeuge, die nach Millionen zu beziffernde Neich-
fümer irgend einem nie erreichten Hafen hatten zu-
182 Aus dem Wellengrabe. oa
führen follen, und es iſt begreiflih genug, daß die
Sehnſucht, dieſe verſunkenen Märchenſchätze zu heben,
noch in jeder Generation der nachlebenden Menſchheit
durch allerlei mehr oder weniger abenteuerliche Ber—
gungsverſuche zum Ausdruck gekommen iſt. |
Der Erfolg freilich. ftand zumeift in einem kläglichen
Mißverhältnis zu den aufgewendeten Rojten und
Mübhfeligkeiten, Die gefräßige See pflegt zähe feit-
zubalten, was fie einmal verjchlang. Sie bededt ihre
Beute mit Sand und Schlamm, überzieht fie mit
einer ftändig wachſenden Rrufte von pflanzlichen und
tieriſchen Gebilden und übt mit unerbittlicher Beharr—
lichkeit ein langfames Serftörungswert, dem über eine
gewiſſe Seitdauer hinaus fein Material und kein Er-
zeugnis der Menſchenhand widerjteht.
Auch in folhen Fällen, wo man den Ort einer
Sciffstataftrophe mit volllommener oder annähernder
Genauigkeit zu beitimmen vermochte, hat man mit
dem Bemühen, die heiß erfehnten Schäße aus ihrem
Wellengrabe wieder ans Licht zu fördern, nur felten
Glüd gehabt.
An eine Hebung ganzer Fahrzeuge ift ja wegen der
ungehbeuren Schwierigkeiten von vornherein nur unter
ganz bejonders günjtigen Umftänden zu denken, und
felbft die volltommeniten Apparate ermöglichen dem
Menſchen nur das Eindringen in verhältnismäßig
geringe Meerestiefen. Die purpurne Finjternis jener
Abgründe, in denen wohl der weitaus größte Teil
der verlorenen Reichtümer ruht, bleibt eine auch dem
kühnſten Taucher auf ewig verſchloſſene Welt, und nie
wird ein menjchliches Auge wiederjehen, was dort dem
legten Schidjal aller irdiishen Dinge entgegenharrt.
Man muß aljo den Wagemut bewundern, mit dem
immer wieder riefige Rapitalien an den Verſuch
s2quvꝰ usynpgasinn
pragz wıaa aagn saa usdnplsagzs un? SUNPNMIOR uayppuplou 224 u HıPD sd
134 Aus dem Wellengrabe. e)
verfchwendet werden, den vermuteten Schauplaß einer
großen Schiffskataſtrophe zu durchforjhen und Die
Schäte zu heben, die bei diefer Ratajtrophe zugrunde
gingen. Daß hie und da ein glüdlicher Fund gelingt,
läßt fich ja nicht leugnen; aber jelbft dann machen ſich
die Roften des Unternehmens durch die Ausbeute faum
bezahlt, und das Gewerbe des .Schaßgräbers ift auf
der See im großen und ganzen ficherlich ebenſo reich
an Enttäufchungen und ebenjowenig lohnend als auf
dem feiten Lande.
Als einer der erwähnten glüdliden Ausnahmefälle
darf vielleicht der Erfolg angefeben werden, von dem
unfere Abbildungen erzählen, obgleich von einem
materiellen Nußen der mit großem Eifer betriebenen
Bergungsverſuche auch hier vorläufig nicht die Rede
fein kann.
Es handelt fi dabei um ein Fahrzeug, das feit
nit weniger als hbundertundzwölf Jahren auf dem
Meeresgrunde ruht, nämlid) um die englifche Fregatte
„Lutine“, die, mit zweiunddreißig Kanonen armiert,
am Abend des 9. Oltober 1799 oder am folgenden
Morgen — denn fein Überlebender vermochte Bericht
über Zeitpuntt und Hergang der Rataftrophe abzulegen
— bei der Einfahrt in die Zuiderfee Schiffbrud litt.
Da das mit Mann und Maus untergegangene
Kriegihiff in ziemlich feihten Waſſer lag, ließ fich
der Ort des Unglüds alsbald ohne große Schwierig-
keiten feititellen, und die Verſuche, wenigitens den kojt-
bariten Zeil der Ladung zu bergen, begannen ſchon
furze Zeit nad dem unglüdlichen Ereignis. Man batte
ja triftigen Grund, diefe Ladung nicht ohne weiteres
verloren zu geben; denn foweit fie aus barem Gelde
in Gold und Silber beitand, bezifferte fih ihr Wert
auf nicht weniger als 1,217,000 Pfund Sterling, alfo
soaqoaßnvo sꝛq ↄ2ꝛqud sv
186 Aus dem Wellengrabe. e)
auf ungefähr 24,340,000 Mark, Die Hoffnung, wenig-
tens einen erheblichen Zeil diefes Schatzes zu retten,
fonnte aljo wohl einige Alnftrengungen rechtfertigen.
Ein Taucher, der in die Tiefe fteigt.
Es fcheint, daß die Schwierigkeiten anfänglich keine
zu großen waren, da es troß der damals noch recht
unzulänglichen Hilfsmittel den Tauern gelang, im
0 Don W. H. Geinborg. 187
Zauf des Zahres 1800 annähernd zwei Millionen Mart
in gemünztem Golde aus dem Wrad zutage zu fürdern,
Ein Ranonentohr und der Anker der gefuntenen „Lutine“
werden an Bord gejchafft.
Dann aber muß die zunehmende Derfandung des immer
tiefer in den dort ſehr loderen Meeresboden einfinfen-
den jchweren Schiffskörpers den Bergungsarbeiten
188 Aus dem Wellengrabe. a}
— — nn — —— — —— ——— —— — ——— — —
ein Ziel geſetzt haben. Die Taucher konnten ſich keinen
Zugang mehr zu den Öffnungen des Rumpfes ver—
f —
J J *
—
—
Eines der geborgenen Kanonenrohre.
ſchaffen, und man mußte ſich ſchweren Herzens ent-
Ichliegen, die hoffnungsvoll begonnenen Bemühungen
einzuitellen.
Dergejjen aber wurde in der britiichen Marine
0 Don W. H. Geinborg. 189
der Untergang der jchäßebeladenen „Lutine“ natür-
lich nicht, und in allerjüngjter Seit faßte man im Ver—
Der drei Tonnen ſchwere Anker der „Lutine“.
trauen auf die gewaltigen Fortjchritte der Bergungs-
technik den Entjchluß, die vor mehr als hundert Fahren
abgebrochenen Verſuche wieder aufzunehmen. Es
gelang in der Tat, die Lage des Wrads von neuem
190 Aus dem Wellengrabe. od
zu ermitteln und feftzuitellen, daß es von einer beinabe
acht Meter ſtarken Sandichicht bededt war, deren Be-
feitigung natürlihb Die unerläßlide Vorausſetzung
weiterer Bergungsperfuche bildete, Man Ichaffte einen
Silbermünzen von der „Lutine“.
Saugbagger von großen Pimenfionen zur Gtelle,
und unjere Abbildungen auf Seite 185 und 185 ver-
anfchaulichen die fehr wirtfame Urt, auf die unter dem
Drud ſtarker Mafchinen der Schlamm durch ein ge-
waltiges Rohr beraufbefördert und gewillermaßen
Durchgejiebt wird.
Man bat alle Ausficht, durch diefe Methode den
Rumpf der gejuntenen Fregatte für die Taucher
co Don W. H. Geinborg. 191
wenigitens teilweije wieder zugänglih zu machen,
wenn es auch dabingeftellt bleiben muß, ob fie damit
zugleich den Weg zu dem gejuchten Millionenjchat
finden werden. Was man bis jebt zutage fördern
fonnte, bat feinen anderen als einen Ruriofitätswert,
abgejeben vielleicht von einer Heinen Menge gemünzten
Silbergeldes, das aber ficherlich nicht in der eigent-
liben Schatzkammer des Schiffes aufbewahrt ge-
wejen wat. ae
Die wichtigiten und zugleih gewichtigiten Fund-
tüde find der Anker der „Lutine“ und ein Ranonen-
Kanonenkugeln und Rupfernägel von der „Lutine“.
rohr, beide in überrafhend guter Erhaltung. Der
Anter hat bei einem Gewicht von ungefähr drei Tonnen
eine Breite und Länge von je fünf Meter, Gein
hölzerner Querbalten zeigt die noch immer deutlich
lesbare Znfchrift: „Lutine, A. D. 770%, und der Eijen-
192 Aus dem Wellengrabe. D
ting ift noch immer mit Überreften eines geteerten
Schiffstaues ummwunden. Bemerkenswert erjcheint die
außerordentlich ftarte Ladung der Ranone, die das
Rohr fait bis zur Mündung füllte, ſowie der Umjtand,
daß die Zündſchnur noch wohlerhalten und der Me-
chanismus des Feuerjteinichlofjes ganz unverjehrt war.
Fam übrigen war, wie gejagt, die Ausbeute bis
jeßt recht gering, und fie beftand im wejentlihen aus
Gegenjtänden, um. deren Bergung man fich bei den
por hundert Zahren unternommenen Berſuchen ſchwer—
lih bemüht haben würde. Heute freilid) find auch die
Kanonenkugeln der armen „Lutine“ nicht ohne Inter—
eife, und felbft die kupfernen Nägel aus den geloderten
und geboritenen Schiffsplanten können die Teilnahme
des Beichauers erregen um der ftummen Eindringlidh-
feit willen, mit der fie von der Gebredlichkeit und Ver-
gänglichkeit alles ftolzen Menfchenwerfes erzählen.
%
Az | 3% Se | 39%
a
Die hauskatze und ihre Spielarten.
don Th. Seelmann.
Mit 9 Bildern. , (Nnachdruck verboten.)
ODe Katze gehört zu den jüngſten aller Haustiere.
Während ſich Windhunde in Agypten ſchon um 4000
vor Chriſto vorfinden und Doggen nach den erhaltenen
Denkmälern in Babylon und Alfyrien um das Zahr 1000
vor Chriſto zur Jagd auf Wildpferde verwendet wurden,
Rinder und Schafe bereits in ſehr enilegenen Seiten
gezähmt und den menjchlichen Sweden dienjtbar ge-
macht wurden, ja ſogar Tauben und Gänje in Rlein-
alien fowie im Nilland ebenfalls frühzeitig zu den Haus-
tieren zählten, ift dies bei der Hausfage nicht der Fall.
Das Urſprungsland' der Hauskatze ift Ägypten.
Aber, wie angedeutet, it hier die Eingewöhnung der
wilden Stammform und ihre Fortzüchtung zum Haus-
tier exit jpät vor fih gegangen. Bekanntlich galt den
Agyptern die Rabe, die der Göttin Bacht geweibt war,
für fo heilig, daß fie für fie eigene Friedhöfe anlegten.
Nach) den in diefen Friedhöfen aufgefundenen Mumien
war die wilde Stammform der altägpptiichen Haus-
fate die in Nordafrika vielverbreitete Falbkatze. Dieſe
Wildkage ift, wie [chon ihr Name andeutet, überwiegend
fablgelb gefärbt. Auf dem Rumpf ziehen fi ver-
wajchene dunkle Querbinden entlang, die an den Beinen
jtärter hervortreten, Der Oberkopf und der Naden
zeigen ſchmale Längsbinden, Der fablgelbe Schwanz
1912. VH. 13
194 Die Haustage und ihre Spielarten. a
befigt gegen das Ende hin drei breite fhwarze Ringe
und läuft in eine ſchwarze Spite aus. Die Falblake
neigt zu Farbenabweichungen und ijt leicht zähmbar.
Nocd heute zähmen die Spmalifrauen im ägpptiichen
Hinterland Falblagen, damit fie ihre Getreideichober
gegen ſchädliche
Nager jchüßen.
Daneben hatte
man im alten
Ägypten noch eine
zweite Katzenart
gezähmt, den
Sumpfluds. Man
verwendete ibn
zum WUpportieren
von Geflügel, das
man im Gumpf-
gelände mit dem
Wurfholz erlegt
hatte. Der
Sumpfluchs
hat einen
bräunlich-
Pechſchwarze perfiihe Rage mit Br Pelz.
orangefarbenen Augen. An der Spitze ſind
die Haare weiß ge—
färbt. Dunkle Streifen unterbrechen die Grundfärbung
auf Stirn, Flanken und Beinen. Der Schwanz iſt
ſchwarz geringelt. Die graugelben Ohren tragen an
ihren Spitzen Pinſel.
Mit dieſem Sumpfluchs bat ſich nun die alt-
ägpptiiche Hausfage gefreuzt, wie auch weiterhin viel-
fahe Kreuzungen mit den verjchiedenen Wildkagen
der einzelnen Ländergebiete ftattgefunden haben, die
53 er J Fa
Es DI — INT
0 Bon Th. Seelmann. 195
noch heute in den Farbenjchattierungen der Haus-
taten nachklingen.
Nah Europa kam die Hauskatze erſt um Beginn
unferer Zeitrechnung. Dagegen fcheint fie auf dem
Wege des Handels von-Ägypten nach Afien um vieles
- wi —* — —
Er
Schwarzblaue perfiihe Raten in der Mauferung.
früher verbreitet worden zu fein. Hier hat fich denn
auch, namentlich in Berfien, die an die Falbkatze er-
innernde altägyptiſche Hauskatze noch erhalten,
Die Spielarten der Hauskatze zerfallen in der
Gegenwart in zwei Gruppen, in langhaarige und
furzbhaarige. Die Hauptvertreterin der langbaarigen
Raten ift die Angorafage, die ihren Namen nach der
Eleinafiatifchen Stadt Angora führt, aber ihre eigent-
lihe Heimat in Berjien hat, Die perjiiche Angorafate
196 Die Haustage und ihre Spielarten. oO
bejigt einen blendend weißen Pelz aus langen, Jeiden-
weichen Haaren und blaufchimmernde Augen. Die
Lippen und Sohlen find fleifchfarben. Aber ſchon
in ibrer engeren Heimat treten neben der weißen
andere Färbungen auf, die dann bei Nachkommen
— —— — — —— —— — —
SE nn ET
Echter perſiſcher Kater von graublauer Färbung.
von Angorakatzen, die nach Stalien, Spanien und
Frankreich gebracht wurden, durch die Mifchung mit
der gewöhnlichen, glatthaarigen Hausfaße noch mannig-
fache Abänderungen erfahren haben.
an Berjien unterjcheidet man neben der weißen
Angorakatze eine ſchwarzfahle oder tiefichwarze Art
mit bräunlichen Refleren und vrangefarbenen Augen,
jodann eine blaufchwarze oder graublaue Urt, die
ebenjo felten ift wie die weiße, mit blauen, blau-
grauen oder mitunter auch vrangefarbenen Augen
und ferner die ſchon erwähnte fahlgelbe Rate, die als
o Don Th. Seelmann. 197
reiner Nachkomme der altägyptiihen Hausfage zu
betrachten ift. Ihr Fell zeigt unter der leuchtenden
Sonne Perſiens einen wunderbaren Schimmer,
Dieje lektere Art wird in Perſien nicht jonderlich
gefchäßt, obgleich fie keineswegs häufig it. Teils
züchtet man fie
nicht wie Die wert-
velleren Arten,
teils aber führt
man fie über Bom-
bay nach England
aus, wodurch ibre
Zahl in Berjien
jelbjt nie erheblich
grog wird. Man
padt drei, vier und
noch mebr
von Diejen
Raten in —
Lederjäde,
beladet damit die
Ramele und ſchafft
fie nach dem Ber-
ſiſchen Golf, von
wo fie nach Bom-
bay gebracht werden. Übrigens beftebt die Einfuhr
von weißen Angorafagen und ihren langhaarigen
Spielarten nah Europa ſchon feit mehreren Zahr-
hunderten. Aus den Kreuzungen folcher eingeführten
perſiſchen Katzen mit den kurzhaarigen Hauskatzen
ſind dann die italieniſche Katze, die im allgemeinen
weiß oder fahlrot iſt, die dreifarbige ſpaniſche Katze,
deren Pelz weiß, ſchwarz und rötlich gefleckt iſt, und
die Kartäuſerkatze, die in Frankreich ſehr beliebt iſt
Pr REN
Baar
Schwarzblaue Kartäuſerkatze.
198 Die Haustage und ihre Spielarten. o
und teils eine ajchfarbene, teils eine fchwarzbläuliche
Behaarung aufweilt, und andere zum Zeil recht nette
Spielarten hervorgegangen.
Unſere kurzhaarigen getigerten Raten haben wahr-
ſcheinlich eine Blutbeimifhung von der europäiſchen
Kreuzung einer Haustage mit einer Angorakatze mit
braunen Ohren und Schwanz und fchwarzer Naje.
Wildkatze erhalten. Die männlihe Wildkatze ift fahl-
grau, die weibliche gelblichgrau gefärbt. Das Gejicht
ift bei beiden rötlichgelb. Über die Stirn laufen vier
ſchwarze Streifen, von denen Sich die beiden mittleren
auf den Rüden fortfegen und fich auf dem Nüdgrat
zu einem Mittelftreifen vereinigen, von dem ſich
verwalchene Queritreifen abzweigen. Dieſe Blut-
beimifchung, die ſich in der Zeichnung zu erkennen gibt,
it wohl zugleich mit die AUrjache, daß unfere Haus-
fagen fo leicht verwildern.
Oo Don Th. Seelmann. 199
baarige Spiel-
artijtauch die |
ſiameſiſche |
Rabe, Sie
eignetjichvor-
züglih dazu, | 2
Eine kurz- |
im Simmer
gehalten zu
werden, Nie-
mals ijtfie un- TE |
Sebardig, Ton —ſcſcccce —
dern ſtets an- Siameſiſche Rabe mit jehr dunklen Pfoten
ſchmiegſam und Geſichtsmaske.
und zutulich. Beſonders ſind die Weibchen ſehr zärt—
lich und anſchmeichelnd. Ihr ruhiger Charakter ſpricht
ſich auch darin aus, daß ſie nicht einmal der Anblick
einer Maus zu erregen vermag.
Dabei iſt ſie aber eine ſehr eifrige und geſchickte
Mäuſejägerin. Mit einem einzigen Schlag ihrer
kräftigen
Pfote zer—
ſchmettert ſie
den Schädel
der Maus
und tötet ſie
auf dieſe
Weiſe ſofort.
Zwar kann
ſie einer
Maus ſtun—
denlang auf-
lauern, hat
ſie ſie aber
Siameſiſche Katze mit langem Schwanz und
blauen Augen.
200 Die Haustage und ihre Spielarten. Oo
erlegt, fo kümmert fie fih nicht mehr um ihr Opfer,
jpielt nicht mit ihm wie die gewöhnlihe Hausfage,
noch viel weniger aber frißt fie es an oder verihlingt
lie es gar,
Die Jiamefische Rabe bejter Art muß bei der Ge-
burt rein weiß gefärbt jein. Derartige Raben werden
Gtattliche, — einen n prächtigen Pelz un säsönen Shiva —
am Hof von Siam gehalten und heißen deshalb auch
königliche. Je reiner das Weiß der jungen Kätzchen
iſt, deſto teurer werden ſie bezahlt. Später vollzieht
ſich allerdings ein Farbenwechſel.
Nach drei Monaten wird der Pelz in der Haupt-
Sache ijabellenfarben, die Pfoten und Unterfchentel
betleiden fich gleichfam mit kaſtanienbraunen Stiefel-
chen, vor das Geficht legt fich eine duntelbraune Maste,
und die Ohren ſowie der Schwanz färben fich in der
D Don Th. Seelmann. 201
gleichen Weife. Die Augen der fiamefischen Rabe
find blau; zuweilen it das Blau tiefer, zuweilen
blaſſer.
Eine beſondere Merkwürdigkeit weiſt noch der
Schwanz auf. Bei einem Wurf von drei Zungen
findet ficb mitunter ein Kätzchen vor, dejjen Schwanz
Wu
nd
er
_-
12.2, ER
E ee Ent nt EN k FE Fa
: Rabe aus einer Kreuzung einer Hauskatze mit einer perfifchen Raße.
kurz und gedreht it, Manchmal endigt dann dieſes
Stummelſchwänzchen auch noch in einem Roten.
Die Händler führen gerade diefen Knoten als Beweis
der echten und reinen Abjtammung an, aber dieſe
Behauptung trifft nicht zu, da, wie erwähnt, fiamefijche
Raten reinen Zlutes oftmals feinen gefmoteten
Schwanz haben.
Siameſiſche Raten, die nah Europa gebracht und
weiter gezüchtet werden, entarten ziemlich fchnell.
202 Die Haustage und ihre Spielarten. Oo
Es iſt daher zur Blutauffriihung nötig, von Zeit zu
Zeit aus Siam neue Eremplare zu beziehen,
Auf Sumatra und in Zapan tommen völlig ſchwanz-
‚loje Raten vor. Von den Raten Sumatras wird be-
richtet, daß ſie anfänglich lange Schwänze haben,
Diefe aber, wenn die Tiere erwachſen find, abjterben.
Auch in Europa gibt es eine Spielart fchwanzlojer
Bin —“
— er ER
—— SEN
x
e mit kurzem Schwanz.
Siameſiſche Katz
Katzen. Ihre Derbreitung beſchränkt ſich auf die in
der Jriſchen See gelegene Inſel Man. Über ihren
Urſprung ift nichts Sicheres bekannt. Die Rake der
Inſel Man bat eine verfchiedenartige Färbung. Gie
beſitzt ziemlich hohe Beine, die fie zu einer fehr gewand-
ten Springerin und Kletterin machen.
Endlich ſei noch die chineſiſche Rage angeführt,
Sie hat langes, feidenweiches Haar und zeichnet fich
durch Hängeohren aus. In China mältet man auch
verjchiedentlih Raten und rühmt die Schmadbaftigteit
Diejer feilten „Dachbajen“.,
Sr
+
BIEISSEICHE]
Mannigfaltiges.
Y
Machoͤruck verboten.)
Ein berühmter Spionagefall. — Nachdem der franzöfifche
Scdiffsbaumeifter Dupuy de Löme 1858 auf Betreiben Na-
poleons III. die erfte, mit einem 120 Millimeter diden Eifen-
panzer verjehene Panzerfregatte „Gloire“ erbaut hatte, fah
man in England die Notwendigkeit ein, ebenfalls mit dem Bau
von duch Eifengürtel gefhüßten Kriegfhiffen zu beginnen.
Da man jedoch auf diefem Gebiet bisher fo gut wie gar keine
Erfahrungen hatte, wollte die Regierung zunächſt die von
verfchiedenen Fabriten angebotenen Banzer auf ihre Feſtigkeit
prüfen laffen, bevor man fih endgültig für ein Fabrikat ent-
ſchied. Gleichzeitig hoffte man, duch Schießverſuche auf ein
zur Probe gepanzertes Schiff auch die Wirkſamkeit der ſchweren
Artilleriegefchoffe auf die in dem Schiffe befindlide Beſatzung
und die Dampfmafcine feititellen zu können. |
Zu diefen Derfuhen wurde in Portsmouth der große
Schraubendampfer „Zriton“ proviforifh zu einem Rrieg-
Ihiff umgebaut. Er erhielt eine PBanzerung, die aus den von
mehreren Fabriken gelieferten und nach verjchiedenartigen
Methoden hergeſtellten Eifenplatten von ungleiher Stärte.
beitand. Sn den Batterien wurden an den Geſchützen Schafe
angebunden, die die Bedienungsmannfchaften vorftellen follten.
Diefe Vorbereitungen waren in aller Heimlichkeit betrieben
worden. Der Ankerplatz des Verfuchfchiffes wurde Tag und
Naht durch Polizeiboote umfchwärmt, die jede Annäherung un-
möglich machten, denn man argwöhnte in England nicht zu
Unrecht, daß die fremden Mächte fih gar zu gern einen Ein-
blit in die Einzelheiten diefes überaus koftfpieligen und für
204 Mannigfaltiges. oO
die fernere Entwidlung des Panzerſchiffbaues fo wichtigen Ex—
periments verjchaffen würden, und traf danach feine VBorfichts-
maßregeln. Am 2. Oftober 1353 dampfte der „Zriton“ nach
der Weſtküſte der Inſel Wight, wo die Beihiegung durch
mehrere engliihe Fregatten ftattfinden follte.
Die Naht vom 5. zum 4. Oktober war. äußerft ftürmifch,
dunkel und regneriih. Der inmitten der Fregatten vor Anker
liegende, infolge feiner [hweren Panzerung unter dem Anprall
der Wogen gefährlich fchlingernde „Triton“ wurde auf Befehl
des Geſchwaderchefs gegen zehn Uhr abends von der Beſatzung
geräumt, da man feinen plößlihen Untergang befürchtete. Am
DBormittag des 4. Oltober Harte das Wetter jedoh fo weit
wieder. auf, daß das Brobefchiegen abgehalten werden konnte.
Bevor der leitende Admiral jedodh den Befehl zum Beginn
des Feuers auf das fünf Seemeilen vom Strande veranterte
Verſuchſchiff gab, fpielte fi noch ein zunächſt wenig beachteter
Zwiichenfall ab. In der Nähe des vor der Inſel liegenden Ge—
Shwaders hatte ſchon am Abend des 3. Oktober eine unter
franzöfiiher Flagge fegelnde Dampfjaht „L’Ejperance“ ge-
kreuzt, die jeßt, wo die Beichiegung ihren Anfang nehmen
jollte, fih der Linie der engliſchen Fregatten immer mebr
näherte. Pie argwöhnifchen Engländer fhidten daher ein
Boot zu der Jacht hinüber und liegen den Befiter, der fi als
Raufmann Charlatier aus Rouen legitimierte, auffordern, einen
anderen Rurs einzuſchlagen, da man für einen durch verirrte
Geſchoſſe angeridhteten Schaden nicht auflommen würde. Dar—
aufhin entfernte fich die Dergnügungsjaht auch wirklich jo weit,
daß man von ihr aus felbjt mit den beiten Fernrohren die
Wirkung des Feuers auf den „Zriton“ nicht hätte beobachten
fönnen.
Erſt jegt begann man mit der Beſchießung des gepanzerten
Berſuchſchiffes. Im ganzen gaben die den „Sriton“ in Riel-
linie in verfchiedener Entfernung paffierenden Zregatten bun-
dert Schüffe ab. Des öfteren wurde mit dem Feuer inne-
gehalten, um das Verfuhfchiff zu befichtigen und genaue Auf-
zeihnungen über die vorgefundenen Zerftörungen zu maden.
Erft bei Dunkelwerden war das Schießen beendet. Am näd-
D Mannigfaltiges. | 205
ften Morgen follte der übelzugerichtete „Sriton“ dann zur
genaueren Unterfuchung in den Hafen von Portsmouth zurüd-
gejchleppt werden, da feine eigene Dampfmafchine nicht mehr
gebraudhsfähig war.
Mährend der Naht lag das Verſuchſchiff wieder unter
dem Schuße der Fregatten, die in weiten Bogen bis dicht an
die Küfte vor Anker gegangen waren. Dem „Zriton“ am
nächſten befand fi die Fregatte „India“. Kurz nah Mitter-
nacht bemerkte die Steuerbordwache der „India“ ein Boot, das
offenbar mit umwidelten Niemen lautlos auf den „Zriton“
zufteuerte. Das Boot wurde angerufen, antwortete jedoc)
nicht, war auch ſchon im nächſten Augenblid hinter dem Der-
ſuchſchiff verfhwunden. Bevor dem Kapitän der „India“
Meldung erjtattet und auf dejjen Befehl dann ein Boot zu
Waſſer gelaffen war, vergingen koftbare zehn Minuten. In—
zwifhen tauchte das geheimnisvolle Ruderboot noch einmal
auf, verfhwand aber bald in der Duntelheit nach dem offenen
Meere hin. Die fofort aufgenommene Verfolgung blieb ergebnis-
los. Es wurde nur fejtgeftellt, dag ein unbelannter Dampfer
ſich dem englifhen Geſchwader mit abgeblendeten Lichtern bis
auf zwei Seemeilen genähert und offenbar jenes Boot auf-
genommen hatte. Am nädften Morgen war weit und breit:
fein verdächtiges Fahrzeug mehr zu erhliden. Die Engländer
berubigten fich daher in der Hoffnung, den Verſuch jenes frem-
den Dampfers, den „Triton“ zu befichtigen, völlig vereitelt zu
haben.
Die Erfahrungen, die man duch die Befchießung des
„Triton“ gefammelt hatte, wurden aufs ftrengjte geheimgebalten
und bei dem fchon im Zanuar begonnenen Bau des erjten eng-
liſchen Panzers „Warrior“, deſſen Konſtruktionspläne Der
Schiffsbauingenieur Watts entworfen hatte, praktiſch ver-
wertet. Da erfhien zum Entfegen ganz Englands genau
einen Monat nad der Riellegung des „Warrior“ in einer
Barifer Fahzeitfchrift für Schiffsbau ein Artikel, der bis ins
Heinjte über die Ergebniffe der Beſchiefzung des „Triton“ be-
tihtete. Es war darin fogar die Zahl der in den Batterien
getöteten Schafe und die der zerjtörten Gefchüße genau an—
206 Mannigfaltiges. oO
gegeben. Die englifhe Admiralität jah fih fo um die Früchte
ihres mübhfeligen Experiments volltommen betrogen.
Eine ſcharfe Unterfurhung wurde eingeleitet, um den Ver—
räter, den man nur unter den Beamten der Admiralität fuchen
zu müffen glaubte, herauszufinden. Alles umfonjt. Es ſchien
für alle Zeiten unaufgellärt bleiben zu follen, auf welche
Weiſe Zrantreich, das inzwifchen die der „Gloire“ völlig äbn-
lihen Banzerfregatten „Magenta“ und „Solferino“ auf Stapel
gelegt und bei ihrer Konſtruktion die von den Engländern mit
fo großen Geldopfern ertauften Erfahrungen über Stärke,
Befeftigung und Größe der PBanzerung benüst hatte, in den
Beſitz der wertvollen Geheimniffe gelangt war.
Und doch brachte die Zähigkeit eines englifchen Polizei-
beamten, des Inſpektors Burnell, die Wahrheit an den Tag,
allerdings erft ein ganzes Zahr fpäter. Burnell, der zufammen
mit zwei Rollegen die Ermittlungen in der mpfteriöfen An-
gelegenbeit geleitet hatte, war nämlich jene franzöſiſche Ver—
gnügungsjaht „L'Eſperance“, die in fo auffälliger Weife in
der Nähe des „Sriton“ gekreuzt hatte, weit verdächtiger vor-
gekommen als den englifhen Marineoffizieren. Er begann,
nachdem der Fall in England felbft nicht aufgellärt werden
tonnte, mit vorfichtigen Nachforschungen zunächſt in Rouen, we
die „L'Eſperance“ beheimatet gewejen fein follte. Hier erfuhr
er zweierlei: erjtens, daß die „L'Eſperance“ wirklih einem
reihen Raufmann namens Charlatier gehörte, und zweitens,
daß dieſer Charlatier einen Sohn bejaß, der als Marineoffizier
im Frühjahr 1858 wegen tätlihen Angriffs auf einen Vor—
gejegten degradiert und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt,
dann aber im November desfelben Fahres mit einem Male
ohne jeden erfihtlihen Grund begnadigt und fogar zum Rapi-
tän befördert worden war. Nach diefen Feitftellungen madte
der Beamte fih an einen früheren Matrofen der „L’Ejperance“
heran. Durch Beitehung wußte er diefen zum Reden zu bringen
und bekam fo heraus, daß Charlatier im September 1858 urplöß-
li die ganze Befagung feiner Zacht entlaffen und dafür eine
neue Mannſchaft, die aus altgedienten Unteroffizieren der
franzöjiihen Kriegsmarine bejtand, an Bord genommen hätte.
o Mannigfaltiges. 207
In den Londoner Zeitungen erfhienen dann im Februar
1861 offenbar von der englifchen Regierung herrührende, voll-
kommen gleichlautende Artikel, in denen der den „Sriton“ be-
treffende Spionagefall eingehend befprochen wurde. Und der
Inhalt diefer Artikel dürfte mit den Tatfachen bis auf Rleinig-
feiten übereingeftimmt haben. Andre Charlatier, wegen des
ſchweren Verbrechens wider die militärifhe Difziplin zu Ge-
fängnis verurteilt, hatte fih — ob aus eigener Snitiative oder
auf Antaten feiner Vorgefetten, wird man niemals erfahren
— bereit ertlärt, die Ergebniffe der Schießverfuhe auf den
„Zriton“ auf irgend eine Weife auszutundfchaften. Zu diefem
Zwed fuhr er auf der mit zuverläffigen Marineunteroffizieren
neu bemannten Jacht feines Vaters bis in die Nähe der Antler-
jtelle des „Zriton“ bei der Infel Wight, ließ fih in der reg-
neriihden Naht vom 3. zum 4. Oftober nah dem „Triton“
rudern oder erreichte ihn ſchwimmend, verbarg ſich dort in
den unteten Sciffsräumen und ftellte in den Pauſen der
Beihießung die notwendigen Beobahtungen an. Sn der
folgenden Nacht gelangte er dann durch jenes von der Fregatte
„andia“ aus bemerkte Boot wieder an Bord der „L'Eſperance“
zurüd, Als Lohn für diefe verwegene Tat, die ihm fein Leben
hätte often können, zugleich aber auch feinem DBaterlande fo
bedeutungspolle Renntniffe verfchaffte, wurde er nicht nur in
die Marine wieder eingeftellt, fondern auch unter Überfpringung
mehrerer Dorderleute zum Kapitän befördert.
Sp fchilderten die engliihen Blätter damals den Sach—
verhalt. Die franzöfifhe Preffe hat diefe Rombinationen, die
ſich auf fo Mares Material ftüßten, ftets nur als „ſchamloſe
Verdächtigungen“ bezeichnet. Die Parifer Regierung äußerte
jih überhaupt nicht dazu. Und das war das Klügſte, was fie
tun fonnte. Denn ein Abjtreiten diefer in ihren Einzelheiten
fo intereffanten Spionageaffäre wäre felbjt für das Kabinett
des dritten Napoleon eine zu ſtarke Unverfrorenheit gewefen,
befonders da jener Artikel in der Parifer Zeitfchrift für
Schiffsbau nur mit Wiffen und Willen der franzöfifchen
Admiralität veröffentliht fein konnte, wahrfcheinlid um
dem ſtolzen Glauben der Engländer an ihre Überlegenheit
208 Mannigfaltiges. D
in Dingen der Schiffspanzerung einen fcehweren Stoß zu
verſetzen. WR.
—
—
—
Bas a
Frauen der Beni-Mzab in einem Reijezelt.
Die Neijezelte der Beni-Mzab. — Der berberifche Stamm
der Beni-Mzab in Marokko befitt über fünftaufend MWebftühle,
auf denen ihre Frauen grobe, aber dauerhafte Stoffe ber-
DO Mannigfaltiges. 209
ftellen, die dann weiter zu Burnuffen und Zeppichen ver-
arbeitet werden. Dieſe Stoffe werden von den Beni-Mzab
bis nad) Algerien und Zunis verhandelt, und ebenfo ftehen diefe
Berber mit den Dafen der Sahara in lebhaften Handelsvertehr.
Auf den Handelszügen nehmen fie auch oftmals ihre Frauen
mit, die dic Reifen in zeltartigen Aufbauten auf den Rüden der
Ramele zurüdlegen. Die Frauen, die fich nicht verfchleiern,
tragen auf den Reifen ein lofes Gewand, den Haik, umminden
den Kopf mit einem weißen oder bunten Tuch und fcheiteln das
Haar in derMitte, das in mehreren, mit brauner oder ſchwarzer
Wolle durcchflochtenen Zöpfen auf die Schultern herabfällt.
Angenehm iſt der Aufenthalt bei der glühenden Sonnenhitze
in dieſen Reifezelten nicht. Dazu fommt noch, daß die Ramele
in dem berüdtigten Poßgang einherfchreiten, durch den das
Zelt und feine Infaffen in einer ftändig ſchaukelnden Be-
wegung bin und ber gefchleudert werden,
Außerdem find die Streden, die täglich durchmeſſen werden,
ziemlid) beträchtlih. Denn die Rarawanen legen mit den Lait-
famelen, die bei einer Laſt von 150 Rilogramm für 4 Rilometer
ein Stunde brauchen, auf längeren Reifen täglid 25 bis 30 und
auf kürzeren Reifen fogar gegen 40 Kilometer zurüd. Th. S.
Ein ſparſamer König. — Pie bekannte Sparjamteit des
preußifchen Rönigs Friedrih Wilhelm I. nahm oft recht mert-
würdige Formen an. So äußerte der Rönig eines Tages dem
Oberjägermeifter die Abficht, in Wufterhaufen eine Jagd auf
Wildſchweine abzuhalten, und beauftragte ihn, ihm zuvor eine
Koftenrechnung zu entwerfen. Bald erfchien der Oberjäger-
meijter und teilte dem Könige mit, daß fi die Roten nur auf
liebenhundert Taler beliefen. |
„Nur fiebenhundert Taler?“ rief der Rönig außer fich vor
Zorn und drohte dem Oberjägermeifter, ihn und alle feine
gäger Davonzujagen. Ee fehloß mit der Derficherung: „Sch
werde Zhm zeigen, wie man eine Schweinejagd halten kann.“
Nun fchidte er fofort vier Zäger in den Wald mit dem
Befehl, fo viel Schweine zu fhießen, als fie imftande feien.
Am Abend lagen ahtundzwanzig Sauen zu den Füßen bes
Rönigs.
1912. VII. 14
210 Mannigfaltiges. oO
Tags darauf waren die Minifter zur königlihen Tafel
befohlen. Auf diefer ftand in der Regel als Getränt nur Bier,
zu Ehren der Gäfte war aber diesmal Wein aufgefegt. Da nahm
der Rönig wahr, daß feine Minifter einen auffälligen Durst
entwidelten und mehr Flaſchen leerten, als der Sparjamteit
des Wirtes erwünfht war. Nach der Tafel führte er daher
die Minifter in den Schuppen, in dem die getöteten Wild-
ſchweine lagen, er lobte die Größe derfelben und fragte, nahdem
die Minifter natürlich lebhaft beigeftimmt, was fie wohl glaubten,
daß für das Stüd beim Verlauf zu erlangen fein würde. Um
dem Rönige etwas Ungenehmes zu fagen, tarierten die Be-
fragten das Stüd weit über den damaligen Wert, zu fieben
Saler, waren aber fehr unangenehm überrajcht, als der Rönig
erwiderte: „Za, ja, fieben Taler! Zeder von euch kauft jeßt
eines, ihr müffet aber glei bar bezahlen!“
So mußten denn die Herren den Beutel ziehen, und —
der Verluſt an Wein war gededt.
Einmal war ein Faß mit Auftern für die königlide Tafel
angelommen, allein der Preis, zehn Taler, erſchien dem Rönig
zu hoch. Die Auftern waren zur Mittagstafel beftimmt. Eine
halbe Stunde vor derfelben fragte der Rönig einen Offizier
aus feiner Umgebung, den Major v. Kleiſt, ob die Aujtern
wohl gut fein möchten.
„Dortrefflih find fie,“ lautete die Antwort, „ic habe beim
Dorübergehen in der Rüde eine gekoſtet.“
„Sut,“ fagte der König, „wer eine gegefjen bat, mag fie
alle effen und mir das Geld, das fie koften, wiedergeben.“
Die Auftern mußten fofort Rleift in das Haus gejchidt
werden und der Empfänger die zehn Taler bezahlen.
Die Rammerdiener hatten während der Rrantheit des Rönigs °
einen fehr ſchweren Dienft beiihm. Sie durften ihn auch während
der Mittagszeit nicht verlaffen und bezogen deshalb das Eſſen
aus der Hoflühe. Eines Tages aber befahl der Rrante, dag
fie fich felbft beköftigen und fih das Eſſen von Haufe kom—
men lafjen follten. Zeder Rammerdiener mußte dann fein
Eifen dem Könige vorzeigen, der bisweilen felbit davon aß
oder eine Schüffel gegen eine der für ihn bereiteten austaufchte.
Oo Mannigfaltiges. 211
Eines Tages erflärte er, die Rrantentoft, welche die Ärzte ihm
verordnet, widere ihn an, er wolle räftigere Speifen, aß auch mit
gutem Appetit grüne Erbfen mit Sped, Rohl und geräuchertes
Fleifh. Der Roc, der ihm Abwechſlung zu verfchaffen wünfchte,
ließ daher eine Schnepfe braten, die dem Rönige vortrefflid
mundete, allein der Roch wagte den etwas hohen Preis nicht
auf die Küchenrechnung, die der Rönig täglich nachſah, zu fegen;
als der Poſten aber am nächſten Tage erfchien, ftrih ihn der
König, indem er fehr zornig erklärte, er wolle nicht fo fchlechtes
Zeug, das fo viel Geld koſte. Auf die Entgegnung des Rochs,
Seine Majeftät hätten die Schnepfe tags zuvor portrefflich
gefunden, erwiderte der König: „Ich glaubte, es fei ein Ge—
ihent, und ih aß fie nur aus Höflichkeit gegen den Geber.“
Der Rod mußte die Schnepfe aus feiner Taſche be-
zahlen. C. T.
Würmer als Perlenfabrikanten. — Nachdem man ſchon
ſeit längerer Zeit vermutet hatte, daß an der Entſtehung der
koſtbaren Schmuckperlen Fremdkörper beteiligt ſeien, die in
die Muſchel hineingerieten und nun durch den von ihnen aus-
geübten Reiz eine Umbüllung mit der vom Mantel der Mufchel
ausgefhiedenen Perlmutterfubftanz herbeiführten, bat ſich
jet duch die Unterfuhhungen von Dubois, Famefon und
Boutan ergeben, daß der Anſtoß zur Perlenbildung von Wür-
mern beziehungsweife von deren Larven ausgeht. Die ge-
nannten Forſcher ftellten ihre Unterfuchungen an den leicht
zu befchaffenden Miesmufcheln an, wobei fie fanden, daß hier
der Rern der Perlen von der Larve eines Saugwurms ge-
bildet wird. |
Der Dorgang bei der Entſtehung der Perle ift folgender.
Nahdem die Larve in die Mufchel eingedrungen ift, feßt fie
ih an der Manteloberfläche feit. An der Belleidung des Mantels
bildet fich zuerft eine Einfentung, die fich allmählich zu einem
Grübchen erweitert und fih dann zu einem Bläschen um-
wandelt, das fi von der Manteloberflähe abjchnürt, alsbald
mehr in die Tiefe rüdt und nun von dem Bindegewebe des
Mantels umgeben wird. Die in dem Bläschen eingefchloffene
Larve wird mehr und mehr von der Innenflähe des Bläschens
212 Mannigfaltiges. oa
mit Perlmutterſubſtanz umbüllt, ganz fo, wie fonjt die Ober-
flähe des Mantels Perlmutterſubſtanz abzujcheiden pflegt.
Früher oder fpäter ftirbt die Larve ab, die Ausfcheidung der
Perlmutterſubſtanz und damit die Vergrößerung der Perle
gebt aber auch noch weiterhin vor ſich.
Diefe Feititellungen haben ihre Beftätigung und Ergänzung
dureh Unterfuhungen an den Seeperlmufcheln Ceylons ge-
funden, die von Hornell und Giard vorgenommen wurden,
Es ließ ſich nachweiſen, daß auch hier der Beginn der Berlen-
bildung auf eine Wurmlarve zurüdgebt, nur kommt bei diefen
Mufcheln nicht die Larve eines Saugwurms, fondern die eines
Bandwurms in Betraht. Der weitere Prozeß gleicht ganz den
Dorgängen in der Miesmuſchel.
Bekanntlich liefern auch die Flußperlmuſcheln Berlen, die
den Seeperlen an Schönheit faum etwas nadgeben, Früher
fand man fehr gute Stüde in den Flußperlmuſcheln der Zla,
der Ölfchnib, des Regens und der Elfter. Doch verminderte ſich
die Ausbeute ftetig mehr. Dielleiht veranlaffen die neuen
Forihungen dazu, in die Flußperlmufcheln fünftlid Larven
von Saugwürmern zu übertragen und fo die Berlengewinnung
aus ihnen wieder zu fteigern. sh. ©.
Mexikanische Präfidenten. — Unter den Staatsmännern,
die die Gefhide Meritos gelenkt haben, gibt es einige, die ein
näheres Eingehen auf ihre Berfönlichkeiten verdienen. Zunächſt
wäre der 1876 verftorbene Antonio Lopez de Santa
Anna zu nennen, der nah mehrmaliger Wiederwahl ſchließlich
als DBerbannter im Auslande ftarb. Ein weiteres Gewiljen
als diefer Santa Anna bat wohl kein anderer Staatsmann
befeffen. Zedes Mittel war ihm zur Durchſetzung feiner Abfihten
recht. Als er im Kriege mit Teras 1836 die Stadt San Antonio
vor den anrüdenden Teranern räumen mußte, ließ er die
Brunnen der Stadt vergiften, eine Scheußlichkeit, die er fpäter
vergebens abzuleugnen und anderen in die Schuhe zu fchieben
fuchte. Beinahe hundert Teraner ftarben eines qualvollen
Todes, ohne dag man die Urfahe der Mafjenertrantungen
feititellen konnte.
Wenige Wochen darauf wurde Santa Anna von einem
D Mannigfaltiges. 213
feindlichen Streiftorps gefangen genommen. Zu feinem Glüd
war feine Giftmifcherei noch nicht aufgededt worden, fonit
hätten die Teraner ihn wohl faum nad) dem baldigen Friedens-
ſchluß freigegeben.
Dabei ift ihm jedoch perfönliher Mut nicht abzufprechen.
Als er 1838 die Verteidigung von DVeracruz leitete, ſetzte er
fihb ohne jede Schonung feiner Perſon den feindlichen Ge-
ihoffen aus, troßdem er dies fehr gut hätte vermeiden können.
Don einer Rugel an der Rniefcheibe ſchwer verwundet, ließ
er fih das Bein abnehmen, ohne auch nur mit der Wimper
zu zuden. Nur ein Räftchen mit fünfzig Zigaretten ftand neben
ihm, und diefe rauchte er während der Operation bis auf die
legte auf.
Mit den Staatsgeldern wirtjchaftete er in unverantwortlicher
Weile. Spweit es ohne Auffehen möglich war, füllte er feine
eigenen Taſchen mit den Staatseinktünften. Aber auch darin
war er groß, fih durch die Verleihung von induftriellen Ron-
zeffionen und Lieferungen Heine Nebenverdienfte zu verfchaffen.
Karl v. Gagern, ein früherer deutfcher Offizier, der in mexi—
tanifche Dienfte übergetreten war, erzählt hiervon eine hunior-
volle Geſchichte. Drei Bewerber, ein Deutfcher, ein Franzofe
und ein Engländer, hatten fich gemeldet, um von Santa Anna
die Ermächtigung zur Ausbeutung einer Mine zu erhalten.
Der Reihe nah) erbaten und erlangten fie eine Privataudienz
bei dem Staatsoberhaupt. Der erſte verſprach ihm, im Falle,
daß er bevorzugt werden follte, fünf Prozent vom Reinertrage,
der zweite eine runde Summe von hunderttaufend Pefos,
zahlbar nad) Erteilung der Ronzeffion, und der Engländer machte
teinerlei Verjprechungen. Als er aber das Zimmer verlafjen
hatte, ſah Santa Anna ein ftattlihes Paket Banknoten auf dem
Zifhe liegen. Sofort ließ er den Engländer durch einen Ad-
jutanten zurüdrufen.
„Sie haben hier Geld vergeffen,“ fagte er.
„Ich?“ erwiderte mit gutgefpielter VBerwunderung der
Engländer. „Unmöglid — ich hatte gar feines bei mir.“
„Aber diefe Banknoten?“
„Sie müſſen Shnen gehören, Herr Präſident. Halten
214 Mannigfaltiges. Aa
= EEE
Sie mich der Unadtfamteit fähig, eine folde Summe zu ver-
lieren?“
Damit ſetzte er feinen Hut auf und verließ das Audienz-
zimmer.
Am nädften Tage hatte er die Ronzeffion in der Tafche.
Eine andere Gefhichte, die auf Santa Annas Charalter
ein recht bezeichnendes Licht wirft, fam im Jahre 1844 ans
Zageslicht, als er geftürzt und vom Kongreß zu lebenslängliher
Verbannung verurteilt wurde — ein Ereignis, das vielen
politifhen Gefangenen plößli die Freiheit wiedergab. Unter
diefen Leuten befand fih auch ein gewilfer Carlos Benevufto,
der feinerzeit angeblih wegen hochverräterifher Umtriebe
turzerhand ohne jedes Gerichtsverfahren in den Kerker geworfen
war. Benevufto hatte im Zahre 1842 cine reihe Silbermine
entdedt und war zu Santa Anna gelommen, um ihm für die Er-
laubnis zum Abbau der Silberader eine bedeutende Summe an-
zubieten. Der Präfident fragte, ob außer Benevuſto noch irgend
ein anderer Menfch etwas von der Exiſtenz der Mine wife,
Auf deffen verneinende Antwort beftimmte Santa Anna einen
Tag, an dem fie beide die Mine zunächſt in Augenfchein nehmen
wollten. Bis dahin follte Benevufto niemand etwas von
feiner Entdedung verraten. So gelangte der Präfident in den
Beſitz des wertvollen Geheimnifjfes, und einen Tag darauf
ward Benevufto dann plößlich verhaftet und in eine feuchte
Zelle transportiert, aus der ihn erjt der Sturz; Santa Annas
befreite. Inzwiſchen hatte diefer die Silberader für fich felbft
abbauen lafjen, und Benevufto ſah fih um Millionen betrogen. —
Ebenfalls ein recht eigenartiger Herr war der Präfident
Miguel Miramon, der belanntlid am 19. Zuni 1867
zufammen mit Raifer Marimilian ftandrechtlich erfchoffen wurde.
Miramon hatte fih fhon als Leutnant in eine junge Dame
namens Maria Bombardo verliebt und ihr auch einen Antrag
gemacht, war jedoch mit dem Bemerken abgewiefen worden,
er folle als Hauptmann wiederlommen. Der Leutnant, bis
dahin durchaus kein Streber, änderte fih mit einem Gchlage.
Die Liebe hatte in ihm den Ehrgeiz gewedt. Nach fünf Jahren,
in denen er ſich mehrfach auszeichnete, war er Hauptmann.
oO Mannigfaltiges. 215
Aber Maria Bombardo gab fih damit nicht zufrieden. Auf
feinen erneuten Antrag vertröftete fie ihn bis dahin, wo er
Die Majorsepauletten errungen babe, und den Major wollte fie
nach weiteren zwei Sahren dann erjt wieder nehmen, wenn
er — General geworden ſei.
Diefe Stellung errang Miramon nah einer glänzenden
Zaufbahn im Herbit 1852. Da erft gab fich die Hug berechnende
Dame zufrieden und wurde feine Frau. Aber auch fernerhin
ſorgte fie dafür, daß ihr nunmehriger Gatte nicht etwa auf
feinen bisherigen Lorbeeren einſchlief. Schlieglih erreichte
Miramon, und dies nicht zum wenigften durch die Eugen
Schadzüge feiner Gemahlin, die Präfidentenwürde.
In dieſer Stellung folgte er den Fußftapfen feines Vor-
gängers Santa Unna infofern bis ins Meinfte, als er es gleich-
falls als fein gutes Recht anſah, zunächſt einmal feine eigenen
Taſchen zu füllen. Im Winter 1859 wurde ein verwegener
Einbruh in die Staatsbant in Merito ausgeführt, bei dem
den Räubern nicht weniger als eine Million an frifch gemünztem
Goldgelde und neuen Banknoten in die Hände fiel. Es wird
nun behauptet, Miramon habe den Einbredhern gegen Ab-
tretung einer halben Million das Entlommen ermöglicht.
Zedenfalls trug diefe peinlihe Affäre viel zu feinem baldigen
Sturze bei. Später ſchloß er fih dann. an den unglüdlichen
Raifer Marimilian an, der ihn zum Großmarſchall ernannte.
Bei feiner Hinrichtung bewies er jedoch, daß er neben vielen
Fehlern auch mande gute Geite, fo eine durch nichts zu er-
ſchütternde Unerſchrockenheit und Anhänglichkeit befaß. Es
wird erzählt, daß man ihm, nahdem er zum Tode verurteilt
war, wiederholt die Möglichkeit zur Flucht verfchaffte. Trotzdem
blieb er. Er [hätte Maximilian fo hoch, daß er ihn im Unglüd
nicht verlaffen wollte. Charalteriftifch für ihn find folgende
Worte: „Zch mag ein Schuft gewesen fein, aber ein gemeiner
Feigling war ih nie.“ —
Auch einen Indianer, der dem Stamme der Zapoteken
angehörte, hat Merito zum Präfidenten gehabt. Es war dies
derjelbe Mann, der Raiter Marimilian und Miramon erſchießen
ließ und hierdurch feinen Namen CarloBenitoZuarez
216 Mannigfaltiges. o
mit blutigen Buchſtaben in das Buch der Weltgefchichte einge-
tragen hat. Bevor Zuarez zum Präfidenten gewählt wurde,
bekleidete er den Poften eines Finanzminifters. Wenn er als
folder aud nie in feine eigene Taſche gewirtfchaftet hat, fo
zeigte er doch eine unglaublihe Gemwiffenlofigteit bei Dem
Erfinnen von Mitteln und Wegen, um die Staatstafjen zu füllen.
Daß er Ausländern „gefpidte“, das heißt wertlofe Gold-
und Silberminen, in deren oberite Erdfhichten Gold- und Silber-
ftüde von verlodender Größe vorher eingegraben worden
waren, als großartige Rapitalanlagen empfahl und teuer
verkaufte und nah berühmten europäifhen Muftern die Gold-
und Silbermünzen duch Beifügung unedlen Metalles um die
Hälfte ihres Wertes verfchledhterte, wurde ihm von feinen
eigenen Landsleuten nicht weiter verübeltl. Dabei befaß
Zuarez jedoh ein außergewöhnliches ftaatsmännifches Talent,
verbunden mit größter Schlaubeit- und NRüdfichtslofigkeit,
Eigenjchaften, die er allerdings zumeift nur zum Beſten feines
Daterlandes, nie zu feinem eigenen Wohle, ausnüßte. Und
diefer Umjtand bildet in feinem Charatterbilde, das durch die
Unterzeihnung des Todesurteils gegen den fo hochgefinnten
öfterreihifhen NRaiferfohn für alle Zeiten getrübt ift, einen
wenigftens etwas verföhnenden Lichtpuntt. W. K.
Mann oder Weib? — Die Zahl der Fälle, in denen Männer
und Frauen von dem unmwiderjtehlihen Drang ergriffen werden,
die Rleidung des anderen Geſchlechts anzulegen, ift nach forg-
fältigen wiffenfchaftlihen Beobahtungen größer, als in der
Öffentlichkeit laut wird. Dieſer Drang ift nicht eine Neben-
erfcheinung großftädtiisher ZTreibhaustultur, fondern er be-
ruht auf einer eigenartigen Entwidlung des Gefühlslebens,
was ſchon dadurch hervorgeht, daß er fih auch bei Natur-
völtern vorfindet. Beifpielsweife berichtet der Afrikaforſcher
Baumann von einem Guabeli in Deutſch-Oſtafrika, der fi
mit weiblihen Shmud zu bebängen pflegte und aud ein
weibliches Gebaren zur Schau trug.
Man bezeichnet Menſchen mit einer folhen Neigung zur
Derkleidung wiſſenſchaftlich als Transveſtiten.
Eine Sranspeftitin, die einem fehr einfachen Lebenstreis
angehört und von aller Hochkultur völlig unberührt ift, führt
unjer erjtes Bild vor. Es handelt fich hier um die 87jährige
4 — Tu Tu ——
—
ee 3 N
« r De — N
“
Die STjährige Moni Hasbichl von Grainbad.
Moni Hasbihl, die in Graindah am Fuß des Hocrig in
den baprifhen Alpen lebt. Die Alte bekleidet fihb an den
Werktagen mit Hofe, Weſte und Zipfelmütze und liebt es auch,
218 Mannigfaltiges. Oo
täglih drei bis fünf Pfeifen Tabak zu ſchmauchen, was fie
übrigens ohne Gefundheitsfhädigung ſchon feit ihrer Jugend
Zur —* ı Quelle |
ZT Bea?
N
— Meiffauer aus Nahldorf am er
tut, Auch zeigt fie eine etwas männlich gefärbte Lujtigkeit,
und es bereitet ihr ein großes Vergnügen, das Schuh—
platteln der jungen Burfchen mitzumahen. Nur Sonn-
D Mannigfaltiges. 219
tags, wenn fie ſich zum Kirchgang begibt, legt ſie Frauen⸗
kleidung an.
Ein treffliches Gegenſtück zur Moni Hasbichl ftellt der Rauf-
mann Zofeph Meiffauer aus Mühldorf am Inn dar, den unfer
zweites Bild zeigt. Meiffauer ftammt aus einer bayrifchen
Bauernfamilie. Nach feinen eigenen Angaben fühlte er den
Drang, fich weiblich zu Heiden, fchon in der Zugend. In Männer-
trat ift er ftets niedergedrüdt und wird fogar von Gelbit-
mordgedanten heimgefucht. Dagegen fhwinden alle trüben
Dorftellungen, fobald er fih in Frauentleidern bewegt.
Wiederholt ift Meiffauer wegen des Tragens von Frauen-
kleidern angellagt, allerdings ftets freigefprochen worden.
Um weiteren Anklagen zu entgehen, hat er fih vor kurzem an
Das Berliner PBolizeipräfidium gewandt und um die behördliche
Erlaubnis zum Anlegen von Frauenkleidung nachgeſucht. Diefe
ift ihm denn au DD eine Verfügung des Polizeipräfidenten
bewilligt worden.
Snfolgedejjen Heidet fih jet Meiffauer beftändig als Frau
und bedient als folche in feinem Laden. Seine Runden nennen
ihn allgemein Zräulein Marie, | Th. S.
Der erſte Bettler auf der Greifswalder Die. — Zu der
Univerfitätsftadt Greifswald in Pommern gehörte das Heine
Oftjeeinfelben Die. Diefes Infelhen mit feinen waldigen
Höhen wies nur wenige Bauernhöfe auf und wurde felten von
Fremden befuht. So war bis in die dreißiger Zahre des vorigen
Jahrhunderts noch niemals ein Bettler auf der Infel erfchienen.
Da geihah es einmal in einem ftrengen Winter, als die See
von Peenemünde bis nach der Inſel hin zugefroren war, daß
ein Bettler auf den Einfall fam, die Eisbahn zu benüßen und
auf dem Meinen Inſelchen fein Glüd zu verfuchen. Der alte
Mann kam, ohne daß ihn jemand bemerft hatte, auf der Inſel
an und ftellte fich fogleidh in die offene Tür des eriten Haufes,
auf das er traf. Hier fing er nad Bettlerart zuerft an,
ein kurzes Gebet herzufagen und dann ein frommes Lied zu
fingen. Das hatten die Dier noch niemals gehört. Alles, was
in dem Haufe war, fam herbei, und fchließlich führte man ihn
in die warme Stube, wo er bewirtet und reichlich befchentt
yet
222 | Mannigfaltiges. o
aufgezogen und in der gehörigen Reihenfolge zufammen-
gefügt, und wurden fie in einem befonders dafür hergerihbteten
Inſtrument mit der entfprechenden Schnelligkeit an dem Be—
Schauer vorbeigeführt, fo gaben fie doch ein erſtaunlich deut-
lihes Bild von den fortlaufenden Bewegungen des galop-
pierenden Pferdes, erregten aud ein gewaltiges Aufſehen —
nicht nur bei dem breiten Publitum, fondern auch in den
Kreifen der Künftler und der Gelehrten.
Es dauerte bis zum Zahre 18%, ehe man die erite Rine-
matographentamera erfand, wie man fie jet benüßt, mit dern
automatifch abrollbaren Zelluloidfilm, auf dem nunmehr Auf-
nahme über Aufnahme, jede im fechzehnten Zeil einer Sekunde,
gemacht werden, alle in einem und demfelben Apparat. Daß
jih feitdem auch die Methode der DBorführung jchrittweife
immer mehr vervolltommnete, verjteht fih von felbjt, und fo
iit es dahin gelommen, daß fein beliebteres Voltsbeluftigungs-
mittel in Meinen und großen Städten fowie auf den Zahr—
märkten, Schüßen- und Kirchweihfeſten ländliher Gegenden
eriitiert als der Rinematograph, voltstümlich „Rientopp“ ge-
nannt, der fih alfo aus Sir John Herfchels tanzender Birne
entwidelt bat. ' C. O.
Die Wahrheit über Freund Lampe.*) — Rein wildlebendes
Tier unſerer einheimiſchen Tierwelt iſt ſeinem Außeren nach
bei jung und alt ſo bekannt als der Haſe, keines auch als
Wildbraten ſo geſchätzt und daher ſo vielen Verfolgungen durch
das Schrot des Zägers und die heimtückiſche Drahtſchlinge des
Milderers ausgefegt wie der flinte Löffelträger. Die Bopu-
larität Meifter Lampes erftredt fich jedoch nur auf fein Äußeres.
Denn was die meiften von feinen fonftigen Eigenfchaften zu
wijjen glauben, beruht zum größten Zeil auf Märchen.
Vor mir liegt ein Band der neueſten Ausgabe eines welt-
befannten Lexikons. Zn diefem Bande ftehen unter „Hafe“
die Sätze: „Seine Augenlider find ſehr kurz, und er fchläaft
Daher mit offenen Augen.” — Dieſe Behauptung ift falſch.
*) Anläßlich des Artifels ‚Hafenmut“ im 5. Bande find uns viele
Zufchriften augegangen, die fi mit dem Thema beichäftigen. Wir.
greifen daher gerne nochmals auf den Gegenftand zurück.
D Mannigfaltiges. 225
Man made ſich einmal die geringe Mühe und unterfudhe einen
geſchoſſenen Hafen daraufhin. Dann fieht man fofort, daß
fih die Lider ohne alle Mühe über die Augäpfel drüden lafjen
und diefe volllommen bededen.
Wie ift nun diefes alte Märchen entftanden? Einfach dadurch,
daß man höchſt felten einen Hafen mit gefchloffenen Augen in
feinem Lager beobachten kann. WMeifter Lampe befigt nämlich
ein fo ausgezeichnetes Gehör, daß man wirklich faft jagen kann,
er hört das Gras wachen. Außerdem ift die Erde ein vorzüglicher
Schallleiter, und felbft auf dem weichſten Boden bemerft des-
halb der Hafe, mag er auch noch fo feit Schlafen, jeden Näher-
kommenden und reißt erfchredt die Augen auf. Wenn er troß-
dem noch regungslos fißen bleibt, fo darf daraus nicht gefolgert
werden, daß er vielleicht doch nicht erwacht ift, und da die Augen
fhon vorher offen geweſen fein können. Der jchlaue Löffel-
träger hofft eben, daß ihn fein erdfarbener Pelz vor dem
Erblidtwerden [hüßen wird — das iſt die einzig richtige Löſung.
„Oft, befonders bei warmem Wetter,“ fo erllärt ein Weid-
mann, „vertraut der Hafe fo fehr diefem Schuß, daß er buch-
jtäblich getreten werden muß, ehe er auffteht. Ich habe ſchon
öfters auf der Hühnerjagd einen ausgewachſenen Hafen aus
den Rüben hochgehoben, allerdings, um ihn baldigjt wieder
loszulaffen, denn folh ein Burſche fragt und fchlägt ganz
verteufelt um fih. Einem meiner Belannten wurde beit
ciner folhen Gelegenheit eine Armwunde geriffen, an Der
er faft verblutete. Züngſt erblidte ich, über eine Furche weg-
ichreitend, plößlich vor mir einen Hafen, auf den ich unfehlbar
beim Fortichreiten getreten wäre. Ich ſah mir eine ganze Weile
die mit feitangelegten Löffeln zu meinen Füßen fißende
Hafenmama, denn eine foldhe war es, an und hob dann den
Fuß, um über fie wegzufchreiten. Sowie ih den Zuß hob,
zudte Mama Lampe merklich zufammen, rührte fih fonft
aber nicht. Ich ftellte den Fuß wieder zurüd und wiederholte
die Sache wohl ein halbes Dußendmal.“
Dem Hafen wird ferner nadhgefagt, er fei außerordentlich
wafferfcheu, da er nicht ſchwimmen könne. Das ift ebenfalls
unrichtig. Auch diefes Märchen wird aus dem Grunde entftanden
224 Mannigfaltiges. o
fein, weil fih nit häufig Gelegenheit bietet, Meifter Lampe
als Schwimmtünjtler zu bewundern. Unſer Gewährsmann
hat die Erfahrung gemadt, daß der Haje niht nur vor dem
verfolgenden Hunde MWaffergräben und Flüſſe durchſchwimmt,
fondern dies auch ganz freiwillig tut, um auf der anderen Seite
des Waffers nach reicherer Afung zu fuhen. Diele kundige
Meidmänner behaupten fogar, daß er das feuchte Element
ganz gern aufſucht. Ein bayrifcher Förfter erllärt hierzu zum
Beilpiel folgendes: „Es ijt den Zägern in den oft überfhwemm-
ten Bruchgegenden wohl bekannt, daß der Hafe jih zunächft
die ihn zufagende Dedung ausfuht, und daß es ihm des
weiteren dann volllommen gleichgültig ift, ob fein Lager
handhoch im Waſſer liegt oder vollftändig troden ift. Und awar
trifft das nicht etwa nur für die heißen Sommertage zu, in
denen ja aud anderes Wild fo gern Wafjerladen zur Kühlung
aufjucht, fondern ich fand mehrfah Hafen in ziemlidher Anzahl
im ſchönſten Gemiſch von Schnee, Eis und Waſſer im Scilf
figen, aus dem fie bei meinem Nahen herausfuhren, daß fie
in eine Wollte von Sprigwaffer gehüllt waren. Und troßdem
war ftets trodener Boden, Aderland und dergleihen in der
Nähe. Auch habe ich beobachtet, daß der Hafe bei Waldtreib-
jagden anftatt geräufchlos auf dem trodenen Moofe mit
lautem Planſchen den Zäger im nafjfen Bruch anläuft. So
unfinnig uns das auch fcheint, er wird ſchon feinen Grund
dafür haben, genau fo, wie wenn er gewandt und raſch, faft
wie ein FZijchotter, einen Fluß durchſchwimmt. Spaßig ift
es nur, daß viele Zäger mit fanatifher Bejtimmtheit verfichern,
wenn ber Hafenbalg naß fei, jo fhlüge das Schrot nicht fo gut
duch. Es wird wohl aber daran liegen, daß man bei trübem,
feuchtem Wetter ſchlechter ſchießt oder vielleiht au) das Pulver
an Treibkraft einbüßt.“
Schließlich fei hier auch Meifter Lampe gegen den ihm nur
zu häufig gemadten Dorwurf bejonders großer Feigheit
verteidigt. Daß er vor feinen Feinden, unter denen hauptfächlich
der Menſch und der Zuchs zu nennen ijt, das „Hafenpanier“
ergreift — welches Tier täte dies wohl nicht! Anderſeits find
Fälle bekannt, in denen Hafenmütter ihre Jungen gegen
oO Mannigfaltiges. 225
Angriffe aufs tapferfte verteidigt haben. „Einmal,“ fo erzählt
ein $Forfimann, „wurde ich bei einem Pirſchgang durch das
laute Gefchrei von Krähen auf eine Szene aufmerlfam, die zu
dem Eigenartigften gehört, was ich während meiner Praris
in meinem Revier erlebt habe. DBorfichtig durch eine Tannen-
ſchonung mid heranfchleihend, gewahrte ich vier Rrähen, die
unter wütendem Gekrächz jtets aufs neue auf einen Zunghaſen
berabitießen, der ſchon völlig ermattet im Grafe des Waldraines
lag. Neben dem Zunghajen hodte ein zweiter, ausgewachfener
Hafe, der jedesmal emporfchnellte und nach den Krähen bis,
fobald eine einen neuen Angriff wagte. Nachdem ih mehrere
Minuten diefem Rampfe zugefhaut hatte, bemerkte ich, wie
von einem nahen Hochwaldftreifen drei weitere Krähen herbei-
flogen, offenbar durch das Geſchrei ihrer Artgenofjen herbei-
gelodt. Gegen diefe Übermacht wird fich der tapfere Verteidiger
nicht lange halten können, fagte ich mir und erwartete, daß der
Haſe nun fchleunigft flüchten und das junge Tier feinem Schidfal
überlaffen würde. Weit gefehlt. Meifter Lampe blieb auf
feinem Poften, troßdem unter den Schnabelhieben der Rrähen
die Wolle aus feinem Pelz in großen Zloden herumflog. Die
Art des Hafen, die Vögel abzuwehren, fah bisweilen geradezu
poffierlid aus. Oft fehnellte er fih in offenbarer Wut faft
einen Meter hoch in die Luft, die großen Löffel zum Schuß
des Genides dicht anklatſchend, oft wieder richtete er ſich auf den
Hinterläufen auf und fehlug mit den Vorderläufen nad feinen
Gegnern. Trotzdem merkte ich fehr bald, daß feine Kräfte
erlahmten. Bisweilen ſaß er ſchon für Sekunden 'regungslos
neben dem hingeftredten Zunghafen und ließ teilnahmlos
alles über fih ergehen. Ein Schuß aus dem Schrotlauf meiner
Büchsflinte änderte dann fchnell das Bild, und drei Rrähen
büßten diefen Überfall mit ihrem Leben. Meifter Lampe war
auf den Schuß wie ein Bliß in der Schonung verfhwunden.
Den Zunghajen nahm ih mit nach Haufe, wo er fich bald erholte
und fpäter vollitändig zahm wurde.“ W. K.
Eine Raupenplage im Winter. — Eine merkwürdige
Naturerſcheinung wurde vor hundert Zahren, im Zanuar und
Februar des Jahres 1812, im füdöftlichen Thüringen und dem
1912. VII. 15
226 Mannigfaltiges. =)
benachbarten Doigtland beobachtet. Zur genannten Seit
tummelten fi nämlich auf höher gelegenen und freien Stellen
jener Gegend auf dem Schnee unzählige Raupen. Im Saal-
feldifhen beobachtete man deren fogar zwei verfchiedene Arten.
Die eine war ungefähr einen Zoll lang und fo did wie das
Mundftüd einer gewöhnlichen Zonpfeife, hatte einen berz-
förmigen, glänzend fchwarzen oder dunfelbraunen Kopf und
einen zwölffach gegliederten Leib mit acht Paar Füßen. Die
Farbe des Leibes war verjchieden, doch zeigte er oben ſtets
drei belle Längsftreifen.
Man nahm an, daß es fih um Raupen des Nadtfalters
Phalaena handle.
Die zweite, meift auf den Blößen des Thüringer Waldes
gefundene Art war erheblich Heiner und hatte entweder einen
glänzend ſchwarzen oder aber einen kaftanienbraun gefärbten,
etwas flachen Ropf mit zangenförmigem Maul. Der walzen-
fürmige Leib war zwar gleichfalls zwölffach gegliedert, hatte
aber nur vorn drei Paar Füße. Man ſprach diefe Tiere daher
als KRäferlarven an, die zu dem [hwarzbraunen Warzentäfer
(Cantharis fusca) und verwandten Arten gehörten.
Diefe lettgenannte Larpenart war es aud, die im Doigt-
land beobachtet wurde. Wohl mit Recht nahm man an, daß
die einige Zeit vorher herrfchende, dann plößlich mit einem
Wetterſturz endende warme Witterung die Tiere zu ſo unge-
wöhnliher Jahreszeit hervorgelodt habe; anderfeits konnte
es zu damaliger Zeit natürlich nicht ausbleiben, daß die aller-
dings abfonderlihe Naturerfcheinung auch manderlei aber-
gläubifhe Befürchtungen berporrief.
Die unerwarteten Gäfte mußten ihren Dorwiß aber ſehr
fchnell büßen, denn fie erfroren ſehr bald. —3e.
Reſpirator „Lungenheil“. — In der "Internationalen
Hygieneausſtellung Dresden 1911 bildete in der Abteilung
„Wiffenichaftlihe Inſtrumente“ der duch Patent gefhüßte
Refpirator „Lungenheil“ einen Hauptanziehungspuntt. Und
dag die Ärzte fih fehr eingehend mit diefem Apparat und
jeiner allgemeinen Anwendung und Einführung auch bereits
im Auslande befchäftigen, geht aus dem Umftande hervor, daß
D Mannigfaltiges. 227
die Vorführung und Beiprechung diefes Apparates wegen der
Peitgefahr auf die Tagesordnung des im Dezember 1911 in
Tiflis tagenden ärztlihen Kongreſſes gejegt wurde. Sowohl
bei Fachleuten wie bei Laien findet „Lungenbeil“ ungeteilte
Anerkennung.
Ein befonderer Dorzug des Apparates ift darin zu erbliden,
Refpirator „Lungenbheil“,
daß zu beiden Geiten fich leicht und ficher öffnende und
ihliegende Dentile der einjtrömenden und der ausgeatmeten
Luft befondere Wege zuweilen. Wird — wie bei anderen
Refpiratoren — durch denjelben Wattebaufh ein- und aus-
geatmet, fo tritt durch den in der Ausatmungsluft enthaltenen
Mafferdampf eine Durhfeuhtung der Watte und hierdurch
eine wefentliche Erfjehwerung der Atmung ein. —m.
Eine folgenſchwere Ohrfeige. — Algerien, das alte Nu—
midien, ehemals eine Provinz des römiſchen Weltreiches, ent-
wickelte ſich ſeit Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts zu
jenem türkiſchen Seeräuberſtaat, der dann zweihundertdreißig
Jahre lang der Schrecken der ſchiffahrttreibenden Kulturvölker
228 Mannigfaltiges. ö
war. So zahlten dem Herrſcher von Algerien, dem Dei, noch
1820 Bortugal, Sardinien, Dänemark und Schweden Tribut,
und felbft die Seemacht England mußte fih dazu verjtehen,
dem Dei bei jedem KRonfulwechjel ein Gefchent von fechs-
hundert Pfund Sterling zu mahen. Die Gefangenen, Die
die algeriishen Biraten auf ihren Raubzügen erbeuteten, wur-
den als Sklaven verkauft, Unzählige Chriſten ſchmachteten in
der Gefangenfchaft der Türken, und doch konnten die euro-
päifhen Staaten ſich zu keiner gemeinfamen entiheidenden
Unternehmung gegen diefe Geißel des Mittelmeeres aufraffen.
Diefe für ganz Europa unwürdigen Zuftände dauerten bis zum
Zahre 1827, denn endlich hatte die Regierung in Paris ein-
gejehen, weldhe Bedeutung Algerien als Rolonialbefiß gerade
für Frantreich haben könnte, und war nunmehr einzig und allein
Darauf bedadht, einen Anlaß zu einem Feldzuge gegen den
Dei künftlich Heraufzubefchwören, ohne daß den anderen Mäch-
ten Gelegenheit zur Einmifchung gegeben werden follte.
Während der Expedition Napoleons nad Ägypten im Jahre
1798 hatten algerifhe Raufleute für Frankreich Getreide ge-
liefert, das immer noch nicht bezahlt worden war. Um feinen
Untertanen zu ihrem Recht zu verhelfen, nahm fich der Damals
regierende Dei Hufein der Angelegenheit an, forderte aber fo
unverfhämt hohe Summen von der franzöfifhen Regierung,
daß dieſe darauf überhaupt keine Antwort erteilte, vielmebr
ihren Ronful Deval fchleunigft mit den nötigen Snftruttionen
verfah, um diefen Getreidehandel zu dem fo heiß erfehnten
Anlaß zu einem Rriege aufzubaufchen.
Am 2. März 1827 ließ der über das hartnädige Schweigen
Frankreichs bereits ergrimmte Dei, der fih noch immer als
Beherricher aller Meere fühlte, Deval in feinen Palaft rufen.
Doch der Ronful erſchien erjt drei Tage fpäter und nicht etwa
in der vorgefchriebenen Galauniform, fondern im Reitanzug,
eine Neitgerte in der Hand, |
Die Wut des jähzornigen Hufein fteigerte fich durch diefe
offenbare Nihtahtung feiner Herrfherwürde noch mehr, Er-
regt fuhr er Deval an, warum denn die franzöfifche Regierung
auf feine Forderungen bisher keine Antwort erteilt habe,
— ——
0 Mannigfaltiges. 229
„Weil diefe Forderungen fo unverſchämt find, dab nur ein
algerifher Dei fie ftellen kann,“ foll der Ronful, dabei mit
der Reitpeitihe nachläſſig fpielend, erwidert haben.
Raum waren diefe Worte heraus, als der Dei auch fchon
ausholte und Deval eine mächtige Ohrfeige verfegte. |
„Das wird Ihnen teuer zu ftehen kommen,“ rief der $ran-
zofe, verlieg den Palaſt und begab fich fofort an Bord der im
Hafen von Algier liegenden franzöfifchen Fregatte „Zerrible“.
Die in der Perfon ihres Vertreters jo ſchwer beleidigte
franzöfifhe Nation ſchnaubte natürlid nun Rache. Der
Schlußakt diefes Poſſenſpiels der Weltgefchihte begann, der
Krieg gegen Algerien, zu dem die dentwürdig gewordene, ab-
fichtlich herbeigeführte Obrfeige die äußere Deranlaffung ber-
geben mußte.
Schon am 12. Zuni erſchien ein franzöfifches Gefchwaber,
das in Toulon bereits fegelfertig gewartet hatte, vor Algier
und blodierte fämtliche Häfen. Und drei Zahre fpäter, am
5. Zuli 1850, ergab fi der Dei, dem die Sieger großmütig
fein PBrivatvermögen beließen, dafür aber den ferneren Auf-
enthalt im Lande verboten. WR
Sonnenmajcinen. — Ein ungeheurer Rraftvorrat ift in
den Wärmemengen aufgefpeichert, die uns die Sonne zufendet.
Shre Ausnügung für menſchliche Zwede wird jetzt wenigjtens
teilweife in Angriff genommen. So beſteht in Ralifornien
eine Gefellihaft zur Ausbeutung der Sonnenwärme, die den
eriten DVerfuh auf einer Straußenfarm in Gübdpaffadena
angeftellt hat. Es ijt hier ein Apparat erbaut worden, der aus
achtzehnhundert Heinen Spiegeln befteht, die zu einem Parabol-
jpiegel von zehn Meter Durchmeffer zufammengefegt find.
Die auf ihn auffallenden Sonnenftrahlen werden auf einen
Dampftefjel gelenkt, in dem durch die Erhigung Dampf von
zwölf Atmofphären erzeugt wird. Der Dampf wird einer
fünfzehnpferdigen Dampfmafchine zugeführt, die eine Zentri—
fugalpumpe treibt, wodurch Waſſer für Bewäfferungszwede
gehoben wird. Außerdem wird durch die Dampfmafchine eine
Dynamomafchine zur Erzeugung von Licht getrieben. Ent-
ſprechend der Drehung der Erde wird die Spiegelanlage dur)
239 Mannigfaltiges. a
ein elettriijhes Uhrwerk alle zwanzig Setunden um ein Meines
Stüd gedreht, damit die Sonnenftrahlen ftets jentrecht auf
den PBarabolipiegel auftreffen.
Billiger als diefe Einrichtung ift eine von dem Ingenieur
Schumann konftruierte Sonnenmafdine, die in Tacona in
Bennfplvanien in Gebraud ift. In einem Raften von hundert
Quadratmeter Fläche, der auf der Erde fteht und durch zwei
Lagen Zenfterglas gefchloffen ift, liegen dicht nebenzinander
Ihlangenförmig gebogene Metallröhren, die ſchwarz ange-
ftrichen find. Die Röhren find mit Äther gefüllt. Die Sonnen-
ftrahlen bringen nun den Äther zur Derdampfung, und die
Dämpfe treiben eine Dampfmaſchine. Diefe Majchine liefert
in den Sommermonaten 3,, Pferdeträfte bei einem Drud
von 6,3 Atmofphären. Durch die Mafchine wird Waffer auf
die Felder gepumpt. Die Ätherbämpfe gelangen, nachdem fie
die Dampfmafchine paffiert haben, in einen Röhrentondenfator,
wo fie verdichtet werden. Der ſich niederfchlagende Äther
fließt in die fhwarzen Schlangenröhren des Rajtens zurüd, fo
daß er nun wiederum verdampft werden kann. Die Roften
diefer Anlage betragen nur fechstaufend Mark. Th. ©.
Bismarderinnerungen. — Während des franzöfifchen
Krieges tadelte einer der deutfhen Fürjten im Geſpräch mit
Bismard die gar zu reihliche Verleihung des Eifernen Rreuzes.
Bismard war jedoch anderer Anficht, die er mit den folgen-
den Worten begründete: „Die Derleibung diefes Rriegsordens
erfolgt aus zweierlei Gründen: entweder haben es die damit
Gefhmüdten verdient, dann läßt fi nichts dagegen einwenden,
oder es wurde lediglich aus Courtoifie gegeben, wie Eurer Hoheit
und mir, dann läßt ſich auch nichts Dagegen erinnern.“
Dem hohen Herren foll diefe Erklärung fo fehr eingeleuchtet
haben, daß er von weiteren Bemerkungen abitand.
As Bismard fih zu den Friedensperhandlungen nach
Frankfurt begab, trug er Zivillleidung. Der Oberlellner im
Schwanen, an die Rüraffieruniform bei ihm gewöhnt, konnte
nicht unterlaffen, feiner Begrüßung die Worte der Überrafhung
beizufügen: „Beinahe hätten wir Erzellenz nicht ertannt.“
„Da wäre es Ihnen wie den Franzojen ergangen,“ antwortete
oO Mannigfaltiges. 231
Der Reichstanzler lachend, „die ertannten uns auch nicht eher,
als bis wir die Uniform angelegt batten.“ —tt.,
Wie doch die Zeit vergeht! — Das ift wohl eine der häufigften
Rlagen, die wir im Familien- und Belanntentreis vernehmen.
Und eine Rlage oder mindeftens ein Bedauern fchließt der
Ausruf doch fraglos in fi, wenigftens im allgemeinen. Denn
wer das ſchnelle Dahinshwinden der Zeit aus irgend einem
Grunde mit freudigen Gefühlen begrüßt, oder wer ihm aud
nur mehr oder weniger gleihgültig gegenüberjteht, der wird
jenen Gedanten kaum begen, ihm daher auch nicht Ausdrud
verleihen.
Die Außerung tönt uns, wenn wir von befonderen Gelegen-
heiten wie Fefttagen, Ferien, Reifen und dergleichen ange-
nehmen Abwecdflungen von kurzer oder beftimmter Dauer
abjehen, im allgemeinen meift nur aus dem Munde älterer
Perfonen entgegen. Und in der Tat — haben wir nicht alle
aud ſelbſt das Gefühl, als ob der Zeit mit jedem Fahr neue
Flügel wüchſen, fie immer eilender entflöhe? Dabei: wilfen
wir doc, daß unfere Erde fich heute mit nur genau der gleichen
Geſchwindigkeit um ihre Achfe dreht und ihre vorgefchriebene
Bahn wandelt wie zur Zeit unferer Rindheit!
Welches find alfo wohl die Urfachen dafür, daß uns mit zu-
nehmenden Zahren die Zeit immer fchneller zu enteilen fcheint?
Wie Schon die Frageftellung andeutet, kommen ihrer zweifel-
los mehrere in Betracht. Das Rind und die Jugend, die das
Leben „vor ſich Haben“ und von ihm die Erfüllung ihrer Träume
erwarten, leben mit ihren Gedanken mehr oder weniger in
der Zukunft. Das Rind kann die Zeit nicht erwarten, bis es
zur Schule kommt. Zit diefes erjte Ziel erreicht, der Reiz der
Neuheit verflogen, jo ftellt fih wohl bald die Sehnſucht ein,
diefer Schule erft wieder entwachjen zu fein — wie der Wunsch,
erſt „groß“ zu fein, wohl in den meiften Rinderherzen einen
breiten Raum einnimmt. Nad der Schulzeit tritt dann das
Streben nad einer zufagenden und geficherten Lebensftellung
mit den hierzu nötigen Vorbereitungen in feine Rechte; dann
erwacht allmählich das Verlangen, ein eigenes Heim zu grün-
den. Über all diefem VBorausdenten und Vorwärtsſtreben,
252 Mannigfaltiges. Oo
MWünfhen und Hoffen findet fih naturgemäß wenig Zeit und
Gelegenheit, rüdwärts zu denken, und nod) viel weniger kann
der Gedante oder gar der Wunſch auflommen, dem gleichmäßig
dabineilenden Rad der Zeit in die Speichen zu fallen — nein,
eber das Gegenteil! Und drängt fih doch einmal verftohlen
der Gedante an den ſchon hinter uns liegenden Lebensabfchnitt
auf, fo fcheint uns diefer nicht allzuviel Bemertenswertes auf-
zumeifen; erjt die Erinnerung fpäterer Zahre läßt uns als
ſolches ſo manches ertennen oder erfcheinen, was wir aus der
Nähe wenig beadhtenswert hielten. Auch mutet uns die zurüd-
gelegte MWegitrede noch gar fo kurz an, zumal gegenüber der,
die uns noch bevorjteht: wir find ja noch fo „jung“, jo warıder-
luftig, wandermutig !
Noch eine Spanne Zeit aber, dann kommen fo ganz all-
mäbhlih die Zahre, da uns bewußt wird, wie „alt“ wir im
Grunde genommen doch ſchon find, was wir bereits erlebt
und — verloren haben, wie weit wir ſchon zurüddenten können.
Und nun gewahren wir plößlih zum erften Male und mit
leifjem Erjchreden: „Wie doch die Zeit vergeht!“
Und haben wir diefe „Entdedung“ erjt einmal gemacht,
jo geht es uns mit ihr genau wie mit fo mancher anderen,
bisher wenig oder gar nicht beachteten Erfheinung — fie tritt
uns immer häufiger und allein ſchon durch diefe Wiederholung
viel auffallender entgegen. Dazu fommt noch, daß jene Zeiten,
da wir Großes, wenn nicht alles von der Zukunft erhofften
und erträumten, wohl allmählid, aber mit Naturnotwendig-
keit fi in das Gegenteil verkehren, Es kommen langfam die
Zahre, da wir für uns felbjt von der Zukunft wenig oder nichts
mehr erhoffen, ja erhoffen dürfen.
In gleihem Maß wendet fih nun der Blid immer mehr
der Dergangenbeit zu, die dank der glüdlichen, nur zuweilen
fünftlih oder gewaltfam ertöteten Anlage im Menfchen, das
weniger Gute zugunjten des Befferen aus dem Gedächtnis zu
verbannen, um fo mehr in rojigem Licht erjcheint, je weiter
fie hinter uns liegt — bis wir fchließlih nur noch „von der
Erinnerung zehren“, die uns in jene längjt vergangenen Zeiten
zurüdführt,
oa WMannigfaltiges. 2353
Aber nicht nur längere Zeiträume wie Zahre und Zahr-
zehnte fcheinen uns mit zunehmendem Alter ſchneller dahinzu-
ſchwinden, auch der einzelne Tag felbft. So haben wir das Gefühl,
oder wir ftehen unter Umftänden auch ſchon der greifbaren
Zatjahe gegenüber, in unferer gewöhnlichen Zagesarbeit nur
mit Mühe oder überhaupt nicht mehr das leiften zu können
wie noch vor kurzem. Geijt und Rörper — und das ijt ein an
ſich bei gewiſſem Alter zwar natürlicher, durch verkehrte Lebens-
haltung und ihre Folgen aber häufig verfrühter oder ver-
fhärfter Vorgang — arbeiten allmählih langfamer. Pas
Denten, die Umſetzung des Gedantens in die Tat und feine
vollftändige Ausführung beanjpruchen nah und nah immer
mehr Zeit.
Sp werden wir denn mit unferer täglihen Arbeit allmäh-
fih immer ſchwieriger und fchlieglih überhaupt nicht mehr
in der gewohnten Zeit fertig. Und diefe Tatfache erpreßt uns
dann auch wieder den Seufzer: „Wie doch die Zeit ver-
geht ya :
Schlieglid mögen dann noch zwei Pinge hinzutommen.
Menn die Höhe des Lebens überfchritten ift, beginnen wir
unwilltürlicd — genau wie der Schüler in der zweiten Ferien-
hälfte — allmähli immer mehr mit dem unausbleiblich
nahenden Ende zu rechnen. Wir fchöpfen niht mehr aus dem
Vollen, fondern beginnen mit der Seit, deren rechten Wert
wir vielleicht jet erft voll ertannt haben, zu fparen und zu
geizen für das, was unferem Herzen, unjferem Streben am
nächſten liegt, und was uns am nötigften und wichtigiten fcheint.
Damit erhöht fih das Bedauern darüber, daß die Zeit, die
wir im Gegenjaß zur Jugend nun wohl fejthalten möchten,
fo Schnell vergeht. Und endlih das andere: Wie bei räum-
lihen Entfernungen und Bergeshöhen, fobald fie eine ge-
wilfe Grenze überjchreiten, unferem Schäßungspermögen der
tihtige Mapftab fehlt, fo vielleiht auch unferem geiftigen
Auge für längere Zeiträume, die wir durchlebt haben.
Daher erjcheinen uns dann die Fahrzehnte, die wir auf
unferem Lebensweg zurüdlegten, und die „Zeit“, wie fie fich
in unferer Erinnerung darjtellt, nicht im gleichen DVerbält-
234 Mannigfaltiges. a
nis zueinander zu ftehen: die Zeit ift uns zu fehnell ver-
gangen. —ʒe.
Eine Tiroler Gemeinde im peruaniſchen Hochlande. —
Seit fünfzig Zahren beſteht in der ſüdamerikaniſchen Republik
Peru in einer Höhe von rund neunhundert Metern die von
dem deutſchen Freiherrn v. Schütz-Holzhauſen ins Leben
gerufene deutſche Kolonie Pozuzo. Sie iſt überwiegend von
Tiroler und oberbayriſchen Bauern befiedelt, denen ſich ein-
zelne Auswanderer vom Hunsrüd, aus der Eifel und von der
Mofel angefchloffen haben. Zn gefunder und ſchöner Lage am.
KRreuzungspuntt der feit Jahren geplanten Hochſtraße, die
über die Anden hinweg Perus Hauptitadt Lima mit dem
Amazonenftrom verbinden foll, hat fie günftige Zutunftsaus-
fihten. Einftweilen leben die Leute ohne rechte Verbindung
mit der Außenwelt. Daß die Rolonie fih gehalten hat, dankt
fie bauptfählid ihrem erjten Pfarrer Joſeph Egg, der von
1857 bis 1895 in ihr wirkte, Seinen privaten Lebensunter-
halt erwarb er ſich durch Anfertigung pon — Spinnrädern.
Ende 1891 beftand feine Gemeinde aus 515 Seelen, darunter
365 Deutfhe, der Reit waren Indianer. Sein Nachfolger ift
der deutich-öfterreihifhe Pater Schafferer. Seine Gemeinde
wohnt bis auf fieben Stunden Entfernung zerftreut auf ein-
zelnen Bauernhöfen.
Die Schulbildung ift infolge mangelnder Lehrkräfte ziemlich
gering. Es wird Deutſch und Spanifch unterrichtet, Predigt
und Rinderlehbre werden in deutfcher Sprache gehalten, im
Umgang berrfcht die Tiroler Mundart. Der Geiftliche befchäftigt
fihb im Nebenamt mit ZTifchler-, Drecfler- und Schmiede-
arbeiten und ift gleichzeitig der einzige Arzt der Gegend. Er
bat zur Förderung des Handwerkes unter den Leuten eine
Univerfalwertftätte angelegt, die mit Waffertraft getrieben
wird. Drei Tagereifen entfernt von Pozuzo befteht eine
Heine Tochterkolonie Oropampa, die aber ohne deutſchen Geiſt—
lichen ift. O. v. B.
Gutenbergs Werkſtatt. — Zohannes Gutenberg wird
allgemein als Erfinder der Buchdruckerkunſt genannt, Gleich-
zeitig oder fogar vor ihm follen in Straßburg Zohannes Mentel,
D Mannigfaltiges. 235
De b
Sobannes Medenbad, in Mainz Sobannes Faust und Johannes
Schäffer, wie Gottfrid 1642 meint, „dieſe Runft ins Werd
gerichtet haben“, Mit diefen fünf Johannes rivalifiert noch
Gutenbergs Werkſtatt.
236 Mannigfaltiges. s}
ein Hans von Laudenbach, von dem ein Grabftein aus dem
fünfzehnten Zahrhundert, der fih im alten Auguſtinerkloſter
zu mal befindet, beſagt:
„Hans von Laudenbach ift mein Nam,
Die erſten Bücher drudt ih zu Rom.
Bitt für meine Seel, Gott gibt die Lohn.“
Die neueften Forihungen haben jedoch feſtgeſtellt, daß Zohan-
nes Gensfleifh, nad feiner Mutter Gutenberg genannt, in
der Tat der erjte Erfinder der Buchdruckerkunſt ift. Der alte
Stih nah Matthäus Merian, den wir reproduzieren, Icht uns
einen lid in feine von ihm 1444 zu Mainz begründete Wert-
ſtatt tun. W. F.
Der Letzte dom Berufe ſeiner Väter. — Bor einiger
Seit wurde der Gefchirrhalter und Abdedereibefiger Rarl Hübner
von Saalfeld vom Frühzug Saalfeld—Arnftadt überfahren
und fofort getötet. Er war der legte Abtömmling eines Ge-
ichlechts, in dem das Amt des Scharfrichters feit Jahrhunderten
erblih gewefen war, und der es noch felbjt, wenngleih nur
einmal, ausgeübt hatte.
Sein Dater Chriftian Hübner war zunftmäßiger Scharf-
rihter und für gerichtlihe Erekutionen viel begehrt gewefen.
Das Anwefen der Hübner, die fogenannte Scharfrichterei,
liegt an der Straße von Saalfeld nah NRudoljtadt gegenüber
einer ehemaligen Richtftätte, dem „Rabenjtein“, der im Jahre
1698 von dem fürftlihen Amt und dem Rate zu Saalfeld mit
einem Roftenaufwand von einhundertzweiundfünfzig Gulden
neu bergeftellt worden war, damit bier die Hinrichtung des
Tuchmachers Georg Rahniß aus Pöhned, der feine Frau
ermordet hatte, durch das Schwert vollzogen würde.
Chriftian Hübner hatte nicht weniger als fehsunddreißig
Hinrihtungen vorgenommen. Unter diefen war beſonders
bemertenswert die am 28. Oktober 1854 am Edartsanger
in der Nähe von Saalfeld in Anwefenheit einer vieltaufend-
töpfigen Menfchenmenge vollaogene Enthauptung des Raub-
mörders Madedanz, der im Heidewald den Tiſchler Amende
aus Naihhaufen erichlagen hatte. Denn diefer Hinrichtung
wohnten viele andere Scharfrichter bei und zogen nach Be—
u Mannigfaltiges. 237
endigung der Exekution mit Muſik nach der Hübnerſchen
Scharfrichterei, um dort durch ein Gaſtmahl und ein daran ſich
anſchließendes Tanzvergnügen ihren Jahrestag zu feiern.
Die Hinrihtung des NRaubmörders Zobann Nikolaus
Raufmann aus Riehheim duch Chrijtian Hübner war das
legte in Saalfeld vollzogene Zodesurteil. Raufmann hatte,
um die Mittel zu feiner Verheiratung zu erlangen, am 25. Ot-
tober 1854 den wohlhabenden zweiundfiebzigjährigen Orts-
bürger Heinrich Huth in feiner Wohnung in Riechheim mit einer
Art erfchlagen und aus den Schränken desfelben einen Zünf-
talerichein und dreizehn Gulden bares Geld geraubt. Geine
Hinrihtung im Hofe des Rathaufes erfolgte mittels des Beils
auf einem NRichtblod, der eigens für diefen Zwed hergeftellt
worden war und im Zahre 1864 dem Hübner aud in Hild-
burghaufen zur Hinrihtung eines Datermörders dienen mußte.
Noch im Jahre 1874 wurde Ehriftian Hübner für die Hinrichtung
des Mörders Schlörr in Gera gewonnen, zu der ebenfalls
wieder der Rihtblod und das Beil aus Saalfeld bezogen
worden waren. Als nun dem zitternden Greije der Wink ge-
geben wurde, feines Amtes zu walten, warf fein mitanwefender
Sohn Rarl Hübner fchnell feinen Mantel ab, ergriff das Richt-
beil und trennte mit einem wudtigen Schlag den Ropf des
Verbrechers vom Rumpf. Er wollte damit fein Meifterftüd
leilten, um Berufsnachfolger feines Vaters zu werden.
Doch blieb dies die einzige von ihm vollgogene Hinrichtung,
da das Graufige des Altes ihn derartig erfchüttert hatte,
daß er nie wieder eine Hinrichtung ausgeführt hat. Richtklotz
und Beil werden im ftädtiihen Mufeum in Saalfeld auf-
bewabtt, R. v. B.
Schreibe leſerlich! — Wellington hatte einen geradezu
krankhaften Haß gegen unleſerlich geſchriebene Meldungen.
Aber er ſelbſt ſchrieb noch viel ſchlechter als andere, und ſo
konnte es vorkommen, daß er einem Offizier in den ſchroffſten
Ausdrüden einen Derweis wegen jchlechter Schrift erteilte,
und daß nach einigen Wochen feine Order mit dem Bemerken
zurüdtam, alle Offiziere der Garnijon hätten vergebens ver-
judt, die Zeilen des Obertommandierenden zu enträtjeln,
238 Mannigfaltiges. a)
und fie baten daher um Aufichlug darüber, was eigentlich in
dein Schreiben enthalten fei.
Wellingtons größter Gegner, Napoleon I., hatte den gleichen
Hab und die gleihe Schwäche. Man berichtet fogar, daß feine
unleferlihe Handfchrift ihm die Niederlage bei Waterloo
eingetragen habe. Er fandte an Grouchy eine Botfchaft, die
der General nicht genau lefen konnte. Er ſchwankte, ob es
heiße „Bataille engagee* oder „Bataille gagnee“ (Schlacht
begonnen — Schlacht gewonnen). Schlieglich einigten er und
feine Offiziere fich dahin, dab das leßtere gemeint fei. Gie
beichleunigten den Vormarſch der Truppen nicht genug
und kamen zu fpät.
Den Nuten einer guten Handichrift lehrt uns Bakery
das Schidjal Viktor Sardous. Ein Stüd von ihm war bereits
von vielen Theatern abgelehnt worden, als er es einer berühmten
Schaufpielerin unterbreitete.. Auch dieſe wollte es achtlos
beifeite legen, fühlte fih aber von der prächtigen, deutlichen
Schrift angezogen, las das Drama, feste feine Aufführung
duch und begründete jo Sardous Ruhm. O. v. B.
In griechiſchen Räuberhänden. — Der engliſche Oberſt
Synge ſaß an einem herrlichen Maiabend des ZJahres 1885
rubig im Zimmer eines Untertunftshaufes in der Nähe der
griechiſch-türkiſchen Grenze, als die Fenjter plöglih von Rugeln
durchlöchert wurden und eine Anzahl bewaffneter Griechen
um das Haus Holz und Stroh aufjchichteten, das fie in Brand
teten. Es blieb dem Oberſten nichts anderes übrig, als fi
auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Er wurde nun auf ein
Dferd geſetzt, Niko, der Führer der Bande, beftieg ein anderes
Pferd, und die ganze Geſellſchaft fhlug den Weg nah dem
Olympusgebirge ein.
Der Gefangene wurde mit aller Rüdficht behandelt. Er
mußte einen Brief an den englifchen Ronful in Saloniki ſchreiben
mit der Bitte, die Räuber nicht zu verfolgen, da fein Leben
jonftbedroht fei. Nunmehr begann eine förmliche parlamentarifche
Unterhandlung. Der Oberft wurde in einer geräumigen Höhle
untergebracht und bewacht, wo er übrigens das Lager und Die
Nahrung feiner Entführer, bejtehend in Biegenfleifch, Brot,
0 Mannigfaltiges. 239
— — En ae a a nn nn sn - En une —— —
Mein und ſogar Kaffee, teilte. Die Bedingungen feines Los-
faufes waren: zweibundertfünfzigtaufend Franken Bargeld,
wozu noch Martinitarabiner, Uhren, goldene Ringe, Zigarren-
jpißen von Bernftein, ein Feldteleftop und fünfzehn Trompeten
famen. Sollte innerhalb fünf Tagen keine Antwort eintreffen,
jo würde man zuerft des Gefangenen Ohren, nah acht Tagen
deſſen Nafe und nad) weiteren zehn Tagen deſſen Ropf fchiden.
Die „Herren Räuber“ behandeln eben die Sache ganz als
Geſchäft, und auch der englifhe Ronful tat damals das Rlügite,
was er tun tonnte, und behandelte fie auch vom gleidhen Stand-
puntte aus, machte gute Miene zum böfen Spiel und beforgte
fich in befchleunigter Schnelligkeit wenigftens das Geld, das er
Ducch einen ihm bezeichneten „Dertrauensmann“ überjandte.
Bei deffen Ankunft ging es im Lager luftig zu; man feßte
ſich im Walde in die Runde, die Geldfäde wurden geöffnet
und jedes Stüd darauf geprüft, ob es nicht ein verräterifches
Abzeichen trage. Nachdem man fi überzeugt hatte, daß die
Summe ridhtig und auch fonjt alles in Ordnung war, wurde
dem Oberft der „Sitte“ gemäß eine Taſſe Waffer überreicht,
worauf ein fideles Zechgelage einjebte.
Dem Oberft wurden vom Führer aus dem erhaltenen Löfe-
geld der Betrag von hundert Franken, den diefer bei feiner
Gefangennahme von ihm „geliehen“ hatte, wieder mit Dank zu-
rüderjtattet. Dann wurde er aus der Waldwildnis in die Ebene
gebraht und, mit Nahrungsmitteln verjehen, freigelafjen.
Eine Verfolgung feitens der Behörden oder duch Truppen
fürchteten die Räuber nicht, ihre Hauptforge war vielmehr
Darauf gerichtet, zu verhüten, dab fie nach dem Empfang des
Löjegeldes nicht etwa von neidiihen „Rollegen“ angegriffen
würden. Deshalb hatte auch Niko als Huger und umfichtiger
Mann das Gerücht verbreitet, das verlangte Löfegeld betrüge
nur vierzigtaufend Franten. AM.
Kampf zwiichen einem Gorilla und einer Bulldogge. —
Zn einem Ausflugsorte in der Nähe von New Orleans bat
vor kurzem ein findiger Unternehmer ein ganz abfonderliches
Duell, einen Zweilampf zwiſchen einem Gorilla und einer
mädtigen englifchen Bulldogge, in Szene gejeßt. Es war zu
249 Mannigfaltiges. Oo
diefem Zwed in einem Gartenlotal ein Pla mit einem zwei
Meter hohen Bretterzaun abgegrenzt worden, innerhalb deſſen
fi) der Gorilla befand. Die Bulldogge wurde unter dem Beifalls-
gejchrei der aufgeregten Zufchauer, die zumeift auf den Gieg
des Hundes gewettet hatten, in die Arena gelaſſen. Sie ſprang
den Gorilla fofort wütend an, aber der zähnefletfchende Affe
fing den Hund gefchidt, wie man einen Ball fängt, mit feinen
langen Armen auf. Ein Biß in den Schädel der Dogge, ein
Krachen des Rüdgrates und alles war vorüber, In kaum zwei
Minuten hatte der arme Hund ausgelitten. 8.0.8.
Eine Antwort in Zahlen. — Ein tüchtiger, aber ver-
mögenslofer Ingenieur bielt bei einem Banlier um die
Hand feiner Tochter an. Die Tochter hieß Elifabeth. Der Va-
ter wies die Werbung ab, erllärte aber, daß der Ingenieur
wiederlommen möge, wenn er zu großem Dermögen ge-
langt fei. |
Der Ingenieur ging nach Amerika, wo er eine Erfindung
gewinnreich verkaufte, Er hatte jebt die Bedingung erfüllt,
die ihm der Banlier gejtellt hatte.
Nah fünf Zahren befuchte der Ingenieur feinen früheren
Wohnort. Es wurde hier bald bekannt, daß er in Amerika fein
Glüd gemacht hatte. Auch der Bankier, der in der Zwifchenzeit
durch verfehlte Spekulationen in feinen Vermögensverhält-
niffen ſehr zurüdgelommen war, erfuhr davon. Bei einer
Bufammentunft mit dem Ingenieur deutete er diefem an,
daß ihm jeßt eine Wiederholung der Werbung willtommen fei.
Der Ingenieur erwiderte, er werde fih die Sache überlegen
und ihm feinen Entfchlug fchriftlich mitteilen.
Zwei Tage fpäter erhielt der Banlier als Antwort einen
Brief. Zn ihm fchrieb der Ingenieur: „Sie werden wifjen,
wie ih mid zu Shrem Anerbieten ftelle, wenn Gie unter
die Buchstaben in dem Namen Zhrer Tochter folgende Zahlen
958741265 fchreiben und fie in der Reihenfolge
123 ufw. lefen.“ Th. ©.
m
Seraußgegeben unter verantivortlicher Redaktion von
Theodor Freund in Stuttgart,
in Oſterreich-Uugarn verantwortlid Dr. Gruft Berles in Wien.
Jugend
verleiht ein jartes, reines Gelicht, rofiges, jugendfrijches
Ausfehen, mweihe, fammetweiche Haut und ein blendend-
fchöner Teint. 2llles dies erzeugt SITE Te 17.
AXVVI
v. Bergmann & &9., Radebeul. a St.50 Pig. Überall zu haben.
Hut bü B
Barbarofla, Ronftanz. Pt Te en
Offene Weine, Münchner u. Fürſtenberg v. Faß. Büder. Herren-u. D.-Friſeur i. Hauſe. |
:: Union Deutiche Derlagsaeiellihaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig. :
E b & Vörterhuch der deutſchen Recht
r e ſchreihung. "Se" heuen Dres.
ichreibregeln und der Lehre von den Satzzeichen.
Zugleich ein Handbuch der deutihen Wortkunde und der Fremdwortver—
N fowie ein Ratgeber für Fälle ſchwankenden Sprad)- und Schreib=
gebraucd)s. Bearbeitet von K. Erbe, Rektor des Kl. Gymnaſiums in
Ludwigsburg. Dritte, nach dem neueften Stand der Rechtſchreibfrage bear:
beitete und erweiterte Ausgabe. 62.—11. Tanjend.
Bee ee 100000 MÖLLET
+ In dauerhaften Einband. Preis I Mark 60 pf. + *
— — 51 baben in allen Buchhandlungen. —— —
Bewährtb Kopfschmerz Uebeikeit, Magen uNervenleiden
Die Sp aller Hausmittel
u.millionenfach bewährt
istLichtenheldts echte
lbiegelite
ESSENZ
Man achte genau auf die
Schutzmarke:Licht,
dennnur diese bietet Garantie
fürEchtheit u.Wirksamkeit.
In den meisten Apotheken er:
hältlich,wonicht-versendet das
Laborat.Lichtenheldt
Meuselbach 4a (Thür.Wald)
12 FlaschenzuM.3,80,
nurbei 30 Flaschen franko
für Wiederverkäufer.
ee
WETTEN TTETGTZ
Union Deutjche Derlagsgejellihaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig.
Ein bewährtes Dolks- und Samilienbud:
as Bud) vom gefunden und
kranken Menſchen —
von Dr. C. E. Bock,
weiland Profeſſor der pathologiſchen Anatomie in Leipzig.
Siebzehnte, vollitändig umgearbeitete und vermehrte Auflage.
Neu bearbeitet von
Medizinaltat Dr. 3. W. Camerer.
mit 145 Abbildungen und 6 mehrfarbigen Tafeln.
In feinem Halbfranzband 8 Marf.
In meifterhafter und umfaflendfter Weife wird in diefem Werfe die
geijamte SHeiltunde nah dem heutigen Stande der Wiſſenſchaft gemein-
verftändlihh gemacht. — Bocks Buh vom gefunden und franfen Menjchen
darf als ein allzeit bewährter Ratgeber in gejunden Tagen und als ein
treuer Helfer in der Not bezeichnet werden. (Frankfurter Journal.)
... Es it eine ftaunenerre=
gende Leiftung, die uns in die—
jenı beinahe taufend Seiten
ftarfen Werke geboten wird, ein
wahres Univerfallerifon, das
auf jede Frage eine Antwort
gibt, und wir müſſen zuge—
fteden, daß dieje, Antwort ftets
gründlich und bei aller Ver:
ftändlichkeit in vornehm wiffen=
Ihaftliher Art gegeben wird.
Eine feine Bejonnenheit liegt
über der ganzen Darftellung ;
jo wird fie in neradezu glänzen=
der Weile jelbit jo Imuielos
Kapitel Herr, wie derjenigen
iiber die Proititution, fo bietet
fie goldene Lehren über Ehe
und über Erziehung, jo weiß
fie eindringlih vor Pfuſchern
und Homöopathie zu warnen
und über die „Naturbeilung”
aufzuklären. Genug, das Bod-
- Buch iſt ein hervorragendes,
in reihiter Erfahrung ges
reiftes, durchaus modernes Werk, da8 die Aufmerkſamkeit der Ärztewelt
verdient. (Mediziniſche Wochenſchriſft, München.)
Dampf nach Kneipp.
Zu haben in allen Buchhandlungen.
PUSCHENS Wersaur (Annan
„Preisgekrönt auf der Intern. Hygiene-Ausstellung Dresden 1911 mit der Silbernen Medaille.‘*
Bei der Aufnahme. Nach der Behandlung.
Rückgratverkrümmungen etc., selbst hoffnungslose Fälle, werden mit bestem Erfolg
behandelt. Ohne Operation — Ohne Gipsverband — Ohne andauernde
Bettruhe. Zander- und Röntgen -Institut. Schwedische und elektrische Massage.
Licht- u. andere Bäder sowie alle sonstigen Kurmittel. Prospekte u. Auskunft kostenlos.
Union Deutiche Verlagsgefellichaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig.
Ein Handbuc über die Entwicklung u.
den Stand der Technik, nebſt Angaben
über techniſche Schulen u. Laufbahnen.
Bon &. Neuderk,
Kaif. Marine-Baumeifter a. D.
11.—15. neubearbeitete und vermehrte
Auflage. Mit 397 Abbildungen.
Elegant gebunden 5 Mark 50 Pf.
Der Berfafjfer Hat es verstanden, den
umfangreichen Stoffdergejamten Technik
in diejem Handliden Kompendium jo
tar, allgemeinverftändlid, und üiberficht-
lid) zu behandeln, daß es nicht nur für
die Technifer vom Fach ein fchuelles und
bequemes Nachſchlagebuch iſt, fondern
auch jedem Laien wünjchenswerte Beleh-
rung über alle Zragen der Technik gibt.
Die Darftellungen und Erklärungen find
fo deutlich, außerdem jo anſchaulich
illuftriert, daß ſelbſt ein älterer Schüler
alles verftehen fann.
= (Leipziger Illuſtrierte Zeitung.)
Zu haben in allen Buchhandlungen.
SITY OF MINNESOT
LEINEN
WILSON
_ ANNEX