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Full text of "Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens 1912, Band 7"

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Inſerate in der Sibliothet der Unterhaltung und des Wiffens” haben infolge 


ſachgemäßer Derbreitung in allen Schichten der Bevölkerung dauernde 
Wirkungskraft. Wegen der Injertionspreije, insbejondere der Preije für Vorzugsfeiten, 
wende man ſich an die Anzeigengejchäftsjtelle der „Bibliothek der Unterhaltung und des 
Wiſſens“ in Berlin SW. 61, Blücherjtraße 31. +66449099994069999009000600090999 


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er I —— — 





Bibliothek 
der Unterhaltung 
und des Wiſſ ens 


Be 


— 





5Srobe 
& 2 | 


Zu der Erzählung „Die glüdlihe Stunde“ von Otto Behrend, 
(©. 18) 


Originalzeihnung von 9, Grobet, 





ibliothek ·— 
der Unterhaltung 
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Inhalts - Verzeichnis. 


* 
Seite 
Die glückliche Stunde. 
Erzählung aus dem alten Bompeji. Bon Dtto 
Behrend. Mit Bildern von 9. Grobet STE er > 
Der Makel. | 
Roman von Friedrih Zacobfen (Fortfegung) - - - 26 
Optifhe Feuerwehrfignale. | 
Bon Loth. Brentendorff. Mit 10 Bildern. . . - 86 
Die tragifche Note. 
Novellette von Rlara Blüthgen . . - . 908 
Der gerichtliche Zweikampf im Mittelalter. 
Bon Wilhelm Fiſcher. Mit 13 Bildern nah Ori— | 
gndlen 2 2 een. 11 
Ein Ehrenwort. 
Novelle von R. Ortmaın 2 2 een. 148 
Aus dem Wellengrabe. 
Don W. H. Geinbore. Mit 8 Bildern 6 
Die Hauskatze und ihre Spielarten. 
Yon Eh. Seelmann. Mit 9 Bildern.. 193 
Mannigfaltiges: 
Ein berühmter Spionagefall...203 
Die Reifggelte der Beni Mgab . » 0 en. 208 
Mit Bild, 
Ein fparfamer König. 2099 


Würmer als Berlenfabritanten . © 0... 21 


Snhalts-Derzeichnis. a 





= Seite 
Meritanishe Präfidenten . » » .. 0000 ..212 


Mann oder Weib? . 2 2 2 2 mn 2 2 2 2 2 916 
Mit 2 Biltern. 


Der erfte Bettler auf der Greifswalder Die . . . 219 
Wie der Rinematograph erfunden wurde . . . . 220 
Die Wahrheit über Freund Lampe . . 2 2... 222 
Eine Raupenplage im Winter . 2 2 2 2 2020..225 
Reipirator „Lungenheil“ . 2 2 2 en nenn 226 


Mit Bild. 
Eine folgenfhwere Obrfeice . -» 2 2 202020. %7 
Sonnenmafdinen . > 2 2 2 een nenn 229 
Bismarderinnerungen © > 2 2 2 2 nn nn. VB 
Die toh die Zeit vergeht! . . . . . 231 
Eine Tiroler Gemeinde im peruanifchen Sodlande . 234 
Gutenbergs Werlitatt . » > 2 22 nn nn. 234 
Mit Bild. 
Der Lebte vom Bzrufe feiner Bäter . 2. . . 236 
Schreibe leſerlich! . . . 
Zn griechiſchen Räuberhänden Gr — —— 253 


Rampf zwifchen einem Gorilla und einer Bulldogge 259 
Eine Antwort in Sablen . . 2 2 2 nenn. 240 


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— 





Die glückliche Stunde. 


Erzählung aus dem alten Pompeji. Don Otto Behrend. 


mit Bildern y 
von 5. Grobet. | Machoruck verboten.) 
m Grabmal des Ädilen Terentius Felix außerhalb 
des Herkulaner Tores trafen fie ſich. Nicht oft, 
denn es war nicht leicht für fie, fih zu gleicher Zeit 
einige freie Minuten zu verfhaffen. Aber wenn fie 
fih trafen, dann war es ein Herzen und Küffen, ein 
Plaudern, bald ernit, bald heiter, wie es die Art junger, 
lebensfreudiger Menfchentinder ift, die fich lieben. 

Sie waren beide arme Sklaven, und dod macten 
fie ſich glüdlibe Pläne für die Zukunft. Miccios 
Herr, Vibrius Saturninus, war Beſitzer einer großen, 
gutgebenden Tuchwalkerei, der junge Miccio einer 
feiner gejchidteften Arbeiter, der bisweilen ſchon mit 
der Beauflihtigung im Walkraum betraut wurde. 

am Scherzimmer arbeitete auch Blotilla, Die 
von ihrer Herrin, einer alten Witwe, auf Lohn ge- 
Ihidt wurde, Wenn es Miccio möglich war, machte 
er fihb im Scherraum einen Augenblid zu fchaffen, 
um mit PBlotilla einen Gruß zu wechſeln oder fie 
wenigjtens zu fehen. Aber er mußte vorfichtig fein, 
denn Saturninus liebte es nicht, wenn Unnötiges 
bei der Arbeit gefprochen wurde oder er gar Liebeleien 
bemeilte. „Dabei wird nichts fertig — arbeiten, 





6 Die glüdlihe Stunde. e) 


arbeiten!“ war feine ftändige Mahnung. Er war 
nicht gerade hart, aber oft mürrifcher Laune. 


„Plotilla, mein Seelden!“ 

Das hübfche, kräftige Mädchen flog in die aus- 
gejtredten Arme des Geliebten. 

„Ich warte fchon fo lange,“ fuhr er fort, „ich fürchtete 
Ihon, du kämſt gar nicht mehr.“ 

Er 309g die feinen Naden Umtlammernde in den 
Schatten des Grabmals und ftrich ihr das fchwarze 
Haar aus der feuhten Stirn, 

„ab mußte fo fjchredlih laufen, Miccio. Die 
Herrin hatte fo viel Arbeit für mich, als ih nah Haufe 
fam, Ich verzweifelte [hon daran, überhaupt weg- 
zutommen. Das hätte ih aber nicht ertragen. — Ob, 
wie fehne ich mich immer nad dir!“ 

Sie drängte Miccio zum Sitzen auf die fteinerne 
Einfaffung des Grabmals und hufchte auf feinen Schoß. 
Sie barg ihren Ropf an feiner Bruft. „Mein Miccio 
— mein lieber Miccio !“ 

„Tilla, Zilla — ob, wie ih dich liebe!“ Er bog 
ihren Ropf zurüd und küßte fie auf den Mund. Dann 
ab er ihr in die Augen. 

Da fchoffen ihr helle Tränen hervor, und nun 
richtete er ihren Ropf ganz auf und legte den Arm 
um ihre Schultern. 

„Höre mir zu,“ ſprach er und erzählte ihr, was er 
ihr Schon fo oft erzählt hatte, Saturninus müſſe zur 
alter Ceja gehen und Plotilla kaufen. Er, Miccio, 
babe Sie ihm ſchon als geichidte Arbeiterin gelobt — 
und wenn fie dann demjelben Herrn gehörten, fei ſchon 
viel gewonnen. Dann werde er eine Gelegenheit 
abpaffen — er jtehe ja in der Gunſt feines Herrn — 


0 Erzählung von Otto Behrend. 7 


und bitten, ob er fie heiraten dürfe. Und dann ſei ja 
alles nur Glüd und Wonne, und fie wollten auch 
ſchaffen, jedes für zehn, und vielleicht fünnten fie fich 
fürs Alter noch einmal die Freiheit erdienen durch 





bejondere Hingebung, Arbeitjamfeit und Treue, Und 
wenn auch das nicht, es fei Doch jchon des Glüdes 
genug, wenn fie fich, der gleichen Sttavenfamilie 
angebörend, beiraten könnten. 

„And wie ich Dich,“ ſchloß er, „jett bier ſehe, füße 
Tilla, dein fchwarzes Haar, deine Augen wie die Nacht, 
deine roten Lippen, die Zähne gleich Perlen, dein 


8 Die glüdlihe Stunde. 0 


Lächeln — ſieh nur, da lächelſt du fhon wieder — das 
Grübchen im Rinn, deine weißen Arme — o mein Seel- 
chen, fo will ich Dich immer feben, jeden Tag, bis unfer 
Haar grau ift und wir auf ein glüdliches Leben zurüd- 
jhauen. Glaube mir, unfere glüdlihe Stunde kommt.“ 

Das Mädchen hatte ſich beruhigt. „Ja, Miccio, ich 
will mich gedulden,“ fagte fie vor ſich bin nidend. 
„Die glüdlide Stunde muß ja fommen Ich will 
warten, Ich werde den Göttern Blumen bringen, 
daß fie uns hold find.“ 

Bald waren fie wieder ganz fröhlich ms BAQUDEREEN 
weiter von der Zukunft. 

„Es wird Beit, Zilla,“ mahnte endlich der junge 
Sklave Sich erbebend; „wir dürfen uns nicht ver- 
fäumen.“ | 

Mit herzlidem Ruß nahmen fie Abjchied vonein- 
ander. Dann eilte Blotilla davon, noch oftmals zu- 
rüdblidend und wintend. 

Miccio ſah ihr nach, folange er konnte, 

Ach, gar viele Wenn mußten noch erfüllt werden, 
bis Miccio und Blotilla zur heißerſehnten Vollendung 
ihres Glüdes gelangen konnten. | 

Aber Fortuna ſchien ihnen zu lächeln. Der Tuch— 
walter Saturninus vergrößerte feinen Betrieb, und da 
ſtand er fich beiler, wenn er noch mehr Sklaven und 
Sflavinnen antaufte, als folche nur für Lohn beichäftigte. 
Miccio benüßte die Gelegenheit und bradte Plotilla 
in Vorſchlag. 

Saturninus bieß ihn fie berbeiholen. Er kannte 
ihren Namen zwar aus den Rechnungstafeln, hatte 
aber noch nicht weiter auf fie geachtet, 

In begreifliher Erregung, zitternd in Hoffnung 
und Bangen, führte Miccio die Geliebte in die Schreib- 
tube des Herrn. 


DO Erzählung von Otto Behrend. 9 





Diefer mujterte das blühende, kräftige Mädchen 
mit einem langen Blide. 
„Du gebörft der Witwe Ceja?“ 


—— 





„Sawohl, Herr.“ 

„Wie lange arbeitejt du ſchon bei mir?“ 

„Mehr als ein Jahr.“ 

„Miccio lobt Dich als arbeitfam und anftellig. Du 
Icheinit gefund und fräftig. Ich beabfichtige dich zu 
faufen.“ 

„DO Herr —“ im ſeligſten Entzüden warf Plotilla 


[0 Die glüdlihe Stunde. a 


jib vor Saturninus nieder und küßte den Saum 
feines Gewandes. ans j | 

„Steb auf!“ befabl er lãchelnd. „Glaubſt du, daß 
deine Herrin dich verkaufen wird?“ 

„Ich glaube es, Herr.“ 

Saturninus ſah das Pärchen forſchend an, bemerkte 
auch wohl Miccios in zitternder Erregung glühende 
Wangen. „Liebeleien aber gibt's nicht, das merkt 
euch,“ ſprach er, „da kenne ich feine Nachſicht.“ 

. Diefe Worte waren ein Dämpfer auf die Freude 
der Liebenden, doch alles trat zurüd vor der erjten 
wichtigjten Frage des Raufes. 

Diefe löfte fich günftig, denn in den nächften Tagen 
ſchon wurde der Handel abgeichlojfen. Billig erhielt 
Saturninus die neue Sklavin nicht, aber es ar 
dafür auch eine gute Arbeitskraft in ihr. | 

Für Miccio und PBlotilla begann, trogdem fie die 
erite Stufe zu ihrem Glüd erjtiegen hatten, doch eine 
ſchwerere Zeit als früher. Sie fahen und fpracen fich 
zwar Öfter außer der. Arbeitszeit, da fie nun zu einer 
Familie gehörten, gemeinfame Mahlzeiten hatten und 
im gleichen Haufe wohnten, aber da gab es hödhitens 
einen Händedrud, einen verjtohlenen Ruß — fie mußten 
ſehr auf ihrer Hut fein. Am Grabmal des Terentius 
trafen fie fih nur noch fehr felten, da es fchwer für 
fie war, zu gleicher Zeit Ausgang zu erhalten. Gie 
durften den Auffeher nicht mißtrauifch machen, 

Aber fie harrten in Geduld, und am Tage nad) den 
Saturnalien, wo die Sklaven fich einmal den Anſchein 
der Herren geben durften, faßte Miccio noch im Froh— 
gefühl der kurzen Ungebundenheit ſich ein Herz, den 
Herrn zu fragen, ob er Plotilla heiraten dürfe. 

Der Herr war an den Öaturnalien immer fehr 
gnädig gewefen, das hatte ihm Mut gemacht. 


0 Erzählung von Otto Behrend. 11 


Saturninus ſah ihn Scharf an und überlegte, „Schon 
vier Sklavenkinder laufen mir herum,“ fagte er. „Es 
wird mir zu viel. Doch wenn die jüngften zur erjten 
Arbeit fähig find, dann mag’s fein. — 0 in so 
Zahren etwa, denke ich.“ 

Damit war Miccio entlaffen. Es war ziwar durchaus 
nicht die erfehnte Entfcheidung, denn zwei Jahre find 
eine gar ſchmerzliche Zrift für ein junges liebendes 
Paar. Uber ein klares Ziel ftand doch nun vor ihnen, 
So jubelte er, als er PBlotilla die Antwort des Herrn 
mitteilte, Er fam erſt am Abend dazu, kurz vor der 
Sclafenszeit. 

PBlotilla hörte nur — zwei Zahre. Sie ließ fich auf 
einen Säulenvorfprung nieder, frampfte die Hände 
im Schoß zufammen und weinte, Zwei Jahre. Wie 
follte fie das noch ertragen, täglich, ftündlich fo nahe 
dem Geliebten. 

Miccio ſchlich fih hinweg, um nicht mit ihr betroffen 
zu werden. Unſagbar fchwer war fein Herz geworden. 

Plotilla weinte die ganze Nacht auf ihrem Lager, 
auch Micciv lag ſchlaflos. Mit Bangen blidte er in 
die Zukunft. 

Als anderen Tages die helle Sonne lachte, ward 
Plotilla ruhiger, und ihr Entſchluß ftand feft, geduldig 
zu harren, ohne dem Geliebten das Herz zu bedrüden. 
Miccio freute fi, als er fie jo gelaſſen ſah und fie ihm 
unter berzlibem Händedrud klar ins Auge blidte und 
fagte: „Wir warten — auch zwei Zahre vergehen.“ 


Geduldig harrten fortan die Liebenden; erſt zäbl- 
ten fie die Monate, dann die Deladen, dann Die 
Tage. 

„Noch einundvierzig Tage!“ Miccio eines 


[2 " Die glüdlide Stunde. a) 
Morgens, als er an die Arbeit ging, zu Plotilla und 
trieb fich glüdlich die Hände. 

Noch einunddreißig Tage wollten fie warten, dann 
wollte Miccio den Herrn an fein Verſprechen erinnern, 
Zentula, das jüngſte Sklavenkind, war dann fieben 
Zahre alt, fie leitete ſchon feit einiger Zeit leichtere 
Dienfte in der Küche. 

„Bit du nicht glüdlih, Tilla? Nur noch einund- 
vierzig Tage! Und heute mittag iſt ſchon wieder ein 
halber vorüber. — Doch was haft du, was blidit du 
jo ängitlich?“ 

„Briscus,“ flüfterte das Mädchen, fich fcheu um- 
ſehend. | 
„Das ift’s mit ihm?“ 

„Er wird es nicht erlauben — id) fühle es. Er ift 
dir nicht wohlgefinnt.“ 

Alles Blut erftarrte Miccio im Herzen; wie betäubt 
itand er, regungslos Plotilla neben ibm. 

Das zweite Zeichen ertönte und fchredte fie auf — 
es war höchſte Zeit, an die Arbeit zu geben. 

Sehr langjam nur arbeitete der font jo rührige 
Miccio heute. Schwere Gedanten bewegten ihn, 
wie Bergeslaft lag es ihm auf dem Herzen. „Priscus 
wird es nicht erlauben,“ hatte Blotilla gefagt. Zimmer 
und immer wieder hallten diefe Worte in ihm auf, 
dunkel wurde es ibm oft vor den Augen, und ftechenden 
Schmerz fühlte er in den Schläfen. „Priscus wird 
es nicht erlauben!“ 

Menn das keine Täufhung war — und Plotilla 
lab Icharf, das wußte er, dann — er konnte es nicht 
ausdenfen — dann war alles verloren, Seine Fäufte 
ballten ſich, krampfhaft bohrten fih die Nägel ins 
Fleiſch. 


Priscus war der Neffe des Saturninus, ſeit kurzem 


DO Erzählung von Otto eu: 13 


als Zeilhaber in die Walterei. aufgenommen, ein 
berrifcher, finfterer Mann. | 

„Biſt du krank, Miccio?“ fragte der Auffeber, ber 
dem fonit ſtets fo eifrigen Sklaven gutgefinnt war. 

„Mir Schwindelt es fp im Ropf — 

„Wirſt dich geftern. bei dem Regenguß erfältet 
haben — gebt ſchon vorüber.“ 

Der Aufſeher wandte fich wieder ab. 

„Briscus wird es nicht erlauben!“ 

Nah und nah rang fih ein klarerer Gedanke in 
des unglüdlihen Miccivs Hirn frei. Saturninus, der 
Herr, war, wenn auch ernft und ftreng, jo Doch immer 
gütig gegen ihn geweſen. An ihn mußte er fichb wenden 
— glei, heute noch, ohne Verzug. DVielleiht gab es 
bei ihm noch Rettung. 

Gleich nad der Arbeit vor dem Mittagsmahl ließ 
er fich bei ihm melden. 

Zange dauerte es, bis der Vielbeſchäftigte vom 
Schreibtiſch aufſah. | 

Zitternd ſtand Miccio, Falter Schweiß lief ihm am 
Körper nieder. 

„Ras willft du?“ 

„Herr —“ ihm blieb das Wort in der Reble fteden. 

„Las foll das Geſtammel?“ | 

„Herr — du hatteſt die Gnade — du ſagteſt — ich 
dürfte die Plotilla heiraten, wenn das jüngfte Sklaven- 
find arbeiten könne. Schon viel hilft bie kleine Lentula 
in der Küche.“ 

Saturninus batte nur halb hingebört, denn er 
hatte andere Dinge im Kopf. Erſt allmählich kamen 
ihm die Worte Miccios zum Verftändnis. 

„Alſo das habe ich gefagt? Zch erinnere mich 
nicht — 


„Töte mich, o Herr, wenn ich lüge,“ 


14 Die glüdlihe Stunde. 0 





„Nur langjam, Miccio“ — Saturninus lächelte — 
„ich glaube dir ſchon, und ich werde einmal mit meinem 
Neffen Priscus fprechen, wie der darüber denkt. Sch 
habe fchließ- 
lich nichts da- 
gegen, wenn 
du jeßt Die 
Plotilla bei- 
tatejt.“ 

„Dank, o 
Herr, Dank!“ 
Am über— 












quellenden Gefühl warf ſich der Sklave zu den Füßen 
jeines Herrn nieder, | 

In diefem Augenblid trat Priscus ein, der Neffe, 
ein ftattlicher junger Mann, eine große Schreibtafel 


oO Erzählung von Otto Behrend. 15 
in der Hand. Er [hob den vor feinem Oheim liegenden 
Stlaven mit dem Zuß beifeite, ohne ihn weiter zu 
beachten. „Zch habe mir noch einmal genau vor- 
meſſen laffen, Oheim — fieh bier. Oder haft du 
mit dem da noch was zu fprehen?“ Er wies auf den 
Sklaven. | 

„Dein, du kannit gehen, Micciv. Es ijt weiter 
nichts, er hat mich nur gebeten, die Plotilla heiraten 
zu Dürfen.“ 

Miccio erhob ſich taumelnd, Furchtbare Angſt hatte 
ihn wieder beim Eintritt des Priscus gepadt. Doch 
an wortlofen Gehorfam gewöhnt, war er im Begriff 
fih zu entfernen, als ihn Priscus anrief. 

„Was — die Plotilla willft du heiraten, die aus 
dem Scherzimmer? Biſt wohl von Sinnen — das 
hübſche Ding und fo ein fchwarzes Tier wie du! Da 
wird nichts draus. Das macht fie zum Arbeiten nicht 
flinker. — Was ſtehſt du noch?“ herrſchte er den un- 
glüdlihen Sklaven an, „Haft du feine Ohren — es 
wird nichts draus. Und nun pade dic endlich!“ 

Seiner Sinne faum mädtig, wankte Miccio hinaus. 
Die ihn draußen fahen, entfeßten fih über fein aſch— 
fahles Gefiht. Wie ein Betrunkener ſchwankte er. 

„3b bin krank — laßt mich, laßt mich — ich) bin 
frant,“ preßte er zwilchen den Zähnen hervor, fchleppte 
fih in den Schlafraum und warf fi nieder. — 

Saturninus hatte fein Wort gejagt, denn er ftand 
unter dem Einfluß feines Neffen. Der wollte nicht, 
und da konnte eben die Sache nicht mehr in Frage 
tommen. 

Und doch fiel ihm nachmittags, als er durch Die 
Arbeitsräume fchritt, Miccivos fahles Ausfehen auf, 
der verftörte Blid, den er ihm entgegentichtete. 

Saturninus war gütig. „Miccio,“ fprach er, „ge- 


16 Die glüdlihe Stunde. D 
dulde dich. Mein Neffe ändert mit der Zeit vielleicht 
jeine Meinung.“ 

Miccio, der im Walkkeſſel ftampfend bin und ber 
trat, bielt inne, als der Herr ihn antedete. „Ich 
dante Dir, Herr,“ ſprach er jegt nach alter Gewohnheit 
vom eriten Rindeslallen an. Doc tonlos flang es. 

Saturninus ging weiter. Gleihmäßig jtampfte 
der Sklave wieder hin und ber. 

Abends warfen ſich Miccio und Plotilla nad 
flüchtiger DVerftändigung vor Priscus nieder. Ein 
wenig Hoffnung lebte doch noch in ihnen. 

„Das wollt ihr?“ berrihte Priscus fie an. 

„Gnade, Herr!“ 

„Ab, ihr feid’s, die ihr euch heiraten wollt! Das 
gibt’s nicht, ſchlagt eud) das nur aus dem Sinn. — Weg, 
du Wicht“ — er ftieß den jammernden Miccio mit dem 
Fuß ins Geſicht — „laß meine Toga los! Und wenn denn 
durchaus gebeiratet fein muß, Mädchen, fuhe ich Dir 
einen hübſcheren Kerl aus als den ſchwarzen Molch 
da. Für den bift du zu gut, fo ein reizendes Ping, das 
wahrlidy eber den Ruß eines römishen Bürgers ver- 
diente.“ 

Lachend hob er ihr das Rinn und füßte fie auf de 
Mund. " 

Das war zu viel für Miccio, Schwarze Wellen ſchoſſen 
ihm über die Augen, feiner felbjt nicht mehr mädtig, 
ſprang er auf und padte Priscus an der Schulter. 

Doch nur ein kurzer wahnjinniger Griff war es, 
dann ließ er ab, felbit entjeßt über das Ungebeuerliche 
feines Beginnens, 


Mie Gewitterfhwüle lag es über dem Haufe des 
Saturninus, Ein Sklave hatte die Hand gegen feinen 
Herrn erhoben! 


— Erzählung von Otto Behrend. 17 


Die Beitihe in der Fauſt gingen die Auffeber, 
zwei Freigelaſſene, umher. Grabesjitille herrfchte in 
den Räumen der Sklaven, nur angjtvolles Schleichen, 
verftörte Blide — kaum ein Atemzug hörbar. 

Das Undenkbare war geſchehen — ein Sklave 
hatte die Hand gegen feinen Herrn erhoben! 

Noch am Abend wurde im Eleinen Hofe vor den 
Fenitern der Schlafräume das Kreuz aufgerichtet. Sie 
ſahen es alle mit todesbleihen Gefichtern. Raum einer 
Ihloß in der Nacht ein Auge. 

Im Reller lag Miccio in Eifen an die Wand ge- 
ſchmiedet. 

„Erbarmen!“ hatte Plotilla noch einmal zu Priscus 
gefleht. 

„Er ſtirbt,“ hatte dieſer geantwortet und war kalt 
ſeines Weges gegangen, die Sklavin, die ſchluchzend 
zuſammenbrach, nicht weiter beachtend. 


Kahl und froſtig lag der kleine, von Mauern um— 
gebene Hof in der Frühe des Morgens; noch erreichte 
ihn die Sonne nicht. Verſammelt ſtand die ganze 
Familie der Sklaven, eine Herde bebender AUnglüds- 
geſtalten. 

Saturninus und Priscus kamen mit den freien 
Bewohnern des Hauſes. Auf einen Wink wurde Miccio 
hereingeführt, die Hände auf dem Rücken gefeſſelt, 
nur einen grauen Schurz um die Hüften. Er ging feſten 
Schrittes mutig dem Tod entgegen. Was war der 
Tod, was alle Qual, die er erdulden ſollte, gegen die 
Qualen der Bernichtung ſeiner ganzen Hoffnung. Er 
ging leicht und frei der Erlöfung entgegen — der Schlag, 
der ihn getroffen, war zu fchwer, die Nerven lagen wie 
eritarrt. 

1912, VIL 2 


18 Die glüdliche Stunde. 9 


Einen ſchnellen Blick ſandte der Verurteilte in die 
Runde und atmete auf. Plotilla war nicht zugegen. 

Zm tiefſten Schweigen wurde er zum Kreuze 
geführt. Dem Sklaven, der die Hand gegen feinen 
Herrn erhoben hat, gebührt kein Wort mehr. 

Sie durchſchnitten die Zefjeln der Hände und hoben 
ihn ans Rreuz. Weit redten fie den linten Arm, dumpfe 
Hammerfchläge ertönten, ſcharf fuhr der Nagel durchs 
Fleiſch, rinnend tropfte Blut. 

Kein Laut entrang ſich der Bruft des Gemarterten, 
faft ftrahlend blidte fein Auge zum Himmel. 

Ein menſchliches Gefühl padte den finfteren Briscus. 

„Halt!“ gebot er plößlich, als gerade der zweite 
Nagel an die rechte Hand gejegt wurde *). Sie hielten 
inne. Er wandte ſich zu feinem Oheim und flüfterte 
mit ihm — eine lange, furdtbare Zeit. Schwer war 
die Überredung, denn ein Sklave Bas die Hand gegen 
feinen Herrn erhoben. 

Wie Grabesfchauern zitterte es über der Schar 
der Sklaven. Zeit hielten fehnige Arme den Mann 
gegen das Kreuz gedrüdt. 

Da trat Saturninus vor, hoch hob er die Hand. 

„Löſt den Nagel,“ gebot er, „und bringt den Der- 
brecher in den Kerker zurüd. Auf Wunſch meines 
Neffen Priscus begnadige ih ihn zum Verkauf in Die 
bifpanifchen Bergwerke.“ 

Ein quellendes Aufatmen im erdrüdenden Schweigen 
des Meinen, menjchengefüllten Hofes. 

Ein langjamer, fchleihender Tod für die Qual 
weniger Stunden, nichts weiter bedeutete es — 
und doch ging ein Aufatmen durch die Herzen der 
Elenden. — — 


*“) Siehe das Titelbild. 





[2] Erzählung von Otto Behrend. 19 


Fern in Hilpanien lag in einem rauhen Hoctale 
der Pyrenäen eine Anjiedlung dürftiger Hütten, 
aus denen fih nur ein einziges, feit aus Steinen ge- 
fügtes Gebäude hervorhob inmitten riefiger Haufen 
aus Srümmergeftein. Verkümmerte Bäume an den 
iteinigen Hängen, hartes Gras auf der Zalfohle, in 
dem einige magere Maultiere und Ziegen ihre [pärliche 
Nahrung fuhten. Schwarz gähnte die Öffnung der 
Einfahrt ins Bergwerf, 

Dort arbeitete eine Schar von Männern unter 
Aufjicht einiger bewaffneter Wächter, das gejchürfte 
Geftein fondernd nah der Brauchbarteit. Es waren 
ihrer nicht viele, die meiſten fchafften unter der Erde 
vom Morgen bis zum Abend in dumpfer, feuchter 
Luft, in ewiger Nacht, die nur der kärgliche Schein 
der Grubenlichter durchbrach. Ab und zu wurde ein 
Wagen holpernd aus dem Schwarzen Schlunde hervor- 
gerollt, entladen und wieder vom Schlunde verichlungen. 
Rein lautes Wort, kein Lachen bei der Arbeit — ſelbſt 
das leichtefte Blut erſtarrte bier. 

Nur zweimal im Monat war mehr Leben für einen 
Sag. Dann traf um Mittag der lange Wagenzug der 
Kärrner ein, die die Erze zur Rüfte hinabbeförderten. 
Das war die einzige Verbindung mit der Außenwelt. 
Die Rärrner fchlugen ihr Lager auf, und anderen Mit- 
tags fuhren die fchwerbepadten, mit vielen Maultieren 
beipanriten Wagen auf fnirichenden Rädern wieder 
davon, Nur in diefer Zeit hörte man frohe menichliche 
Laute, — 

Wieder war der Tag da, an dem die Rärrner er- 
‘ wartet wurden, Dor einer der Hütten ſaß auf einem 
Steinblod ein grauhaariger Mann und mahlte Getreide 
auf einer im Boden eingelaffenen Handmühle. Mit 
zitternden, unficher taftenden Händen fchüttete er neue 


20 Die glüdlihe Stunde. s) 


Römer auf, wenn die alten zu Mehl verrieben waren, 
gleihmäßig drehte er die ſchwerfällige Rurbel, 

Ein rauher Wind ftrich talein, nur wenig wärmte 
die Sonne, die in trügeriſchem Gelb auf den Hängen 
lag. 

Zetzt horchte der Mann auf und ließ die Hand am 
Griffe der Rurbel ruhen. „Sie kommen,“ murmelte 
Miccio, der einjtmalige kräftige, lebensfrohe Sklave 
des Saturninus, und jeßte die Mühle wieder in Gang. 

Einförmig bewegten fih Arm und Hand, immer 
im Rreife, immer im Kreiſe; aber wer ihn fchärfer 
beobachtete, hätte wohl bemerkt, daß ein eigener 
Schimmer, ein finnendes, erwartungspolles Lächeln 
auf feinem welten Gelichte lag. 

Zwanzig Zahre fchwerer täglicher Arbeit unter der 
Erde hatten den Mann, der erit wenig über die Mitte 
der Dierzig hinaus war, zum kraft- und willenlofen 
Greiſe gemadt. Seit anderthalb Zahren drehte er 
nun die Mühle Tag für Tag, und nur zweimal im 
Monat horchte er auf. „Sie fommen!“ flüfterte er, 
und dann lag das eigene Lächeln auf feinem Gefichte, 
bis es langjam erlofch, wenn die Wagen aufgefahren 
waren und die Rärrner ihr Lager errichtet hatten. 

„Sie tommen!“ 

Da war der Sonnenfhimmer wieder auf den ver- 
witterten Zügen, und das Ohr horchte, während der 
Arm die Rurbel drehte im Kreife, immer im Reife. 

Näher und näher fam das Rnarren der Räder, 
das Knirſchen auf dem fteilen, fteinigen Pfade, Die 
Maultiere fhnauften, mit Lärm und Gejchrei trieben 
die FZubrleute fie an, Nicht ohne Laſt famen fie, denn 
mannigfahe Bedürfniffe hatte die Grube. 

Da eritieg der erſte Rarren die Anhöhe. Neben 
dem Kärrner ſchritt ein rüftiges Weib. 


— ________[__________— 


OD Erzählung von Otto Behrend. 21 





„Dort“ — der Mann wies mit dem Treibjtachel 
geradeaus — „dort ſiehſt du ihn figen und die Mühle 
drehen Tag um Tag — das ijt nie anders.“ 





„Dort — der — der Greis?“ fragte das Weib un- 
gläubig. 

„ga — der iſt's — Miccio, der Sklave aus Bompeji.“ 

Die ganze Wahrheit hatte der gutmütige Mann 
dem Weibe, das ihm gejagt, wen fie bier fuche, noch 
nicht verraten. 


22 Die glüdlihe Stunde. 0 

„Miccio — das ift mein Miccio !“ 

Plotilla eilte vorwärts in fliegender Haft — weit 
voraus den Geipannen. 

„Ein leihter Schritt!“ murmelte der Mann an der 
Mühle, mit [harfem Ohr horchend. „Ein Weib ijt’s,“ 
Er hob nicht den Ropf, gleihförmig drehte der Arm, 

„Miccio — Miccio! Bilt du es, mein Miccio?“ 
Sie blieb plößlich ftehen, angjtvoll die Hände erhoben. 
„Biſt du es wirklih, Miccio — biſt du es? — Laß mic) 
deine Stimme hören, dein Auge fehen! — Bilt du es, 
bift du es, mein Miccio?“ 

Der Arm rubte, der Mann bob den Ropf. „Ich 
bin’s, Plotilla — und du biſt es,“ ſprach er langſam, 
„ich weiß ja, du würdeſt kommen. Deshalb drehte ich 
Tag um Tag die Mühle, ohne zu fterben.“ 

Eintönig famen die Worte heraus. 

„ga, das ift deine Stimme, Miccio, mein Geliebter !“ 
rief da das Weib, „gebt erkenne ich dich, — Erkennſt 
du auch deine Plotilla wieder?“ 

„Es it deine Stimme —“ 

„And fonft ertennit du mo nicht. Bin ich fo fehr 
verändert?“ 

„Mein Auge fieht dich nicht — ich bin blind.“ 

Da ſchluchzte das Weib laut auf und warf ſich vor 
dem Manne ins harte Gras nieder, 


Don nun an ſaß Plotilla Tag um Tag neben 
Miccio, der feine Mühle drehte. . Sie erzählte ihm 
ihr Schidjal, und mehr und mehr nahm der Mann 
Anteil an ihren Reden, obwohl er. felbit noch fchweig- 
fam blieb. Er fand aud ein Lächeln wieder und 
trih ihr Disweilen über die Hand. 

Sie erzählte ihm, wie es ihr ergangen fei. Priscus 


oO Erzählung von Otto Behrend. 23 
Te ee 


hatte geheiratet, Saturninus war geſtorben, und fie 
war als erite Dienerin der jungen Herrin angeſtellt 
worden, Treu hatte fie ihre Pfliht getan, und die 
Hoffnung, ihren Miccio doch einſt noch wiederzufehen, 
war nicht in ihrem Herzen erſtorben. Aber nie durfte 
fein Name genannt werden, bei fchwerer Strafe war 
es verboten. Gie fparte von Gefchenten, die fie er- 
hielt, und jeden Seſterz barg fie in einem im Hofe 
vergrabenen Topfe. Sie hoffte ja, fie hoffte. Wie 
ihre Hoffnung in Erfüllung gehen folle, wußte fie 
freilih nicht — aber fie hoffte. “ 

Und endlich fam der Tag, da fie mit eigener Lebens- 
gefahr die zwei jüngjten Rinder des Priscus vom 
Feuertode rettete. Sie durfte fih eine Gnade er- 
bitten, jede fei ihr im voraus gewährt. Sie erbat [ich 
die Freiheit. 

„Ich würde mid freuen, wenn du auch als Frei- 
gelaffene in meinem Haufe bliebeft,“ ſagte Priscus. 

„Verzeihe, Herr, ich kann nicht.“ 

„And weshalb nicht?“ 

„ah muß Miccio fuchen.“ 

Zum eriten Male wurde der Name im Haufe 
wieder genannt. 

Priscus ließ es gejhehen. „Wenn er noch lebt,“ 
fagte er nad) einer Paufe. 

„Er lebt — ich fühle es hier,“ Sie legte die Hand 
aufs Herz. 

Schweigend ftand Priscus lange. „Gebe,“ fagte 
er dann, „ich werde dir noch fünftaufend Seſterzien 
auszahlen laffen, damit du nicht ohne Mittel bift.“ 

Dann kam die Erzählung von der Reife übers 
Meer, von mondelangem Wandern und Suchen. 

PBlotilla fprah mit dem Oberaufjeher, denn fie 
wollte Miccio freitaufen. „Dem wird nichts im Wege 


24 Die glüdlihe Stunde. 0 


itehen,“ ſprach der, „er iſt ja zu feiner rechten Arbeit 
mehr tauglich.“ 

Ein Bote ging ins Tal zum Befiter der Grube. 
Er kam mit guter Nachriht zurüd. Auch war der 
Preis für den faft unbrauchbaren Effer nicht nennens- 
wert. 

Das war ein Zubeltag für PBlotilla. Und aud 
Miccio lächelte — lächelte zum erjten Male wieder, 
Daß ihr vor Freude das Herz fpringen wollte, 

„Wir kaufen uns im Tale ein Häuschen, Miccio,“ 
fagte fie, „und die beiten Biffen follft du haben.“ 

„ga,“ entgegnete er, „und warte nur, ich werde 
auch wieder arbeiten können; habe nur ein Weilchen 
Geduld,“ 

„Arbeiten — nein, Miccio, das ift meine Sache. 
Ich bin ja noch rüftig, und unten laffen wir uns zu- 
fammengeben, denn wir haben ja die Zreibriefe. Dann 
find wir Mann und Frau, und unfer Glüd ift da, wie 
wir es fo heiß erfehnt haben am Grabe des Zerentius.“ 

Miccio nidte vor ſich hin. 


Mit den Kärrnern zogen fie zu Tal. Dor dem 
Prätor der nächſten Stadt ſchloßen fie den Ehebund. 
In einer Herberge mieteten fie fih zunädft ein. 

Und nun waren fie Mann und Frau, wie fie es 
einittmals fo heiß erſehnt hatten am Grabmal des 
Serentius beim Schlagen der jugendheißen Herzen. 

Plotilla hatte den Geliebten nah dem Nachtmahle 
in das Zimmerchen der Herberge geführt. 

Er faß auf dem Rande der Bettitatt. „Plotilla!“ 

Sie eilte herzu. „Tilla nanntejt du mid einjt — 
. mein Seelchen ſagteſt du.“ 

„Tilla, ja, Zilla, fo fagte ih — und mein Geel- 


0 Erzählung von Otto Behrend. 25 


hen!“ Er ſchwieg lange. „Und ja,“ fuhr er fort, 
„ich ſehe dich wieder, ja, und unverändert biſt du wie 
damals, Dein Rabenhaar, die [hwarzen Augen, dein 
roter Mund mit den fchimmernden Zähnen, Deine 
weißen Arme — und ja, da iſt es: das Grübchen im 
Rinn — ich ſehe es, ich fehe alles jo Kar, ganz bit 
du wie damals am Grabmal des Terentius.“ 

Zangjam, in der Erinnerung fuchend und mit der 
Hand tajtend brachte der Blinde die Worte heraus. 

Leiſe weinend ſtand Plotilla vor ihm. 

„And du bift jegt mein Weib!“ murmelte er, 

Dann ein langes Schweigen. Wie entgeiftert richtete 
der Mann die lichtlofen Augen in die Höhe. Plotilla 
war auf einen Stuhl bingefunten, hatte die Arme auf 
den Tiſch geworfen und den Mund darauf gepreßt, 
damit Miccio ihr heißes, leidenichaftlihes Weinen nicht 
höre. Ä a, 

Als fie endlich wieder aufblidte, lag Miccio lang 
auf dem Lager ausgeftredt. 

Er war eingefhlafen in Ruhe und Frieden. 

Zeile erhob fie fich und fniete neben ihm nieder, 

So rubig fchlief er, fo gleihmäßig atmete feine 
Bruft. Die linke Hand lag auf dem Herzen, die Hand 
mit der Narbe vom Rreuze. Und er fchien ihr. jegt 
friſcher, weniger gealtert. 

Und ftilles Glüd zog wieder in fie ein an dem 
Sage, den fie fo heiß einit erfehnt hatte am Grab- 
mal des Serentius fern in Pompeji. 

Die glüdlihe Stunde war doch noch gekommen. 


7 
% 






ae | De Be 





Der Matel. 


Roman von Frieoͤrich Jacobfen. 


($ortfeßung.) : (Nahdrud verboten.) 
De Amtsrichter war auf dem Wege nach der 

Springmühle. Man kann nicht ſagen, daß es 
der angenehmſte Weg ſeines Lebens geweſen wäre, 
abgeſehen von dem Unterſchied zwiſchen einer hellen 
Weihnachtsſtube und einer dunklen Regennacht. Aber 
die Pflicht rief, und ihre Ausübung wurde erleichtert 
durch eine kleine Diebslaterne, die Erna in aller Eile 
herbeigeſchafft hatte. 

„Damit gehe ich immer aus,“ ſagte ſie. 

Eichler ſetzte warnend hinzu: „Bisweilen geht die 
Laterne auch aus.“ 

Unterwegs grübelte der Amtsrichter. Um ein Zeita- 
ment tonnte es ſich nicht handeln, denn das war vor- 
handen; aber vielleicht galt es eine Abänderung oder 
einen Nachtrag. Der Protokollführer fehlte zwar, aber 
nah den Vorſchriften des Bürgerliden Geſetzbuchs 
tonnte der duch zwei Zeugen erjeßt werden. Der 
eigene Sohn des Müllers kam dabei als Erbe freilich 
nicht in Frage, aber es waren außer ihm noch zwei 
Berfonen in der Mühle: der Mahlburfche und die Haus- 
bälterin. 

Ob das denn wirklid fo dringend war? 

Auf Doktor Bergers Diagnofe konnte man fich nicht 


0 Roman von Ztriedrid” Zacobfen. 27 





abfolut verlaffen; wenn es aber dennoch fchlimm ftand, 
dann war der Müller Zahn jedenfalls ein Mann, der 
feine Sade in Ordnung hatte und fich nicht vom Tode 
überrumpeln ließ. 

Aber er ging auch nicht aus wie ein Licht, in das 
der Wind hineinbläft. 

Molff machte nämlich mit feiner Laterne dieje Er- 
fahrung. Sie war plößlich erlojchen, genau jo, wie 
der Oberföriter es vorausgejagt hatte, und der Amts- 
richter ftand da wie das große Geheimnis, von dem 
er vorhin zu Erna geſprochen hatte. 

Dann begann er fich zu orientieren. Hinter ihm 
lag das finitere Dorf, oben rechts am Waldfaum glimmte 
die Heine Lampe aus der Schufterfate, links unten im 
Sal das Krankenlicht des Müllers. Alſo mitten durch 
ging der Weg. 

Dieje Erwägung war fehr natürlich und naheliegend, 
aber fie peinigte den Amtsrichter. Er hatte das inſtinktive 
Empfinden, daß zwifchen diefen beiden Lichtern noch. 
fonft ein Zuſammenhang beitehen müſſe. 

Cs war eine Zorheit, es war eine Nachteule, es 
war ein Waldgefpenit. 

Das Gebell des großen Wolfshundes , den Sich der 
Müller hielt, kündigte die Ankunft des fpäten Gaſtes 
an. Guſtav kam heraus. 

„at es ſchlimm?“ fragte Wolff. 

„ach weiß nicht, Herr Amtsrichter, vielleicht hat der 
Doktor es erſt ſchlimm gemadt. Aber der Alte bat 
eine Unruhe, eine Unruhe — und er will mit Ihnen 
allein verhandeln, ich foll nicht dabei fein.“ 

„Dann ift es doch wohl eine Teſtamentsſache.“ 

„Was follte es denn fonjt fein, Herr Amtsrichter? 
Aber das Teſtament ift längſt gemacht, und die Ver- 

bältniffe liegen ja fo einfach.“ 


23 Der Makel. o 





Wenn fie aud gedämpft [prachen, ſo war ihre 
Stimme dod) vom Flur aus duch) die Stube und bis 
an das Bett des Müllers gedrungen. Man börte ihn 
mit dem Gehſtock klopfen, den er feit der Rrantheit 
am Ropfende feines Bettes ſtehen hatte. 

„Qun wird er fchon ungeduldig,“ fagte Guſtav be- 
trübt, „Das ift alles erſt in der lebten Zeit gekommen 
— feit dem Schwurgericht oder da herum; aber das. 
Schwurgericht kann doch nicht die Schuld daran tragen.“ 

Molff erfchrat, als er den Müller fab. Pas war 
ein Mann, der allerdings an einer Rrantbeit litt, aber 
Kräfte ſchienen noch vorhanden zu fein, denn er fuchtelte 
mit dem fchweren Eichenftod und ſchlug damit gegen die 
Wand. 

Die Krankheit lag mehr in den Augen. Der Richter 
hatte darin einige Erfahrung, und er beichloß, ſehr por- 
fichtig zu fein. 

Denn bei lettwilligen Verfügungen muß die Ge⸗ 
ſundheit des Geiſtes amtlich bekundet werden. Er ſetzte 
ſich daher neben das Bett und begann eines jener all- 
gemeinen Gefpräche, die nichts weiter als eine Sonde 
ſind. 

Aber er kam damit ſchlecht an. „Sie denken wohl, 
daß ich nicht bei Sinnen bin, Herr Amtsrichter?“ rief 
der Müller. „Matthäi am lebten kann es bei mit fein, 
das hat der Doktor wenigftens angedeutet, aber jolange 
.der Zahn die Augen offen hat, weiß er auch, was er 
tut, Dafür follten Sie mich fennen, Herr Amtsrichter.“ 

„Cs gibt auh Stimmungen,“ lenkte Wolff ein. 
„Man iſt unruhig oder man ſieht eine Sache zu fchwarz. 
Wenn aber das Gericht zur Stelle ift, dann follen dig 
Gedanten fo Ear und ftille fein wie das Wafler von 
einem Teich.“ 

Der Müller hob ein wenig den Kopf. „Hören Sie 


oO Roman von Friedrich Zacobfen. 29 





nur den Springbach, wie der raufcht! Das fommt da- 
von, weil er zu Tal gebt. Alles Leben ift unruhig, 
Herr Amtsrichter, wenn es fällt. Ich will mein Teſta— 
ment macden.“ 

„Das liegt Doch fchon bei dem Amt, Herr Zahn.“ 

„Weiß ih. Man kann aud abändern. ZH will 
einen Nachtrag zu Protokoll geben.“ 

„Dazu müffen wir zwei Seugen haben, denn ein 
Gerichtſchreiber ift nicht zur Stelle. Iſt Ihr Gefinde 
daheim?“ 

„Uber folhe Sache hängt man doch feinem Dienit- 
boten auf!“ 

„Ganz gewiß nicht, Herr Zahn. Sie können den 
Nachtrag auch felbft Schreiben — mit Angabe von Ort 
und Sag und mit Fhrer eigenhändigen AUnterjchrift.“ 

„So — kann ich das? Das habe ih nicht gewußt, 
fonit hätte ich Sie nicht bemüht, Mit dem Schreiben 
wird es wohl noch geben.“ 

„Aber,“ fagte Wolff, von einer plößlihen Ahnung 
ergriffen, „der Inhalt des Schriftitüds darf auch nicht 
gegen die Geſetze fein.“ 

„Natürli, Herr Amtsrichter, Die Gejeße find immer 
heilig. Uber — da Sie nun einmal bier find — es . 
wird wohl nicht gegen die Gejeße fein, wenn ich meinen 
Sohn enterbe — jelbitverftändlih nur für den Fall, 
daß er die Tochter des Schufters da oben heiratet.“ 

Da war der Zufammenhang zwilchen den beiden 
Lichtern, nah dem der Richter gefucht hatte, als fein 
eigenes Licht erlofh. Und der Zufammenhang war 
tar, Die Leute redeten ja davon, daß Guſtav und 
Annemarie zueinander hielten, und auf dem Vater des 
Mädchens haftete noch ein Verdacht. 

Ein Familienftüd aus dem fozialen Leben, wenn 
auch noch feine Tragödie. 


30 Der Matlel. a 


„Das ift aber gegen die Gejete,“ ſagte Wolff. 

Da fuhr der Müller auf. „Wer hat das Recht, ſich 
zwilchen mid) und meinen Sohn zu ftellen?“ 

„Die Natur, Herr Zahn. Das Gejeh geht auf ihren 
Wegen. Der Dater kann feinen Sohn nur enterben 
wegen Lebensnadftellung, Mißhandlung, Verbrechen, 
Verlegung der Alimentationspfliht oder ebrlofen 
Zebenswandels. Sn feine Liebe kann er nicht hinein- 
greifen.“ Ä 

„Auch nicht, wenn die Liebe ehrlos ift?“ fragte der 
Müller leife. 

„Sie ift es nicht, Herr Zahn.“ 

An der eintretenden Stille hörte man ein Läuten 
vom Dorfe dumpf und fchwer durch die NRegenluft. 
Chriſtnacht. 

Und der Richter ſagte etwas von der Größe und 
Heiligkeit der Liebe. 

„ga, ja,“ entgegnete Zahn, „das iſt alles ſchön und 
gut. Es ift nur eines dabei, Herr Amtsrichter: jedes 
Ding hat feine Urfahe. Alſo mit dem Nachtrag zum 
Teſtament ilt es nihts? Dann will ich Sie au nicht 
länger aufhalten.“ 

Wolff ging. Er konnte feine Laterne nicht wieder 
zum Brennen bringen, und Suftap, der draußen wartete, 
beitand darauf, ihn zu begleiten. 

„Nur bis an die Landitraße, Herr Amtsrichter,“ 
lagte er. „Der Fußweg gebt dicht am Springbad) ent- 
lang, und bei der Duntelbeit fönnten Sie verunglüden.“ 

Das nahm Wolff mit Dank an und meinte, daß 
es mit dem Alten da drinnen noch nicht jo ſchlimm ſtehe. 


Der Müller rappelte fih auf. Das Geipräd mit 
Wolff ſchien ihn mehr angeregt als aufgeregt zu haben. 


Oo Roinan von Friedrid Zacobjen. 31 





Er tleidete fi ziemlich vollftändig an und ging in die 
anſtoßende Wohnſtube. Dort brannte die Lampe, und 
die Wanduhr zeigte auf halb gehn. Das Läuten vom 
Dorfe hörte gerade auf. 

Zahn ſetzte fih an fein Schreibpult und zog die 
Platte auf. Der Schweiß lief ihm. dabei über das 
Geſicht, aber er biß die Zähne zufammen und kramte 
fo lange unter den Papieren, bis ihm ein reiner weißer 
Bogen in die Hände fiel. 

Den legte er vor fih hin und murmelte: „Ort und 
Sag, fo hat er gejagt. Alſo der fommt wohl oben hin.“ 

Und er fchrieb: „Springmühle bei Gröde, den 24. De- 
zember —“ 

Bei der Jahreszahl rutfchte ihm die Feder aus. Er 
feßte noch einmal an, aber es fam nur ein undeutliches 
Geſchnörkel heraus, was fein Menjch lefen konnte, 

„Cs gebt nicht,“ fagte der Müller, „der Doktor hat 
Doch recht, Der Tod ſitzt mir fchon in den Fingern, 
und diefe Nacht greift er bis ans Herz.“ 

Wie zur Beftätigung kam wieder ein Anfall von 
Atemnot, Er griff nah der Schelle. Als aber die alte 
Haushälterin hereintam, ging es ihm fchon wieder beifer, 
und er fagte: „Legen Sie fich nur ins Bett, Frau Welfch, 
ih babe nicht gerne, daß man meinetwegen wadt. 
Mein Sohn bringt wohl den Herrn Amtsrichter auf 
den Weg?“ 

„Nur bis zur Landſtraße, Herr Zahn.“ 

„Schön, dann wird er ja bald zurüdtommen. Alfo 
ins Bett und tüchtig gejchlafen. Der Burjche liegt wohl 
ſchon?“ 

Die Alte murmelte zwiſchen den zahnloſen Kiefern, 
daß man am heiligen Abend nichts Beſſeres tun könnte, 
als ſchlafen. Dann ſchlich ſie hinaus. 

Und der Müller ſaß vor ſeinem offenen Pult. Er 


52 Der Matel. Q 





hörte auf das Blätjchern des Negens und auf das 
Rauſchen des Mühlbades; als fein Wolfshund hinter 
dem Ofen hervorkam und ihm den Ropf u das Rnie 
legte, {hob er das Tier von Sid. 

Nach einer Weile kehrte Gustav zurüd. Die Haus- 
für ging, und der Riegel wurde vorgejchoben; man 
hörte im Flur das Hinhängen eines klatſchnaſſen Regen- 
mantels. 

Dann trat der junge Mann in die Stube, 

„Am Gottes willen, Dater, du biſt auf?“ 

„3a,“ fagte der Alte, „ich. tonnte es im Bett nicht 
aushalten, Es regnet wohl noch arg?“ 

„Nicht mehr fo ſchlimm. Überm Wald wird es heller, 
wir kriegen wohl noch ein bißchen Mondfchein.“ 

„Sp — dann hänge mal die Feniter zu.“ 

Es war eine Wunderlichkeit vom Alten, Er konnte 
fein Mondlicht leiden. Der Sohn tat ihm fchweigend 
den Willen, 

„un geb mal an die Schlaftammern von der Welich 
und dem Rlaus und horcdhe, ob fie fchlafen.“ 

Das war fchon feltfamer, aber frante Leute haben 


- Ihre Zaunen, und der Sohn erfüllte auch diefen Befehl. 


Als er in die Stube zurüdtehrte, war der Müller 
“nicht mehr vor dem Schreibpult, fondern am Tiſch in 
feinem Lebnftuhl, wo er gewöhnlich zu fißen pflegte, 
wenn er: las. 

„Schlafen fie?“ fragte er. 

„za, Dater.“ 

„So verriegle die Stubentür.“ 

Die Summe diejer Anordnungen, die alle mit ton- 
lofer, aber deutlicher Stimme gegeben wurden, machte 
einen unheimlichen Eindrud, und Guſtav war nunmehr 
davon überzeugt, daß fich je Dater im Fieberdelirium 
befinde. 


D Roman von Friedrich Zacobfen. 33 


— — 








Dennoch wurde es ihm wieder zweifelhaft, als das 
Geſicht des Alten ſich ihm plötzlich zuwendete, denn 
aus dieſen ehernen Zügen redete ein eiſerner Wille 
und eine unbeugſame Entſchloſſenheit. 

„Die Zahns find immer klaren Geiſtes geweſen,“ 
fagte der Müller, „Sie haben ihn bis in die lebte 
Stunde des Lebens bewahrt, du darfit nicht von mir 
das Gegenteil glauben. Setze dich mir gegenüber und 
gib forgfältig acht auf meine Worte — ich habe dafür 
Sorge getragen, daß kein Lauſcher in der Nähe iſt.“ 

Dann fchraubte er die Lampe etwas niedriger und 
legte die Arme vor fich auf den Tiſch. 

„Wenn ich tot bin, Guſtav, dann willjt du die Tochter 
des Schuhmaders Zakob Niemann heiraten — nicht 
wahr?“ 

„Ich bin bereits mit ihr verlobt, Vater,“ entgegnete 
der junge Mann feit. 

„Das hab’ ih gewußt. Aber aus .diefer Ehe darf 
nichts werden.“ | 

Guſtav ſah finfter vor fich hin. „Die Leute werden 


es freilich nicht gut beißen, Vater, denn die Unfchuld. 


Riemanns ift nicht klar bewiefen, er trägt noch immer 
einen Makel mit fih herum, Dielleicht kommt fie der- 
einft an den Zag, vielleiht auch nit. Sedenfalls 
tönnen wir unſer Glüd nicht davon abhängig machen.“ 

„Cs wird kein Glüd fein, Guſtav!“ 

„Warum nicht?“ 

„Weil die Natur dagegen iſt. Das Unglüd diefer 
Ehe wird ſo groß fein, daß ich willens war, dich zu 
enterben, Aber der Amtsrichter hat mich darüber be- 
lehrt, die Gejeße verbieten es, auf diefem Wege ift 
nichts zu erreichen. So muß ich den anderen Weg 
gehen,“ 

„Velden, Vater?“ 

1912. VII. 3 





34 Der Matel. D 


„Einen fchredlihen. Sieh noch einmal durd) die 
Für, dag uns niemand belaufcht.“ 

Während Guſtav mechaniſch aufitand und nach der 
Für fchritt, fchraubte der Müller abermals an der 
Zampe, fo daß es faſt duntel im Zimmer wurde, und 
dann ſagte er plöglich hinter feinem Sohne drein: „Daß 
du es nur weißt: nicht der Riemann hat den Forit- 
aufieher erſchoſſen. Ich felber bin’s gewejen. — So, 
nun iſt's heraus!“ 

Das war die Stunde, wo der Regen aufhörte und 
ein wenig Mondliht über dem Walde aufging. Wie 
ein Spion, der die tiefiten Geheimnifje zu ergründen 
itrebt, drängte er fih durch einen vergejjenen Spalt 
der Fenitervorhänge und hufchte verftohlen über die 
. Diele. Die zu tief niedergefhraubte Lampe aber er- 
loſch. 

Guſtav war auf einem Stuhl zuſammengebrochen, 
und der Stuhl ſtand weit weg von dem Tiſch, wo der 
Müller ſaß. Neben der Tür ſtand er, ſo daß die ganze 
Breite der Stube zwiſchen den beiden Männern lag. 

Zuerſt redete keiner, dann nahm der Alte wieder 
das Wort. 

„Zawohl, es iſt heraus, und nun kann ich wieder 
Atem holen. Aber ich dente doch, daß der Doktor recht 
behält. Morgen oder übermorgen ift es aus mit mit, 
ich fühle meine Beine nicht mehr. Willjt du mich weiter 
anhören?“ 

Reine Antwort, 

Der Müller horchte bin und jebte feine eintönige 
Rede fort: „Zotgefchoffen habe alfo ich den Walther, 
daran ijt nichts zu ändern. Und das ijt auch weiter 
nicht ſchlimm, denn er hatte ſchon auf mid) angelegt, 
ih kam ihm nur zuvor. Du mußt nämlidy wiſſen, ich 
bin feit Zahren ein heimliher Wilderer, einer von 


0 Roman von Friedrich Zacobfen. 35 





denen, die nicht jtehlen, fondern nur ſchießen. Einer 
von denen, die nicht anders können. Geerbt habe ich’s 
nit, es muß eine Rrantheit fein, die aus mir felbft 
kam. Es gibt ja fo viele Rrantheiten in der Welt, 
Mein Zwilling — na ja, den haben fie jeßt gefunden 
und zerbrechen fich darüber den Ropf. Auf mic ift 
feiner verfallen.“ 

Der Müller machte einen Verſuch zum Lachen, aber 
der Ton blieb ihm in der Kehle jteden. 

Er Sprach weiter mit trodener Stimme: „Alſo in 
der Nähe der Schufterkate trafen wir uns auf der 
Lichtung, und ich kam zuerft zum Schuß. Er lag tot 
vor mir. Das iſt Waldrecht. Was ic dann getan habe, 
das war fchlecht, ich ftreite es nicht ab, aber die Ge— 
legenheit machte ſich ſo. Nämlich: der Schufter wilderte 
auch in jener Nacht, ich hatte’ ihn gejehen, und wenn 
er mit dem Walther zufammengeraten wäre, hätte er 
auch geſchoſſen. Da ging ich die paar Schritte nach der 
Schuſterkate. Das Zeniter ftand auf, und die Ahle lag 
auf dem Fenſterbrett. Nun weißt du alles. Es bat 
mich gegrauſt, als ih dem Toten noch eins mit der 
Ahle verjegte, und hinterdrein ſah ich ein, daß ich eine 
Dummheit gemadht hatte, Aber die Dummheit von 
dem Ooktor war noch größer, und es fam hinzu, daß 
der Walther der Annemarie nachging — und fchließ- 
lih hab’ ih auch felber nachgeholfen.“ 

Abermals .eine Baufe, und das Dorneigen des 
Kopfes, und das Laufhen auf eine Antwort, 

„3a,“ ſagte der Müller, „es nimmt dich mit, es 
hat auch mich mitgenommen. Daß auch immer eins 
. aus dem anderen fommen muß! Man könnte darüber 
rein den Derftand verlieren. Denn der Meineid war 
das Allerfchlimmite, nicht von wegen den drei Fingern, 
aber weil der Schufter darüber ins Zuchthaus gelommen 


36 Der Makel. o 


—— 





iſt. Die Sache mit der Ahle war zu dumm, die allein 
hätte ihm nicht den Hals gebrochen — der Meineid 
von einem Ehrenmanne, der tat's.“ 

Da ging die Tür, 

Ganz leije ging fie, und der Müller wußte nicht, 
ob jemand kam oder ging. Aber es mußte wohl einer 
gegangen fein, denn nun klappte auch die Haustür, 

Zahn taftete auf dem Tiſch herum, bis er die Streich- 
hölzer gefunden hatte, und dann zündete er die Lampe 
wieder an und ſah fih im Zimmer um, 

Guſtav war fort, Die Ahr ging auf Mitternacht. 

„So,“ fagte der Alte, „nun find wir mit allem fertig, 
nun fann es ans GÖterben gehen. In den Beinen 
it das Gefühl ſchon weg, bis morgen fteht es am 
Herzen.“ 

Er tajtete und rieb an feinen Schenteln und wurde 
allmählich inne, daß ihm die Beine nur vor Schwäche 
eingejchlafen waren. Ein wenig Gefühl fam allmählid) 
zurüd, und zuletzt konnte er notdürftig aufitehen. 
Schwantend, fih an den Wänden feithaltend, fam er 
bis in die Rammer und an das Bett, Auskleiden konnte 
er fich nit mehr, wie ein Stüd Holz fiel er in die 
Kiffen, lag regungslos auf dem Rüden und fah an 
die Dede. 

Alſo allein und einfam fterben! 

Die im Haufe fchliefen und hörten ihn nicht. : Der 
Sohn hatte ihn verlajjen. Warum auch nicht? Zins 
Grab können wir doch keinen mitnehmen, und das 
Gejammer am Sterbelager iſt ſchreclich. 

Es wurde dunkel um den Müller. 


Dunkler aber war der Weg, den Guſtav ging. Das 
bißchen Mondlicht hatte die Chriſtnacht genarrt, es war 


Oo Roman von Friedrich Zacobfen. 37 





bald wieder hinter diden Wolken verfhwunden, und 
aus den Wollen begann es abermals zu regnen, 

Mechaniſch, ohne klaren Gedanken ging Gustav vor- 
wärts. Der Springbach raufchte neben ihm zu feiner 
Linken, daraus ertannte er einzig und allein, daß feine 
Füße der Landitrage entgegenfchritten. 

Als diefe erreicht war, blieb er fteben. Wohin wollte 
er denn eigentlih? Da oben in Gröde leuchtete noch 
ein einziges Licht, das fam aus dem Forſthauſe. Port 
ſaßen glüdlihe Menjchen beifammen. Der Amtsrichter 
war mit dabei. Dielleicht auch noch der Doktor. | 

Nein, der nicht mehr. Es fnarrte ein Wagen, Berger 
fuhr in feinem Einfpänner zu Tal, und weil er eine 
Zaterne mit fich führte, fiel der Lichtfchein auf Guſtav, 
der etwas beifeite getreten war. 

Da bielt der Arzt an. „Sind Sie das, Herr Zahn? 
Haben Gie hier auf mich gewartet? Es ift doch nicht 
Ihlimmer mit dem Alten geworden?“ 

Guſtav erklärte, daß es feinem Vater verhältnis- 
mäßig gut gehe, und Berger rüdte fi wieder auf 
feinem Siß zuredt. 

„Das kennen wir. Solche Zuftände wechſeln mit- 
unter ſehr raſch. Man foll ja niemals die Hoffnung 
aufgeben, aber ich würde Ihnen doch raten, auf Das 
Schlimmite gefaßt zu fein. — Hott, Lieſe!“ 

Das Schlimmite! 

Guſtav ftand noch eine ganze Weile und ſah dem 
allmählih entihwindenden Wagenlihte nah, Was 
war denn nun eigentlich das Schlimmite in dieſer ent- 
feglihen Lage — das Leben oder der Tod? 

Menn es ganz fiher und gewiß gewefen wäre, daß 
der Müller in allernächſter Zeit, vielleicht morgen oder 
übermorgen ſchon, fterben mußte, dann lag die Sache 
verhältnismäßig einfah. Der Amtsrichter übernachtete 


38 Der Matel. s| 








als Salt im Forſthauſe und konnte jederzeit herbei- 
gerufen werden. Sterbende find geneigt, ihr Gewiſſen 
. auch vor der irdifchen Gerechtigkeit zu entlajten, und 
wenn das Geftändnis erjt zu Protokoll genommen war, 
wenn alsdann der große Erlöfer und Sühner Tod fein 
Siegel daruntergefeßt hatte, jo war die Ehre des un- 
Ihuldig Derdächtigten wiederhergeitellt, und der Sohn 
des Täters hatte nichts weiter zu tun, als feinen Vater 
in der Stille zu begraben, 

Aber die Natur fpielt oft ein wunderbares Spiel, 
Es konnte auch der andere Fall eintreten, daß Die 
Entlaftung des Gewiffens der Natur zu Hilfe fam und 
der Tod ſich zurüdzog, um der Gerechtigkeit den Platz 
einzuräumen, 

Dann fam die peinliche Unterfuchung, dann kam 
das Urteil und die Strafe. 

Zuchthaus — vielleicht fogar das Nichtbeil des 
Henters, 

Guſtav hatte ſchon den Zuß gehoben, um nach dem 
Forſthaus hinaufzufteigen, aber er zudte wieder zurück. 
Es war unmöglich, es war unmöglid), die Natur fträubte 
ih dagegen, das Geriht zum Lager des Täters zu 
führen, folange diejer nicht ſelbſt darein willigte. 

Sa, wenn der Schufter noch im Zuchthaus gefeffen 
hätte mit dem fchredlihen „Lebenslänglich“ in der Lifte, 
dann wäre die Sache anders gewejen, dann mußte die 
Natur [hweigen und die Wahrheit aufjchreien — aber 
Riemann war frei, es handelte ſich nicht mehr um fein 
Leben, fondern nur um feine Ehre. 

Aur! 

Abermals rang Guſtav mit einem Entſchluß. Er 
wollte in die Mühle zurückkehren und ſeinen Vater auf 
den Knien anflehen, das Gericht herbeizurufen. Aber 
dann ſtand wieder jene unheimliche Szene vor ſeinen 


e Roman von Zriedrih Zacobfen. 39 





Augen, wie der Alte die Zeniter verhängen und die 
Für verjchliegen ließ, und wie er geflüftert hatte und 
zwiſchen den einzelnen Sätzen gelaufcht. 

Diejes Geftändnis war nicht für die Welt beitimmt, 
es wurde nur in das Ohr des Sohnes hineingeraunt, 
einzig und allein um eine Ehe zu verhüten zwifchen 
dem Sohne des Täters und der Tochter des Opfers. 

Er wird ſich fträuben, das Gericht herbeizurufen, 
er wird vor Angſt an einem Herzichlag fterben, wenn 
die Füße des Nichters vor der Tür find, 

Die Erinnerung an den Grund des Geftändniffes 
löfte zum erjten Male in Guſtav den Gedanten an feine 
Liebe aus. Während diefer lebten Stunde — denn 
mehr Zeit war wohl kaum verflojjen — war Anne- 
marie wie ein Schatten gewefen, der in weiter Ferne 
ſtand und immer mehr verblaßte. Nun trat fie plöß- 
lich hervor und wirkte wie ein Magnet auf das Eifen. 

Sie follte alles wiljen! 

Das war aud) ein unllarer Gedante, aber er lähmte 
doch nicht, fondern fegte fich in Handeln um, 

Gustav begann langjam die Halde nach der Schufter- 
fate hinaufzufteigen. Es regnete noch immer, und es 
wat jtodfiniter, man hörte nur das Raufchen des Waldes, 
und die lichtlofen Umriſſe des Haufes traten erft her- 
vor, als fie faſt mit der Hand zu greifen waren, 

Dom Oorfe her ſchlug es Mitternacht, drinnen 
ichliefen fie wohl fchon lange. 

Guſtav kannte die Gelegenheit; gleich rechts neben 
der Haustür lagen die beiden Feniter der Wohnitube, 
wo Riemann feine Werkitatt hatte und wo er au 
ichlief; dann um die Ede fam das Rammerfenfter von 
Annemarie. 

Und nun ſtand Guſtav davor. 

Was jetzt? 


AO Der Matel. D 






Menn er mit dem Mädchen reden wollte, dann 
mußte er es doch aufweden, dann mußte er an die 
Scheiben Elopfen, leife und heimlich, um Mitternacht, 
der Liebhaber am Fenſter feiner Liebiten. 

Sie wird aus dem Schlafe emporfahren, fie wird 
fragen, fie wird die flüfternde Stimme erkennen. 

Lieber Himmel, weldes Mädchen auf der ganzen 
Welt wird dann in folder Lage auch nur eine Sekunde 
im Zweifel fein über die Abficht des Geliebten? Gie 
wird ja fchelten, aber fie wird weinen und das Feniter 
öffnen. 

Und wenn fie die Arme um feinen Naden legt, dann 
foll er ihre zuflüftern: „Rühr mi nit an — ich bin 
der Sohn eines Totichlägers und eines Meineidigen! 
Mein Dater trägt die Schuld, daß dein Dater ins 
Zuchthaus wandern mußte!“ 

Unmöglidh! 

Guſtav ließ die Hand, die er ſchon aufgehoben hatte, 
wieder finten, wendete fi ab und ging geradeswegs 
in den Wald, 

Der nahm ihn auf in feiner ganzen finiteren Ein- 
famteit. Wege waren genug darin, aber der Regen 
hatte jie aufgeweicht, und die Duntelheit lie fie nicht 
ertennen. Es war ja auch gleichgültig, ob der taftende 
Fuß in den Geleifen der Holzfuhrwerke ging oder auf 
glitihigem Moos und über modernden Humus. Ks 
war ganz einerlei, ob fih hier Geftrüpp um die Knie 
widelte oder ob an einer anderen Stelle der naſſe Zweig 
einer Riefer über das Geficht fuhr. 

Gujtav hatte fein Ziel und fein Gefühl, er hegte 
nur einen einzigen Gedanten, der fich ihm immer tiefer 
in das Gehirn hineinbohrte: „Du mußt wandern und 
wandern, bis dein Vater tot ift, und dann follft du 
fein Geheimnis in die Welt hinausjchreien!“ 


0 Roman von Friedrich Zacobfen. 41 


Ob er wohl jet ſchon tot war? 

In der Mühle fchlafen fie, und weil es Feittag it, 
bis in den hellen Morgen. Der Herr des Hauses ift 
allein und kann fi nicht helfen. Vielleicht hat er ſich 
aufgerappelt, um ins Bett zu friechen, und unterwegs 
ist er auf der Diele hingefallen. Dann jteht der Hund 
neben ihm und ledt fein Geſicht. 

Und wenn das Geficht kalt geworden ift, dann febt 
er fih neben den toten Herrn und beult. — 

Ein paarmal ftürzte Guftav hin, und dann hatte er 
das Gefühl, er müßte liegen bleiben. Aber der Regen 
fiel auf ihn, und das Waffer quoll um ihn, und der 
Srieb zum Leben wurde in ihm wach. 

Er hatte doch keinen umgebracht, er hatte doch keinen 
Meineid gejchworen, durch feine Schuld war doc) nie- 
mand in das Zudthaus geftedt worden! 

Sp raffte er fih immer wieder auf und taumelte 
weiter, Zuletzt jtieß er mit der Stimm gegen irgend 
etwas, aber das war fein Baum, fondern eine Wild- 
hütte, wie fie an einzelnen Stellen verftreut ftanden 
und mit Heu gefüllt waren. 

Da kroch er hinein. Es war ganz ähnlich wie da- 
mals, als Riemann das Zuchthaus verlaffen hatte und 
in einer Scheune Unterkunft fand. 


Der Himmel hatte fib am Morgen nach Ddiefer 
Chriftnaht ausgeregnet, aber es ftürmte fo fehr, daß 
die Bewohner von Gröde, wenn fie auf der Gaſſe an- 
einander vorübergingen, ſich den Weihnachtsgruß zu- 
jchreien mußten. 

Einige aber traien zufammen in einen gejchüßten 
Mintel und raunten miteinander, und dann lief ein 
dunkles, unbejtimmtes Gerücht durch das Dorf, 


42 Der Makel. oO 





Der Müller Zahn fei tot. 

Unnatürli wäre es bei diefem Sterben in der 
Springmühle hergegangen. Denn das Gefinde hätte 
gefchhlafen, und der Sohn fei auswärts geweſen, und 
erit das Heulen des Hundes habe die Hausbewohner 
aufgewedt. 

Einige aber meinten, der Müller ginge nicht fo 
ſchnell um die Ede, denn in der Familie Zahn fei das 
hohe Alter Brauch. | 

Natürlich drang die Runde auch in das Forſthaus. 
Die Frauen glaubten daran und fühlten ſich bedrüdt 
unter dem. Fittih des Todes, der Oberförjter aber 
chüttelte den Ropf und vermißte die offizielle Beftäti- 
gung, die doch ihm als Standesbeamten zuerit zulom- 
men mußte. Der Amtsrichter Wolff war noch un- 
gläubiger, denn der Müller hatte auf ihn nicht den 
Eindrud eines Sterbenden gemadt. Hingehen oder 
hinjhiden aber wollte niemand. Es war, als ob der 
Springmüller plößlih allen Anhang und alle Freund- 
Ichaft verloren hätte, und außerdem fchidt es fich doch 
nicht, in einem Haufe nachfragen zu laffen, ob der Tod 
wirklich eingelehrt fei. 

Das muß von innen herauskommen. 

Aber zur Witwe Walther wollte der Amtsrichter 
noch hingehen. Er drängte ohnehin zum Aufbrucd, 
denn es war geitern abend zwar ſehr ſchön gemwejen, 
indeffen das Hereinfchneien des Doktors hatte Doch die 
Behaglichkeit gejtört und eine gründlihe Aussprache 
zwijchen den jungen Leuten verhindert, 

Das Verlobungseſſen war noch nicht gekocht. 

Erna begleitete den Gait die paar Schritte bis zur 
Hütte der Walther. 

„Die Alte ift mißtrauiſch,“ fagte fie, „vor Ihnen 
allein wird die Tür verſchloſſen bleiben. Und der 


2 Roman von Friedrich Zacobfen. 43 





Doktor hat fie geftern wohl noch ganz kopfſcheu ge- 
macht.“ 

Das war aber merkwürdigerweiſe nicht der Fall. 
Entweder hatte Martha Walther ihren hellen Tag oder 
die Schlauheit des Irrſinns machte fie vorſichtig. Als 
der Amtsrichter in Ernas Gegenwart davon anfing, daß 
die Leute ihr einen großen Haß gegen den Schuſter 
nachredeten, und daß der Riemann doch ſeine Unſchuld 
nachgewieſen hätte, da blieb ſie ganz gelaſſen und nickte 
mit dem Kopf. 

„Hat er das wirklich, Herr Amtsrichter? Wenn Sie 
das fagen, dann wird es wohl fo fein, und dann muß 
ih an einer anderen Stelle ſuchen. Man hat ja ein 
feines Gewehr im Walde gefunden — ſo fein, wie 
der Schufter niemals eines gehabt hat. Wer weiß, 
wer weiß, wie das alles zuſammenhängt?“ 

Ein Grund zum amtlichen Eingreifen lag fcheinbar 
nicht vor. Auch Doktor Berger war derjelben Anficht 
gewefen, und Wolff brach wieder auf. 

Die Alte begleitete das Paar bis an die Haustür; 
fie machte jogar eine ſcherzhafte Bemerkung, fo daß 
Erna errötete, und dann, als fie ſchon unter der Tür 
itand, flogen ihre unruhigen Augen plößlich nach der 
Springmühle hinunter, aus deren Schornftein ein 
leihter Rauch aufwirbelte. 

„alt es wahr, was die Leute jagen, Herr Amts- 
richter? Zit der Müller tot?“ 

„Zah weiß es nicht,“ entgegnete Wolff. 

„Ei, ei, fo n Mann! Achtzig Zahre find fie alle 
alt geworden. Aber das kommt davon, wenn einer 
bei Naht und Nebel im Walde herumläuft, anftatt in 
feinem Bett zu liegen.“ 

Der Amtsrichter ftußte und drehte ſich haftig nach 
der Alten um, aber Erna wintte ihm mit den Augen, 


44 Der Makel. = 








Die helle Stunde der Unglüdlichen war wohl vorüber, 
und es famen wieder die Srrlichter zum Vorſchein. 

Wolff war jehr nachdenklich geworden und fagte 
im Weitergehen: „Fräulein Erna, was war denn das? 
Der Müller bei Naht und Nebel im Walde?“ 

„Bhantafien!“ entgegnete das Mädchen. 

„Rann fie denn überhaupt etwas Davon wiſſen?“ 

„Das jchon. Sie geht wohl öfters des Nachts herum, 
und dann fieht fie Geſpenſter.“ 

Erna dachte wohl mehr an den Abfchied als an 
andere Dinge. Und bei dem letten Haufe des Dorfes 
gab fie ihm die Hand. 

„Auf Wiederfehen, Herr Amtsrihter! Wenn es 
Ihnen geitern gefallen bat — ganz aus der Welt liegt 
Gröde ja nicht.“ 

Und er entgegnete aus feinen Gedanten heraus: 
„Es war wunderjchön, Fräulein Erna, ih komme ganz 
gewiß wieder. DVielleiht bald — fehr bald fchon.“ 

Dabei fuhren feine Augen nah der Springmühle 
hinunter, und dann ſah er das Mädchen an, und dann 
ging er. 

Erna aber blidte hinter ihm drein, bielt den Hut 
im Winde feft und murmelte: „Sie find fih doch alle 
gleich, diefe Zuriften. Wenn ich ein ‚Fall‘ wäre, dann 
hätte er fich gewiß bis zum Mittagefjen halten lafjen.“ — 

Als Wolff in der Höhe der Schuſterkate war, ſah 
er jemand aus dem Wald beraustommen, einen Mann, 
den der Sturm vor fich ber trieb, und der volltommen 
erichöpft zu fein ſchien. 

Es war Guftav Zahn. 

Barhäuptig, mit einem blutbefledten Tuch um die 
Stirn, fchritt er wie im Traum vorwärts, kreuzte auf 
zehn Meter Entfernung den Weg des Amtsrichters und 
bog querfeldein nach der Springmühle ab. Er hatte 


D Roman von Friedrich Zacobfen. 45 


— 





den anderen offenbar gar nicht geſehen und wendete 
auch nicht den Kopf, als Wolff hinter ihm drein rief. 

Nun, das kann vorkommen. Es kann geſchehen, 
daß einer, der bei Sturm durch den Wald geht, von 
einem niederfahrenden Aſt getroffen wird und die Be— 
ſinnung halb verliert. Aber kann es denn auch geſchehen, 
daß der Sohn im Walde herumſtreift, während der 
Vater auf dem Sterbebett liegt? 

Amtsrichter Wolff ſetzte kopfſchüttelnd ſeinen Weg 
fort. Erna hatte richtig vermutet, in feinem Hirn be- 
gann ſich ein „Fall“ zu entwideln, aber die Fäden liefen 
jo wire durcheinander wie bei dem GSeidenitrang, den 
Erna geitern abend abgewidelt hatte. 

Und fie war troß richterlicher Hilfe nicht damit zu- 
ſtande gekommen. 


Bis in den hellen Tag hatte Guſtav halb betäubt 
von dem Stoß gegen die Stirn in der Wildhütte ge— 
legen. Dann weckte ihn das Brauſen des Sturmes. 

Am liebſten wäre er geblieben, wo er war. Es hatte 
ſich ſeiner eine Art Apathie bemächtigt, die nur durch 
einen einzigen Gedanken wieder aufgerüttelt wurde: 
Sekt ſtirbt der Vater! 

Er mußte ja ſterben, das andere war gar nicht aus- 
zudenken; wenn irgend jemals auf Erden, ſo war in 
diefem Falle der Tod die einzige Löfung aus allem 
Mirrfal, Der Himmel müßte verjchloffen fein und feine 
Barmberzigkeit ein Wahn, wenn es anders kam, 

Und Gustav wühlte fich in diefen Gedanten hinein. 
Es wurde ihm fchließlich ganz feierlich zumute, und er 
Dachte daran, daß der Mann, den fie in den nächiten 
Fagen mit Ehren begraben würden, ihm doch immer- 
bin nahe geitanden hatte, Mochte feine Schuld noch 
io fchwer fein, die fühnende Mutter Erde follte ihn erft 


46 Der Matel, n 





bededen, bevor das Scherbengericht der Welt feinen 
Anfang nahm, Man durfte doch auch nicht vergeſſen, 
daß der Beginn feiner Untat im Volksbewußtſein wur- 
zelte und die Folgen ſich alsdann mit unerbittlicher 
Notwendigkeit ergaben. 

Solange der Wald raufchte, hielt dieje feltjame 
Stimmung an. Aber als Guſtav dann auf die Land- 
itraße hbinaustrat, als er die Springmühle unten im 
Grunde liegen fah und jeder Schritt ihn der Gewißheit 
näher brachte, da empfand er plößlich ein rafendes Herz- 
tlopfen. Das Haus des Todes mag in feinem Innern 
noch fo fehr die Spuren der Trauer oder der Gitte 
tragen, von außen fieht man ihm nichts an, es ift wie 
jeder andere Bau — felbit ein rauchender Schlot be- 
rechtigt nicht zu Schlußfolgerungen, denn die Lebenden 
wollen eſſen und trinken, 

Die Springmühle madte wohl einen ftillen Ein- 
drud, aber es war hoher Feiertag, da dreht ſich nicht 
das Rad, und da regt fih nicht das Gefinde. 

Aber das Rammerfenjter des Müllers war nicht 
verhängt. Man tut das fonft, folange der Tote auf 
feinem Bett liegt, bejonders auf dem Lande find die 
Zeute unerbittlih in der Beobachtung althergebradhter 
Bräuche; fie drüden dadurch einen großen Zeil ihrer 
Trauer aus, 

Der Wolfshund des Müllers lag vor der Haustür 
an einer vom Winde gefhüßten Stelle. Das war fein 
altgewohnter Lieblingsplat, und er hatte auch heute 
dieſe Gewohnheit nicht aufgegeben, Dann ftand er auf, 
fam dem Sohne des Haufes jchweifwedelnd entgegen 
und ſchob die Schnauze vertraulid in deijen Hand. 

Das tut fein Hund, deſſen Herr geftorben ift, fon- 
dern er verkriecht fich oder lagert vor der Tür des 
Sterbezimmers. 


Oo Roman von Friedrih Zacobfen. 47 





Auf dem Hausflur framte die alte Welſch in einer 
Srube, Sie war fo lange in der Familie, daß fie den 
Sohn noch mit Vornamen anredete, und als fie feiner 
anfihtig wurde, jchlug fie die Hände zufammen, 

„Na, Guſtav, das muß ih fagen! Wo in aller 
Melt find Sie denn gewefen? Zt das eine Urt, bei 
Naht und Nebel wegzulaufen und uns hier in Not 
und Sorge allein zu lafjjen?“ 

Dann fah fie, daß er nach der Wand taftete, und das 
Mitleid gewann in ihr die Oberhand, 

Sie legte die Hand auf feinen Arm und begann 
haſtig zu flüftern. „Sie brauden nicht zu erfchreden, 
Guſtav, über das Schlimmite find wir ja nun hinweg. 
Aber diefe Naht dachten wir wirklich, daß es zu Ende 
ginge. Wenn der Tiras nicht jo arg gebellt hätte, wäre 
ich ja wohl gar nicht wach geworden, aber jo fand ich 
Shren Vater in feinem Bett, und die Befinnung war 
ganz weg. Da habe ih ihm naſſe Tücher aufgelegt, 
jo daß er wieder zu fih fam, und dann verlangte er 
einen ſtarken Kaffee. Es iſt der Umfchlag gewefen, 
Guſtav, jegt in der heiligen Naht, denn nun geht es 
ihm viel beffer, und er wollte ſchon aufitehen, aber das 
babe ich natürlich nicht gelitten.“ 

So ging die Rede wie der Mühlbah draußen, und 
Guſtav hielt fih noch immer an der Wand, 

Die Alte verjtand das auch ganz gut, denn .es ijt 
doch keine NRleinigkeit, wenn man fort gewejen ijt und 
der eigene Dater ftreift indejjen das Grab, Gie ftreichelte 
ihm die Baden, faßte ihn an der Hand und zog ihn 
nach der Stube. 

Da war es unmöglid, fich von ihr loszumachen und 
wieder fortzulaufen, und er ging mit fchleppenden 
Schritten hinein, während Frau Welſch die Tür hinter 
ihm ſchloß und in der Truhe mweitertramte. 


48 Der Mattel. oO 





Der Müller ſaß aufrecht im Bett. Sein fcharfes 
Ohr hatte ſchon gehört, daß Draußen irgend etwas vor 
fih ging, er wußte nur nicht gewiß, ob es der Sohn 
war oder jemand anders. Es konnte auch ein anderer 
fein, zum Beifpiel der MWachtmeifter Runge oder der 
Amtstichter felbit. 

Als er den Eintretenden erkannte, löjte ſich die 
Spannung in feinen Zügen um ein geringes, aber 
Mißtrauen und Zucht blieben noch immer zurüd, 

„So,“ fagte er, „alfo du kommſt doch endlih! Geit 
gejtern abend, feit der Amtsrichter hier war, liege ich, 
wie man mir erzählt, in wilden Fieberphantafien. Das 
tollite Zeug foll id) zufammengeredet haben. Und 
mein eigener Sohn läßt mich im Stih! Pir wäre es 
wohl recht gewesen, wenn ich nicht wieder zu mir kam, 
denn die Springmübhle iſt doch ein ſchönes Erbe!“ 

Das aljo hatte er ſich ausgejonnen in dieſen lebten 
Stunden! Er war auf den tollen Gedanken getommen, 
fein ganzes, von der Todesfurcht erpreßtes Geftändnis 
als eine Zieberphantafie hinzuftellen, jegt, wo der Tod 
die Hand wieder von ihm abgezogen hatte! 

Guſtav ſetzte fih auf einen Stuhl, Nicht fo weit 
entfernt wie in der verfloffenen Nacht, denn die Rammer 
war nicht fo groß wie das Wohnzimmer, aber doc 
dicht an die Wand und in fich zufammengedrüdt. 

Und fo blidte er feinen Vater wortlos an. 

Der wurde immer unrubiger und ſchlug mit der 
flahen Hand auf die Dede. „Warum redeit du nicht?“ 

„Was foll ich reden?“ 

„Was ich von dir hören will!“ 

Ein Schritt näher an die Wahrheit. Der Alte ſah 
offenbar ein, daß er den Sohn nicht überzeugen konnte, 
und er taftete jet nur nach einem geheimen Einver- 
ſtändnis. In Worte überfebt, hieß das etwa: „Wir 


— — — 


0 Roman von Griedrih Zacobfen. 49 


wiſſen ja, wie wir miteinander ftehen. Aber zwiſchen 
uns beiden foll niemals davon die Rede fein. Wir 
wollen fo tun, als ob alles ein Fieberwahn gewefen 
wäre, und fo können wir nebeneinander her leben.“ 

Guſtav raffte fih endlih auf, Er deutete hinter 
lich duch die offene Tür nach der Wohnftube und fagte 
leife: „Da drinnen haben wir gefeffen — du am Tiſch 
und ich neben der Tür, du haft die Lampe ausgelöfcht 
und mir alles erzählt. Dann bin ich in die Nacht hin- 
ausgelaufen. So war es und fo bleibt es — da hilft 
fein DVerftedipielen,“ 

Der Alte änderte jebt fein Benehmen. Pie kühle 
Ruhe, das Erbteil feiner Familie, ſchien plöglich über 
ihn gelommen zu fein. Er ftüßte fich auf den Ellbogen 
und ſah feinen Sohn ſcharf an. „Halt du mid ſchon 
angezeigt?“ 

„Nein. Zch war die ganze Naht im Walde,“ 

„Wirſt du mich anzeigen?“ 

„Dein — das kann ich nicht.“ 

„Was verlangft du von mir?“ 

„Daß du felbit auf das Gericht gehſt.“ 

„Hm,“ meinte der Alte, „bisweilen ift mir der Ge- 
dante ſchon felbit gelommen — während der drei Jahre, 
wo der Schufter faß. Damals habe ich es nicht getan, 
jebt, wo er frei ift, werde ich es erſt recht nicht tun. 
Lieber häng' ih mich auf.“ 

„3b hatte gehofft, daß du diefe Nacht fterben 
würdeft,“ fagte Guſtav leiſe. Er fühlte das Graufige 
feiner Worte, aber fie mußten heraus, es ging nicht 
anders. 

Der Müller ſchien ein Verftändnis dafür zu haben, 
denn er nidte. „Das beite wär’s gewejen. Dann 
hätteſt du natürlich alles offenbart?“ 


„3a.“ 
192. VI, 4 


50 Der Matel, a 





„Der Doktor ift an allem ſchuld,“ ſagte Zahn, „denn 
ich glaubte wirklich, es ginge mit mir zu Ende. Aber 
der Teufel will mich noch nicht haben. Wenn ich mic) 
nicht doch aufhänge, dann kann ich noch lange leben. 
Schön iſt das Leben freilih nicht.“ 

Er madte eine Pauſe und ſah nah dem Sohne 
hinüber, Dielleiht ging der je&t hinaus und holte ihm 
jelbjt den Strid, Es ift ſchon alles auf der Welt da- 
gewejen. 

Guftav hatte ſich auch wirklich erhoben. Was zwifchen 
ihm und diefem alten Manne erörtert werden mußte, 
das war in wenigen inhaltihweren Worten gejagt 
worden. Nun kam das Handeln, une da gab es nur 
einen einzigen Weg. 

„Ich denke, du wirjt ohne mid in der Mühle aus- 
tommen,“ fagte er, die Augen auf den Fußboden ge- 
richtet. „Während meiner Militärzeit ift es wenigjtens 
gegangen, und vielleicht bleiben die Leute auch nad 
und nad fort. Den Rlaus würde id an deiner Stelle 
halten, er verfteht feine Sache und ift treu — die 
Welſch gehört ja jowiefo zum Haufe, Und das wäre 
wohl alles, oder halt du noch einen befonderen 
Wunſch?“ 

Den hatte der Müller nicht, oder höchſtens empfand 
er das Bedürfnis, wieder allein zu fein. Es war ja 
ganz felbjtverjtändlih, daß der Sohn [ih von dem 
Dater trennte, denn Mitwiffer einer Schuld können 
nur aufammenleben, wenn ihnen das Gewiljen ein- 
geichlafen ijt, und auch dann müjjen fie auf den Zuß- 
ſpitzen ſchleichen. 

gahn ſtellte nur noch eine halbe Frage. „Ich möchte 
wenigitens wifjfen, wo du hingehſt. Es ift wegen Leben 
und Sterben,“ 

„Das kann ich jelbft noch nicht jagen. Ich will 


D Roman von Friedrich Zacobfen. 51 





irgendwo eine Stelle fuhen — als Müller oder im 
Kornhandel. Die Welt ift groß genug.“ 

Dann verließ Guftan die Kammer. Es war fein _ 
Verſprechen fchriftlihen Verkehrs gefordert oder ge- 
geben worden, und der Müller wußte auch ganz genau, 
Daß eine derartige Zufage in den Wind flog. Diefes Aus- 
einandergehen war gerade fo gut oder fo fchlimm wie 
der Tod, nur daß wir nach dem Sterben noch ein Grab 
haben — und bisweilen eine Erinnerung zurüdlafjen. 

Übrigens brauchte der Sohn des Haufes nicht viel 
Zeit, um feine Angelegenheiten zu orönen, Zn feiner 
Rammer, Wand an Wand mit dem Alten, Heidete er 
ih um, ftedte ein Sparkaſſenbuch über etwa taufend 
Mark jowie feine Militärpapiere in die Brufttafche und 
nahm feinen Handitod, 

Auf dem Hausflur fam ihm die Weljch in den Weg. 
Sie hatte natürlich keine Ahnung und fragte, wo es 
nun ſchon wieder hingehen follte; aber Guſtav ent- 
gegnete ganz kurz, daß er für den Vater eine Gefchäfts-. 
reife machen müffe und den Tag der Rüdkehr nicht 
beitimmen könne. Sie fah ganz verwirrt hinter ihm 
drein, aber da fiel ſchon die Haustür ins Schloß. 

Das lebte Geleit gab ihm Tiras, der Wolfshund, 
Er glaubte wohl an einen Heinen Spaziergang und 
trottete hinterdrein, aber oben an der Landſtraße trieb 
Guſtav ihn zurüd und hob eine Erdfcholle auf, als das 
treue Tier nicht gleich gehorchen wollte, Er warf ſie 
auch, aber ohne die Abficht zu treffen, und fo fchied 
er von feinem väterlichen Erbe mit jener ſymboliſchen 
Handlung der alten Germanen, wenn fie als Geächtete 
in die Welt hinauszogen. 

Ein ſchwerer Weg blieb ihm noch übrig: der fteile 
und mit Geröll überjäte Steig, der nach der Schufter- 
kate hinaufführte. 


52 Der Makel. og 


nn a en msn nenn —— — — 





Aus dem Chaos der Gedanten, die auf Guſtav ein- 
ftürmten, tauchte nur ein einziger mit Rlarheit empor: 
folange der alte Mann da unten in der Mühle lebte, 
mußte auch fein fchredlihes Geheimnis bewahrt bleiben; 
feine Moral der Welt, ob alt oder neu geprägt, konnte 
von dem Sohne verlangen, daß er der Henker des 
eigenen Vaters wurde, Erſt der Tod des einen konnte 
das Brandmal von der Stirn des anderen hinweg- 
löfchen, aber bis dahin war eine Ehe zwiſchen den 
Rindern diefer beiden Männer ein Ding der Unmög- 
lichkeit. | 

Sie hatten einander ihr Wort gegeben, und die 
Einlöfung des Wortes follte erfolgen, wenn der wirk- 
lihe Täter entdedt war — man konnte die Sachlage 
mit einem Roten vergleichen, der fich immer fejter 
ihlingt, je mehr die Hände daran zerren. 

Nun wurde er zerjchnitten. 


Die Schuiterkate lag einfam wie immer und vom 
Sturm umweht. Guftav ſchlich fich um das Haus, denn 
er ſah Riemann troß des Weihnachtstages in der Wert- 
statt fiten, und fühlte, daß ihm der Mut fehlte, dieſem 
Manne unter die Augen zu treten. Aber an der anderen 
Seite der Hütte ftand das Fenſter von Annemaries 
Schlaftammer offen, Das Mädchen war drinnen und 
verrichtete irgend eine häusliche Arbeit. 

Unter den Bäumen des Waldes ftebend, wintte 
Guſtav ihr mit der Hand. Erit ſah fie es nicht, dann 
fuhr eine helle Glut über ihr Geficht. Sie verließ die 
Rammer und erfchien nach) einer Weile vor der Haus- 
tür. Shre Haare und ihre Kleider wehten im Winde. 

Guſtav wintte nochmals und deutete in den Wald. 
Er ging voraus und hörte, wie das Mädchen ihm folgte 


0 Roman von Friedrich Zacobfen. 53 





— immer tiefer in das Gebüſch, bis fie auf der Tich- 
tung aufammentrafen, wo man damals den erjchofjenen 
Foritwart aufgefunden hatte. 

Sie merkten das erit, als fie einander gegenüber- 
itanden, und es fuhr ihnen wie ein Schlag durch die 
Glieder, 

Dann fragte Annemarie hajtig: „Guſtav, um Gottes 
willen, ift etwas mit deinem Vater? Die Leute reden 
allerhand, und der Doktor iſt geitern Dagewejen und —“ 

Er blidte finjter vor fih hin. Nun kam das bittere 
Lügen. „Mein Dater ift in der Genefung. Aber er 
und ih — wir find auseinander,“ 

„Am meinetwillen, Guftav?“ 

„Nein,“ entgegnete er mühſam. „Oder wie man 
es nehmen will, Zch trage wohl die Schuld. Don uns 
beiden ging es aus, Das ijt wahr, aber ich wurde heftig, 
und — frage mich nicht weiter, es ift eben zu einem 
Bruch getommen, und ich verlajje die Mühle, Sch habe 
fie ſchon verlaffen, Annemarie, und ih bin auf dem 
Meg in die Fremde,“ 

Blaß, wortlos, mit gefalteten Händen ftand fie 
vor ihm, 

Endlich fam ein Wort: „Der Makel!“ 

„3a, der Makel!“ entgegnete er und biß die Zähne 
zuſammen. 

„Das iſt alſo ein Abſchied, Guſtav ?“ 

„Vorläufig, Annemarie.“ 

„Nein, für immer, Dein Vater kann ſterben. Ich 
wünſche es ihm nicht, aber einmal wird er ſterben. 
Der Makel ſtirbt nicht,“ 

Es war ihm, als müßte er hinausſchreien: „Er ſtirbt 
ja mit meinem Vater!“ — aber die Reble war ihm 
wie zugeſchnürt. Wenn erjt der Zipfel eines Geheim- 
nijjes gelüftet wird, dann ift es fein Geheimnis mehr. 


54 Der Makel. 0 





„zeb wohl!“ fagte er nur. 

Shre Hände rubten jo kalt ineinander, daß es fie 
beide durhfchauerte. An einen Abſchiedskuß dachten 
fie nicht, denn jede Berührung der Tippen birgt eine 
Hoffnung in fih, und fie hatten keine Hoffnung. 

Dann gingen fie auseinander. 

Guſtav jeßte feinen Weg durch den Wald fort, und 
als er an die Stelle fam, wo fein Vater den Schuiter 
gejehen haben wollte — an den Meineidfled, wie man 
ihn wohl nennen wird zum Unterjchied von dem Mord- 
fleck — da drohte er mit der Zauft nach der Nichtung, 
in der die Mühle lag. 

Worte kamen nicht über feine Lippen. — 

Annemarie kehrte in das Haus zurüd. Sie fette 
fih an den Ofen und barg das Gelicht in die Hände, 

Der Schufter ſchielte über feine Arbeit hinweg nad) . 
ihr hin. „Ich habe euch wohl gefehen,“ fagte er. „Zit 
die Narrheit aus?“ 

„3a, Vater. Er geht in die weite Welt.“ 

„Sp, das iſt der Anfang. Dann wird die Mühle 
ja bald leer jtehen.“ 

„Der Müller ift wieder auf den Füßen.“ 

Riemann ſchlug eine Zwede in die Sohle des 
Stiefels, den er in Arbeit hatte, „Sp gebt es in der 
Welt. Zch treffe ſchon noch den richtigen Zled, aber 
das Schidfal ift fein Schufterhammer, das Schidjal haut 
daneben! Ob, wenn du Leder wärejt und ich hätte dich 
unter den Händen, ich wollte dich ſchon mürbe Hopfen!“ 

Das war der alte Groll, und Annemarie konnte 
nicht einmal dawider reden. 


Es war wohl felten ein Winter über das entlegene 
Gröde hingegangen, der dem Wirtshausgetratich und 


0 Roman von Friedrich Zacobfen. 55 
dem Spinnftubengellatfch fo reichlihen Stoff gegeben 
hätte als die nunmehr folgende Zeit zwiſchen Weih- 
nachten und Oſtern. 

Nach dem Oberförſter Eichler war der Müller Zahn 
die bedeutendfte Berfönlichkeit in der ganzen Umgegend, 
und je einfamer die Springmühle aus der Salmulde 
aufragte, je weniger es möglich) war, ihre Geheimniſſe 
zu erforichen, um fo zäher hefteten fih Neugier und 
Gerüchte an ihre Mauern. 

Aus einer ländlichen Anſchauung heraus konnte man 
den Brud zwiſchen Dater und Sohn allenfalls be- 
greifen. Denn es war ja eine allgemein bekannte Tat- 
lache, daß Guſtav und Annemarie ein Verhältnis mit- 
einander hatten, und abgejehen von dem Unterſchied 
in Vermögen und Stellung erjhien eine Verbindung 
zwiſchen den beiden jungen Leuten deshalb unmöglich, 
weil der Müller die Beftrafung Riemanns herbeigeführt 
hatte und dieſer fih ungeachtet des zweiten Richter- 
ſpruchs nicht von dem an ibm hängenden Derdadt. 
reinigen konnte. 

Ob es wohl wirklich fo ganz richtig mit diefem Eide 
bergegangen war? Die Möglichkeit eines Irrtums hatte 
der Müller ja in der zweiten Schwurgerichtsperhand- 
lung zögernd und widerwillig zugegeben, und wenn 
eine Sache erſt rijjig geworden ift, dann bedarf es nur 
eines Stoßes, um fie in Scherben zu fchlagen. 

Diefer Anſtoß war das eigene Gebaren des Müllers. 

„Er it hinterfinnig geworden,“ fagten die Leute, 
„Das iſt nicht die Zwietracht mit feinem Sohne, denn 
darüber fommt ein dider Schädel hinaus — aber der 
Eid it es, der Eid!“ 

Achtung vor dem Eide und Furcht vor den Folgen 
feiner Verletzung ftedten noch immer in diefer rauhen 
Waldberölterung, die es fonjt mit dem Geſetze nicht 





56 Der Makel. 7 





fo genau nahm; fie fonnten es begreifen, die Holzfrevler 
und die Wilddiebe, daß einer tieflinnig werden müßte, 
wenn er einen Fleden auf feiner Schwurhand ent- 
Dedte. 

Die Runde von dem binterfinnigen Wejen des 
Müllers verbreitete ſich durch Leute, die darum wiſſen 
mußten — durch das eigene Hausgefinde. 

Da war zuerft der Mahlburſche Rlaus, ein braver, 
fleißiger Menſch, der aber niht an übermäßigen 
Denten litt. | 

„Sp was ift mir noch nicht vorgetommen,“ fagte 
er Sonntags im Wirtshaus. „Das Gelumpe in der 
Mahlſtube kann ich ganz gut allein beichaffen, aber jeit- 
dem der Alte wieder auf den Beinen ift, hat er keine 
Ruh’, er muß überall dabei fein, Er ift der Herr, und 
wenn es ihm Spaß madt, kann ich nichts dagegen 
maden, Aber es madt ihm ja gar feinen Spaß.“ 

„it er noch krank?“ wurde gefragt. 

„Gott bewahre, er hebt feinen Sad wie ein junger 
Kerl. Aber dann ift es mit einmal, als ob es einen 
Rnads in ihm geben täte. Er febt fih in die Ede 
und finniert vor fih hin. Bisweilen redet er auch. 
Wißt ihr, was er mich neulich gefragt hat?“ 

Die Röpfe fuhren zufammen. „Was denn? Was 
hat er gejagt?“ 

„Ob es wohl möglid wäre, daß einer durch das 
Rad in die Mühle kriecht, wenn das Rad ftilliteht.“ 

Der Dorfihmied von Gröde, ein mächtiger Rerl, 
redte ji empor. „Ich brächte das nicht fertig, Rlaus, 
ih bin zu vüllig, Aber ich kenne einen, der könnt's 
Ihaffen — der Schufter da oben in der Rate,“ 

„Sei doch Still, Schmied!“ 

„Er bat recht,“ mifchte ſich der Schneider hinein. 
„Riemann hat die Geftalt dazu, und er hätte wohl 


Oo Roman von Friedrih Zacobien. 57 





auch den Willen. Gein Haß auf den Müller ift nicht 
ſchlecht — von wegen dem Eide.“ 

„ga, wegen dem Eide,“ hieß es von allen Seiten. — 

Sn der Spinnftube ging die Rede anders, Da fam 
bisweilen die alte Weljch von der Mühle hin, und wenn 
fie auch fonft an der Familie Zahn hing, fo ging ihr 
jebt das Mundwerk, denn fie hatte fich allmählich auf 
Guſtavs Geite geitellt. 

„Der ift niht aus Troß gegangen,“ fagte fie. „Es 
muß ſchon in der Nacht vorher was paffiert fein, denn 
mir nichts die nichts läßt keiner den Eranten Vater im 
Stih und rennt in die Nacht hinaus, Bei der Anne- 
marie ift er nicht gewejen — ich habe das Mädchen 
aufs Gewiſſen gefragt, und fie hat’s mir zugeſchworen.“ 

„Es wird viel gejchworen,“ meinte die Bäderlies 
und wiegte den Kopf. 

„Diel zu viel,“ beitätigte die Welſch. „Wenn der 
Müller nur fo ’n gutes Gewiſſen hat wie die Anne- 
marie! Soll ih euch jagen, womit er umgeht?“ 

Da fuhren die Röpfe zufammen juft wie im Wirts- 
haus. 

„Sp red doch, Welichen!“ 

„Aufhängen möcht’ er ſich! Unchriſtlich genug ift 
er dazu, denn er lieft immer in den alten Ralendern, 
und auf der Bibel liegt der Staub fingerdid. Aber 
die Courage fehlt ihm, das iſt es!“ 

„Halt du ihn denn fchon einmal abgefchnitten, Wel- 
ſchen?“ 

„Na, ſo weit iſt es Gott ſei Dank noch nicht ge— 
kommen. Aber neulich ſeh' ich ihn im Stall ſtehen, 
vor einem großen Haken in der Wand. Das Halstuch 
hat er abgenommen, und 'n Strick hat er in der Hand. 
Da geh' ich in Strümpfen heran und frage, was das 
bedeuten ſoll. ‚Unfinn,‘ jagt er und ſchmeißt den Strick 


58 Der Matel. n 


— 





weg und geht ſeiner Wege. Den Abend nahm ich ihn 
dann vor, wie ſich's gehört, und da meinte er, auf 
dumme Gedanken fiele jeder mal, wenn ihm das Leben 
nicht mehr paſſen täte, aber zwiſchen Vornehmen und 
Ausführen ſtünde doch mehr als ein altes Weib.“ 

„Bei dem täte ich nicht bleiben!“ rief die Bäckerlies 
und ſchüttelte ſich. 

„Hab' ih auch nicht vor, Der Klaus ſagte neulich 
auch, es wäre ihm zu grauslidh in der Mühle, und da 
find wir beide einig geworden und haben zu Oſtern 
getündigt. Es ift nur ein Unterfchied dabei, der Rlaus 
dient nun drei Zahre, und bei mir waren es Martini 
dreißig, der Rlaus ift ein junger Kerl, und ich gedachte 
auf der Mühle zu fterben.“ 


Es geht gegen die Natur, dag um den Frühling 
herum die Blätter abfallen, aber fie taten es wirklich. 

Die Springmüble ftand in der Zeitung zum Der- 
fauf, und es hieß, daß Zahn in die Stadt ziehen wollte, 
aber es fanden ſich von heute auf morgen keine Tieb- 
baber; es war, als ob der Plab verfemt jei. 

Auch aus der Schuftertate wehte ein junges grünes 
Blatt ins Tal. Annemarie hatte es gut gemeint, als 
fie ihren Dienft bei Timpe aufgab und zum Dater 
beraufzog, aber das Einmaleins war dabei zu kurz 
gelommen. 

Der karge Derdienit des Schujters reichte für zwei 
Berjonen nicht aus, und das Schneidern in Thalheim 
war wegen der großen Entfernung nicht durchzu— 
führen. 

Timpe hatte ſchon zwei Briefe gejchrieben, daß es ' 
ohne die Annemarie gar nicht gebe, und nach dem 
dritten padte fie ihr Bündel, 


D Roman von Zriedrih Zacobjen. 59 


„Es ift beijer, daß du den alten Dienit. wieder an- 
trittjt,“ fagte Niemann. „Die vergangenen drei Jahre 
haben mich hart gemacht — ich kann mit der Einfam- 
keit fchon austommen.“ 

Die Leute redeten darüber, „Er will fie aus dem 
Wege haben,“ fagte man. 

Niemand drüdte fich deutlicher darüber aus, was 
dieſes „aus dem Wege haben“ denn. eigentlid be- 
deute, aber jeder wußte für fich allein, wie es ge- 
meint war, 

Der Scufter hatte aus feinem Herzen keine Mörder⸗ 
grube gemacht; er hatte jede Gelegenheit benützt, um 
zu betonen, daß er feine drei Zahre Zuchthaus doch 
hbauptjählih den Müller Zahn verdante, Eigentliche 
Drohungen konnte niemand dem Schufter zur Laſt 
legen. Aber fein Haß war in aller Leute Mund, und 
er wurde allmählich verftanden, nachdem fih ein Um- 
Ichlag in der öffentlichen Meinung herausgebildet hatte 
und man zu der Anficht fan, dab der Müller Run 
fahrläjfig gejhworen habe. — 

Die Witwe Walther und die öffentlihe Meinung 
waren ganz gewiß zwei Dinge, die nicht viel mitein- 
ander gemeinjam hatten, aber das Raunen und Reden 
ging doch nicht ganz jpurlos an dem Häuschen der Alten 
vorüber — und es zeitigte eine wunderlihe Frucht. 
Das war jchon, als die Märzwinde zu wehen begannen 
und der Saft in den Bäumen flieg; Zeit von Rrantheit 
und Wechjel, und einige meinen, in wirren Röpfen 
ginge es dann noch krauſer her als ſonſt. — 

Der Schufter Riemann ſaß auch abends noch bei 
feiner $lidarbeit. Seit Annemarie wieder unten bei 
Zimpe in der Gaftwirtihaft war, [chlih ihm der Tag 
langjam bin, und er konnte nur ſchlecht fchlafen. Bis- 
weilen hielt ihn au die Sorge wach, daß man ihm 


60 Der Makel. 0 





eines Nachts die Rate anfteden möchte, denn die meiſten 
Brandftiftungen fallen in die Zeit der Übergänge, 

Da taftete etwas an der Für. Der Schujter wun- 
derte fich, daß noch jemand fo ſpät Arbeit brachte, denn 
zum Plaudern kamen fie nicht aus dem Dorfe — fchon 
wegen des weiten Weges und auch aus anderen 
Gründen. 

Und dann traute er faum feinen Augen, 

Die Witwe Walther, die Mutter des Erjchoffenen, 
Das alte frumme Weib, kam über die Schwelle. 

Die Alte war ganz manierlich und wadelte nur ein 
bißchen mit dem Ropf. „Muß doch mal zu dir fommen,“ 
jagte fie. „Das wundert dich wohl, Schufter — was?“ 

„Hätt's nie geglaubt,“ entgegnete er und griff 
wieder nach feiner Arbeit, 

Sie fette fih unaufgefordert ihm gegenüber und 
ſah eine Weile zu, wie er mit. zujammengelniffenen 
Lippen den Pechdraht zog. 

„Geht das fo die ganze Naht?“ 

„Wenn ich genug zu fchaffen hätte,“ entgegnete er, 
„tät' ich's.“ 

„Haſt wohl ebenſo ſchlechten Schlaf wie ich, Schufter?“ 

„Schlecht genug.“ 

„Und dann ſinnierſt du ebenſo wie ich — über das 
eine?“ 

„Kann fchon fein.“ 

Ihre gligernden Augen fuhren durch das Zimmer, 
als ob fie etwas ſuchte. „Haft du ein Bibelbud 
im Haufe?“ 

„Wird ſchon eines da fein — da oben auf dem 
Bord, Was willft du damit?“ 

Sie holte es fchweigend herunter, wiſchte den Staub 
mit ihrer Schürze ab und legte es aufgefchlagen vor 
dem Schufter hin. „Nun tue die Hand darauf — die 


o Roman von Friedrich Zacobfen. 61 





rechte. Und dann ſchwöre mir bei dem lieben Herrn 
Sefus, daß du meinen Zungen nit ermordet hajt.“ 

„ah war’s nicht,“ fagte Riemann. „Ich befchwör’s 
bei meiner Seligteit.“ 

Frau Walther trug das Buch wieder fort und 
jeßte fich auf ihren Plaß zurüd, „Sch glaub’ dir's, 
gatob,“ 

„Das haft du früher nicht getan,“ entgegnete er 
und ſah ihr nachdenklich in das Geſicht. „Es ift doch 
nicht mehr hberausgelommen, als was die zwölf Männer 
gerichtet haben.“ 

„Vor den Leuten nicht, Zakob. Aber ich hab’ eine 
Erfheinung gehabt.“ 

Ach ja, fie hatte wohl mehr als eine Erfcheinung. 
Seitdem das Unglüd mit dem Sohne ihren Seift ge- 
trübt, wurde fie oft von Difionen heimgeſucht, und 
dann fchrieb fie Briefe an das Gericht. Aber bisher 
hatte nur Riemanns Name in diefen Schriftjtüden 
geitanden. 

Dennod ging der Schufter auf ihre Zdee ein. „Zit 
dir der Mörder erfchienen?“ 

„ein,“ entgegnete fie und blidte hinter ſich in die 
Ede. „Es war mein Zunge, gerade fo blaß und blutig, 
wie er unter der Eiche gelegen bat. Und er fagte zu 
mir, es wäre einer mit weißen Haaren. Pie haft du 
nicht, Zakob.“ 

Riemann wurde immer aufmerkſamer. Diefer alten 
Frau hatte man ihr Einziges, ihr Liebites genommen, 
und fie war feitdem wie eine Löwin, die ihr Zunges 
ſucht. Shre Gedanten drehten fich immer nur um diefen 
einen Punkt, und wenn auch der Geift darunter ge- 
litten hatte, der Inſtinkt der Srrfinnigen war vielleicht 
um fo ſchärfer. Sie hegte offenbar einen Verdacht. 
Der ging dann durch ihre Träume und vermiſchte ſich 


62 Ser Matel. Do 





mit ihren DVifionen, aber der Verdacht felbjt konnte 
Wahrheit fein. 

Dem Schujter ſchlug das Herz bis in den Hals. 
Er mußte fih zufammennehmen, um feine Aufregung 
nicht zu verraten, aber ein einziges unbedachtes Wort 
tonnte den ſchwachen Gedantenfaden in diefem Hirn 
zerreißen, und dann war er nicht wieder aufzufinden. 

„Cs gibt viele mit weißen Haaren,“ jagte er vor- 
ſichtig. 

„Nicht ſo gar viele, Jakob. Die meiſten in Gröde 
haben ſchwarze, und die ganz Alten ſitzen hinter dem 
Ofen.“ Dann neigte ſie geheimnisvoll den Kopf vor 
und begann an ihren dürren Fingern zu zählen. „Man 
muß die Sachen nur beiſammen behalten, Zatob. Das 
Gewehr haben fie im Wald gefunden, in einem hohlen 
Baum. Das Gewehr fei wie von Silber gewefen, fagen 
die Leute, Es gibt nur einen in der Gegend, der Silber 
und Gold hat,“ Sie hob den zweiten Finger hoch 
und kicherte plößlich vor fih hin. „Ob, wie dumm 
doch die Leute find! Der eine mit den weißen Haaren, 
fo fagen fie, der ginge nie in den Wald! Und ich hab’ 
ihn doch felber gejehen — zweimal, dreimal in der 
NVacht, wenn ich jelber im Walde war,“ Dann wurde 
ihre Geficht wieder ernft, „Mich hätte er auch tot ge- 
Ichoffen, wenn ih ihm in den Weg gelommen wäre, 
Wer einen Meineid [hwören kann, der kann aud einen 
Menfchen morden — und wenn er weiße Haare hat.“ 

„MWartha!“ fchrie Riemann auf. 

Aber fie hob befhwichtigend die Hand. „Still, ic) 
hab’ ja feinen Namen genannt! Ich will nicht vor 
das Gericht. Wenn ich alles weiß, dann braucht man 
nicht zwölf Männer dazu. Aber ich weiß noch nicht 
alles. Ich denke, mein Zunge wird noch mal wieder- 
tommen, daß ic) ihn nad) dem Weißkopf fragen kann. 


s Roman von Friedrih Zacobjen. 65 





Unrecht tun foll man feinem, Dir hab’ ih unrecht 
getan.“ 

Mehr war nicht aus ihr herauszubringen, fie rappelte 
ih wieder auf und ſchlich nah der Tür, 

Der Schuſter begleitete fie, und als fie draußen 
beifammen ftanden, horchte er auf den Märzwind, griff 
über ſich in das niedrige Dach feiner Rate und fagte: 
„Alſo das iſt jegt vor dir ficher, Martha? Den roten 
Hahn ſetzeſt du mir nicht hinein?“ 

Sie entgegnete: „Du haft auf das Bibelbuch ge- 
Ihworen. Du hajt keine weißen Haare — ich glaube 
dir. Derrat mid nicht — den roten Hahn trage id) 
bier in meiner Taſche, und wenn es Seit ijt, dann 
fliegt er fhon hinaus.“ — 

Noch lange Stand Zatob Riemann vor feiner Tür, 
Hinter ihm wühlte der Wald, und vor ihm lag das 
Ichweigende finftere Tal, So finjter wie der Schlafjaal, 
in dem er drei Zahre hindurch mit DBerbrechern ge- 
nächtigt hatte. 

Daran dachte er jetzt. Wer ihm diefe drei Jahre 
feines Lebens genommen hatte — und es hätten ja 
auch mehr werden können — der verdiente den Tod, 

Aber einer Srrfinnigen Rede ijt keine Rede, 

Riemann konnte die Springmühle nicht fehen, es 
war zu dunkel. Dennoch ftarrte er immerfort nach der 
Richtung, wo fie lag, und wie wir an dem ſchwärzeſten 
Himmel endlich einen Stern entdeden, wenn der Wille 
ihn zu finden nur vorhanden ift, fo glaubte auch dieſer 
argwöhniic gewordene Mann endlich ein Anzeichen 
dafür zu erkennen, daß die Ruhe und der Schlaf des 
Springtals eine Maste trage, 

Er ſah wanderndes Licht, Wie eine Meine Rerzen- 
flamme, die von der Hand beſchirmt wird, ging Der 
Scdein bin und her, gleich jenen ruhelofen Srrlichtern, 


64 Der Matel. ao 





die nach dem Glauben des Volles über einem uner- 
gründliden Sumpf fchweben follen. 

Und der Schufter murmelte vor fich hin. 

„Das ſchlechte Gewiffen!“ fagte er, „Die Angit 
vor der Entdedung. Hüte dich, Müller Zahn, wir find 
Dir auf der Spur, die Alte und ich, und wir haben beide 
eine Schuld einzufordern. Deine weißen Haare follen 
dir nichts helfen, und wenn die Gerichte dir nicht an 
den Rragen wollen, jo hole ich dich mit diefen meinen 
Fäuften aus dem Bau. Nur no ein bißchen Geduld 
— Geduld — Geduld!“ 





Die Leute wunderten fih immer mehr über die 
alte Walther. Bisher war fie ziemlich redfelig gewefen, 
das heißt in Beziehung auf den einen Punkt, um den 
ih ihre bischen Denten drehte, und der Name des 
Schuſters Riemann hatte dabei eine große Rolle ge- 
ſpielt. Nun ſchwieg fie plößlih, als wenn ein großes 
Geheimnis ihre Seele bedrüdte, 

Sonſt hatte fie für die Inſaſſen der Schufterkate 
nur das giftige Wort „Mörderpad“ in den Mund ge- 
nommen und dabei auf ihre Kleidertafche gefchlagen, 
wo fie ftets eine Zündholzſchachtel verborgen trug; 
jeßt ſah man fie bisweilen nach der Rate hinaufwandern, 
und es hieß, fie hätte mit dem Schujter Frieden ge- 
ichloffen. 

Auch fonit ftreifte fie viel durch das Gelände, Der 
Mald, in dem man fie bisher zu allen Zages- und 
Nachtzeiten angetroffen hatte, jchien ihr gleichgültig 
geworden zu fein, aber um die Springmühle freijte 
fie wie ein Rabe, der irgendwo das Aas wittert und 
ih doch nicht getraut, darauf niederzuftoßen. 

Aber eines Tages erſchien fie in der Mahlftube mit 


Oo Roman von Friedrich Zacobfen. 65 





einem Säddhen Korn. Rlaus, der Mühltnappe, war 
allein anwefend, und fie feßte fih in die Nähe des 
Rades, an dem das Waffer niedertroff, 

„Das wird nun wohl bald ftillftehen,“ ſagte fie. 

„Warum glaubft du das?“ 

„Nun, wenn du fort bift, und wenn die Welfchen 
fort ift, wer foll dann das Rad noch treiben?“ 

„Der Springbad.“ 

Die Alte fchüttelte den Ropf und lachte. „Mach 
mic) nicht Dumm! Der Springbacd kann lange laufen! 
Sch bin doch oft genug bei der ‚„Lede‘ gewejen und hab’ 
gejehen, wie die Steine übereinanderliegen. Sp wird 
es hier auch bald ausfehen, Rlaus — verlaß dich darauf!“ 

Dem Burjhen wurde es unheimlich bei Ddiefen 
Worten. Die „Lede“ war der Überreft eines Bauern- 
haujes tiefer im Gebirge — vor vielen Zahren hatte 
der Eigentümer das Geweje angezündet und war dann 
nach Amerika entwichen; die Leute redeten noch bis- 
weilen davon, 

„Anjere Mühle brennt nicht jo leicht,“ fagte er. 

„rennt nicht fo leicht, meinit du? Da ift Holz . 
genug, und der Stall liegt voll Stroh, Cs braucht 
bloß jemand zu fommen und das Streichholz hinein- 
zuwerfen, dann gibt es ein hübfches Feuer. Viel jchöner, 
als wenn die Schuftertate aufgehen täte.“ 

Das mit der Schujterkate begriff der Burſche, aber 
die brennende Mühle wollte ihm nicht in den Ropf. 

„Wer jollte denn das tun?“ fragte er. 

„zun? Sun? — Hab’ ich einen Namen genannt? 
Ich werde mid hüten, ih will nichts mit den Gerichten 
zu fchaffen haben!“ 

Aber fie konnte ihre Augen nicht beherrſchen. Oieſe 
unrubigen Augen gingen durch das Feniter der Mahl- 
tube, und fie fchweiften nah dem Walde hinauf — 

1912. VII. 5 


66 Der Matel, on 





juft dorthin, wo die Hütte des Niemann lag, von der 
lie foeben gefprochen hatte. Und dann ftand fie auf. 

„Mahl mir das Rorn recht fein, Rlaus, es ift Witwen- 
brot — Sorgenbrot. Mahl es mir fo fein wie auf 
Gottes Mühlen, und dann follft du auch einen Gottes- 
lohn haben.“ — 

Als bald darauf der Müller kam, ſagte der Burſche: 
„Die verrückte Walther iſt dageweſen. Sie ſteckt ja 
jetzt mit dem Riemann zuſammen und ſchwätzt aus der 
Schule. Sie ſollten ein bißchen achtgeben, Herr, ſonſt 
ſetzt Ihnen der Riemann noch den roten Hahn auf 
das Dach — das ift fein Guter,“ 

„Denn die Alte es nicht tut,“ entgegnete Zahn. 

„Die Alte hat ja wohl keinen Grund dazu, Herr. 
Aber dem Schufter juden feine drei Jahre,“ 

Zahn murmelte etwas von den Gerichten. 

Der Knecht fchüttelte den Ropf. „An Zhrer Stelle 
würde ich das Geweſe verkaufen — weit weg ift beſſer 
als nahebei.“ — | 

Seitdem hatte der Müller gar keine Ruhe mehr, 
Käufer für die Mühle fanden fih nicht, zum 1. Mai 
ging das alte Gefinde ab, neues war nicht zu bekommen. 
Und von Gujtav liefen nur dunkle Gerüchte durch das 
Land. Er follte unten in der Rreisftadt eine Stelle 
im Rontor eines Rornhändlers angenommen baben. 

Man begriff das alles nicht. 





Der Mai war gelommen, und im Zuchthaus zu 
Neuftadt gab es wieder eine Entlafjung. Rarl Heder 
hatte feine Zeit abgeſeſſen und ftand vor dem Pireltor, 
um feine Bapiere in Empfang zu nehmen. 

„An Zhrer Stelle würde ich außer Land gehen, 
Heder,“ fagte der, „Sie haben wohl noch allerhand 
auf dem Rerbholz, was man Zhnen bloß nicht fo genau 


a) Roman von Friedrich Zacobfen. 67 
nachweifen kann. Zn Amerika iſt für Sie der beite 
Platz.“ 

„Wenn ich nur nicht ſo'n mächtiges Heimweh hätte, 
Herr Direktor!“ | 

„Nahen Sie mir do nichts weiß, Heder — ein 
Kerl wie Sie und Heimweh! Zn Fhrer Heimat fchlachtet 
man Zhnen wahrhaftig kein Ralb!“ 

„Nä, Herr Direktor, das wird wohl ftimmen. Aber 
den einen oder anderen Freund hat man doch.“ 

Der Direktor ſtutzte, ſann nach und wurde fehr ernit. 
„Damit meinen Sie wohl den Riemann? Ich will 
Ihnen was raten, Heder, lafjen Sie den lieber in Ruh’. 
Freigeſprochen ift er ja — na ja, jedenfalls aber liegt 
er nicht auf Rofen. Und wenn die Leute hören, daß 
er wieder mit feinem alten Rumpan anbandelt, dann 
weiß ih’ auch, was die Leute dazu jagen werden.“ 

Heder kratzte jih den Ropf. „Das kann wohl ftim- 
men, Herr Direktor, Uber er ift mir doch Dank ſchuldig!“ 

„Wenn Sie die Wahrheit beihworen haben, Heder, 
dann ift der Dank nicht groß. Wenn nicht: dann ift es 
ein gefährliher Pant,“ 

„Oh, Herr Direktor,“ ſagte der GSträfling, „ich 
wollte, mein Gewiſſen wär’ überall fo rein wie in 
diefer Sache!“ 

Bei feinem Abfchied händigte man ihm einen recht 
hübſchen Überverdienft ein, denn gearbeitet hatte er 
wie ein Pferd, in der Freiheit fehlte ibm bloß der 
Antrieb dazu. Die Mahnung des Direktors ſchlug er 
natürlich in den Wind. So ’n Herr konnte gut reden, 
dem liefen die Freunde von ſelber zu, er brauchte fie 
nicht mit Schujterpecd an ſich zu feſſeln. 

Und Riemann war der einzige Freund, den dieſe 
verlorene Menjchenfeele hatte, — 

Die Heimkehr des Zuchthäuslers in feine Heimat 





68 Der Matel. D 





vollzog fich äußerlich angenehmer, als es damals bei 
dem Schufter der Fall gewejen war. Die Sonne ſchien, 
und die Bäume waren grün, obendrein geitattete der 
Überverdienft eine ftolze Eifenbahnfahrt dritter Güte, 

Zn feinem eigentliden Geburtsort Thalheim hielt 
fih Heder nicht lange auf. Das Heimatsgefühl war 
natürlich nur fo ’n Gerede gewefen, wie Sträflinge es 
ihren Vorgeſetzten gegenüber auftifchen, Daheim fchrieen 
es ja die Spatzen von den Dächern, daß der verlorene 
Sohn wieder da jei. 

Er ging vom Bahnhof aus geradeswegs durch das 
Städtchen. Bei dem Raufmann am Tor, demfelben, 
bei dem Annemarie die erjten Lebensmittel für ihren 
Dater eritanden hatte, kaufte er fich eine richtige Titer- 
flafche voll Schnaps und ſchmiß ein blantes Fünfmarf- 
ſtück auf den Zieh, dem ſah man’s nicht an, wie hart 
es überverdient war. 

Dor dem Laden kam ein Heiner Dämpfer. Der 
Machtmeilter Runge kreuzte den Weg des Sträflings, 
ertannte ihn fofort und forderte Einficht der Papiere, 

Heder zeigte mit frechem Grinfen feinen Ent- 
laffungsichein. „Sch hab’ ehrlich abgeſeſſen, Herr Wacht- 
meijter,“ fagte er, „bis auf die lebte Minute, Es war 
ein böſes Stüd Arbeit!“ 

„And nun?“ 

„Mit der Fortſetzung drängelt es niht. Wir haben 
Geld genug.“ 

„Wird nicht lange vorhalten,“ meinte der Beamte 
und deutete auf den Hals der Flaſche, die aus der 
Sade hervorlugte. 

„Das bischen Stoff? Na, da haben Sie allenfalls 
recht.“ 

„Nur nicht vagabundieren, Hecker!“ 

„Wo denken Sie hin, Herr Wachtmeiſter! Dieſe 





0 Roman von Friedrich Zacobfen. 69 


Naht fchlafe ih in der Schufterfate — das ift Doch 
ein ebrlihes Haus!“ 

„And wenn der Überverdienft alle ift, Heder?“ 

„Dann wird gefchuftet. Sie follten nur mal fo ’n 
Jahr im Rittchen figen, Herr Wachtmeifter, dann würden 
Sie auch ſchuften!“ 

Nach dieſem Trumpf zog er grinſend ab, und Kunze 
begab ſich zur Meldung auf das Gericht. 

„Er iſt wieder da,“ ſagte er zum Amtsrichter. „Den 
Heder meine ih. Und er tut fi mit dem Schuiter 
Riemann zufammen.“ 

Molff zudte die Achjeln. „Wir können es nicht 
hindern, folange nichts vorkommt. Aber das iſt 
nicht gut.“ 

„Nein, Here Amtsrichter, gut ift es nicht, und 
pajlieren wird fchon was. Sch möchte jebt fein Reh- 
bod fein.“ 

Der Amtsrichter fah den Alten bedeutungsvoll an. 
„Seitdem wir den Zwilling hier unten haben, ift es 
da oben beifer geworden — nicht?“ | 

„Aber fehr, Here Amtsrichter. Seitdem und feit 
manchem anderen.“ 

„Nur Vorſicht und offene Augen, Runge!“ 

Karl Heder wanderte in die Berge hinauf. Mit- 
unter madte er halt und tat einen Zug aus feiner 
Flaſche. Dann bielt er fie jedesmal gegen das fcheidende 
Licht. 

„Für den Schufter muß was übrig bleiben,“ brummte 
er. „Wir wollen eine luftige Nacht feiern. Es hält 
doch nix auf der Welt beſſer zufammen als das Rittchen!“ 

Und dann wurde er fentimental. 

„Drei Zahre unfchuldig — das foll der Teufel holen! 
Wenn ich alles abfien müßte, was ich mit Recht auf 
dem Rerbholz hab’, dann hätte ich dem Schufter feine 


79 Der Makel. D 





Kluft anziehen können. So — das war jet der le&te 
Zug!“ 

Ziemlich angeheitert fam er mit der Duntelbeit an 
die Rate, Das Licht brannte ſchon in der Werfitatt, 
und Heder umkreiſte zweimal das Haus, Als er fi 
überzeugt hatte, dag Niemann allein fei, ſchlug er mit 
der Zauft gegen die Tür und ftimmte ein altes Spih- 
bubenlied an. 

Da kam der Schufter heraus. Er hielt die Lampe 
in der Hand, erkannte den alten Rameraden und ftellte 
fih breit in den Eingang. 

„Geh lieber ein Haus weiter, Rarl!“ fagte er. 

„Das wär’ ’ne Runft, Zatob.“ 

„Weißt du nicht, was ich dir da unten ſagte, als wir 
uns zum legten Male fahen?“ 

„Mein Gedächtnis ift nur gut, wenn es gilt, einen 
alten Rameraden herauszupauken.“ 

Das Wort wirkte, Riemann trat zurüd, 

„Sp tomm berein. Aber was willft du eigentlich 
bier?“ 

„Vorläufig übernachten. Du haft doch Pla?“ 

„ga,“ entgegnete Riemann. „Meine Annemarie 
ift wieder fort, Es langte nicht für zwei.“ 
„VOeſto beifer wird das für zwei langen!“ 

Heder hatte die Stube betreten und ftellte feine 
Schnapsflafhe auf den Tifch. 

„Für Dich und mich,“ fuhr er fort. „Zunge, Zunge, 
da kommt ein alter Freund, dem du deine Freiheit 
zu verdanken hajt, bringt dir nen guten Tropfen ins 
Haus, und du madjit ein Geficht, als ob ich der leib- 
haftige Satan wärel Pu bift doch nicht unter Die 
Betbrüder gegangen?“ 

„Uber unter die ehrlichen Leute,“ 

Das Geſicht des Zuchthäuslers verzog fich zu einem 


o Roman von Friedrih Zacobfen. 71 





breiten Grinſen. „Das iſt ein ſaurer Weg! Du hätteſt 
nur ſehen jollen, was unjer Alter da unten in Neustadt 
für Fragen fchnitt, als er auf deine Gefchichte zu reden 
kam. ‚Sie haben ihn freigefprohen — na ja,‘ knurrte 
er durch die Nafe, und die beiden lekten Worte famen 
fo lang heraus wie dein Pechdraht. Die Grödener 
haben dir wohl auch keine Ehrenpforte gebaut — diefe 
Raffelbande!“ 

„aß mid nur erft den richtigen heraushaben,“ 
fagte der Schufter finfter. „Sie follen mir noch alle 
Abbitte tun, daß fie mich für einen gemeinen Mörder 
gehalten haben.“ | | 

Der andere ſah, daß fie mit ihrer Unterhaltung in 
dem richtigen Zahrwafjer waren. Er fette ſich breit 
an den Tiſch, rüdte feine Schnapsflaihe näher und 
entgegnete: „Darauf können wir allenfalls einen neh- 
men, Übrigens meine ich, daß es beſſer ift, Jakob, 
wenn du den Zäter nicht berausbelommit, denn por 
die Abbitte wirft du Dir ſelbſt einen netten Riegel 
ſchieben.“ | 

„Wieſo?“ 

„Ou wirſt den Kerl einfach totſchlagen, und das 
kommt dann wiederum heraus.“ 

Riemann antwortete nicht gleich. Er betrachtete 
die Flaſche mit begehrlichen Augen, tat endlich einen 
tiefen Zug und legte ſeine geballte Fauſt auf den Tiſch. 

„Weinſt du, Karl? Oenkſt du, ich hätte noch nicht 
genug Angft vor dem Henker und genug Bein im Zudt- 
baus ausgeitanden, daß ich noch mal die Sache auf 
mich nehmen möchte? Und diesmal in Wirklichkeit, 
Rarl? Denn das erſte Mal hatte ich doch immer noch 
mein gutes Gewiljen.“ 

Heder fchüttelte den Ropf. „Auf das gute Gewiſſen 
pfeil’ ich mit Verlaub. Hab’ ich was ausgefreſſen, jo 


72 Der Makel. oO 


murr’ ich auch nicht über die Strafe, aber wenn mid 
einer unjchuldig hineinbrächte — bei des Teufels Groß- 
mutter, ich drehte ihm den Rragen um! Übrigens 
dünkt mich, daß wir es wie die Nürnberger machen. 
Du haft ja den Kerl noch gar nicht heraus.“ 

Der Scufter blidte fih um. Sie waren ganz allein, 
und man börte nur das Ticken der Wanduhr. Aber 
dennoch dämpfte Niemann feine Stimme, als ob er 
einen Lauſcher fürchtete. „Sch bin ihm auf der Spur!“ 
flüfterte er. 

„Das Teufel?!“ 

Sie rüdten zufammen und tufchelten miteinander. 

Nah einer Weile ftedte Heder die Fäufte in die 
Taſche und pfiff durch die Zähne. „Jakob, Zatob, die 
Sache ſteht auf ſchwachen Füßen! Alſo man hat ein 
feines Gewehr gefunden, wie es keiner von den Grö— 
dener Lumpen bezahlen fanu, und die verrüdte Walther 
hat den Müller bei Nacht im Walde geſehen. Schön, 
das genügt vielleiht, um einen heimlichen Wilddieb 
aus ihm zu maden. Aber muß er darum auch den 
Walther erſchoſſen haben? Da find doch noch mehr, 
Die das fertig bringen! Pas bißchen Meineid meinft 
du? Wenn’s wirklid ein Meineid war, dann läßt fich 
ein Ders darauf mahen — er kann aber auch im guten 
Glauben geweien fein.“ 

„Das Gewiſſen!“ fagte Riemann. „Pas nächtliche 
Herumlaufen in der Mühle, die Trennung von feinem 
Sohn —“ 

Heder dachte angejtrengt nad. „Möglich wär’s ja, 
für einen fcheinheiligen Hund habe ich ihn immer 
fariert, aber auch für einen fchlauen. Zunge, Zunge, 
Dazu gehört was, um dem in die Rarten zu guden!“ 

„ah kann's nicht!“ fagte Riemann finiter. 

„Kann ich's etwa?“ 


a Roman von Friedrich Zacobfen. 73 





- Blößlich Schlug der Schufter auf den Tiſch. „Wenn’s 
einer fchaffen foll, der muß täglich und ftündlih um 
ihn fein! Der muß ihn plagen und ängjtigen mit Fragen 
und Andeutungen, bis ihm der Schred in die Haar- 
Ipißen fährt und er fein Geheimnis herausbrüllt, Ein 
Teufel muß es fein, wie du einer bijt!“ 

„Soll ih mich etwa von u adoptieren lajjen?“ 
fragte Heder grinjend. 

„Es gibt ſchon einen Weg. Seit dem 1. Mai ift 
der Müller in taufend Nöten, Sein Mühltnappe ift 
fort, und einen neuen kriegt er niht. Die Mühle möchte 
er verlaufen und findet feinen Liebhaber, Er muß 
jich jelber abplagen. Wenn nun einer fommt und fi 
als Mahlburfche anbietet — er nimmt ihn, und wenn 
der Teufel den hergekarrt hätte!“ 

„Mich auch?“ fragte Heder grinfend. „Aus der 
Hölle komme ich ja nicht, aber aus dem Zuchthaus, 
und das ift Hü wie Hott.“ 

Riemann war im Eifer. „Zuft einen Kerl wie dich 
nimmt er am liebften! Gerade weil du ein Spißbube 
bift, wird er dich lieber um fich fehen als jeden anderen. 
Wenn er dich anfieht, fo braucht er wenigitens nicht 
rot zu werden.“ 

Bart bejaitet war Heder nicht, das mußte man ihm 
laſſen; er gehörte zu den Spißbuben, die fih auf ihre 
Dergangenheit etwas einbilden. So wurde er aud 
feineswegs grob, fondern nur nachdenklich und trant 
in diefer Stimmung die Flaſche leer. 

Dann ſchaute er auf die Wanduhr und meinte, es 
wäre wohl allmählid Zeit zum Schlafen, die Sache 
mit dem Müller ließe ſich ja überlegen. 

Er hatte auf das Bett in der Rammer gehofft, aber 
Riemann fagte, eine Streu täte es auch; fie wäre eigent- 
lich immer noch viel zu gut für fo einen Kerl, 


74 Der Makel. 0 





Auf diefen Scherz hin wurde die Streu in der 
Stube aufgemadt. Die Lampe erlojch, und die beiden 
legten ſich. Schlafen konnte keiner — der Schufter 
wälzte fih in feinem Bett, und Heder rajchelte mit 
dem Stroh, 

Endlich jegte er fich aufrecht und fah in das Mond- 
licht, das die Stube anfüllte. „Zakob!“ rief er dann 
leiſe. 

„Was denn?“ 

„Wie iſt denn ſonſt die Gelegenheit in der Mühle?“ 

„Was meinjt du?“ 

„Weiter nix. Ich hab’ nur fo ’ne Abneigung gegen 
große Hunde und Schießgewehre, Und Zrauenzimmer, 
die ihre Naje überallhin fteden, find mir vollends zu- 
wider.“ 

„Ein Hund ift da und an Stelle der alten Haus- 
hälterin ein junges Ping. Don Gewehren weiß ich 
nir. Uber das alles kann dir doch einerlei fein, wenn 
du Mühltnappe bijt?“ 

„Da haſt du reht. Sch meinte auch nur fo. Gute 
Nacht.“ 

Nah einer Weile richtete fih der Schufter auf. 
„Karl!“ 

„Was denn?“ 

„Du haft doch nit im Sinn, den Müller totzu- 
ichlagen?“ 

„Ben® niht dran. Nur aushorchen will ich ihn, 
Das Totſchlagen fannft du nachher bejorgen.“ 

Weiter wurde nichts geſprochen. Riemann legte 
lich wieder um, und der andere horchte noch eine Weile. 
Dann war alles Still, — 

Am folgenden Morgen wanderte Heder wirklich 
nad der Mühle. Er hatte mit feinem Gaftfreund ver- 
einbart, daß das lebte Nachtquartier ein Geheimnis 


s Roman von Friedrih Zacobfen. 75 





bleiben follte, denn was aus der Schuiterkate kam, 
das mußte dem Müller von vornherein verdächtig er- 
ſcheinen. 

Zm übrigen machte der entlaſſene Zuchthäusler gar 
keinen ſchlechten Eindruck. Sie werden ja in der Straf- 
anftalt rafiert und graufam kurz gefchoren, und das 
steht nicht jeder DBerbredherphnfiognomie; aber der Di- 
rettor von Neuftadt war ein humaner Mann und ge- 
itattete, daß feine Sträflinge einige Monate vor der 
Entlajjung Haar und Bart wachſen ließen. „Sie find 
ja ohnehin genug gezeichnet,“ pflegte er zu jagen. 

So konnte der kräftig gebaute Heder ſich wohl fehen 
laffen; nur in Bewegung und Blid lag etwas Lauerndes, 
und das hatte er fih auf feinen Wanderfahrten an- 
gewöhnt, denn die Straßentöter waren ihm niemals 
jehr grün gewejen und die Gendarmen noch weniger. 

Auch bei der Springmühle bewährte fich diefe Er- 
fahrung. Als Heder näher herankam, ſah er den großen 
Molfshund des Müllers vor der Tür liegen und machte 
Ihon von weiten allerhand lodende Gebärden. Das 
Tier aber erhob ein zorniges Gebell und ſprang ihm 
drohend entgegen. 

In diefem Augenblid öffnete ſich ein Fenſter, und 
Zahn rief mürriſch hinaus: „Zurüd, Tiras!“ Dann 
erihien er felbjt unter der Tür, 

Heder grüßte fehr höflich und lobte die Wachfamteit 
des Hundes, 

Der Müller aber lächelte grimmig: „Wenn ich nicht 
Dabei bin, dann zerreißt er jeden in Stüdel Was 
wünfhen Sie von mir?“ 

Seit der Verhandlung hatte Heder den Mann nicht 
mehr gefehen, und er fand ihn fehr verändert: fchnee- 
weiß, abgemagert, hinfällig und mit trüben Augen. 
Die jchienen überdies furzfichtig geworden zu fein, denn 


76 Der Makel. 0 





fonft hätte er den früheren Dagabunden wohl wieder- 
erkannt. 

Der nannte ganz gelajjen feinen Namen, denn fich 
unter einem faljchen einzufhmuggeln war ganz un- 
möglid — das wäre in vierundzwanzig Stunden ber- 
ausgelommen. 

Zahn fann einen Augenblid nad. „Sp — alſo der 
find Sie. Da tommen Sie wohl — hm —“ 

„Aus dem Zuchthaus, Herr Zahn. Es ift ja richtig, 
ih hatte mich zu einer Straftat verleiten laſſen, und 
ih habe meine Strafe abgejejfen. Aber nun möchte 
ih ein ehrlicher Rerl werden.“ 

„So — das möchten Sie aljo?“ 

„Das ift [Schwer oder leicht, je nachdem,“ fuhr Heder 
fort. „Wenn man mir die Tür vor der Naje zufchlägt, 
dann bin ich gezwungen, wieder zu ftehlen; aber ein 
bischen guter Wille kann das ganze Leben wieder auf- 
richten. Zch habe ihn, Herr Zahn, und die Leute fagen, 
daß Sie ihn auch haben.“ 

Wenn Heder wollte, dann konnte er jehr treuberzig 
Iprechen, und in diefem Augenblid brachte er fogar ein 
leichtes Zittern der Stimme fertig, Der Umitand, daß 
Tiras ihm in verdädtiger Weife an den Waden herum- 
jhnopperte, trug vielleicht etwas dazu bei. 

„Ich kümmere mich wenig darum, was die Leute 
ſagen,“ entgegnete der Müller. „Sie ſuchen alfo Arbeit?“ 

„ge mehr, dejto beijer, Herr Zahn.“ 

„Na ja, das find fo Redensarten. Willen Sie in 
einer Mühle Beſcheid?“ 

„Ich babe ſchon einmal vier Wochen in einer ge- 
arbeitet,“ log Heder. 

„Warum nicht länger?“ 

„Der Müller machte Konkurs,“ log Heder tapfer 
weiter. 


e) Roman von Friedrich Zacobfen. 71 


} 





„Aber ein Zeugnis hat er Ihnen doch ausgeftellt?“ 

„Nein — er hing fih nämlih auf.“ 

Eigentlih gereute Heder das Wort, denn Zahn 
madte auf ihn den Eindrud eines Mannes, der unter 
Umſtänden felbit fo etwas fertig bringen könnte. 

Zahn jtand auch lange Zeit da und fchaute ganz 
verloren vor fich hin. 

Endlich raffte er fih wieder zufammen. „Arbeit 
hätte ich ſchon, Heder, denn diefes Haus war in der 
legten Zeit wie ein Schiff, aus dem die Ratten aus- 
wandern, Aber wenn ich einen Derfuh mit Zhnen 
mahe —“ 

Er ſprach keine Drohung aus, aber der Blid, mit 
dem erden großen, ftämmigen Mann mufterte, bedeutete 
doch nichts Gutes. Es lag jebt eine wilde Energie in 
feinen Augen, und Heder dachte bei fich, daß er unter 
gewiffen Umjtänden lieber nichts mit dem Müller zu 
tun haben mödte, 

Unter Umſtänden, wenn die Rollen nicht gleich 
verteilt waren. 

Zaut aber entgegnete er: „Sie bekommen einen 
dankbaren Hausgenofjen, Herr Zahn. DVielleicht ahnen 
Sie gar nicht, was der Dank eines Unglüdlichen wert 
it.“ — 

Sp zog Heder wirklich in die Mühle ein. Er bekam 
die Rammer zugemwiejen, in der fein Vorgänger ge- 
wohnt hatte, und aß in der Rüde zufammen mit dem 
Mädchen. Die Refi war ein junges Ding von fiebzehn 
Zahren, die noch nicht viel vom Leben kannte. An 
Heders Vergangenheit ftieß fie fi nur wenig, denn 
ihr eigener Dater hatte fehon im Gefängnis geſeſſen, 
und bei der eriten gemeinfamen Mahlzeit meinte Heder, 
zwifhen Gefängnis und Zuchthaus wäre eigentlich gar 
fein Unterfchied, 


718 Der Matel. 8) 





Höchſtens das Eſſen fei im Zuchthaus beſſer. 

Bei einiger Beobachtung hätte der Müller bald 
merken fönnen, daß fein neuer Mühltnappe vom Ge- 
ſchäft ungefähr fo viel veritand wie die Ruh vom Lefen, 
aber viel ſchneller entdedte Heder, daß fein Herr fich 
um nichts befümmerte. Und als er am zweiten Tage 
zufällig Niemann begegnete, da gab es eine kurze 
Unterhaltung. 

„3b hab’ nicht übermäßig viel Gewiffen,“ fagte 
Heder, „sonst bifje es mich tot. Aber der Müller hat 
davon eine ganze Maife, und das ift noch fchlimmer.“ 

„Angit hat er!“ meinte Riemann. 

„Die Angſt foll erft noch kommen!“ 

„Halt du ihm fchon eingeheizt?“ 

„Nein, das Holy war noch nicht troden. Aber heute 
abend wird der Anfang gemadt.“ 





Sie hatten eine Nachtfchicht vor in der Mühle. Es 
waren plößlich Beitellungen gelommen, die ſchleuniger 
Erledigung bedurften, und Zahn hatte es daher fo 
angeordnet. Er griff heute auch ſelbſt mit zu, und die 
beiden Männer waren allein in der Mahlſtube. 

Sie hätten faum der Laterne bedurft, die vom Ded- 
balten niederhing, denn es war eine fehr helle Mond- 
nacht, und man fonnte weit hinaus in. das Gebirge 
ſehen. 

Als eine kleine Pauſe in der Arbeit eintrat, ſtellte 
Hecker ſich an das Fenſter der Mahlſtube, während Zahn 
hinter ihm auf dem Mahlkaſten ſaß und eine Taſſe 
Kaffee trank. 

Plötzlich ſagte Heder: „Gerade fo war es damals.“ 

„Was?“ 

„Vor vier Zahren. Gerade ſo mondhell.“ 


s Roman von Friedrich Zacobfen. 79 





„Wovon ſprechen Sie denn, Heder?“ 

„Sie wilfen doch, Herr Zahn, Sie famen damals 
von Thalheim herauf und in die Nähe von der Schuiter- 
kate. Ich meine die Nacht, als der Walther umgebracht 
wurde.“ 

„Das ift lange her.“ 

„Mir ift es noch wie heute, Ich war doch damals 
mit dem Riemann im Revier, ih brauche ja fein Ge- 
heimnis daraus zu maden, denn es liegt alles auf dem 
Amte, Kreuz und quer waren wir in dem ganzen 
Revier hberumgelaufen.“ 

Der Müller ftellte feine Raffeetajfe aus der Hand, 
und Heder hörte das Klirren des Porzellans. 

„Ich denke, ihr ſeid auf dem einen Zled geweſen?“ 

„Habe ich das vor Gericht ausgefagt? Dann muß 
ih wohl mißverftanden worden fein. Rreuz und quer 
find wir herumgelaufen und haben uns bald hierhin 
bald dorthin gedrüdt. Es war hölliſch lebendig im Revier 
— in jener Nacht.“ 

„Qun können wir wohl wieder anfangen,“ fagte 
Zahn aufitehend. 

„Zreilih können wir das. Aber wenn id) das 
Mühlrad anfehe, wie es fich dreht, dann fommt mir 
immer wieder derjelbe Gedanke: Wer mag den Forit- 
aufieher Walther wohl erjchojjen haben?“ 

„Der it ja erftochen worden,“ murmelte der Müller 
und zog die Radichüten auf. 

„Daran glaube ich nun ſchon lange nicht, Herr Zahn. 
Die Gefhichte mit der Ahle iſt doch nur ausipintifiert 
worden, um den Riemann bereinzulegen, und darum 
hat der auch gejchworen, daß er den Täter entdeden 
und ihm das Genid umdrehen wollte. Ei, ei — ob 
der feine Zwilling, den fie im Walde gefunden haben, 
wohl mit diefer Geſchichte zufammenhängt?“ 


SO Der Matel. OD 


Rarl Heder hatte bei diefen Worten eine Wendung 
gemadt, fo dab er dem Müller gerade in das Geficht 
ſah, und er lächelte ganz unfchuldig, obwohl jener fo 
blaß wie die Wand geworden war. 

„Das ift ein ganz verrüdter Gedanke,“ ftammelte 
Zahn. 

„Er kommt aud von einer Derrüdten — nämlich 
von der alten Walthern. Man kann's ihr ja nicht ver- 
denken, daß fie darüber fpintifiert, und wiffen könnte 
lie vielleiht auch was, denn es war ja immer ihre 
Gewohnheit, im Walde hberumzulungern, Die weiß 
beijer Beiheid von allem, was im Revier vorgeht, als 
ih und Sie.“ 

Das lebte Wort konnte einen Wit voritellen, denn 
die Leute glaubten doch alle, daß der Müller niemals 
eine Flinte in der Hand gehabt hätte, Heder lachte 
auch dazu. Aber das war ein greuliches, unheimliches 
Laden, und es ging dem Müller durh Mark und Bein. 
Es fiel ihm plötzlich ein, daß diejer große breitjchulterige 
Menſch, mit dem er ganz allein in der Mahlitube war, 
ja im Zudthaus geſeſſen und vielleicht noch ganz 
andere Dinge begangen hatte als einen lumpigen 
Einbruch. 

Er ging an die Tür und rief nach ſeinem Hunde. 

Hecker aber nahm inzwiſchen eine Axt und ſchlug 
ein loſes Brett damit feſt. „Was ſoll das Dieh?“ 
fragte er. 

„Ich babe den Hund gerne um mich.“ 

„3a, es it einfam auf der Mühle. Seitdem der 
junge Herr fort iſt, noch viel einfamer als früher, An 
Shrer Stelle, Herr Zahn, täte ih mid fürchten.“ 

Zahn fürdhtete fich jo ſehr, daß ihm die Knie zitter- 
ten. Es gereute ihn fchon taufendmal, daß er diejen 
unbeimlihen Menfchen bei fih aufgenommen hatte, 


QO- Roman von Friedrich Zacobfen. 81 





und es lag ihm auf der Zunge, eine Ründigung aus- 
zuſprechen. 

Aber dann überlegte er wieder. Zetzt, unmittelbar 
nad dieſem Geſpräch zu kündigen, das konnte jo aus- 
ſehen, als ob ein Zufammenhang vorhanden wäre, und 
der Derdacht war vielleicht ohnehin ſchon rege geworden. 

Einen Streit vom Zaun breden? Ab ja, der 
Hund war inzwijchen hereingelommen und hatte fich 
mürrifch neben feinem Herrn gelagert; aber Rarl Heder 
bantierte noch immer mit der Art, und er fhien fie 
gar nicht wieder aus der Hand legen zu wollen.. 

Sp arbeiteten fie fhweigend weiter, — 

Am folgenden Tage hatte Heder eine neue Über- 
raſchung für feinen Herten — ausgerechnet um die Eifens- 
zeit, wo die Menſchen ſonſt friedlich gejtimmt find. Da 
fam er wegen einer Gejchäftsangelegenbeit in die 
Stube, und als er ſchon die Tür wieder in der Hand 
hatte, drehte er fih noch einmal um, 

„Haben Sie’s ſchon gehört, Herr Zahn, nächftens 
tommt das Gericht,“ fagte er, 

Der Müller wollte gerade den eriten Löffel Suppe 
nehmen. Der Elirrte plöglih auf den Zeller zurüd, 
„Das Gericht?“ 

„Da ja — wegen der Riemannihen Sache.“ 

„Die foll wieder aufgenommen werden?“ 

Heder lachte. „Ah Gott, Herr Zahn, Sie denten 
noch immer an die alte Geſchichte! Ich ſpreche ja nicht 
von der Waltherjhen Sache, jondern von der Nie- 
mannſchen. Dem Schuſter foll das Haus verkauft 
werden.“ 

Da hob Zahn den Ropf und atmete tief, auf. „Dann 
wird er wohl auswandern müfjen?“ 

„Kann fein, Herr Zahn — kann aud nicht fein, 
denn der Säufter bat doch noch feinen N zu er- 

1918. VII. 


82 Der Matel. N) 





füllen, Es gibt welche, wenn die fein Dach über dem 
Ropf haben, dann werden fie erſt recht fchlimm. Und 
ein Schwur bleibt ein Schwur, damit foll man keinen 
Spaß treiben. Na, ih wünfche aud wohl zu fpeifen, 
Herr Zahn.“ | 

Er ging hinaus. Aber er fam auch wieder. Er machte 
ih oft etwas zu Schaffen in der Stube. Die Gelegen- 
heit war leicht, denn der Müller hodte den ganzen 
Sag drinnen, und er war je&t ſo unachtſam geworden, 
Daß ihm die Augen feines Mühlknappen entgingen. 

Die liefen bei folhen Gelegenheiten in der Stube 
herum wie Irrlichter. Zuchthausaugen waren es — 
zwinternd, verftohlen, lauernd, Augen, die wie Röntgen- 
ſtrahlen durh Schränke und Truhen bindurchfeben, die 
jedes Schloß auf feine Feſtigkeit abmaßen und jeden 
Spalt auf feine Schwäche. 

Und dann kam eine Naht — gegen Ende Mai, als 
der Mond fchon fpät aufging und einige dunkle Stunden 
zwilchen zwölf und zwei Uhr lagen. 

Eine etwas ftürmifche Naht war es. 

Beim Abendeſſen in der Rüche hatte Heder fich mit 
der Reli genedt. Ob der Riegel vor ihrer Rammer 
auch gut halten täte, fragte er. Das junge Ping war 
ſcheu, und nach diefer Andeutung konnte er ficher fein, 
daß fie zwei Riegel Statt einen vorfhob und den Hund 
womöglich zu ſich in die Rammer nahm. 

Auf das leßtere hatte er es hauptfächlich abgejehen. 

Und dann legte er fih früh ins Bett. Ein Licht 
und Streihhölzer ftellte er an das Ropfende und die 
Taſchenuhr daneben. Don Zeit zu Zeit ftrich er eines 
von den Sündhölzern an und ſah auf die Zeiger. 

Es war fo ftille im Haufe, dag man die Mäufe 
fnabbern hörte. Dann das Raufhen am Wehr und 
den Wind. 


a Roman von Friedrih Zacobfen. 85 





Heder machte abermals Licht und begann ſich an- 
zulleiden — bis auf die Stiefel. Dann griff er unter 
das Bett. Port Stand ein Raften mit Handwertszeug, 
und aus dieſem fuchte der Zuchthäusler fich drei Gegen- 
itände heraus: einen [hweren Hammer, eine Zeile und 
einen Meißel. Die beiden lebteren ſchob er in die Hofen- 
tafche, den Hammer nahm er in die rechte Hand, das 
Licht in die linke. 

Und fo verließ er auf Strümpfen die Rammer. 

Ganz leife, Schritt vor Schritt, und bejtändig hor- 
chend fchlib er den Gang hinab. Es fam ihm Dabei 
eine Erinnerung. Sp war es damals gewesen, als er 
bei Doktor Berger den Einbruch verübte. Nur der 
Hammer fehlte, ftatt deffen war es eine Brechſtange 
gewejen. 

So kam Heder allmählidy bis an die Stubentür des 
Müllers. - 

Die war nicht verfchloffen, das wußte er ganz genau, 
denn Reli mußte des Morgens früh hinein, um den 
Raffeetiich berzurichten, und zwar bevor der Müller 
aufgeitanden war; des le&teren Schlaftammer aber lag 
unmittelbar hinter der Wohnſtube und hatte nach dieſer 
ihren einzigen Ausgang. 

Ob Zahn fi wohl des Nachts in feiner Rammer 
einzufchließen pflegte? 

Heder hätte es an feiner Stelle ganz gewiß getan, 
aber die Reſi erzählte, daß fie ihm den Raffee bis- 
weilen an das Bett bringen mußte, und daß er die 
Tür immer fperrangelweit aufitehen hätte, weil er jo 
arg an Bellemmungen litt. 

Das alles überlegte fih Heder ganz genau, während 
er in Strümpfen draußen auf dem Flur ftand und 
binter ſich in das ftille Haus horchte. 

Zuerſt büdte er fih und ſah durch das Schlüffelloch. 


84 Der Matel. o 





Ein matter Schimmer fiel in fein Auge, der fam 
nicht aus der Wohnitube, denn fonft hätte er heller 
fein müffen, fondern er ftammte aus der Schlaftammer 
jelbft, und folgli ftand die Derbindungstür offen. 

Nah einer Weile unterfhied Heder die einzelnen 
Gegenitände. 

Der Müller lag in feinem Bett und hatte das Ge— 
licht der Wohnſtube zugewendet. Er fchien zu fchlafen, 
denn feine Augen waren geſchloſſen, und die rechte Hand 
rubte jo fchlaff auf der Dede, wie es nur zu fein pflegt, 
wenn das Bemwußtfein den Rörper verlaffen hat. Am 
Ropfende des Lagers ftand ein kleiner Tiſch. Auf 
diefem brannte das Nadtliht, und daneben lag ein 
Gegenitand, den Heder zuerjt nicht erkennen konnte. 
Als er aber genauer hinſah, glaubte er die Umtiffe 
eines Revolvers zu erkennen. 

Aber das war es nicht allein, und das war nicht 
einmal der Hauptgrund, weshalb der Verbrecher leije 
mit den Zähnen knirſchte, fondern vor dem Bette des 
Müllers lag Tiras, der Wolfshbund. Auch diefer jchlief, 
denn er hatte den Ropf auf die Vorderpfoten gelegt; 
aber der Schlaf eines Hundes bedeutet nicht viel, und 
Heder wußte das am beiten. 

Dennoch fürdhtete er die Zähne der Beſtie weniger 
als etiwas anderes. Den anipringenden Hund konnte 
er mit feinem Hammer niederfchlagen — er hatte Ähn- 
lihes ſchon mit einem Rnüppel fertig gebracht und 
durfte fich auf die Kraft feiner Muskeln verlajjen; aber 
darüber mußte der Müller aufwachen, und dann hatte 
er auch fchon eine Rugel zwiſchen den Rippen, 

Wenn Zahn wirklich aufwacte. 

Heder fühlte plößlih, daß es ihm kalt über den 
Rüden lief. Er ſah noch einmal hin, und es fiel ihm 
auf, dab das Geficht des ſcheinbar Schlafenden fo ent- 


a Roman von Friedrih Zacobfen. 85 





feglih blaß und regungslos war, daß man auch an 
etwas anderes Dabei denten konnte. 

Diefer Mann litt doch am Herzen, die Leute be- 
haupteten es alle, und herztrante Menſchen fchlafen 
nicht felten ein, um nie wieder aufguwachen. 

Dann wäre der Hammer nur für den Hund da- 
gewefen. 

Es vergingen zwei, drei Minuten. Heder hatte das 
Licht ausgelöfht und fniete jet por dem Schlüfjelloch, 
um beffer beobachten zu können. Er rang mit fih 
ſelbſt, was er tun follte, aber es war nicht der Rampf 
zwiſchen Gut und Böse, fondern der Widerftreit zwijchen 
Furcht und Hoffnung. 

Dann atmete er plößlich tief auf. 

Jahn regte die Hand. Ganz leife und wohl un- 
bewußt, aber er hatte fie bewegt, und das rettete ihm 
vielleicht fein Leben. 

Denn der da draußen erhob fich vorfichtig von den 
Knien und taftete fich nach feiner Rammer zurüd, Dort 
fiel er angelleidet auf das Bett und fchlief fofort ein. 
Die lebte Diertelftunde hatte feine Nerven doch mit- 
genommen, 

Aber am folgenden Morgen ftand er in der Mahl- 
tube und pfiff einen Gaſſenhauer. Der Müller fam 
herein, machte ſich allerhand zu jchaffen und feufzte 
Dabei fortwährend. 

Da drehte Heder jih um. „Sie haben wohl wieder 
ſchlecht geſchlafen, Herr Zahn?“ 
„Es ging — aber ſo arg ſchlimm geträumt.“ 

„ga,“ entgegnete Heder, „mir träumt auch oft vom 
Kitthen. Aber jet habe ich, Gott fei Dank, ein gutes 
Gewifjen, und das andere fchüttle ich ab.“ 

(Fortſetzung folgt.) 


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aaaaaac Tl 0 AT 077 0 N] 7 ll 777 577775 


Optifhe Feuerwehrſignale. 
Don Loth. Brenkendorff. 


mit 19 Bildern. * (nachdruck verboten.) 


De Organiſation des Feuerlöſchweſens hat während 
der letzten Zahrzehnte in fait allen größeren 
Städten [ehr bedeutende Verbeſſerungen erfahren. Wo 
die verfügbaren Mittel es erlaubten, hat man die frei- 
willigen Feuerwehren, denen bei allem guten Willen 
und allem Pflichteifer der Mannichaften naturgemäß 
immer gewiffe Mängel anhaften müffen, durch eine 
Berufsfeuerwehr erjeßt, deren Ausbildung eine erheb- 
lich vieljeitigere und gründlichere fein konnte. Sn den 
großen Metropolen ift es fogar dahin gekommen, daß 
die Feuerwehren zu Elitelorps geworden find, deren 
Zeiftungsfähigfeit höchjte Bewunderung erregen muß, 
und die man fürftlichen Befuchern mit demjelben Stolz 
porführt wie die auserlefenen Negimenter der Armee. 

Die großen Spmpatbien, deren fich dieſe aus- 
gezeichneten Mannfchaften überall in der Bevölkerung 
zu erfreuen haben, find ebenſo begreiflih als wohl- 
verdient, Mit peinlichiter Sorgfalt ausgewählt und 
vor der endgültigen Einreibung nicht nur auf ihre 
törperlihe FTüchtigkeit, fondern auch auf ihre morali- 
chen Eigenjchaften, auf Raltblütigfeit, Geiftesgegenwart 
und bis zur Opferwilligfeit gefteigerten perjönlichen 
Mut genau geprüft, rechtfertigen wobl in allen Groß— 
jtädten die Angehörigen der Löſchkorps Das hohe Ver— 


n) Bon Loth. Brentendorff. 87 





——— 





trauen, das das Publikum in ſie ſetzt. Die lange 
Liſte der Halb- und Ganzinvaliden, die mit oftmals 
geradezu beroifcher Todesverachtung ihre Gefundheit 
für die Erhaltung gefährdeten Gutes oder die Nettung 
gefährdeter 
Menfchenleben ITS J 
dahingegeben 
haben, bedeu— 
tet für jede Be- 
rufsfeuerwehr 
eine Ehrentafel 
von eindring- 
lihiter Bered- 
jamteit. 
Snamerifa- 
niſchen Groß— 
ſtädten, wie be— 
ſonders in New 
Vork, hat das 
ehrgeizige Be— 
itreben der 
Löfchmann- 
Ichaften, ſich 
durch befondere 
Unerjchroden- 
heit hervorzu— | — ET 
tun, mit Der Alle Mannfcaften nötig! 
Zeit jogar da- 
bin geführt, daß fich die Leute in ganz unnötiger Zoll- 
kühnheit Gefahren ausſetzen, die fich ohne jede Verfeh— 
lung gegen ihre Berufstreue hätten vermeiden lafjen. 
Die Zahl der bei großen Bränden an Erjtidung oder 
Rauchvergiftung, an Verbrennung durch Stichflammen 
oder beim Einfturz von Mauern und Gebälf ums Leben 





88 Optiihe Feuerwehrſignale. a) 


gefommenen Feuerwehrmänner ift demgemäß in New 
Port eine erjchredend große, und es ift nur zu billigen, 
wenn man in den europäiſchen Hauptitädten durchweg 
weniger Gewicht darauf legt, den einzelnen zu zwed- 


Phot. E. J. Y. Clarke. 
Signal nicht verſtanden! 





loſen Bravour- 
ſtücken anzurei— 
zen, als auf eine 
ſtraffe Diſziplin 
und ein fehler— 
loſes Funktionie— 
ren des ganzen, 
für die wirkſame 
Bekämpfung ei— 
nes großen Scha- 
denfeuers erfor- 
derlihen Appa— 
rates, 

Sn Städten, 
die über eine auf 
Der Höhe der Zeit 
itehende Berufs- 
feuerwebr ver- 
fügen, gebören 

verheerende 

Feuersbrünite 
von großem Um- 
fange denn auch 
bereits zu den 


jehr jeltenen Erjcheinungen, und Kataſtrophen, wie fie 
etwa der Brand Hamburgs im Zahre 1842 daritellte, 
dürfen getroſt als unmöglich bezeichnet werden, fofern 
fie nicht etwa mit anderen elementaren Ereigniffen, die 
aller Menjchentraft fpotten, wie Erdbeben, Sturm- 
fluten und dergleichen, im Zuſammenhang ſtehen. 


D Don Loth. Brentendorff. 89 








Natürlih ift es nicht die tüchtige Ausbildung der 
Mannichaften allein, die zu ſolchen Rejultaten geführt 
bat. Die Derteilung der Rorps über möglichit viele 
Stationen, die innerhalb fürzeiter Zeit wenigjtens ein 
Erjcheinen erſter Hilfe auf der Branditätte ermög- 
lihen, eine prompt funftionierende Verbindung unter 
ihnen, die Befchleunigung der Feuermeldung durch 


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1] BEN Eu 


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Bir U State, 
Sind auf dem Dache nod mehr Schläuche nötig? 


allerorten aufgejtellte und jedem aus dem Bublitum 
zugängliche Apparate find Fortichritte, die im Verein 
“ mit der Einführung der Dampfiprige und mit dem 
neuerlich immer bhäufigeren Erfat der Pferdegeipanne 
durch Rraftwagen die Bedrohlichkeit ſelbſt folcher 
Brände, deren rajche Ausbreitung zu befürchten jtebt, 
ganz erheblich herabgemindert haben. 

Eine unbejtreitbare und ſehr betrübende Tatjache 
iſt es allerdings, daß bei alledem nicht immer Die 


-_ 





co Optiihe Feuerwebhrjignale. D 


Rettung der gefährdeten Menfchenleben gelingt. Ge— 
tade die jüngjte Dergangenbeit bat uns gelehrt, daß 
in dieſer Hinficht noch vieles zu tun übrig bleibt, aller- 
dings vielleicht weniger von feiten der Feuerwehr, 
bei deren Eintreffen fih die in Rede ſtehenden Rata- 
ſtrophen meijt jchon vollzogen hatten, als durch zwed- 
mäßige bauliche Vorkehrungen und durch die Erziehung 





Ja, wir brauchen noch einen Schlauch ! 


von Schultindern, Fabrikarbeitern und anderen, bei 
plößlih ausbrechenden Bränden bejonders gefährde- 
ten Berjonen zu bejonnener Selbſthilfe im kritiſchen 
Augenblid. 

gedenfalls darf man fich davon viel mehr ver- 
jprechen als von dem Gebrauch der NRettungsapparate, 
wie ſie der Feuerwehr zur Verfügung fteben. Denn 
die Rettungsleiter ermöglicht nur eine verhältnismäßig 
langjame Entleerung menjchengefüllter Räume, das 


0 Don Loth, Brentendorff. 9] 





Sprungtuc ift [ehon vielen zum Verhängnis geworden, 
die vielleicht mit dem Leben davongeflommen wären, 
wenn jie gewartet hätten, bis ihnen auf andere Weiſe 


\ 
J 





Phot. C. J. L. Clarke. 
Hydranten aufdrehen zum Waſſergeben! 


Hilfe kam, und auch über den Rettungsſchlauch, deſſen 
Bereitjtellung zudem mit großen Umjtändlichkeiten 
verknüpft ift, geben die Anfichten der Sachverftändigen 
ziemlich weit auseinander. 

Mieviel für den Erfolg bei der Bekämpfung eines 











92 Optische Feuerwehrfignale. a) 
en 3 


großen Brandes von der Planmäßigkeit abhängt, mit 
der unter einer zielbewußten und einheitlichen Leitung 
gegen das Feuer vorgegangen wird, braucht nicht erft 
gejagt zu werden. Dazu bedarf es aber nicht nur des 
Dorhandenfeins 
einer  folchen 
Zeitung, ſon— 
dern auch einer 
raſchen und fiche- 
ren Deritändi- 
gungsmöglich- 
feit, die fofor- 
tige und rich— 
tige Ausfüh- 
rung aller er- 
teilten Befeble 
gewäbrleiftet 
und den Unter- 
führern wie den 
einzelnen 
Mannfchaften 
Meldungen von 
ihrem Gtand- 
ort aus geitat- 
tet. Hier liegt 
A I0t. 6.98 Gtart. elMe ber größ- 
Rauchhelm nötig! ten Schwierig- 
| keiten im Feuer⸗ 
löſchweſen, eine Schwierigkeit, die vom Publikum weit 
unterſchätzt wird, da anderenfalls wohl fchwerlich bei 
den meijten großen Bränden die rückſichtslos heran— 
drängende und lärmende Menge ſo viel zur Erſchwe— 
tung dieſer Verſtändigung beitragen würde, 
Daß das gejprochene Kommando nur auf kurze 





engen, — — — — —— — 


0 Don Loth. Brentendorff. 93 


Entfernungen bin ausreicht, liegt auf der Hand. Wer 
fich jemals auf dem Höhepunkt einer größeren Feuers- 
brunſt an der von Menfchen wimmelnden Branditätte 
befunden bat, umtobt von dem Rnijtern der Flammen, 
dem Saufen der mit ungebeurer Rraft gefchleuderten 
Mafierftrablen, dem Krachen des brechenden Gebälts, 
dem Achzen und Stampfen der Dampfpumpen, dem 
Geſchrei einer taufendföpfigen Menge, der weiß, wie 
ohnmäcdtig die einzelne menſchliche Stimme, jelbit 


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Phot. C. F 8, re 


Rettungsfhlaudb nötig! Dringend! 


wenn fie durch das Sprachrohr verjtärkt wird, dieſem 
Chaos von Geräufchen gegenüber it, Man fennt ja 
auch die fchrillen Pfeifen- und Trompetenfignale, die 
bier wie bei der Marine zumeijt den gejprochenen 
Befehl erſetzen müſſen. Zur Nachtzeit gibt es in der 
Tat faum ein anderes Verjtändigungsmittel als dieſe 
Horn- und Pfeifenjignale, die natürlich in einen be- 
ftimmten und jedem Feuerwehrmann geläufigen Roder 
gebracht worden find, fo daß fie für die meiften der 
bei einem Brande in Betracht kommenden Eventuali- 
täten austeihen. Als ein unzulänglicher Notbehelf 


94 Optifche Feuerwebhrjignale. O0 
werden fie troßdem von jedem Feuerwebhroffizier 
immer wieder empfunden, und es ijt darum ſehr be- 
greiflich, dag man fie wenigitens bei ausreichender 
Beleuchtung durch optiſche Signale zu ergänzen jucht, 
die unendlich viel mehr Ausdrudsmöglichkeiten zulajjen. 

Wohl bei jedem großitädtiichen Feuerwehrkorps 
find derartige Signale im Gebrauch, und man ver- 





RR er J 
Phot. C. J. 2. Clarke. 


Rettungsapparat aufbringen! 





wendet eine beſondere Sorgfalt darauf, die Mannſchaft 
in dieſem ſpeziellen Signaldienſt zu üben. Das große 
Publikum aber weiß von ihm ſo wenig, Daß es ſicherlich 
nicht ohne Intereſſe ijt, Durch eine Anzahl ſehr anjchau- 
liher Abbildungen etwas von dieſer ausdrudspollen 
Beichen- und Gebärdenjprache kennen zu lernen. 
Durch das Entgegentommen des Rommandos der 
Edinburgber Feuerwebrbrigade ijt die Aufnabme der 
Bilder ermöglicht worden, die dementſprechend natür- 


0 Von Loth. Brenkendorff. 95 








lich auch nur die dort gebräuchlichen Signale veran— 
ſchaulichen können. Die Unterſchriften der einzelnen 
Slluftrationen machen jede weitere Erklärung über- 
flüſſig. 

Aber es muß bemerkt werden, daß nur der Deut— 
lichkeit halber ſolche Signale, die aus einer Reihe auf- 





— 


Be 
Phot. E. J. 2, Clarke. 


Schlauch gebrochen! 
Mannſchaften nötig zum Ausbeſſern! 


einanderfolgender Armbewegungen beſtehen, durch 
ebenſoviele Perſonen dargeſtellt ſind, als es bei dem 
betreffenden Signal Bewegungsphaſen gibt. Zn Wirk— 
lichkeit bedarf es jelbftverjtändlih nur eines einzelnen 
Mannes, um durch entiprechende Gebärden mitzu- 
teilen, daß an einer bejtimmten Stelle weitere Schlauch- 
leitungen nötig find, daß mit größter Befchleunigung 
ein Sprungtuch oder ein Nettungsfchlauch berbei- 


96 Optifhe Feuerwehrfignale. 0 
a 


geichafft werden muß und dergleichen mehr. Frage 
und Antwort erledigen fich ſelbſt auf beträchtliche 
Entfernungen hin durch die optifchen Signale meijt 
mit erftaunlicher Schnelligkeit, und auch die Mitteilung, 
daß ein Zeichen nicht verftanden worden iſt (©. 88) kann 
auf diefem Wege der Vornahme unrichtiger Manöver 





Phot. C. J. L. Clarke. 


Brauche Schlauch zur Erſtickung eines Kleinfeuers! 


viel beſſer vorbeugen als bei einer Verſtändigung 
durch Lautſignale. 

Der Erfindungsgabe und der praktiſchen Erfahrung 
des einzelnen Rommandanten muß es vorbehalten 
bleiben, die Zahl der optiſchen Zeichen fo weit zu 
vermehren, als es nach feinem Dafürhalten dem Be- 
pürfnis entjpricht. Eine gewiſſe Grenze aber ift auch 
bier durch die Notwendigkeit gezogen, jedes Mißver— 
Itändnis und jede Derwirrung auszufchliegen, wie 
fie durch eine zu große Mannigfaltigkeit der Signale 
leicht herbeigeführt werden könnten. In den meiften 


D Don Loth. Brentendorff. 07 


Fällen iſt es ja auch ausreichend, wenn für eine recht- 
zeitige Verftändigung in den am häufigiten vortommen- 
den Situationen Sorge getragen iſt. 

Außergewöhnliche Lagen erfordern ja ohnedies das 
raſche und felbftändige Handeln des einzelnen, und in 
der planmäßigen Erziehung feiner Leute zu folder 
Selbftändigkeit wird jeder Feuerwehrtommandant ftets 
feine vornehmite und wichtigite Aufgabe zu erbliden 
haben. 


Sc 
nn 


1912. VII. 7 





Die tragifche Note. 


Novellette von Klara Blüthgen. 
— 


NHachoruck verboten.) 
E⸗ iſt keine ganz leichte Aufgabe, einen Sohn, 

der als Leutnant in einer großſtädtiſchen Garniſon 
ſteht, während ſeines Urlaubes daheim angemeſſen 
zu unterhalten. Ganz beſonders dann nicht, wenn 
man in einem kleinen Landſtädtchen wohnt. 

Die erſten zwei Tage umhegt man den Einzigen 
im Schoße der Familie. Die Mama wirbt um ſeine 
Liebe mit den gewählteſten Gerichten, der Papa mit 
den gewählteſten Zigarren. Man ſitzt tagsüber in der 
Mutter kühlem Salon und abends, wenn die Hitze 
ih gelegt bat, auf dem großen Ballon bei gutem 
alten Rheinwein und „ſpricht fih aus“. In den nächſten 
zwei Tagen treibt man den Leutnant an, „jeine Beſuche 
zu machen“, und es gefällt ihm gar nicht fo übel, die 
jtillen Straßen, in denen das Gras zwiſchen den Steinen 
wächſt, in denen die Sandfteintreppen vor den Türen 
noch vorwißig auf den Bürgerfteig ſpringen, wo alt- 
modiſche Gewächſe, Raktus und Astklepias, an Leiter- 
gerüjten gezogen hinter den ſchmalen Scheiben träumen, 
durch den Glanz feiner Erfcheinung zu blenden. Die 
Aufihläge jeines Waffenrods leuchten jo freundlich, 
die blanten Knöpfe funkeln fo gewinnend, als wüßten 
fies, daß hinter den fteifen, geblauten Gardinen 
interejjierte Mutter- und Mädchengefichter ſich vor- 


IQ 


Novellette von Klara Blüthgen. 99 





beugen. Weitere zwei Tage unterhält es, Villa und 
Garten zu injpizieren, mit dem Portier, der zugleich 
den Garten verfieht, gediegene Geiprähe über die 
Ausfihten der Obfternte und der grünen Trauben _ 
an den Spalieren zu führen, und fo fich recht als Herr 
auf eigenem Grund und Boden zu fühlen. Noch einmal 
zwei Tage genießt man die Umgegend. Man trabt 
auf eigene Fauſt umber, um fih „mal ’n bißchen 
Bewegung zu machen“, oder fährt mit Mama in dem 
hübſchen Einfpänner durch Wald und Wiefen. Man 
itudiert die Gegend ftrategifch, indem man die unmög- 
lichten Wege ausjpürt, das Pferdchen über brudige 
Wieſen ſich durcharbeiten oder auf den hoben, das 
Marſchland durhfchneidenden Dämmen im Schritt 
balancieren läßt. Man gewinnt der betannten Gegend 
ganz aparte Gefichtspuntte ab, entdedt fie ſozuſagen neu. 

Endlich aber, tro& aller diefer ausgeklügelten Unter- 
baltungsbeftrebungen, kommt die Frage, vor der ſich 
die Mama ſchon lange gebangt hat: „Na fag mal, 
Mamachen, iſt denn hier gar nichts los? Man verblödet 
ja geradezu in dem ewigen Einerlei!“ 

Mamadıen, die übrigens eine fehr jtattlihe Dame 
in dem gefährlidhiten Alter und zudem mit kleinen 
unſchuldigen literariſchen Verſuchen behaftet ift, fühlt 
nun einen Stich im Herzen. „Mein lieber Zunge,“ 
fagt fie, „wer immer nur unterhalten fein will, nicht 
aus fich felbjt die Möglichkeit ſchöpft, fih zu unter- 
halten, wird freilid bald auf dem trodenen fißen. 
Mir haben ja jeden Tag etwas unternommen. Was 
verlangit du denn noch?“ 

„Na, jo ’n paar nette Familien mit 'n paar hübſchen 
jungen Mädeln. Srgend was, was einen anregt, vor 
dem Eintojten bewahrt.“ 

Die Mama feufzt verftändnisinnig, Sie jelbit 


100 Die tragifhe Note. oa 





langweilt fi in dem kleinen Neft oft bis zur Bewußt- 
lofigteit. „Du weißt ja, wie es damit beftellt if. Du 
bift doch bei allen gewejen. Die meijten, die Töchter 
haben, find gerade verreijt.“ 

„Das ift doch —! Sag mal, warum find wir eigent- 
lih hier?“ 

Das hat die Mama fih ſchon felbit oft gefragt. 
Sie lächelt aber nur nahjihtig und erwidert: „Du 
weißt — der Papa. Er hat doch die Zdee, fein großes 
Buch gerade nur bier in der richtigen Sammlung 
Schreiben zu können.“ 

„Aber ihre müßt doch irgend was bier haben — 
Sennispartie oder jo?“ 

„Ich fage dir doch, daß fie alle verreift find!“ 

„Das iſt ja zum Auswachſen! — Aber ich hoffe Doch, 
meine fleine Mama wird Rat wilfen. Sie wird ſchon 
etwas ausfindig machen, um ihren armen Zungen 
vor dem Derjimpeln zu ſchützen.“ — 

Da zeigt fih’s, was eine gute Mutter alles kann. 
Da gibt es ein englijches Töchterpenfionat, das bisher wie 
mit einer fiebenfahen chineſiſchen Mauer umgeben 
gewejen if. Nur wenn die dreiundzwanzig Miffes 
zwijhen fünf und ſechs zum Auslüften ausgeführt 
werden, haben profane Augen fie erbliden dürfen. 
Mama erinnert fib nun, daß die Vorſteherin vor 
Monaten einmal bei ihr geweſen ift, um ſich nach einem 
Hausmädcdhen zu erkundigen, Dies nimmt fie wahr, 
um in den klöſterlichen Frieden einzudringen, gar 
beweglid zu bitten, man möchte doch ihrem Sohne 
erlauben, bin und wieder an der ZTennispartie des 
Snftituts teilzunehmen, und wirklich — nach einigem 
Zögern lächelt die Dame ihre Gewährung. 

Slüdlih teilt es die Mutter ihrem Zungen beim 
Abendeffen mit. „Ich habe fogar noch mehr getan, 


Q Novellette von Rlara Blüthgen. 101 


habe die Vorſteherin angefleht, dir doch die reizendfte 
ihrer Pflegebefohlenen für eine Wagenfahrt zu über- 
lafien, bin aber gehörig abgebligt. Eine Wagenfahrt 
mit einem jungen Manne allein — unmöglih! So 
etwas tut man in unjerer Stadt nicht.“ 

Faſt eine Woche hält das Vergnügen an, bis alle 
die Ihönen blütenweißen Zennishojen wäjchereif find. 
Aun ftellt fih die Langeweile in gefährlichfter Form 
ein. Dieje Miſſes find ja zum DVerrüdtwerden fteif- 
leinen, wenn man’s ihnen auch laſſen muß, daß fie ihre 
Sade verjtehen. Und alles grünes Gemüfe! Nee — 
Hand davon! 

Und wieder ift die ganze Geſchichte zum Verblöden, 
und wieder fommt die Frage an die Leine Mama, 
diesmal aber mit dem Eon der Drohung: „Na irgend 
etwas müßt ihr doch hier haben?!“ 

„Wir haben wirklich weiter nichts — du weißt es 
doch!“ jagt fie, nun doch ein bißchen empfindlich. 
„Anfer eines Saijontheater mag id) einem fo ver- 
wöhnten Prinzen wie dir ſchon gar nicht anbieten.“ 

„Iſt dieſes Zahr irgend etwas Nettes da? Im vorigen 
Sommer war es geradezu fchredlih! SZmmerhin 
tönnte man ſich die Chofe einmal anſehen.“ | 

Am Abend Jiten Mutter und Sohn wirklih im 
Sheater. Natürlih in einer der vier „Logen“, kajten- 
artig in den Zufchauerraum hineingebauten Rämmer- 
chen, die von den übrigen Pläßen nur das poraus- 
haben, daß man die Bühne unter einem fehr ſchrägen 
Dinkel fieht und deshalb die erften Rampenlichter im 
augenblendenden Glanze genießt. 

Das Theater iſt gut beſetzt — faſt ausschließlich 
weiblih. gm Parkett drängt fich eine weiße Sommer- 
blufe an die andere, denn man gibt Björnfons „Wenn 
der junge Wein blüht“ — dieſes liebenswürdigjte 


102 Die tragiſche Note. 0 
Alterswert, in dem die Sehnfucht nad der längft ver- 
gangenen Zugend die Jugend nod einmal zu holder 
dichteriicher Wirklichkeit belebt bat. 

Auf der Bühne flattert es durcheinander, Blonde 
und Braune, alle in lihten bunten Sommerfleidern — 
ein Schwarm fröhlider Schmetterlinge, der den 
Sonnenſchein kreuzt. 

Sn der vornehmen „Loge“ iſt man beinahe mitten 
unter ihnen, ift ihnen jedenfalls jo nahe, Daß man jeden 
Ihwarzen Strich unter dem Auge und jedes SZinnober- 
fletchen unter der Tränendrüje, das fo befonders zärt-. 
liben Ausdrud bewirkt, ertennen kann. Aber wirklich 
echte Zugend leuchtet felbit durch rote und fchwarze 
Scminte, und das muß man ſolchem PBrovinztheater- 
chen laſſen, die Einrichtung, junge Runftnovizen gegen 
eine nur ſymboliſche Gage auftreten zu lafjen, iſt gar 
nicht zu verachten — bejonders nicht in der Schäßung 
eines jungen Leutnants, der im Hoftheater reichlich 
viel alte Garde zu ſehen bekommt. | 

Da ift unter ihnen eine. Sie iſt jünger, noch 
mädchenhafter als alle anderen. Sie fpielt die Rolle 
der Alwina. Etwas Wunderliches, Weltfremdes liegt 
über ihr. Zhre großen, ſchwarzbraunen Augen bliden 
wie aus einer anderen Welt, ihre Stimme bat einen 
abjonderlichen, zu Herzen gehenden Ton, ihre fchlante 
GSeftalt gibt jedem Affelt wie willenlos nad. Als die 
raffinierte Kleine Kröte die DVerliebtheit des alten 
Ontels ausnüßt, um von ihm das Reifegeld nach Eng- 
land berauszuptefien, kommt's freilich wenig glaub- 
haft heraus, als aber der eigene Vater ihr von feinen 
weiteren Heiratsabfichten ſpricht, bebt wieder diefer eigen- 
tümliche Eon in ihrer Stimme, gewinnt ihre Geftalt das 
bejondere Leben. Faſt ſieht es wie eine große Talent- 
probe aus — aber irgend etwas Unbeſtimmtes fehlt. 


D Novellette von Rlara Blüthgen. 103 





„Das verlohnt doch noch, das Heine Ping iſt ja 
allerliebit! Daß fih fo was nach hier verläuft!“ jagt 
der Leutnant Herbert Georg Wendtland. „KRennit 
du fie vielleicht, Mama?“ 

„Aber gewiß, ganz gut fogar, das iſt eine Frau 
Zuife Brettichneider.“ 

„Hier auf dem Bettel fteht: Fräulein Louifon 
Schneider, So ſieht doch keine Frau aus!“ . 

„Nun ja, weil’s beffer klingt, Eine Frau zieht 
natürlich weniger. Übrigens kenne ich fie fogar perfön- 
lih, Neulih auf dem Wohltätigkeitsbafar im Grüren, 
von dem ich dir fchrieb, verkaufte fie Anfichtspoft- 
karten. Anderen Tages hat jie dann noch einen Teil 
von dem Wohltätigkeitstrempel, den ich zujammen- 
faufen mußte, mir gefälligerweife ins Haus ge- 
bracht.“ 

„Und ſo etwas unterſchlägt mir meine kleine Mama 
heimtückiſcherweiſe! Da weiß man ja wirklich nicht, 
was man fagen joll, Dafür gibt’s nur eine Buße! Du 
ladeft fie für morgen ein.“ | 

„Du biſt nicht bei Troſt, Herbert! Sn unjerer 
Stadt ladet man keine Schaufpielerinnen ein.“ 

„Natürlich! Man fährt nicht mit hübſchen Eng- 
länderinnen fpazieren, und man ladet feine hübſchen 
Schaufpielerinnen ins Haus! Alles, was einigermaßen 
amüfant fein könnte, tut man nicht. Aber das fage ich 
dir, wenn du mir diefen einzigen Gefallen, um den 
ich dich bitte, nicht tuft — nun fp —“ 

„Herbert — um Gottes willen, wenn dich jemand 
hörte!“ | 

„Wenn mic jemand hörte! Na, was wäre es denn 
weiter? — Sag,»ift fie wirklich verheiratet, dieſe Luife 
oder Louifon? Getrennt? Geſchieden?“ 

„ah bitte dich, Herbert, man wird ſchon auf uns 


104 Die tragische Note. a 





aufmertjam! Schau — da geht der Vorhang wieder 
in die Höhe!“ 

Aber der dritte Akt ift gänzlich intereijelos für ihn. 
Alwina-Louifon ift mit dem erpreßten Reijegeld nad 
England ausgerüdt — das heißt fie ſchminkt fi 
wahrſcheinlich ſchon in der Garderobe ab, während 
der Gatte noch auf der Bühne tätig if. Wenn man 
dies wahrnähme, beruntereilte, fihb an den Neben— 
ausgang für die Schaufpieler aufitellte, die aparte 
kleine Perſon abfinge! Aber ein Blid auf Mamas 
Geſicht läßt ihn dann doch davon abftehen. | 

Auf dem Nahhaujeweg it der Leutnant Herbert 
Georg ſehr einfilbig, und noch am anderen Morgen 
wirkt die Derftimmung nad, Er iſt doch kein Rind mehr, 
iondern föniglih preußifcher Offizier. Er zählt zwei- 
undzwanzig Zahre, ein Alter, in dem Alexander der 
Große Tränen vergoß, weil er noch nichts für die Un- 
jterblichkeit getan, wo Muſſets Rolla freiwillig aus der 
Melt ging, weil er das Leben überjatt geworden! 

Herbert Georg kommt lange nicht zum Frühſtück. 
Der Dater fit längjt über feinem Manujtript, die 
Mutter bleibt nur der Gefellihaft halber am Raffee- 
tiſch. Sie beobachtet, wie der Prinz mit leidender Miene 
fih die Brötchen ftreicht, wie er das Ei mit der Ger- 
viette hält, als ob es etwas Widerwärtiges wäre, eine 
Kröte zum mindelten, wie er es dann mit ſpitzen 
Fingern und mit großer Umftändlichkeit der Schale 
enttleidet, es ringsum beſieht, ob es wohl feiner würdig 
it, es diskret beriecht, einen Zug von Mißtrauen auf 
dem hübſchen Rafjegeficht. 

Mama ift beunruhigt. Sie und ihr Zunge lieben 
ih zärtlich, aber fie fürchtet eines: wenn der Cäfar 
fih langweilt — — 

Sie ift die inkonfequentefte aller Mütter, und ſo 


0 Novellette von Rlara Ylüthgen. 105 








ſagt fie fchließlich, als fie den weltichmerzlichen Zug 
auf dem Geficht ihres Einzigen nicht mehr ertragen 
fann, faſt demütig: „Nun, wenn fie dir wirklich fo fehr 
gefällt, wenn dir wirklich fo viel daran liegt, Her- 
berthen —“ 

„Wer?“ fragt er und fieht fie faſt drohend an. 

„Qun, die Heine Brettjchneider von geftern abend, 
Du meinteft doch —“ 

„ach fo. An die habe ich gar nicht mehr gedacht.“ 

„Herbertchen, es läßt fih doch wohl einrichten. 
Mit Bapa habe ich fchon darüber geredet und —“ 

„Bitte, bemühe dich nicht im geringften, mir liegt 
nicht die Bohne dran.“ 

Selbitverftändlih wird die niedlihe Brettichneider 
nun erjt recht eingeladen, Frau Wendtland fchreibt ihr 
ein bezauberndes Briefhen, nah dem die kleine 
PBrovinzfchaufpielerin annehmen muß, daß ihr Be— 
juh der Dilla Wendtland eine bejondere Ehre und 
Freude ſei. 

Es fügt fih wunderbar. Der nächſte Tag ift fpiel- 
frei, Frau Louifon kann der Einladung folgen. 

Sie gehört zu jenen feltenen Ausnahmen von 
Schaujpielerinnen, deren Reiz nicht von der Rampen- 
beleudhtung abhängig if. Auch ohne verjchönende 
Theaterkunſt ift fie reizend, viel reigender fogar als 
in der künftlihen Aufmachung, denn die echte Jugend 
ihrer zwanzig Jahre hat dergleichen nicht nötig. Ihr 
Geſichtchen iſt fehr zart, nach unten auffällig zugejpißt, 
von einem matten, ein wenig ins Oliv fpielenden Ton 
überzogen, der Teint tadellos in feiner jugendlichen 
Reinheit und Weiche: Dichtes Shwarzes Haar legt ich 
im Sezeffionsfcheitel um das feine Oval, die großen 
jamtbraunen Augen ſchauen noch abfonderliher und 
weltfremder wie auf der Bühne. Sie trägt ein helles 


106 Die tragifhe Note. fg 





Mädchenkleid und einen riefengroßen — Stroh⸗ 
hut mit rotem Band. 

Alles verläuft, wie es ſich gehört, wenn eine gute 
Bürgersfamilie einen geehrten Gaſt empfängt. Nach 
dem Abendeſſen ſitzt man auf dem großen, mit ge— 
töntem Glaſe überdachten Balkon bei einer Bowle. 
Ehrbar und langweilig ſpinnt ſich die Unterhaltung. 
Die Berührungspuntte find gering, und die kleine 
Schaufpielerin gebt nicht fo recht aus fich heraus. Der 
Boden, auf dem fie heute abend ſteht, ift ihr offenbar 
fremd, Bald benütt Herr Wendtland fenior eine Ge- 
Iprähspaufe, um fib unter dem Vorwande, nicht 
länger ftören zu wollen, zu feinem geliebten, ſchon 
mädtig angefhwollenen Manuftript zurüdzuziehen. 
Diejes Manufkript ift, wie er glaubt, nad) einer tüch- 
tigen Beamtenlaufbahn fein eigentlihes „Lebens- 
wert“, dem zuliebe man fich hier in die Einſamkeit ver- 
graben hat. Schr bald bemerkt auch die literarifch an- 
gehaudhte Mama, daß fie in der Rüde zu tun habe, 
was nicht oft vortommt, und das deshalb ſchon ver- 
lohnt, daß man ſich zurüdszieht. 

Und nun fißen die beiden jungen Menfchentinder 
allein auf dem Balkon in ihren bequemen Langjtühlen. 
Solch Balkon ift ein ſchönes Ping, befonders an einem 
folchen Auguftabend, an dem die Luft jo weich und 
zärtlich weht wie im Zuni, Er gibt die Zllufion und 
den Schuß des gejchlofjenen Raumes, zugleich die Frei- 
beit des Alleinjeins. Und wenn man nun den Rlein- 
iteller der Gaslampe berniederzieht, was allein der 
Nachtichmetterlinge wegen, die fid fo gern daran ver- 
brennen, eine Notwendigteit ift, fp gewinnt das Zu- 
fammenfein einen direkt geheimnisvollen Reiz. 

Es iſt gerade Mondichein, ein wunderbarer Mond- 
ſchein, wie ihn keine Theaterwirkung je erzielen könnte, 


0 Novellette von Rlara Zlüthgen. 107 








und er bringt gar wunderlihe Zauberkunftftüdlein 
zuftande: die gegenüberliegende Dilla eines reichen 
Lederhändlers verwandelt er in ein weißes Märchen- 
ſchloß mit feltfamen Türmen und Sinnen. Die Berg- 
lehne dahinter weitet er in einem mertwürdigen Spiel 
wogender Lichter und Schatten zu einem Gefilde der 
Seligen. Der Geranienumfaffung auf dem Balton- 
geländer faugt er das brennend rote Blut aus und läßt 
die Dolden zu fahlen Blumengefpenjtern bleichen. 
Er ſpinnt aus feinen taufend blaſſen Silberfäden ein 
Neb, in dem fih die beiden jungen Menfichentinder 
unfehlbar fangen müffen, und er webt um den duntlen 
Sezeſſionsſcheitel einen myſtiſchen Schein, der geradezu 
bezaubern muß. 

„Wiſſen Sie, gnädige Zrau, was für ein Einfall 
mir kommt, wenn ich Sie fo fißen jehe mit diefer Mond- 
Icheinteone auf dem Ropfe? Ich muß an das Gareno 
denen, das um die Stirne der Genies flammt.,“ 

Der Einfall liegt nahe. Vor faum einer Stunde 
hat der Vater ihn mit einer Belehrung über Zirdufi, 
über das Gareno der alten Perfer, das um die Stirne 
der Erwählten flammt, und über das Feuer, das im 
Leibe der Rönige brennt, ſchwer ermüdet. 

Frau Brettfchneider, der Meinen Provinzichau- 
jpielerin, ift aber das Gareno unbelannt, und fo jagt 
fie nur verlegen: „Ich gehöre aber nicht zu den Er- 
wählten und zu den Genies noch weniger.“ 

„Aber Sie überragen doch alldie anderen hier um — 
um — na, dag man Sie faum damit in einem Atem nen- 
nenmag. Ich begreife es nicht, daß Sie mit Ihrem Talent 
es nicht ſchon zu einer erften Stellung gebracht haben.“ 

„Das ift fchwer heutzutage. Dazu gehört fo allerlei 
Protektion, Toiletten — — — und dann, id bin ja 
verheiratet.“ 


108 Die tragifhe Note. D 





„alt das ein Hinderungsgrund?“ 

„Natürlih. Einer für fih allein bringt ſich fchon 
an. Für ihrer zwei zugleich ein paſſendes Engagement 
zu finden, hält fchwer. Und trennen mag man fich 
doch nicht.“ 

„Ihr Gatte felbitverjtändlidh nicht. Aber Sie — 
wenn Zhnen dadurd eine beifere Zukunft offen ftände?“ 

„Wir find doch kaum zwei Zahre verheiratet,“ 
lagt fie fait vorwurfsvoll. Sie erzählt ihm, daß fie 
ein Sheatertind fei, von Schaufpielereltern ftamme 
und ſchon mit fieben Zahren zuerft die Bühne betreten 
babe in einer Rinderrolle und ſich dann fo immer mehr 
eingeipielt habe. Ihren Mann kenne fie von Rindheit 
an, fie feien Rollegentinder geweſen, hätten es nie 
anders gedacht, als daß fie ſich fpäter einmal ver- 
heiraten würden. „Und fo iſt es denn auch wirklich 
gelommen,“ ſchloß fie. 

„And Ihr Gatte?“ 

„Mein Mann ift fehr begabt, Charalterfpieler. 
Aber fie geben ihm nie die rihtigen Rollen, Weil er 
noch fo jung iſt und fchlant und blond dazu, muß er 
itets die fchüchternen Liebhaber fpielen.“ 

„gm ganzen find Sie doch aber glüdlih in Zhrem 
Beruf?“ 

„Ich könnte mir überhaupt feinen anderen für mich 
denken. Ein Leben ohne Theater zu jpielen — nein, 
ih wüßte gar nicht, wie ich mir das voritellen follte. 
Man ergreift Doch einen folhen Beruf, weil man eben 
gar nicht anders kann. Zhnen wird es ja ebenfo er- 
gangen fein, Herr Leutnant?“ 

„Sewiß. Auch ich hätte nichts anderes werden 
tönnen als Offizier. Gehen Sie, gnädige Frau, da 
ift ſchon etwas Ähnliches zwifchen uns.“ 

„Schon etwas?“ 


oO Novellette von Rlara Ylüthgen. 109 





„Qun ja. Sch habe fofort das Gefühl gehabt, dag 
etwas Derwandtes zwiihen uns fein müffe. Pas 
fühlt man. Das gebt fo als ſympathiſcher Strom von 
einem zum anderen. Haben Sie es nicht auch ſchon ge- 
fühlt, gnädige Frau?“ 

„Sie vergeflen, daß ih Schaufpielerin bin. Wir 
Scaufpielerinnen fühlen überhaupt nichts Urjprüng- 
lihes mehr. Wir können nichts anderes als nach- 
empfinden.“ 

„Da können Sie eigentlich ſehr beruhigt durchs 
Leben geben, wie mit eijerner Bruftwehr gepanzert. 
Aber ich glaube Zhnen nicht fo recht. Um eine Geitalt 
lebendig zu machen, ift’s doch nötig, fie ganz zu emp- 
finden, jede geheimſte Regung in ihr zu durchleben. 
3h meine, geradezu verzehren müßten Sie fih in 
diefem immer neuen Miterleben. — Haben Sie je 
die Zulia gefpielt, gnädige Frau?“ 

„Ah, ih möchte ſchon. Das möchten wir ja alle, 
jolange wir jung find. Aber man gibt fie mir nit, 2 

„And warum gibt man fie Zhnen nicht?“ 

„Das ift ſo eine Sache. Sie fagen, mir fehlt die 
tragifhe Note,“ | 

„Die tragiihe Note? Nun werden Gie über mich 
läbeln, aber ich verſtehe diefe Fachausdrücke nicht, 
Wollen Sie mir das nicht erklären?“ 

„Das ilt Doch fehr einfah. Zedes Rollenfah hat 
feine beſtimmte Note, etwas, auf Das es abgeftempelt 
iſt. Diefe Note muß herausgearbeitet werden, fie muß 
wirten, paden. Dazu gehört aber eine Perjönlichkeit, 
die fi) Damit dedt. Der geborene Romiter kann keinen 
Hamlet fpielen und die Salondame kein Rautendelein. 
And ich keine Zulia — leider. Ich bin immer der Bad- 
fh, das naive Mädchen,“ 

„Aber um des Himmels willen, warum denn? 


110 Die tragiſche Note. oD 





Sie haben doch alles, was eine Zulia braucht,“ fagt 
der Leutnant ehrlich überzeugt. 

Das Mondlicht zittert an dem fchwarzen Scheitel 
bernieder, es hängt an den langen Wimpern, es wiegt 
ſich auf der jungen, faſt kindlichen Brujt, die eben ein 
Seufzer der Sehnſucht hebt. 

„3b begreife die Oberbonzen wirtlih nicht, Die 
Shnen das eingeredet haben.“ 

„Ss ift doch nun mal fo, und ich nannte Zhnen 
ja den Grund: ih habe nun einmal die tragifche Note 
nicht,“ 

„3b weiß immer noch nidht warum.“ 

„Nun, weil ich keine rechte Leidenschaft habe. Man 
jagt, weil ich niemals innerlich fo recht etwas erlebt habe,“ 

„Sie find doc verheiratet!“ 

„Ad, ſolche frühe Ehe! Und wenn man Sich ſchon 
von Rindheit an gelannt hat —“ 

„And wenn fchon, das Standesamt fchließt Doch 
nicht jedes Gefühl für jpäter ab. Sie wollen mir doch 
nicht weismaden, daß Sie überhaupt noch nichts er- 
lebt hätten, Frau Louijon?“ 

Er wird kühn, der Leutnant Herbert Georg, im 
Augenblid ift die Frau neben ihm nur die Heine Schau- 
jpielerin, der man ſchon etwas bieten kann. Wie jelbft- 
vergefien legt ſich feine kräftige Hand auf ihre zarte, . 
mondicheinblajje. 

Sie aber jcheint’s nicht zu bemerken, zudt Die 
Ihmädtigen Schultern und erwidert gelaſſen: „Und 
wenn Sie's auch nicht glauben, Herr Leutnant, es iſt 
doch fo und wird auch wohl fo bleiben,“ 

Denn fie ihn nur nicht immer „Here Leutnant“ 
nennen wollte! Der fervile Ton, in dem fie’s aus- 
ſpricht, durchfchneidet den Zauber der Mondnadt 
wie eine Diljonanz. 


a Novellette von Rlara Blüthgen. 111 


„Warum nennen Sie mich nur immer fp feierlich 
‚Herr Leutnant‘, Frau Louifon?“ 

„Wie follte ich Sie ſonſt nennen?“ 

Verſteht denn dieje kleine Schaufpielerin es noch 
immer nicht, daß er ſich ihr buldvoll zuneigt? Will 
fie es vielleicht nicht verftehen? Gebt er ſich der Ge— 
fahr aus, abzubligen, wenn er deutlicher wird? Das 
darf nicht fein, fein Selbitgefühl leidet es nicht und 
am wenigiten hier auf Mamas Ballon. 

Und fo zieht er denn die Hand, die nicht den ge- 
tingiten Gegendrud gefühlt hat, hinweg, reicht der 
jungen Dame ihr Bowleglas, ergreift feines und jagt 
liebenswürdig, aber mit ironifher Färbung: „Auf 
eine große Zukunft, meine gnädige Frau — und 
auf die tragifhe Note, die Zhnen dazu verhelfen 
joll!“ 

Sn diefem Augenblid erjcheint die Mama auf der 
Bildflähe. Zhre imponierende Geftalt füllt faſt die 
enge Balkontür. Etwas mißtrauifch äugt fie hinein 
in die lampenloje Monddämmerung. 

„Nun, ihre habt es euch hier ja ganz märchenhaft 
zurechtgemacht!“ 

„Nur eurer abſcheulichen Mücken wegen, Mama. 
Die gnädige Frau iſt ſo weichen Gemütes, daß ſie nichts 
Lebendiges leiden ſehen kann, und ſei es auch nur 
eine Mücke oder ein Nachtſchmetterling.“ 

Die Mama aber, die robuſteren Gemütes iſt, zieht 
den Rleinfteller wieder hoch, ſetzt fih zu den beiden 
und iſt von einer ganz befonderen mütterlichen Güte 
und Liebenswürdigkeit gegen die junge Frau. Gie 
bat die unbeftimmte Witterung, ihr Zunge könnte 
fed geworden fein. Da heißt es, auszugleichen. Gie 
ladet ihren Gaft ein, doch häufiger vor dem Theater 
den Nachmittagstee mit ihnen zu nehmen oder aud), 


112 Die tragische Note. 0 





falls es ihr Dergnügen made und ihre Zeit es erlaube, 
mit ihnen auszufahren. 

Begierig greift der Leutnant den le&teren Dor- 
Ihlag auf, und in kecker Umdrehung des Angebotes ruft 
er enthufiasmiert: „Cine famofe Fdee, gnädige Frau, 
die meine alte Dame da entwidelt! Ich hoffe, Sie 
erzeigen mir die Ehre, fih mir für eine Fahrt anzu- 
vertrauen. Und je früher je bejjer, denn mein Urlaub 
it bald zu Ende. Beſtimmen gnädige Frau, bitte, 
eine Stunde, zu der ih morgen vorfahren darf.“ 

Bei dem unverhofften Vorfchlag fteigt ein zartes 
Freudenrot in dem jungen Gefihtchen auf, das es fehr 
lieblich macht. Ausfahren in einem ſchönen Privat- 
wagen, abgeholt werden! Wer könnte da anders als 
dankerfüllt zuftimmen! Aber was ihr Mann wohl zu 
diefer Auszeichnung fagen wird? Und die Rolleginnen? 
Ah, am Ende trägt er gar Uniform — ad), ficher wird 
er in Uniform kommen! 

+ Gie fagt alſo zu. 

Er kommt nun zwar am anderen Nachmittag nicht 
in Uniform, fondern in einem duntelblauen Zatfett- 
anzug. Uber der topfartige Panama ift jo zauberijch 
fein, das grüne Band, das ihn umwindet, Hingt mit 
dem grün- und braungeftreiften Bindeichlips, den 
braunen Schuhen und ebenjolhen Fahrhandſchuhen 
zu einem ſo gewählten Farbenakkord zufammen, daß 
kaum eine leife Enttäufhung auflommen kann. Don 
Mama bringt er ihr drei weiße NRofen, eigenhändig in 
dem Garten gefchnitten, die fie an ihrem weißen 
Batiftkleidchen befejtigt. Er jelbft [pendet einen Wunder- 
ſtrauß von brennend roten Nelken. Die behält fie wäh- 
rend der ganzen Fahrt in der Hand, um alle Augen- 
blide beglüdt das feine Näschen hineinzufteden. 

Wie vorauszufehen war, erregt es fein geringes 


D Novellette von Rlara Blüthgen. 113 





Auffehen, als der Wagen vor dem Haufe des Herrn 
Sattlermeijters Berger hält, bei dem das Schaufpieler- 
paar Wohnung genommen bat, und die hübſche Frau 
Brettjchneider die fünf Treppenftufen wie ein Eng- 
lein berabfchwebt, um von dem Sohn des Wirklichen 
Geheimrats Wendtland mit einer Ehrerbietung in 
Empfang genommen zu werden, als fei fie eine durch- 
lauchtigfte Brinzeffin. Hinter all den geblauten Züll- 
gardinen wird es lebendig. Gefichter mit dem Aus- 
drud maßlofer, kleinſtädtiſcher Verwunderung drüden 
fich gegen die Scheiben, als nun das Gefährt, von dem 
fürchterlichen Ropfiteinpflafter in unregelmäßigen Ruf- 
ken emporgeworfen, langſam durch die ftillen Straßen 
rumpelt, gerade als wollte man es darauf ablegen, 
recht gejehen zu werden. 

Das macht Freude. Hübſcher ift es aber doch noch, 
als man diefen Spießrutenweg hinter fih und Die 
Landſtraße gewonnen hat, die bald in den Wald ein- 
biegt. Abgeſehen von einem Holzfuhrwert, auf dem 
die zufammengefoppelten Stämme in fchier endlofer 
Länge gefahren werden, und von einem vereinzelten 
Radfahrer, begegnet man niemand. Der Himmel 
Ipannt fi in woltenlofer Bläue aus, über das Grün 
der Buchen legen ſich die eriten metalliihen Töne von 
Goldgelb und Roftrot, ganz fein darüber getujcht, als 
habe man die Rrone nur eben in ein galvanifches Bad 
getaucht. Eine ganz leife Brife rührt ſich und bringt 
aus dem Walde den Geruh von Thymian und Pilzen 
herüber. Die reizende Sonja, die feurige rufjifche 
Rappitute, greift jo bejonders fröhlich aus, als wüßte 
fie, daß fie etwas ganz befonders Reizendes zu fahren 
babe. Das „Spielechen“, der bewegliche, goldene 
Stern oben auf der Stirn, flirrt auf und nieder und 
blintt im Sonnenſchein in taufend lujtigen kleinen 

1912. VII. 8 


114 Die tragifhe Note. 0 





Bligen. Gar zierlih wie im Tanz feßt fie die fchön- 
geformten Hufe. Zwar fcheut fie vor allem Ungewöhn- 
lihen, aber nur, um fofort, wenn man ihr gut zuredet, 
fi ihrer Torheit bewußt zu werden. Da heißt es dann 
aufpaffen, und der, der fie meiftert, wird gar leicht zum 
Helden, bejonders für eine zwanzigjährige kleine 
Scaufpielerin, die bisher nie anders als mit abgetrie- 
benen Drofchtengäulen gefahren ift. 

Auh daß man fi dabei nicht gerade viel unter- 
halten kann, madt weiter nichts. Pie ſympathiſche 
Nähe, das junge Blut ſpricht fowiejo ftart genug von 
einem zum anderen hinüber, 

In der Förfterei machten fie halt. Es gab dort einen 
famofen Raffee und einen Topfkuchen, der wie ein 
Schwamm auseinander ging, wenn man verjuchte, 
ihn zu feiner Erweichung einzutauchen. Einige Bürgers- 
leute, die Männer mit kräftigen Höhenzigarren, die 
Frauen mit der Häfelarbeit, hatten fich eingefunden, 
ein paar Rinder vergnügten fib auf der Schaufel. 

Etwas abgejondert von den übrigen Gäften fand 
das junge Baar Pla, Auch jetzt ſprachen fie nur wenig. 

Herbert Georg 309 die Sigarettentajhe. „Darf 
ih SZhnen anbieten, gnädige Frau?“ 

Frau Louifon nahm, ließ fih Feuer reihen und 
rauchte tapfer darauf los, obgleich ihr Zigarettenrauch 
eigentlih zuwider war. Sie glaubte, daß es ihm be- 
haglicher jo fein würde. 

Beide lächelten vor fih hin. Sie wußten, daß man 
fie beobachtete, ihr Zuſammenſein mißbilligte, denn 
jeder kannte den Geheimratsfohn und die Schau- 
jpielerin. Aber gerade das fonderte fie von den anderen 
ab und verband fie mit einem Hleinen heimlichen 
Fäden. 


Auch die zweite Bigarette nahm fie, „Es ift nur 


DO Moovellette von Rlara Blüthgen. 115 


der Müden wegen,“ entſchuldigte fie fih, denn nun 
kam ihr der Gedante, daß er es doch am Ende unweib- 
lib finden könne, wenn fie fo öffentlich rauchte. 

Natürli wurde vor dem Aufbruch die ausgeruhte 
Sonja durh Zureden und Halstlopfen: ermutigt, und 
ebenjo natürlih bekam fie den Zuderreft — Frau 
Louiſon reichte ihn ihr, denn fie hatte in Novellen ge 
lefen, daß das fo üblich fei. 

„Aber, gnädige Frau, nicht mit fo fpigen Fingern! 
Sie beißt Zhnen fonjt noch das Fingerchen ab, und das 
wäre Doch ſehr ſchade. Sp — jo aus der flachen Hand — 
ſehen Sie, fo ift’s richtig. Dabei faßte er das zarte Ge— 
lent, um die Hand vorjchriftsmäßig zu halten, und fah 
zu feiner großen Überrafhung, daß die junge Frau 
errötete. 

Mar es denkbar — eine Schaufpielerin, die rot 
wurde, wenn man nur ihre Hand berührte? 

Da modte fie ja beinahe die Wahrheit gejagt 
haben, als fie behauptete, fie habe noch nichts er- 
lebt! 

Das verlohnte, eine Minute darüber adzübensen. 
ſelbſt jetzt noch, als man in einen Seitenweg einbog, 
der ſo eng war, daß die Zweige über ihnen wie eine 
dichte Laube zuſammenſchlugen und es für den Fahrer 
notwendig wurde, genau auf den Weg zu achten. 
Es herrfchte eine märchenhafte, grüne Halbdämmerung, 
nur an einzelnen Stellen tämpfte fih die Sonne 
durch ‚und lag in kupferroten Lachen über dem vor- 
jährigen Buchenlaub am Boden. 

Manchmal gab’s einen heftigen Stoß, bei dem 
das leichte Wägelchen nur fo in die Höhe flog, und bei 
dem die junge Frau dem Leutnant Herbert Georg 
an die Schulter geworfen wurde und fchußfuchend 
feinen Arm umklammern mußte. 


116 Die tragifche Note, Oo 


„Aber, gnädige Zrau — wie foll ih denn dabei 
fahren? Fürchten Sie ſich denn?“ 

„Nein!“ fagte fie mit einem Ton, als fei es eine 
Unmöglichkeit, ſich mit ihm zu fürdhten, und ſah ihn 
ergeben an. „Nein, ih fürchte mich gar nicht — ich 
bin ja fo glüdlich !“ | 

Wieder errötete fie, 

Und die Fahrt ging zu Ende, und die Naht kam. 
Eine junge Frau lag fchlaflos vor Glück. Mit heißen 
Augen fchaute fie aufs Feniter, wo durch den Spalt 
der Gardine das Mondliht eindrang und feine, flim- 
mernde Silberfäden in das Zimmer ſpann bis auf ihr 
Bett. Diefelben Silberfäden, die hinübergingen zu 
der vornehmen Gebeimratsvilla, zu dem Märchen- 
balton mit feiner Geranieneinfafjung, zu einer anderen 
Stube und zu einem anderen weißen Bett. Vielleicht 
wachte auch er? Sie fühlte, wie fie im Dunkel der Nacht 
errötete und fich darüber fchämte. 

Auf einem Tiſchchen neben ihr dufteten die Nelken, 
heiß und ſchwer wie eine Verheißung von etwas 
Wunderbarem, Unbelanntem. Und von der anderen 
Seite ber tönten die Atemzüge ihres Mannes gleidy- 
mäßig und friedlid, nur hin und wieder von einem 
gludfenden Zon unterbrochen. 


Selbjtverjtändlich blieb es nicht bei der einen Fahrt. 
Es traf jih gut, daß die Saifon zu Ende ging, keine 
neuen Rollen mehr zu lernen waren. So fanden [ich 
jeden Tag ein paar Dor- oder Nachmittagsitunden, an 
denen man binausfabren konnte, aus der engen Klein- 
ftadt binaus ins Grüne, Freie. 

Don jebt ab klagte der Leutnant MWendtland nicht 
mebr über Langeweile, 


D Novellette von Rlara Blüthgen. 117 





Wohl aber war die Mutter mit ihm unzufrieden. 
„Du follteft das doch nicht fo weitertreiben, Herbert! 
Die ganze Stadt beobachtet euch und jpricht darüber, 
Ganz befonders, feit du vorgeftern mit der Dame 
auf der Terraſſe im Logengarten gefpeijt hajt.“ 

Darüber fcheint der Sohn höchlich erftaunt. „Na 
— und? Was ift denn dabei? Zjt meine kleine Mama 
plöglih fo Meinjtädtiih geworden?“ 

„Das nit. Es ift mir nur um die harmloſe junge 
Frau zu tun. Warum drängſt du dich in eine Ehe, 
regſt die kleine Frau zu Vergleichen an? Laß doch 
die beiden ſehen, wie ſie miteinander fertig werden!“ 

„Was tue ich denn nur?“ 

„Gott, Herbert, du biſt ein hübſcher Zunge, und 
die Meine Frau fcheint, trogdem fie Schaufpielerin ift, 
noch wenig vom Leben zu kennen. Da könnte doc 
vielleiht — nun, du biſt ja in diefen Dingen bewan- 
derter als ich. — Was ſiehſt du mich denn fo an?“ 

„Erlaube — bier hat meine kleine Mama ein paar 
weiße Härchen hinter dem Ohr, Sollte meine Heine 
Mama fih deshalb zur Moralpredigerin ausbilden 
wollen?“ 

Die Mama tritt vor den Spiegel, mißmutig und 
verärgert. Wahrhaftig, da find in dem edlen Rajtanien- 
braun, das ſich in regelmäßigen Dauerwellen um ihren 
Kopf Ihmiegt, ein paar helle Härchen. Sie wird alt, 
Soll fie deshalb der Zugend ihr Recht vertümmern? 

So fagt fie denn nur: „Du weißt, ich predige nie- 
mals, befonders dir nicht. Wie ftellt ſich denn er zu der 
Sache?“ 

„Er? Ach ſo, der Ehemann?“ 

„ga, es wäre doch eine fatale Sache, wenn du mit 
ihm __% 

„Ah, kleine Mama! Für diefe Naivität muß id 


118 ı Die tragifche Note. Oo 








dir einen Ruß geben. Er ijt nichts als koloſſal ge- 
ſchmeichelt. Ich habe neulih im Theater Gelegenheit 
gehabt, mich mit ihm befannt zu maden. Übrigens 
ein famojer Rerl, das muß ihm der Neid laſſen.“ 

„Qun, Herbert, ſo verſprich mir wenigitens, daß 
du ihre nicht zu nahe trittſt. Du haft fie bei uns im 
Haufe kennen gelernt, ih bin aljo für fie verantwort- 
lich.“ F 
„Selbitredend. Reg dih nur nit auf.“ 

„ga, es wäre mir wirklich fatal, wenn man noch 
weiter darüber ſpräche. Es fieht ja geradezu aus, als 
ob ich die Sache protegiere, Verſprich mir aljo, daß 
du nichts tuſt, was du niht auch Damen unferer 
Kreife —“ 

„Aber nein, Heine Mama! Da wäre übrigens nicht 
viel zu verfprechen. Eine ijt wie die andere. Geküßt 
werden bei pafjender Gelegenheit möchten fie alle 
gern. — — — Na — na, nur nit tragifch nehmen! 
Ich verſpreche dir ja, was du willft! Ich bin überhaupt 
der Sache ſchon müde. Es ift gut, daß der Urlaub 
bald zu Ende ift.“ 

Sprad er die Wahrheit? Er konnte fich felbit 
feine Rechenichaft darüber geben. 

Diefer junge Lebenstünftler, der das Weib in jeder 
Scattierung kennt, iſt ganz gewiß nicht in diefe Heine 
Scaufpielerin verliebt. Sie unterhält ihn angenehm 
in der Langeweile bier — das iſt alles. Außerdem ift 
er noch nicht fo blafiert, daß ihre unverhohlene, naive 
Bewunderung ihm nicht ſchmeicheln follte. Dazu be- 
jißt fie etwas, das es ihm antut: den vollen Reiz des 
jungen Weibes, das ihr Herz noch nicht entdedt hat. 

Gott fei Dank, daß der Urlaub zu Ende gebt! 





0 Novellette von Klara Blüthgen. 113 





Man it allmählihb in den September bhinein- 
gefommen, aber noch immer hält die Sommerwärme an. 
Eines Tages gebt ein furchtbares Gewitter nieder, 
wie man es diefer Markgegend, in der alles font fo 
gemäßigt ift, gar nicht zutrauen würde. Es gewittert 
von vier Seiten zugleich, der Blitz fährt in eine Bäderei, 
er fpaltet verfchiedene der alten Baumriefen im Bart, 
mit gewaltiger Rraft praffelt der Regen herab, ſchwemmt 
von den Landftragen den Sand ab und wälcht auf den 
Maldivegen die blanten Steine zutage. Den ganzen 
Tag iſt man ans Haus gefefjelt, feine Möglichkeit, 
den Fuß vor die Tür zu feßen. 

Herbert Georg langweilt fich wieder, oder vielmehr 
ein eigenes, fremdes Gefühl wühlt in ihm, Unruhe, 
Ärger, DBerftimmung,. Ungeduld, Sehnſucht. Er ver- 
mißt die, die bewundernd und felbitverftändlich in ihm 
den Herrn gefehen, vermißt dieſe junge, weibliche 
Nähe. 

Und morgen ift der legte Tag. — — 

Der Himmel hat ein Einfehen, feine Wut hat ſich 
in dem einen fürchterlihen Ausbruch überfchlagen, 
am nächſten Tage zeiat er ein um fo ftrablenderes Ge- 
ſicht. Die Sonne gudt in alle Löcher, fie badet ſich 
übermütig in all den kleinen Rinnfalen und Laden, 
veritreut luſtige Goldfunten, wenn fie die Waſſer— 
flächen trifft. Sie trodnet die abgewafchenen Blätter, 
die durch die prädtige Erfriichung hell und durch- 
jihtig wie ganz junges Frühlingslaub fchillern. 

Gar bald verlaufen fih die Waſſer, find all die 
Heinen Pfüten aufgefogen, und nur ein Löftlicher, 
friiher Dunft bleibt zurüd, in dem es ſich wonniglich 
atmen läßt. 

Wieder tanzt kedlich das „Spielerchen“ auf Sonjas 
Ihwarzem Kopf, wieder fcheint die kluge NRuffin zu 


129 Die tragifhe Note. 0 





wittern, daß fie etwas ganz Befjonderes fährt — einen 
ganzen Wagen voll jungen Menfchenglüds. 

Wenn man innerlich fo glüdlich ift, fann man jich 
ruhig anfehen, was für Schaden das Unwetter draußen 
angerichtet hat. 

Sp fährt der Leutnant tief in den Wald hinein, 
wo die Bäume enge ftehen und der Weg ausgewalchen 
ist, daß die blanten weißen Steine wie Porzellanteller 
Daraus hervorleuchten. Zn den Wegjentungen bat fich 
der herausgeſchwemmte Sand angefammelt, fo daß 
man faum mit dem Wagen hindurchkommen kann. 
Der Wald ift aus Laub- und NMadelholz gemifcht, 
einzelne Kiefern hat das Unwetter gebrochen und über 
den Weg geworfen, während die zähen Buchen feiner 
Gewalt widerftanden haben. 

Ein paarmal muß man ausfteigen und den Wagen 
Ihieben, Sonja hält erjchöpft, ihre Flanken fchlagen, 
ihr ſchwarzes Zell ftehbt in einer Wollte weißlichen 
Dampfes. 

Einmal muß aud der Leutnant ein paar ftarfe 
gebrochene Zweige aus dem Wege räumen, eine 
echte Rraftleiftung. Frau Louifon darf inzwifchen im 
Wagen fiten bleiben. Es ift ein hübjches Bild: das 
dunkle Gefährt, das ſchlanke Figürchen im hellen Kleid 
mit dem dunklen Haar und darüber wieder der helle 
Hut — wie ein Plakatbild im Mufter der Schwarz- 
weißkunſt. 

Auch auf den Leutnant wirkt dieſer Reiz. Er bleibt 
ſtehen, um ihn in ſich aufzunehmen. 

„Man ſieht doch erſt ſo recht, wie hübſch unſer 
kleines Geſpann iſt, wenn ſolch junges Mädchen mit 
großem Hut darin ſitzt,“ ſagt er lächelnd. 

„Ich bin aber kein junges Mädchen,“ gibt ſie zurück. 

„Richtig. Aber Sie müſſen erſt daran erinnern, 


D Novellette von Rlara Blüthgen. 121 





fonft vergigt man’s immer wieder. — Sagen Gie, 
Frau Louifon, wie fangen Sie's nur an, diefe echten, 
neugierigen Mädchenaugen zu haben?“ 

„Wir wollen doch lieber weiterfahren. Hier ift’s 
fo naß und kühl, Sch möchte in die Sonne!“ weicht 
fie aus. 

„Sut — fahren wir aljo weiter!“ 

Langſam gebt’s auf dem ausgewaſchenen Wege 
den Waldhügel hinan, und als man oben ilt, heißt es 
wieder ziemlich fteil binunterfahren. 

„Eigentlich ein wunderliches Bergnügen, einen Berg 
nehmen und dann wieder hinunter müffen und fo immer 
weiter, ein Hindernis nah dem anderen. Nicht wahr, 
gnädige Frau?“ 

„Mir madht’s Freude,“ fagt fie, und ne braunen 
Augen leuchten dabei. 

Das Hinunterkommen iſt nicht fo leicht, Der jehr 
ſteile Weg ift volllommen ausgejpült, zwifchen tiefen 
Sandrillen häuft ſich Geröll, einzelne große Slöde 
dazwiſchen. 

„Wir müſſen ausſteigen. Können Sie wohl fünf 
Minuten gehen? Dann bitte, vorauszulaufen, ich 
muß hier allein fertig werden.“ 

Natürli kann fie das, aber fie fühlt es wie einen 
Ihmerzhaften Riß, der immer mehr zerrt, je mebr fie 
jih von ihrem Beihüßer entfernt. 

Unten angelommen, blidt fie zu ihm zurüd, Er 
bat das Pferd beim Ropf gefaßt, ſtützt und leitet es. 
Vorſichtig taftend fett es die feinen Hufe zwifchen die 
Steine, ſtemmt mit den Hinterbeinen, um ein Nad- 
rutjhen des Wagens zu verhindern. Der Leutnant 
Elopft ihm den Hals, redet ihm gut zu. Seine fchlante 
Geftalt ift hoch aufgerichtet, jede Bewegung ift ficher, 
beherrſcht, zweddienlih. Die Laft von Pferd und Wagen 


122 Die tragifche Note. s) 


ruht ausichlieglihb auf ihm. Mehr als je ift er der 
Bezwinger, der Held, als er ihr fo langjam näher 
kommt. 

„Ich habe mich um Sie geſorgt!“ ſagt fie und preßt 
mit einer Gebärde, die etwas nach Theater ſchmeckt, 
die Hand aufs Herz. 

„Es war doch keine Gefahr. Und wenn ſchon — 
was hätte das Ihnen ausmachen können?“ 

„Mir? — Natürlih nichts, gar nichts!“ murmelt 
fie, und es ift, als ob ein Licht, das man eben hinter einem 
Stansparentbilde angezündet, wieder erlischt. 

Der Steile Hohlweg hat fie in ein zauberiiches Tal 
geführt. Ein duntelgrüner Waldfee ſpannt feine 
ipiegelnde Fläche. Grünes, flaches Dorland, an ein- 
zelnen Gebüſchgruppen unterbrochen, faßt ihn ein, 
dahinter fteigen ringsum die Berge auf mit ihrem 
Gemiſch von Buchen und Riefern, das derMarklandichaft 
Itart den Sondercharakter aufprägt. Der Himmel 
wölbt fih wie eine Ruppel aus leuchtend blauen 
Sapbiren, die Sonne brennt mit fo heißer Rraft, als 
wollte fie fich für all das entihädigen, was fie geftern 
verfäumt hut. Eine Stelle, wo fie den Boden ohne 
jede Schattenunterbrechung trifft, iſt ſchon jo troden, 
daß zwilchen den Gräfern der Sand brüdig tiefelt. 

Ein wundervoller Platz, um Raft zu halten, nachdem 
man die Wagendede darüber gebreitet hat. Es ift ganz 
Tritt, kein Lüftchen rührt fich, keine Furche kräuſelt die 
dunkle Wafferflähe. Bon dem Getier, das das Unwetter 
geftern in feinen Schlupfwintel gejagt, hat fih noch 
nichts wieder hervorgewagt, keine Fliege ſummt, kein 
Schmetterling breitet feine Flügel aus. Überall das 
große Schweigen des Mittags. Der große Pan fchläft. 

Dem Pferd hat man das Ropfgeitell abgenommen, 
es Steht, den fchönaufgefegten Hals gefentt, und reißt 


D - Novellette von Rlara Ylüthgen. 123 


die fonnentrodenen Grasbüfchel aus. Hat es eine 
Stelle abgenagt, fo jchleift es den leihten Wagen hinter 
lich ber, um an einer anderen Stelle feine Arbeit fort- 
zuſetzen. 

Frau Louiſon ſitzt, die Füßchen in gelbbraunen, 
etwas ſchiefgetretenen Schuhen von ſich geſtreckt, auf 
der Felldecke. 

„Wie eine kleine weiße Ente im Stroh,“ neckt der 
Leutnant. Er iſt dabei, den Frühſtückskorb auszupacken, 
den die Mutter ihm mitgegeben hat. Die Gewißheit, 
daß dieſe Ausfahrt die wirklich und unwiderruflich 
letzte iſt, hat ſie milde geſtimmt, und der Köſtlichkeiten 
iſt kein Ende: Butterſchnitten mit feinem Belag, Stücke 
von eigelbſtrotzender Sandtorte, herrliche Pfirſiche in 
Weinblätter verpackt. Sogar an ein paar Tellerchen 
und Papierſervietten hat ſie gedacht und an zwei 
ſilberne Becher für den guten alten Tokaier. 

Niemals ift ein Mann der Frau gefährlicher, als 
wenn er ſich jcherzhaft zu Weiberarbeit erniedrigt, fie 
mit Speife und Trank verforgt. War der Leutnant 
Wendtland vorhin der gewaltige Gott feiner Rraft, 
jo iſt er jeßt der menschlich fühlende Gott, der zu der 
Bajadere herniederiteigt, der mit ihr auf weichen. 
Fell lagert, mit ihr fpeift und feitlihde Zrantopfer 
ſpendet. | 

Wie gut er es verfteht, die Brötchen aus dem Per- 
gamentpapier zu fehälen, fie zierlih auf dem Zeller 
zu ordnen, einen Pfirfih auseinanderzubrechen und 
den Wein in die filbernen Becher zu gießen! Wie 
freundlich er ihr zuredet, wie beſorgt er ift, daß fie auch 
gut fit! 

Einen Pfirfih Hat man zu zweien gegejjen, fie die 
rote Hälfte, er die weiße, Was foll nun aber mit dem 
Rern werden? Die junge Frau fchlägt vor, ihn in die 


124 Die tragifhe Note. o 





Erde zu pflanzen, vielleicht, daß er aufgeht, fich be- 
wurzelt, daß daraus ein fchöner und Starter Baum 
entitebt, der Zeugnis davon ablegt, daß bier zweie 
miteinander geſeſſen haben und — 

Der Leutnant bohrt mit dem PBeitichenitiel ein 
Loch in das fandige Erdreich, der Kern wird eingejentt, 
der Ort durch ein trodenes YZweiglein bezeichnet. 

Sieflinnig jehen die beiden die Stelle an, als wäre 
es ein Rindergrab. Ohne es zu wiljen, halten fie fich 
bei den Händen. 

„Komm,“ fagt der Leutnant, „laß uns wieder 
niederfigen.“ 

Sie figen wieder auf der flaufhigen Felldede, 
Hand in Hand und Schulter an Schulter. Sie wollen 
Iprechen, aber es würgt ihnen etwas im Halfe, fie 
fönnen die Worte nicht finden. 

„Erzähle mir etwas aus deinem Leben,“ bittet end- 
li Herbert Georg, 

„Ich kann nicht. Ich weiß nichts. Mir ift’s, als 
ob ich überhaupt noch gar nicht gelebt hätte,“ eriwiderte 
lie tonlos. 

„And jet?“ 

„Ah, es könnte alles jo jchön fein — —“ 

Er ſchenkt ihr Wein ein. Der köſtliche Tokaier 
funtelt duntelgolden wie ein fluͤſſiger Topas in der 
ſilbernen Höhlung. 

„Trink! Dieſe Stunde gehört uns!“ 

„ga, die einzige —“ 

Er fühlt an feiner Schulter, wie es durch ihren 
Körper riefelt, auch ihre Hand zittert. Ein paar Tropfen 
fließen über und fallen auf ihr weißes Kleid. 

„Rind, was haft du, was erjchüttert Dich fo?“ fagt 
er und zieht fie feiter an ſich. Per Hut ift ihr vom 
Kopf geglitten, das Schwarze Haar umrahmt eng Die 


o Novellette von Rlara Blüthgen. 125 





ſchmale Stirn. Sie hat die Augen gefchloffen, atmet 
beflommen, ihre Lider zittern. 

Cr fühlt fie ſchwer und ſchwerer in feinem Arm. 
Mas ift ihr? Wird fie ohnmächtig? 

Da Öffnet fie die Augen, lächelt ſehnſüchtig, die 
toten Lippen zittern, 

Und er? Warum küßt er diefe roten Lippen nicht, 
die ihm entgegenblühben? Er, der fo viele Rüffe leicht- 
fertig gegeben und genommen bat, daß ihm der Ruß 
zur wertlofen Sceidemünze berabgejunten iſt — 
warum küßt er fie nicht? Gerade fie nicht? 

Nun, gegenüber diefer tiefen Leidenſchaft kommt 
er mit feiner zerftüdelten, vergeudeten Liebestraft jich 
arm und ohnmädtig vor, Er fürchtet fich, diefe ver- 
haltene Liebesglut zur Flamme anzufahen, denn er 
fühlt, fie würde zum Feuer werden, das Jicher das 
ſchwache Geſchöpf neben ihm verbrennt, das nur in 
einem ſtark ift, in diefer Liebe. 

Aber vielleiht auch ihn felbit. 

So löſt er ein Hein wenig den Arm von ihr, Hopft 
lie janft auf die Schulter und fagt ein paar Derlegen- 
heitsworte: „Mein armes Rind, meine gute Hleine 
Zouifon!“ 

Sie jieht ihn erjhroden an, ungläubig, Dann 
entfärbt fie fih. Ihr Geficht nimmt den tragischen 
Ausdruck einer Sterbenden an. Gie richtet fich auf, 

ſteht wantend auf den Füßen. 

Er will ihre helfen, fie jtüßen. Sie wehrt ihn mit 
einer Handbewegung ab. 

„Louiſon!“ jagt er noch einmal, Zhm ift ſehr jäm- 
merlich zu Sinn. Weit jämmerliher nad diefem Ruß, 
den er verſchmäht, als nach denen, die er genofjen. 

Schließlich ftedt er fich eine Zigarette an und be- 
sinnt das Frühjtüdsgerät zufammenzuräumen. 


126 Die tragifhe Note, 8) 

Die junge Frau fteht neben dem Pferd, den Hals 
mit beiden Armen umtlammernd, den Ropf in der 
turzgejchnittenen Mähne bergend. 

„Wir müffen aufbrechen, gnädige Frau. Geftatten 
Sie — ib möchte Sonja das Ropfgeitell wieder auf- 
legen.“ 

Damit glaubt der Leutnant am beiten den rechten 
Son zu finden. 

Als aber die junge Frau langjam wieder den Ropf 
erhebt und ein fremdes, entitelltes Geſicht ihn aus 
trodenen Augen anjieht, bleibt ihm jedes weitere Wort 
in der Rehle fteden. 

Stumm treten fie die Heimfahrt an, ftumm bleiben 
fie während der ganzen Zeit nebeneinander fißen. 

Arme kleine Louifon! Auch du wirft Küſſe geben 
und nehmen, leicht ausgetaufhte und leidenjchaft- 
erfüllte. Auch du wirft zu Höhen und Tiefen geriffen 
werden, aber felbft in Augenbliden jelbitvergeffener 
Seligteit wird ein Kleiner, fchmerzender Punkt in Dir 
dich daran erinnern, Daß du einmal einem hübfchen, 
leihtfinnigen Zungen mehr geboten haft, als er er- 
widern konnte und wollte, 

ve * 
+ 

Am anderen Morgen zu fehr korrekter - Bejuds- 
ſtunde ließen fih Herr und Frau Brettichneider in der 
Dilla Wendtland melden. 

Sie wurden von der gnädigen Frau fehr huldvoll 
empfangen, der Herr Geheimrat zeigte ſich auf einige 
Minuten, zuletzt auch der Herr Leutnant in voller Uni— 
form, denn er wollte gerade feine Abjchiedsbefuche 
machen. | 

Man unterhielt fih von den beiderjeits gepadten 
Roffern, der beendeten Saifon, dem Publikum, dem 


DO Novellette von Rlara Blüthgen. 127 


Direktor, den Ausfichten für das Winterengagement. 
Hauptſächlich aber waren die jungen Herrichaften 
und ganz bejonders Herr Brettichneider erjchienen, 
um der gnädigen Frau und dem Herrn Leutnant 
für die große Freundlichkeit zu danken, mit der fie fich 
Frau Louifons angenommen hatten. 

Diefer Herr Brettfchneider war in der Tat unan- 
fechtbar in feinen gefellihaftlihen Zormen, und die 
tleine Frau war entzüdend in ihrer Erfhöpfung nad 
der vielen Paderei, mit den dunklen Ringen um die 
Augen. Ihr Satte behandelt fie mit zartefter Schonung, 
wie ein krankes Rindchen. Zhre Augen aber fuchen, 
zuerjt veritohlen, dann immer dringender die des 
Zeutnants Herbert Georg, Sie Shwimmen in feuchten 
Glanz, als wollten die Tränen eben hervorbrecen. 
Sie liebkofen, fie flehen, fie betteln um irgend ein 
tafhes Liebeswort, um einen Blid, der ihr jagt, daß 
lie geftern ihr Gefühl nicht ganz fortgeworfen hat. 

Der Leutnant aber bleibt die höflihe Korrektheit 
ſelbſt. F 

„Sicher werden Sie raſch vorwärtskommen, lieb 
Frau Brettſchneider. Wir Kleinſtädter werden dann 
freilich nichts mehr von Zhnen haben. Vielleicht aber 
hat mein Sohn Gelegenheit, Sie in ſeiner Garniſon 
zu bewundern,“ ſagt endlich die Frau Geheimrat, 
der der Beſuch nun ſchon reichlich lange dauert. 

„Darf ich Sonja nicht Adieu ſagen? Ich habe ihr 
ein kleines Marzipanherz mitgebracht als Dank,“ 
ſagt Louiſon mit bedeckter Stimme. 

Es war die Bitte um eine Galgenfriſt. 

Herbert Georg führt das Ehepaar in den Stall. 

Louiſon ſteht bei der Stute, tätſchelt ihr den Hals, 
kann ſich gar nicht trennen, nachdem Sonja längſt 
das winzige Marzipanherz zerſchrotet hat. Zuletzt 


128 - Die tragifhe Note. 0 


drüdt fie ihr in einem jähen Impuls einen Ruß auf den 
ichlanten Hals. 
Da führt der Gatte fie fort, faft mit Gewalt. 


%* %* 
> 


Bein nächſten Herbiturlaub fragt Herbert Georg 
ganz beiläufig feine Mutter, nachdem er vergeblich 
den Theaterzettel jtudiert hat: „Sag mal, was ift denn 
aus der Eleinen — na, wie heißt fie denn gleih? — 
der Heinen Zrau Brettichneider geworden?“ 

Die Mutter triumphiert: „Ob, der habe ich richtig 
propbezeit, fie hat wirklich Karriere gemacht und ift 
jegt natürlih für unſer Sommertheater zu fchade. 
Sie foll irgendwo in Rußland ein jehr gutes Engage- 
ment haben und nur große tragiihe Rollen ſpielen. 
Rannft du dir das von dem Rinde, der kleinen ‚Alwina‘, 
denken?“ 

x x 
* 

Und wieder zwei Sahre ſpäter gaſtiert Frau Louiſon 
Schneider in der Garnijonftadt des Leutnants Wendt- 
land. Er ift noch immer, wie vor drei Zahren, der Kleine 
Unterleutnant, fie aber jpielt die großen tragiſchen 
Liebhaberinnen, die Zulia und Hero, und man rühmt 
an ihr ganz befonders die tiefe, verhaltene Leidenjchaft, 
den wundervollen, zu Herzen gehenden Zon ihrer 
Stimme — die große tragijche Note. 

Die ganze Garniſon ſchwärmt für fie, denn fie iſt 
eine fo geniale Rünftlerin und eine fo bezaubernde Frau! 

Nachdem fie an ihrem vierten Gaftipielabend die 
Zulia wiederholt hat, jteht der Leutnant Wendtland 
mit mehreren Rameraden an dem für die Schaufpieler 
beitimmten Nebenausgang, wo ein fchönes Auto hält, 
um das ſich eine neugierige Menge drängt, 


D Novellette von Rlara Blüthgen. 129 


Nun kommt fie, in einen köſtlichen Pelz gebüllt, 
und grüßt mit der Holdfeligkeit einer Rönigin am 
KRrönungstage nach allen Seiten, jo daß jeder glaubt, 
ibm babe der Gruß allein gegolten. 

. Als fie ſchon im Auto fißt, erkennt fie ihren früheren 
Derehrer, beugt fich lächelnd heraus und reiht ihm 
die Ichmale, behandſchuhte Hand. 

„Warum vernachläffigen Sie mich fo? Ich hätte 
doch wohl darauf rechnen dürfen, Sie einmal bei uns 
zu fehen! Morgen früh bin ich zu Haufe, auch mein 
Mann wird fich freuen.“ — 

Selbitverftändlid wohnt die Tragödin in den 
Fürftenzimmern des eriten Hotels. Man Sieht in ver- 
ihiedene Räume, es duftet angenehm nach frifchen 
Blumen, wenn auch gejchmadvollerweije die Blumen- 
jpenden des gejtrigen Abends nicht fichtbar aufge- 
ſtellt find. 

Der Ehemann empfängt den Bejucher zuerft. . 
Noch immer ift er fcharmant, wenn er aud jet auf 
eigenen Rünftlerruhm verzichtet und ganz zum Fm- 
ptejario feiner gefeierten Gattin geworden ift. 

Endlih erjcheint fie felbft, ungefchmintt und nicht 
einmal gepudert, in einem fehr Eoftbaren, fchleppenden 
Hausfleide. Sie ift fehr ſchön, außerordentlich vor- 
nehm, aber dem Leutnant Wendtland fcheint es, als 
fei fie in dem weißen kurzen Mädchentlleide, mit den 
etwas fchiefgetretenen gelben Schuhen unendlich viel 
teizender geweſen. 

Sie plaudern dies und das, Frau Louifon in dem 
leiht ermüdeten Son der Weltdame, Sie erzählt 
von ihrem rafchen Aufftieg wie von etwas Gelbit- 
verftändlidem. Wie fie zuerft ftets am unrechten Plabe 
geſtanden, bis fie fich ſelbſt plößlich entdedt habe, 
darauf gekommen fei, daß die früher vermißte tragifche 

1912. VII. 9 


150 Die tragifhe Note. | 0 


Note gerade ihre bejondere Eigenart ſei. Don diejem 
Augenblide an fei ihr Stern geitiegen. 

Und als dann der Gaſt des Ehepaares mit ihnen 
an dem blumengefjhmüdten Zifche figt und wieder der 
alte Tokaier in den Gläfern funtelt, goldbraun wie 
ein flüſſiger Topas, gedentt er jenes Augenblids am 
heimatlihen Waldjee, und mitten in dem angeregten - 
Geſpräch ift’s ihm, als höre er feine eigene Stimme 
von weit her: „Srint! Dieſe Stunde gehört uns!“ 


Und die ihre als Antwort: „Za, die einzige — —“ 
Er hat fie nicht genüßt diefe Etunde. 
Und fie? 


Nun, fie ift eine große Künftlerin geworden. 


Nr 
— 





— 





ST Te 
— 


Der gerichtliche 
Zweikampf im Mittelalter. 


don Wilhelm Fiſcher. 
Mit 13 Bildern nah 
alten Originalen. Y (Nahdru verboten.) 
De Ordalien der Germanen, die altdeutſchen 
Gottesurteile, zu denen auch der gerichtliche 
Zweikampf gehört, ſind Außerungen und Betätigungen 
einer längſt überwundenen Rechtsempfindung. 
Gewiß ſind die alten, dem myſtiſchen Dunkel der 
germaniſchen Urwälder entſproſſenen heidniſchen Ge— 
bräuche, die grauſige Feuerprobe, die ſchon in der 
vorchriftlihen Zeit angewandte Kreuzprobe, das 
Ihauerlide Bahrrecht und der Zweikampf an ſich roh, 
abergläubifh und barbarijh; aber, ganz abgejehen 
davon, daß alle menjhlihen Einrihtungen im Geiſte 
ihrer Zeit und Verhältniſſe zu wägen find, haben mir 
alle Urſache, unjere Ahnen um den G eift ihrer viel- 
gejhmähten Ordalien*) zu beneiden. Denn die alten 
Germanen hatten im Gegenſatz zu den alten Griechen 
und Römern und den modernen Deutichen die heute 
nur im amerikaniſchen Rriminalverfahren vorhandene 
Rectsanihauung, daß nicht die Schuld, fondern die 
Unschuld das zu Beweilende war, Ankläger und An— 
geklagter ftanden fich an der „Pingitatt“ gleichwertig 


*) Ordal = Urſpruch, Urteil, 


132 Der gerihtlihe Zweikampf im Mittelalter. O 


gegenüber, und es war Braud, daß le&terem der. erite 
Beweis zuftand, Er konnte fih durch den Eid feiner 
Gippen und Freunde reinigen, fih freiwillig den 
Ordalien unterziehen und den Ankläger „tämpflich 
anfprehen“, wie es im „Sachfenfpiegel“ beißt, alſo 
den gerichtlihen Austrag der Sache durch den Zwei— 
tampf beantragen. Es gab keine Unterjuchungshaft, 
feinen Sndizienbeweis, fein Urteil auf Grund eines 
jolchen. | 

Menſchenwerk ift immer Stüdwert, Vor allen 
Dingen dürfen wir bei der Beurteilung der alten 
Ordalien nicht vergefien, daß noch viel Gottesurteil- 
ähnlihes in unjerem heutigen Rechtsverfahren ftedt. 
N. Schlichtegroll warf ſchon 1817 die Frage auf: 
„Liegt in dem Eide, der in unferen Gerichten gebräud- 
lich ift, nicht ebenfalls etwas Gottesurteilähnlicyhes, ir- 
dem man das treligiöfe Gefühl eines Menfchen, das 
niemand fennt, zum Maßitab feiner Schuld oder Un— 
\huld oder der Wahrheit einer Shatfahe nimmt? 
Es giebt in der Gerecdtigkeitspflege Lagen, wo ein 
Erſatz für ordentlihe Wahrheitsforfhung und Beweife 
ein nothwendiges Erforderniß ift. Dieſer Erſatz hat 
nothwendigerweife immer etwas Schwantendes und 
Unzuläffiges. Der Eid hat diefes ebenfp wie der ge- 
richtliche Zweykampf.“ Und das fchreibt ein Mann, 
der Doch gewiß feine Ahnung davon hatte, daß der 
Meineid einmal „jo gemein wie Brombeeren“ werden 
würde, 

Der gerichtlihe Zweitanpf war im Grunde ge- 
nommen urjprünglic) nichts anderes als eine gericht- 
liche Erledigung der Faida (Todfehde), der Blutrache 
durch einen Zweikampf, defjen Ausgang in des Scid- 
jals Hand gelegt wurde — bei einem fo kriegerifchen, 
waffenfrohen Volt wie den Deutſchen etwas Selbit- 


DD Don Wilhelm Fiſcher. 133 
verjtändliches. Und fo folgte denn bald dem uralten, 
heiligen Brauch die gejeglihe Negelung; zuerft im 
Anfang des fünften Jahrhunderts durch die Saliſchen 
Gejeße, fowie 502 durch den Burgundertönig Gundo- 
bald, der in feinem Geſetz verfügte, daß „wenn der 
Kläger mit dem Reinigungseid des Beklagten nicht zu- 
frieden ijt, fondern feinem Gegner jagt, er wolle die 








Der gerichtlihe Zweikampf: Der Kämpfer tritt in die 
Schranken. 


Waffen dartun und dieſer ſich ſolches gefallen läßt, 
es ihnen alsdann erlaubt werden ſoll“. Das alemanniſche 
Geſetz geſtattete es dagegen ſchon dann dem Beklagten, 
ſich durch das Schwert zu rechtfertigen, wenn der Geg— 
ner ihn nicht überführen konnte, Zugleich verfügte 
es, Daß zwei Gegner, die um ein Grundftüd im Streite 
liegen, die Angelegenheit durch einen Waffengang 
zur Enticheidung bringen fünnten. Die friefiichen Ge- 
jege erlaubten in gewiſſen Fällen einem Gegner, 


154 Der gerichtlihe Zweitampf im Mittelalter. s 


einen Stellvertreter für den Rampf zu werben. Dieje 
ums Geld gedungenen Rämpfer wurden in fpäteren 
Zeiten wie die römischen Gladiatoren mit Weib und 
Rind für ehrlos gehalten, wenn fie auch nicht fo ver- - 
achtet waren wie der mittelalterlihe Henter. 

Die Gefehe der Langobarden zählten neunzehn 
Fälle auf, die durch gerichtlihen Zweikampf ent- 
Ichieden werden follten. Thaſſilo, der große Herzog 
der Bayern, verfügte durch ein Editt, daß keine ver- 
zauberten Waffen dazu verwendet werden durften. 
Die Franken folgten erft fehr fpät dem Beifpiel der 
anderen, Förmlich anertannt wurde der gerichtliche 
Zweitampf durch Karl den Großen und Ludwig den 
Frommen. Als im Zahre 820 Graf Bera mit dem 
Goten Sanila, der ihn der Derräterei bezichtigt hatte, 
in richterlihbem Rampf zu Pferde fämpfen mußte 
und unterlegen war, verwandelte Ludwig das nun 
folgende Zodesurteil in lebenslänglihe Verbannung, 

Unter Otto dem Großen kamen die gerichtlihen 
Zweikämpfe zu jo hohem Anſehen, daß der Railer, als 
Graf Runo, ein abgewiefener Freier der eigenen Toch- 
ter Ottos, der verwitweten: Herzogin Luitgarde von 
Lothringen, von lebterer Nachteiliges behauptet und 
Zuitgarde vor dem Fürftengeriht auf den Namen 
Ehrifti und die Sakramente ihre Unjchuld beteuert hatte, 
eine öffentlihe VBerfammlung einberief, in der er Durch 
Herolde fragen ließ, ob jemand die Ehre feiner Tochter 
im Rampfgeriht verteidigen wolle, was ihm als 
fouveränen Zürften durch das Geſetz verwehrt war. 
And nun folgte die jedermann bekannte Szene aus dem 
erſten Alt von Lohengrin. Der Gralsritter, der vor- 
trat und den Grafen Runo einen Lügner hieß, war 
Graf Burchard, der Rämmerer der Herzogin. Im 
eriten Gange bieb er dem Derleumder die rechte Hand 


Oo Don Wilhelm Zifcher. 135 





ab, wodurch er den Prozeß feiner Dame gewann. 
3m Zahre 1386 tötete, wie der franzöfiiche Chroniſt 
Froſſard berichtet, der Ritter Jean de Garony in einem 
gerichtlihen Zweikampf den Ritter Zacques de Gris. 
Der lettere hatte Frau von Garony beleidigt und dies 
mit dem ihm zugejchobenen Reinigungseid beftritten. 
Da die beleidigte Frau diefen Eid ablehnte, wurde ge- 





a SS 
Der gerihtlihe Zweitampf: Die Kämpfer erwarten 
das Zeichen zum Beginn des Rampfes. 


richtliher Zweitampf anberaumt, in dem Gris unter- 
lag. Sein Leichnam wurde durch den Henker auf 
einer Kuhhaut nah dem Galgen gefchleift und auf- 
gehängt. Wäre fein Gegner überwunden worden, 
legt der Chronift hinzu, jo würde diefer dasfelbe Schid- 
jal erlitten haben, feine Frau als Verleumderin vor 
Gericht aber verbrannt worden fein. 

Faſt alle Meistümer, Rechte und Spiegel, der 
Sachfenjpiegel und der Schwabenjpiegel, hatten nac) 


136 Der gerichtlihe Zweikampf im Mittelalter. s) 


dem Grundjaß des lebteren: „Davon ift Rampf ge- 
legt; davon was die Leute nicht fehend, das weiß 
Gott der Allmädtige wohl; davon follen wir Gott 
vertrauen, daß er den Rampf nur nah Redt ent- 
Scheide“ den gerihtlihen Zweilampf zur Ermittlung 
der Wahrheit anertannt — im Gegenjaß zu den Ge- 
pflogenbeiten der Römer, die ihre ſchweren Verbrecher 





Der gerihtlihe Yweilampf: Der Rampf beginnt. 


zum gerichtlihen Gladiatorentampf verurteilten, was 
zu den verjchärften Zodesurteilen gehörte. Kaiſer 
Claudius verurteilte ſogar die Betrüger zum gericht- 
lihen Zweitampf mit wilden Tieren. Nah Über- 
windung des Fauſtrechts als Folge der gejehlichen 
Beitätigung des Rampfgerichts ordneten der Sadfen- 
ipiegel (1218) und der Schwabenipiegel (1268 —1282) 
die Regeln desfelben, indem fie unter anderem den 
höheren Richtern die Befugnis gaben, alle freie Leute, 
darunter auch Priefter und Frauen, in gewiſſen, vor- 


0 Don Wilhelm Fischer. 137 


gefchriebenen Fällen zum gerichtlihen Zweikampf zu- 
zulafien oder Dertreter zu beitellen, nachdem vorher 
ſchon ſogenannte „privilegierte Rampfgerichte“ (Ju- 
dicia duellica) in Schwäbifch-Hall, Rottweil, Würz- 
burg, Nürnberg, Worms, Regensburg, Frankfurt, 
Dortmund und anderen Orten errichtet worden waren. 

Talhofer gibt in feinem „Rampfrecht“, einem per- 


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Der gerichtliche Zweikampf: Der Rampf mit dem Schwert. 


gamentenen Roder aus dem fünfzehnten Zahrhundert, 
dem wir unſere Bilder entlehnen, die Zälle an, die 
gewöhnlich durch Zweitampf erledigt wurden. „Der 
Sachen und Artikel find fieben,“ jchreibt er, „Darum 
man noch pflegt zu fempfen. Das erite it Mord. 
Das ander Verräthernüß. Das dritte Reberey. Das 
vierdj, wölcher an finem Herrn trulog wirt. Pas 
fünft um Sandnüß im Striten, Das ſechſt um Falſch. 
Das fibent, da ainer Zundfrowen oder Frowen fräntet.“ 
Außerdem nah dem Schwabenjpiegel Branditiftung 


138 Der gerichtlihe Zweikampf im Mittelalter. Q 


und Straßenraub, fowie die fchwere VBerunglimpfung 
einer Frau und [hwere Ehezwiſtigkeiten. Es war jedoch 
unumgänglih nötig, daß der Richter über die Zu- 
läfligteit des Rampfes erkannte. Das gefchah, wenn 
der Beklagte nicht überführt werden konnte und der 
Kläger ibn beantragt hatte. 

Mar nun Ort und Tag des Rampfgerichtes an- 
beraumt, fo wurde der Rampfplag mit Sand beftreut 
und umzäunt, den beiden Gegnern ein Beicdhtvater 
geftellt und jedem eine Totenbahre „mit Rerben, 
Baartüchern und anderen Dingen, die zu einer Leiche 
gehören, gefeßt“. Die Rüftung und die Waffen waren 
durch die Geſetze bejtimmt; die Richter ſahen ftreng 
darauf, dab die beiden Rämpfer möglichſt gleich ge— 
wappnet waren. Hatte fih der Rampfrichter über- 
zeugt, dag Rüftung und Waffen mit den Vorjchriften 
des Geſetzes übereinftimmten, was er mit Hilfe der 
Grieswarten, das heißt der Streitzeugen, feftitellte, 
dann gebot er der harrenden Menge bei fchwerer 
Strafe Stilliehweigen, „daß niemand fchreye, deute 
oder winte, und fonft Beichen gebe, und welcher dem 
nicht nachtäme, dem wollte er duch den Nachrichter, 
fo gleich daftehet und aufwartet, mit einem Handbeil 
auf einem Bloch die rechte Hand und den linten Fuß 
abbauen lafjen ohne alle Gnade“. 

Allgemeine Zotenftille erfolgt. Alle find in banger 
Erwartung. Man bittet Gott um Beiltand für den 
Unihuldigen. Snawiihen find die Tore der Stadt 
gejhloffen, die Straßen mit Ketten verjperrt, Die 
Mehren und Türme befeßt, um einem Überfall vor- 
zubeugen, 

Die Rämpfer werden fih jo gegenübergeftellt, daß 
keiner die Sonne allein im Geficht hat. Nun ruft der 
Herold dreimal, oder er ftößt dreimal in die Trompete. 


0 Don Wilhelm Fifcher. 139 


Beim dritten Rampfruf oder beim dritten Trompeten- 
ſtoß beginnt der Rampf. Keiner der Umjtehenden 
rührt fich. Zuerſt kämpfen die Gegner mit dem Gtreit- 
folben, dann ziehen fie das Schwert, um fo lange auf- 
einander loszufchlagen, bis einer von ihnen tot zur 
Erde fällt oder bis einer fich für verwundet und über- : 
wunden bekennt und der Richter den Rampf aufhebt 





Der gerichtlihe Zweitampf: Der Rampf zu Pferd. 


und den Sieger unter großen Feierlichkeiten vor fich 
kommen läßt. 

Griff der Richter nicht ein, jo kniete gewöhnlich 
der Sieger feinem verwundeten Gegner auf die Bruft 
und züdte den ritterlihen Dolch der Barmherzigkeit 
zum Beichen dafür, daß jener um Gnade bitten jollte. 
Tat das der Überwundene nicht, fo ftieß ihm der 
Sieger den Dolch ins Herz, „Welcher verwundet 
wird,“ heißt es in Müllers altem Reichstbeater, „und 
ih dem anderen ergiebt, der foll hinfüro geachtet 


149 Der gerihtlihe Zweikampf im Mittelalter. Oo 
— zZ ——————————— — — — — — — — ——————— — — 


werden ehrlos, auf kein Pferd mehr ſitzen, keinen 
Bart beſcheeren, noch Waffen und Wehr tragen, auch 
zu allen Ehren untüchtig ſeyn.“ Dies war die Strafe 
des Klägers, der darum ſelten ſich begnadigen ließ 
und den Tod vorzog. Der verwundete Angeklagte 
wurde als des Verbrechens überwieſen gerichtet. 
Sp ließ Raifer Otto den Grafen Gero, der nicht mehr 





Der Zweilampf zwifhen Frau und Mann: 
Der Beginn des Rampfes. 


fehten konnte, auf der Stelle enthaupten. Für den 
Gefallenen war beſſer geforgt; er wurde ehrlich und 
anftändig begraben. Hatte der Bellagte gefiegt, fo 
wurde er zwar von der Schuld freigejprochen, mußte 
aber die oft nicht unbeträchtlihen Roften des Rampfes 
tragen. Man jieht, „es bleibt immer etwas hängen“, 

Unſere Bilder auf Seite 135 bis 139 zeigen den ge- 
tihtlihen Zweilampf zwifhen Männern in feinen 
verihiedenen Phaſen, welche die von Talhofer ein- 
gezeichneten mittelhochdeutihen Inſchriften erklären. 


ao Don Wilhelm Zifcher. 141 


Auf der linken Geite des Bildes Geite 133 ftehen die 
Worte, neudeutfch ausgedrüdt: „Hier gebt er in den 
Schranken.“ Rechts: „Der trägt ihm fein Zeug vor,“ 
Bild Seite 135: „Hier fien beide in den Schranten, 
und warten des Anfangs und hat jeder feine Bahre 
hinter jich und feinen Grieswart vor fich.“ Bild Seite 156 
lints: „Hier ift der Anfang mit dem Schild, und ich 
jtehe in meinem Dorteil. Gott gebe uns Glüd und 
Heil.“ Rechts: „Hier ſtehe ih nach fränkiſchem Recht.“ 
Bild Seite 137 links: „Hier fteh’ ich frei nah ſchwäbi— 
ſchem Recht, wie man zu Hall fiht.“ Rechts: „So ftehe 





Er pariert den Schlag. 


ih mit Schild und Schwert und habe dein lang zu 
fehten begehrt.“ Die Inſchriften unferes Bildes 
Seite 139, das zwei Rämpfer hoch zu Roß, die ihre 
Maffen, Armbruft und Lanze, weggeworfen haben 
und zu Pferde ringen, mit Talhofer ſelbſt zeigt, lauten 
lints: „Das Buch hat angegeben Hans Talhofer und 
geitanden zu malen.“ Rechts: „Hier it das Stüd 
mit der Armbruft und dem Spieß vollbradt und hat 
ihn ergriffen beim Hals.“ — 


142 ODer gerichtliche Zweikampf im Mittelalter. oO 


Das „Mittelalterlichite” aber am gerichtlihen Zwei- 
fampf und das Charakteriſtiſchſte für die joziale Stel— 
lung der Frau im früheſten Mittelalter ift der Ge— 
richtskampf zwiihen Mann und Weib, den wir in allen 
feinen Eingelbeiten bildlih vorführen. Zn Franken 
war man am galanteiten. Hier durfte jede Frau, 
wenn fie fand, daß ihr Beleidiger nicht gehörig vor 
Gericht beftraft wurde, ihn fordern. Überall war ihr 


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Er hat ſie niedergeriſſen. 


geſtattet, den Reinigungseid ihres Gegners abzulehnen, 
aber fie durfte in dieſem Fall keinen Stellvertreter 
ftellen, fondern mußte perjönlid in die Schranken 
treten. Pie Rampfrichter forgten jedoch dafür, daß 
der ftärtere und gewandtere Mann keinen Vorteil gegen 
feine ſchwächere Gegnerin hatte, und beftimmten den 
Rampf „mit folher Unterichait, daß man dem Mann 
mitten in dem Rrais ein Gruben maden joll, die Dreyer 
Schuh weyt fei, zcu ringsumb, und alſo tieff, daß fie 
ihm bis an den Nabel get. Darin foll er ftehen, und 
daraus gen der Frawen kempffen“. 

Thomaſius befchreibt 1718 diefen Rampf folgender- 
maßen: „Der Mann ftehet in einer runden etwas 
weiten Gruben in der Erde bis an den Gürtel, hat in 
der rechten Hand einen Rolben, mit dem er nad) der 
Frauen ſchlägt; er darf dabei aber nicht herausgehen 


0 Bon Wilhelm Fifcher. 143 


und der Frauen nachlaufen, auch nicht einmal mit der 
freyen Hand fih an die Grube oder das Erdreich an- 
halten, bey Verluſt des Sieges. Die Frau hat einen 
Schleyer in der Hand, in welchem vornen ein Stein 
von etlihen Pfunden geknüpft ift, womit fie nach dem 
Mann fchlägt. Wenn die Frau dem Mann hinter den 
Rüden kommen kann, bemübet fie fich, deſſen Kopf 
hinterwerts aus der Grube zu ziehen und ihn zu würgen; 
parirt aber der Mann den Schlag mit dem Schleyer 
mit dem Kolben, fo ummwidelt fih der Schleyer um 
den Rolben, und erlangt dadurch die Frau Gelegenheit, 
dem Mann den Rolben aus der Hand zu reiſſen. Pa— 
rirt aber der Mann den Schlag mit dem Schleyer 
mit dem linden und freyen Arm aus, ſo umwidelt fich 
der Schleyer um den Arm, und hat aljo der Mann 
Gelegenheit, die Frau zu fih in die Grube zu ziehen, 





Er ift in Gefahr. 


da er dann trachtet, die Frau in der Mitte des Leibes 
und fie in die Grube zu ziehen.“ 

Die Talhoferſchen Zeihnungen beweifen, daß der 
Zweikampf mit Rolben und Steintuch der gewöhn- 
lihe war. Der von Ephr. Gebhard in feinem 1711 
erijchienenen lateinischen Werk über gerihtlihe Zwei— 
fämpfe gejchilderte Rampf mit Knüppeln kam jeden- 
falls nur vereinzelt vor. Talhofer fchildert die Ent. 


144 Der gerihtlihe Zweitampf im Mittelalter. o 
——— —— —— — ee 


wicklung des Kampfes durch 
Inſchriften, die auf unſeren 
Bildern weggelaſſen ſind. 
Über den Kämpfern Gild! 
Seite 140) ſtand: „Hier 
steht, wie Mann und Frau 
miteinander fämpfen jollen. 
Und ftand fie in dem An- 
fang;“ beim Manne: „So 
itehbt er in der Grube bis 
an die Weichen und ift fein 
Rolben fp lang wie ihr 
| Schleier;“ neben der Frau: 
Er fiegt. „Da fteht die Frau frei 
und will fchlagen und hat 
einen Stein in dem Schleier, der wiegt vier oder fünf 
Pfund.“ Der Schlag war gefallen (Bild 2 Seite 141) 
— der Mann „hat den Schlag pariert, fie gefangen und 
will fie zu fich ziehen“. Er hat fie niedergerijfen. 
Bild 3 Seite 142 
„da bat er fie zu ſich 
gezogen, fie nieder- 
geworfen und will 
fie würgen“, Pas 
gelingt ihm nicht; 
fie entwindet fi 
ihm. Aber „da hat er 
fie wieder zu ſich ge- 
zogen und wirft ſie 
in die Grube“ — fie 
iſt verloren (j. oben- 
itehendes Bild). 
| Ein anderer 
Rampf! Pie Frau 








Sie ift wieder in Gefahr. 


Oo Don Wilheim Fifcher. 145 





tritt nahe an die Grube (Bild 6 Seite 144 unten), „als 
“fie fhlagen will, ift fie zu nahe an ihn herangetreten, 
jo daß er fie am 
Beine faljen kann, 
um fie zu fällen“. 
Sie entrinnt der 
Gefahr (f. neben- 
ſtehendes Bild), „er 
ſchlägt fie auf die 
Brut, fie aber hat 
ihm den Schleier 
um den Hals ge- : 
Ihlagen und bat Cie ſchlägt und wird getroffen. 
ibn gefaßt und 
wird ihn aus der Grube ziehen“ (f. untenjtehendes 
Bild) — fie fiegt. 
Sohanır Stumpff gibt uns in feiner Schweizer 
Chronit vom Zahre 1548 ein Beilpiel eines ſolchen 
| Sieges: „Dar— 
nach im jar des 
Herren 1285, am 
5. Tag Sanuarij 
geſchah zu Bern 
an der Matter — 
da yetzund Die 
groß Kirchhof⸗ 
mauer {tat — 
ein Rampff zwi- 
chend einen man 
| und einem weyb. 
Das wenb lag ob, und gewan den fampff.“ 

Wehe dem Befiegten! hieß es auch bier. Denn 
der Befiegte, wer es auh war, Mann oder Weib, 
wurde in der Grube lebendig begraben. Zn einigen 

1912. VL 10 








Sie fiegt. 


146 Der gerihtlihe Zweitampf im Mittelalter. O 
TS 


Gegenden wurde der bejiegten Frau die rechte Hand 
und dem befiegten Mann der Ropf abgehauen, Der 
Zweikampf zwiſchen Eheleuten hatte einen harmlojeren 
Ausgang; er gefhahb der Oberherrichaft in der Ehe 
wegen. Eine Breslauer Chronik, gleichfalls vom 
Sabre 1288, berichtet darüber: „Zn dem Zahre konnten 
ih Mann und Weib nicht miteinander vergleichen, 
jondern wenn fie einander anjahen, fielen fie über- 
einander, rauften und fchlugen fihb wie Hund und 
Rabe, wurden öfters von der Obrigkeit mit Gefängniß 
geftraft, dennoch wollte nichts helfen. Zuletzt ward 
ihnen ein Öffentliher Rampf zugelaffen am Ringe, 
ſchlugen einander mit Fäuſten, bis fie fait beide 
nicht mghr fonnten und vor Müdigkeit mußten auf- 
hören; doch behielt das Weib den Sieg, und der Mann 
mußte ihr unterthänig fein.“ 

Nah der Redaktion des alten Berner Weistums 
von 1461 im Sabre 1783 beitand in der Theorie zu 
Bern der alte gerihtlihe Zweikampf noch zu Redt. 
Intereſſant ift auch, daß, wie Zöpfl in feinen „Alter- 
tümern des deutſchen Reichs und Rechts“ nachweiſt, 
dort, wo bei uns Rolandsfäulen ftanden, fih aud 
Rampfgerichte befanden. 

Der gerihtlihe Zweikampf als Mittel zur Er- 
forihung der Wahrheit fteht, man mag über die Sade 
an fich denken, wie man will, himmelhoch über feiner 
Ihaurigen Nachfolgerin, der Folter. „Niht nur 
durch die Betätigung des mannhaften Mutes im offenen, 
ehrlichen Rampf,“ fagt Thümmel, „zeigt ſich dieſer 
gerichtliche Zweikampf als etwas dem germaniſchen 
Volkscharakter beſonders Sympathiſches, ſondern auch 
durch ſeine Beziehung auf die Ermittlung der reinen 
Wahrheit.“ Beurteilt man ihn im Rahmen feiner 
geit, jo diente er niemals der rohen Raufluft, fondern 


0 Don Wilhelm Zifcher. 147 


nur der Wahrbeitserforihung, wie auch das Bolt 
glaubte, das inbrünftig für den Sieg der Unfhuld 
betete. 

an diefem Sinn ift der gerichtlihe Zweikampf, 
wie unjere aus ihm entlehnte Eidesformel: „So 
wahr mir Gott helfe!“ fchlagend beweift, nicht mehr 
und nicht weniger als der Vater unjeres heutigen 
Eides. 


N > 
— 








EIESEILIES 


Ein Ehrenwort. 


Novelle von R. Ortmann. 





Y (Nnachdruck verboten.) 


Pite Herr v. Malfen, laſſen Sie uns aufhören! 
Ich fühle mich etwas ermüdet.“ 

Mit heftig atmender Bruft und faft verjagender 
Stimme hatte Zlje Frobenius es ihrem Tänzer zu- 
geflüftert, und der junge Mann hatte natürlich auf der 
Stelle ihrem Wunſche entiprochen. Die zarte weiße 
Mädchengeftalt am Arm führend, bahnte er fich einen 
Meg durd den Wirbel der tanzenden Paare, und ein 
Ausdrud plötzlich erwacter Beforgniffe war in dem 
Blid, mit dem er fie anſah. Sie erjchien ihm ja auch 
noch jetzt als ein Bild blühendfter Gefundheit, denn 
ihre Wangen waren heiß gerötet, und in ihren großen 
dunklen Augen war ein Glänzen, wie er es nie zuvor 
darin gefeben zu haben meinte; aber er vermißte Die 
fonnige Fröhlichkeit, die dies junge Antlig für ihn 
fo oft zu einem unwiderſtehlich bezaubernden gemadt 
hatte, und er fühlte fih beunruhigt duch ein eigen- 
tünliches Buden des feinen Mundes, das ihn falt an 
mübfam verhaltenes Weinen glauben ließ. | 

„Darf ih Ihnen ein Glas Sekt bejorgen, gnädiges 
Fräulein? Ich fürdte, Gie REN ih in der Tat 
nicht ganz wohl,“ 

Sie fchüttelte ablehnend den aopf. „Ich brauche 


D Novelle von R. Ortmann. 149 





nichts als ein wenig frifche Luft. Wenn ich auf ein paar 
Minuten in den Park hinaus könnte —“ | 

Sie hatten es nicht weit bis dahin, denn zwei von 
den breiten Flügeltüren des Saales öffneten fih auf 
die mit bunten Lampionen beleuchtete Gartenterrafje, 
über die hinweg man die dunklen Baumwipfel des 
alten Parkes ſah. Das alljährlih wiederkehrende 
Sommerfeſt der Mufeumsgefellichaft, der vornehmſten 
Dereinigung der Stadt, hatte ja ver den winterlichen 
Tanzvergnügungen den bejonderen Reiz voraus, daß 
es fih bei günftiger Witterung zum guten Teil aud) 
unter freiem Himmel abfpielte. Überall in den Lauben- 
gängen der zu dem Geſellſchaftshauſe gehörigen Anlagen 
verbreiteten die farbigen chineſiſchen Bapierlaternen 
eine phantaſtiſch wirkende matte Helligkeit, an geeig- 
neten Pläßen waren Tiſche und Stühle für diejenigen 
aufgeitellt, die ein luftiges Geplauder bei Sekt oder 
Bowle dem Tanz oder dem Kartenſpiel vorzogen, 
und namentlich unter dem jungen Volk kamen viele 
hier draußen im trauliden Halbduntel der linden 
Sommernadt bejjer auf ihre Rechnung als drinnen 
im beißen, bell erleuchteten Saal, 

Zn einer größeren Gruppe, die ficd) nahe der Terraffe 
niedergelafjfen hatte, fang eben jemand mit ſchöner 
Stimme ein Lied zur Laute, und der Negierungs- 
aſſeſſor, der noch einige unbefegte Stühle erfpäht hatte, 
wollte feine Sängerin dahin führen. 

Aber fie hielt ihn, als fie die Abficht erkannte, 
durch einen leichten Drud auf feinen Arm zurüd, „Ich 
möchte lieber ein wenig promenieren, Aber Sie follen 
fih um meinetwillen feinen Zwang auferlegen. Auch 
wenn ich allein bleibe, kann mir hier ja nichts gefchehen.“ 

„sh aber bin glüdlih, wenn Gie mir erlauben, 
ahnen Gefellihaft zu leiten. Nur falls Sie diefe 


150 Ein Ehrenwort. 0 


Geſellſchaft als läftig empfinden, dürfen Sie mid 
fortichiden.“ 

Mas in feiner Stimme lang, und was aus feinen 
unverwandt auf fie gerichteten Augen ſprach, war viel 
mehr als die konventionelle Galanterie einer Ball- 
unterhaltung, und Ilſe Frobenius mußte mit ihren 
achtzehn Zahren Weib genug fein, es zu empfinden. 
Aber in ihren Zügen verriet fich nicht, ob es Eindrud 
auf fie machte. Ahr Geficht blieb unverändert ernit, 
und die haftigen Bewegungen, mit denen fie ſich ihres 
Fächers bediente, gaben Zeugnis für die nervöſe Un- 
ruhe, von der fie ergriffen war. 

„Eigentlich follte ih es tun,“ erwiderte fie. „an 
Shrem Intereſſe, Herr v. Malfen! Denn ich bin heute 
gewiß eine nichts weniger als angenehme Gefell- 
Ichafterin.“ | 

„So ift Ihnen etwas Unerfreuliches widerfahren? 
Kann id nichts, gar U tun, Shre Stimmung zu 
verbefjern?“ 

„Nein, Se künnen mir ebenjowenig helfen als 
irgend ein anderer,“ 

„Wenn Sie wüßten, wie tief mich das betrübt! 
Ich wäre fo glüdlid, wenn ih Gie wieder lächeln 
machen tönnte.“ 

„Dafür müßte ich Zhnen nun wohl einen ſchönen 
Dant. fagen. Aber Sie dürfen mir nicht böſe fein, 
wenn ich heute außerjtande bin, die hergebrachten 
Phraſen zu drechſeln.“ 

„Phraſen, Fräulein Ilſe? So nehmen Sie auch das, 
was ich eben ſagte, für eine bloße Redensart? Sie glau- 
ben nicht daran, daß ich mit Freuden aud) das Schwerjte 
tun würde, um Sie froh und heiter zu machen?“ 

„Wie follte ich das glauben? Was könnte Gie 
veranlaffen, für mich irgend ein Opfer zu bringen?“ 


0 Novelle von R. Ortmann. 151 
+, =, 5 Je 


Sie waren etwas tiefer in den Park hineingegangen 
und hatten fich weit genug’ von den plaudernden und 
zechenden Gruppen entfernt, um feinen Laufcher mehr 
fürchten zu müffen. So durfte Malfen wohl wagen, 
ihr zu antworten: „Was mich dazu veranlafjen könnte? 
Haben Sie wirklich noch immer nicht erraten, daß Sie 
für mich das Herrlichfte und das Teuerſte find auf diefer 
Erde?“ 

Sie ließ ihre Hand von feinem Arm berabgleiten 
und blieb ftehen, „Bitte, fprehen Sie nicht fo, fagen 
Sie mir nichts Derartiges — nicht an diefem Abend! 
Ich — ich kann es nicht ertragen.“ 

Das Schluchzen, das fie nicht länger hatte meijtern 
können, erftidte ihre lebten Worte, und fie drüdte das 
Taſchentuch an die Augen. 

Da verlor auch ders Aſſeſſor die Kraft, ſich zu be- 
bereichen, und ſchlang in überftrömender Zärtlichkeit 
feinen Arm um die zitternde Geftalt. „Ilſe — meine 
liebe, über alles geliebte Zlje! Zhr Kummer zerreißt 
mit das Herz. Sie müſſen — ja, Sie müſſen mir fagen, 
was Gie quält und bedrüdt!“ 

Sie hatte fich nicht gegen die vertrauliche Annäherung 
gewehrt, aber fie jchüttelte in fchmerzlicher Ablehnung 
den Ropf. „Das kann ich und darf ich nicht. Und wenn 
ich es dürfte, wäre für mich damit auch nichts gewonnen. 
Führen Sie mich in das Haus zurüd, Herr v. Malfen 
— oder, noch beffer, lajfen Sie mid) hier allein!“ 

„alt das Zhre einzige Antwort? Sch habe Zhnen 
gejagt, und ich fprehe es aus tiefjtem Herzen noch 
einmal aus, daß ich Sie heiß und innig liebe. Haben 
Sie darauf keine andere Erwiderung als den Wunfch, 
daß ich Gie verlaffe?“ 

„Mein Gott, fehen Sie denn nicht, wie Sie ie 
quälen? Wenn ich Ihre Worte jebt ernſthaft nähme, 


152 Ein Ehrenwort. 0 
Te 


wenn ich auf der Stelle den Beweis für die Wahrhaftig- 
keit Zhrer Beteurungen verlangte — ih bin gewiß, 
daß es mid) nicht nur Ihre Zuneigung, fondern aud) 
Ihre Achtung koſten würde.“ 

Wie hellſte Freude leuchtete es über Malfens 
Geſicht. „Sch Ihwöre, daß ich nicht von diefer Stelle 
weichen, und daß ich Sie nicht freigeben werde, ehe 
ih von Zhnen erfahren babe, was ih für Sie tun 
fonn. Wenn Gie mir nit die allerfchmerzlichite 
Kränkung antun wollen, dürfen Sie es jebt nicht mehr 
verweigern.“ 

Sie ſah ihn an, und die heiße Glut, die er vorhin 
nur für eine Wirtung des Tanzes gehalten hatte, 
brannte noch immer auf ihren Wangen. Zhre Stimme 
aber hatte einen ſeltſam veränderten, gepreßten Rlang, 
als fie fagte: „Nein, ih will Sie nicht kränken. Und 
obwohl ich weiß, daß Sie nicht tun werden, was id) 
Shnen zumute, will ich Ihrem Verlangen entiprechen. 
Wenn Sie mir beweijen wollen, daß Sie — daß Gie 
mir gut find, müffen Sie mich jebt dahin begleiten, 
wohin ich Sie führen werde. Sie müſſen dort alles 
tun, was ich von Ihnen erbitte, und müſſen mir feierlich 
geloben, weder zu mir noch zu irgend einem anderen 
Menſchen jemals von dem zu Sprechen, was in dieſer 
Nacht geſchehen it.“ 

Hätten nicht ihr Ausſehen und ihr ganzes Verhalten 
jeden derartigen Verdacht ausgeſchloſſen, ſo würde 
er geglaubt haben, daß ſie ſich einen Scherz mit ihm 
machen wolle; jetzt aber wirkte ihre Erklärung auf ihn 
als eine ſo gewaltige Überraſchung, daß er nicht ſogleich 
das rechte Wort für die Entgegnung fand, und daß die 
Deutung wohl begreiflich war, die Ilſe Frobenius 
ſeinem Zaudern gab. 

„Bemühen Sie ſich nicht, eine artige Ausflucht zu 


s] Novelle von R. Ortmann. 153 





finden,“ fuhr fie nah kaum felundenlangem Warten 
mit bitterem Ausdrud fort. „Sch habe es nicht anders 
erwartet, und id —“ 

Aber weiter ließ er fie nicht fprechen. „Was haben 
Sie nicht anders erwartet, Zlje? Dielleicht, daB ich 
Bedenken tragen würde, Ihrem Wunſche zu will- 
fahren? Nun denn, folhe Bedenken habe ich in der 
Sat. Aber nicht meinetwegen, fondern um Zhretwillen. 
Die dürften wir daran denken, ohne Vorwiſſen Shres 
hier anweſenden Herrn Daters gemeinfam dies Feſt 
zu verlajfen? Die Folgen, die daraus für Sie entjtehen 
tönnten, find ja ganz unabſehbar.“ 

„And Gie fürdhten zur Derantwortung gezogen 
zu werden, wenn es heraustäme? Za — eine Bürg- 
Ichaft dafür, daß das nicht möglicherweife gefchähe, 
tönnte ich freilich nicht übernehmen,“ 

Zhre Rede und ihr Benehmen wurden für Malfen 
immer rätjelhafter. Er kannte die Tochter des pen- 
fionierten Oberſten Frobenius, in deſſen Haufe er feit 
einigen Moriaten öfters verkehrte, Bisher nur als eine 
wohlerzogene junge Dame, die fich vielleiht mitunter 
von ihrem lebhaften Temperament zu Heinen Unüber- 
legtheiten binreißen ließ, die er aber eines wirklichen 
Verſtoßes nimmermehr fähig gehalten hätte. Gerade 
ihre liebenswürdige Mädchenhaftigteit und die herz- 
gewinnende Anmut, die ihrem Wefen in jeder Stimmung 
eigentümlih blieb, hatten in dem Dreißigjährigen, 
dem die Frauen durchaus feine neue Offenbarung 
mehr bedeuteten, eine fo tiefe und echte Neigung 
erwacjen lafjen. Die Aufregung, in der er fie jetzt 
ſah, die fonderbare Gereiztbeit, die ihr jo harte Worte 
eingab, bradten in das holde Bild plößlih einer 
fremden, unjhönen Zug, der ihn peinlid und fchmerz- 
lih berührte. 


154 Ein Ehrenwort. a 


Aber feine Entſchloſſenheit, ihr beizuftehen, ſoweit 
Ehre und Gewiljen es ihm geftatteten, wurde dadurch 
nicht für einen einzigen Augenblick erjchüttert, und als 
hätte er ihren fräntenden Zweifel an feinem perfön- 
lichen Mute völlig überhört, fragte er: „Unfere Ub- 
weſenheit würde nur kurze Seit zu währen brauchen — 
nit wahr? Der Ort, an den Sie mich führen wellen, 
iſt nicht weit von hier entfernt?“ 

„Nein. Und Sie kennen ihn fehr gut. Es ift meines 
Daters Dilla.“ 

Wie eine Schwere Laft fiel es ihm vom Herzen. 
„Das iſt allerdings etwas anderes. Aber ift es wirklich 
durchaus notwendig, dem Herrn Oberſten ein Ge— 
heimnis daraus zu machen?“ 

„Er wäre der letzte aller Menſchen, der etwas 
von meinem Vorhaben erfahren dürfte. Die Sache 
iſt auch nicht ſo harmlos, als ſollten Sie mich begleiten, 
um ein vergeſſenes Taſchentuch zu holen. Weil weder 
die Hausdame noch die Dienſtboten etwas merken 
dürfen, könnte ich nicht daran denken, auf dem gewöhn- 
lichen Wege in die Villa zu gelangen, denn ich habe 
feinen Schlüffel und müßte die Mädchen wadtlingeln. 
Ich werde aljo genötigt fein, Durch ein Parterrefeniter 
einzufteigen, und weil ich das ohne fremden Beiltand 
nicht vermöcdhte, follen Sie mir eben helfen.“ 

Malfen hütete ſich wohl, feinem wachſenden Be- 
fremden Ausdrud zu geben, denn nach der ganzen 
Art ihres Auftretens hätte er fürchten müffen, fie 
damit für immer zu erzürnen,. „Gut,“ fagte er. „Sch 
bin zu allem bereit. Da ich mir aber von der Ausführ- 
barkeit des Planes noch feine rechte Dorftellung 
maden kann, erwarte ih Shre Befehle. Halten Sie 
e5 für möglich, daß wir uns unbemerkt von hier ent- 
fernen und unbemerkt zurüdgelangen können?“ | 


0 Novelle von R. Ortmann. 155 





„Sie fehen doch, daß fih auch jeßt niemand um uns 
kümmert, Natürli werden wir nidht zufammen 
fortgehen, fondern Sie werden zuerſt aufbrechen und 
mid irgendwo in der Nähe, vielleiht an dem Kiosk 
auf der Ejplanade, erwarten. Ebenfo werden wir es 
dann auch mit der Rückkehr halten,“ 

„And wenn der Herr Oberft Sie inzwifchen vermißt? 
Menn man nah Ihnen ſucht?“ 

„Mein Vater fit beim Whiſt, und er ift ein fo eifriger 
Spieler, daß er fih vor dem lebten Robber meiner 
faum erinnern wird. Sollte das aber doch der Fall 
fein, ſo wird er, falls er mich im Saal nicht erblidt, 
annehmen, id befände mich gleich fo vielen anderen 
irgendwo im Park, Außerdem können wir recht gut 
in einer halben Stunde zurüd fein, und der allgemeine 
Aufbruh wird fiherlid niht vor Ablauf von zwei 
oder drei Stunden erfolgen.“ 

Sie war gegen jeden Einwurf gerüftet, und der 
Alfeffor ſah an dem Beben ihres Körpers, daß fie mit 
leidenfchaftliher Ungeduld auf den QAUugenblid der 
Ausführung wartete. Seine Bedenken gegen die 
Verwirklichung ihrer unbegreiflich tollen Sdee hatten 
ih gewiß nicht vermindert, aber feine Verliebtheit 
raubte ihm den Mut zu weiterem Widerſpruch. Daß 
es fihb nur um einen im Grunde ganz unfchuldigen 
Streich handeln könne, galt ihm ja troß ihrer merf- 
würdigen Erregtheit als fiher. Und wenn das Außerfte 
eintrat, wenn ihr gemeinfchaftliher Streich entdedt 
wurde, hoffte er den Zorn des als fehr aufbraufend 
gefürchteten Oberſten durch eine offene Bewerbung 
um lies Hand zu entwaffnen. 

Sie trafen haftig ihre letzten kurzen Verabredungen. 
Er follte feinen Überrod aus der Garderobe holen und 
jich entfernen; nach Derlauf: von etwa zehn Minuten 


156 Ein Ehrenwort. 0 





wollte fie dann dasjelbe tun und an dem Kiosk mit ihm 
zufammentreffen. Von dort bis zur Villa des Oberften 
war es nicht mehr weit, und da die zwölfte Stunde 
bereits vorüber war, hatten fie in den nächtlich ftillen. 
Straßen eine unliebjame Begegnung faum zu fürchten. 

Hajtig hatte ſich Maljen verabjchiedet, und eilig 
Schritt er duch den Saal, um in die Garderobe zu 
gelangen, als er zu feinem Ärger von einer weiblichen 
Stimme angerufen wurde. So vernebmlidy war dicht 
binter ihm fein Name laut geworden, daß er fi nicht 
ohne die gröbfte Ungezogenheit hätte taub Stellen können; 
aber die Miene, mit der er fih vor der Rufenden 
verneigte, war nicht eben von der verbindlichiten und 
liebenswürdigjten Urt. | 

„Snädige Frau wünfchen?“ fragte er kurz. 

„Man muß Sie wohl mit Gewalt feithalten, wenn 
man den Wunsch hat, Fhnen guten Abend zu wünfchen,“ 
fagte die Dame mit einem füßlichen Lächeln. „Bis 
jebt waren Gie ja beitändig viel zu fehr in Anſpruch 
genommen, um uns zu bemerfen.“ 

Das „uns“ hatte er offenbar zur Hälfte auf das 
junge Mädchen zu beziehen, das neben der Dame ſaß 
und fich den Anfchein gab, hinter ihrem großen Federn- 
fächer nichts von der Unterhaltung zu bemerken. Gie 
war wohl um einige Zahre älter als Slje Frobenius 
und von ftattlicher, imponierender Erſcheinung. Der 
Aſſeſſor verjpürte eine leichte Gewiſſensunruhe, denn 
bis zum Beginn feiner Bekanntſchaft mit Ilſe batte 
er der Tochter der verwitweten Präfidentin ziemlich 
eifrig den Hof gemacht und hatte mehr als einen Beweis 
dafür erhalten, daß Fräulein Herta Steinsdorff feine 
Huldigungen recht gern entgegennahm. Daß er als 
der Beliker beträchtlichen Vermögens ein allerorten 
freudig begrüßter Heiratsfandidat war, wußte er ja 


s) Novelle von R. Ortmann. 157 





ohnedies, und er hegte feinen Sweifel, daß die liebens- 
würdige Begrüßung nichts anderes bedeutete als den 
Verſuch einer Niederanktnüpfung der während der 
legten Monate fat ganz abgeriffenen Beziehungen. 

Aber feine VBerpflidtung gegen Ilſe beraubte ihn 
jeder Möglichkeit, für den Augenblid aubh nur zum 
Schein auf die freundlihen Bemühungen einzugehen. 
Wohl machte er Fräulein Herta feine pflichtichuldige 
DBerbeugung und fagte ihr ein paar artige Worte; aber 
er beeilte fich, hinzuzufügen, daß er um einer dringenden 
Abrede willen eben im Begriff fei, das Zeit zu ver- 
laſſen. 

Fräulein Herta machte ein gekränktes Geſicht, die 
PBräfidentin aber war augenscheinlich nicht gejonnen, 
ihn fo leichten Raufes davonkommen zu laffen. „Auch 
wir gedachten nur noch kurze Zeit zu bleiben,“ erklärte 
fie, „und es wäre recht hübfch geweſen, wenn wir den 
Heimweg hätten zufammen machen können. Ich hörte 
ja von meinem Better, dem Negierungspräfidenten, 
daß wir ohnehin mit der Möglichkeit rechnen müſſen, 
Sie bald zu verlieren.“ 

„Meine Ernennung zum Landraf fteht allerdings 
unmittelbar bevor, aber ich werde jelbitverftändlich 
nicht verfäumen, den Damen meine Aufwartung zu 
machen, bevor ich die Stadt verlaffe, Für den heutigen 
Abend muß ich mich freilich zu meinem lebhaften Be- 
dauern beurlauben, denn die Dringlichkeit meiner 
Abrede duldet nicht mehr den Heinften Aufihub.“ 

Er küßte der beleidigt dreinſchauenden PBräfidentin 
die Hand, verbeugte fih noch einmal gegen Fräulein 
Herta und eilte mit langen Schritten davon, Daß er 
es mit den beiden für immer verdorben hatte, war 
ihm außer Zweifel; aber es ging ihm nicht allzu nahe, 
denn Alle feine Gedanken waren bei Zlje und bei dem 


158 Ein Ehrenwort. fa) 


geheimnisvollen Vorhaben, für das er ihr feine Unter- 
ftüßung leihen follte, 

Ohne noch einmal aufgebalten zu werden, gelangte 
er aus dem Gefellichaftshaufe, und faum zwei Minuten 
nachdem er den Kiosk an der Eiplanade erreicht hatte, 
fab er die in einen grauen GSeidenmantel gebüllte 
Geftalt des geliebten Mädchens auf ſich zukommen. 
Sie hatte einen flodigen Theaterſchal über den Kopf 
geworfen, jo daß von ihrem Geſicht nicht viel zu ſehen 
war, und die vom Vollmond ziemlich hell beleuchteten 
Straßen waren, wie Maljen es erwartet hatte, ganz 
menjchenleer, 

„Ich dankte Zhnen, daß Sie Wort gehalten haben,“ 
flüfterte fie, als fie ihn erreicht hatte, „Aber reichen 
Sie mir, bitte, niht Shren Arm, Laſſen Sie uns 
eilen. Die vordere Gartentür it verſchloſſen, aber 
an der hinteren Seite befindet fich noch eine Gittertür, 
die wir benüßen können. Wenn ich porausgehe, haben 
Sie aud von dem Hunde nichts zu fürchten. Sch bin 
fiber, daß er nicht einmal anſchlagen wird,“ 

Malſen wußte nichts zu erwidern, denn er fühlte 
fih nicht berechtigt, eine Aufllärung zu verlangen, 
die ihm nicht aus freien Stüden gegeben wurde, und 
jo legten fie fchweigend den kurzen Weg bis zu der von 
einem großen, wohlgepflegten Garten umgebenen Villa 
des Oberiten Frobenius zurüd, Das Pförtchen, von 
dem Ilſe gefprochen hatte, war in der Tat nur einge- 
linkt, und auch ihre Vermutung in bezug auf Die 
Dänische Dogge, die den nächtlichen Wachtdienft verjab, 
erwies ſich als richtig. Der Hund fprang ihr freudig 
winfelnd entgegen, und wenn er auch beim Anblid 
ihres Begleiters leife fnurrte, jo genügte Doch ein 
jhmeichelnder Zuruf feiner jungen Herrin, ihn zum 
Schweigen zu bringen. 


| O Novelle von R. Ortmann. 159 


Die Dilla war in Duntelbeit gebüllt mit Ausnahme 
zweier, von der Straße abgekehrter Fenſter im unteren 
Stodwert, von denen eines halb geöffnet war und 
hinter denen man die elektriichen Lampen des Kron- 
leuchters brennen jab. Malfen wußte von feinen Bc- 
juchen ber, daß diefe Fenfter zum Arbeitszimmer des 
Oberiten gehörten. | 

Zlſe flüfterte ihm mit gedämpfter Stimme zu: 
„Mein Vater liebt es nicht, daß fein Zimmer dunkel 
ift, wenn er es bei der Heimkehr betritt, und er ſchließt 
niemals die Fenjterläden, weil er bei der Zuverläflig- 
feit Neros nichts von Dieben fürchtet, Der Weg durd) 
dies Fenſter ift der einzige, der mir offen fteht. Wollen 
Sie mir binaufhelfen?“ 

Ohne den Beiltand eines hochgewachſenen und fehr 
fräftigen Mannes bätte fie das allerdings niemals 
fertig bringen können, denn das Gefims des Fenfters 
lag ſehr hoch über dem Boden, und es gab weder ein 
Spalier noch ſonſt ein Hilfsmittel, das das Hinaufflettern 
erleichtert hätte. Auch fo blieb es immer nod) eine 
ziemlich Schwierige Aufgabe, für deren glüdliche Löſung 
es all der jugendlichen Sewandtheit und Elaftizität 
des fportgeübten Offizierstöchterchens bedurfte. 

Maljen fühlte ſich troß des Unbehagens der felt- 
famen Situation von einem befeligenden Glüdsgefühl 
durchſchauert, als er die gejchmeidige Geftalt in feinen 
ſtarken Armen emporhob und für einen Augenblid 
ihre Füße auf feinen Schultern fühlte. 

An der nächſten Minute hatte fie fich bereits über 
die Brüftung gefhwungen. Die hinter ihr wieder 
zufammenfallenden. Gardinen entzogen dem Aſſeſſor 
jogleich ihren Anblick, und fein Laut verriet ihm etwas 
von ihrem weiteren Beginnen. 

Minute auf Minute verrann, ohne daß fie wieder 


160 Ein Ehrenwort. 0 


erschienen wäre, und die Zeit des Wartens dehnte ſich 
dem jungen Manne fchier zur Unendlichkeit. . 

Endlid ſah er eine Bewegung der Gardine und 
gleich Darauf über der Fenſterbrüſtung die Silhouette 
der teuren Geftalt. 

„Bitte, treten Sie beijeite,“ Hang es herab. „Ich 
fann ohne Gefahr hinunterjpringen.“ 

Er gab ſich den Anfchein, ihrer Weifung zu gehorchen, 
aber er bielt fich bereit, und als fie nun wirklich den 
Sprung wagte, fing er fie mit der Geſchiclichkeit des 
musfelgeftäblten Turners in feinen Armen auf. Er 
hörte, wie raſch und Schwer ihr Atem ging, und er fühlte 
den beängjtigend ftürmifchen Schlag ihres Herzens. 
Der Schal, der ihren Kopf umbüllte, hatte fich ver- 
ichoben, und der helle Mondfchein fiel voll auf das 
feine Gefiht, das ihm jett fo nahe war, 

Dielleiht war es nur die eigenartige Beleuchtung, 
die es fo erfchredend bleich erjcheinen ließ ; aber wenn auch 
diefe marmorne Bläſſe eine Täufchung gewejen wäre, 
der Ausdrud tiefen Kummers, das Zuden eines grau- 
famen Schmerzes in ihren Zügen waren ficherlich keine 
durch das gefpenjtiihe Mondlicht hervorgerufene Ein- 
bildung, 

Mährend fie noch wie in völliger Entkräftung an 
feiner Bruft rubte, fraßte Malſen, alle Vorſicht ver- 
gefiend, aus der Herzensangft feiner leidenjchaftlichen 
Liebe heraus: „Was ift Ihnen? Ich beihwöre Gie, 
fagen Gie mir’s! Ich fehe ja, wie Gie leiden,“ 

„Richt hier!“ hauchte fie zurüd, indem fie fich aus 
feinen Armen freimachte. „Wir dürfen uns nicht länger 
aufhalten!“ 

Diesmal fträubte fie fih nicht, als er ihr den Arm 
bot, und fie verließen den Garten auf demfelben Wege, 
den fie gelommen waren. 


D Novelle von R. Ortmann. 161 


Als fie fih ein paar hundert Schritte von der Villa 
entfernt hatten, zog Ilſe wie in einem plötzlichen 
Entichluffe ihre Hand zurüd und hob das Geficht zu 
ihrem Begleiter, „Ich möchte Gie etwas fragen, 
Herr v. Maljen. Glauben Sie, daß es hier in der Stadt 
jemand gibt, der mir, ohne mich an meinen Dater 
zu verraten, fofort zweitaufend Mark leihen würde? 
Ich könnte fie allerdings erft am Tage meiner Doll- 
jährigkeit zurüderftatten, wo ich die freie Verfügung 
über mein mütterlihes Erbteil erhalte.“ 

Der Aſſeſſor hatte eine Empfindung, als ob er mit 
eistaltem Waſſer überjchüttet würde. Aber er wußte 
fih zu beherrſchen, und in feiner Erwiderung verriet 
fih nichts von dem, was in ihm vorging. „Gewiß gibt 
es jemand, Fräulein Zlje. Der Betrag ftehbt Shnen 
in jedem beliebigen Augenblid zur Verfügung, und id) 
bin Ihnen für diefen Beweis Zhres Dertrauens zu 
tiefitem Dante verpflichtet.“ | 

Sie konnte nichts anderes erwartet haben, als daß 
er, der reihe Mann, ihr das Geld anbieten würde, und 
fie zeigte denn auch nicht die mindefte Überrafchung, 
als fie fagte: „Es wäre fehr liebenswürdig, wenn Sie 
mit helfen wollten. Aber ich kann Ihnen nicht fagen, 
wozu ich die Summe brauche.“ 

„Cs wäre mir felbftveritändlih nie in den Sinn 
gelommen, Sie danach zu fragen.“ 

„Auch muß ich mich darauf verlaffen fünnen, daß 
Sie das Geld feinerzeit ohne weiteres zurüdnehmen. 
Und Sie müfjen mir erlauben, Shnen die üblichen 
Zinſen zu zablen.“ 

„Sie werden das ganz nad) Fhrem Belieben halten. 
— Wann und auf welhem Wege darf ich mir erlauben, 
Shnen den Betrag zu übermitteln?“ 

„3b müßte ihn fpätejtens morgen in den erften 

1912. VII. 11 


162 Ein Ehrenwort. D 


Dormittagsftunden haben, Am liebiten wäre es mir 
ja gewefen, wenn ich ihn noch in diefer Nacht erhalten 
hätte.“ 

„Es kann auf der Stelle geſchehen, wenn Sie es fo 
wünjcen, denn ich habe zufällig fo viel bei mir.“ 

Mit der naiven Haft eines Rindes, das gar nicht 
Ichnell genug in den Beſitz einer verheißenen Gabe 
gelangen kann, ftredte Zlje die Hand aus. 

„Ah ja, geben Sie es mir, bitte, jogleih! Einen 
Schuldfchein kann id) Ihnen freilich hier auf der Straße 
nicht ausftellen. Aber ich werde Zhnen morgen einen 
ſchicken.“ 

„Geſtatten Sie mir, zu bemerken, daß dergleichen 
unter Freunden nicht üblich iſt. Und wenn ich auch 
nicht ganz ſicher bin, ob ih Zhnen in dieſem Augenblick 
wirtlih einen Zreundichaftsdienft erweife —“ 

„DO doch,“ fiel fie ihm ins Wort, „den größten und 
wertvolliten, den mir ein Menfch zu leiften vermöchte. 
3h werde niemals aufhören, Ihnen dafür zu danten.“ 

Das Wort, das ihn noch vor einer Viertelftunde hoch 
beglüdt haben würde, tat ihm je&t beinahe wehe, und 
er brachte es nicht über fich, etwas Darauf zu erwidern. 
Er hatte die beiden braunen Scheine, die er feiner 
Brieftaſche entnommen, in Zljes Hand gelegt, und fie 
riß baftig den Mantel auf, um fie in dem Ausschnitt 
ihres Gefellichaftskleides unterzubringen. 

Nun reichte fie dem Aſſeſſor die Rechte. „Sie 
haben fehr edel und großmütig an mir gehandelt. 
Bitte, verzeihen Sie mir, wenn meine Worte vorhin im 
Dark etwas Verlegendes für Sie gehabt haben follten. 
gan meiner damaligen Gemütsverfaffung wußte ich 
wohl kaum, was ich ſprach.“ | 

Ihre Rede klang nicht eigentlich), als ob fie fih jetzt 
in wejentlich befjerer Stimmung befände, ihre Stimme 


a Novelle von R. Ortmann. 1653 


war völlig heifer geworden, und die Heine Hand, die 
Malen in der feinigen hielt, brannte wie im Fieber. 

„Es ift mir niemals eingefallen, Zhnen zu zürnen,“ 
verficherte er. 

Denn Ilſe Frobenius ein feines Ohr hatte, mußte 
fie‘ vernehmen, daß dies nicht mehr derjelbe Tan war, 
in dem er vorhin zu ihr geſprochen. Sie ließ aber nicht 
ertennen, ob fie die DBeränderung bemerkt hatte, Noch 
ein paar hundert Schritte weit ging fie ftumm an feiner 
Seite, dann bat fie ihn, fie den kurzen Reft des Weges 
allein machen zu laffen. | 

„Gute Naht, Fräulein Se!“ fagte er, indem er 
fih herabbeugte, um ihre Fingerfpigen zu küſſen. 
„sh hoffe, daß der Schluß des Feſtes noch ein recht 
vergnüglicher für Sie werde,“ 

„ga, ſoll ih Sie denn nicht mehr jehen? Sie wollen 
nicht wiederftommen?“ 

„mit Zhrer gnädigen Erlaubnis — nein! — Ich 
bin müde, und vielleicht ift es auch in Zhrem Sntereffe 
beffer, wenn man mich nicht mehr auf dem Feſte fieht.“ 

Sie zögerte, und eine tiefe Traurigkeit war in dem 
Blick, mit dem fie zu. ihm aufjab. Dann aber fagte fie 
tonlos: „Gute Nacht, Herr v. Malen!“ 

Eilenden Fußes bog fie in die Nebenjtraße ein, 
die dem Gefellichaftshaufe zuführte. 

Der Affeffor aber ſchritt um fo langfamer feiner 
Wohnung zu. Er war fehr ernft, denn er hatte ſoeben 
einen der holdeſten und lieblihiten Träume feines 
Lebens mit einem gar häßlichen Erwachen enden ſehen 
und hatte eine feiner beglüdendften Hoffnungen be- 
graben, Daß jich dies reizende Mädchen, dem noch por 
kurzem all feine Liebe gehört hatte, auf einem verhäng- 
nisvollen Srrwege befand, konnte ja nach dem, was er 
ſoeben erlebt hatte, für ihn feinem Zweifel unterliegen. 


164 Ein Ehrenwort. a) 


Und wenn er auch nicht bereute, ihr An ber Schwad)- 
heit des DVerliebten behilflich geweſen zu fein, jo war 
doc fein Ehrgefühl zu fein ausgebildet und zu un- 
beitechlich, als daß ei jett noch hätte an die Verbindung 
mit einem Wefen denken können, das ſolche Geheim— 
niffe hatte und fih auf fo bedenkliche nädtliche Aben- 
teuer mit einem jungen Manne einließ. 

Sein Entihluß war unerjchütterlich, aber an der 
Grauſamkeit des Schmerzes, der feine Seele zerriß, 
tonnte er die Tiefe und Snnigkeit der Zuneigung er- 
meffen, die er für die unglüdlibe Slfe Frobenius 
gebegt. 


Drei Sage fpäter fragte ein Bekannter, mit dem 
Malſen bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße 
ins Geſpräch gekommen war, beiläufig: „Was fagen 
Sie zu der armen kleinen Frobenius? Es heißt ja, 
daß es fehr Schlecht um fie ftände.“ 

Malfen fuhr fih unmwilltürlih mit der Hand nad 
dem Herzen, denn er hatte da einen heftigen körper— 
lihben Schmerz gefühlt wie von dem Stich einer 
glühenden Nadel, „Um Gottes willen — ih weiß 
von gar nidhts. Iſt fie denn krank?“ 

„Sehr fogar! Sie hat fihb auf dem Sommerfeſt 
eine ſchwere Lungenentzündung geholt.“ 

Der Aſſeſſor fühlte fi außerftande, das Geſpräch 
fortzufegen, Zn feinem Ropfe wirbelte es, und feine 
Bruft war wie von einem eifernen Ringe zufammen- 
gepreßt. Außerftande, die fürchterlihe Ungewißheit 
zu ertragen, begab er fih unverzüglich nach der Villa 
Frobenius und ließ fihb bei dem Oberften melden. 
Aber das Mädchen, dem er feine Karte gegeben, fam 
mit dem Beſcheid zurüd, der Herr Oberſt bedaure, in 
diefen Tagen feinen Beſuch empfangen zu können. 


0 Novelle von R. Ortmann. 165 





„Der gnädige Herr ift ganz verzweifelt,“ fügte fie, 
als fie die verjtörte Miene des Affefjors ſah, hinzu. 
„Außer mit dem Arzt und der Schweiter fpricht er faum 
mit einem Menfchen. Erft jetzt fieht man, wie jehr er 
an dem gnädigen Fräulein hängt.“ 

„Cs geht doch wieder bejjer — nicht wahr?“ 

„Ich glaube nicht, Herr Aſſeſſor. Die Schweſter 
ſpricht von einer Rrifis, die abgewartet werden müßte. 
Aber wer weiß, ob das gnädige Fräulein es überhaupt 
duchhält, Am Morgen nad) dem Zeit war fie ſchon fehr 
frank, Man konnte es ihr ja anfehen, und die Zungfer 
fagt, daß fie fhon da Blut gehuftet habe. Aber troßdem, 
und obwohl es fehr windig geworden war, ift fie noch 
einmal ausgegangen. Dadurch ift es dann wohl jo 
ihlimm geworden. Als fie wiedertam, mußte fie ſich 
fofort legen und fing auch gleih an zu phantafieren, 
Damit geht es nun immer fo fort.“ 

Malfen verließ die Villa noch unglüdlicher, als er 
fie betreten hatte. Die feit Tagen mit der ganzen Kraft 
feines Willens betämpfte Leidenfhaft für Ilſe war 
unter der Wirkung der Schredenstunde mit verdoppelter 
Slut aufgeflammt. Die Angſt um ihr Leben ließ ihn 
die graufamiten Qualen erdulden, und dazu peinigte 
ihn unaufhörlid die Vorftellung, dag er mitſchuldig 
fein könnte an der Urſache ihrer Erkrankung, oder daß 
er doch wenigftens die Anfänge diefer Erkrankung hätte 
bemerten müffen, die ja ganz unzweifelhaft ſchon 
vorhanden gewefen waren, als er jenes nädtliche 
Abenteuer mit ihr durchlebt hatte. Er begriff nicht, 
wie es möglich gewefen war, daß er ihre Aufregung, 
ihr Herzklopfen, ihre Fieberhige nicht fofort als bedroh- 
lihe Symptome gedeutet hatte, und er quälte fich mit 
DBorwürfen, weil er nichts getan hatte, um fie vor 
weiteren Unvorfihtigkeiten zu bewahren. Schließlich 


166 Ein Ehrenwort. 0 


ſuchte er fich einzureden, daß alle die Vorgänge jener 
Feſtnacht vielleicht durch ihren krankthaften Zuftand ver- 
anlaßt worden feien, daß fie bereits unter dem Zwange 
von Fieberphantajien gehandelt habe; aber bei ruhiger 
Überlegung mußte er fich freilich fagen, daß ihre 
Reden dafür denn doh zu vernünftig, ihre  Hand- 
lungen zu logiſch und überlegt gewejen waren. Wenn 
zwilchen ihrer Erkrankung und jenen Ereigniffen über- 
haupt ein Zuſammenhang bejtand, fo ließ fih nur an- 
nehmen, daB der Ausbruch der Krankheit durch die 
jeeliihen Erfhütterungen befchleunigt worden wat, 
und das traurige Geheimnis, das fie nah feinem 
Empfinden für immer von ihm trennte, wurde damit 
feiner Enthüllung nicht näher gebradt, 

Bu untätigem Abwarten verurteilt, mußte er ſich 
begnügen, Tag für Tag feine Erktundigungen nad 
Zljes Befinden einzuziehen, und er mußte es überdies 
auf allerlei Umwegen tun, da feine gefellfchaftlichen 
Beziehungen gu dem Oberjten nicht intim genug 
waren, um ein tägliches perfönliches Vorſprechen in 
der Dilla zu rechtfertigen. 

Mas er in Erfahrung bradte, Hang fortgeſetzt 
wenig ermutigend, Cs war fein Zweifel, daß. die 
Krankheit in ihrer fchweriten Form auftrat, und ſchon 
der Umftand, daß ein berühmter Kliniter aus der 
Hauptitadt berufen worden war, ließ auf eine ſehr 
ernfte Wendung ſchließen. 

Es war am Nachmittag des neunten Tages nach 
dem unſeligen Muſeumsfeſte, als ſein Diener dem 
Aſſeſſor die Karte eines Beſuchers überbrachte. „Erwin 
Frobenius“ war darauf zu leſen, und Malſen konnte 
nicht zweifeln, daß der Herr, der ihn da zu ſprechen 
wünſchte, der ihm perſönlich bisher unbekannte Bruder 
Ilſes ſei, der auf einer auswärtigen Univerſität im 


a} Novelle von R. Ortmann. 167 


vierten oder fünften Semeſter ftudierte. In begreif- 
liher Spannung ſah er feinem Eintritt entgegen, denn 
er begriff nicht, was diefen Beſuch veranlagt haben 
fonnte. | 

Der etwa zweiundzwanzigjährige junge Mann, der 
ihm eine Minute fpäter gegenüberfitand, war feiner 
Schweſter auffallend ähnlich, fein Gefiht aber trug 
in diefem Augenblid den Ausdrud eines tiefen, fait 
fınfteren Ernites, und ſchon die gemeſſene Art der 
Begrüßung ließ feinen Zweifel, daß er in anderer 
als freundlicher Abfiht gelommen war. 

Er lehnte die Einladung zum Niederjigen mit 
ſtummer Gefte ab und griff in die Brufttafche feines 
Rodes. „Ich bin, wie Sie vielleicht ſchon erraten haben, 
der Sohn des Oberjten Frobenius,“ ſagte er, „und 
ih bin geitern aus Bonn bier eingetroffen, weil mein 
DBater es mit Rüdfiht auf die ſchwere Erkrankung 
meiner Schweiter ſo wünſchte. Am heutigen Dor- 
mittag erhielt ih von einem unbefannten Abjender 
diefen Brief, von defjen Inhalt ich Renntnis zu nehmen _ 
bitte, und auf den ich eine Außerung oder Erklärung 
von Ahnen erwarte,“ 

Er reihte Malfen das Blatt, das mit offenbar ver- 
ſtellter Handfchrift, aber ohne allen Zweifel von einer 
weiblihen Hand gejchrieben war. 

_ Der Afjeffor frat an das Zenfter und las. Es war 
eine der niederträdhtigjten anonymen Denunziationen, 
die ihm je vor Augen gelommen waren. Eine an- 
geblihe Freundin des Fräulein Ilſe Frobenius teilte 
ihrem Bruder mit, daß er ſich über die Urſache der 
plößlihen Erkrankung feiner Schweiter nirgends beſſer 
Auskunft holen könne als bei dem Affeffor v. Malfen, 
in defjen Begleitung fie nah Mitternacht das Feſt der 
Mufeumsgäfellihaft heimlich verlaffen habe, und in 


168 Ein Ehrenwort. s 


deffen Gefellichaft fie eine halbe Stunde fpäter auf 
der Straße — und zwar nabe bei der Wohnung des 
Heren v. Malfen — gejehen worden fei. Eine Ber- 
jonenverwedhflung fei ganz ausgeſchloſſen, und er 
. werde ja wahrjcheinlich wiſſen, was er unter folchen 
Umftänden zu tun habe. 

Maljen zerbrach ſich nicht lange den Kopf darüber, 
wer die Schreiberin des infamen Briefes geweſen ſein 
könne, ſondern benützte die kurze Überlegungsfriſt, die 
ihm während der Lektüre vergönnt war, um mit ſich 
ſelber ins reine zu kommen. 

Das Ergebnis ſeines Nachdenkens konnte kein an— 
deres ſein als die Gewißheit, daß er Ilſe unter keinen 
Umſtänden preisgeben dürfe. 

Mit erheuchelter Gelaſſenheit wandte er ſich dem 
Beſucher wieder zu und reichte ihm das Blatt zurück. 
„ah bedaure, daß Sie einer derartigen feigen Ver— 
leumdung Gewicht beilegen konnten,“ ſagte er ruhig. 
„Wollen Sie mir gefälligft mitteilen, welche Art von 

Erklärung Sie von mir verlangen?“ 
| „Die Erklärung, da der Inhalt diefes Briefes eine 
Züge ift, fofern Ehre und Gewiſſen Zhnen geitatten, 
mic deffen zu verfihern.“ 

„Eine Lüge? Nicht durchaus. Ich bin.in der Tat 
zu der angegebenen Zeit mit einer Dame durch die 
Straßen gegangen. Uber diefe Dame war nicht Zhre 
Schweiter,“ 

„Sie erflären mir das auf ahr Ehrenwort, Herr 

Aſſeſſor v. Maljen?“ 

„Auf mein Ehrenwort, Here Frobenius.“ 

Der Student verbeugte fih. „Damit iſt die Sadse 
in der Sat erledigt, und ich habe mich nur noch wegen 
der Beläftigung zu entihuldigen. Wenn fich die nichts- 
würdige Derleumdung offen hbervorwagen follte, werde 


0 Novelle von R. Ortmann. 169 


ih ja nunmehr in der Lage fein, ihr entgegenzu- 
treten.“ | 

Er wandte fih zum Gehen, und Malfen hatte nicht 
den Mut, ihn nad) dem Befinden feiner Schweiter 
zu fragen. Er hatte mit vollem Bewußtſein jene Un- 
wahrheit mit feinem Ehrenwort bekräftigt, und er 
hatte es getan, ohne zu zaudern und ohne mit der 
Wimper zu auden; aber der furchtbare Sturm, Den 
er damit in feinem Innern hberaufbeichworen hatte, 
madte es ihm fehr ſchwer, feine Haltung zu be- 
wahren, 

Salt in demfelben Augenblid, da fih die Tür des 
Simmers hinter dem Studenten gefchlofjen hatte, ließ 
er fih Schwer in feinen Schreibjeifel fallen und preßte 
beide Zäufte gegen die ungeftüm pochenden Scläfen. 
Er bereute nichts, denn er hatte nicht anders handeln 
tönnen und würde in derfelben Lage noch hundertmal 
das nämlidhe getan haben; aber fo wie er fi) über 
die Notwendigkeit feiner Erflärung nicht im Sweifel 
befand, fo war er fih auch volltommen klar über ihre 
wunausweidliben Zolgen. Das Gefeß.der Ehre war 
für ihn fo unverbrüdlich, daß er in diefem Augenblid 
lich felber ausftieß aus der Gemeinschaft der anftändigen 
Leute. Dor zehn Minuten noch war er ein freier 
Mann gewefen, ein Mann voll ehrgeiziger Zulunfts- 
hoffnungen und in feiner eigenen Schäßung würdig 
der höchſten Ehren, die dem Staatsdiener als Ziel 
feines Strebens winten. gebt war er von alledem 
nichts mehr. Auch das erbärmlidite Subjett würde 
ja fortan berechtigt fein, ihm ins Geſicht zu rufen: 
„Das ift der Edelmann, der fein Ehrenwort verpfändet 
bat für eine Lüge!“ Und wenn niemals ein lebendes 
Nejen davon erfuhr, einer war Doch da, der es ihm 
immer und immer wieder zurufen würde, einer, Dem 


170 Ein Ehrenwort. Do 





er nicht entlinnen und den er niht zum Schweigen 
bringen konnte — er ſelbſt! 

Er war niemals der Mann der halben Entjchlüffe 
und der fleinmütigen SZugeftändniffe .an ich ſelbſt ge- 
wefen. Bis tief in die Nacht hinein faß er am Schreib- 
tiih, um in einem mit Gejundheitsrüdfichten und mit 
der Abfiht einer Weltreife begründeten Gefuh um 
Entlaſſung aus dem Staatsdienft zu bitten und um 
eine Reihe anderer Dispofitionen für die Durchführung 
jeines plößlih fo ganz veränderten Lebensplanes zu 
treffen. | 

Als er fih beim Morgengrauen aus dem Schreib- 
jeifel erbob, war nicht mehr der kleinſte Reft von 
Bitterkeit und Groll, fondern nur nod) eine tiefe, müde 
Traurigkeit in feiner Seele. Und diefe Traurigkeit 
galt nicht feinen zerjtörten Hoffnungen, fondern einzig 
dem ungewiſſen Schidjal des armen jungen Wefens, 
für das er unbedentlih zu noch fchwereren Opfern 
bereit gewefen wäre, wenn er ihm damit Gejundheit 
und Lebensglüd hätte zurüdgewinnen können, 





Die gefürdtete Krifis in Ilſes Rrantheit war glüd- 
lid überitanden, und zum erſten Male hatte der Arzt 
in zuverfichtlihem Tone die Hoffnung auf volle Wieder- 
berftellung ausgefprochen. 

Ilſe war noch ſehr ſchwach, lag falt immer im 
Halbſchlummer und zeigte wenig Teilnahme für ihre 
Umgebung, Nicht einmal das Erfcheinen des Bruders, 
an dem fie feit frühefter Kindheit mit einer zwifchen 
Geſchwiſtern nicht eben häufigen, beinahe ſchwärme— 
riihen Liebe hing, hatte fie aus dieſer Apathie zu 
reißen vermodt. Ein flüchtiges, kaum merkliches 
Lächeln nur war über ihr fchmales Gefiht gegangen, 


8 Novelle von R. Ortmann. 171 





als er geftern in mühfam beberrfchter Bewegung an 
ihr Lager getreten war, und fie hatte ihm ihre ganz 
durchſichtig gewordene Hand überlafjen, ohne den zärt- 
liben Drud der feinen zu erwidern. 

Man hatte ihm am erften Tage nicht gejtattet, 
längere Zeit in dem Krankenzimmer zu verweilen, 
heute aber, da die Lebensgefahr endlich als befeitigt 
gelten konnte, hatte der Arzt nichts mehr gegen die 
Erfüllung feiner dringenden Bitte‘ eingewendet, zu- 
ſammen mit der Pflegerin die Nacht bei feiner Schweiter 
durchwachen zu dürfen. Sie war ja von jeher Die 
einzige Dertraute all feiner Pläne und Hoffnungen, 
all feiner Freuden und Rümmernifje gewefen; fie war 
für ihn der verkörperte Inbegriff von Reinheit und 
Herzensgüte, und der heute an ihn gelangte anonyme. 
Brief hatte ihn deshalb in eine Erregung verſetzt, Die 
vor Maljen zu verbergen ihm nur eine in ausgezeich- 
neter Erziehung gewonnene Selbſtzucht ermöglicht 
hatte. Zetzt, da ihm Maljens Ehrenwort die be- 
rubigende Gewißheit verjchafft hatte, daß es ſich nur 
um ſchändliche Verleumdung handle, richtete fich die 
ganze Fülle feines Zornes nur noch gegen den Ur— 
beber oder: die Urheberin der infamen Denunziation, 
und er war feit entichloffen, nicht zu ruhen, bis er ic 
volle Genugtuung für die beleidigte Ehre der geliebten 
Schwefter verfhafft habe. Sie felber aber follte niemals 
etwas davon ahnen, daß die niedrigite Verdächtigung 
jihb an das Heiligtum ihrer Unſchuld gewagt hatte. 

Mährend der Groll über die ungeheure und leider 
noch ungefühnte Niedertraht beſtändig an feinem 
Herzen nagte, ſetzte er in dem ftillen Rrantenzimmer 
feine heiterfte und zufriedenfte Miene auf, um der 
Möglichkeit willen, daß ein Blid der Erwachenden 
fein Geſicht Streifen könnte, 


172 Ein Ehrenwort. Do 





Bald nah Mitternaht erwachte Ilſe. Sie hatte 
beinahe den ganzen Tag in ruhigem Schlummer ver- 
bracht, und zum eriten Male hatten ihre Augen jebt 
die Mare Helligkeit der beginnenden Genejung. Sie 
ſah ihren über ein Buch gebeugten Bruder, und fie 
ſah, daß die Stark erfchöpfte Schweiter am anderen 
Ende des Zimmers in ihrem weichen Lehnituhl fanft 
entichlummert war, 

Da madte fie eine Bewegung, die die Aufmerf- 
ſamkeit des jungen Mannes erregen mußte, und im 
nächſten Augenblid, wie fie es nicht anders erwartet 
hatte, war er an ihrer Seite. 

„ale, mein geliebtes Schweiterchen, haft du einen 
Wunſch?“ 

Zärtlich lächelte ſie ihm zu. „Nein, Erwin. Aber 
ic) freue mich ſehr, Dich zu ſehen, und ich bin ſo glüd- 
lich, daß die Krankheit erſt ausbrach, als alles erledigt - 
war, Ach, du kannit ja nicht ahnen, was ich an jenem 
Sage und in jener fchredlihen Naht um dich gelitten 
habe.“ 

„Regt es dich nicht zu fehr auf, jet von dieſen 
Dingen zu ſprechen?“ 

Sie jchüttelte den Ropf und flüjterte: „Nein — 
ih fühle mich ganz wohl, Wir müfjfen die Gelegen- 
heit benüßen, wo die Schweiter ſchläft. Wer weiß, 
wann wir wieder unbelaufcht find. Als ich dir gleich- 
zeitig mit der telegraphiichen Abſendung des Geldes 
fchrieb, daß ich es mir von der Sparkaſſe geholt hätte, 
habe ich Dich belogen, Das Sparkaſſenbuch bat ja 
der Dater unter Derfchluß, und ih würde auch gar 
nieht gewagt haben, es hinter feinem Rüden zu tun.“ 

„Aber woher hattejt du es denn ſonſt?“ 

„Von einem Freunde, der noch viel mehr für mich 

getan hat als das. Damit du weißt, wie viel Dank 


D Novelle von R. Ortmann. 173 


wir ihm ſchuldig find, will ih es Dir erzählen. Am 
Dormittag des Tages, an dem das Mujeumsfeit fein 
follte, erhielt ich deinen verzweifelten Brief mit dem 
Geftändnis, daß du troß deines gegebenen Wortes 
wieder gefpielt und dir das Geld für die Bezahlung 
der Schuld geliehen hätteft. Die Frift für die Rück— 
zahlung war verftrihen, und dein Gläubiger hätte 
gedroht, fih an den Dater zu wenden. Sch wußte 
ebenfogut als du, daß es eine furchtbare Rataftrophe 
geben würde, wenn er diefe Drohung -ausführte, und 
ih kann dir nicht bejchreiben, in weldher Todesangſt 
id) während diejes entjeglihen Tages herumlief. Ich 
ab ja keine Möglichkeit, dir zu helfen, und jedesmal, 
wenn die Glode anjchlug, fürcdhtete ich, Daß es der 
Poſtbote mit dem Briefe des unfeligen Mengers fein 
könnte.“ 

In tiefer Zerknirſchung beugte ſich Erwin Frobenius 
über ihre Hand. „Meine arme, arme Ilſe! Ich könnte 
mich zerreißen, wenn ich daran denke, welche Auf- 
tegung und welhen Kummer ich dir bereitet habe. 
Aber irgend einem Menſchen mußte ih mich pvffen- 
baren, und du warit ja von jeher die einzige, Der ich 
mein Herz ausfchütten konnte.“ 

„Es war auch) ſehr gut, daß du es getan haft, denn 
jonft hätte ih in meiner Ahnungslofigkeit natürlich 
nicht daran gedacht, das Gräßlihe zu verhüten. Ich 
wäre dem Feſte ſo gerne ferngeblieben, denn ic) 
fühlte mich auch körperlich Schon recht ſchlecht. Aber 
ich weiß, daß der Dater es fehr gern befucht, und er 
wäre gewiß auch nicht hingegangen, wenn ich ihm von 
meinem Unmwohlfein gejprochen hätte. Darum kleidete 
ih mid) in der allertraurigften Stimmung für die ' 
Gejellihaft an. Und gerade als ich fertig in Papas 
Arbeitszimmer trat, um ihn abzuholen, fam aud) das 


174 Ein Ehrenwort. 0 


Mädchen mit der Abendpoft herein, Ganz obenauf 
lag ein Geſchäftsbrief mit dem Aufdrud ‚Baul Mengers‘, 
und du kannſt dir wohl vorftellen, was in mir vorging, 
als ih ihn erblidte, Wenn der Vater ihn las, war 
alles für dich verloren, und ich hatte darum nur den 
einzigen Gedanten, es zu verhindern, Als er feine 
Hand nah den Poſtſachen ausitredte, tat ich, als ob 
ih mich vor Ungeduld gar nicht mehr laſſen könnte, 
und madte einige von den kindlihen Scherzen, die 
ihn immer zum Laden bringen. Dann wollte ich 
durchaus nicht zugeben, daß er fich die gute Laune 
durch Dumme oder ärgerliche Gefchäftsbriefe verderben 
laffe. Die zu lefen, wäre auch fpäter Zeit genug. 
Und ich hatte wirklid die Genugtuung, daß er für 
den Augenblid darauf verzichtete. Er ließ die Briefe 
uneröffnet auf dem Schreibtifch liegen und verließ 
mit mir das Bimmer, Ich hatte einen Aufichub er- 
langt, und wenn es auch zunächſt nur eine Galgen- 
frift war, fo gab ich doch die Hoffnung nicht auf, daß 
es mir auf irgend eine Weife gelingen würde, den 
verhängnispollen Brief in meinen Befiß zu bringen, 
bevor Papa ihn gelefen. Nachher freilih wurde dieſe 
Hoffnung von Diertelftunde zu Viertelftunde geringer. 
Es gab ja nur eine einzige Möglichkeit. Zch mußte 
den Brief aus Papas Arbeitszimmer jtehlen, bevor er 
heim kam. Du wirft mir zugeben, Erwin, daß die 
Ausführung dieſes Diebftahls nicht jo einfach war wie 
der Entſchluß.“ 

„Du haſt es aljo wirklich Beau? Aber das iſt 
ja ganz unmöglich.“ 
„Ohne fremde Hilfe hätte ich es iemale zuſtande 
gebracht. Aber ich ſagte dir ja ſchon, daß ich das 
Glück hatte, einen opfermutigen Freund zu finden. 
Ohne daß ich ihm ſagen mußte, um was es ſich handle, 


oO Novelle von R. Ortmann. 175 


war er auf meine Bitte fofort bereit, mich zu begleiten. 
Mir entfernten uns heimlih von dem Zelte, er war 
mir behilflih, durch das offene Fenfter ins Zimmer 
einzufteigen; er fing mid in feinen Armen auf, als 
ich wieder hberunterjprang, nachdem ich mich des Briefes 
bemädtigt hatte, und ih bin gewiß, daß er fich eher 
lebendig verbrennen ließe, als daß er einem Menfchen 
verriete, was er für mich getan.“ 

Erwin Frobenius war in die Knie gejunten und 
hatte die Stirn auf den Rand der Bettſtatt gepreßt, 
fo daß Ilſe fein Gefiht nicht jehen konnte. Dumpf 
und fremd lang feine Stimme an ihr Ohr: „Und 
dann — dann ließeit du dir von diefem Freunde auch 
noch das Geld geben, das mich retten follte?“ 

„Ja. Sch hatte meiner erjten Straftat,noch eine 
zweite hinzugefügt, indem ich den Brief des Herrn 
Mengers geöffnet und gelejen hatte. Aus feinem Fn- 
halt wußte ich, daß mein Wagnis umſonſt gewefen 
war, wenn der Mann nicht innerhalb zweimal vier- 
undzwanzig Stunden fein Geld erhielt. Und es gab 
niemand, den ich hätte darum bitten können, als —“ 

„As den Regierungsafjeiior v. Maljen - — nicht 
wahr?“ 

Beftürzt richtete fih die Patientin in den Kiſſen 
auf, „Wie kannſt du das u Erwin? Der hat 
es Dir gejagt?“ 

Er bereute das iberegte Wort und bemühte 
fih nah Kräften, feinen erfihredenden Eindrud zu 
verwifchen. „Niemand, Zlfe, niemand! Aber du haft 
in deinen letzten Briefen den Aſſeſſor jo oft erwähnt 
und haft mit ſolcher Wärme von ihm geſprochen, daß 
ich wohl auf keinen anderen raten konnte als auf ihn.“ 

Sie war fhon wieder beruhigt, und ein fonniges 
Lächeln verklärte ihr Geſicht. „ga, er war es. Ich 


176 Ein Ehrenwotrt. a) 





durfte ihn um das Geld bitten, weil idy wußte, daß 
et darum nichts Schledhtes von mir glauben würde. 
An diefem Abend hatte er mir ja gelagt, daß er — 
daß er mir gut ſei. Und einem Menfchen, den man 
lieb bat, fhentt man Vertrauen. Das ift doch auch 
deine Meinung, Erwin?“ 

„Am deinetwillen hoffe ih wenigitens, daß es jo 
it. Du haft dir alfo die Summe geben laſſen, ohne ihm 
auch nur anzudeuten, welhem Zwed fie dienen follte?“ 

„Ich durfte Doch deine Ehre nicht preisgeben! Er 
weiß es nicht, und er wird es nie erfahren, Uber er 
wird mich auch niemals danah fragen. — Nun habe 
ih Dir die ganze Gefchichte deiner Rettung erzählt. 
Ich kehrte in das Gefellichaftshbaus zurüd, und mein 
Rommen fiel ebenjowenig auf, als meine Entfernung 
bemerkt worden war, Um zwei Uhr ging ih mit 
Papa nad Haufe und begleitete ihn bis in ſein Urbeits- 
zimmer. Er durchlas feine Poſtſachen, und ich habe 
niemals ein innigeres Dantgebet zum Himmel empor- 
gejchidt, als ich’s in jener Naht in der Stille meines 
Stübchens tat. Gejchlafen habe ich freilich nicht, denn 
ic) fühlte mich fehr elend, und ich mußte alle Willens- 
ftaft aufbieten, um mid am nädften Morgen nod) 
einmal aufzuraffen und zur Boft zu geben, wo ic) das 
Geld telegraphiih an dich abſchickte und dir dazu ein 
paar geilen in einem Rartenbriefe ſchrieb. Ich —“ 

Sie mußte abbrechen, denn die Schweiter bewegte 
li in ihrem Seſſel, und Erwin hatte nur eben noch 
Seit gehabt, aufzufpringen und eine unbefangene 
Haltung anzunehmen, als fie vollends erwadte. 

Sie wecjelten ein paar belanglofe Worte, und er 
fehrte zu feinem Buche zurüd, deſſen Buchstaben aller- 
dings jeßt vor feinen Augen durcheinanderliefen wie 
ein Haufen aufgeftörter Qlmeifen. 


D Novelle von R. Ortmann. 177 


Als er einige Stunden ſpäter auf den Fußſpitzen 
Das Krankenzimmer feiner jeßt fanft ſchlummernden 
Schweſter verließ, gejhahb es mit dem Bewußtfein, 
in.diefer Nacht eine Läuterung durchgemacht zu haben, 
die für fein ganzes künftiges Leben enticheidend fein 
würde. | 


Der Aſſeſſor v. Malſen war noch bei der Morgen- 
toilette, als ihm zu feinem Erftaunen abermals der 
Beluh des Herrin Erwin Frobenius gemeldet wurde. 
Er konnte nichts anderes annehmen, als daß Zlies 
Bruder inzwifchen auf irgend eine Weife die Über- 
zeugung erlangt hatte, geftern von ihm belogen worden 
zu fein, und er wußte, welches in diefem Fall die 
Ronfequenzen fein würden. 

Raſch beendete er feinen Anzug und trat volllommen 
rubig über die Schwelle des Zimmers, in dem er von 
dem jungen Manne erwartet wurde, 

„Verzeihen Sie die frühe Störung, Herr v. Maljen.! 
Aber ich konnte nicht länger warten, denn ich komme 
zu Zhnen als ein Menich, der ven Zhren Lippen eine 
Enticheidung über Sein oder Nichtfein erwartet, ein 
Urteil über Leben oder Tod. Zn diefer Naht habe ich 
pon meiner Schweiter alles erfahren, was zwiſchen 
Zhnen und ihr gejchehen if. Und von Zhren allein 
hängt es ab, was nun weiter aus mir wird.“ 

In höchſtem Erftaunen ſtarrte Maljen den Erregten 
an, „Sch veritehe Sie nicht, Herr Frobenius! Wenn 
Sie gefommen find, um mich wegen meiner gejtrigen 
Erklärung zur Nede zu Stellen —“ 

„Zur Rede zu Stellen — id — Sie?! Ja, freilich, 
Sie kennen ja den Zuſammenhang der Dinge nod) nicht. 
And Sie denken jet vielleicht nur daran, daß Sie Ihr 
Ehrenwort für eine Verſicherung eingefett haben, 

1912. VII | 12 


178 | Ein Ehrenwott. a) 


die, wie Sie wußten, der Wahrheit nicht entſprach. 
Es war eine heroiihe Handlung, Herr v. Malſen! 
Und wenn ih nicht in diefem Augenblid fo Kein und 
erbärmlich vor Zhnen ftände, würde ich jagen, daß 
ih Sie um diefer Handlung willen aus tiefitem Herzen 
verehre,“ 

Der Aſſeſſor lächelte bitter. „Sie können ſich wohl 
denen, daß ich nicht zögern werde, die Ronfequenzer 
aus Diefer — beroiihen Handlung zu ziehen. Port 
auf dem Schreibtisch liegt der Brief an das Minijterium, 
der meine Entlaffung aus dem Staatsdienjt erbittet.“ 

Erwin Frobenius zudte zufammen wie unter einem 
Schlage. Dann aber war er mit drei Schritten an dem 
Screibtiih und hatte ſich des verjchloffenen Briefes 
yemächtigt. „Herr vd. Maljen,“ jtieß er heraus, „wenn 
Sie mir nidt die Erlaubnis geben, diejen Brief zu 
zerreißen, jo ſchwöre ich, daß ih noch vor Ablauf 
diefer Stunde aufgehört habe zu leben. Nicht auf Sie 
fällt der Bruch Ihres Ehrenwortes, jondern allein 
auf mid. Sch war es, der Sie gezwungen bat, dies 
ungebeure Opfer zu bringen, und wenn Gie nicht 
großmütig genug find, mich durch Ihr Verhalten von 
Schuld und Strafe freizuſprechen, habe id aush Die 
Folgen zu tragen.“ 

Noch immer verjtändnislos, aber in tiefiter Seele 
bewegt von der Qual, die fih auf dem freimütigen 
Zünglingsgeficht jpiegelte, legte Malfen ihm die Hand 
auf die Schulter, „Setzen Sie fih, Herr Frobenius, 
und teilen Sie mir in Ruhe mit, was ich erfahren muß, 
um mir Zhre Worte und Zhr Benehmen erklären zu 
tönnen. Erſt dann werde ich imftande fein, Ihnen zu 
antworten.“ 

Der Student gehorchte, und nah Derlauf einer. 
Diertelftunde wußte Maljen alles. Det Schleier des 


OD Novelle von R. Ortmann. 179 
u 


Geheimnifjes, hinter dem ihm Zlſes holdes Bild fo 
traurig entjtellt erfchienen war, hatte fi gehoben, 
und er fühlte fich erjchüttert und beſchämt um feiner 
tleingläubigen Zweifel willen. 

„Es fommt mir nicht zu, Here Frobenius,“ ſagte er, 
„über Zhre Handlungsweife zu Gericht zu fiten. Das 
it eine Angelegenheit, die Sie allein mit Ihrem 
Gewiſſen und mit Shrer beldenmütigen Schweiter 
abzumachen haben. Dielleiht aber wäre es beffer 
gewejen, wenn Fräulein Ilſe in ihrem Vertrauen zu mir 
noch um einen Schritt weitergegangen wäre und mit 
wenigitens eine Andeutung gemadt hätte, die mid 
den Schlüfjel zu ihrem Verhalten finden ließ.“ 

Mit offenem Blid ſah der Student ihm ins Geſicht. 
„Sie war der Meinung, daß es deijen nicht bedürfe. 
Sie hatten ihr von Zhrer Liebe geſprochen, und weil 
fie felfenfeft an dief® Liebe glaubt, hegte fie keine Zucht 
vor einem entwürdigenden Verdacht.“ 

Der Aſſeſſor legte die Hand über die Augen und 
ſchwieg. Nah einer Weile aber ftand er auf, und es 
war, als habe er ſich plößlid um Jahre verjüngt. 
„Ich erlaube Zhnen, meinen Brief an den Minifter 
zu zerreißen, Herr Frobenius! — Sp — und nun 
geben Sie mir die Hand! Wenn es Ihnen recht ift, 
wollen wir Freunde fein, bis wir —“ 

„Bis wir Schwäger fein werden,“ ergänzte der 
Student, und mit einem warmen Händedrud nidte 
ihm Maljen lächelnd zu. 

„ann kann ich Ilſe fehen?“ fragte er gejpannt. 

„Darüber dürfte wohl noch eine Reihe von Tagen 
ins Land gehen. Aber Sie dürfen verfichert fein, daß 
fie fich fehr beeilen wird, gefund zu werden, wenn 
ih ihr fage, um welcher Abfiht willen Sie darauf 
warten.“ 


180 Ein Ehrenwort. 0 


„So fagen Sie es ihr. Bieten Gie alle Beredfamteit 
auf, die der Himmel Zhnen verliehen hat. Denn nad 
der Dürre diejer traurigen Tage läßt mid) der Durſt 
nad Glüd {hier verſchmachten. Und mein Glüd ift, 
Gott jei Pant, kein Phantom, fondern ein Weſen von 
Fleiih und Blut —“ 

„Das Ilſe heißt. Sp wahr ich hier vor Zhnen ftehe, 
feinem Menſchen auf der Welt würde ich dies Glüd 
gegönnt haben als Ihnen.“ 


Sr 
2 





Aus dem Wellengrabe. 
Von W. 5. Geinborg. 


mit 8 Bildern. Y (Nahdrud verboten.) 


Jar den unermeßlichen Neichtümern an edlen 
Metallen und anderen Rojtbarkeiten aller Art, 
die im Derlauf der Zabrhunderte aus dem Bereich 
der Menfchen verichwunden find, iſt der allezeit beute- 
gierigen See ſicherlich der Löwenanteil zugefallen, 
Was bedeuten alle in kriegerischen Seiten vergrabenen 
Schäte, alle unter Ajche und Lava, unter dem Schlamm 
gewaltiger Überfchwemmungen, unter Dünenfand und 
Müftenftaub verfchwundenen Herrlichkeiten neben der 
fabelhaften Menge wertvoller Dinge, die auf dem 
Stunde des Ozeans ihre le&te bleibende Nubeftatt 
gefunden haben! Faſt mit jedem fintenden Schiff 
geben erhebliche Werte an gemünztem Gold und Silber, 
an allerlei Eojtipieligem Menfchenwerf verloren, und 
verichwindend gering iſt die Zahl der Fälle, in denen 
es gelingt, fie dem Schoß des Meeres wieder zu ent- 
reißen. 

MWohlbeglaubigte Berichte, deren ältejte bis in eine 
ſehr ferne Vergangenheit zurüdreichen, erzäblen uns 
von dem Untergang ganzer beutebeladener KRriegs- 
flotten, wie von dem fpurlofen Verſchwinden einzelner 
Fahrzeuge, die nach Millionen zu beziffernde Neich- 
fümer irgend einem nie erreichten Hafen hatten zu- 


182 Aus dem Wellengrabe. oa 


führen follen, und es iſt begreiflih genug, daß die 
Sehnſucht, dieſe verſunkenen Märchenſchätze zu heben, 
noch in jeder Generation der nachlebenden Menſchheit 
durch allerlei mehr oder weniger abenteuerliche Ber— 
gungsverſuche zum Ausdruck gekommen iſt. | 

Der Erfolg freilich. ftand zumeift in einem kläglichen 
Mißverhältnis zu den aufgewendeten Rojten und 
Mübhfeligkeiten, Die gefräßige See pflegt zähe feit- 
zubalten, was fie einmal verjchlang. Sie bededt ihre 
Beute mit Sand und Schlamm, überzieht fie mit 
einer ftändig wachſenden Rrufte von pflanzlichen und 
tieriſchen Gebilden und übt mit unerbittlicher Beharr— 
lichkeit ein langfames Serftörungswert, dem über eine 
gewiſſe Seitdauer hinaus fein Material und kein Er- 
zeugnis der Menſchenhand widerjteht. 

Auch in folhen Fällen, wo man den Ort einer 
Sciffstataftrophe mit volllommener oder annähernder 
Genauigkeit zu beitimmen vermochte, hat man mit 
dem Bemühen, die heiß erfehnten Schäße aus ihrem 
Wellengrabe wieder ans Licht zu fördern, nur felten 
Glüd gehabt. 

An eine Hebung ganzer Fahrzeuge ift ja wegen der 
ungehbeuren Schwierigkeiten von vornherein nur unter 
ganz bejonders günjtigen Umftänden zu denken, und 
felbft die volltommeniten Apparate ermöglichen dem 
Menſchen nur das Eindringen in verhältnismäßig 
geringe Meerestiefen. Die purpurne Finjternis jener 
Abgründe, in denen wohl der weitaus größte Teil 
der verlorenen Reichtümer ruht, bleibt eine auch dem 
kühnſten Taucher auf ewig verſchloſſene Welt, und nie 
wird ein menjchliches Auge wiederjehen, was dort dem 
legten Schidjal aller irdiishen Dinge entgegenharrt. 

Man muß aljo den Wagemut bewundern, mit dem 
immer wieder riefige Rapitalien an den Verſuch 


s2quvꝰ usynpgasinn 
pragz wıaa aagn saa usdnplsagzs un? SUNPNMIOR uayppuplou 224 u HıPD sd 





134 Aus dem Wellengrabe. e) 





verfchwendet werden, den vermuteten Schauplaß einer 
großen Schiffskataſtrophe zu durchforjhen und Die 
Schäte zu heben, die bei diefer Ratajtrophe zugrunde 
gingen. Daß hie und da ein glüdlicher Fund gelingt, 
läßt fich ja nicht leugnen; aber jelbft dann machen ſich 
die Roften des Unternehmens durch die Ausbeute faum 
bezahlt, und das Gewerbe des .Schaßgräbers ift auf 
der See im großen und ganzen ficherlich ebenſo reich 
an Enttäufchungen und ebenjowenig lohnend als auf 
dem feiten Lande. 

Als einer der erwähnten glüdliden Ausnahmefälle 
darf vielleicht der Erfolg angefeben werden, von dem 
unfere Abbildungen erzählen, obgleich von einem 
materiellen Nußen der mit großem Eifer betriebenen 
Bergungsverſuche auch hier vorläufig nicht die Rede 
fein kann. 

Es handelt fi dabei um ein Fahrzeug, das feit 
nit weniger als hbundertundzwölf Jahren auf dem 
Meeresgrunde ruht, nämlid) um die englifche Fregatte 
„Lutine“, die, mit zweiunddreißig Kanonen armiert, 
am Abend des 9. Oltober 1799 oder am folgenden 
Morgen — denn fein Überlebender vermochte Bericht 
über Zeitpuntt und Hergang der Rataftrophe abzulegen 
— bei der Einfahrt in die Zuiderfee Schiffbrud litt. 

Da das mit Mann und Maus untergegangene 
Kriegihiff in ziemlich feihten Waſſer lag, ließ fich 
der Ort des Unglüds alsbald ohne große Schwierig- 
keiten feititellen, und die Verſuche, wenigitens den kojt- 
bariten Zeil der Ladung zu bergen, begannen ſchon 
furze Zeit nad dem unglüdlichen Ereignis. Man batte 
ja triftigen Grund, diefe Ladung nicht ohne weiteres 
verloren zu geben; denn foweit fie aus barem Gelde 
in Gold und Silber beitand, bezifferte fih ihr Wert 
auf nicht weniger als 1,217,000 Pfund Sterling, alfo 


soaqoaßnvo sꝛq ↄ2ꝛqud sv 





186 Aus dem Wellengrabe. e) 





auf ungefähr 24,340,000 Mark, Die Hoffnung, wenig- 
tens einen erheblichen Zeil diefes Schatzes zu retten, 
fonnte aljo wohl einige Alnftrengungen rechtfertigen. 








Ein Taucher, der in die Tiefe fteigt. 


Es fcheint, daß die Schwierigkeiten anfänglich keine 
zu großen waren, da es troß der damals noch recht 
unzulänglichen Hilfsmittel den Tauern gelang, im 








0 Don W. H. Geinborg. 187 





Zauf des Zahres 1800 annähernd zwei Millionen Mart 
in gemünztem Golde aus dem Wrad zutage zu fürdern, 








Ein Ranonentohr und der Anker der gefuntenen „Lutine“ 
werden an Bord gejchafft. 


Dann aber muß die zunehmende Derfandung des immer 
tiefer in den dort ſehr loderen Meeresboden einfinfen- 
den jchweren Schiffskörpers den Bergungsarbeiten 








188 Aus dem Wellengrabe. a} 


— — nn — —— — —— ——— —— — ——— — — 


ein Ziel geſetzt haben. Die Taucher konnten ſich keinen 
Zugang mehr zu den Öffnungen des Rumpfes ver— 


f — 
J J * 








— 
— 





Eines der geborgenen Kanonenrohre. 


ſchaffen, und man mußte ſich ſchweren Herzens ent- 
Ichliegen, die hoffnungsvoll begonnenen Bemühungen 
einzuitellen. 

Dergejjen aber wurde in der britiichen Marine 





0 Don W. H. Geinborg. 189 


der Untergang der jchäßebeladenen „Lutine“ natür- 
lich nicht, und in allerjüngjter Seit faßte man im Ver— 





Der drei Tonnen ſchwere Anker der „Lutine“. 


trauen auf die gewaltigen Fortjchritte der Bergungs- 
technik den Entjchluß, die vor mehr als hundert Fahren 
abgebrochenen Verſuche wieder aufzunehmen. Es 
gelang in der Tat, die Lage des Wrads von neuem 


190 Aus dem Wellengrabe. od 


zu ermitteln und feftzuitellen, daß es von einer beinabe 
acht Meter ſtarken Sandichicht bededt war, deren Be- 
feitigung natürlihb Die unerläßlide Vorausſetzung 
weiterer Bergungsperfuche bildete, Man Ichaffte einen 





Silbermünzen von der „Lutine“. 


Saugbagger von großen Pimenfionen zur Gtelle, 
und unjere Abbildungen auf Seite 185 und 185 ver- 
anfchaulichen die fehr wirtfame Urt, auf die unter dem 
Drud ſtarker Mafchinen der Schlamm durch ein ge- 
waltiges Rohr beraufbefördert und gewillermaßen 
Durchgejiebt wird. 

Man bat alle Ausficht, durch diefe Methode den 
Rumpf der gejuntenen Fregatte für die Taucher 





co Don W. H. Geinborg. 191 


wenigitens teilweije wieder zugänglih zu machen, 
wenn es auch dabingeftellt bleiben muß, ob fie damit 
zugleich den Weg zu dem gejuchten Millionenjchat 
finden werden. Was man bis jebt zutage fördern 
fonnte, bat feinen anderen als einen Ruriofitätswert, 
abgejeben vielleicht von einer Heinen Menge gemünzten 
Silbergeldes, das aber ficherlich nicht in der eigent- 
liben Schatzkammer des Schiffes aufbewahrt ge- 
wejen wat. ae 

Die wichtigiten und zugleih gewichtigiten Fund- 
tüde find der Anker der „Lutine“ und ein Ranonen- 





Kanonenkugeln und Rupfernägel von der „Lutine“. 


rohr, beide in überrafhend guter Erhaltung. Der 
Anter hat bei einem Gewicht von ungefähr drei Tonnen 
eine Breite und Länge von je fünf Meter, Gein 
hölzerner Querbalten zeigt die noch immer deutlich 
lesbare Znfchrift: „Lutine, A. D. 770%, und der Eijen- 


192 Aus dem Wellengrabe. D 





ting ift noch immer mit Überreften eines geteerten 
Schiffstaues ummwunden. Bemerkenswert erjcheint die 
außerordentlich ftarte Ladung der Ranone, die das 
Rohr fait bis zur Mündung füllte, ſowie der Umjtand, 
daß die Zündſchnur noch wohlerhalten und der Me- 
chanismus des Feuerjteinichlofjes ganz unverjehrt war. 
Fam übrigen war, wie gejagt, die Ausbeute bis 
jeßt recht gering, und fie beftand im wejentlihen aus 
Gegenjtänden, um. deren Bergung man fich bei den 
por hundert Zahren unternommenen Berſuchen ſchwer— 
lih bemüht haben würde. Heute freilid) find auch die 
Kanonenkugeln der armen „Lutine“ nicht ohne Inter— 
eife, und felbft die kupfernen Nägel aus den geloderten 
und geboritenen Schiffsplanten können die Teilnahme 
des Beichauers erregen um der ftummen Eindringlidh- 
feit willen, mit der fie von der Gebredlichkeit und Ver- 
gänglichkeit alles ftolzen Menfchenwerfes erzählen. 


% 


Az | 3% Se | 39% 
a 





Die hauskatze und ihre Spielarten. 


don Th. Seelmann. 


Mit 9 Bildern. , (Nnachdruck verboten.) 


ODe Katze gehört zu den jüngſten aller Haustiere. 
Während ſich Windhunde in Agypten ſchon um 4000 
vor Chriſto vorfinden und Doggen nach den erhaltenen 
Denkmälern in Babylon und Alfyrien um das Zahr 1000 
vor Chriſto zur Jagd auf Wildpferde verwendet wurden, 
Rinder und Schafe bereits in ſehr enilegenen Seiten 
gezähmt und den menjchlichen Sweden dienjtbar ge- 
macht wurden, ja ſogar Tauben und Gänje in Rlein- 
alien fowie im Nilland ebenfalls frühzeitig zu den Haus- 
tieren zählten, ift dies bei der Hausfage nicht der Fall. 

Das Urſprungsland' der Hauskatze ift Ägypten. 
Aber, wie angedeutet, it hier die Eingewöhnung der 
wilden Stammform und ihre Fortzüchtung zum Haus- 
tier exit jpät vor fih gegangen. Bekanntlich galt den 
Agyptern die Rabe, die der Göttin Bacht geweibt war, 
für fo heilig, daß fie für fie eigene Friedhöfe anlegten. 
Nach) den in diefen Friedhöfen aufgefundenen Mumien 
war die wilde Stammform der altägpptiichen Haus- 
fate die in Nordafrika vielverbreitete Falbkatze. Dieſe 
Wildkage ift, wie [chon ihr Name andeutet, überwiegend 
fablgelb gefärbt. Auf dem Rumpf ziehen fi ver- 
wajchene dunkle Querbinden entlang, die an den Beinen 
jtärter hervortreten, Der Oberkopf und der Naden 
zeigen ſchmale Längsbinden, Der fablgelbe Schwanz 

1912. VH. 13 


194 Die Haustage und ihre Spielarten. a 





befigt gegen das Ende hin drei breite fhwarze Ringe 
und läuft in eine ſchwarze Spite aus. Die Falblake 
neigt zu Farbenabweichungen und ijt leicht zähmbar. 
Nocd heute zähmen die Spmalifrauen im ägpptiichen 
Hinterland Falblagen, damit fie ihre Getreideichober 
gegen ſchädliche 
Nager jchüßen. 
Daneben hatte 
man im alten 
Ägypten noch eine 
zweite Katzenart 
gezähmt, den 
Sumpfluds. Man 
verwendete ibn 
zum WUpportieren 
von Geflügel, das 
man im Gumpf- 
gelände mit dem 
Wurfholz erlegt 
hatte. Der 
Sumpfluchs 
hat einen 
bräunlich- 


Pechſchwarze perfiihe Rage mit Br Pelz. 

orangefarbenen Augen. An der Spitze ſind 

die Haare weiß ge— 

färbt. Dunkle Streifen unterbrechen die Grundfärbung 

auf Stirn, Flanken und Beinen. Der Schwanz iſt 

ſchwarz geringelt. Die graugelben Ohren tragen an 
ihren Spitzen Pinſel. 

Mit dieſem Sumpfluchs bat ſich nun die alt- 
ägpptiiche Hausfage gefreuzt, wie auch weiterhin viel- 
fahe Kreuzungen mit den verjchiedenen Wildkagen 
der einzelnen Ländergebiete ftattgefunden haben, die 















53 er J Fa 
Es DI — INT 


0 Bon Th. Seelmann. 195 





noch heute in den Farbenjchattierungen der Haus- 
taten nachklingen. 

Nah Europa kam die Hauskatze erſt um Beginn 
unferer Zeitrechnung. Dagegen fcheint fie auf dem 
Wege des Handels von-Ägypten nach Afien um vieles 





- wi —* — — 


Er 


Schwarzblaue perfiihe Raten in der Mauferung. 


früher verbreitet worden zu fein. Hier hat fich denn 
auch, namentlich in Berfien, die an die Falbkatze er- 
innernde altägyptiſche Hauskatze noch erhalten, 

Die Spielarten der Hauskatze zerfallen in der 
Gegenwart in zwei Gruppen, in langhaarige und 
furzbhaarige. Die Hauptvertreterin der langbaarigen 
Raten ift die Angorafage, die ihren Namen nach der 
Eleinafiatifchen Stadt Angora führt, aber ihre eigent- 
lihe Heimat in Berjien hat, Die perjiiche Angorafate 





196 Die Haustage und ihre Spielarten. oO 








bejigt einen blendend weißen Pelz aus langen, Jeiden- 
weichen Haaren und blaufchimmernde Augen. Die 
Lippen und Sohlen find fleifchfarben. Aber ſchon 
in ibrer engeren Heimat treten neben der weißen 
andere Färbungen auf, die dann bei Nachkommen 


— —— — — —— —— — — 


SE nn ET 





Echter perſiſcher Kater von graublauer Färbung. 


von Angorakatzen, die nach Stalien, Spanien und 
Frankreich gebracht wurden, durch die Mifchung mit 
der gewöhnlichen, glatthaarigen Hausfaße noch mannig- 
fache Abänderungen erfahren haben. 

an Berjien unterjcheidet man neben der weißen 
Angorakatze eine ſchwarzfahle oder tiefichwarze Art 
mit bräunlichen Refleren und vrangefarbenen Augen, 
jodann eine blaufchwarze oder graublaue Urt, die 
ebenjo felten ift wie die weiße, mit blauen, blau- 
grauen oder mitunter auch vrangefarbenen Augen 
und ferner die ſchon erwähnte fahlgelbe Rate, die als 


o Don Th. Seelmann. 197 





reiner Nachkomme der altägyptiihen Hausfage zu 
betrachten ift. Ihr Fell zeigt unter der leuchtenden 
Sonne Perſiens einen wunderbaren Schimmer, 
Dieje lektere Art wird in Perſien nicht jonderlich 
gefchäßt, obgleich fie keineswegs häufig it. Teils 
züchtet man fie 
nicht wie Die wert- 
velleren Arten, 
teils aber führt 
man fie über Bom- 
bay nach England 
aus, wodurch ibre 
Zahl in Berjien 
jelbjt nie erheblich 
grog wird. Man 
padt drei, vier und 
noch mebr 
von Diejen 
Raten in — 
Lederjäde, 
beladet damit die 
Ramele und ſchafft 
fie nach dem Ber- 
ſiſchen Golf, von 
wo fie nach Bom- 
bay gebracht werden. Übrigens beftebt die Einfuhr 
von weißen Angorafagen und ihren langhaarigen 
Spielarten nah Europa ſchon feit mehreren Zahr- 
hunderten. Aus den Kreuzungen folcher eingeführten 
perſiſchen Katzen mit den kurzhaarigen Hauskatzen 
ſind dann die italieniſche Katze, die im allgemeinen 
weiß oder fahlrot iſt, die dreifarbige ſpaniſche Katze, 
deren Pelz weiß, ſchwarz und rötlich gefleckt iſt, und 
die Kartäuſerkatze, die in Frankreich ſehr beliebt iſt 


















Pr REN 





Baar 





Schwarzblaue Kartäuſerkatze. 


198 Die Haustage und ihre Spielarten. o 








und teils eine ajchfarbene, teils eine fchwarzbläuliche 
Behaarung aufweilt, und andere zum Zeil recht nette 
Spielarten hervorgegangen. 

Unſere kurzhaarigen getigerten Raten haben wahr- 
ſcheinlich eine Blutbeimifhung von der europäiſchen 








Kreuzung einer Haustage mit einer Angorakatze mit 
braunen Ohren und Schwanz und fchwarzer Naje. 


Wildkatze erhalten. Die männlihe Wildkatze ift fahl- 
grau, die weibliche gelblichgrau gefärbt. Das Gejicht 
ift bei beiden rötlichgelb. Über die Stirn laufen vier 
ſchwarze Streifen, von denen Sich die beiden mittleren 
auf den Rüden fortfegen und fich auf dem Nüdgrat 
zu einem Mittelftreifen vereinigen, von dem ſich 
verwalchene Queritreifen abzweigen. Dieſe Blut- 
beimifchung, die ſich in der Zeichnung zu erkennen gibt, 
it wohl zugleich mit die AUrjache, daß unfere Haus- 
fagen fo leicht verwildern. 


Oo Don Th. Seelmann. 199 








baarige Spiel- 

artijtauch die | 
ſiameſiſche | 
Rabe, Sie 
eignetjichvor- 
züglih dazu, | 2 


Eine kurz- | 


im Simmer 
gehalten zu 
werden, Nie- 
mals ijtfie un- TE | 
Sebardig, Ton —ſcſcccce — 
dern ſtets an- Siameſiſche Rabe mit jehr dunklen Pfoten 
ſchmiegſam und Geſichtsmaske. 

und zutulich. Beſonders ſind die Weibchen ſehr zärt— 
lich und anſchmeichelnd. Ihr ruhiger Charakter ſpricht 
ſich auch darin aus, daß ſie nicht einmal der Anblick 
einer Maus zu erregen vermag. 

Dabei iſt ſie aber eine ſehr eifrige und geſchickte 
Mäuſejägerin. Mit einem einzigen Schlag ihrer 
kräftigen 
Pfote zer— 
ſchmettert ſie 
den Schädel 
der Maus 
und tötet ſie 
auf dieſe 
Weiſe ſofort. 
Zwar kann 
ſie einer 
Maus ſtun— 
denlang auf- 
lauern, hat 
ſie ſie aber 





Siameſiſche Katze mit langem Schwanz und 
blauen Augen. 


200 Die Haustage und ihre Spielarten. Oo 


erlegt, fo kümmert fie fih nicht mehr um ihr Opfer, 
jpielt nicht mit ihm wie die gewöhnlihe Hausfage, 
noch viel weniger aber frißt fie es an oder verihlingt 
lie es gar, 

Die Jiamefische Rabe bejter Art muß bei der Ge- 
burt rein weiß gefärbt jein. Derartige Raben werden 





Gtattliche, — einen n prächtigen Pelz un säsönen Shiva — 


am Hof von Siam gehalten und heißen deshalb auch 
königliche. Je reiner das Weiß der jungen Kätzchen 
iſt, deſto teurer werden ſie bezahlt. Später vollzieht 
ſich allerdings ein Farbenwechſel. 

Nach drei Monaten wird der Pelz in der Haupt- 
Sache ijabellenfarben, die Pfoten und Unterfchentel 
betleiden fich gleichfam mit kaſtanienbraunen Stiefel- 
chen, vor das Geficht legt fich eine duntelbraune Maste, 
und die Ohren ſowie der Schwanz färben fich in der 








D Don Th. Seelmann. 201 





gleichen Weife. Die Augen der fiamefischen Rabe 
find blau; zuweilen it das Blau tiefer, zuweilen 
blaſſer. 

Eine beſondere Merkwürdigkeit weiſt noch der 
Schwanz auf. Bei einem Wurf von drei Zungen 
findet ficb mitunter ein Kätzchen vor, dejjen Schwanz 


Wu 


nd 
er 


_- 


12.2, ER 
E ee Ent nt EN k FE Fa 





: Rabe aus einer Kreuzung einer Hauskatze mit einer perfifchen Raße. 


kurz und gedreht it, Manchmal endigt dann dieſes 
Stummelſchwänzchen auch noch in einem Roten. 
Die Händler führen gerade diefen Knoten als Beweis 
der echten und reinen Abjtammung an, aber dieſe 
Behauptung trifft nicht zu, da, wie erwähnt, fiamefijche 
Raten reinen Zlutes oftmals feinen gefmoteten 
Schwanz haben. 

Siameſiſche Raten, die nah Europa gebracht und 
weiter gezüchtet werden, entarten ziemlich fchnell. 


202 Die Haustage und ihre Spielarten. Oo 


Es iſt daher zur Blutauffriihung nötig, von Zeit zu 
Zeit aus Siam neue Eremplare zu beziehen, 

Auf Sumatra und in Zapan tommen völlig ſchwanz- 
‚loje Raten vor. Von den Raten Sumatras wird be- 
richtet, daß ſie anfänglich lange Schwänze haben, 
Diefe aber, wenn die Tiere erwachſen find, abjterben. 
Auch in Europa gibt es eine Spielart fchwanzlojer 


Bin —“ 





— er ER 
—— SEN 


x 
e mit kurzem Schwanz. 





Siameſiſche Katz 
Katzen. Ihre Derbreitung beſchränkt ſich auf die in 
der Jriſchen See gelegene Inſel Man. Über ihren 
Urſprung ift nichts Sicheres bekannt. Die Rake der 
Inſel Man bat eine verfchiedenartige Färbung. Gie 
beſitzt ziemlich hohe Beine, die fie zu einer fehr gewand- 
ten Springerin und Kletterin machen. 

Endlich ſei noch die chineſiſche Rage angeführt, 
Sie hat langes, feidenweiches Haar und zeichnet fich 
durch Hängeohren aus. In China mältet man auch 
verjchiedentlih Raten und rühmt die Schmadbaftigteit 
Diejer feilten „Dachbajen“., 





Sr 
+ 


BIEISSEICHE] 





Mannigfaltiges. 


Y 
Machoͤruck verboten.) 


Ein berühmter Spionagefall. — Nachdem der franzöfifche 
Scdiffsbaumeifter Dupuy de Löme 1858 auf Betreiben Na- 
poleons III. die erfte, mit einem 120 Millimeter diden Eifen- 
panzer verjehene Panzerfregatte „Gloire“ erbaut hatte, fah 
man in England die Notwendigkeit ein, ebenfalls mit dem Bau 
von duch Eifengürtel gefhüßten Kriegfhiffen zu beginnen. 
Da man jedoch auf diefem Gebiet bisher fo gut wie gar keine 
Erfahrungen hatte, wollte die Regierung zunächſt die von 
verfchiedenen Fabriten angebotenen Banzer auf ihre Feſtigkeit 
prüfen laffen, bevor man fih endgültig für ein Fabrikat ent- 
ſchied. Gleichzeitig hoffte man, duch Schießverſuche auf ein 
zur Probe gepanzertes Schiff auch die Wirkſamkeit der ſchweren 
Artilleriegefchoffe auf die in dem Schiffe befindlide Beſatzung 
und die Dampfmafcine feititellen zu können. | 

Zu diefen Derfuhen wurde in Portsmouth der große 
Schraubendampfer „Zriton“ proviforifh zu einem Rrieg- 
Ihiff umgebaut. Er erhielt eine PBanzerung, die aus den von 
mehreren Fabriken gelieferten und nach verjchiedenartigen 
Methoden hergeſtellten Eifenplatten von ungleiher Stärte. 
beitand. Sn den Batterien wurden an den Geſchützen Schafe 
angebunden, die die Bedienungsmannfchaften vorftellen follten. 

Diefe Vorbereitungen waren in aller Heimlichkeit betrieben 
worden. Der Ankerplatz des Verfuchfchiffes wurde Tag und 
Naht durch Polizeiboote umfchwärmt, die jede Annäherung un- 
möglich machten, denn man argwöhnte in England nicht zu 
Unrecht, daß die fremden Mächte fih gar zu gern einen Ein- 
blit in die Einzelheiten diefes überaus koftfpieligen und für 


204 Mannigfaltiges. oO 





die fernere Entwidlung des Panzerſchiffbaues fo wichtigen Ex— 
periments verjchaffen würden, und traf danach feine VBorfichts- 
maßregeln. Am 2. Oftober 1353 dampfte der „Zriton“ nach 
der Weſtküſte der Inſel Wight, wo die Beihiegung durch 
mehrere engliihe Fregatten ftattfinden follte. 

Die Naht vom 5. zum 4. Oktober war. äußerft ftürmifch, 
dunkel und regneriih. Der inmitten der Fregatten vor Anker 
liegende, infolge feiner [hweren Panzerung unter dem Anprall 
der Wogen gefährlich fchlingernde „Triton“ wurde auf Befehl 
des Geſchwaderchefs gegen zehn Uhr abends von der Beſatzung 
geräumt, da man feinen plößlihen Untergang befürchtete. Am 
DBormittag des 4. Oltober Harte das Wetter jedoh fo weit 
wieder. auf, daß das Brobefchiegen abgehalten werden konnte. 

Bevor der leitende Admiral jedodh den Befehl zum Beginn 
des Feuers auf das fünf Seemeilen vom Strande veranterte 
Verſuchſchiff gab, fpielte fi noch ein zunächſt wenig beachteter 
Zwiichenfall ab. In der Nähe des vor der Inſel liegenden Ge— 
Shwaders hatte ſchon am Abend des 3. Oktober eine unter 
franzöfiiher Flagge fegelnde Dampfjaht „L’Ejperance“ ge- 
kreuzt, die jeßt, wo die Beichiegung ihren Anfang nehmen 
jollte, fih der Linie der engliſchen Fregatten immer mebr 
näherte. Pie argwöhnifchen Engländer fhidten daher ein 
Boot zu der Jacht hinüber und liegen den Befiter, der fi als 
Raufmann Charlatier aus Rouen legitimierte, auffordern, einen 
anderen Rurs einzuſchlagen, da man für einen durch verirrte 
Geſchoſſe angeridhteten Schaden nicht auflommen würde. Dar— 
aufhin entfernte fich die Dergnügungsjaht auch wirklich jo weit, 
daß man von ihr aus felbjt mit den beiten Fernrohren die 
Wirkung des Feuers auf den „Zriton“ nicht hätte beobachten 
fönnen. 

Erſt jegt begann man mit der Beſchießung des gepanzerten 
Berſuchſchiffes. Im ganzen gaben die den „Sriton“ in Riel- 
linie in verfchiedener Entfernung paffierenden Zregatten bun- 
dert Schüffe ab. Des öfteren wurde mit dem Feuer inne- 
gehalten, um das Verfuhfchiff zu befichtigen und genaue Auf- 
zeihnungen über die vorgefundenen Zerftörungen zu maden. 
Erft bei Dunkelwerden war das Schießen beendet. Am näd- 


D Mannigfaltiges. | 205 


ften Morgen follte der übelzugerichtete „Sriton“ dann zur 
genaueren Unterfuchung in den Hafen von Portsmouth zurüd- 
gejchleppt werden, da feine eigene Dampfmafchine nicht mehr 
gebraudhsfähig war. 

Mährend der Naht lag das Verſuchſchiff wieder unter 
dem Schuße der Fregatten, die in weiten Bogen bis dicht an 
die Küfte vor Anker gegangen waren. Dem „Zriton“ am 
nächſten befand fi die Fregatte „India“. Kurz nah Mitter- 
nacht bemerkte die Steuerbordwache der „India“ ein Boot, das 
offenbar mit umwidelten Niemen lautlos auf den „Zriton“ 
zufteuerte. Das Boot wurde angerufen, antwortete jedoc) 
nicht, war auch ſchon im nächſten Augenblid hinter dem Der- 
ſuchſchiff verfhwunden. Bevor dem Kapitän der „India“ 
Meldung erjtattet und auf dejjen Befehl dann ein Boot zu 
Waſſer gelaffen war, vergingen koftbare zehn Minuten. In— 
zwifhen tauchte das geheimnisvolle Ruderboot noch einmal 
auf, verfhwand aber bald in der Duntelheit nach dem offenen 
Meere hin. Die fofort aufgenommene Verfolgung blieb ergebnis- 
los. Es wurde nur fejtgeftellt, dag ein unbelannter Dampfer 
ſich dem englifhen Geſchwader mit abgeblendeten Lichtern bis 
auf zwei Seemeilen genähert und offenbar jenes Boot auf- 
genommen hatte. Am nädften Morgen war weit und breit: 
fein verdächtiges Fahrzeug mehr zu erhliden. Die Engländer 
berubigten fich daher in der Hoffnung, den Verſuch jenes frem- 
den Dampfers, den „Triton“ zu befichtigen, völlig vereitelt zu 
haben. 

Die Erfahrungen, die man duch die Befchießung des 
„Triton“ gefammelt hatte, wurden aufs ftrengjte geheimgebalten 
und bei dem fchon im Zanuar begonnenen Bau des erjten eng- 
liſchen Panzers „Warrior“, deſſen Konſtruktionspläne Der 
Schiffsbauingenieur Watts entworfen hatte, praktiſch ver- 
wertet. Da erfhien zum Entfegen ganz Englands genau 
einen Monat nad der Riellegung des „Warrior“ in einer 
Barifer Fahzeitfchrift für Schiffsbau ein Artikel, der bis ins 
Heinjte über die Ergebniffe der Beſchiefzung des „Triton“ be- 
tihtete. Es war darin fogar die Zahl der in den Batterien 
getöteten Schafe und die der zerjtörten Gefchüße genau an— 


206 Mannigfaltiges. oO 





gegeben. Die englifhe Admiralität jah fih fo um die Früchte 
ihres mübhfeligen Experiments volltommen betrogen. 

Eine ſcharfe Unterfurhung wurde eingeleitet, um den Ver— 
räter, den man nur unter den Beamten der Admiralität fuchen 
zu müffen glaubte, herauszufinden. Alles umfonjt. Es ſchien 
für alle Zeiten unaufgellärt bleiben zu follen, auf welche 
Weiſe Zrantreich, das inzwifchen die der „Gloire“ völlig äbn- 
lihen Banzerfregatten „Magenta“ und „Solferino“ auf Stapel 
gelegt und bei ihrer Konſtruktion die von den Engländern mit 
fo großen Geldopfern ertauften Erfahrungen über Stärke, 
Befeftigung und Größe der PBanzerung benüst hatte, in den 
Beſitz der wertvollen Geheimniffe gelangt war. 

Und doch brachte die Zähigkeit eines englifchen Polizei- 
beamten, des Inſpektors Burnell, die Wahrheit an den Tag, 
allerdings erft ein ganzes Zahr fpäter. Burnell, der zufammen 
mit zwei Rollegen die Ermittlungen in der mpfteriöfen An- 
gelegenbeit geleitet hatte, war nämlich jene franzöſiſche Ver— 
gnügungsjaht „L'Eſperance“, die in fo auffälliger Weife in 
der Nähe des „Sriton“ gekreuzt hatte, weit verdächtiger vor- 
gekommen als den englifhen Marineoffizieren. Er begann, 
nachdem der Fall in England felbft nicht aufgellärt werden 
tonnte, mit vorfichtigen Nachforschungen zunächſt in Rouen, we 
die „L'Eſperance“ beheimatet gewejen fein follte. Hier erfuhr 
er zweierlei: erjtens, daß die „L'Eſperance“ wirklih einem 
reihen Raufmann namens Charlatier gehörte, und zweitens, 
daß dieſer Charlatier einen Sohn bejaß, der als Marineoffizier 
im Frühjahr 1858 wegen tätlihen Angriffs auf einen Vor— 
gejegten degradiert und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, 
dann aber im November desfelben Fahres mit einem Male 
ohne jeden erfihtlihen Grund begnadigt und fogar zum Rapi- 
tän befördert worden war. Nach diefen Feitftellungen madte 
der Beamte fih an einen früheren Matrofen der „L’Ejperance“ 
heran. Durch Beitehung wußte er diefen zum Reden zu bringen 
und bekam fo heraus, daß Charlatier im September 1858 urplöß- 
li die ganze Befagung feiner Zacht entlaffen und dafür eine 
neue Mannſchaft, die aus altgedienten Unteroffizieren der 
franzöjiihen Kriegsmarine bejtand, an Bord genommen hätte. 


o Mannigfaltiges. 207 





In den Londoner Zeitungen erfhienen dann im Februar 
1861 offenbar von der englifchen Regierung herrührende, voll- 
kommen gleichlautende Artikel, in denen der den „Sriton“ be- 
treffende Spionagefall eingehend befprochen wurde. Und der 
Inhalt diefer Artikel dürfte mit den Tatfachen bis auf Rleinig- 
feiten übereingeftimmt haben. Andre Charlatier, wegen des 
ſchweren Verbrechens wider die militärifhe Difziplin zu Ge- 
fängnis verurteilt, hatte fih — ob aus eigener Snitiative oder 
auf Antaten feiner Vorgefetten, wird man niemals erfahren 
— bereit ertlärt, die Ergebniffe der Schießverfuhe auf den 
„Zriton“ auf irgend eine Weife auszutundfchaften. Zu diefem 
Zwed fuhr er auf der mit zuverläffigen Marineunteroffizieren 
neu bemannten Jacht feines Vaters bis in die Nähe der Antler- 
jtelle des „Zriton“ bei der Infel Wight, ließ fih in der reg- 
neriihden Naht vom 3. zum 4. Oftober nah dem „Triton“ 
rudern oder erreichte ihn ſchwimmend, verbarg ſich dort in 
den unteten Sciffsräumen und ftellte in den Pauſen der 
Beihießung die notwendigen Beobahtungen an. Sn der 
folgenden Nacht gelangte er dann durch jenes von der Fregatte 
„andia“ aus bemerkte Boot wieder an Bord der „L'Eſperance“ 
zurüd, Als Lohn für diefe verwegene Tat, die ihm fein Leben 
hätte often können, zugleich aber auch feinem DBaterlande fo 
bedeutungspolle Renntniffe verfchaffte, wurde er nicht nur in 
die Marine wieder eingeftellt, fondern auch unter Überfpringung 
mehrerer Dorderleute zum Kapitän befördert. 

Sp fchilderten die engliihen Blätter damals den Sach— 
verhalt. Die franzöfifhe Preffe hat diefe Rombinationen, die 
ſich auf fo Mares Material ftüßten, ftets nur als „ſchamloſe 
Verdächtigungen“ bezeichnet. Die Parifer Regierung äußerte 
jih überhaupt nicht dazu. Und das war das Klügſte, was fie 
tun fonnte. Denn ein Abjtreiten diefer in ihren Einzelheiten 
fo intereffanten Spionageaffäre wäre felbjt für das Kabinett 
des dritten Napoleon eine zu ſtarke Unverfrorenheit gewefen, 
befonders da jener Artikel in der Parifer Zeitfchrift für 
Schiffsbau nur mit Wiffen und Willen der franzöfifchen 
Admiralität veröffentliht fein konnte, wahrfcheinlid um 
dem ſtolzen Glauben der Engländer an ihre Überlegenheit 


208 Mannigfaltiges. D 





in Dingen der Schiffspanzerung einen fcehweren Stoß zu 
verſetzen. WR. 


— 
— 


— 
Bas a 





Frauen der Beni-Mzab in einem Reijezelt. 


Die Neijezelte der Beni-Mzab. — Der berberifche Stamm 
der Beni-Mzab in Marokko befitt über fünftaufend MWebftühle, 
auf denen ihre Frauen grobe, aber dauerhafte Stoffe ber- 


DO Mannigfaltiges. 209 


ftellen, die dann weiter zu Burnuffen und Zeppichen ver- 
arbeitet werden. Dieſe Stoffe werden von den Beni-Mzab 
bis nad) Algerien und Zunis verhandelt, und ebenfo ftehen diefe 
Berber mit den Dafen der Sahara in lebhaften Handelsvertehr. 

Auf den Handelszügen nehmen fie auch oftmals ihre Frauen 
mit, die dic Reifen in zeltartigen Aufbauten auf den Rüden der 
Ramele zurüdlegen. Die Frauen, die fich nicht verfchleiern, 
tragen auf den Reifen ein lofes Gewand, den Haik, umminden 
den Kopf mit einem weißen oder bunten Tuch und fcheiteln das 
Haar in derMitte, das in mehreren, mit brauner oder ſchwarzer 
Wolle durcchflochtenen Zöpfen auf die Schultern herabfällt. 
Angenehm iſt der Aufenthalt bei der glühenden Sonnenhitze 
in dieſen Reifezelten nicht. Dazu fommt noch, daß die Ramele 
in dem berüdtigten Poßgang einherfchreiten, durch den das 
Zelt und feine Infaffen in einer ftändig ſchaukelnden Be- 
wegung bin und ber gefchleudert werden, 

Außerdem find die Streden, die täglich durchmeſſen werden, 
ziemlid) beträchtlih. Denn die Rarawanen legen mit den Lait- 
famelen, die bei einer Laſt von 150 Rilogramm für 4 Rilometer 
ein Stunde brauchen, auf längeren Reifen täglid 25 bis 30 und 
auf kürzeren Reifen fogar gegen 40 Kilometer zurüd. Th. S. 

Ein ſparſamer König. — Pie bekannte Sparjamteit des 
preußifchen Rönigs Friedrih Wilhelm I. nahm oft recht mert- 
würdige Formen an. So äußerte der Rönig eines Tages dem 
Oberjägermeifter die Abficht, in Wufterhaufen eine Jagd auf 
Wildſchweine abzuhalten, und beauftragte ihn, ihm zuvor eine 
Koftenrechnung zu entwerfen. Bald erfchien der Oberjäger- 
meijter und teilte dem Könige mit, daß fi die Roten nur auf 
liebenhundert Taler beliefen. | 

„Nur fiebenhundert Taler?“ rief der Rönig außer fich vor 
Zorn und drohte dem Oberjägermeifter, ihn und alle feine 
gäger Davonzujagen. Ee fehloß mit der Derficherung: „Sch 
werde Zhm zeigen, wie man eine Schweinejagd halten kann.“ 

Nun fchidte er fofort vier Zäger in den Wald mit dem 
Befehl, fo viel Schweine zu fhießen, als fie imftande feien. 
Am Abend lagen ahtundzwanzig Sauen zu den Füßen bes 
Rönigs. 

1912. VII. 14 


210 Mannigfaltiges. oO 


Tags darauf waren die Minifter zur königlihen Tafel 
befohlen. Auf diefer ftand in der Regel als Getränt nur Bier, 
zu Ehren der Gäfte war aber diesmal Wein aufgefegt. Da nahm 
der Rönig wahr, daß feine Minifter einen auffälligen Durst 
entwidelten und mehr Flaſchen leerten, als der Sparjamteit 
des Wirtes erwünfht war. Nach der Tafel führte er daher 
die Minifter in den Schuppen, in dem die getöteten Wild- 
ſchweine lagen, er lobte die Größe derfelben und fragte, nahdem 
die Minifter natürlich lebhaft beigeftimmt, was fie wohl glaubten, 
daß für das Stüd beim Verlauf zu erlangen fein würde. Um 
dem Rönige etwas Ungenehmes zu fagen, tarierten die Be- 
fragten das Stüd weit über den damaligen Wert, zu fieben 
Saler, waren aber fehr unangenehm überrajcht, als der Rönig 
erwiderte: „Za, ja, fieben Taler! Zeder von euch kauft jeßt 
eines, ihr müffet aber glei bar bezahlen!“ 

So mußten denn die Herren den Beutel ziehen, und — 
der Verluſt an Wein war gededt. 

Einmal war ein Faß mit Auftern für die königlide Tafel 
angelommen, allein der Preis, zehn Taler, erſchien dem Rönig 
zu hoch. Die Auftern waren zur Mittagstafel beftimmt. Eine 
halbe Stunde vor derfelben fragte der Rönig einen Offizier 
aus feiner Umgebung, den Major v. Kleiſt, ob die Aujtern 
wohl gut fein möchten. 

„Dortrefflih find fie,“ lautete die Antwort, „ic habe beim 
Dorübergehen in der Rüde eine gekoſtet.“ 

„Sut,“ fagte der König, „wer eine gegefjen bat, mag fie 
alle effen und mir das Geld, das fie koften, wiedergeben.“ 

Die Auftern mußten fofort Rleift in das Haus gejchidt 
werden und der Empfänger die zehn Taler bezahlen. 

Die Rammerdiener hatten während der Rrantheit des Rönigs ° 
einen fehr ſchweren Dienft beiihm. Sie durften ihn auch während 
der Mittagszeit nicht verlaffen und bezogen deshalb das Eſſen 
aus der Hoflühe. Eines Tages aber befahl der Rrante, dag 
fie fich felbft beköftigen und fih das Eſſen von Haufe kom— 
men lafjen follten. Zeder Rammerdiener mußte dann fein 
Eifen dem Könige vorzeigen, der bisweilen felbit davon aß 
oder eine Schüffel gegen eine der für ihn bereiteten austaufchte. 


Oo Mannigfaltiges. 211 


Eines Tages erflärte er, die Rrantentoft, welche die Ärzte ihm 
verordnet, widere ihn an, er wolle räftigere Speifen, aß auch mit 
gutem Appetit grüne Erbfen mit Sped, Rohl und geräuchertes 
Fleifh. Der Roc, der ihm Abwechſlung zu verfchaffen wünfchte, 
ließ daher eine Schnepfe braten, die dem Rönige vortrefflid 
mundete, allein der Roch wagte den etwas hohen Preis nicht 
auf die Küchenrechnung, die der Rönig täglich nachſah, zu fegen; 
als der Poſten aber am nächſten Tage erfchien, ftrih ihn der 
König, indem er fehr zornig erklärte, er wolle nicht fo fchlechtes 
Zeug, das fo viel Geld koſte. Auf die Entgegnung des Rochs, 
Seine Majeftät hätten die Schnepfe tags zuvor portrefflich 
gefunden, erwiderte der König: „Ich glaubte, es fei ein Ge— 
ihent, und ih aß fie nur aus Höflichkeit gegen den Geber.“ 

Der Rod mußte die Schnepfe aus feiner Taſche be- 
zahlen. C. T. 

Würmer als Perlenfabrikanten. — Nachdem man ſchon 
ſeit längerer Zeit vermutet hatte, daß an der Entſtehung der 
koſtbaren Schmuckperlen Fremdkörper beteiligt ſeien, die in 
die Muſchel hineingerieten und nun durch den von ihnen aus- 
geübten Reiz eine Umbüllung mit der vom Mantel der Mufchel 
ausgefhiedenen Perlmutterfubftanz herbeiführten, bat ſich 
jet duch die Unterfuhhungen von Dubois, Famefon und 
Boutan ergeben, daß der Anſtoß zur Perlenbildung von Wür- 
mern beziehungsweife von deren Larven ausgeht. Die ge- 
nannten Forſcher ftellten ihre Unterfuchungen an den leicht 
zu befchaffenden Miesmufcheln an, wobei fie fanden, daß hier 
der Rern der Perlen von der Larve eines Saugwurms ge- 
bildet wird. | 

Der Dorgang bei der Entſtehung der Perle ift folgender. 
Nahdem die Larve in die Mufchel eingedrungen ift, feßt fie 
ih an der Manteloberfläche feit. An der Belleidung des Mantels 
bildet fich zuerft eine Einfentung, die fich allmählich zu einem 
Grübchen erweitert und fih dann zu einem Bläschen um- 
wandelt, das fi von der Manteloberflähe abjchnürt, alsbald 
mehr in die Tiefe rüdt und nun von dem Bindegewebe des 
Mantels umgeben wird. Die in dem Bläschen eingefchloffene 
Larve wird mehr und mehr von der Innenflähe des Bläschens 


212 Mannigfaltiges. oa 


mit Perlmutterſubſtanz umbüllt, ganz fo, wie fonjt die Ober- 
flähe des Mantels Perlmutterſubſtanz abzujcheiden pflegt. 
Früher oder fpäter ftirbt die Larve ab, die Ausfcheidung der 
Perlmutterſubſtanz und damit die Vergrößerung der Perle 
gebt aber auch noch weiterhin vor ſich. 

Diefe Feititellungen haben ihre Beftätigung und Ergänzung 
dureh Unterfuhungen an den Seeperlmufcheln Ceylons ge- 
funden, die von Hornell und Giard vorgenommen wurden, 
Es ließ ſich nachweiſen, daß auch hier der Beginn der Berlen- 
bildung auf eine Wurmlarve zurüdgebt, nur kommt bei diefen 
Mufcheln nicht die Larve eines Saugwurms, fondern die eines 
Bandwurms in Betraht. Der weitere Prozeß gleicht ganz den 
Dorgängen in der Miesmuſchel. 

Bekanntlich liefern auch die Flußperlmuſcheln Berlen, die 
den Seeperlen an Schönheit faum etwas nadgeben, Früher 
fand man fehr gute Stüde in den Flußperlmuſcheln der Zla, 
der Ölfchnib, des Regens und der Elfter. Doch verminderte ſich 
die Ausbeute ftetig mehr. Dielleiht veranlaffen die neuen 
Forihungen dazu, in die Flußperlmufcheln fünftlid Larven 
von Saugwürmern zu übertragen und fo die Berlengewinnung 
aus ihnen wieder zu fteigern. sh. ©. 

Mexikanische Präfidenten. — Unter den Staatsmännern, 
die die Gefhide Meritos gelenkt haben, gibt es einige, die ein 
näheres Eingehen auf ihre Berfönlichkeiten verdienen. Zunächſt 
wäre der 1876 verftorbene Antonio Lopez de Santa 
Anna zu nennen, der nah mehrmaliger Wiederwahl ſchließlich 
als DBerbannter im Auslande ftarb. Ein weiteres Gewiljen 
als diefer Santa Anna bat wohl kein anderer Staatsmann 
befeffen. Zedes Mittel war ihm zur Durchſetzung feiner Abfihten 
recht. Als er im Kriege mit Teras 1836 die Stadt San Antonio 
vor den anrüdenden Teranern räumen mußte, ließ er die 
Brunnen der Stadt vergiften, eine Scheußlichkeit, die er fpäter 
vergebens abzuleugnen und anderen in die Schuhe zu fchieben 
fuchte. Beinahe hundert Teraner ftarben eines qualvollen 
Todes, ohne dag man die Urfahe der Mafjenertrantungen 
feititellen konnte. 

Wenige Wochen darauf wurde Santa Anna von einem 


D Mannigfaltiges. 213 





feindlichen Streiftorps gefangen genommen. Zu feinem Glüd 
war feine Giftmifcherei noch nicht aufgededt worden, fonit 
hätten die Teraner ihn wohl faum nad) dem baldigen Friedens- 
ſchluß freigegeben. 

Dabei ift ihm jedoch perfönliher Mut nicht abzufprechen. 
Als er 1838 die Verteidigung von DVeracruz leitete, ſetzte er 
fihb ohne jede Schonung feiner Perſon den feindlichen Ge- 
ihoffen aus, troßdem er dies fehr gut hätte vermeiden können. 
Don einer Rugel an der Rniefcheibe ſchwer verwundet, ließ 
er fih das Bein abnehmen, ohne auch nur mit der Wimper 
zu zuden. Nur ein Räftchen mit fünfzig Zigaretten ftand neben 
ihm, und diefe rauchte er während der Operation bis auf die 
legte auf. 

Mit den Staatsgeldern wirtjchaftete er in unverantwortlicher 
Weile. Spweit es ohne Auffehen möglich war, füllte er feine 
eigenen Taſchen mit den Staatseinktünften. Aber auch darin 
war er groß, fih durch die Verleihung von induftriellen Ron- 
zeffionen und Lieferungen Heine Nebenverdienfte zu verfchaffen. 
Karl v. Gagern, ein früherer deutfcher Offizier, der in mexi— 
tanifche Dienfte übergetreten war, erzählt hiervon eine hunior- 
volle Geſchichte. Drei Bewerber, ein Deutfcher, ein Franzofe 
und ein Engländer, hatten fich gemeldet, um von Santa Anna 
die Ermächtigung zur Ausbeutung einer Mine zu erhalten. 
Der Reihe nah) erbaten und erlangten fie eine Privataudienz 
bei dem Staatsoberhaupt. Der erſte verſprach ihm, im Falle, 
daß er bevorzugt werden follte, fünf Prozent vom Reinertrage, 
der zweite eine runde Summe von hunderttaufend Pefos, 
zahlbar nad) Erteilung der Ronzeffion, und der Engländer machte 
teinerlei Verjprechungen. Als er aber das Zimmer verlafjen 
hatte, ſah Santa Anna ein ftattlihes Paket Banknoten auf dem 
Zifhe liegen. Sofort ließ er den Engländer durch einen Ad- 
jutanten zurüdrufen. 

„Sie haben hier Geld vergeffen,“ fagte er. 

„Ich?“ erwiderte mit gutgefpielter VBerwunderung der 
Engländer. „Unmöglid — ich hatte gar feines bei mir.“ 

„Aber diefe Banknoten?“ 

„Sie müſſen Shnen gehören, Herr Präſident. Halten 


214 Mannigfaltiges. Aa 


= EEE 





Sie mich der Unadtfamteit fähig, eine folde Summe zu ver- 
lieren?“ 

Damit ſetzte er feinen Hut auf und verließ das Audienz- 
zimmer. 

Am nädften Tage hatte er die Ronzeffion in der Tafche. 

Eine andere Gefhichte, die auf Santa Annas Charalter 
ein recht bezeichnendes Licht wirft, fam im Jahre 1844 ans 
Zageslicht, als er geftürzt und vom Kongreß zu lebenslängliher 
Verbannung verurteilt wurde — ein Ereignis, das vielen 
politifhen Gefangenen plößli die Freiheit wiedergab. Unter 
diefen Leuten befand fih auch ein gewilfer Carlos Benevufto, 
der feinerzeit angeblih wegen hochverräterifher Umtriebe 
turzerhand ohne jedes Gerichtsverfahren in den Kerker geworfen 
war. Benevufto hatte im Zahre 1842 cine reihe Silbermine 
entdedt und war zu Santa Anna gelommen, um ihm für die Er- 
laubnis zum Abbau der Silberader eine bedeutende Summe an- 
zubieten. Der Präfident fragte, ob außer Benevuſto noch irgend 
ein anderer Menfch etwas von der Exiſtenz der Mine wife, 
Auf deffen verneinende Antwort beftimmte Santa Anna einen 
Tag, an dem fie beide die Mine zunächſt in Augenfchein nehmen 
wollten. Bis dahin follte Benevufto niemand etwas von 
feiner Entdedung verraten. So gelangte der Präfident in den 
Beſitz des wertvollen Geheimnifjfes, und einen Tag darauf 
ward Benevufto dann plößlich verhaftet und in eine feuchte 
Zelle transportiert, aus der ihn erjt der Sturz; Santa Annas 
befreite. Inzwiſchen hatte diefer die Silberader für fich felbft 
abbauen lafjen, und Benevufto ſah fih um Millionen betrogen. — 

Ebenfalls ein recht eigenartiger Herr war der Präfident 
Miguel Miramon, der belanntlid am 19. Zuni 1867 
zufammen mit Raifer Marimilian ftandrechtlich erfchoffen wurde. 
Miramon hatte fih fhon als Leutnant in eine junge Dame 
namens Maria Bombardo verliebt und ihr auch einen Antrag 
gemacht, war jedoch mit dem Bemerken abgewiefen worden, 
er folle als Hauptmann wiederlommen. Der Leutnant, bis 
dahin durchaus kein Streber, änderte fih mit einem Gchlage. 
Die Liebe hatte in ihm den Ehrgeiz gewedt. Nach fünf Jahren, 
in denen er ſich mehrfach auszeichnete, war er Hauptmann. 


oO Mannigfaltiges. 215 





Aber Maria Bombardo gab fih damit nicht zufrieden. Auf 
feinen erneuten Antrag vertröftete fie ihn bis dahin, wo er 
Die Majorsepauletten errungen babe, und den Major wollte fie 
nach weiteren zwei Sahren dann erjt wieder nehmen, wenn 
er — General geworden ſei. 

Diefe Stellung errang Miramon nah einer glänzenden 
Zaufbahn im Herbit 1852. Da erft gab fich die Hug berechnende 
Dame zufrieden und wurde feine Frau. Aber auch fernerhin 
ſorgte fie dafür, daß ihr nunmehriger Gatte nicht etwa auf 
feinen bisherigen Lorbeeren einſchlief. Schlieglih erreichte 
Miramon, und dies nicht zum wenigften durch die Eugen 
Schadzüge feiner Gemahlin, die Präfidentenwürde. 

In dieſer Stellung folgte er den Fußftapfen feines Vor- 
gängers Santa Unna infofern bis ins Meinfte, als er es gleich- 
falls als fein gutes Recht anſah, zunächſt einmal feine eigenen 
Taſchen zu füllen. Im Winter 1859 wurde ein verwegener 
Einbruh in die Staatsbant in Merito ausgeführt, bei dem 
den Räubern nicht weniger als eine Million an frifch gemünztem 
Goldgelde und neuen Banknoten in die Hände fiel. Es wird 
nun behauptet, Miramon habe den Einbredhern gegen Ab- 
tretung einer halben Million das Entlommen ermöglicht. 
Zedenfalls trug diefe peinlihe Affäre viel zu feinem baldigen 
Sturze bei. Später ſchloß er fih dann. an den unglüdlichen 
Raifer Marimilian an, der ihn zum Großmarſchall ernannte. 

Bei feiner Hinrichtung bewies er jedoch, daß er neben vielen 
Fehlern auch mande gute Geite, fo eine durch nichts zu er- 
ſchütternde Unerſchrockenheit und Anhänglichkeit befaß. Es 
wird erzählt, daß man ihm, nahdem er zum Tode verurteilt 
war, wiederholt die Möglichkeit zur Flucht verfchaffte. Trotzdem 
blieb er. Er [hätte Maximilian fo hoch, daß er ihn im Unglüd 
nicht verlaffen wollte. Charalteriftifch für ihn find folgende 
Worte: „Zch mag ein Schuft gewesen fein, aber ein gemeiner 
Feigling war ih nie.“ — 

Auch einen Indianer, der dem Stamme der Zapoteken 
angehörte, hat Merito zum Präfidenten gehabt. Es war dies 
derjelbe Mann, der Raiter Marimilian und Miramon erſchießen 
ließ und hierdurch feinen Namen CarloBenitoZuarez 


216 Mannigfaltiges. o 





mit blutigen Buchſtaben in das Buch der Weltgefchichte einge- 
tragen hat. Bevor Zuarez zum Präfidenten gewählt wurde, 
bekleidete er den Poften eines Finanzminifters. Wenn er als 
folder aud nie in feine eigene Taſche gewirtfchaftet hat, fo 
zeigte er doch eine unglaublihe Gemwiffenlofigteit bei Dem 
Erfinnen von Mitteln und Wegen, um die Staatstafjen zu füllen. 
Daß er Ausländern „gefpidte“, das heißt wertlofe Gold- 
und Silberminen, in deren oberite Erdfhichten Gold- und Silber- 
ftüde von verlodender Größe vorher eingegraben worden 
waren, als großartige Rapitalanlagen empfahl und teuer 
verkaufte und nah berühmten europäifhen Muftern die Gold- 
und Silbermünzen duch Beifügung unedlen Metalles um die 
Hälfte ihres Wertes verfchledhterte, wurde ihm von feinen 
eigenen Landsleuten nicht weiter verübeltl. Dabei befaß 
Zuarez jedoh ein außergewöhnliches ftaatsmännifches Talent, 
verbunden mit größter Schlaubeit- und NRüdfichtslofigkeit, 
Eigenjchaften, die er allerdings zumeift nur zum Beſten feines 
Daterlandes, nie zu feinem eigenen Wohle, ausnüßte. Und 
diefer Umjtand bildet in feinem Charatterbilde, das durch die 
Unterzeihnung des Todesurteils gegen den fo hochgefinnten 
öfterreihifhen NRaiferfohn für alle Zeiten getrübt ift, einen 
wenigftens etwas verföhnenden Lichtpuntt. W. K. 

Mann oder Weib? — Die Zahl der Fälle, in denen Männer 
und Frauen von dem unmwiderjtehlihen Drang ergriffen werden, 
die Rleidung des anderen Geſchlechts anzulegen, ift nach forg- 
fältigen wiffenfchaftlihen Beobahtungen größer, als in der 
Öffentlichkeit laut wird. Dieſer Drang ift nicht eine Neben- 
erfcheinung großftädtiisher ZTreibhaustultur, fondern er be- 
ruht auf einer eigenartigen Entwidlung des Gefühlslebens, 
was ſchon dadurch hervorgeht, daß er fih auch bei Natur- 
völtern vorfindet. Beifpielsweife berichtet der Afrikaforſcher 
Baumann von einem Guabeli in Deutſch-Oſtafrika, der fi 
mit weiblihen Shmud zu bebängen pflegte und aud ein 
weibliches Gebaren zur Schau trug. 

Man bezeichnet Menſchen mit einer folhen Neigung zur 
Derkleidung wiſſenſchaftlich als Transveſtiten. 

Eine Sranspeftitin, die einem fehr einfachen Lebenstreis 





angehört und von aller Hochkultur völlig unberührt ift, führt 
unjer erjtes Bild vor. Es handelt fich hier um die 87jährige 
4 — Tu Tu —— 


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Die STjährige Moni Hasbichl von Grainbad. 
Moni Hasbihl, die in Graindah am Fuß des Hocrig in 
den baprifhen Alpen lebt. Die Alte bekleidet fihb an den 
Werktagen mit Hofe, Weſte und Zipfelmütze und liebt es auch, 


218 Mannigfaltiges. Oo 





täglih drei bis fünf Pfeifen Tabak zu ſchmauchen, was fie 
übrigens ohne Gefundheitsfhädigung ſchon feit ihrer Jugend 


Zur —* ı Quelle | 
ZT Bea? 





N 
— Meiffauer aus Nahldorf am er 


tut, Auch zeigt fie eine etwas männlich gefärbte Lujtigkeit, 
und es bereitet ihr ein großes Vergnügen, das Schuh— 
platteln der jungen Burfchen mitzumahen. Nur Sonn- 





D Mannigfaltiges. 219 





tags, wenn fie ſich zum Kirchgang begibt, legt ſie Frauen⸗ 
kleidung an. 

Ein treffliches Gegenſtück zur Moni Hasbichl ftellt der Rauf- 
mann Zofeph Meiffauer aus Mühldorf am Inn dar, den unfer 
zweites Bild zeigt. Meiffauer ftammt aus einer bayrifchen 
Bauernfamilie. Nach feinen eigenen Angaben fühlte er den 
Drang, fich weiblich zu Heiden, fchon in der Zugend. In Männer- 
trat ift er ftets niedergedrüdt und wird fogar von Gelbit- 
mordgedanten heimgefucht. Dagegen fhwinden alle trüben 
Dorftellungen, fobald er fih in Frauentleidern bewegt. 

Wiederholt ift Meiffauer wegen des Tragens von Frauen- 
kleidern angellagt, allerdings ftets freigefprochen worden. 
Um weiteren Anklagen zu entgehen, hat er fih vor kurzem an 
Das Berliner PBolizeipräfidium gewandt und um die behördliche 
Erlaubnis zum Anlegen von Frauenkleidung nachgeſucht. Diefe 
ift ihm denn au DD eine Verfügung des Polizeipräfidenten 
bewilligt worden. 

Snfolgedejjen Heidet fih jet Meiffauer beftändig als Frau 
und bedient als folche in feinem Laden. Seine Runden nennen 
ihn allgemein Zräulein Marie, | Th. S. 

Der erſte Bettler auf der Greifswalder Die. — Zu der 
Univerfitätsftadt Greifswald in Pommern gehörte das Heine 
Oftjeeinfelben Die. Diefes Infelhen mit feinen waldigen 
Höhen wies nur wenige Bauernhöfe auf und wurde felten von 
Fremden befuht. So war bis in die dreißiger Zahre des vorigen 
Jahrhunderts noch niemals ein Bettler auf der Infel erfchienen. 
Da geihah es einmal in einem ftrengen Winter, als die See 
von Peenemünde bis nach der Inſel hin zugefroren war, daß 
ein Bettler auf den Einfall fam, die Eisbahn zu benüßen und 
auf dem Meinen Inſelchen fein Glüd zu verfuchen. Der alte 
Mann kam, ohne daß ihn jemand bemerft hatte, auf der Inſel 
an und ftellte fich fogleidh in die offene Tür des eriten Haufes, 
auf das er traf. Hier fing er nad Bettlerart zuerft an, 
ein kurzes Gebet herzufagen und dann ein frommes Lied zu 
fingen. Das hatten die Dier noch niemals gehört. Alles, was 
in dem Haufe war, fam herbei, und fchließlich führte man ihn 
in die warme Stube, wo er bewirtet und reichlich befchentt 


yet 


222 | Mannigfaltiges. o 


aufgezogen und in der gehörigen Reihenfolge zufammen- 
gefügt, und wurden fie in einem befonders dafür hergerihbteten 
Inſtrument mit der entfprechenden Schnelligkeit an dem Be— 
Schauer vorbeigeführt, fo gaben fie doch ein erſtaunlich deut- 
lihes Bild von den fortlaufenden Bewegungen des galop- 
pierenden Pferdes, erregten aud ein gewaltiges Aufſehen — 
nicht nur bei dem breiten Publitum, fondern auch in den 
Kreifen der Künftler und der Gelehrten. 

Es dauerte bis zum Zahre 18%, ehe man die erite Rine- 
matographentamera erfand, wie man fie jet benüßt, mit dern 
automatifch abrollbaren Zelluloidfilm, auf dem nunmehr Auf- 
nahme über Aufnahme, jede im fechzehnten Zeil einer Sekunde, 
gemacht werden, alle in einem und demfelben Apparat. Daß 
jih feitdem auch die Methode der DBorführung jchrittweife 
immer mehr vervolltommnete, verjteht fih von felbjt, und fo 
iit es dahin gelommen, daß fein beliebteres Voltsbeluftigungs- 
mittel in Meinen und großen Städten fowie auf den Zahr— 
märkten, Schüßen- und Kirchweihfeſten ländliher Gegenden 
eriitiert als der Rinematograph, voltstümlich „Rientopp“ ge- 
nannt, der fih alfo aus Sir John Herfchels tanzender Birne 
entwidelt bat. ' C. O. 

Die Wahrheit über Freund Lampe.*) — Rein wildlebendes 
Tier unſerer einheimiſchen Tierwelt iſt ſeinem Außeren nach 
bei jung und alt ſo bekannt als der Haſe, keines auch als 
Wildbraten ſo geſchätzt und daher ſo vielen Verfolgungen durch 
das Schrot des Zägers und die heimtückiſche Drahtſchlinge des 
Milderers ausgefegt wie der flinte Löffelträger. Die Bopu- 
larität Meifter Lampes erftredt fich jedoch nur auf fein Äußeres. 
Denn was die meiften von feinen fonftigen Eigenfchaften zu 
wijjen glauben, beruht zum größten Zeil auf Märchen. 

Vor mir liegt ein Band der neueſten Ausgabe eines welt- 
befannten Lexikons. Zn diefem Bande ftehen unter „Hafe“ 
die Sätze: „Seine Augenlider find ſehr kurz, und er fchläaft 
Daher mit offenen Augen.” — Dieſe Behauptung ift falſch. 


*) Anläßlich des Artifels ‚Hafenmut“ im 5. Bande find uns viele 
Zufchriften augegangen, die fi mit dem Thema beichäftigen. Wir. 
greifen daher gerne nochmals auf den Gegenftand zurück. 


D Mannigfaltiges. 225 





Man made ſich einmal die geringe Mühe und unterfudhe einen 
geſchoſſenen Hafen daraufhin. Dann fieht man fofort, daß 
fih die Lider ohne alle Mühe über die Augäpfel drüden lafjen 
und diefe volllommen bededen. 

Wie ift nun diefes alte Märchen entftanden? Einfach dadurch, 
daß man höchſt felten einen Hafen mit gefchloffenen Augen in 
feinem Lager beobachten kann. WMeifter Lampe befigt nämlich 
ein fo ausgezeichnetes Gehör, daß man wirklich faft jagen kann, 
er hört das Gras wachen. Außerdem ift die Erde ein vorzüglicher 
Schallleiter, und felbft auf dem weichſten Boden bemerft des- 
halb der Hafe, mag er auch noch fo feit Schlafen, jeden Näher- 
kommenden und reißt erfchredt die Augen auf. Wenn er troß- 
dem noch regungslos fißen bleibt, fo darf daraus nicht gefolgert 
werden, daß er vielleicht doch nicht erwacht ift, und da die Augen 
fhon vorher offen geweſen fein können. Der jchlaue Löffel- 
träger hofft eben, daß ihn fein erdfarbener Pelz vor dem 
Erblidtwerden [hüßen wird — das iſt die einzig richtige Löſung. 

„Oft, befonders bei warmem Wetter,“ fo erllärt ein Weid- 
mann, „vertraut der Hafe fo fehr diefem Schuß, daß er buch- 
jtäblich getreten werden muß, ehe er auffteht. Ich habe ſchon 
öfters auf der Hühnerjagd einen ausgewachſenen Hafen aus 
den Rüben hochgehoben, allerdings, um ihn baldigjt wieder 
loszulaffen, denn folh ein Burſche fragt und fchlägt ganz 
verteufelt um fih. Einem meiner Belannten wurde beit 
ciner folhen Gelegenheit eine Armwunde geriffen, an Der 
er faft verblutete. Züngſt erblidte ich, über eine Furche weg- 
ichreitend, plößlich vor mir einen Hafen, auf den ich unfehlbar 
beim Fortichreiten getreten wäre. Ich ſah mir eine ganze Weile 
die mit feitangelegten Löffeln zu meinen Füßen fißende 
Hafenmama, denn eine foldhe war es, an und hob dann den 
Fuß, um über fie wegzufchreiten. Sowie ih den Zuß hob, 
zudte Mama Lampe merklich zufammen, rührte fih fonft 
aber nicht. Ich ftellte den Fuß wieder zurüd und wiederholte 
die Sache wohl ein halbes Dußendmal.“ 

Dem Hafen wird ferner nadhgefagt, er fei außerordentlich 
wafferfcheu, da er nicht ſchwimmen könne. Das ift ebenfalls 
unrichtig. Auch diefes Märchen wird aus dem Grunde entftanden 


224 Mannigfaltiges. o 





fein, weil fih nit häufig Gelegenheit bietet, Meifter Lampe 
als Schwimmtünjtler zu bewundern. Unſer Gewährsmann 
hat die Erfahrung gemadt, daß der Haje niht nur vor dem 
verfolgenden Hunde MWaffergräben und Flüſſe durchſchwimmt, 
fondern dies auch ganz freiwillig tut, um auf der anderen Seite 
des Waffers nach reicherer Afung zu fuhen. Diele kundige 
Meidmänner behaupten fogar, daß er das feuchte Element 
ganz gern aufſucht. Ein bayrifcher Förfter erllärt hierzu zum 
Beilpiel folgendes: „Es ijt den Zägern in den oft überfhwemm- 
ten Bruchgegenden wohl bekannt, daß der Hafe jih zunächft 
die ihn zufagende Dedung ausfuht, und daß es ihm des 
weiteren dann volllommen gleichgültig ift, ob fein Lager 
handhoch im Waſſer liegt oder vollftändig troden ift. Und awar 
trifft das nicht etwa nur für die heißen Sommertage zu, in 
denen ja aud anderes Wild fo gern Wafjerladen zur Kühlung 
aufjucht, fondern ich fand mehrfah Hafen in ziemlidher Anzahl 
im ſchönſten Gemiſch von Schnee, Eis und Waſſer im Scilf 
figen, aus dem fie bei meinem Nahen herausfuhren, daß fie 
in eine Wollte von Sprigwaffer gehüllt waren. Und troßdem 
war ftets trodener Boden, Aderland und dergleihen in der 
Nähe. Auch habe ich beobachtet, daß der Hafe bei Waldtreib- 
jagden anftatt geräufchlos auf dem trodenen Moofe mit 
lautem Planſchen den Zäger im nafjfen Bruch anläuft. So 
unfinnig uns das auch fcheint, er wird ſchon feinen Grund 
dafür haben, genau fo, wie wenn er gewandt und raſch, faft 
wie ein FZijchotter, einen Fluß durchſchwimmt. Spaßig ift 
es nur, daß viele Zäger mit fanatifher Bejtimmtheit verfichern, 
wenn ber Hafenbalg naß fei, jo fhlüge das Schrot nicht fo gut 
duch. Es wird wohl aber daran liegen, daß man bei trübem, 
feuchtem Wetter ſchlechter ſchießt oder vielleiht au) das Pulver 
an Treibkraft einbüßt.“ 

Schließlich fei hier auch Meifter Lampe gegen den ihm nur 
zu häufig gemadten Dorwurf bejonders großer Feigheit 
verteidigt. Daß er vor feinen Feinden, unter denen hauptfächlich 
der Menſch und der Zuchs zu nennen ijt, das „Hafenpanier“ 
ergreift — welches Tier täte dies wohl nicht! Anderſeits find 
Fälle bekannt, in denen Hafenmütter ihre Jungen gegen 


oO Mannigfaltiges. 225 





Angriffe aufs tapferfte verteidigt haben. „Einmal,“ fo erzählt 
ein $Forfimann, „wurde ich bei einem Pirſchgang durch das 
laute Gefchrei von Krähen auf eine Szene aufmerlfam, die zu 
dem Eigenartigften gehört, was ich während meiner Praris 
in meinem Revier erlebt habe. DBorfichtig durch eine Tannen- 
ſchonung mid heranfchleihend, gewahrte ich vier Rrähen, die 
unter wütendem Gekrächz jtets aufs neue auf einen Zunghaſen 
berabitießen, der ſchon völlig ermattet im Grafe des Waldraines 
lag. Neben dem Zunghajen hodte ein zweiter, ausgewachfener 
Hafe, der jedesmal emporfchnellte und nach den Krähen bis, 
fobald eine einen neuen Angriff wagte. Nachdem ih mehrere 
Minuten diefem Rampfe zugefhaut hatte, bemerkte ich, wie 
von einem nahen Hochwaldftreifen drei weitere Krähen herbei- 
flogen, offenbar durch das Geſchrei ihrer Artgenofjen herbei- 
gelodt. Gegen diefe Übermacht wird fich der tapfere Verteidiger 
nicht lange halten können, fagte ich mir und erwartete, daß der 
Haſe nun fchleunigft flüchten und das junge Tier feinem Schidfal 
überlaffen würde. Weit gefehlt. Meifter Lampe blieb auf 
feinem Poften, troßdem unter den Schnabelhieben der Rrähen 
die Wolle aus feinem Pelz in großen Zloden herumflog. Die 
Art des Hafen, die Vögel abzuwehren, fah bisweilen geradezu 
poffierlid aus. Oft fehnellte er fih in offenbarer Wut faft 
einen Meter hoch in die Luft, die großen Löffel zum Schuß 
des Genides dicht anklatſchend, oft wieder richtete er ſich auf den 
Hinterläufen auf und fehlug mit den Vorderläufen nad feinen 
Gegnern. Trotzdem merkte ich fehr bald, daß feine Kräfte 
erlahmten. Bisweilen ſaß er ſchon für Sekunden 'regungslos 
neben dem hingeftredten Zunghafen und ließ teilnahmlos 
alles über fih ergehen. Ein Schuß aus dem Schrotlauf meiner 
Büchsflinte änderte dann fchnell das Bild, und drei Rrähen 
büßten diefen Überfall mit ihrem Leben. Meifter Lampe war 
auf den Schuß wie ein Bliß in der Schonung verfhwunden. 
Den Zunghajen nahm ih mit nach Haufe, wo er fich bald erholte 
und fpäter vollitändig zahm wurde.“ W. K. 
Eine Raupenplage im Winter. — Eine merkwürdige 
Naturerſcheinung wurde vor hundert Zahren, im Zanuar und 
Februar des Jahres 1812, im füdöftlichen Thüringen und dem 
1912. VII. 15 


226 Mannigfaltiges. =) 





benachbarten Doigtland beobachtet. Zur genannten Seit 
tummelten fi nämlich auf höher gelegenen und freien Stellen 
jener Gegend auf dem Schnee unzählige Raupen. Im Saal- 
feldifhen beobachtete man deren fogar zwei verfchiedene Arten. 
Die eine war ungefähr einen Zoll lang und fo did wie das 
Mundftüd einer gewöhnlichen Zonpfeife, hatte einen berz- 
förmigen, glänzend fchwarzen oder dunfelbraunen Kopf und 
einen zwölffach gegliederten Leib mit acht Paar Füßen. Die 
Farbe des Leibes war verjchieden, doch zeigte er oben ſtets 
drei belle Längsftreifen. 

Man nahm an, daß es fih um Raupen des Nadtfalters 
Phalaena handle. 

Die zweite, meift auf den Blößen des Thüringer Waldes 
gefundene Art war erheblich Heiner und hatte entweder einen 
glänzend ſchwarzen oder aber einen kaftanienbraun gefärbten, 
etwas flachen Ropf mit zangenförmigem Maul. Der walzen- 
fürmige Leib war zwar gleichfalls zwölffach gegliedert, hatte 
aber nur vorn drei Paar Füße. Man ſprach diefe Tiere daher 
als KRäferlarven an, die zu dem [hwarzbraunen Warzentäfer 
(Cantharis fusca) und verwandten Arten gehörten. 

Diefe lettgenannte Larpenart war es aud, die im Doigt- 
land beobachtet wurde. Wohl mit Recht nahm man an, daß 
die einige Zeit vorher herrfchende, dann plößlich mit einem 
Wetterſturz endende warme Witterung die Tiere zu ſo unge- 
wöhnliher Jahreszeit hervorgelodt habe; anderfeits konnte 
es zu damaliger Zeit natürlich nicht ausbleiben, daß die aller- 
dings abfonderlihe Naturerfcheinung auch manderlei aber- 
gläubifhe Befürchtungen berporrief. 

Die unerwarteten Gäfte mußten ihren Dorwiß aber ſehr 
fchnell büßen, denn fie erfroren ſehr bald. —3e. 

Reſpirator „Lungenheil“. — In der "Internationalen 
Hygieneausſtellung Dresden 1911 bildete in der Abteilung 
„Wiffenichaftlihe Inſtrumente“ der duch Patent gefhüßte 
Refpirator „Lungenheil“ einen Hauptanziehungspuntt. Und 
dag die Ärzte fih fehr eingehend mit diefem Apparat und 
jeiner allgemeinen Anwendung und Einführung auch bereits 
im Auslande befchäftigen, geht aus dem Umftande hervor, daß 


D Mannigfaltiges. 227 





die Vorführung und Beiprechung diefes Apparates wegen der 
Peitgefahr auf die Tagesordnung des im Dezember 1911 in 
Tiflis tagenden ärztlihen Kongreſſes gejegt wurde. Sowohl 
bei Fachleuten wie bei Laien findet „Lungenbeil“ ungeteilte 
Anerkennung. 

Ein befonderer Dorzug des Apparates ift darin zu erbliden, 





Refpirator „Lungenbheil“, 


daß zu beiden Geiten fich leicht und ficher öffnende und 
ihliegende Dentile der einjtrömenden und der ausgeatmeten 
Luft befondere Wege zuweilen. Wird — wie bei anderen 
Refpiratoren — durch denjelben Wattebaufh ein- und aus- 
geatmet, fo tritt durch den in der Ausatmungsluft enthaltenen 
Mafferdampf eine Durhfeuhtung der Watte und hierdurch 
eine wefentliche Erfjehwerung der Atmung ein. —m. 
Eine folgenſchwere Ohrfeige. — Algerien, das alte Nu— 
midien, ehemals eine Provinz des römiſchen Weltreiches, ent- 
wickelte ſich ſeit Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts zu 
jenem türkiſchen Seeräuberſtaat, der dann zweihundertdreißig 
Jahre lang der Schrecken der ſchiffahrttreibenden Kulturvölker 





228 Mannigfaltiges. ö 


war. So zahlten dem Herrſcher von Algerien, dem Dei, noch 
1820 Bortugal, Sardinien, Dänemark und Schweden Tribut, 
und felbft die Seemacht England mußte fih dazu verjtehen, 
dem Dei bei jedem KRonfulwechjel ein Gefchent von fechs- 
hundert Pfund Sterling zu mahen. Die Gefangenen, Die 
die algeriishen Biraten auf ihren Raubzügen erbeuteten, wur- 
den als Sklaven verkauft, Unzählige Chriſten ſchmachteten in 
der Gefangenfchaft der Türken, und doch konnten die euro- 
päifhen Staaten ſich zu keiner gemeinfamen entiheidenden 
Unternehmung gegen diefe Geißel des Mittelmeeres aufraffen. 
Diefe für ganz Europa unwürdigen Zuftände dauerten bis zum 
Zahre 1827, denn endlich hatte die Regierung in Paris ein- 
gejehen, weldhe Bedeutung Algerien als Rolonialbefiß gerade 
für Frantreich haben könnte, und war nunmehr einzig und allein 
Darauf bedadht, einen Anlaß zu einem Feldzuge gegen den 
Dei künftlich Heraufzubefchwören, ohne daß den anderen Mäch- 
ten Gelegenheit zur Einmifchung gegeben werden follte. 

Während der Expedition Napoleons nad Ägypten im Jahre 
1798 hatten algerifhe Raufleute für Frankreich Getreide ge- 
liefert, das immer noch nicht bezahlt worden war. Um feinen 
Untertanen zu ihrem Recht zu verhelfen, nahm fich der Damals 
regierende Dei Hufein der Angelegenheit an, forderte aber fo 
unverfhämt hohe Summen von der franzöfifhen Regierung, 
daß dieſe darauf überhaupt keine Antwort erteilte, vielmebr 
ihren Ronful Deval fchleunigft mit den nötigen Snftruttionen 
verfah, um diefen Getreidehandel zu dem fo heiß erfehnten 
Anlaß zu einem Rriege aufzubaufchen. 

Am 2. März 1827 ließ der über das hartnädige Schweigen 
Frankreichs bereits ergrimmte Dei, der fih noch immer als 
Beherricher aller Meere fühlte, Deval in feinen Palaft rufen. 
Doch der Ronful erſchien erjt drei Tage fpäter und nicht etwa 
in der vorgefchriebenen Galauniform, fondern im Reitanzug, 
eine Neitgerte in der Hand, | 

Die Wut des jähzornigen Hufein fteigerte fich durch diefe 
offenbare Nihtahtung feiner Herrfherwürde noch mehr, Er- 
regt fuhr er Deval an, warum denn die franzöfifche Regierung 
auf feine Forderungen bisher keine Antwort erteilt habe, 


— —— 


0 Mannigfaltiges. 229 


„Weil diefe Forderungen fo unverſchämt find, dab nur ein 
algerifher Dei fie ftellen kann,“ foll der Ronful, dabei mit 
der Reitpeitihe nachläſſig fpielend, erwidert haben. 

Raum waren diefe Worte heraus, als der Dei auch fchon 
ausholte und Deval eine mächtige Ohrfeige verfegte. | 

„Das wird Ihnen teuer zu ftehen kommen,“ rief der $ran- 
zofe, verlieg den Palaſt und begab fich fofort an Bord der im 
Hafen von Algier liegenden franzöfifchen Fregatte „Zerrible“. 

Die in der Perfon ihres Vertreters jo ſchwer beleidigte 
franzöfifhe Nation ſchnaubte natürlid nun Rache. Der 
Schlußakt diefes Poſſenſpiels der Weltgefchihte begann, der 
Krieg gegen Algerien, zu dem die dentwürdig gewordene, ab- 
fichtlich herbeigeführte Obrfeige die äußere Deranlaffung ber- 
geben mußte. 

Schon am 12. Zuni erſchien ein franzöfifches Gefchwaber, 
das in Toulon bereits fegelfertig gewartet hatte, vor Algier 
und blodierte fämtliche Häfen. Und drei Zahre fpäter, am 
5. Zuli 1850, ergab fi der Dei, dem die Sieger großmütig 
fein PBrivatvermögen beließen, dafür aber den ferneren Auf- 
enthalt im Lande verboten. WR 

Sonnenmajcinen. — Ein ungeheurer Rraftvorrat ift in 
den Wärmemengen aufgefpeichert, die uns die Sonne zufendet. 
Shre Ausnügung für menſchliche Zwede wird jetzt wenigjtens 
teilweife in Angriff genommen. So beſteht in Ralifornien 
eine Gefellihaft zur Ausbeutung der Sonnenwärme, die den 
eriten DVerfuh auf einer Straußenfarm in Gübdpaffadena 
angeftellt hat. Es ijt hier ein Apparat erbaut worden, der aus 
achtzehnhundert Heinen Spiegeln befteht, die zu einem Parabol- 
jpiegel von zehn Meter Durchmeffer zufammengefegt find. 
Die auf ihn auffallenden Sonnenftrahlen werden auf einen 
Dampftefjel gelenkt, in dem durch die Erhigung Dampf von 
zwölf Atmofphären erzeugt wird. Der Dampf wird einer 
fünfzehnpferdigen Dampfmafchine zugeführt, die eine Zentri— 
fugalpumpe treibt, wodurch Waſſer für Bewäfferungszwede 
gehoben wird. Außerdem wird durch die Dampfmafchine eine 
Dynamomafchine zur Erzeugung von Licht getrieben. Ent- 
ſprechend der Drehung der Erde wird die Spiegelanlage dur) 


239 Mannigfaltiges. a 








ein elettriijhes Uhrwerk alle zwanzig Setunden um ein Meines 
Stüd gedreht, damit die Sonnenftrahlen ftets jentrecht auf 
den PBarabolipiegel auftreffen. 

Billiger als diefe Einrichtung ift eine von dem Ingenieur 
Schumann konftruierte Sonnenmafdine, die in Tacona in 
Bennfplvanien in Gebraud ift. In einem Raften von hundert 
Quadratmeter Fläche, der auf der Erde fteht und durch zwei 
Lagen Zenfterglas gefchloffen ift, liegen dicht nebenzinander 
Ihlangenförmig gebogene Metallröhren, die ſchwarz ange- 
ftrichen find. Die Röhren find mit Äther gefüllt. Die Sonnen- 
ftrahlen bringen nun den Äther zur Derdampfung, und die 
Dämpfe treiben eine Dampfmaſchine. Diefe Majchine liefert 
in den Sommermonaten 3,, Pferdeträfte bei einem Drud 
von 6,3 Atmofphären. Durch die Mafchine wird Waffer auf 
die Felder gepumpt. Die Ätherbämpfe gelangen, nachdem fie 
die Dampfmafchine paffiert haben, in einen Röhrentondenfator, 
wo fie verdichtet werden. Der ſich niederfchlagende Äther 
fließt in die fhwarzen Schlangenröhren des Rajtens zurüd, fo 
daß er nun wiederum verdampft werden kann. Die Roften 
diefer Anlage betragen nur fechstaufend Mark. Th. ©. 

Bismarderinnerungen. — Während des franzöfifchen 
Krieges tadelte einer der deutfhen Fürjten im Geſpräch mit 
Bismard die gar zu reihliche Verleihung des Eifernen Rreuzes. 

Bismard war jedoch anderer Anficht, die er mit den folgen- 
den Worten begründete: „Die Derleibung diefes Rriegsordens 
erfolgt aus zweierlei Gründen: entweder haben es die damit 
Gefhmüdten verdient, dann läßt fi nichts dagegen einwenden, 
oder es wurde lediglich aus Courtoifie gegeben, wie Eurer Hoheit 
und mir, dann läßt ſich auch nichts Dagegen erinnern.“ 

Dem hohen Herren foll diefe Erklärung fo fehr eingeleuchtet 
haben, daß er von weiteren Bemerkungen abitand. 

As Bismard fih zu den Friedensperhandlungen nach 
Frankfurt begab, trug er Zivillleidung. Der Oberlellner im 
Schwanen, an die Rüraffieruniform bei ihm gewöhnt, konnte 
nicht unterlaffen, feiner Begrüßung die Worte der Überrafhung 
beizufügen: „Beinahe hätten wir Erzellenz nicht ertannt.“ 

„Da wäre es Ihnen wie den Franzojen ergangen,“ antwortete 


oO Mannigfaltiges. 231 





Der Reichstanzler lachend, „die ertannten uns auch nicht eher, 
als bis wir die Uniform angelegt batten.“ —tt., 

Wie doch die Zeit vergeht! — Das ift wohl eine der häufigften 
Rlagen, die wir im Familien- und Belanntentreis vernehmen. 
Und eine Rlage oder mindeftens ein Bedauern fchließt der 
Ausruf doch fraglos in fi, wenigftens im allgemeinen. Denn 
wer das ſchnelle Dahinshwinden der Zeit aus irgend einem 
Grunde mit freudigen Gefühlen begrüßt, oder wer ihm aud 
nur mehr oder weniger gleihgültig gegenüberjteht, der wird 
jenen Gedanten kaum begen, ihm daher auch nicht Ausdrud 
verleihen. 

Die Außerung tönt uns, wenn wir von befonderen Gelegen- 
heiten wie Fefttagen, Ferien, Reifen und dergleichen ange- 
nehmen Abwecdflungen von kurzer oder beftimmter Dauer 
abjehen, im allgemeinen meift nur aus dem Munde älterer 
Perfonen entgegen. Und in der Tat — haben wir nicht alle 
aud ſelbſt das Gefühl, als ob der Zeit mit jedem Fahr neue 
Flügel wüchſen, fie immer eilender entflöhe? Dabei: wilfen 
wir doc, daß unfere Erde fich heute mit nur genau der gleichen 
Geſchwindigkeit um ihre Achfe dreht und ihre vorgefchriebene 
Bahn wandelt wie zur Zeit unferer Rindheit! 

Welches find alfo wohl die Urfachen dafür, daß uns mit zu- 
nehmenden Zahren die Zeit immer fchneller zu enteilen fcheint? 

Wie Schon die Frageftellung andeutet, kommen ihrer zweifel- 
los mehrere in Betracht. Das Rind und die Jugend, die das 
Leben „vor ſich Haben“ und von ihm die Erfüllung ihrer Träume 
erwarten, leben mit ihren Gedanken mehr oder weniger in 
der Zukunft. Das Rind kann die Zeit nicht erwarten, bis es 
zur Schule kommt. Zit diefes erjte Ziel erreicht, der Reiz der 
Neuheit verflogen, jo ftellt fih wohl bald die Sehnſucht ein, 
diefer Schule erft wieder entwachjen zu fein — wie der Wunsch, 
erſt „groß“ zu fein, wohl in den meiften Rinderherzen einen 
breiten Raum einnimmt. Nad der Schulzeit tritt dann das 
Streben nad einer zufagenden und geficherten Lebensftellung 
mit den hierzu nötigen Vorbereitungen in feine Rechte; dann 
erwacht allmählich das Verlangen, ein eigenes Heim zu grün- 
den. Über all diefem VBorausdenten und Vorwärtsſtreben, 


252 Mannigfaltiges. Oo 


MWünfhen und Hoffen findet fih naturgemäß wenig Zeit und 
Gelegenheit, rüdwärts zu denken, und nod) viel weniger kann 
der Gedante oder gar der Wunſch auflommen, dem gleichmäßig 
dabineilenden Rad der Zeit in die Speichen zu fallen — nein, 
eber das Gegenteil! Und drängt fih doch einmal verftohlen 
der Gedante an den ſchon hinter uns liegenden Lebensabfchnitt 
auf, fo fcheint uns diefer nicht allzuviel Bemertenswertes auf- 
zumeifen; erjt die Erinnerung fpäterer Zahre läßt uns als 
ſolches ſo manches ertennen oder erfcheinen, was wir aus der 
Nähe wenig beadhtenswert hielten. Auch mutet uns die zurüd- 
gelegte MWegitrede noch gar fo kurz an, zumal gegenüber der, 
die uns noch bevorjteht: wir find ja noch fo „jung“, jo warıder- 
luftig, wandermutig ! 

Noch eine Spanne Zeit aber, dann kommen fo ganz all- 
mäbhlih die Zahre, da uns bewußt wird, wie „alt“ wir im 
Grunde genommen doch ſchon find, was wir bereits erlebt 
und — verloren haben, wie weit wir ſchon zurüddenten können. 
Und nun gewahren wir plößlih zum erften Male und mit 
leifjem Erjchreden: „Wie doch die Zeit vergeht!“ 

Und haben wir diefe „Entdedung“ erjt einmal gemacht, 
jo geht es uns mit ihr genau wie mit fo mancher anderen, 
bisher wenig oder gar nicht beachteten Erfheinung — fie tritt 
uns immer häufiger und allein ſchon durch diefe Wiederholung 
viel auffallender entgegen. Dazu fommt noch, daß jene Zeiten, 
da wir Großes, wenn nicht alles von der Zukunft erhofften 
und erträumten, wohl allmählid, aber mit Naturnotwendig- 
keit fi in das Gegenteil verkehren, Es kommen langfam die 
Zahre, da wir für uns felbjt von der Zukunft wenig oder nichts 
mehr erhoffen, ja erhoffen dürfen. 

In gleihem Maß wendet fih nun der Blid immer mehr 
der Dergangenbeit zu, die dank der glüdlichen, nur zuweilen 
fünftlih oder gewaltfam ertöteten Anlage im Menfchen, das 
weniger Gute zugunjten des Befferen aus dem Gedächtnis zu 
verbannen, um fo mehr in rojigem Licht erjcheint, je weiter 
fie hinter uns liegt — bis wir fchließlih nur noch „von der 
Erinnerung zehren“, die uns in jene längjt vergangenen Zeiten 
zurüdführt, 


oa WMannigfaltiges. 2353 





Aber nicht nur längere Zeiträume wie Zahre und Zahr- 
zehnte fcheinen uns mit zunehmendem Alter ſchneller dahinzu- 
ſchwinden, auch der einzelne Tag felbft. So haben wir das Gefühl, 
oder wir ftehen unter Umftänden auch ſchon der greifbaren 
Zatjahe gegenüber, in unferer gewöhnlichen Zagesarbeit nur 
mit Mühe oder überhaupt nicht mehr das leiften zu können 
wie noch vor kurzem. Geijt und Rörper — und das ijt ein an 
ſich bei gewiſſem Alter zwar natürlicher, durch verkehrte Lebens- 
haltung und ihre Folgen aber häufig verfrühter oder ver- 
fhärfter Vorgang — arbeiten allmählih langfamer. Pas 
Denten, die Umſetzung des Gedantens in die Tat und feine 
vollftändige Ausführung beanjpruchen nah und nah immer 
mehr Zeit. 

Sp werden wir denn mit unferer täglihen Arbeit allmäh- 
fih immer ſchwieriger und fchlieglih überhaupt nicht mehr 
in der gewohnten Zeit fertig. Und diefe Tatfache erpreßt uns 
dann auch wieder den Seufzer: „Wie doch die Zeit ver- 
geht ya : 

Schlieglid mögen dann noch zwei Pinge hinzutommen. 
Menn die Höhe des Lebens überfchritten ift, beginnen wir 
unwilltürlicd — genau wie der Schüler in der zweiten Ferien- 
hälfte — allmähli immer mehr mit dem unausbleiblich 
nahenden Ende zu rechnen. Wir fchöpfen niht mehr aus dem 
Vollen, fondern beginnen mit der Seit, deren rechten Wert 
wir vielleicht jet erft voll ertannt haben, zu fparen und zu 
geizen für das, was unferem Herzen, unjferem Streben am 
nächſten liegt, und was uns am nötigften und wichtigiten fcheint. 
Damit erhöht fih das Bedauern darüber, daß die Zeit, die 
wir im Gegenjaß zur Jugend nun wohl fejthalten möchten, 
fo Schnell vergeht. Und endlih das andere: Wie bei räum- 
lihen Entfernungen und Bergeshöhen, fobald fie eine ge- 
wilfe Grenze überjchreiten, unferem Schäßungspermögen der 
tihtige Mapftab fehlt, fo vielleiht auch unferem geiftigen 
Auge für längere Zeiträume, die wir durchlebt haben. 

Daher erjcheinen uns dann die Fahrzehnte, die wir auf 
unferem Lebensweg zurüdlegten, und die „Zeit“, wie fie fich 
in unferer Erinnerung darjtellt, nicht im gleichen DVerbält- 


234 Mannigfaltiges. a 





nis zueinander zu ftehen: die Zeit ift uns zu fehnell ver- 
gangen. —ʒe. 

Eine Tiroler Gemeinde im peruaniſchen Hochlande. — 
Seit fünfzig Zahren beſteht in der ſüdamerikaniſchen Republik 
Peru in einer Höhe von rund neunhundert Metern die von 
dem deutſchen Freiherrn v. Schütz-Holzhauſen ins Leben 
gerufene deutſche Kolonie Pozuzo. Sie iſt überwiegend von 
Tiroler und oberbayriſchen Bauern befiedelt, denen ſich ein- 
zelne Auswanderer vom Hunsrüd, aus der Eifel und von der 
Mofel angefchloffen haben. Zn gefunder und ſchöner Lage am. 
KRreuzungspuntt der feit Jahren geplanten Hochſtraße, die 
über die Anden hinweg Perus Hauptitadt Lima mit dem 
Amazonenftrom verbinden foll, hat fie günftige Zutunftsaus- 
fihten. Einftweilen leben die Leute ohne rechte Verbindung 
mit der Außenwelt. Daß die Rolonie fih gehalten hat, dankt 
fie bauptfählid ihrem erjten Pfarrer Joſeph Egg, der von 
1857 bis 1895 in ihr wirkte, Seinen privaten Lebensunter- 
halt erwarb er ſich durch Anfertigung pon — Spinnrädern. 
Ende 1891 beftand feine Gemeinde aus 515 Seelen, darunter 
365 Deutfhe, der Reit waren Indianer. Sein Nachfolger ift 
der deutich-öfterreihifhe Pater Schafferer. Seine Gemeinde 
wohnt bis auf fieben Stunden Entfernung zerftreut auf ein- 
zelnen Bauernhöfen. 

Die Schulbildung ift infolge mangelnder Lehrkräfte ziemlich 
gering. Es wird Deutſch und Spanifch unterrichtet, Predigt 
und Rinderlehbre werden in deutfcher Sprache gehalten, im 
Umgang berrfcht die Tiroler Mundart. Der Geiftliche befchäftigt 
fihb im Nebenamt mit ZTifchler-, Drecfler- und Schmiede- 
arbeiten und ift gleichzeitig der einzige Arzt der Gegend. Er 
bat zur Förderung des Handwerkes unter den Leuten eine 
Univerfalwertftätte angelegt, die mit Waffertraft getrieben 
wird. Drei Tagereifen entfernt von Pozuzo befteht eine 
Heine Tochterkolonie Oropampa, die aber ohne deutſchen Geiſt— 
lichen ift. O. v. B. 

Gutenbergs Werkſtatt. — Zohannes Gutenberg wird 
allgemein als Erfinder der Buchdruckerkunſt genannt, Gleich- 
zeitig oder fogar vor ihm follen in Straßburg Zohannes Mentel, 











D Mannigfaltiges. 235 











De b 





Sobannes Medenbad, in Mainz Sobannes Faust und Johannes 
Schäffer, wie Gottfrid 1642 meint, „dieſe Runft ins Werd 
gerichtet haben“, Mit diefen fünf Johannes rivalifiert noch 


Gutenbergs Werkſtatt. 


236 Mannigfaltiges. s} 


ein Hans von Laudenbach, von dem ein Grabftein aus dem 
fünfzehnten Zahrhundert, der fih im alten Auguſtinerkloſter 
zu mal befindet, beſagt: 

„Hans von Laudenbach ift mein Nam, 

Die erſten Bücher drudt ih zu Rom. 

Bitt für meine Seel, Gott gibt die Lohn.“ 
Die neueften Forihungen haben jedoch feſtgeſtellt, daß Zohan- 
nes Gensfleifh, nad feiner Mutter Gutenberg genannt, in 
der Tat der erjte Erfinder der Buchdruckerkunſt ift. Der alte 
Stih nah Matthäus Merian, den wir reproduzieren, Icht uns 
einen lid in feine von ihm 1444 zu Mainz begründete Wert- 
ſtatt tun. W. F. 

Der Letzte dom Berufe ſeiner Väter. — Bor einiger 
Seit wurde der Gefchirrhalter und Abdedereibefiger Rarl Hübner 
von Saalfeld vom Frühzug Saalfeld—Arnftadt überfahren 
und fofort getötet. Er war der legte Abtömmling eines Ge- 
ichlechts, in dem das Amt des Scharfrichters feit Jahrhunderten 
erblih gewefen war, und der es noch felbjt, wenngleih nur 
einmal, ausgeübt hatte. 

Sein Dater Chriftian Hübner war zunftmäßiger Scharf- 
rihter und für gerichtlihe Erekutionen viel begehrt gewefen. 
Das Anwefen der Hübner, die fogenannte Scharfrichterei, 
liegt an der Straße von Saalfeld nah NRudoljtadt gegenüber 
einer ehemaligen Richtftätte, dem „Rabenjtein“, der im Jahre 
1698 von dem fürftlihen Amt und dem Rate zu Saalfeld mit 
einem Roftenaufwand von einhundertzweiundfünfzig Gulden 
neu bergeftellt worden war, damit bier die Hinrichtung des 
Tuchmachers Georg Rahniß aus Pöhned, der feine Frau 
ermordet hatte, durch das Schwert vollzogen würde. 

Chriftian Hübner hatte nicht weniger als fehsunddreißig 
Hinrihtungen vorgenommen. Unter diefen war beſonders 
bemertenswert die am 28. Oktober 1854 am Edartsanger 
in der Nähe von Saalfeld in Anwefenheit einer vieltaufend- 
töpfigen Menfchenmenge vollaogene Enthauptung des Raub- 
mörders Madedanz, der im Heidewald den Tiſchler Amende 
aus Naihhaufen erichlagen hatte. Denn diefer Hinrichtung 
wohnten viele andere Scharfrichter bei und zogen nach Be— 


u Mannigfaltiges. 237 





endigung der Exekution mit Muſik nach der Hübnerſchen 
Scharfrichterei, um dort durch ein Gaſtmahl und ein daran ſich 
anſchließendes Tanzvergnügen ihren Jahrestag zu feiern. 

Die Hinrihtung des NRaubmörders Zobann Nikolaus 
Raufmann aus Riehheim duch Chrijtian Hübner war das 
legte in Saalfeld vollzogene Zodesurteil. Raufmann hatte, 
um die Mittel zu feiner Verheiratung zu erlangen, am 25. Ot- 
tober 1854 den wohlhabenden zweiundfiebzigjährigen Orts- 
bürger Heinrich Huth in feiner Wohnung in Riechheim mit einer 
Art erfchlagen und aus den Schränken desfelben einen Zünf- 
talerichein und dreizehn Gulden bares Geld geraubt. Geine 
Hinrihtung im Hofe des Rathaufes erfolgte mittels des Beils 
auf einem NRichtblod, der eigens für diefen Zwed hergeftellt 
worden war und im Zahre 1864 dem Hübner aud in Hild- 
burghaufen zur Hinrihtung eines Datermörders dienen mußte. 
Noch im Jahre 1874 wurde Ehriftian Hübner für die Hinrichtung 
des Mörders Schlörr in Gera gewonnen, zu der ebenfalls 
wieder der Rihtblod und das Beil aus Saalfeld bezogen 
worden waren. Als nun dem zitternden Greije der Wink ge- 
geben wurde, feines Amtes zu walten, warf fein mitanwefender 
Sohn Rarl Hübner fchnell feinen Mantel ab, ergriff das Richt- 
beil und trennte mit einem wudtigen Schlag den Ropf des 
Verbrechers vom Rumpf. Er wollte damit fein Meifterftüd 
leilten, um Berufsnachfolger feines Vaters zu werden. 

Doch blieb dies die einzige von ihm vollgogene Hinrichtung, 
da das Graufige des Altes ihn derartig erfchüttert hatte, 
daß er nie wieder eine Hinrichtung ausgeführt hat. Richtklotz 
und Beil werden im ftädtiihen Mufeum in Saalfeld auf- 
bewabtt, R. v. B. 

Schreibe leſerlich! — Wellington hatte einen geradezu 
krankhaften Haß gegen unleſerlich geſchriebene Meldungen. 
Aber er ſelbſt ſchrieb noch viel ſchlechter als andere, und ſo 
konnte es vorkommen, daß er einem Offizier in den ſchroffſten 
Ausdrüden einen Derweis wegen jchlechter Schrift erteilte, 
und daß nach einigen Wochen feine Order mit dem Bemerken 
zurüdtam, alle Offiziere der Garnijon hätten vergebens ver- 
judt, die Zeilen des Obertommandierenden zu enträtjeln, 


238 Mannigfaltiges. a) 





und fie baten daher um Aufichlug darüber, was eigentlich in 
dein Schreiben enthalten fei. 

Wellingtons größter Gegner, Napoleon I., hatte den gleichen 
Hab und die gleihe Schwäche. Man berichtet fogar, daß feine 
unleferlihe Handfchrift ihm die Niederlage bei Waterloo 
eingetragen habe. Er fandte an Grouchy eine Botfchaft, die 
der General nicht genau lefen konnte. Er ſchwankte, ob es 
heiße „Bataille engagee* oder „Bataille gagnee“ (Schlacht 
begonnen — Schlacht gewonnen). Schlieglich einigten er und 
feine Offiziere fich dahin, dab das leßtere gemeint fei. Gie 
beichleunigten den Vormarſch der Truppen nicht genug 
und kamen zu fpät. 

Den Nuten einer guten Handichrift lehrt uns Bakery 
das Schidjal Viktor Sardous. Ein Stüd von ihm war bereits 
von vielen Theatern abgelehnt worden, als er es einer berühmten 
Schaufpielerin unterbreitete.. Auch dieſe wollte es achtlos 
beifeite legen, fühlte fih aber von der prächtigen, deutlichen 
Schrift angezogen, las das Drama, feste feine Aufführung 
duch und begründete jo Sardous Ruhm. O. v. B. 

In griechiſchen Räuberhänden. — Der engliſche Oberſt 
Synge ſaß an einem herrlichen Maiabend des ZJahres 1885 
rubig im Zimmer eines Untertunftshaufes in der Nähe der 
griechiſch-türkiſchen Grenze, als die Fenjter plöglih von Rugeln 
durchlöchert wurden und eine Anzahl bewaffneter Griechen 
um das Haus Holz und Stroh aufjchichteten, das fie in Brand 
teten. Es blieb dem Oberſten nichts anderes übrig, als fi 
auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Er wurde nun auf ein 
Dferd geſetzt, Niko, der Führer der Bande, beftieg ein anderes 
Pferd, und die ganze Geſellſchaft fhlug den Weg nah dem 
Olympusgebirge ein. 

Der Gefangene wurde mit aller Rüdficht behandelt. Er 
mußte einen Brief an den englifchen Ronful in Saloniki ſchreiben 
mit der Bitte, die Räuber nicht zu verfolgen, da fein Leben 
jonftbedroht fei. Nunmehr begann eine förmliche parlamentarifche 
Unterhandlung. Der Oberft wurde in einer geräumigen Höhle 
untergebracht und bewacht, wo er übrigens das Lager und Die 
Nahrung feiner Entführer, bejtehend in Biegenfleifch, Brot, 


0 Mannigfaltiges. 239 


— — En ae a a nn nn sn - En une —— — 


Mein und ſogar Kaffee, teilte. Die Bedingungen feines Los- 
faufes waren: zweibundertfünfzigtaufend Franken Bargeld, 
wozu noch Martinitarabiner, Uhren, goldene Ringe, Zigarren- 
jpißen von Bernftein, ein Feldteleftop und fünfzehn Trompeten 
famen. Sollte innerhalb fünf Tagen keine Antwort eintreffen, 
jo würde man zuerft des Gefangenen Ohren, nah acht Tagen 
deſſen Nafe und nad) weiteren zehn Tagen deſſen Ropf fchiden. 

Die „Herren Räuber“ behandeln eben die Sache ganz als 
Geſchäft, und auch der englifhe Ronful tat damals das Rlügite, 
was er tun tonnte, und behandelte fie auch vom gleidhen Stand- 
puntte aus, machte gute Miene zum böfen Spiel und beforgte 
fich in befchleunigter Schnelligkeit wenigftens das Geld, das er 
Ducch einen ihm bezeichneten „Dertrauensmann“ überjandte. 

Bei deffen Ankunft ging es im Lager luftig zu; man feßte 
ſich im Walde in die Runde, die Geldfäde wurden geöffnet 
und jedes Stüd darauf geprüft, ob es nicht ein verräterifches 
Abzeichen trage. Nachdem man fi überzeugt hatte, daß die 
Summe ridhtig und auch fonjt alles in Ordnung war, wurde 
dem Oberft der „Sitte“ gemäß eine Taſſe Waffer überreicht, 
worauf ein fideles Zechgelage einjebte. 

Dem Oberft wurden vom Führer aus dem erhaltenen Löfe- 
geld der Betrag von hundert Franken, den diefer bei feiner 
Gefangennahme von ihm „geliehen“ hatte, wieder mit Dank zu- 
rüderjtattet. Dann wurde er aus der Waldwildnis in die Ebene 
gebraht und, mit Nahrungsmitteln verjehen, freigelafjen. 

Eine Verfolgung feitens der Behörden oder duch Truppen 
fürchteten die Räuber nicht, ihre Hauptforge war vielmehr 
Darauf gerichtet, zu verhüten, dab fie nach dem Empfang des 
Löjegeldes nicht etwa von neidiihen „Rollegen“ angegriffen 
würden. Deshalb hatte auch Niko als Huger und umfichtiger 
Mann das Gerücht verbreitet, das verlangte Löfegeld betrüge 
nur vierzigtaufend Franten. AM. 

Kampf zwiichen einem Gorilla und einer Bulldogge. — 
Zn einem Ausflugsorte in der Nähe von New Orleans bat 
vor kurzem ein findiger Unternehmer ein ganz abfonderliches 
Duell, einen Zweilampf zwiſchen einem Gorilla und einer 
mädtigen englifchen Bulldogge, in Szene gejeßt. Es war zu 


249 Mannigfaltiges. Oo 





diefem Zwed in einem Gartenlotal ein Pla mit einem zwei 
Meter hohen Bretterzaun abgegrenzt worden, innerhalb deſſen 
fi) der Gorilla befand. Die Bulldogge wurde unter dem Beifalls- 
gejchrei der aufgeregten Zufchauer, die zumeift auf den Gieg 
des Hundes gewettet hatten, in die Arena gelaſſen. Sie ſprang 
den Gorilla fofort wütend an, aber der zähnefletfchende Affe 
fing den Hund gefchidt, wie man einen Ball fängt, mit feinen 
langen Armen auf. Ein Biß in den Schädel der Dogge, ein 
Krachen des Rüdgrates und alles war vorüber, In kaum zwei 
Minuten hatte der arme Hund ausgelitten. 8.0.8. 

Eine Antwort in Zahlen. — Ein tüchtiger, aber ver- 
mögenslofer Ingenieur bielt bei einem Banlier um die 
Hand feiner Tochter an. Die Tochter hieß Elifabeth. Der Va- 
ter wies die Werbung ab, erllärte aber, daß der Ingenieur 
wiederlommen möge, wenn er zu großem Dermögen ge- 
langt fei. | 

Der Ingenieur ging nach Amerika, wo er eine Erfindung 
gewinnreich verkaufte, Er hatte jebt die Bedingung erfüllt, 
die ihm der Banlier gejtellt hatte. 

Nah fünf Zahren befuchte der Ingenieur feinen früheren 
Wohnort. Es wurde hier bald bekannt, daß er in Amerika fein 
Glüd gemacht hatte. Auch der Bankier, der in der Zwifchenzeit 
durch verfehlte Spekulationen in feinen Vermögensverhält- 
niffen ſehr zurüdgelommen war, erfuhr davon. Bei einer 
Bufammentunft mit dem Ingenieur deutete er diefem an, 
daß ihm jeßt eine Wiederholung der Werbung willtommen fei. 
Der Ingenieur erwiderte, er werde fih die Sache überlegen 
und ihm feinen Entfchlug fchriftlich mitteilen. 

Zwei Tage fpäter erhielt der Banlier als Antwort einen 
Brief. Zn ihm fchrieb der Ingenieur: „Sie werden wifjen, 
wie ih mid zu Shrem Anerbieten ftelle, wenn Gie unter 
die Buchstaben in dem Namen Zhrer Tochter folgende Zahlen 
958741265 fchreiben und fie in der Reihenfolge 
123 ufw. lefen.“ Th. ©. 





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